Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011

Die Seite wird erstellt Pirmin Burger
 
WEITER LESEN
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
Zivilklausel an der
Universität Tübingen
Dokumentation
Juli 2011

„Lehre, Forschung und Studium an
der Universität sollen friedlichen
Zwecken dienen, das Zusammenle-
ben der Völker bereichern und im
Bewusstsein der Erhaltung der natür-
lichen Lebensgrundlagen erfolgen.“

(Grundordnung der Universität
Tübingen)

Wo beginnt der Krieg? - Der Wissenschaftsbetrieb muss in            DOK: Offener Brief der Marxistische Aktion an das Rekto-
die Verantwortung genommen werden - Christoph Marisch-              rat der Universität Tübingen – 13
ka - 2
                                                                    DOK: Zivilklausel für die Hochschulen - Dietrich Schulze
Ein Zivilkläuselchen - Zur Rüstungsforschung an der Uni-            – 14
versität Tübingen - Andreas Seifert – 6
                                                                    DOK: Neues zu Zivilklausel und Rüstungsforschung – 15
Es lebe der Dialog! - Andreas Seifert - 7
                                                                    DOK Tagblatt: Heute Antrittsvorlesung: Sicherheitspartner
Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke und die Zivilklau-       Russland – Am Reden gehindert – 17
sel … eine Farce? - Christoph Marischka – 9
                                                                    „Es gibt keine gerechten Kriege – aber notwendige“ - Wolf-
DOK: Offener Brief zum Seminar „Angewandte Ethnologie               gang Ischinger wird Honorarprofessor in Tübingen - Jürgen
und Militär“ - 11                                                   Wagner – 18
DOK: Erklärung des DGB-AK Tübingen zum Bruch der Zi-                DOK: Einsatzgebiet Hochschule - Michael Billig - 24
vilklausel an der Universität Tübingen – 12

                                                                1
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
28.7.2010 - IMI-Analyse 2010/029 ebenfalls in: AUSDRUCK (August 2010)

Wo beginnt der Krieg?
Der Wissenschaftsbetrieb muss in die Verantwortung genommen werden
Christoph Marischka

Armee im Einsatz                                                    tungsindustrie, in jüngster Zeit ihre Zusammenarbeit mit
                                                                    den Hochschulen auszubauen, waren Anlass für die „Na-
Über die aktuelle Militarisierung von Forschung und Leh-
                                                                    turwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frie-
re kann nicht gesprochen werden, ohne den Kontext zu be-
                                                                    den und Zukunftsfühigkeit e.V.“ (Natwiss), am 9.7.2010 in
schreiben, in dem sie stattfindet. Wir befinden uns hochoffi-
                                                                    Braunschweig zu einem Vernetzungstreffen zum Thema Zi-
ziell in einer Phase der „Transformation der Bundeswehr“ zu
                                                                    vilklauseln einzuladen. Zivilklauseln gibt es nach aktuellem
einer „Armee im Einsatz“. Knapp 10.000 Bundeswehrsolda-
                                                                    Kenntnisstand an der Technische Universität Berlin und den
ten sind gegenwärtig in über 15 Ländern der Welt im Einsatz.
                                                                    Hochschulen in Konstanz, Bremen, Dortmund, Oldenburg,
Etwas weniger als die Hälfte davon beteiligen sich in Afgha-
                                                                    Kassel, am mittlerweile im Karlsruher Institute of Techno-
nistan an einem regelrechten Krieg, wo auch die Bundeswehr
                                                                    logy (KIT) aufgegangenen Kernforschungszentrum Karlsru-
etwa alle zwei Tage in handfeste Gefechte verwickelt ist und
                                                                    he und nun auch in Tübingen.3 Dabei handelt es sich um
regelmäßig Luftnahunterstützung anfordert. Von dort reicht
                                                                    Formulierungen – meist in den Satzungen der Universitä-
das Spektrum der Einsätze über Stabilisierungsmissionen
                                                                    ten – welche in unterschiedlicher Deutlichkeit die Ziele von
auf dem Balkan hin zu Beobachter- und Ausbildungsmis-
                                                                    Forschung und/oder Lehre auf „friedliche“ und/oder „zivile“
sionen, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt und auch
                                                                    Zwecke beschränken. Bei dem Treffen wurde aber schnell
vom Bundestag nicht mandatiert sind, wie gegenwärtig in
                                                                    klar, dass die bloße Existenz einer solchen Zivilklausel oft
Uganda oder zuvor auch im Jemen. Bei stetig wachsendem
                                                                    keinerlei Effekt hat und Wehrforschung oder rüstungsnahe
Etat des Verteidigungsministeriums werden diese neuen Auf-
                                                                    Forschung keineswegs unterbindet. Eine Zivilklausel kann
gaben mit einer immer geringeren Zahl von Soldaten erfüllt
                                                                    aber ein fruchtbarer Anlass sein, um die Auseinandersetzung
und nun wird auch noch eine Abschaffung der Wehrpflicht
                                                                    darum zu beginnen, welche Forschung und welche Lehrver-
ernsthaft in Erwägung gezogen.
                                                                    anstaltungen die Verantwortung der Wissenschaft gegenüber
Möglich wird dies einerseits durch eine Technisierung des           der Gesellschaft verletzen. Deshalb wurde auf dem Treffen
Krieges und andererseits durch eine Spezialisierung der             in Braunschweig festgestellt, dass die Forderung nach Zivil-
Bundeswehr auf die eigentliche Kriegsführung. Nahezu alle           klauseln bzw. deren Einhaltung stets auch mit Debatten, Ak-
Aufgabenbereiche, die den Alltag einer Verteidigungsarmee           tionen und möglicherweise auch Institutionen einhergehen
in Vorbereitung auf den Verteidigungsfall geprägt haben –           müssen. Als Voraussetzung hierfür wurde eine erste Katego-
Instandhaltung, Ausbildung, Lagerhaltung und Logistik –             risierung von potentieller „Kriegsforschung“ vorgenommen,
werden gegenwärtig an private Unternehmen ausgegliedert.1           die im Folgenden am Beispiel Tübingen mit möglichen Fall-
Aber auch in den eigentlichen Einsätzen – insbesondere              stricken und Ansatzpunkten für Protest vorgestellt werden
sog. Sicherheitssektorreformen - wird verstärkt auf Vertrags-       soll.
arbeitnehmer_innen und Polizist_innen zurückgegriffen
sowie – gerade bei handfesteren Kriegen – einheimisches             Rüstungsforschung
Personal rekrutiert oder über die UN auf Infanteristen aus          Unter Rüstungsforschung ist naturwissenschaftlich-techni-
Entwicklungs- und Schwellenländer zurückgegriffen.2 Zwei            sche Forschung zu verstehen, die unmittelbar vom Verteidi-
weitere Bereiche, die mit dem neuen Einsatzprofil der Bun-          gungsministerium und/oder der Rüstung bezuschusst wer-
deswehr exorbitant gewachsen sind, ohne dass sie von der            den und deren Ergebnisse absehbar in die Entwicklung und
Bundeswehr eigenständig zu bewältigen wären, ist die welt-          Verbesserung von Waffensystemen im weiteren Sinne – also
weite Aufklärung – insbesondere Human Intelligence - und            auch Aufklärungssysteme und Panzerungen – eingehen sol-
Strategieentwicklung; Schließlich reicht es nicht mehr, eine        len. Die staatliche Rüstungsforschung wurde bislang zu gro-
Front und einen Gegner zu beobachten, heute müssen hun-             ßen Teilen über die Bundeswehr selbst und ihre Universitä-
derte potentielle Einsatzgebiete überwacht und jeweils Kon-         ten oder Institutionen wie das Deutsche Zentrum Luft- und
zepte für Interventionen ausgearbeitet werden. Das ist der          Raumfahrt (DLR) oder die Fraunhofer-Gesellschaft (und die
„sicherheits“politisch-strategische Hintergrund der aktuellen       mittlerweile in dieser aufgegangenen Forschungsgesellschaft
Militarisierung der Hochschulen, der zugleich auf begüns-           für Angewandte Naturwissenschaften e.V.) durchgeführt. Al-
tigende Entwicklungen durch die Bologna-Reformen (Ab-               lerdings kommt es häufig zu oft undurchsichtigen Koopera-
hängigkeit von Drittmitteln, Anwendungsorientierung) und            tionen dieser Institutionen mit zivilen Universitäten. Ein ak-
eine schlechte Arbeitsmarktlage für Akademiker_innen trifft.        tuelles und herausragendes Beispiel hierfür ist die Gründung
                                                                    der Fakultät Munich Aerospace, die offiziell am 9.7.2010
Ansatzpunkte für Auseinandersetzungen
                                                                    – dem Tag des Braunschweiger Treffens – vollzogen wurde.
Die massiven Bemühungen der Bundeswehr und der Rüs-                 Dabei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt der Tech-

                                                                2
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
nischen Universität München, der Bundeswehruniversität               Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und auch jenseits des
München, des DLR sowie des „Bauhaus Luftfahrt“. Beim                 konkreten Kriegseinsatzes leiden viele Soldaten wegen ihres
„Bauhaus Luftfahrt“ handelt es sich um einen gemeinnützi-            unmittelbaren Umgangs mit Gewehren, Explosionswaffen,
gen Verein, der von den drei Rüstungsunternehmen EADS,               Flugzeugen und Hubschraubern unter chronischen Hör-
Liebherr Aerospace und MTU Aero Engines gemeinsam mit                schäden. Am zur Universität gehörenden Tübingen Hearing
dem Bayerischen Wirtschaftsministerium gegründet wur-                Research Centre auf dem Gelände der Universitätsklinik
de. Unter Förderung durch das Wirtschafts- und das Wis-              wird bzw. wurden im Auftrag des Verteidigungsministerium
senschaftsministerium sollen mit insgesamt 55 Professuren            der Haarzellverlust infolge von Schalldruck und mögliche
„Forschungs- und Fertigungskompetenzen“ integriert, der              Behandlungsmöglichkeiten untersucht. Als Grundlage der
„Forschungs- und Technologiestandort München“ gestärkt               Forschung diente die experimentelle Beschallung und an-
und „die Potenziale von universitären und außeruniversitä-           schließende Untersuchung von Meerschweinchen. Ob diese
ren Partnern sowie Partnern aus der Wirtschaft konstruktiv           Tierversuche selbst in Tübingen stattfanden und weiter statt-
und zielorientiert zusammengeführt werden können“. Ge-               finden, ist jedoch bislang nicht eindeutig geklärt.
forscht werden soll zunächst u.a. zu unbemannten Flugsyste-
                                                                     In mehrfacher Hinsicht schwerer einzuschätzen ist – ins-
men – sog. Drohnen – und Raketenantriebssystemen.4
                                                                     besondere für medizinische Laien – die Forschung zu Or-
Während die Gründung der Fakultät Munich Aerospace                   ganophosphaten. Mehrere an der Universität Tübingen
öffentlich zelebriert wurde, ist man bei vielen anderen Ko-          Beschäftigte haben zu diesem Thema gemeinsam mit Bun-
operationsprojekten – gerade wenn diese ohne öffentliche             deswehrangehörigen Artikel veröffentlicht – darunter u.a.
Förderung stattfinden – auf Zufallsfunde in Pressemitteilun-         Angestellte der Sektion für Experimentelle Anaesthesiologie
gen, der Lokalpresse oder auch Aushängen in der Universität          an der Universitätsklinik sowie der Zoologie. Eine bundes-
angewiesen. So wurde auch bekannt, dass einer der größten            weit führende Rolle bei der wehrmedizinischen Forschung
Hersteller von Militärhubschraubern weltweit, Eurocopter,            zu Organophosphaten scheint das Institut für Pharmakolo-
mit der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geo-             gie und Toxikologie der Bundeswehr in München zu spie-
däsie der Universität Stuttgart ein Partnerschaftsabkommen           len. Möglicherweise lassen sich über Kooperationsprojekte
geschlossen hat. „Ziel ist die Zusammenarbeit bei techno-            dieses Instituts mit der Universität Tübingen Rückschlüsse
logischen Themen sowie bei der Ausbildung künftiger In-              über die Inhalte der wehrmedizinischen Forschung zu Orga-
genieure. Geplant ist eine Vorlesungsreihe mit Eurocopter-           nophosphaten in Tübingen ziehen. Bis dahin ist eine weite
Ingenieuren als Referenten über Hubschraubertechnologie,             Bandbreite von militärischen Bezügen in Betracht zu ziehen:
Firmenbesichtigungen für Studierende und das Angebot                 zahlreiche chemische Kampfstoffe gehören dieser Stoffgrup-
von Praktikums- und Diplomandenstellen... Konkrete An-               pe an, zugleich werden Organophosphate als Ursache des
wendungsbereiche sind die Herstellung von Rotorblättern,             sog. Golfkriegssyndroms diskutiert und können diese Stof-
Hubschrauberstrukturen sowie die Fertigung von Airbus-               fe bei der Bombardierung von oder Unfällen in chemischen
Türen.“5                                                             Fabriken in großen Mengen freigesetzt werden und tödliche
                                                                     Vergiftungen bei den eingesetzten Soldaten und der Bevöl-
In Tübingen findet laut Antwort der Bundesregierung auf
                                                                     kerung verursachen. Ob die Forschung in Tübingen jedoch
eine Kleine Anfrage der Linksfraktion keine durch den Bund
                                                                     eher darauf abzielt, eigene Soldaten zu schützen, Kollate-
finanzierte wehrtechnische Forschung statt6 und sind bislang
                                                                     ralschäden bei zukünftigen Angriffskriegen zu reduzieren
auch keine Kooperationsprojekte mit der Rüstung bekannt.
                                                                     oder dem Schutz von Zivilisten im Inland dienen soll, ist
Sicherlich können die Ergebnisse zahlreicher naturwissen-
                                                                     somit bislang unklar. Keinesfalls ist die Organophosphatfor-
schaftlicher Forschungsprojekte auf die eine oder andere
                                                                     schung pauschal zu verurteilen, da sie auch wichtig für den
Weise von der Rüstung genutzt werden, nur wo Rüstungs-
                                                                     Bevölkerungsschutz ist. Zu kritisieren ist jedoch in jedem
unternehmen aber an deren Konzeption, Durchführung
                                                                     Falle, dass diese Forschung intransparent und im Auftrag des
oder Finanzierung beteiligt sind, dürften diese jedoch auf der
                                                                     Verteidigungsministeriums durchgeführt wird – womöglich
Grundlage der Tübinger Zivilklausel angreifbar sein.
                                                                     sogar unter Geheimhaltung steht und damit die Forschungs-
Wehrmedizinische Forschung                                           ergebnisse nicht öffentlich gemacht werden. Dasselbe gilt
Wehrmedizinische Forschung findet, finanziert durch das              auch für die Strahlenforschung, die womöglich durchaus
Verteidigungsministerium, an den Bundeswehrkrankenhäu-               notwendig und nutzbringend ist, jedoch besser im Dienste
sern, den Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und                eines zivilen Bevölkerungsschutzes aufgehoben wäre.
München sowie an zahlreichen deutschen Hochschulen statt,            „Zivile“ Sicherheitsforschung
darunter auch in Tübingen. Hier wird im Auftrag des Vertei-
                                                                     Sowohl auf nationaler, wie auch auf europäischer Ebene wur-
digungsministeriums zu Lärmtraumata, zu Organophospha-
                                                                     den in den vergangenen Jahren massive Programme zur För-
ten und zur Wirkung nuklearer Strahlung auf Körperzellen
                                                                     derung von Sicherheitsforschung ins Leben gerufen. Dem
geforscht. Mittels Internetrecherche konnte bislang nur das
                                                                     vorangegangen war eine intensive Lobbyarbeit der europä-
Projekt zur Erforschung von Lärmtraumata identifiziert wer-
                                                                     ischen Rüstungsindustrie und das erklärte Ziel dieser For-
den, das auch die offensichtlichsten Bezüge zur Einsatzreali-
                                                                     schungsförderung besteht auch neben dem vermeintlichen
tät der Bundeswehr aufweist. So sind Lärm- und Knalltrau-
                                                                     „Schutz der Bürger“ in einer „Stärkung der Wettbewerbs-
mata unter den häufigsten Formen von Verletzungen von
                                                                     fähigkeit“ der deutschen und europäischen Rüstungs- und
                                                                 3
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
Sicherheitsindustrie, die zunehmend zur Deckung kom-                 den. In der Zwischenzeit waren Bundesinnenministerium
men.7 Rüstungsunternehmen sind und waren sowohl an der               und Bundespolizei gemeinsam mit dem DLR damit beschäf-
Konzeption der Forschungsprogramme beteiligt wie sie auch            tigt, juristische Probleme technisch auszuräumen. So könn-
– gemeinsam etwa mit der europäischen Rüstungsagentur                ten Angehörige einzelner Religionen oder Menschen mit
EDA – im Gutachterkreis des europäischen Forschungspro-              Implantaten sich durch die Abbildung ihres nackten Körpers
gramms vertreten sind, der letztlich über die Förderung im           oder die Offenlegung etwaiger Behinderungen diskriminiert
Einzelnen entscheidet. Entsprechend sind sie auch an den             fühlen und erfolgreich hiergegen klagen. Deshalb wird ge-
meisten der geförderten Projekte beteiligt.                          genwärtig an Software gearbeitet, die bei Nacktscannern nur
                                                                     das zum Vorschein kommen lassen soll, was wirklich ent-
Dies ist auch deshalb naheliegend, weil im Rahmen der For-
                                                                     deckt werden soll, wobei auf die Arbeit des IZEW zurückge-
schungsprogramme überwiegend „Dual-Use-Forschung“ be-
                                                                     griffen werden kann, das in einem zweiten Projekt des IZEW
trieben wird, die Ergebnisse also sowohl für zivile als auch
                                                                     zur Teraherz-Technologie, TERASEC, auch unmittelbar mit
für militärische Anwendungen genutzt werden können. So
                                                                     dem DLR zusammenarbeitet. Wird diese Technologie aber
lässt sich eine deutliche Schwerpunktsetzung auf die Berei-
                                                                     erst einmal großflächig eingeführt, wird dies absehbar auch
che Sensorik und Robotik erkennen. Hochauflösende und
                                                                     eine gesellschaftliche Enttabuisierung und sinkende Stück-
„intelligente“ Kameras werden sowohl entwickelt, um im
                                                                     kosten zur Folge haben, woraus sich weitere Anwendungs-
Inland belebte Plätze oder kritische Infrastrukturen zu beob-
                                                                     möglichkeiten im privaten, öffentlichen und militärischen
achten als auch, um in den Einsatzgebieten der Bundeswehr
                                                                     Bereich ergeben. Eine antimilitaristische Kritik an den Pro-
verdächtige Personengruppen oder plötzliche Menschenan-
                                                                     jekten des IZEW scheint deshalb durchaus angebracht, kann
sammlungen aufzuklären. Montiert werden diese auch an
                                                                     aber in diesem Falle vielleicht auch mit den beteiligten Wis-
unbemannten Fahrzeugen und Flugkörpern, die im Rahmen
                                                                     senschaftler_innen gemeinsam entwickelt werden.
der Sicherheitsforschung für den Grenzschutz entwickelt
und zugleich in Afghanistan für die Feindaufklärung ein-             „Anwendungsorientierte“ Sozialwissenschaften
gesetzt werden. Mit der technischen Fokussierung geht ein
                                                                     Mit der Transformation der Bundeswehr zu einer Armee im
eindimensionaler Sicherheitsbegriff einher, der die Existenz
                                                                     Einsatz hat sich das außenpolitische Repertoire der Bundes-
verschiedener Bedrohungen voraussetzt und diese eindäm-
                                                                     republik um die militärische Komponente erweitert, rund
men oder abwehren will. So befassen sich zahlreiche geför-
                                                                     die Hälfte des Globus ist zum potentiellen Einsatzgebiet
derte Projekte mit der Verhinderung oder der Schadensbe-
                                                                     geworden, es sind neue Beschäftigungsfelder für Sozialwis-
grenzung im Falle eines terroristischen Anschlages, ohne
                                                                     senschaftler_innen entstanden und haben sich alte einer
dass ein Projekt erkennbar etwa den Einfluss der deutschen
                                                                     militärischen Logik geöffnet. Die Möglichkeit einer militä-
Kriegführung in Afghanistan auf die Wahrscheinlichkeit ei-
                                                                     rischen Intervention weckt häufig bei Lehrenden wie Ler-
nes solchen Anschlagsversuches einbeziehen würde. Letztlich
                                                                     nenden übersteigerte Erwartungen an damit einhergehende
stehen somit selbst die Projekte, die lediglich einen verbes-
                                                                     Gestaltungsmöglichkeiten, die Beschäftigung mit fernen
serten Schutz der Bevölkerung gegen Anschläge ermöglichen
                                                                     Konflikten betrifft weniger deren langfristigen Ursachen als
sollen, in dem Verdacht, dass sie primär die „Durchhalte-
                                                                     kurzfristige „Lösungsvorschläge“ und das Interesse an frem-
fähigkeit“ der Bevölkerung in einem eskalierenden „Krieg
                                                                     den Kulturen lässt sich in den Dienst der Sicherheitspolitik
gegen den Terror“ gewährleisten sollen.
                                                                     stellen. Nicht immer muss dies so offensichtlich stattfinden,
In Tübingen findet im Rahmen des „Forschungsprogramms                wie beim an der Uni Oldenburg angesiedelten „Forschungs-
für die zivile Sicherheit“ des Bundesministeriums hingegen           verbund Interventionskultur“, der die „sozialen Auswirkun-
eines der wenigen Projekte sozialwissenschtlicher Begleitfor-        gen von militärisch gestützten humanitären Interventionen“
schung statt. Unter dem Projekttitel „THEBEN, Terahertz-             untersuchen will und zwar sowohl in den „Zielgesellschaften
Detektionssysteme: Ethische Begleitung, Evaluation und               der Intervention“ als auch in den Gesellschaften, aus denen
Normenfindung“ sollen ethische Fragestellungen im Be-                die intervenierenden Soldaten stammen.9 Es besteht kein
zug auf den Einsatz sog. „Nacktscanner“, beispielsweise an           Zweifel, dass die Untersuchungen darüber, wie Entwick-
Flughäfen, untersucht werden – allerdings durchaus anhand            lungsprojekte oder ein bestimmtes Auftreten der Soldaten
„konkreter Anwendungsfragen“ und mit dem Ziel von „An-               die Akzeptanz von Besatzungstruppen erhöhen oder darü-
wendungsempfehlungen“. Dabei sollen die Forschergrup-                ber, wie der Umgang mit getöteten Soldaten den „Heimat-
pen, welche sich um die technische Umsetzung kümmern,                diskurs“ verändern kann, für eine Armee im Einsatz und die
„begleitet“ und „Betroffene“ befragt werden.8 Selbst wenn            dahinter stehende Politik von großem Nutzen sein kann.
man den beteiligten Wissenschaftlern des Internationalen             Die Studierenden gleich mit denjenigen Fragen zu kon-
Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Uni-             frontieren, die später für sie von ganz praktischer Relevanz
versität Tübingen eine kritische Haltung gegenüber dieser –          sein können, ist auch Ziel des neuen Masterstudienganges
ebenfalls im Militärischen einsetzbaren – Technologie unter-         „Military Studies“ an der Unversität Potsdam, den die In-
stellt, leisten sie dennoch einen Beitrag zu deren Einführung.       stitute für Soziologie und Geschichte gemeinsam mit dem
So steht spätestens seit Januar 2010 fest, dass deutsche Flug-       Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr und
häfen zukünftig mit „Nacktscannern“ ausgerüstet werden               dem Sozialwissenschaften Institut der Bundeswehr anbieten.
sollen und vorgesehen ist, dass die ersten dieser Systeme bis        Offensichtliches Ziel des Studiengangs ist der Aufbau einer
Ende des Jahres installiert und in Betrieb genommen wer-             größeren „Strategischen Gemeinschaft“ in Deutschland und

                                                                 4
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
entsprechend gehört auch ein Vollzeit-Praktikum bei NGOs,            Frieden“ und etwa auch des Krieges in Afghanistan als „frie-
Ministerien, der Bundeswehr oder anderen Stellen zum Stu-            densstabilisierender“ Einsatz, wie er eben auch in der Poli-
diengang. Auf diese Weise sollen auch Personen mit militä-           tikwissenschaft / Friedens- und Konfliktforschung diskutiert
rischem Fachwissen in zivile Behörden und Organisationen             wird. Große Teile des wissenschaftlichen Betriebs haben of-
vermittelt werden. Um den „vernetzten Ansatz“ deutscher              fenbar mit der Transformation der Bundeswehr Schritt ge-
Außenpolitik umsetzen zu können, ist es eben auch notwen-            halten und eilig die entsprechenden Neudefinitionen von
dig, dass auch die Mitarbeiter etwa des BMZ oder des Wirt-           „Frieden“ und „Konfliktlösung“ vorgenommen.
schaftsministeriums, Angestellte von internationalen NGOs
                                                                     Die Frage, wann der Krieg beginnt, ist keine wissen-
oder Organisationen der Technischen Zusammenarbeit ein
Wissen über militärische Abläufe und Möglichkeiten besit-            schaftliche!
zen.                                                                 Wenn die Bundeswehr nach herrschender Auffassung in Af-
Dies ist einer der Hintergründe, weshalb Jugendoffiziere             ghanistan „im Einsatz für den Frieden“ ist, Krieg also dem
und andere Bundeswehrangehörige in den letzten Jahren an             Frieden dient, dann hilft auch eine Zivilklausel wie in Tübin-
zahlreichen Universitäten selbst Seminare anboten, Seminare          gen alleine nicht weiter, wenn sie festhält: „Lehre, For­schung
begleitet oder durch das bundeswehreigene Simulationsspiel           und Stu­dium an der Uni­ver­si­tät sol­len fried­li­chen Zwe­cken
„Politik und internationale Sicherheit“ (Pol&IS) geführt ha-         die­nen“. Selbst unmittelbare Rüstungsforschung ließe sich
ben. Betroffen sind hiervon u.a. die Wirtschafts- und Kul-           somit – überspitzt gesagt – damit legitimieren, dass verbes-
turwissenschaftlichen Institute sowie die Friedens- und Kon-         serte Waffensysteme der Bundeswehr ihren „Einsatz für den
fliktforschung, die sich explizit an Studierende richtet, die        Frieden“ erleichtern und somit selbst dem Frieden dienen
anschließend in den „Gebieten der Krisenprävention, Kon-             würden.
fliktbearbeitung, Friedensförderung und des Weltregierens“           Auf dem Treffen in Braunschweig wurde hingegen festgehal-
tätig sein möchten.10                                                ten, dass es sich bei der Forderung nach Zivilklauseln und
Mit der Universität Tübingen bestehen nach Angaben der               der Auseinandersetzung um deren Geltung nicht um einen
Jugendoffiziere „erfreulich intensive Kooperationen“. Zwar           (reinen) Abwehrkampf, sondern um eine positive Forderung
haben hier Jugendoffiziere nach Angaben der Bundesregie-             handele, die Forderung nach einer zivilen Forschung und
rung bis Ende 2008 noch keine eigenen Seminare ange-                 Lehre, nach zivilen Hochschulen. Diese Auseinandersetzung
boten, wohl aber begleitete ein Jugendoffizier im Rahmen             muss angesichts orwellscher Friedensbegriffe, wie sie inner-
des Seminars „Internationale Sicherheitspolitik in Europa“,          halb der wissenschaftlichen Eliten vorherrschen, um die
angeboten durch Dr. Nielebock, eine zehntägige Exkursi-              Frage geführt werden, was zivil eigentlich bedeutet und wo
on „zu den ‚Schaltzentren der Macht‘ … bei einschlägigen             der Krieg anfängt. Eine Debatte, die angesichts der Trans-
internationalen Organisationen und Nichtregierungsor-                formation der Bundeswehr mehr als überfällig ist und of-
ganisationen in Brüssel, Straßburg und Wien“.11 Mittler-             fensichtlich nicht der Wissenschaft überlassen werden darf.
weile hat jedoch auch an der Abteilung für Ethnologie ein            Vielmehr muss wieder verstärkt die Gesamtgesellschaft ihre
vollwertiges Hauptseminar stattgefunden, das durch eine              Forderungen an die Wissenschaft formulieren und diese in
Angestellte des Zentrums für Geoinformationswesen der                die Verantwortung nehmen, nicht nur die politischen und
Bundeswehr gehalten wurde und sich explizit mit den Be-              wirtschaftlichen Eliten als Geld- und Arbeitgeber. Denn die
schäftigungsmöglichkeiten und -inhalten von Ethnolog_in-             Wissenschaft erforscht und ermöglicht Technologien und
nen beim Militär beschäftigte. Auch das Tübinger Institut            Praktiken, die unseren Alltag bestimmen: ob wir zu einer
für Politikwissenschaft hat kürzlich im Rahmen der von den           „Interventionsgesellschaft“ werden, in einem kriegführen-
Gleichstellungsbeauftragten des Instituts organisierten Reihe        den Staat leben und einer erhöhten Bedrohung durch den
„Frauen im Politikfeld Sicherheitspolitik“ eine Mitarbeiterin        Terrorismus ausgesetzt sind, wie weit der (Informations-)
der Bundeswehruniversität zu einem Vortrag mit dem Titel             Zugriff durch staatliche Stellen und (deren) private Sicher-
„Die Bundeswehr als potenzieller Arbeitgeber: Frauen in der          heitsdienstleister auf unsere Leben und unsere Körper geht
Minderheit “ eingeladen.                                             und wie dieser legitimiert wird und wer im Falle einer Ka-
                                                                     tastrophe den Bevölkerungsschutz übernimmt, im Ausnah-
Dies sind zweifellos Indizien dafür, dass das Militär in den         mezustand souverän wird. Das sind Fragen, die auch wissen-
Universitäten durchaus als ganz normaler Arbeitgeber und             schaftlich im wissenschaftlichen Betrieb diskutiert werden
auch als ganz normales Mittel der Außenpolitik bewertet              können, wobei die hier stets beanspruchte „Objektivität“
wird. Dieselbe Auffassung wurde auch von der Bundesregie-            jedoch aufgrund der Interessenlagen – erinnert sei nur bei-
rung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage hinsichtlich           spielhaft an die Geldgeber – zweifelhaft erscheint. Die Frage,
des Simulationsspiels Pol&IS zum Ausdruck gebracht. Die              wo der Krieg beginnt und was als Kriegsforschung anzuse-
Frage, ob in diesem „Militäreinsätze ... als legitimes Mittel        hen ist, welche Forschung der Verantwortung der Wissen-
der Politik dargestellt“ würden, wurde lapidar beantwortet           schaft für die Gesellschaft gerecht wird und welche dieser
mit dem Satz: „Als Abbildung der weltweiten sicherheits-             schadet, muss hingegen von der gesamten Gesellschaft auf
politischen Realität berücksichtigt POL&IS alle Konfliktlö-          vielfältige Weise gestellt werden. Das bedeutet auch, dass
sungsstrategien“.12 Die Darstellung von Militäreinsätzen als         wir nicht ewig nach „Verbündeten“ innerhalb der jeweiligen
„Konfliktlösungsstrategie“ entspricht der offiziellen Darstel-       Institutionen suchen dürfen, sondern auch von außen mit
lung der Bundeswehr als einer Armee „im Einsatz für den              Protesten an diese Institutionen herantreten müssen.
                                                                 5
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
Anmerkungen                                                                     7) Ben Hayes: Arming Big Brother - The EU‘s Security Research
1) Christoph Marischka: Die privatwirtschaftliche Basis einer Armee im          Programme, Transnational Institute Briefing Series No. 2006/1,
Einsatz, IMI-Studie 2009/11, http://imi-online.de/download/CM-privat-           TNI&Statewatch, 2006, http://www.statewatch.org/analyses/bigbrother.
wirtschaft-Studie.pdf                                                           pdf
2) Jonna Schürkes: Boots on the Ground – Ausbildung und Ausrüstung              8) „THEBEN“, www.izew.uni-tuebingen.de, 13.7.2010.
von Sicherheitskräften in Drittstaaten, in: IMI: Krisenmanagement -             9) Michael Daxner u.a.: Interventionskultur - Zur Soziologie von Inter-
„Sicherheitsarchitektur“ im globalen Ausnahmezustand, http://www.imi-           ventionsgesellschaften, VS-Verlag, 2010.
online.de/download/Kongressdoku-2009-web.pdf                                    10) Thomas Nielebock: Universität Tübingen - Masterstudiengang ‚Frie-
3) Natascha Bisbis: Zivilklausel für alle Hochschulen, in: Wissenschaft &       densforschung und Internationale Politik‘, in: „Frieden studieren“, Dos-
Frieden 3/2010.                                                                 sier Nr. 48, Wissenschaft & Frieden 1/2005.
4) „Internationale Adresse der Luft- und Raumfahrt: Fakultät Munich             11) Konstanze Jüngling: „Vom Politikinstitut direkt in die sicherheitspo-
Aerospace startet“, Pressemitteilung der TU München vom 09.07.2010,             litische Praxis“, Tübinger Universitätsnachrichten (TUN Nr. 142) vom
http://portal.mytum.de                                                          24.11.2008, www.uni-tuebingen.de.
5) „Partnerschaftsabkommen mit Eurocopter“, Meldung des „Uni-Kurier“            12) Bundestags-Drucksache 16/11015.
auf www.uni-stuttgart.de/uni-kurier/.
6) Bundestags-Drucksache 16/10157.

IMI-Standpunkt 2010/001 - in AUSDRUCK (Februar 2010)

Ein Zivilkläuselchen - Zur Rüstungsforschung an der Universität Tübingen
Andreas Seifert

Verschwiegenheit über die Inhalte laufender Forschung gilt                      Der verwendete Begriff der „friedlichen Zwecke“ ist hier das
als Tugend an Universitäten - Verschwiegenheit über die Be-                     Gummiband möglicher Interpretationen: es ist eben keine
schlüsse, die zentrale Gremien fassen ebenfalls. Hier nimmt                     „Zivil“-Klausel, die von „militärisch“ relevanter Forschung
es nicht Wunder, dass es die studentischen Fachschaften                         abgrenzt. Was im Einzelnen „friedlich“ oder „un-friedlich“
sind, die darauf verweisen müssen, dass der akademische Se-                     ist, bleibt dem Betrachter überlassen. Das ist angesichts einer
nat sich zu einer Änderung in seiner Grundordnung hat hin-                      zusehenden Verwischung der Grenzen „ziviler“ und militä-
reißen lassen, die - möglicherweise - entscheidend werden                       rischer Sicherheit ein fataler Fehler. In dem Maße, in dem
kann, wozu die Universität forscht. Zwar ist die auf Druck                      das Militär dazu herangezogen wird, zivile Konflikte mithilfe
der Studierenden zustande gekommene Entscheidung im                             militärischer Gewalt zu „befrieden“ und militärische Inter-
Dezember 2009 in der Grundordnung der Universität Tü-                           vention als Bestandteil „friedlicher Konfliktlösungen“ in der
bingen die „Friedlichkeit“ der eigenen Forschung festzu-                        öffentlichen Diskussion als zusehends zwingend betrachtet
schreiben vordergründig keine große Sache: schließlich sind                     werden, erscheint sogar die forschungsmäßige Zuarbeit für
wir doch alle immer „friedlich“.                                                das Militär teilweise als „friedlich“! Der nächste Schritt muss
                                                                                also sein, zu diskutieren, was es denn eigentlich bedeutet,
Umgekehrt hat die Diskussion um die Formulierung einer
                                                                                „friedliche Forschung und Lehre“ zu betreiben und wie man
so genannten Zivilklausel eine lange Geschichte - auch an
                                                                                dies zu kontrollieren gedenkt.
der Uni Tübingen. Bereits in den 1980er Jahren spitzte sich
der Streit angesichts der Integration externer Forschungs-                      Ein oftmals verwendeter Ansatz ist es dann, den Finanzier
einrichtungen in die Universität zu, die klassische Wehrfor-                    der konkreten Forschung zum Kriterium zu erheben. Ist es
schung betrieben und mündete sogar in die Aussage eines                         das Militär, vertreten durch das Bundesverteidigungsminis-
baden-württembergischen Ministers, eine Zivilklausel sei                        terium, die NATO oder auch ein großes Rüstungsunterneh-
prinzipiell „verfassungswidrig“, da sie das Recht auf Freiheit                  men, so sollte man auf eine militärische Nutzung der For-
Forschung tangiere und überdies den Staat gefährde, indem                       schungsergebnisse schließen können. Mitnichten, wird die
sie ihn von der Nutzung von Forschungsergebnissen für die                       Antwort vieler Universitätsverantwortlichen lauten: ist nicht
Verteidigung abhalten würde. Das sich mit dem Verfassungs-                      die Erforschung der zivil-militärischen Zusammenarbeit mit
argument eine Zivilklausel verbieten lässt, ist allerdings in-                  dem Ziel, die Koordination „unterschiedlicher außenpoliti-
zwischen schon durch ein juristisches Gutachten durch Er-                       scher Instrumente“ zu verbessern ein originär „friedliches“
hard Denninger widerlegt.                                                       Bestreben - auch dann, wenn es die Bundeswehr finanziert?
                                                                                Klares Ziel muss es aber sein, Militär von der Universität zu
Aber bewirkt die Existenz einer Zivilklausel tatsächlich, dass
                                                                                verweisen, egal unter welchem Deckmäntelchen es auftritt.
sich Hochschulen der Forschung für den Krieg enthalten
oder ist es eine bloße Absichtserklärung ohne reale Folgen?                     Sogar klassische „Wehrforschung“ ist mitunter nicht als sol-
Was besagt sie eigentlich? „Lehre, Forschung und Studium                        che zu erkennen, wenn die militärische Endnutzung sich als
an der Universität [Tübingen] sollen friedlichen Zwecken                        kleinteilige, an Spezialbereichen orientierte Forschungsfrage
dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im                          hinter regulärer Auftragsforschung eines X-beliebigen Zulie-
Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla-                        ferers zur Kriegsindustrie verbirgt - hier noch nachvollzieh-
gen erfolgen.“ (Grundordnung der Universität Tübingen)                          bar für den Forschungsleiter einer Einrichtung, aber viel-
                                                                                leicht nicht für den konkreten Forscher an seinen Geräten.
                                                                            6
Zivilklausel an der Universität Tübingen - Dokumentation Juli 2011
Von „Außen“ ist eine solche Forschung kaum als militärisch            lich nach dem Ziel konkreter Projekte fragt. Auch mit dieser
relevant zu erkennen - höchstens daran, dass die Ergebnisse           schwachen Formulierung können die Gremien der Universi-
keiner wissenschaftlichen Community zugänglich gemacht                tät dazu gezwungen werden, die an der Universität und den
werden. Der ungehinderte Austausch über Inhalte und Me-               assoziierten Einrichtungen betriebenen Forschungsprojekte
thoden der Forschung sind Kernpunkte jeder Forschung an               und Lehrmethoden dahingehend zu überprüfen, ob sie mit
der öffentlichen Einrichtung Universität: die Reduktion des           dem Grundsatz der Friedlichkeit vereinbar sind. Die Diskus-
Austausches über das Argument „geheimer“ Forschung muss               sion über die Inhalte der Forschung und ihre Friedfertigkeit
verhindert werden.                                                    darf dabei nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden,
                                                                      sondern sollte auch in die Öffentlichkeit getragen werden.
Es sind aber nicht nur diese klassischen Fälle, in denen es
                                                                      Der allgemeinen Festlegung in der Grundordnung sollte in
schwer fällt, ein Kriterium zu finden. Gerade der häufig
                                                                      regelmäßigen Abständen die Berichterstattung zum Beispiel
verwendete aber schwammige Begriff der „Sicherheit“ trägt
                                                                      im Rechenschaftsbericht des Rektorats folgen, der „wehrrele-
zum weiteren verschwimmen möglicher Abgrenzungskri-
                                                                      vante“ und „militärisch-relevante“ Forschung ausweist.
terien bei. Der „zivile“ Auftraggeber Europäische Union
etwa räumt in seinem Forschungsrahmenprogramm der                     Im Fazit bedeutet dies, dass die Formulierung einer „Zivil-
„Sicherheitsforschung“ besonderen Raum ein und betreibt               klausel“ nur der Anfang einer breiten Diskussion sein kann.
die technische und inhaltliche Aufrüstung für den Kriegsfall.         Erst diese führt hoffentlich dazu, dass militärisch relevante
Die stillschweigenden Akzeptanz ziviler Zuarbeit zu militäri-         Forschung und Lehre von der Hochschule wirklich ver-
schen Zielen gehört beendet.                                          schwindet.
In dem Umfang, in dem Forscher darauf angewiesen sind,                Weitere Texte zum Thema:
dass Forschung extern, d.h. durch Drittmittel, finanziert
                                                                      - Hochschulen forschen für den Krieg: http://www.imi-on-
wird, schwindet auch ihr persönlicher Einfluss auf deren In-
                                                                      line.de/download/SN-Studie07-2009-Forschung.pdf
halte - das politisch intendierte Ausloben von Forschungs-
rahmen stellt eben auch einen Eingriff in die gern postulierte        - Die Eroberung der Schulen -Wie die Bundeswehr in
Forschungsfreiheit dar. In dem Umfang, in dem Forscher auf            Bildungsstätten wirbt: http://www.imi-online.de/2010.
Drittmittel zurückgreifen, schwindet aber auch die Transpa-           php?id=2069
renz der Forschung an der Universität.                                - Prof. Dr. Dr. h. c. Erhard Denninger, Zur Zulässigkeit ei-
Was, so kann man da mit einiger Begründung fragen, soll               ner so genannten „Zivilklausel” im Errichtungsgesetz für das
denn dann noch eine „Zivilklausel“? Die Tübingen Formu-               geplante Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Gutach-
lierung wird als Instrument zur Verhinderung von militä-              ten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Februar 2009,
rischer Forschung kaum nützen - aber sie dient im besten              www.boeckler.de.
Fall dazu, einen Prozess einzuleiten, der offen und öffent-

IMI-Standpunkt 2010/014 - 13.4.2010

Es lebe der Dialog!
Andreas Seifert

Bezeichnend an der Berichterstattung1 über die Proteste               Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern
für eine friedliche, militärfreie Universität ist der Umstand,        und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebens-
dass sie übersieht, dass dieser auf die Unterbindung mili-            grundlagen erfolgen.“ Mit der Einführung dieser Zivilklau-
tärnaher Beiträge fokussiert. Der Protest erscheint also als          sel wurde eine Forderung der BesetzerInnen des Kupferbaus
undemokratisch, da er „verhindere [...] Fragestellungen aus           im vergangenen Jahr umgesetzt.2
dem Militär in der zivilen Gesellschaft zu diskutieren.“ Diese
                                                                      Wenn also die Universität Tübingen nun eine Veranstaltung
Wiedergabe ist falsch, denn der Protest klagt vielmehr ein,
                                                                      des Reservistenverbandes unterstützt und mit ihrem Logo
dass es überhaupt zu einer Auseinandersetzung über Krieg
                                                                      auf den entsprechenden Einladungsflugblättern vertreten
und Frieden auch an der Universität kommt - aber er klagt
                                                                      ist, die die Welt vor allem aus der Perspektive des Militärs
auch ein, dass es die zivile Perspektive sein muss, aus der die
                                                                      begreift, das qua Definition gewaltsame Konflikt-“Lösung“
Debatte läuft und nicht die militärische, die man mit Refe-
                                                                      betreibt, so darf und muss dies hinterfragt werden. Referen-
renten erhält, welche von der Bundeswehr finanziert werden.
                                                                      ten ein Forum zu bieten, die Gewalt als die ultima ratio poli-
Zum Hintergrund: Im Dezember letzten Jahres wurde durch               tischen Handelns begreifen, trägt nicht unbedingt dazu bei,
den Senat der Universität Tübingen eine neue Präambel zur             „friedliche Zwecke“ zu fördern.
Grundordnung der Uni beschlossen, in der es heißt: „Lehre,
                                                                      Wenn nun also das ethnologische Institut, in dem Bemühen
Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen
                                                                      seinen Studierenden die Breite möglicher (Berufs-)Einsatz-
                                                                  7
gebiete zu offenbaren, einer Dozentin der Bundeswehr ein              Die Sprecherin der Uni schiebt aber noch einen Satz nach,
Hauptseminar überlässt, so muss die Frage erlaubt sein, wie           der das eigentlich Interessante an diesem Vorgang sein soll-
das Institut eigentlich sicher stellen möchte, dass dies nicht        te: „Die Zivilklausel bedeutet nur, dass alles, was auf eine
zu einer Werbeveranstaltung für die Bundeswehr wird.                  Verherrlichung von Krieg und auf Kriegstreiberei hinaus-
                                                                      läuft, verhindert werden soll.“4 Dieser Satz macht deutlich,
Hier greift die von der Sprecherin der Universität geäußerte
                                                                      wie notwendig der studentische und breite gesellschaftliche
Ansicht des Rektorats „Die Zivilklausel bedeutet nicht, dass
                                                                      Protest gegen die Veranstaltungen war. Die Zivilklausel, über
nichts diskutiert oder in eine Lehrveranstaltung eingebracht
                                                                      die schon in den 90er Jahren an der Uni Tübingen gestritten
werden darf, das mit Konfliktfällen oder Krieg zu tun hat“3
                                                                      wurde, besagt weitaus mehr, als „Kriegstreiberei“ zu verhin-
zu kurz!
                                                                      dern. Sie fordert alle Mitglieder der Universität auf, sich da-
Der Protest, der Herrn Ischinger entgegengetreten ist, ist            mit auseinander zu setzen, ob ihre Forschung und ihre Lehre
eine Reaktion nicht auf die „Friedlichkeit“ möglicher Aus-            dem Ziel einer friedlichen Welt dienen. Ethnologen, die für
sagen in dem „Sicherheitspolitischen Forum“, sondern auf              das Militär arbeiten, ist diese Wahl bereits genommen - Stu-
seine durchaus bekannten Positionen zu Krieg und Frieden              dierenden, denen man das Berufsbild „Militär“ näher bringt,
in der Welt, die Jahr für Jahr über die „Münchner Sicher-             noch nicht.
heitskonferenz“ verbreitet werden: Herr Ischinger ist kein
                                                                      Mit der Sichtweise auf die Zivilklausel als einem Lippen-
Friedensengel, sondern eher ein Frontkämpfer. Eine kriti-
                                                                      bekenntnis gegen Kriegshetze, wie es in den Aussagen der
sche Analyse hierzu ist von den Veranstaltern in Tübingen
                                                                      Uni zum Ausdruck kommt, versucht man wohl zu verhin-
nicht zu erwarten.
                                                                      dern, dass die tatsächliche Diskussion, wie die Universität
Ähnlich - und doch ganz anders - ist es mit Bezug zur Ver-            Tübingen bereits heute für das Militär und andere unfriedli-
anstaltung von Frau Lanik bei der Ethnologie. Der Protest             che Zwecke forscht, öffentlich geführt wird. Die Auslegung
möchte nicht, dass „kritische Stimmen“ mit „eingebunden“              der Zivilklausel ist nicht Sache des Rektorats, sondern aller
werden, sondern hinterfragt den Grundaufbau des Seminars              Beteiligter innerhalb und außerhalb der Universität. Die
mit dieser Referentin. Auch sie steht für eine(!) Position, die       Universität muss in einen Prozess finden, wie sie der Ver-
sie ungeachtet ihrer eigenen Reflektiertheit wiedergibt. Dies         antwortung, derer sie sich mit der neuen Grundordnung
ist sogar ihre Aufgabe, geht es doch um das Berufsbild Eth-           annimmt, gerecht wird - ein Anfang sollte es sein, öffent-
nologe beim Militär: ihrem Arbeitgeber.                               lich die Forschungsprojekte, die mit Mitteln des Militärs,
Oder anders: es geht in diesem Protest nicht darum, die Aus-          des Verteidigungsministeriums oder aus dem Bereich der
einandersetzung mit dem Thema „Ethnologie beim Militär“               „Sicherheitsforschung“ der EU finanziert werden, auf ihren
(Lanik) oder gar „Atomare Abrüstung“ (Ischinger) zu unter-            Beitrag zur Friedlichkeit der Welt hin zu überprüfen. Auf
binden - es geht darum, wer diese Themen behandelt und in             diesen „breiten Dialog“ freuen sich unter anderem all dieje-
welcher Form. Bundeswehrangehörige sind ungeeignet, die               nigen Protestierer, die einseitigen Äußerungen von Figuren
notwendige inhaltliche Debatte zu moderieren.                         wie Herrn Ischinger entschieden entgegen getreten sind.
                                                                      In den oben genannten Fällen ist die Universitätsleitung hin-
                                                                      ter den Erwartungen zurück geblieben und stempelt damit
                                                                      ihre eigene Zivilklausel zu Makulatur.
                                                                      Für die Universität Tübingen wäre es angezeigt gewesen, sich
                                                                      von der Veranstaltung des „Bundesverbandes Sicherheitspo-
                                                                      litik“ zu distanzieren und nicht Mitveranstalter oder Sponsor
                                                                      zu sein. Es wäre auch angezeigt gewesen, das Institut für Eth-
                                                                      nologie aufzufordern, das Seminar zu Ethnologen im Mili-
                                                                      tär mit einem Seminarleiter aus dem Institut zu veranstalten
                                                                      und (wenn sie es für fruchtbar halten) Frau Lanik mit einem
                                                                      Beitrag darin einzubinden.
                                                                      Demokratie war noch nie eine Stärke der Hochschule
                                                                      - der Frieden wird es wohl auch nicht.

                                                                      1) Tagblatt 16. und 21. April 2010.
                                                                      2) http://imi-online.de/2010.php?id=2072.
                                                                      3) Tagblatt, 21.4.2010.
                                                                      4) ebenda.

                                                                  8
IMI-Standpunkt 2010/013 - 13.4.2010

Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke und die Zivilklausel … eine Farce?
Christoph Marischka

Im Dezember letzten Jahres wurde durch den Senat der Uni-           gung und der Friedensbewegung provoziert fühlten. Ein
versität Tübingen eine neue Präambel zur Grundordnung               offener Brief, den die Gruppe „Marxistische Aktion Tü-
der Uni beschlossen, in der es heißt: „Lehre, Forschung und         bingen“ an das Rektorat der Uni gerichtet hatte, blieb un-
Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken die-          beantwortet und offensichtlich wurde er nicht einmal zur
nen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Be-             Kenntnis genommen (http://www.jpberlin.de/tueinfo/cms/
wusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen            node/19082). In ihm wurden bereits beide Veranstaltungen
erfolgen.“ Mit der Einführung dieser Zivilklausel wurde, so         und insbesondere die Unterstützung der Universität für das
schien es, eine Forderung der Besetzer_innen des Kupferbaus         „Sicherheitspolitische Forum“ kritisiert. Am Morgen des
im vergangenen Jahr umgesetzt (http://imi-online.de/2010.           15.4.2010 – noch bevor die Nachricht von vier weiteren ge-
php?id=2072).                                                       fallenen und zahlreichen verwundeten Soldaten der Bundes-
                                                                    wehr öffentlich wurde – veröffentlichte die Informationsstel-
Bereits zu Beginn des folgenden Semesters waren jedoch zwei
                                                                    le Militarisierung einen offenen Brief, der von zahlreichen
Veranstaltungen vorgesehen, die eklatant gegen die oben zi-
                                                                    Mitgliedern des Runden Tischs der Friedensbewegung in
tierte Zielsetzung wiedersprechen. Der Bundesverband Si-
                                                                    Tübingen unterzeichnet wurde und in dem die Verantwort-
cherheitspolitik an Hochschulen, Nachfolgeorganisation der
                                                                    lichen der Universität aufgefordert wurden, „zu intervenie-
Bundesarbeitsgemeinschaft Studierender Reservisten, veran-
                                                                    ren, damit dieses Seminar [‚Angewandte Ethnologie und
staltete am 15.4.2010 gemeinsam mit der Gesellschaft für
                                                                    Militär‘] nicht stattfindet“. „Sollte dieses Seminar tatsächlich
Wehr- und Sicherheitspolitik im großen Senat – den wohl
                                                                    stattfinden“, so heißt es in dem Brief, „würde die Universität
repräsentativsten Räumlichkeiten der Universität – sein Si-
                                                                    jegliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer neuen Präambel
cherheitspolitisches Forum. Als Unterstützer wurden auf den
                                                                    verspielen. Das wäre eine traurige Konsequenz. Für schlicht
Einladungen und den Programmheften unmittelbar neben
                                                                    unerträglich halten wir die Tatsache, dass das Seminar ganz
dem vom Verteidigungsministerium finanzierten Reservis-
                                                                    unabhängig von Zivilklausel, Forschung und Lehre auch
tenverband auch die Universität Tübingen angegeben.
                                                                    deutliche Züge einer Rekrutierungsveranstaltung trägt, mit
Eine gute Woche später sollte am Institut für Ethnologie der-       der EthnologInnen für den Dienst für das ‚umgangssprach-
selben Universität ein Seminar mit dem Titel „Angewandte            lich Krieg‘ führende Verteidigungsministerium gewonnen
Ethnologie und Militär“ stattfinden. Ebenso wie die einzigen        werden können...“.
beiden anderen Seminare des Instituts im Hauptstudium,
                                                                    Am selben Tag störten Student_innen und Friedensbeweg-
die sich mit Ethnologie in der Medizin und in Museen be-
                                                                    te den Auftritt des Organisators der Münchner Sicherheits-
schäftigten, sollte hier auch ein Berufsfeld für Ethnolog_in-
                                                                    konferenz, Wolfgang Ischinger, beim Sicherheitspolitischen
nen vorgestellt und ob der außergewöhnlichen Brisanz auch
                                                                    Forum und zogen, nachdem die Polizei eintraf, weiter zum
unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Das Se-
                                                                    Rektorat, um die Uni-Leitung zur Rede zu stellen (http://
minar wird jedoch geleitet von Frau Dr. Monika Lanik, die
                                                                    www.jungewelt.de/2010/04-20/038.php). In der Diskussi-
selbst für die Bundeswehr tätig ist und unter anderem Ma-
                                                                    on gab sich Rektor Engler überrascht, dass die Universität
terialien erstellt, mit denen Soldat_innen auf ihren Einsatz
                                                                    das Sicherheitspolitische Forum unterstützt hat und kündig-
in Afghanistan vorbereitet werden und die den deutschen
                                                                    te an, dies zu prüfen. Auch das Ethnologie-Seminar bewer-
Streitkräften dabei helfen sollen, Stammesloyalitäten, Ver-
                                                                    tete er als kritisch, konnte jedoch im Vorfeld keine Anhalts-
wandtschaftsbeziehungen usw. für ihre Zwecke nutzbar zu
                                                                    punkte für eine Rekrutierungsveranstaltung erkennen. Eine
machen (http://www.jpberlin.de/tueinfo/cms/node/19105).
                                                                    solche halte er für nicht verienbar mit der Zivilklausel, eine
Dass Frau Lanik also die ethischen Fragen nach dem Ein-             kritische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rol-
satz von Ethnolog_innen für die umgangssprachliche Krieg-           le der Ethnologie in Konflikten wie in Afghanistan hingegen
führung bereits beantwortet hat wird auch daran klar, dass          schon, auch wenn diese studienrelevant sei und geleitet wür-
sie dieses bereits als „neues Berufsfeld“ für EthnologInnen         de von einer Angestellten der Bundeswehr. Ein anderer Ver-
bewirbt. Wenn Ethnolog_innen nicht die Aufgabe der „in-             treter der Universität gab hierzu noch die etwas unpassende
terkulturellen Einsatzberatung“ übernähmen, so Lanik,               Bemerkung ab, die Student_innen sollten sich doch freuen,
bestünde die Gefahr, „dass das Wissen um kulturelle Gege-           dass der Uni für dieses Seminar keine Kosten entstünden.
benheiten von Fachfremden ohne entsprechende Expertise
                                                                    Rektor Engler berief sich auf den Grundsatz „im Zweifel
abgedeckt werde“ (http://www.antropologi.info/blog/ethno-
                                                                    für den Angeklagten“ und wollte vorerste nicht eingreifen,
logie/2010/bundeswehr-werbung-im-ethnologie-seminar).
                                                                    sich aber weiter über die Dozentin Lanik kundig machen
Kein Wunder also, dass sich Teile der Student_innenbewe-
                                                                9
und sicherstellen, dass Vertreter_innen der Universitätslei-       Welche friedliche Lösung er hiermit meinte - das jeweilige
tung dem Seminar beiwohnen und dieses „gegebenenfalls              NATO-Bombardement, die andauernde militärische Besat-
abbrechen, falls es Züge einer Rekrutierungsveranstaltung          zung beider Gebilde mit heute noch insgesamt fast 20.000
annimmt oder unwissenschtlich wird“.                               Soldaten oder die seither regelmäßigen Eruptionen nationa-
                                                                   listischer Gewalt und ungelöster Territorialkonflikte – führ-
Am folgenden Dienstag jedoch ließ der Rektor bereits über
                                                                   te das Tagblatt jedoch nicht aus. Stattdessen diffamierte es
die Sprecherin der Universität mitteilen, das Seminar finde
                                                                   kampagnenartig insbesondere das Tübinger Friedensple-
statt. Als Maßstab der Auseinandersetzung verwies sie dabei
                                                                   num/Antikriegsbündnis mit der mehrmals wiederkehrenden
laut „Schwäbischem Tagblatt“ auf das Grundgesetz, der Ar-
                                                                   Behauptung, dessen Mitglieder hätten Ischinger „niederge-
beitgeber Frau Laniks, das Amt für Geoinformationswesen
                                                                   brüllt“ oder „niedergeschrien“. Eine Behauptung, die entwe-
der Bundeswehr, sei eine demokratisch legitimierte Einrich-
                                                                   der belegt, oder aber richtig gestellt werden sollte!
tung der Bundesrepublik. Eine Zensur finde nicht statt. Zu-
gleich wird Frau Dr. Lanik mit der Auffassung zitiert, wer         Wenn freilich die Bombardierung und Teilung Jugoslawi-
das Seminar verhindere, verhindere damit auch die „Trans-          ens ebenso als „friedliche Lösung“ gilt, wie der gegenwärtige
parenz, Fragestellungen aus dem Militär in der zivilen Ge-         „umgangssprachliche Krieg“ in Afghanistan, die Nutzbarma-
sellschaft zu diskutieren“. „Die Zivilklausel bedeute nur, dass    chung ethnologischer Forschung und Lehre und die Rekru-
alles, was auf die Verherrlichung von Krieg und Kriegstrei-        tierung von Student_innen für diesen einem vermeintlichen
berei hinausläuft, verhindert werden soll“, so die Sprecherin      „friedlichen Zweck“ dienen, dann gerät die Zivilklausel zur
der Universität.                                                   Farce, zur inhaltsleeren Beruhigungspille für die protestie-
                                                                   rende Studierendenschaft. Tatsächlich muss ein offener und
Damit knüpfte die Uni-Leitung an die Argumentati-
                                                                   pluralistischer Dialog über die „Armee im Einsatz“ gerade
on rechts-konservativer Kreise in Tübingen und auch des
                                                                   jetzt, wo diese Armee immer offener Krieg führt und „Ge-
Schwäbischen Tagblatts an, welche die Störaktion beim „Si-
                                                                   fallene“ beklagt, geführt werden und die Zivilklausel bietet
cherheitspolitischen Forum“ und auch den Offenen Brief
                                                                   hierfür einen geeigneten Anlass. Dass dieser „offene Dialog“
wiederholt als Zensur und einem „kritischen“ oder „breiten
                                                                   jedoch nicht durch von der Bundeswehr bzw. dem so ge-
Dialog“ entgegenstehend geißelten. Von „Linksfaschismus“
                                                                   nannten „Verteidigungsministerium“ finanzierte Personen
war auf dem Verteiler der Studierenden der Ethnologie die
                                                                   und Organisationen moderiert werden kann entzieht sich in
Rede, von Zensur, dass „die DDR da nicht mehr weit“ sei
                                                                   orwellscher Manier nicht nur der Presse und der Universität,
und davon, dass „man DEUTSCHEN Studenten sicherlich
                                                                   sondern auch so genannten Friedens- und Konfliktforschern.
einen kritischen Blick auf die Welt und auch die Inhalte
                                                                   Diese stellten sich beim Sicherheitspolitischen Forum offen
der Lehre bescheinigen kann“ (Hervorhebung durch den
                                                                   auf die Seite der Veranstalter und überzogen die Protestie-
Verfasser). Auch das Schwäbische Tagblatt meinte, Wolf-
                                                                   renden mit minutenlangen Tiraden (womit sie sich – unfrei-
gang Ischingers „Redefreiheit“ wiederherstellen zu müssen.
                                                                   willig – in die zugegebenermaßen nicht besonders kreativen
Deshalb protraitierte es ihn in der Ausgabe vom 17.4.2010
                                                                   und niveauvollen aber vielfältigen Versuche der Störung der
ausführlich und wohlwollend als einen, der die Atomwaffen
                                                                   Veranstaltung einbrachten).
abschaffen wolle und der „[a]uf dem Balkan unter anderem,
in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo ...zu friedlichen             Eine Wissenschaft, die sich in den Dienst des Krieges
Lösungen beitragen konnte“.                                        stellt, gehört abgeschafft!

                                                                   In den USA ist die Einbindung von
                                                                   Etthnologen in die Kriegsplanung be-
                                                                   reits weit fortgeschritten. Prominen-
                                                                   tes Beispiel ist der Ethnologe David
                                                                   Killcullen, der ein ganzes Kapiutel des
                                                                   US-Handbuchs für Aufstandbekämp-
                                                                   fung (Field Manual 3-24) verfasste.

                                                                  10
Sie können auch lesen