2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at

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2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
2019
             TÄTIGKEITSBERICHT

 GEMEINSAM FÜR
DEN RECHTSSTAAT.
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VORWORT
                                                                                                                      RUBRIK

SCHULTERSCHLUSS
FÜR DEN RECHTSSTAAT
SEHR GEEHRTE LESERINNEN UND LESER!
Österreich wählt, ein neues politisches Kapi-      len. Die Arbeit der Rechtsanwältinnen und
tel wird damit aufgeschlagen oder auch erst        Rechtsanwälte findet inner- und außerhalb
geschrieben. Das Regierungsprogramm, in            der Gerichtssäle dieses Landes letztlich zu ei-
dem die nächste politische Zukunft unseres         nem Zweck statt: Den Bürgerinnen und
Landes beschrieben und vorgezeichnet ist,          Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen. Auch
wird auch ein Gradmesser für den Mut und           und vor allem unseren ärmsten Mitmen-
die Einsatzbereitschaft der Politik für den        schen, die auf diese Unterstützung angewie-        Dr. Rupert Wolff
Rechtsstaat. Die neue Regierung wird die           sen sind. Dafür stehen wir ein – als freie, un-    Präsident des
Unterstützung der freien und unabhängigen          abhängige, verschwiegene und nur den               Österreichischen
                                                                                                      Rechtsanwalts­
Rechtsanwaltschaft brauchen. Jede Regierung        Interessen unserer Mandantinnen und Man-           kammertages (ÖRAK)
braucht diese, immer mehr wird das auch er-        danten verpflichtete Rechtsanwältinnen und
kannt. Der stete Ausbau des Rechtsstaates,         Rechtsanwälte. Wir tun das, durch fundierte
für die zukünftigen gesellschaftlichen Her-        Rechtsberatung und -vertretung und durch
ausforderungen, auch in einer modernen, di-        engagierte Rechtspolitik in Österreich und
gitalisierten Welt, das wird die politische Auf-   auf europäischer Ebene in Brüssel.
gabe der Zukunft. Nicht nur für eine neue
Regierung, sondern für alle politischen Ak-        Man muss tatsächlich auf zahlreichen Ebe-
teure, gerade auch für uns Rechtsanwältinnen       nen und sehr sensibel und sorgsam auf poli-
und Rechtsanwälte. Es braucht einen echten         tische Abläufe und politische Kultur achten.
Schulterschluss zur Verbesserung der Rechts-       Beim diesjährigen Europäischen Forum Alp-
staatlichkeit in unserem Land. Dazu zählt          bach wurde eindrucksvoll über die Eingriffe
nicht nur eine mit den notwendigen Ressour-        der polnischen Regierung in die feinen
cen ausgestattete Justiz, sondern eben auch        Strukturen des Rechtsstaates berichtet und
eine ganze Reihe politischer Maßnahmen,            dargelegt, dass durch das Drehen vieler klei-
wie sie nicht zuletzt von der Rechtsanwalt-        ner Räder die Justiz in Polen unter politische
schaft seit geraumer Zeit vorgebracht werden.      Kontrolle geraten soll. Die Demontage eines
                                                   Rechtsstaates geschieht meist nicht putschar-
Diese Vorschläge für Reformmaßnahmen               tig, nein, es ist eher ein gefährlicher, schlei-
sind Teil des aktuellen Tätigkeitsberichtes        chender Prozess, wenn die Justiz der Politik
des Österreichischen Rechtsanwaltskammer-          folgt. Oft ist es einfach auch das Produkt po-
tages. Zudem findet sich darin ein sehr aus-       litischer Sorglosigkeit. Nach dem Motto:
führlicher Überblick über die Arbeit des           „Was soll schon passieren, wenn man einmal
ÖRAK, vor allem aber auch über die Leis-           keine ordentliche Gesetzesbegutachtung
tungen der knapp 6.400 Rechtsanwältinnen           macht?“ Ja, was soll schon passieren. Die
und Rechtsanwälte, die im Interesse der Bür-       Kolleginnen und Kollegen aus P      ­olen oder
gerinnen und Bürger unseres Landes jeden           Ungarn wissen die Antwort.
einzelnen Tag für den Rechtsstaat arbeiten.
Gerade weil wir in unserem jährlichen Wahr-        In diesem Sinne empfehle ich die eingehende
nehmungsbericht die behördliche Justiz, die        Lektüre des vorliegenden Tätigkeitsberichtes
Verwaltung aber auch die rechtspolitischen         und freue mich auf neue Herausforderungen
Entwicklungen genau unter die Lupe neh-            und gemeinsame Lösungen.
men, will ich auch unsere Leistungen mit
diesem Tätigkeitsbericht transparent darstel-      RUPERT WOLFF

                                                                                                                           3
2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

       INHALT

                    03   VORWORT

                    05	
                       DIE ÖSTERREICHISCHEN RECHTSANWÄLTINNEN UND
                       RECHTSANWÄLTE – STRUKTUREN, DATEN, FAKTEN

                    07 ANWALTSCHAFT UND RECHTSSTAAT
                    08   Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – tragende Säule des Rechtsstaates
                    08   Verbesserungsvorschläge der Rechtsanwaltschaft – Regierungsprogramm
                    14   Gesetzgebung Österreich
                    34   Europäische Entwicklungen
                    40   Veranstaltungen
                    47   Serviceeinrichtungen und Sozialbilanz
                    52   Wahrnehmungsbericht 2017/18 und Fieberkurve des Rechtsstaates 2018

                    53 ANWALTSCHAFT UND STANDESVERTRETUNG
                    54   ÖRAK – Bindeglied und Sprachrohr der Rechtsanwaltschaft
                    54   Arbeitskreise und Arbeitsgruppen
                    63   Kommunikation
                    67   Service für Mitglieder
                    72   Mitgliedschaften und Beteiligungen
                    75   Anwaltsakademie 2019: auf zu neuen Ufern
                    77   Statistik
                    81   Geschäftsverteilung ÖRAK-Präsidium
                    82   Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ÖRAK-Generalsekretariats

                    83   KONTAKT

                    83   Impressum

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2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
PORTRÄT

DIE ÖSTERREICHISCHEN
RECHTSANWÄLTINNEN UND
RECHTSANWÄLTE –
STRUKTUREN, DATEN, FAKTEN
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind unab-        anwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter,
hängige Vertreterinnen und Vertreter sowie Berate-    Beitragswesen, Alters- und Hinterbliebenenversor-
rinnen und Berater, die nur ihren Klientinnen und     gung der Standesangehörigen und Servicetätigkei-
Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Sie    ten, steht den Rechtsanwaltskammern das Recht zu,
schützen und verteidigen die Rechte der bzw. des      Entwürfe von Gesetzen bezogen auf ihr jeweiliges
Einzelnen auch gegenüber dem Staat und setzen die-    Bundesland zu begutachten. Die Rechtsanwaltskam-
se durch. Das besondere Vertrauensverhältnis der      mern und die von den Vollversammlungen der
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu ihren          Rechtsanwaltskammern direkt gewählten Diszipli-
Mandantinnen und Mandanten liegt in der gesetz-       narrätinnen und -räte wachen über die Einhaltung
lich verankerten anwaltlichen Verschwiegenheit, Un-   der Berufspflichten der Rechtsanwältinnen und
abhängigkeit und Freiheit von Interessenkollisionen   Rechtsanwälte sowie Rechtsanwaltsanwärterinnen
begründet.                                            und Rechtsanwaltsanwärter.

Voraussetzung für die Berufsausübung sind ein abge-   Die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechtsan-
schlossenes rechtswissenschaftliches Studium und      waltskammern bilden den Präsidentenrat. Dieser be-
eine fünfjährige Berufspraxis. Diese umfasst unter    steht derzeit aus Dr. Thomas Schreiner (Burgenland),
anderem eine mehrmonatige Gerichtspraxis sowie        Univ.-Prof. Dr. Gernot Murko (Kärnten), Mag. Dr.
mindestens drei Jahre Ausbildungszeit als Rechtsan-   Michael Schwarz (Niederösterreich), Mag. Dr. Franz
waltsanwärterin bzw. Rechtsanwaltsanwärter bei ei-    Mittendorfer (Oberösterreich), Dr. Wolfgang Kleibel
ner Rechtsanwältin bzw. einem Rechtsanwalt. Ferner    (Salzburg), Mag.a Dr.in Gabriele Krenn (Steiermark),
müssen künftige Rechtsanwältinnen und Rechtsan-       Dr. Markus Heis (Tirol), Dr.in Birgitt Breinbauer
wälte vor einer Prüfungskommission des Oberlan-       (Vorarlberg) und Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger
desgerichtes die Rechtsanwaltsprüfung ablegen. Erst   (Wien). Dem Präsidentenrat obliegt insbesondere
nach Absolvierung dieser Prüfung und einer positi-    die Festlegung der Grundsätze der Standespolitik
ven Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit kann die     und der zu verfolgenden Rechtspolitik.
Eintragung in die bei der Rechtsanwaltskammer ge-
führte Liste erfolgen.                                Dachorganisation der Rechtsanwaltskammern ist
                                                      der     Österreichische      Rechtsanwaltskammertag
In Österreich gab es per Stichtag 31. Dezember 2018   (ÖRAK), eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit
6.483 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (94         Sitz in Wien. Er ist für die Wahrung der Rechte und    ÖRAK-Präsidium v. l. n. r.:
davon waren niedergelassene europäische Rechtsan-     Angelegenheiten der österreichischen Rechtsanwalt-     Vizepräsident Dr. Bernhard
wältinnen und Rechtsanwälte). Der Frauenanteil be-    schaft in ihrer Gesamtheit sowie für ihre Vertretung   Fink, Präsident Dr. Rupert
                                                                                                             Wolff, Vizepräsidentin
trägt hier rund 23 Prozent. Zum selben Stichtag       verantwortlich. Dem ÖRAK-Präsidenten obliegt es        Dr.in Marcella Prunbauer-
wurden 2.304 Rechtsanwaltsanwärterinnen und           insbesondere, die vom Präsidentenrat festgelegten      Glaser, Vizepräsident
Rechtsanwaltsanwärter gezählt. Dieser Kreis besteht   standespolitischen Grundsätze und rechtspolitischen    Dr. Armenak Utudjian
zu rund 50 Prozent aus Frauen.

Die neun Rechtsanwaltskammern sind als Körper-
schaften öffentlichen Rechts autonome berufliche
Selbstverwaltungseinrichtungen der im jeweiligen
Bundesland eingetragenen Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte sowie Rechtsanwaltsanwärterinnen
und Rechtsanwaltsanwärter. Sie besorgen ihre Ge-
schäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen,
teils mittelbar durch ihren Ausschuss. Neben ihren
Aufgaben, wie der Eintragung in die Liste der
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Rechts-
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TÄTIGKEITSBERICHT
2019

               Präsidentenrat
                                                       ÖRAK-Präsidium
               9 Präsidenten der                                                                      Vertreter-
                                                        Präsident und
                Rechtsanwalts-                                                                      versammlung
                                                        3 Stellvertreter
                   kammern

                                                              9
                                                        Rechtsanwalts-
                                                          kammern

                                                                                                        Organigramm ÖRAK-Gremien

                          Positionen gegenüber politischen Entscheidungsträ-       ­echnungsprüferinnen und Rechnungsprüfer des
                                                                                   R
                          gerinnen und -trägern sowie in der Öffentlichkeit zu     ÖRAK. Die Anzahl der Delegierten hängt von der
                          vertreten und umzusetzen. Der ÖRAK fungiert da-          Anzahl der Mitglieder der jeweiligen Rechtsanwalts-
                          bei als Stimme der Rechtsanwältinnen und Rechts-         kammer ab. Im Berichtszeitraum waren Präsident
                          anwälte nach außen und setzt die in seinen Gremien       Mag. Dr. Michael Schwarz, Ehrenpräsident Dr. Peter
                          gefassten Beschlüsse um. Präsident des ÖRAK ist seit     Posch (bis Mai 2019) und Präsident Dr. Wolfgang
                          2011 Dr. Rupert Wolff, seine Stellvertreterin und sei-   Kleibel (ab Mai 2019) als Rechnungsprüfer des
                          ne Stellvertreter sind Dr. Bernhard Fink (seit Septem-   ÖRAK tätig.
                          ber 2017), Dr.in Marcella Prunbauer-Glaser (seit
                          2009) und Dr. Armenak Utudjian (seit 2011). Das          Als Mitglied des CCBE (Commission de Conseil des
                          Generalsekretariat des ÖRAK steht unter der Lei-         Barreaux européens, Rat der Anwaltschaften der Eu-
                          tung von Generalsekretär Bernhard Hruschka, Bakk.,       ropäischen Gemeinschaft) gestaltet der ÖRAK aktiv
                          und sorgt für die operative Vorbereitung und Umset-      das anwaltliche Berufsrecht sowie die Rechtsetzung
                          zung der in den Gremien des ÖRAK beschlossenen           in Europa mit. Bereits 2001 war ÖRAK-Präsident
                          Projekte und Maßnahmen.                                  Dr. Rupert Wolff Präsident des CCBE und im Jahr
                                                                                   2012 übte ÖRAK-Vizepräsidentin Dr.in Marcella
                          Die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechtsan-         Prunbauer-Glaser zugleich auch die Funktion der
                          waltskammern, die weiteren von den Plenarver-            Präsidentin des CCBE aus. Seit 2004 verfügt der
                          sammlungen der Rechtsanwaltskammern gewählten            ÖRAK über eine eigene Vertretung in Brüssel. Leite-
                          Delegierten aus dem Kreis der Rechtsanwältinnen          rin des Brüsseler ÖRAK-Büros ist Rechtsanwältin
                          und Rechtsanwälte sowie die den Ausschüssen der          Britta Kynast.
                          Rechtsanwaltskammern angehörenden Rechtsan-
                          waltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter bil-        Der vorliegende Bericht gibt einen Überblick über
                          den die Vertreterversammlung des ÖRAK. Die Ver-          die Tätigkeiten des Österreichischen Rechtsanwalts-
                          treterversammlung beschließt das Budget und erlässt      kammertages, die dieser im Berichtszeitraum mit
                          Richtlinien gemäß § 37 sowie Satzungen gemäß § 36        ­tatkräftiger Unterstützung zahlreicher Rechtsanwäl-
                          Rechtsanwaltsordnung (RAO). Sie wählt die ÖRAK-           tinnen und Rechtsanwälte sowie Rechtsanwaltsan-
                          Präsidentin bzw. den ÖRAK-Präsidenten, die drei           wärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter gemeinsam
                          Stellvertreterinnen und Stellvertreter sowie die          mit den neun Rechtsanwaltskammern geleistet hat.

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ANWALTSCHAFT
     UND
 RECHTSSTAAT

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2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

       RECHTSANWÄLTINNEN UND
       RECHTSANWÄLTE – TRAGENDE
       SÄULE DES RECHTSSTAATES
                           In jedem demokratischen Rechtsstaat haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine bedeu-
                           tende Kontroll- und ­Korrektivfunktion, welche vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag
                           (ÖRAK) für die Rechtsanwaltschaft wahrgenommen wird. Der Rechtsanwaltsordnung folgend,
                           ­beobachtet der ÖRAK die Anwendung der Rechtsvorschriften durch die Behörden und die Justiz.
                            Dabei werden Missstände und Mängel aufgedeckt sowie Verbesserungsvorschläge für die
                            Rechtspflege und Verwaltung erstattet. Eine wichtige Aufgabe stellt auch die Begutachtung
                            der Vielzahl von ­Entwürfen für Gesetze und andere Rechtsvorschriften durch Experten aus dem
                            Kreis der Rechtsanwaltschaft dar. Die Stellungnahmen zu den einzelnen Begutachtungsent­
                            würfen und den jährlichen Wahrnehmungsbericht finden Sie auf der Website des ÖRAK u   ­ nter
                            www.rechtsanwaelte.at/kammer/stellungnahmen. Mit unserer verantwortungsvollen A     ­ rbeit
                            ­gestalten und fördern wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die Grundsätze der Rechts­
                             staatlichkeit, insbesondere aber auch deren Einhaltung und Fortentwicklung.

       VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE
       DER RECHTSANWALTSCHAFT –
       REGIERUNGSPROGRAMM
                           Vorbereitend auf die Nationalratswahl im September 2019 hat der ÖRAK diverse Verbesserungs-
                           vorschläge (v. a. für den Bereich der Justiz) ausgearbeitet. Der ÖRAK empfiehlt, diese Maßnah-
                           men bei der Ausarbeitung eines neuen Regierungsprogramms zu berücksichtigen.

    Nachhaltige Sicherstellung einer ausreichenden                        Anpassung der Pauschalvergütung gem. § 47 Abs 3 RAO
    ­Finanzierung der österreichischen Justiz.                             Österreichs Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben im
       Um die Handlungsfähigkeit der österreichischen Gerichte auf-        Jahr 2018 rund 40.000 Bürgerinnen und Bürger unentgeltlich
       rechtzuerhalten, ist deren ausreichende Ausstattung (personell      beraten oder vertreten. Darunter fallen unter anderem die Ver-
       und finanziell) nachhaltig sicherzustellen.                         fahrenshilfe, der rechtsanwaltliche Bereitschaftsdienst für festge-
                                                                           nommene Beschuldigte und die kostenlose „Erste Anwaltliche
      Der ÖRAK fordert daher, das Justiz-Budget mit ausreichen-            Auskunft“. Weitere unentgeltliche Dienste leisteten die rund
      den Mitteln zu dotieren, um weiterhin eine qualitativ hoch-          6.400 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Beratung
      wertige Rechtsprechung bei geringer Verfahrensdauer garan-           von Verbrechensopfern, im Bereich Mediationsrecht und bei
      tieren zu können.                                                    Sprechtagen der Volksanwaltschaft sowie durch Journaldienstaus-
                                                                           künfte zu allgemeinen Rechtsfragen in den einzelnen Rechtsan-
    Verbesserung der Gesetzgebungspraxis, Einführung                       waltskammern.
    ­verbindlicher Begutachtungsfristen.
       Die Qualität der Gesetzgebung ist seit Jahren verbesserungswür-      Allein der Wert der im Rahmen der Verfahrenshilfe für die Be-
       dig. Der VfGH hat alleine in den Jahren 2014 bis 2016 in 281         troffenen unentgeltlich erbrachten Leistungen beträgt knapp
       Fällen Gesetze oder Verordnungen zumindest teilweise als verfas-     40 Mio. Euro. Die österreichischen Rechtsanwältinnen und
       sungswidrig aufgehoben. Durch die Einführung verbindlicher           Rechtsanwälte werden damit ihrem eigenen Anspruch gerecht,
       Mindeststandards (z. B. ausreichende Begutachtungsfristen)           einen essenziellen Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit zu leisten – im
       kann die Qualität von Gesetzen nachhaltig verbessert und die         Interesse Einzelner, die ihre Rechte andernfalls nicht wahren
       Akzeptanz in der Bevölkerung gestärkt werden.                        könnten, und zum Wohle der Allgemeinheit.

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2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
GESETZGEBUNG
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  Die Abgeltung der im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten               waltsanwärter – und der damit verbundenen Zugehörigkeit zu
  Leistungen erfolgt durch eine Pauschalvergütung, welche der              einer Versorgungseinrichtung der jeweiligen Rechtsanwaltskam-
  Bund dem ÖRAK erbringt. Der ÖRAK wiederum verteilt diese                 mer gemäß § 49 RAO sowie Ausnahme von der gesetzlichen
  Pauschalvergütung nach einem gesetzlich vorgesehen Schlüssel             Pensionsversicherung nach § 5 GSVG – bereits Versicherungszei-
  an die neun Rechtsanwaltskammern. Die Pauschalvergütung ist              ten erworben haben (z. B. Präsenz- oder Zivildienst, Gerichtspra-
  von den Rechtsanwaltskammern verpflichtend für die Alters-,              xis oder Teilpflichtversicherung in der Pensionsversicherung bei
  Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechts-            Kindererziehung), soll diesen Personen die Möglichkeit eröffnet
  anwältinnen und Rechtsanwälte zu verwenden. Die gesamte                  werden, eine Alterspension unter Anrechnung von Zeiten der
  Pauschalvergütung fließt somit in die autonomen, vom Staat un-           Zugehörigkeit zu einer Versorgungseinrichtung der Rechtsan-
  abhängigen Pensionssysteme der Rechtsanwaltskammern. Im                  waltskammern als Beitragszeiten für die Wartezeit bzw. Mindest-
  Gegensatz zu anderen Sozialversicherungseinrichtungen wird der           versicherungszeit zu lukrieren.
  gesamte Pensionsaufwand der Rechtsanwaltschaft durch Umla-
  gen der Kollegenschaft und durch die im Rahmen der Verfah-               Ohne eine solche Anrechnung kann die Alterspension in der ge-
  renshilfe selbst erarbeitete Pauschalvergütung aufgebracht, ohne         setzlichen Pensionsversicherung von dieser Personengruppe
  dass es eines Zuschusses des Bundes bedarf. Vielmehr unterstützt         meist nicht in Anspruch genommen werden, weil die Wartezeit
  auch die Rechtsanwaltschaft durch ihren nicht unwesentlichen             für die Alterspension (180 Versicherungsmonate innerhalb der
  Beitrag im Steuersystem die staatliche Pensionsversicherung.             letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag oder 180 Beitrags-
                                                                           monate) bzw. die Mindestversicherungszeit nach dem APG
  Die Pauschalvergütung beträgt seit dem Jahr 2006 insgesamt               (180 Versicherungsmonate, von denen mindestens 84 auf Grund
  18 Mio Euro pro Jahr. Seit mittlerweile 13 Jahren ist keine An-          einer Erwerbstätigkeit erworben sein müssen) wegen der Teilnah-
  passung der Pauschalvergütung erfolgt, obwohl die gesetzlich             me an einer Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammern
  vorgesehenen Voraussetzungen für eine Anpassung seit mehreren            (Ausnahme von der gesetzlichen Pensionsversicherung) gewöhn-
  Jahren erfüllt sind. Das Gesetz sieht eine Verpflichtung des Bun-        lich nicht erreicht wird.
  desministers für Justiz vor, bei Vorliegen bereits einer der Voraus-
  setzungen des § 47 Abs 3 RAO, die Pauschalvergütung anzupas-             Ein Vorschlag zur diesbezüglichen Änderung des ASVG, GSVG,
  sen.                                                                     BSVG und APG wurde bereits im Sozialministerium ausgearbei-
                                                                           tet. Der ÖRAK fordert, diesen Vorschlag zeitnah umzusetzen.
  Der Umfang der in der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen
  wird nicht von der Rechtsanwaltschaft bestimmt, sondern von            Aufrechterhaltung der Gerichtspraxis in ­ihrer zuletzt
  den Gerichten, die die Verfahrenshilfe bewilligen. Die Verfah-         ­adaptierten Form (BGBl I 39/2016).
  renshilfe ist eine im internationalen Vergleich beachtliche soziale       In den letzten Jahren waren in der Praxis immer wieder Fälle zu
  Einrichtung, die jedem Bürger unabhängig von seinen Vermö-                beobachten, in welchen eine Zulassung zur Gerichtspraxis sei-
  gensverhältnissen den Zugang zum Recht ermöglicht. Eine euro-             tens der zuständigen Oberlandesgerichte aus budgetären Grün-
  paweite Verpflichtung zur Einrichtung eines Systems zur                   den versagt wurde. Der ÖRAK spricht sich entschieden gegen
  ­Gewährleistung von Verfahrenshilfe ergibt sich aus der Prozess-          diese Vorgehensweise aus und fordert, dass dem gesetzlichen An-
   kostenhilferichtlinie 2003/8/EG, die im Rahmen der Zivilver-             spruch auf Zulassung zur Gerichtspraxis (§ 2 Rechtspraktikan-
   fahrens-Novelle 2004 in Österreich umgesetzt wurde. Die Zur-             tengesetz) nachgekommen wird.
   verfügungstellung von Verfahrenshilfe ist eine staatliche
   Verpflichtung. Möchte der Staat dieser Verpflichtung nachkom-         Sicherung des Zugangs zum Recht.
   men, hat er die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung           Die Gerichtsgebühren sind zu einer echten Hürde im Zugang
   zu stellen.                                                             zum Recht geworden. Viele Bürger können sich den Gang zu
                                                                           Gericht aufgrund der hohen Gebührenbelastung nicht mehr leis-
  Der ÖRAK hat zuletzt mit Schreiben vom 19. November 2018                 ten, Wirtschaftsstreitigkeiten werden immer öfter im benachbar-
  beim ehemaligen Bundesminister für Justiz den Antrag auf Erhö-           ten Ausland (z. B. Bayern) ausgetragen. Österreich ist das einzige
  hung der Pauschalvergütung gemäß § 47 Abs 3 RAO gestellt.                europäische Land, dessen Einnahmen aus Gerichtsgebühren die
  Dieser Antrag wurde bislang noch nicht beantwortet. Der ÖRAK             tatsächlichen Kosten der Gerichte übersteigen. Der ÖRAK emp-
  fordert mit Nachdruck eine Anpassung der Pauschalvergütung               fiehlt daher folgende Maßnahmen: Reform der Gerichtsgebüh-
  auf Basis der gesetzlichen Verpflichtung gem. § 47 Abs 3 RAO.            renstruktur in Österreich, Beseitigung des Selbstverständnisses
                                                                           der Justiz als Großunternehmen, Abflachung der Kurve des pro-
Anrechnung von Zeiten der Teilnahme an einer                               gressiven Tarifs bei den Gerichtsgebühren, Abschaffung des
­Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammern                           ­Automatismus der Inflationsanpassung, Deckelung der Gerichts-
 für den Anspruch auf Alterspension im staatlichen                          gebühren bei hohen Streitwerten (Attraktivierung des Gerichts-
 Pensionssystem (ASVG, GSVG, BSVG, APG)                                     standortes Österreich), Reduktion der Gerichtsgebühren für
   Da Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Rechtsanwalts-              ­jeden Vergleich, Reduktion der Pauschalgebühr im Revisionsver-
   anwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter vielfach vor der Ein-             fahren für den Fall einer Zurückweisung der Revision durch den
   tragung in die Liste der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte              OGH, Reduktion der Pauschalgebühr bei Klagsrückziehungen
   oder in die Liste der Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsan-            auch nach Zustellung an den Gegner und ebenso für den Fall des     >

                                                                                                                                                    9
2019 GEMEINSAM FÜR DEN RECHTSSTAAT - rechtsanwaelte.at
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

        ewigen Ruhens des Verfahrens, Gebührenfreiheit hinsichtlich          Vereinfachung der Gesellschaftsgründung.
        ­einer Generalbereinigungsklausel im Vergleich.                        Der ÖRAK kritisiert schon seit vielen Jahren die Sonder-Form-
                                                                               vorschrift der Notariatsaktpflicht für die Rechtsform der GmbH
        Ein weiterer entscheidender Faktor, damit die Bürger die Leis-         als fragwürdig und überholt. Angesichts der nunmehr unter-
        tungen der Justiz in Anspruch nehmen können, ist die örtliche          schiedlichen Gründungsformen – einerseits die vereinfachte
        Nähe. Zwar sind mit der steigenden Mobilität auch weitere An-          Gründung nach § 9a GmbH-Gesetz über ein Kreditinstitut, an-
        reisedistanzen zumutbar, die Hürden für die Bevölkerung dürfen         dererseits die zuletzt im „Elektronische Notariatsform – Grün-
        aber nicht zu groß werden. Zudem sollte auch vor dem Hinter-           dungsgesetz ENG“ geregelte „notarielle Gründung“ (§ 69b
        grund einer Klimaverträglichkeitsprüfung darauf geachtet wer-          GmbHG) sowie die „klassische“ Gründung durch Notariatsakt –
        den, die gute örtliche Erreichbarkeit der erstinstanzlichen Ge-        ist es jedoch unverständlich und sachlich nicht zu rechtfertigen
        richte sicherzustellen.                                                (Art. 7 B-VG), dass GmbH-Gründungen nicht auch durch
                                                                               Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unter denselben Voraus-
        Der ÖRAK fordert als Mindestgrenze die Beibehaltung eines              setzungen wie über Kreditinstitute oder Notarinnen und Notare
        Bezirksgerichts pro Bezirk.                                            erfolgen können.

     Förderung der Rechtssicherheit durch Evaluierung des                      Die „Belehrungs- und Warnfunktion“ des Notariatsaktes zuguns-
     Gebührengesetzes.                                                         ten der Gesellschafter können Rechtsanwälte aufgrund ihrer Aus-
       Ganz allgemein sind Gebühren, deren Höhe sich nach der An-              bildung und Erfahrung zumindest genauso gut übernehmen wie
       zahl beschriebener Bögen oder Beilagen bemisst im 21. Jahrhun-          Notarinnen und Notare. Der für Gründerinnen und Gründer an-
       dert entbehrlich und geradezu bürgerfeindlich.                          gestrebte „One-Stop-Shop“ wird nur dann realisiert werden kön-
                                                                               nen, wenn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Gesellschafts-
        Die Sinnhaftigkeit von Rechtsgeschäftsgebühren ist in Frage zu         gründungen wie Notarinnen und Notare sowie Banken
        stellen. Es kann nicht im Interesse eines Rechtsstaates sein, dass     vornehmen können. Nur dann ist sichergestellt, dass die erforder-
        schriftliche Vereinbarungen unterbleiben, nur weil Bürger be-          liche Beratung in gewerbe- und betriebsanlagenrechtlichen Fra-
        strebt sind, hohe Rechtsgeschäftsgebühren zu vermeiden. Hier           gen sowie in sozial- und arbeitsrechtlichen und sonstigen vertrags-
        treibt der Gesetzgeber die Bürger in eine gefährliche Zwickmüh-        rechtlichen Fragen tatsächlich aus einer Hand erfolgen kann.
        le. Eheleute, die allfällige Scheidungsfolgen durch einen Ehepakt
        regeln möchten, müssen für den Ehepakt 1% vom Wert des Ver-            Die österreichische Rechtsanwaltschaft fordert daher, dass
        mögens bezahlen1 – wer dies nicht tut und dies im Rahmen ei-           Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten dieselben Möglich-
        nes Scheidungsverfahrens klärt, muss hohe Gerichtsgebühren             keiten der Gründung von Gesellschaften in der Rechtsform
        leisten.                                                               der GmbH eingeräumt werden, wie sie über § 9a GmbHG für
                                                                               Kreditinstitute und § 69b Notariatsordnung für Notarinnen
        Rechtsgeschäftsgebühren wirken sich aber auch negativ auf die          und Notare vorgesehen sind.
        Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschafts-
        standortes Österreich aus.                                             Parallel dazu ist den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten
                                                                               auch die Möglichkeit einzuräumen, die Stammeinlage auf einem
        Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine Auseinanderset-             Anderkonto bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten einzu-
        zung einvernehmlich beilegen und darüber eine schriftliche             zahlen, wie sie Notarinnen und Notaren nunmehr offensteht
        ­Vereinbarung schließen, müssen eine 2%-ige Vergleichsgebühr           (§ 10 Abs 2 GmbHG). Die Sicherheit des einbezahlten Geldes ist
         entrichten.2                                                          durch die Treuhandeinrichtungen der Rechtsanwaltskammern
                                                                               (§ 10a RAO) sowie durch den entsprechend hohen Versiche-
        Unternehmerinnen und Unternehmer, die zur Betriebsansied-              rungsschutz gerade auch bei Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
        lung eine Gewerbefläche anmieten und darüber einen 18-jähri-           wälten gegeben.
        gen Mietvertrag schließen, müssen dafür 1% des 18-fachen
        ­Jahreswertes entrichten.3 Kostet also die Anmietung einer Ge-       Vereinfachung der Errichtung von Verträgen und Ver­
        werbefläche € 7.000,-- pro Monat, so ergibt dies eine Gebühr         gleichen durch Beseitigung des Beglaubigungsprivilegs.
        von € 15.120,--.                                                       Derzeit bedürfen auch von Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
                                                                               wälten errichtete Urkunden der Beglaubigung durch eine Nota-
        Der ÖRAK empfiehlt daher die ersatzlose Abschaffung der                rin oder einen Notar. Dies führt in der Praxis zu Mehrkosten für
        Rechtsgeschäftsgebühren. Sie belasten Bürger und Unternehmen           Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. In zahlreichen
        über die Maßen und haben negative Auswirkungen auf die                 EU-Mitgliedstaaten wurden in den vergangenen Jahren anwaltli-
        Rechtssicherheit.                                                      che Urkunden eingeführt, denen die Beweiskraft und Echtheits-
                                                                               garantie notarieller Urkunden zukommt (z. B. Frankreich). In
                                                                               Ungarn und Tschechien sind Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
                                                                               wälte schon bisher befugt, Unterschriftsbeglaubigungen vorzu-
     1 § 33 TP 11 GebG 1957.
     2 § 33 TP 20 Abs 1 lit b GebG 1957
     3 § 33 TP 5 Abs 1 Z 1 und Abs 3 GebG 1957.

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GESETZGEBUNG
                                                                                                                                 ÖSTERREICH

  nehmen. Der ÖRAK fordert daher die Befugnis zur Beglaubi-            Weiterverfolgung der in der vergangenen Gesetz­
  gung eigenerstellter Urkunde durch Rechtsanwältinnen und             gebungsperiode vorgesehenen Verbesserungen im
  Rechtsanwälte.                                                       ­Strafrecht:
                                                                          –– Absoluter Schutz der Korrespondenz, Kommunikation,
Sicherung eines fairen Verfahrens durch Schutz des                            ­Aufzeichnungen, etc. von Berufsgeheimnisträgerinnen und
Rechts der Bürgerinnen und Bürger auf eine unabhängi-                          Berufsgeheimnisträgern in jeglicher Form mit umfassendem
gen, verschwiegene Rechtsanwältin bzw einen unab­                              Verwertungsverbot.
hängigen, verschwiegenen Rechtsanwalt.
  Die rechtsanwaltliche Verschwiegenheit stellt eine unentbehrli-        ––    usweitung des Einsatzes des elektronischen Rechtsverkehrs,
                                                                              A
  che Garantie für die effektive Gewährleistung des Rechts auf ein            insbesondere durch Ausweitung der Verpflichtung zur Nut-
  faires Verfahren dar. Unabhängige, zur Verschwiegenheit ver-                zung auf weitere Berufsgruppen und Institutionen, die regel-
  pflichtete Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind Garanten                mäßig an Gerichtsverfahren beteiligt sind.
  für das Funktionieren unseres demokratischen Rechtsstaates.
  Nur durch Gewährleistung und Achtung der rechtsanwaltlichen            ––    inführung der elektronischen Akteneinsicht im
                                                                              E
  Verschwiegenheit wird der Rechtsfrieden gewahrt und Rechtssi-               Strafverfahren analog zum Zivilverfahren (webERV).
  cherheit geschaffen. Der ÖRAK empfiehlt folgende Maßnahmen
  zur Absicherung der rechtsanwaltlichen Verschwiegenheit: Die           ––    bsolutes Beweisverwertungsverbot bei rechtskräftig festge-
                                                                              A
  Unversehrtheit der rechtsanwaltlichen Verschwiegenheit muss                 stellter Rechtswidrigkeit einer Ermittlungsmaßnahme im
  gesichert und durch scharfe Sanktionen vor Eingriffen geschützt             konkreten Strafverfahren und in anderen Verfahren sowie
  sein. Aus diesem Grund ist verfassungsgesetzlich sicherzustellen,           zwingende Vernichtung sämtlicher solcherart erlangter
  dass die gesamte rechtsanwaltliche Korrespondenz und Kommu-                 ­Ermittlungsergebnisse und Verbot jeglicher Auswertung von
  nikation ebenso wie sämtliche rechtsanwaltlichen Aufzeichnun-                Kopien.
  gen etc. die Mandantinnen und Mandanten betreffend – gleich-
  gültig wo sich diese Daten bzw. Unterlagen digital oder in             ––    eitliche Beschränkung von Strafverfahren nach dem
                                                                              Z
  physischer Form befinden – einem absoluten Geheimnisschutz                  Maßstab der Judikatur des EGMR.
  mit umfassenden Verwertungsverboten unterliegen und eine
  Verletzung unter Strafsanktion gestellt wird. Die rechtsanwaltli-    Einführung des durchgehenden elektronischen Straf­aktes
  che Verschwiegenheit muss in der Verfassung verankert werden.        und Schaffung der Möglichkeit der elektronischen
                                                                       Einsichtnahme.
Reform des strafrechtlichen Ermittlungs-, Haupt- und                     Damit können Kopierkosten vermieden, Verfahren beschleunigt
Rechtsmittelverfahrens.                                                  und der Verwaltungsaufwand der Sicherheitsbehörden, Gerichte
  –– Verpflichtende Beiziehung einer Rechtsanwältin bzw. eines          und Parteienvertreter reduziert werden.
      Rechtsanwaltes bei der kontradiktorischen Vernehmung.
                                                                       Eingliederung der Insassen von Justizanstalten in das
  ––   S tärkung der Rechte der bzw. des Angeklagten und der Op-      ­System der staatlichen Krankenversicherung.
        fer durch die Schaffung der Möglichkeit der Beiziehung von        Derzeit fallen exorbitante Behandlungskosten für Häftlinge an,
        Privatgutachterinnen bzw. Privatgutachtern, Zulässigkeit der      da diese mangels Krankenversicherung von den Krankenanstal-
        Verlesung dieser Privatgutachten und Möglichkeit der Ein-         ten und Ärzten nach Privattarifen verrechnet werden. Die Ein-
        vernahme der Privatgutachterin bzw. des Privatgutachters.         gliederung der Insassen von Justizanstalten in das System der
        Ausschluss jeder bzw. jedes im Ermittlungsverfahren zuge­         staatlichen Krankenversicherung würde zu einer signifikanten
        zogenen Sachverständigen in der Hauptverhandlung.                 und nachhaltigen Entlastung des Justizbudgets führen.

  ––   S chaffung einer funktionierenden Überprüfungsmöglichkeit      Schutz und Ausbau der Grund- und Freiheitsrechte durch
        der Beweiswürdigung von Schöffen- und Geschworenen­              Evaluierung der in den letzten 16 Jahren in Österreich erfolgten
        gerichten.                                                       Verschärfungen im Bereich Überwachung und Terrorismusbe-
                                                                         kämpfung durch eine unabhängige Expertenkommission und
  ––    ideoaufzeichnung der Vernehmung und der Haupt­
       V                                                                 Umsetzung von deren Empfehlungen. Achtung aller nationalen,
       verhandlung.                                                      europäischen und internationalen Grundrechtsverpflichtungen,
                                                                         ausdrücklich der Europäischen Grundrechtecharta durch alle
  ––   Einführung des Wechselverhörs.                                   staatlichen Ebenen, auch im politischen Diskurs.

  ––    iedereinführung der zweiten Berufsrichterin bzw. des
       W                                                               Reform des Verwaltungsstrafverfahrens, insbesondere durch
       zweiten Berufsrichters in Schöffenverfahren.                      Abschaffung der Doppelfunktion der FMA als Aufsichts- und
                                                                         Strafbehörde.
  ––    ereinfachung des Rechtsmittelrechtes durch Abschaffung
       V
       von mit der Schwere der Tat inadäquaten Formalismen.            Reform des Berufsbildes des Verwaltungsrichters unter                 >

                                                                                                                                                 11
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

       ­ erücksichtigung einer anzustrebenden größtmöglichen Durch-
       B                                                                       ––    berarbeitung des Bestellungsmodus von Sachverständigen
                                                                                    Ü
       lässigkeit zwischen den Rechtsberufen und den Verwaltungs­                   und Aufwertung des Privatgutachtens. Deckelung des
       gerichten mit dem Ziel einer vollständigen Angleichung der Ver-              ­Kostenersatzes betreffend die Kosten der bzw. des Privatsach-
       waltungsgerichtsbarkeit mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit,                 verständigen.
       um die bestehende „Zwei-Klassen-Justiz“ zu beseitigen. Derzeit
       sind insbesondere die Richterstellen an den Landesverwaltungs-          ––    ntfall der Bagatellgrenze und Streichung des § 273 Abs. 2
                                                                                    E
       gerichten zum Großteil mit ehemaligen Landesbeamtinnen und                   letzter Satz ZPO.
       -beamten besetzt. Um die Qualität der Rechtsprechung zu ver-
       bessern, sind Reformmaßnahmen in diesem Bereich dringend                ––    erbesserter Zugang zum OGH durch u.a. Wiedereinfüh-
                                                                                    V
       ­erforderlich.                                                               rung der Vollrevision mit einer Wertgrenze in Anlehnung an
                                                                                    § 7a Abs. 2 JN von € 100.000,--. Einführung einer Begrün-
     Anwaltspflicht vor den Verwaltungsgerichten                                    dungspflicht für Beschlüsse, mit denen der OGH eine außer-
      Wie auch in anderen Verfahrensordnungen besteht der Sinn der                  ordentliche Revision verwirft. Die rechtsschutzsuchende
      Anwaltspflicht darin, rechtsunkundige Parteien vor Rechtsnach-                ­Bevölkerung erwartet sich eine Begründung für eine derarti-
      teilen zu bewahren und die Verfahren dadurch, dass rechtskundi-                ge Zurückweisung, zumal für eine ao Revision erhebliche
      ge Parteienvertreterinnen und Parteienvertreter mitwirken, zu                  Gerichtsgebühren zu bezahlen sind.
      vereinfachen und auch zu beschleunigen. Der ÖRAK empfiehlt
      daher, eine Anwaltspflicht auch vor den Verwaltungsgerichten             ––    ntfall der Laienbeteiligung in Sozialrechtssachen, Ein-
                                                                                    E
      einzuführen.                                                                  schränkung der Laienbeteiligung in Arbeitsrechtssachen.

     Gleichbehandlung von elektronischen und postalischen                      ––    eform des Erbrechtsstreites durch Übernahme der Regelun-
                                                                                    R
     Eingaben                                                                       gen aus der ZPO bzw. Zurückführung des Erbrechtsstreites
       Mit einer am 1. Juli 2019 in Kraft getretenen Änderung des § 19              in das streitige Zivilverfahren.
       BVwGG (BGBl I 44/2019) wurde sichergestellt, dass Schriftsät-
       ze, die im elektronischen Verkehr an das BVwG übermittelt oder          ––    larstellung hinsichtlich der Einwendungen gegen das
                                                                                    K
       im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht werden,                ­Kostenverzeichnis.
       mit dem Tag ihrer Einbringung als eingebracht gelten, und zwar
       auch dann, wenn sie nach dem Ende der Amtsstunden einge-                ––    inbeziehung der Einzelrichter von Gerichtshöfen in
                                                                                    E
       bracht wurden. Damit werden elektronische Eingaben in Hin-                   § 79 JN.
       blick auf die Rechtzeitigkeit ihres Einlangens gleichbehandelt
       wie postalisch gemachte Eingaben.                                       ––    npassung des § 200 Abs. 3 ZPO, dass Rechtsanwältinnen
                                                                                    A
                                                                                    und Rechtsanwälte vom Gericht weder mit Verweis noch mit
       Diese Gesetzesänderung bezieht sich nur auf Verfahren vor dem                Geldstrafe belegt werden können, da zur Bestrafung aus-
       BVwG. Eine entsprechende Änderung im § 33 AVG wurde be-                      schließlich die bei den Rechtsanwaltskammern als Selbstver-
       reits mit Ministerialentwurf 141/ME vorgeschlagen (BG, mit                   waltungskörper eingerichteten Disziplinarräte zuständig
       dem das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 geändert                 sind.
       wird) und zur Begutachtung ausgesendet. Der ÖRAK regt an,
       dieses Gesetzesvorhaben ehestmöglich umzusetzen.                        ––    nderung des § 617 ZPO dahingehend, dass diese Regelung
                                                                                    Ä
                                                                                    nicht für Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen gilt.
     Reform des Zivilverfahrens                                                     § 584 Abs. 4 ZPO sollte dahingehend ergänzt werden, dass
       –– Gesetzliche Klarstellung zur Tatsachenüberprüfung im                     eine Präklusivfrist auch dann gewahrt ist, wenn die Klage
           Rechts­mittelverfahren.                                                  rechtzeitig bei dem nicht zuständigen Gericht erhoben
                                                                                    ­wurde.
       ––    inführung einer Rechtsmittelmöglichkeit gegen die richter-
            E
            liche Streitwertfestsetzung.                                       ––   „ Zivilrechtliches Plädoyer“: Über Antrag einer Partei soll es
                                                                                     die Möglichkeit geben, sich vor dem Schluss der Verhand-
       ––    erlängerbare Rechtsmittelfrist bei umfangreichen Verfahren
            V                                                                        lung zum gesamten Beweisverfahren abschließend zu ­äußern.
            in Anlehnung an § 285 Abs. 2 StPO, Vereinheitlichung der
            Rechtsmittelfristen (insb. Angleichung der derzeit 14-tägigen    Wiedereinführung der verhandlungsfreien Zeit
            Rekursfrist an die vierwöchige Berufungsfrist), obligatorische    Auch einige Jahre nach der Abschaffung der verhandlungsfreien
            Zustellung von Protokollen durch die Gerichte, Verlänge-          Zeit ist nach wie vor kein Einsparungseffekt ersichtlich. Ganz im
            rung der Widerspruchsfrist gegen das Protokoll auf 14 Tage,       Gegenteil, kommt es immer wieder zu Vertagungen, wenn Ver-
            Forcierung des in § 257 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Schrift-          handlungen in Zeiträumen, die früher verhandlungsfrei waren,
            satzwechsels durch klare Fristsetzungen durch das Gericht         angesetzt werden. Während der Sommer- und Weihnachtsferien
            sowie Verlängerung der in § 257 Abs. 3 ZPO normierten             sind erfahrungsgemäß sowohl Parteien als auch Zeugen, Sachver-
            Frist auf zwei Wochen.                                            ständige, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Richte-

12
GESETZGEBUNG
                                                                                                                            ÖSTERREICH

  rinnen und Richter auf Urlaub. Mit der verhandlungsfreien Zeit,    Etablierung des 2. Erwachsenenschutzgesetzes in der
  die sich bis zu deren Abschaffung nach den Ferien im Schuljahr     ­Praxis sowie Umsetzung weiterer notwendiger Reform-
  gerichtet hat, waren daher auch keine Verzögerungen der Verfah-     schritte.
  ren verbunden. Demgegenüber führte ihre Abschaffung zu Ver-           Der ÖRAK empfiehlt folgende Maßnahmen: Einführung einer
  zögerungen bei der Abwicklung der Verhandlungen nach der              Entschädigung der Erwachsenenvertreterin bzw. des Erwachse-
  ­Ferienzeit und der vorsichtsweisen Erhebung von Rechtsmitteln.       nenvertreters auch bei vermögenlosen Erwachsenenvertretungen
   Dadurch wurde der Aufwand für alle Beteiligten sogar noch er-        (z.B. in Analogie zum System der Bewährungshelfer) und Ersatz
   höht. Die erhoffte Verfahrensbeschleunigung ist hingegen ausge-      der Barauslagen. Bestehende Zwangsverpflichtungen für einzelne
   blieben.                                                             Berufsgruppen (z. B. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte,
                                                                        ­Notarinnen und Notare) zur Übernahme von Erwachsenenver-
  Vielmehr haben zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aufgrund            tretungen müssen abgeschafft werden.
  der Abschaffung der verhandlungsfreien Zeit mit massiven Prob-
  lemen zu kämpfen: Für viele Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
  wälte in Österreich, insbesondere jene, die ihre Kanzlei alleine
  führen (etwa zwei Drittel der Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
  wälte), ist ein Urlaub kaum mehr möglich.

  Der ÖRAK fordert, die verhandlungsfreie Zeit im Sinne der Re-
  gelung vor der WGN 2002 wiedereinzuführen und spricht sich
  zudem für eine Ausdehnung derselben auf das streitige Außer-
  streitverfahren (insbesondere auf den Erbrechtsstreit) aus. Zu-
  dem ist zu berücksichtigen, dass mit dem Wegfall der verhand-
  lungsfreien Zeit auch die Hemmung von Rechtsmittelfristen
  weggefallen ist, was einem Anfechtungserschwernis gleich-
  kommt. Zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens in so ge-
  nannten streitigen Außerstreitsachen erscheint eine Verlängerung
  der Anfechtungsfristen daher sachgerecht.

RL-Vorschlag für eine Richtlinie über Verbandsklagen
zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher
  Der ÖRAK befürwortet grundsätzlich ein unionsweites Verfah-
  ren zur Regelung dieser Massenverfahren, nicht aber in der der-
  zeit vorliegenden Form. Es darf nur um Schadenersatz gehen und
  nicht um darüberhinausgehende Strafzahlungen zu Lasten von
  Unternehmen. Der Zugang zu kollektiven Rechtsschutzverfah-
  ren soll nicht nur Verbrauchern offenstehen, sondern auch klei-
  nen und kleinsten Unternehmen. Die Finanzierung von Verfah-
  ren zur kollektiven Rechtsdurchsetzung muss vom verfolgten
  Anspruch strikt getrennt werden. Es sollte das Entstehen einer
  „Klageindustrie“ vermieden werden, das zu einem Wettlauf „qua-
  lifizierter Einrichtungen“ aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten
  führen könnte, wer als Erster in welchem Land ein entsprechen-
  des Verfahren einleitet (mit Bindungswirkung für gleichgelagerte
  Sachverhalte in anderen Mitgliedstaaten).

  Der derzeit vorliegende Entwurf der Europäischen Kommission
  wird daher abgelehnt mit dem neuerlichen Hinweis, dass die
  ­Regelungsbedürftigkeit dieser Thematik außer Streit steht.

                                                                                                                                         13
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

       GESETZGEBUNG ÖSTERREICH
                           Im Berichtszeitraum September 2018 bis August 2019 war der ÖRAK mit 175 Gesetzes- und Ver-
                           ordnungsentwürfen konfrontiert. Die vom ÖRAK zu den verschiedenen Gesetzesentwürfen er-
                           statteten Stellungnahmen sind ein von den an der Gesetzgebung beteiligten Stellen und der Öf-
                           fentlichkeit viel beachteter Beitrag zur Rechtsetzung und werden auf der Homepage des ÖRAK
                           unter www.rechtsanwaelte.at veröffentlicht.

      In der letzten Ausgabe des Tätigkeitsberichts fiel die Bilanz in
      Zusammenhang mit der Qualität der Gesetzgebung schlecht aus.              Die Qualität der Gesetzgebung muss weiterhin verbessert
      Dieses Jahr wurde erfreulicherweise festgestellt, dass eine Reihe         werden. Anlässlich der bevorstehenden neuen Legislaturpe-
      von Gesetzesbegutachtungen die vom Bundeskanzleramt (BKA)                 riode ist es angebracht, die Qualität der Gesetzgebung wie-
      empfohlene Mindestfrist von sechs Wochen aufwies, so bspw..               der kritisch zu hinterfragen und entsprechende Korrekturen
      die Begutachtung des 3. Gewaltschutzpakets sowie die Richtlini-           vorzunehmen sowie diese in weiterer Folge konsequent
      en-Umsetzungen Prozesskostenhilfe und Jugendstrafverfahren.               umzusetzen.

      Um einen besseren Gesamteindruck zu gewinnen, wurden er-
      neut die Fristen aller Gesetzesvorhaben, die im Berichtszeitraum     GRUNDRECHTSSCHUTZ
      eingelangt sind und zu welchen der ÖRAK eine Stellungnahme
      verfasst hat, überprüft: Die Empfehlung einer sechswöchigen Be-      Sicherheitspaket 2018
      gutachtungsfrist wurde in ca. 39 Prozent der Fälle eingehalten. In     Bereits in den letzten Ausgaben des Tätigkeitsberichts wurde
      rund 12 Prozent der Fälle standen nur zwei Wochen oder weni-           über das sogenannte Sicherheitspaket berichtet. Der ÖRAK
      ger zur Verfügung. Vergleicht man diese Ergebnisse mit den Zah-        sprach sich von Anfang an gegen dieses Gesetzesvorhaben aus.
      len der Vorjahre, so hat sich hinsichtlich der Begutachtungsfris-      Nach Ansicht des ÖRAK sind die im Sicherheitspaket beinhalte-
      ten eine deutliche Verbesserung abgezeichnet, welche vom               ten Maßnahmen nicht mit den durch die grundrechtliche Judi-
      ÖRAK sehr begrüßt wird.                                                katur des VfGH und EGMR sowie nicht mit den vom EuGH
                                                                             entwickelten Grundsätzen in Einklang zu bringen. Sie enthalten
      Zu bemängeln ist dieses Jahr, dass in einigen Fällen unmittelbar       tief greifende und nicht rechtfertigbare Einschnitte in die Grund-
      im Anschluss an die Begutachtung bereits Regierungsvorlagen            rechte der österreichischen Bevölkerung.
      eingebracht wurden, so etwa beim Wehrrechtsänderungsgesetz
      2019 (WRÄG 2019). Dies lässt an einer gewissenhaften Ausein-           So wurde bspw. die Überwachung von Autofahrerinnen und
      andersetzung mit den eingebrachten Stellungnahmen zweifeln.            ­Autofahrern erweitert. Neben dem Kennzeichen der Pkw dürfen
      Zudem kommt es leider immer noch vor, dass Begutachtungs-               nun auch Marke, Typ und Farbe sowie Informationen zur Lenke-
      verfahren zur Gänze ausgespart werden, so bspw. bei den letzten         rin bzw. zum Lenker automatisch erfasst werden. Der ÖRAK kri-
      Änderungen im Arbeitsrecht. Ein Gesetzesvorhaben, welches               tisierte in der Begutachtung, dass damit ohne gerichtlichen
      solch bedeutende Folgen für jede einzelne Bürgerin und jeden            Rechtsschutz ein Bewegungsprofil von Verkehrsteilnehmerinnen
      einzelnen Bürger nach sich zieht, sollte im Vorfeld einer sorgfäl-      und Verkehrsteilnehmern erstellt werden könnte.
      tigen Begutachtung unterzogen werden.
                                                                             Zudem ist die Installation einer Überwachungssoftware auf den
      Der ÖRAK fordert daher weiterhin die Einführung verbindli-             Mobiltelefonen und Computern verdächtiger Personen vorgese-
      cher Mindeststandards für den Gesetzwerdungsprozess. Ausrei-           hen. Damit soll ein Zugriff auf verschlüsselte Messenger-Dienste
      chende Begutachtungsfristen sind für eine gewissenhafte Ausein-        wie WhatsApp und Skype ermöglicht werden. Dieser sogenann-
      andersetzung mit Gesetzesentwürfen wichtig. Erst nach                  te „Bundestrojaner“ soll ab dem Jahr 2020 zum Einsatz kom-
      nachweislicher und umfassender Begutachtung sollten Gesetze            men, so bspw. bei Verdacht auf Straftaten, die mit mehr als zehn
      vom Ministerrat und letzten Endes vom Nationalrat beschlossen          Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.
      werden. Bei gravierenden Änderungen von Gesetzesentwürfen
      sollte es ein erneutes Begutachtungsverfahren geben, so etwa           Auch das Briefgeheimnis wurde deutlich aufgeweicht. Die Be-
      beim Vergaberechtsreformgesetz 2018 (siehe Seite 22). Zudem            schlagnahme von Briefen ist zulässig, wenn dies zur Aufklärung
      muss in einem Rechtsstaat eine rechtzeitige Kundmachung der            einer vorsätzlich begangenen Straftat mit mehr als einem Jahr
      Gesetze erfolgen. Von einer Übererfüllung von EU-Vorgaben ist          Freiheitsstrafe notwendig ist. Zu den weiteren Punkten dieses
      jedenfalls abzusehen.                                                  Überwachungspakets zählen u. a. die verpflichtende Registrie-

14
GESETZGEBUNG
                                                                                                                             ÖSTERREICH

  rung von Handywertkarten und eine gesetzliche Regelung für         Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sowie dem Gleichheits-
  den Einsatz von IMSI-Catchern zur Überwachung von Mobil­           grundsatz und wird daher einer Grundrechtsprüfung des VfGH
  telefonen.                                                         oder des EuGH nicht standhalten. Auch ohne das gegenständli-
                                                                     che Gesetz ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Der vorliegen-
  Trotz der breiten Kritik im Begutachtungsverfahren wurden die-     de Entwurf ist nicht geeignet, diesen Umstand zu ändern oder
  se beiden Gesetze Mitte Mai 2018 kundgemacht (Sicherheitspo-       gar zu verbessern. Vielmehr führt der Gesetzesentwurf zu einer
  lizeigesetz im BGBl I 29/2018 sowie Strafprozessrechts­            Einschränkung der Meinungsfreiheit und stellt alle, die öffent-
  änderungsgesetz 2018 im BGBl I 27/2018).                           lich ihre Meinung kundtun möchten, unter Generalverdacht.

  Gegen dieses Gesetzespaket wurde vonseiten der SPÖ und der         Der ÖRAK wird die Entwicklungen in Zusammenhang mit
  NEOS ein Drittelantrag beim VfGH eingebracht. Die Entschei-        ­diesem Gesetzesvorhaben weiterhin beobachten.
  dung des VfGH bleibt abzuwarten.
                                                                   ASYL- UND FREMDENRECHT

     Der ÖRAK wird weiterhin Gesetzesvorhaben, welche              Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundesagentur
     ­massive Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte der       Im Frühjahr 2019 ging das Bundesgesetz über die Einrichtung
      ­Bürgerinnen und Bürger vorsehen, genau beobachten und        einer Bundesagentur (BBU-Errichtungsgesetz) in Begutachtung.
       sich in seinen Stellungnahmen, im alljährlichen Wahr­        In diesem ist u. a. vorgesehen, dass ab Anfang des Jahres 2021 die
     nehmungsbericht sowie im Rahmen der Medienbericht­             Rechts- und Rückkehrberatung für Asylwerberinnen und Asyl-
     erstattung dazu äußern.                                        werber nur noch von der Bundesagentur für Betreuungs- und
                                                                    Unterstützungsleistungen GmbH durchgeführt werden soll. Der
                                                                    ÖRAK hat sich im Begutachtungsverfahren vehement gegen die-
  So konnte der ÖRAK durch seine Intervention und Kritik die        ses Vorhaben ausgesprochen.
  Pläne rund um die angedachte Sicherungshaft rechtzeitig abwen-
  den. Eine solche präventive Freiheitsentziehung, die zudem mit     Die Aufgabe der Rechtsberatung wurde bislang von externen
  einer Verfassungsänderung einhergegangen wäre, hätte einen         Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbietern wahrgenom-
  Rückschritt für den Rechtsstaat bedeutet.                          men. Begründet wurde die gesetzliche Änderung damit, dass
                                                                     durch die Bündelung dieser Aufgaben in der Bundesagentur der
                                                                     Abhängigkeit gegenüber externen Leistungserbringerinnen und
     Der ÖRAK ist hinsichtlich grundrechtssensibler Gesetzesvor-     Leistungserbringern begegnet werden soll, dass Einsparungen
     haben sehr wachsam und bringt sich aktiv in den Gesetz-         und eine Optimierung der Kosteneffizienz erzielt werden sollen
     werdungsprozess ein. Auch die derzeit wieder auftretenden       und eine Qualitätssicherung auf hohem Niveau erreicht werden
     Diskussionen in Zusammenhang mit Überwachungsmaß-               soll.
     nahmen werden kritisch mitverfolgt.
                                                                     Dem ÖRAK erscheint es allerdings fraglich, ob die genannten
                                                                     Ziele durch die Bereitstellung der Rechtsberatung durch die
  Zur Sensibilisierung und zum Vorbringen seiner Bedenken sucht      Bundesagentur erreicht werden können. Einerseits finden sich
  der ÖRAK auch laufend Kontakt mit den Justizsprecherinnen          im Gesetz keine Neuregelungen hinsichtlich der Auswahl sowie
  und Justizsprechern der im Parlament vertretenen Parteien und      der fachlichen und persönlichen Qualifikation der Rechtsberate-
  pflegt mit diesen einen regelmäßigen Austausch, u. a. im Rah-      rinnen und Rechtsberater (§ 13 BBU-G), sodass eine „Qualitäts-
  men der Sitzungen seiner zuständigen Arbeitskreise.                steigerung“ nicht ersichtlich ist, andererseits ergibt sich aus dem
                                                                     Gesetz nicht, wie die finanziellen Einsparungen erreicht werden
Bundesgesetz über die Sorgfalt und Verantwortung im                  sollen. Zweifel bestehen auch dahingehend, inwiefern eine den
Netz                                                                 rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Anforderungen entspre-
 Dieses Gesetzesvorhaben sieht vor, dass Internetnutzerinnen und     chende unabhängige Rechtsberatung als zentraler Beitrag zu ei-
 Internetnutzer gegenüber Diensteanbietern durch Angabe u. a.        nem fairen Verfahren in der vorgeschlagenen Form gewährleistet
 ihres Namens ihre Identität offenlegen müssen. Damit soll das       werden kann.
 Verfassen von Beiträgen im Internet künftig nicht mehr anonym
 möglich sein. Im Fall einer Ermittlung müssten Diensteanbieter      Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ist insbeson-
 die Daten an Behörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte sowie         dere für das Asylverfahren in erster Instanz zuständig und führt
 unter Umständen auch an Privatpersonen (bei Verdacht auf Be-        das Zulassungsverfahren. Bei dem Bundesamt handelt es sich um
 leidigung oder üble Nachrede) herausgeben.                          eine dem Bundesministerium für Inneres (BMI) unmittelbar
                                                                     nachgeordnete Behörde (§ 1 BFA-Einrichtungsgesetz). Es be-
  Der ÖRAK hat sich schon im Begutachtungsverfahren gegen            steht sohin Weisungsgebundenheit.                                     >
  diesen Gesetzesentwurf ausgesprochen. Dieser widerspricht dem

                                                                                                                                               15
TÄTIGKEITSBERICHT
2019

       Bei der Bundesagentur handelt es sich um eine GmbH, die unter          Nach Hochrechnung der Verfasser des Gesetzesentwurfes soll die
       anderem mit der Bereitstellung von Rechts- und Rückkehrbera-           vorgeschlagene Bewilligung österreichweit maximal 23 Perso-
       tungsleistungen (auch für das Verfahren vor dem Bundesamt wie          nen (!) pro Jahr betreffen. Dass dies dem Bedarf der Wirtschaft
       auch als Parteienvertreter und damit Verfahrensgegner des Bun-         in keiner Weise gerecht wird, zeigen aktuelle Studien. Exempla-
       desamtes im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht) be-            risch sei auf die Informationen zur Pressekonferenz vom
       traut ist. Sie ist sowohl finanziell als auch organisatorisch und      8. August 2018 zum Thema „Neue Initiativen gegen die drohen-
       personell eng mit dem BMI verflochten.                                 de Abschiebung hunderter Lehrlinge – Umfrage, Gutachten,
                                                                              ­Lösungsvorschläge“4 verwiesen. Der ÖRAK regte daher an, die
       Aufgrund der Nahebeziehung der Bundesagentur zum BMI hegt              Einschränkung gänzlich zu streichen.
       der ÖRAK sohin Zweifel, ob auf diese Weise tatsächlich eine un-
       abhängige Rechtsberatung gewährleistet werden kann.                    Zudem forderte der ÖRAK im Begutachtungsverfahren, eine
                                                                              ­Erweiterung des Zugangs zu Beschäftigungsbewilligungen für
       Der ÖRAK erachtete im Begutachtungsverfahren zudem eine ge-             Personen vorzusehen, welche aufgrund einer vorläufigen Aufent-
       setzliche Klarstellung dahingehend als dringend notwendig, dass         haltsberechtigung gemäß § 13 AsylG in Österreich rechtmäßig
       Rechtsberaterinnen und Rechtsberater in der Wahrnehmung ih-             aufhältig sind.
       rer Aufgaben auch gegenüber ihren Vorgesetzten, wie insbeson-
       dere den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern sowie dem           Die Neueinführung einer Aufenthaltsbewilligung „Lehrling“ wur-
       Gesellschaftervertreter, d. h. dem BMI, wie auch gegenüber Per-        de vonseiten des ÖRAK begrüßt. Allerdings wurde angeregt, auch
       sonen anderer Aufgabenbereiche der Bundesagentur (wie etwa             für Lehrlinge das Erfordernis der ortsüblichen Unterkunft entfal-
       Grundversorgung, Rückkehrberatung etc.) stets unabhängig und           len zu lassen. Überdies soll eine Verlängerung der Aufenthaltsbe-
       zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.                                willigung „Lehrling“ nur dann zulässig sein, wenn ein entspre-
                                                                              chender Lehrerfolg im vorangegangenen Jahr nachgewiesen wird.
       Die Regierungsvorlage zu diesem Gesetz sah vor, dass gemäß             Es wäre daher eine Klarstellung dahingehend wünschenswert, dass
       § 28 BBU-G alle, die bis dahin mit der Rechtsberatung gemäß            der Lehrerfolg auch dann als nachgewiesen gilt, wenn eine entspre-
       §§ 49 bis 52 BFA-VG betraut waren, der Bundesagentur jene              chende Bestätigung durch die zur Ausbildung berufene Arbeitge-
       Daten zur Verfügung zu stellen haben, die diese für die Wahr-          berin bzw. den zur Ausbildung berufenen Arbeitgeber vorliegt.
       nehmung der Aufgabe benötigt. Mit Beginn der Wahrnehmung
       der Aufgabe gemäß § 2 Abs 1 Z 3 haben zudem alle, die bis da-          Der ÖRAK wird die Entwicklungen in Zusammenhang mit die-
       hin mit der Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe gemäß § 52a             sem Gesetzesvorhaben weiterhin beobachten.
       BFA-VG betraut waren, der Bundesagentur jene Daten zur Ver-
       fügung zu stellen, die diese für die Wahrnehmung der Aufgabe        WEHRRECHTSÄNDERUNGSGESETZ 2019
       benötigt. Der ÖRAK hat diese Bestimmung im Hinblick auf die
       Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheit infrage gestellt.         Der Entwurf zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2019 (WRÄG)
                                                                              sieht eine Ausweitung der Befugnisse des Bundesheeres vor. Die-
       Leider wurde dieser Kritik nicht nachgekommen und dieses               ses sollte bei Beleidigungen Personenkontrollen durchführen
       ­Gesetz letztendlich am 19. Juni 2019 (BGBl I 53/2019) kund­           und unter bestimmten Voraussetzungen IP-Adressen, Verkehrs-
        gemacht.                                                              und Standortdaten abfragen können. Vorgesehen waren zudem
                                                                              die Verwendung technischer Mittel zur Unterstützung der Ob-
     Änderungen Ausländerbeschäftigungsgesetz und                             servation sowie der Einsatz von Computersystemen als Mittel
     ­Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz                                   der Zwangsgewalt. Der ÖRAK hat sich dazu in einer Stellung-
        Mit den beabsichtigten Änderungen des Ausländerbeschäfti-             nahme kritisch geäußert.
        gungsgesetzes (AuslBG) und des Niederlassungs- und Aufent-
        haltsgesetzes (NAG) sollen Verbesserungen der Rechtspositionen        Erfreulicherweise wurde einigen Kritikpunkten im Zuge der
        von drittstaatsangehörigen Schülerinnen und Schülern, welche          ­Gesetzwerdung gefolgt. Die Personenkontrolle durch das Bundes-
        einen Umstieg auf ein Lehrverhältnis anstreben, wie auch von           heer bei Beleidigungen ist in der Regierungsvorlage entfallen. Der
        Schlüsselkräften gesetzlich verankert werden.                          ÖRAK begrüßt diese Änderung, da dies eine Überschneidung der
                                                                               Aufgaben des Bundesheers und der Sicherheitsexekutive darstellte.
       Der ÖRAK hat dazu eine Stellungnahme abgegeben. Die Zulas-
       sung zu einer Beschäftigung als Lehrling bei Nachweis einer kon-       Kritisiert wurde auch die fehlende bzw. nicht ausreichende Ein-
       kreten Lehrstelle wird vom ÖRAK begrüßt, zumal damit Forde-            bindung der bzw. des Rechtsschutzbeauftragten. In der Regie-
       rungen der Wirtschaft zur Stärkung des Standorts Österreich            rungsvorlage wurde lediglich eine Bestimmung eingeführt, nach
       nachgekommen wird.                                                     der die bzw. der Rechtsschutzbeauftragte über Auskunftsverlan-
                                                                              gen in Kenntnis zu setzen ist. Dies entspricht nicht der Kritik im
       Bedauerlich sind die vorgeschlagenen Beschränkungen der Titel­
       erteilung auf jene Personengruppe der jugendlichen Ausländerin-
       nen und Ausländer, die bereits vor Vollendung des 24. Lebens-       4	https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/LK/
       jahres im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ sind.          PKAnschober882018Internet.pdf (abgerufen am: 30.08.2019)

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