Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen

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Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
anwalt                                                              06/21

                                              aktuell
                                                                                                                  Dezember

                                                                                Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
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                                              „Unser Fokus:
                                                Private, Unternehmen
P.b.b. Verlagsort 5020 Salzburg 15Z040584 M

                                                und Öffentliche Hand“
                                               Kanzlei Hoffmann & Sykora,
                                               Tulln/Wien
                                                       30                     –0                                  75
                                                Frauenmorde 2021   Minuszinsen machen Mode            Zeit für die Sterbepille?
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                                     HUDEJ ZINSHÄUSER GRUPPE

W I E N I G R A Z I L I N Z I S A L Z B U R G I K L A G E N F U R T I I N N S B R U C K I S T. P Ö LT E N I Z Ü R I C H

                                              W W W. H U D E J . C O M
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EDITORIAL – Dezember
                                                                                                                           TITEL
                                                                                                                               21

 Betrifft:
 Femizide, Negativ-Zinsen,
 Sterbehilfe
                                                                           Inhalt                             06/21
                                                                                                                  Dezember

                          Femizid ist zum modernen Begriff für Frau­
                          enmord geworden. 30 davon verzeichnet            TITEL
                          Österreich bereits in diesem Jahr. Für die
                                                                             OVER STORY
                                                                            C                                                6/7
                          Leiterin des Institutes für Konfliktfor-          Hoffmann & Sykora Rechtsanwälte KG
                          schung in Wien, Birgitt Haller, ist diese        „Unser Fokus: Private, Unternehmen
                          hohe Zahl beunruhigend. Zwar konzediert           und Öffentliche Hand“
                          sie der Polizei Lernwilligkeit im Umgang mit
 Dr. Birgitt Haller       potentiellen Gefährdern, doch vermisst sie       ANWÄLTE
                          gleichzeitig eine vernünftige Dotierung
                          von Präventionseinrichtungen. Im Ge­             HOT SPOTS                                  8/14/30
                          spräch mit ANWALT AKTUELL macht sie deut­         DR. ALIX FRANK-THOMASSER
                          lich, woher der Wind der Gewalt weht: „Hin­      „Sind Mikroaggressionen wirklich mikro?“          16
                          ter den Femiziden steht das Patriarchat.“
                          Sie warnt davor, diesem Thema nur tem­            DR. BENEDIKT WALLNER
                          poräre Aufmerksamkeit zu schenken. Die           „Unter Null – Negativzinsen“                      20
                          Gefahr lauere jeden Tag, auch in scheinbar
                                                                            MAG. MICHAELA SCHNEIDER
                          „guten“ langjährigen Beziehungen: „Das           „Wir versuchen, so wenig Rechtsstreitigkeiten
                          nächste Mal bringt er mich um!“ (S. 10 – 12)      wie möglich zu haben“                           22

                          Negativzinsen ist das neue Zauberwort der         DR. CLEMENS PICHLER, LL.M
                          Banken. Statt Weihnachtsgrüßen verschi­          „Der Weg zur ersten Million“                    24/25
                          cken die Geldinstitute in diesem Jahr die
                                                                             AG. SABRINA OBELOJER /
                                                                            M
                          Information, dass ab 1.1.22 die Guthaben          MAG. THERESE FRANK, LL.M.
                          auf Bankkonten negativ bezinst werden.           „Sind Frauen schlechtere Unternehmerinnen?“       26
                          Rechtsanwalt Benedikt Wallner (Wien) stellt
                          die Frage, ob die Begründung der Banken          ÖRAK
RA Dr. Benedikt Wallner   zulässig sei: „Niemand legt sein Geld auf
                          die Bank ‚zur Verwahrung‘, sondern entwe­         PRÄSIDENT DR. RUPERT WOLFF
                          der zum Sparen (Einlagengeschäft) oder           „Verfahrensgrundsätze müssen gewahrt sein“         9
                          zum Zahlungsverkehr (Girogeschäft).“ Und
                                                                           GROSSES INTERVIEW
                          er kommt zum Schluß: „Eine Geschäftsprak­
                          tik jedoch, die Verwahrgebühren vor­               R. BIRGITT HALLER –
                                                                            D
                          schreibt, benachteiligt gröblich die Bank­        INSTITUT FÜR KONFLIKTFORSCHUNG
                          kunden (Verbraucher wie Unternehmer).“          „Das nächste Mal bringt er mich um!“            10–12
                                                          (Seite 20)
                                                                           RAK WIEN
                          Selbsttötungstablette gefällig? Professor
                          Huib Drion, Mitglied der obersten Gerichts­        RÄS.-STV. HON.-PROF.
                                                                            P
                                                                            DR. MICHAEL ROHREGGER
                          instanz der Niederlande, forderte für je­
                                                                           „Digitale Beweismittel“                           15
                          den Menschen über 75 Jahren die tödliche
                          Tablette fürs Nachtkästchen. Obwohl diese        BRIEF AUS NEW YORK
                          Idee (noch) nicht realisiert wurde, sieht Ivo
                          Greiter in solchen Überlegungen eine im           STEPHEN M. HARNIK
 RA Dr. Ivo Greiter
                          wahrsten Sinn „tödliche Gefahr“. In seinem       „Ein Blick ins Ausland – Abtreibung“            18/19
                          Buch „Recht auf Sterben. Recht auf Leben“
                          liefert er einen facettenreichen Beitrag         PANORAMA
                          zur Diskussion des bis Jahresende zu be­
                                                                           CORONA AHOI!                                     28
                          schließenden Sterbeverfügungsgesetzes.
                          In diesen Tagen sei der Gesetzgeber ge­          ANWALTSAKADEMIE
                          fordert, Regelungen zu erlassen, die ver­         Erbrecht mit Herz und Hirn                        31
                          hindern, dass betagte oder beeinträchtig­
                          te Menschen in den Tod gedrängt, ja              BÜCHER:
                                                                            Ivo Greiter – Fristenlösung im Alter? 32
                          schlicht „gestorben werden.“ Die Tötung
                                                                            Bücher-News                           34
                          eines Menschen dürfe nur dann erlaubt
                          werden, wenn der/die Sterbewillige seinen        IMPRESSUM                                        34
                          Entschluss frei und unbeeinflusst geäußert
                          hat und wenn seine/ihre Entscheidung ein­           Die nächste Ausgabe von Anwalt Aktuell erscheint
                          deutig dokumentiert ist.           (Seite 32)                                am 11. Februar 2022

                                                                                                      anwalt aktuell 06/21         3
Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
KOLUMNE

                                                                 DIETMAR DWORSCHAK
                                                                 Herausgeber & Chefredakteur
                                                                 dd@anwaltaktuell.at

         Und wo bleibt das Positive?
GEHT’S NOCH? Corona-Leugner demonstrieren vor Spitälern und pöbeln Pflegekräfte an. Der vierte
Lock­d own reißt das nächste Milliardenloch in Österreichs Wirtschaft. Die Virologen sagen, dass die Impf-
pflicht zu spät kommt. Gibt es irgendwo noch Anlass für Zuversicht?

Einer der begnadetsten deutschen Unterhalter hat sich 1930 – ange-       Zwar erfreuen sich Deutsche und andere in diesen Tagen größerer
sichts der heran dräuenden politischen und gesellschaftlichen Kata-      Freiheiten als die Österreicher, doch steht es anderswo um die staat-
strophen – die Frage gestellt: „Und wo bleibt das Positive, Herr Käst-   lichen Corona-Hilfen nicht so gut. Plus-Punkt Österreich: Die meisten
ner?“ Die zwiespältige Antwort lautete so:                               (auch kleineren) Firmen haben ausreichend Geld von AMS und
„Die Spezies Mensch ging aus dem Leime                                   ­COVAG bekommen. Stichwort: „Whatever it takes!“ (Wer auch immer
und mit ihr Haus und Stadt und Welt.                                      das zahlt…) Erkenntnis 1: Nirgends hat die Corona-Politik derart
Ihr wünscht, dass ich’s hübsch zusammenreime,                             versagt wie in Österreich. Erkenntnis 2: Kaum ein Staat vergab so
und denkt, dass es dann zusammenhält?“                                    rasch so viel Geld an die Wirtschaft. Positiv: Man hat uns fürs Ein­
Was hält also noch zusammen 2021, im zweiten „annus horribilis“?          sperren bezahlt.

* Justiz 1                                                               * OGH
Die WKSTa hat auch in diesem Jahr den massiven politischen Be-           Anschließend ans Thema „Der Staat und Covid“ ist zu vermerken,
schuss der ÖVP überstanden. Ihre Dokumentation der Umtriebe von          dass der OGH (endlich) die Situation von Geschäftsmietern im Lock-
Kurz & Co führte zur Veränderung der Regierungsspitze und zum            down geklärt hat. Unter der Geschäftszahl 3 Ob/78/21y wird die
großen Nachdenken über die „türkise Bewegung“. Das damit bekannt         ­Seuchenbestimmung des ABGB bestärkt. Wenn während der behörd-
gewordene Sittenbild der Republik wurde eindrucksvoll durch Szenen       lich verordneten Sperre im Geschäftslokal keinerlei andere verrechen-
aus dem „Ibizia“-Untersuchungsausschuss des Parlaments ergänzt.          bare Aktivitäten stattgefunden haben ist die Miete nicht zu bezahlen.
Erkenntnis 1: Saubere Politik sieht anders aus. Erkenntnis 2: Positiv,   Ein anderes deutliches Zeichen setzte OGH-Präsidentin Elisabeth
dass Strafverfolgung und parlamentarische Kontrolle funktionieren.        Lovrek im Zusammenhang mit der „Video-Chat“-Initiative des Jus-
                                                                          tizministeriums. Ein dort ausgearbeiteter Gesetzesentwurf sieht vor,
* Medien                                                                  dass ein Gericht Verhandlungen auch per Video-Chat führen kann,
Noch nie ist so deutlich geworden, dass es in Österreich auch bei den     wenn dies „tunlich“ sei und man über die nötigen technischen Vor­
Medien eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt. Auf der einen Seite steht     aussetzungen verfüge. Präsidentin Lovrek dazu: „Gerichtsverfahren
der (Wiener) Boulevard, dessen Darstellung der Wirklichkeit durch         sind keine online-Yogastunde“. Erkenntnis 1: Großes Aufatmen bei
Inserate „modifizierbar“ ist. Auf der anderen Seite sieht man eine        Geschäftsleuten wegen der Mietfreistellung infolge behördlicher
Handvoll unverdrossen kritischer Medien wie „Standard“, Ö-1-Radio­        Sperren. Erkenntnis 2: Positiv, dass unnötiger Digitalisierung voraus-
journale des ORF, „Falter“ oder „Dossier“. Erkenntnis 1: Gut, dass von    sichtlich der Riegel vorgeschoben wird.
„Inseratenkorruption“ nun auch laut gesprochen wird. Erkenntnis 2:
Positiv, dass die Reichweiten der kritischen Medien deutlich gestiegen   * Justiz 2
sind. Die Intelligenz der Mediennutzerinnen und Mediennutzer             Innerhalb der beiden Corona-Jahre hat die Justizministerin deutlich
wächst in der Krise.                                                     an Statur gewonnen. Ihre klaren Stellungnahmen zu den politischen
                                                                         Pöbeleien gegen die WKSta, ihr unmissverständliches Handeln in den
* Regierung/Covid                                                        Causen Brandstetter und Pilnacek und zuletzt die Einbestellung der
Die Aktivitäten der türkis-grünen Regierung haben dazu geführt, dass     Rechtsschutzbeauftragten Gabriele Aicher zeigen, dass sie nicht bereit
Österreich in Sachen Corona-Management auf dem Niveau afrikani-          ist, sich dem permanenten Druck des Koalitionspartners zu beugen.
scher Staaten steht. Während seitens der Alpenrepublik ständig ver-      Erkenntnis: Positiv, in diesen turbulenten Zeiten eine standfeste Justiz­
höhnte Staaten wie Italien oder Spanien ein unbeschränktes öffent-       ministerin zu haben.
liches Leben führen, steckt Austria im unlimitierten vierten Lockdown.   „Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
Medien freierer Staaten wie zum Beispiel der Schweiz berichten, dass     in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
die Österreich-Misere wesentlich aus der massenhaften Impfung mit        ‚Herr Kästner, wo bleibt das Positive?‘
AstraZeneca herrührt.                                                    Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“  AA

4     anwalt aktuell 06/21
Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
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 im Insolvenzverfahren

                              Heutzutage unterscheiden die
                         modernen Gläubigerschutzverbände
                                       nur Kleinigkeiten …
                                    Aber diese machen den
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Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
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                            „Unser Fokus:
                              Private, Unternehmen
                              und Öffentliche Hand“
                             MODERN MIT TRADITION. In den 53 Jahren seit Gründung der Kanzlei ist
                             vieles moderner und digitaler geworden. Einer der Grundwerte gilt bei der
                             Kanzlei Hoffmann & Sykora in Tulln und Wien allerdings auch 2021: „Der K
                                                                                                    ­ lient
                             steht an erster Stelle“.
                                                                                                     Interview: Dietmar Dworschak
                                                                                   Gebiet des gesamten Rechts betreuen kann, ha-
                                                                                   ben wir uns personell verstärkt und fokussieren
                                                                                   uns auf konkret definierte Beratungsbereiche.

                                                                                   ANWALT AKTUELL: Frau Magister Friedl, Sie ge-
                                                                                   hören zur Generation der modernen Juristinnen,
                                                                                   die mit dem Thema Fokussierung bereits im Stu-
                                                                                   dium konfrontiert worden sind. Was ist Ihr
                                                                                   Schwerpunkt in der Mandantenberatung?

                                                                                   Mag. Andrea Friedl: Mein Fokus liegt bei der
                                                                                   ­Vertragserrichtung für Private bzw. bei der ge-
                                                                                   richtlichen Durchsetzung von vertraglichen An-
                                                                                   sprüchen. Vor kurzem habe ich mich entschlos-
                                                                                   sen, auch die Mediationsausbildung zu machen,
                                                                                   sodass wir sowohl den Weg der gerichtlichen wie
                                                                                    auch der außergerichtlichen Streitbeilegung an-
RA MAG. JOHANNES SYKORA      ANWALT AKTUELL: Herr Magister Sykora, es ist           bieten können.
                             fast eine Untertreibung, Ihre Kanzlei als ein Un-
                             ternehmen mit großer Tradition zu bezeichnen…         ANWALT AKTUELL: Sie waren immer schon von
                                                                                   diesem Beruf begeistert?
                             Mag. Johannes Sykora: Tatsächlich wurde die ur-
                             sprüngliche Kanzlei von Dr. Braunegg und Dr.          Mag. Andrea Friedl: Ja, ich habe bereits neben
                             Hoffmann bereits im Jahre 1968 gegründet. Wir         dem Studium in dieser Kanzlei gearbeitet und
                             setzen die Arbeit im Geist der beiden Gründer         anschließend meine Jahre als Konzipientin hier
                             fort, allerdings deutlich adaptiert auf die Heraus-   verbracht. Es war ein logischer Weg, ich wollte im
                             forderungen des aktuellen Marktes.                    Grunde nie etwas anderes.

                             ANWALT AKTUELL: Sie haben vor wenigen                 ANWALT AKTUELL: Bei den anderen Schwer-
                             ­Wochen in Tulln neue Kanzleiräumlichkeiten be-       punktthemen der Kanzlei sehe ich auf der einen
                             zogen. Inwieweit ist auch Ihr anwaltliches Bera-      Seite „Unternehmen“, auf der anderen Seite „öf-
                             tungs- und Betreuungsprogramm auf den neues-          fentliche Hand“. Was bieten Sie Unternehmern
                             ten Stand gebracht worden?                            und Unternehmen?

                             Mag. Johannes Sykora: Obwohl wir in Österreich        Mag. Johannes Sykora: Im Unternehmerbereich
                             ein Anwaltsbild haben, das eine umfassende Be-        sind wir vor allem im Bereich Vertragsentwick-
                             ratung ermöglicht halte ich es für wichtig, dass      lung für die Immobilienbranche tätig. Dabei geht
                             man sich spezialisiert, und dass man jene Tätig-      es um Immobilienentwicklung, Kauf oder Ver-
                             keiten, die man für die Mandanten ausübt, in          kauf von Immobilien, wir begleiten die Umset-
                             bester Qualität anbieten kann. Aus der Einsicht,      zung von Wohnungseigentumsprojekten, sind
                             dass man als einzelner Anwalt nicht das riesige       an der Realisierung von Bauträgervertragspro-

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                            jekten tätig… Hier haben wir also einen klaren          downs eine Wohnumgebung, aus der man auch
                            Fokus im Immobilienbereich.                             mal hinaus kann ins Grüne. Damit ist Tulln als
                            Im Zusammenhang damit stehen Beratungen und             Bezirksstadt besonders gefragt.
                            Verträge im Gesellschaftsrecht, wenn beispiels-
                            weise Objekte im Rahmen eines Share-Deals ver-          ANWALT AKTUELL: Sie haben erst kürzlich
                            äußert werden. Schwerpunkt all dieser Aktivitäten       top-moderne Kanzleiräumlichkeiten in Tulln be-
                            ist jedenfalls die Immobilie.                           zogen. Wie hat sich das auf die Technik ausge-
                                                                                    wirkt, Stichwort Digitalisierung?
                            ANWALT AKTUELL: Das betrifft auch den Bereich

                                                                                                                                                                             Fotos: Stefan Selig / Photography
                            „öffentliche Hand“?

                            Mag. Johannes Sykora: Ja. Es ist mittlerweile so,
                            dass Gemeinden immer mehr in den Immobi­
                            lienbereich gehen oder gehen müssen. Diese teil-
                            weise komplexen Themen sind den derzei­tigen
                            Verantwortlichen in den Gemeinden weitgehend
                            fremd. Wie entwickle ich diffizile Projekte? Wie
                            widme ich richtig um? Was muss ich vorbereiten,
                            damit ein Immobilienprojekt positiv umgesetzt
                            werden kann? Das alles sind Fragen, bei denen wir
                            aus langjähriger Erfahrung beraten und begleiten.

                            ANWALT AKTUELL: Ihre Kanzlei betreibt zwei
                            Standorte, einerseits in Tulln, andererseits in Wien.
                            Wie hat sich diese Struktur ergeben und welche
                            Vorteile bieten Sie damit Ihren Mandanten?              Mag. Johannes Sykora: Wir haben zwar immer                   RA MAG. ANDREA FRIEDL
                                                                                    noch unsere Bibliothek, in der täglichen Arbeit
                            Mag. Johannes Sykora: Ursprünglich waren wir            nützen wir jedoch sämtliche wichtigen Daten-
                            eine Wiener Kanzlei, die zusätzlich einen nieder-       banken und Kommentare in elektronischer Form.
                            österreichischen Standort gesucht hat. Irgend-          Die Kanzleisoftware ist so eingerichtet, dass wir
                            wann wurde Tulln dann zum Hauptstandort. Der            beide jederzeit im Homeoffice arbeiten können,
                            Vorteil der jetzigen Wiener Zweigniederlassung ist,     womit wir keinerlei Unterbrechungen bei Lock-
                            dass wir den gesamten Bereich Wien und südlich          downs hatten und haben. In einem unserer Kanz­
                            von Wien über unsere Hauptstadtkanzlei abwi-            lei­räume sind wir für Videokonferenzen ein­ge­
                            ckeln können. Persönliche Termine sind also direkt      richtet, die wir auch außerhalb von Kontaktbe-
                            an beiden Standorten möglich. Damit bieten wir          schränkungen für Klientengespräche nützen.
                            höchstmögliche Nähe in der Beratung. Abgesehen
                            davon besuchen wir unsere Klienten in Unterneh-         ANWALT AKTUELL: Die Gründerväter Ihrer
                            men und Gemeinden auch sehr gerne persönlich,           Kanzlei gehörten zu einer Anwaltsgeneration mit
                            um einen möglichst direkten Kontakt zu halten.          fast behördenähnlicher Aura. Wie sehen Sie das
                                                                                    moderne Verhältnis zu Ihren Mandanten?
                            ANWALT AKTUELL: Wie wichtig ist Familien-
                            recht in Ihrem Beratungsportfolio?                      Mag. Johannes Sykora: Wir definieren uns ganz
                                                                                    klar als Dienstleister. Allerdings halte ich für sehr
                            Mag. Andrea Friedl: Ich halte diesen Bereich einer­     wichtig, was ich bereits als Konzipient und später
                            seits von den Emotionen, die hier stattfinden,          als Partner bei den Gründern der Kanzlei gelernt
                            andererseits wegen der hohen Verantwortung für          habe: Der Klient ist mit Hochachtung zu behan-
                            besonders wichtig. Immerhin geht es beispiels-          deln! Das äußert sich auch darin, dass wir – wie
                            weise im Kindschaftsrecht um folgenreiche Ent-          schon gesagt – zum Klienten gehen. Der Man-
                            scheidungen. Dafür habe ich mich immer schon            dant ist längst kein Bittsteller mehr, der Anwalt
                            interessiert.                                           ist ein Dienstleister, der den Klienten unterstützt
                                                                                    und ihm zur Seite steht.
                            ANWALT AKTUELL: Wie schätzen Sie die Dyna-
                                                                                                                                            Hoffmann & Sykora
                            mik des Wirtschaftsraums ein, in dem Sie Ihren          ANWALT AKTUELL: Diese moderne Sicht ist für             Rechtsanwälte KG
                            Kanzleihauptsitz haben?                                 Sie, Frau Magister Friedl, vermutlich selbstver-
                                                                                    ständlich?                                              3430 Tulln
                            Mag. Johannes Sykora: Der Bereich rund um                                                                       Wilhelmstraße 23/3 (DG)
                            Wien und speziell der Tullner Raum ist ein über-        Mag. Andrea Friedl: So ist es. Allerdings habe ich      T: +43 2272 61866
                            durchschnittlich dynamisch wachsendes Gebiet,           diese Haltung bereits in meiner Ausbildung in
Entgeltliche Einschaltung

                                                                                                                                            1010 Wien
                            besonders was den Immobilienbereich betrifft.           der Kanzlei in Wien bei Dr. Hoffmann eindrucks-         Bräunerstraße 3/6
                            Speziell die Corona-Krise hat den Wunsch der            voll miterlebt und gelernt. Der Klient steht an         T: +43 1 53110
                            Menschen massiv gesteigert, aus engen Woh-              erster Stelle.
                            nungen in der Großstadt hinaus zu wollen. Viele                                                                 www.sykora.at
                            wünschen sich angesichts der zahlreichen Lock-          Vielen Dank für das Gespräch.

                                                                                                                                                anwalt aktuell 06/21    7
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HOT SPOTS – Juristen und Kanzleien

Mit vier neuen Rechtsanwälten                                                Neuer Partner bei
startet DORDA in den Herbst                                                  bei Schiefer Rechtsanwälte
Thomas Angermair, Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei                                                         Rudolf Pekar (38) steigt mit
­DORDA, darf sich über zwei neue Rechtsanwälte, Florina Then­                                                      Jänner 2022 bei Schiefer
 mayer und Günther Posch, in seinem Team freuen.                                                                   Rechtsanwälte als neuer Part­
 Die Dispute Resolution Practice rund um Florian Kremslehner und                                                   ner ein.
 Stephan Steinhofer erhält weitere Unterstützung auf Anwalts­ebene                                                 Pekar ist Experte im Vergabe-
mit Elias Schönborn im Bereich Wirtschaftsrecht und last but not                                                   und Immobilienrecht sowie in
 least verstärkt Barbara Just, als Rechtsanwältin, das Bank- und                                                   den Bereichen Regulatory und
 Kapital­marktrecht-Team von Andreas Zahradnik.                                                                    Compliance. „Das Vergabe-
                                                                                                                   recht ist ein Rechtsgebiet, das
                             Barbara Just (1980) ist Expertin für                                                  stark von Formalismen
                             Bank- und Kapitalmarktrecht. Bereits                                                  geprägt ist. Hier braucht es oft
                             von 2008 bis 2017 war sie im Team von                                                 einen kreativen Zugang. Dafür
                                                                             Rudolf Pekar
                             Andreas Zahradnik als Rechtsanwaltsan-                                                steht Schiefer Rechtsanwälte
                             wärterin und als Rechtsanwältin tätig.          und ich freue mich, den Weg der führenden österreichischen Ver-
                             Während der letzten drei Jahre betreute         gaberechtskanzlei mitgestalten zu können“, sagt Rudolf Pekar, der
                             Barbara Just die Niederlassung der UBS          in seiner Karriere bereits eine Vielzahl von komplexen Vergabepro-
                             Europe SE in Österreich als in-house            zessen abgewickelt hat und einen besonderen Fokus auf innova-
                             Counsel und kehrte im Herbst 2021 in            tive und nachhaltige Beschaffung, PPP-Projekte und Complian-
                             das Bank- und Kapitalmarktrechtsteam            ce-Themen gelegt hat. Eine von ihm – als eine der ersten
                             von Andreas Zahradnik ­zurück.                  österreichweit – gestaltete Innovationspartnerschaft wurde bei-
                                                                             spielsweise mit dem Procura+ Award für die europaweit heraus­
                             Elias Schönborn (1991) startete bereits         ragende Innovationsbeschaffung im IKT-­Bereich ausgezeichnet.
                             als studentischer Mitarbeiter seine Karri-       „Rudolf Pekar ist ein ausgewiesener Experte, der das Vergaberecht
                             ere bei DORDA. Die beruflichen Schwer-          exzellent kennt, vernetzt denkt und arbeitet. Er wird in der Kanzlei
                             punkte des neu ernannten Rechtsanwalts          insbesondere die Bereiche Innovation und Compliance sowie Im-
                             und zertifizierten Compliance Officers im       mobilien vorantreiben“, sagt Martin Schiefer.
                             Team von Florian Kremslehner und
                             Stephan Steinhofer liegen in den Berei-
                             chen Wirtschaftsstrafrecht, Medizinstraf-
                             recht, Antikorruption, Compliance sowie      UIA/LexisNexis LegalTech
                             Zivilprozessrecht.
                                                                          Inspiration Award 2021
                             Florina Thenmayer (1991) startete ihre
                             juristische Karriere bereits im Jahr 2015    Thomas Seeber, Anwalt und Partner bei
                             bei DORDA. In den letzten zwei Jahren        Kunz Wallentin Rechtsanwälte sowie
                             arbeitete sie in London bei DAC Beach-       ­Gründer und CEO der Realest8 Technolo­
                             croft LLP, wo sie im Bereich Corporate,      gies hat mit seinem Team den „UIA/Lexis­
                             M&A und Kapitalmarktrecht tätig war          Nexis LegalTech Inspiration Award 2021“
                             und den German Desk mitbetreut hat.          für die digitale Immobilientransaktions-­
                             Nun ist sie nach Österreich zurück­           Plattform Realest8 gewonnen.
                             gekehrt und verstärkt wieder das Team         Die Kriterien des UIA/LexisNexis LegalTech
                             von Thomas Angermair. Ihre beruflichen        Inspiration Award waren (i) Grad der Inno-
                             Schwerpunkte liegen in den Bereichen          vation, (ii) praktische Auswirkungen auf den
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Florina Thenmayer ist seit 2019     Innovator und seine Klienten, (iii) wirtschaft- Thomas Seeber
als Rechtsanwältin in Österreich und seit 2021 als Solicitor in England   liche Aspekte sowie (iv) Umweltaspekte. Im
und Wales zugelassen.                                                     Rennen um den Award waren LegalTech-Unternehmen und auch
                                                                           Anwaltskanzleien, die sich besonders stark im LegalTech-Bereich her-
                         Günther Posch (1983) verstärkt das                vorgetan haben.
                         Arbeitsrechts-­Team bei DORDA nun-                Realest8 bietet eine digitale Plattform für Immobilientransaktionen,
                         mehr bereits seit 2015. Der frisch ange-          die vom Kaufanbot über die Kreditvergabe bis hin zur Eintragung ins
                         lobte Rechtsanwalt hat umfangreiche               Grundbuch über ein einziges Tool abgewickelt werden können. Durch
                         Erfahrung bei der Vertretung von natio-           die technische Verbindung zum österreichischen Grundbuch sowie
                         nalen und internationalen Mandanten               zu Kreditinstituten kommt es zu keinen Medienbrüchen mehr, wo-
                         in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. Im          durch das Verfahren wesentlich schneller, kostengünstiger und effi-
                         letzten Jahr hat er sich unter anderem            zienter abläuft.
                         auf die Beratung von Mandanten im Zu-             „Wir freuen uns, dass ein österreichisches Start-Up und eine österrei-
                         sammenhang mit den (arbeits-) recht­              chische Digitalisierungslösung international derart positiv wahrge-
lichen Auswirkungen beim Erhalt von staatlichen Beihilfen (ins­            nommen werden und die Auszeichnung durch UIA und LexisNexis
besondere Corona-Kurzarbeit) spezialisiert. Weiters ist er Experte für     zeigt uns, dass wir mit unserer Plattform weltweit im LegalTech vorne
Unternehmensumstrukturierungen bei Betriebsübergängen.                     dabei sind, was uns sehr stolz macht.“, sagt Thomas Seeber zum Erfolg.

8     anwalt aktuell 06/21
Anwalt aktuell Das Magazin für erfolgreiche Juristen und Unternehmen
ÖRAK

„Verfahrensgrundsätze
  müssen gewahrt sein“
 ÖRAK-Präsident Dr. Rupert Wolff im Gespräch mit Anwalt Aktuell über die ge-
 plante Einführung von Videoverhandlungen in Zivilverfahren, die Auswirkun-
 gen der Corona-Krise und die Ausstattung der Justiz.

 Anwalt Aktuell: Man kommt an Corona nicht              müssen wir sehr behutsam vorgehen. Zu der aktu-
 ­vorüber, auch nicht als anwaltliches Branchenma-      ellen Zivilverfahrensnovelle, in der die Videover-
 gazin. Vor Kurzem wurde wieder ein bundesweiter        handlung als dauerhafte Option festgeschrieben
 Lockdown verordnet. Wie beurteilen Sie die Auswir-     werden soll, haben wir daher unsere Bedenken
  kungen der Situation auf den Rechtsstaat und auf      geäußert. Auch OGH-Präsidentin Elisabeth Lovrek
  den Gerichtsbetrieb?                                  hat klar gemacht, dass der virtuelle Prozess nur die
                                                        Ausnahme sein kann, indem sie sehr treffend sag-
 Rupert Wolff: Sie haben Recht, man kommt nicht         te, dass ein Zivilverfahren etwas Hoheitliches sei
 daran vorbei. Ich befürchte, dass die Pandemie         und keine Yoga-Onlinestunde. Ich bin froh, dass
 noch länger unser Leben prägen wird, in vielerlei      das Justizministerium dieses Vorhaben aufgrund
 Hinsicht. Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich        dieser Kritikpunkte wieder zurückgestellt hat.
 medizinische Aspekte, zu denen ich als Rechtsan­
 walt nicht viel beitragen kann. Was die rechtsstaat-   ANWALT AKTUELL: Sind Sie der Meinung, dass
 lichen Auswirkungen betrifft, haben wir alle in den    ­Corona hier benützt wird, um Forderungen umzu-
 letzten Monaten Neuland betreten: Ausgangsrege-         setzen, die in normalen Zeiten undenkbar wären?
 lungen, Kontaktbeschränkungen, Betretungsver-
 bote usw. All das wäre vor zwei Jahren noch unvor-     Rupert Wolff: Ich bin der Meinung, dass die Perso-
 stellbar gewesen. Inzwischen ist es fast schon zur     nalsituation in vielen Bereichen des Bundesdiens-
 Gewohnheit geworden. Auch die Debatte über die         tes unbefriedigend ist. So auch, oder vor allem, in
 Einführung einer Impfpflicht wird zu führen sein.      der Justiz. Polizistinnen und Polizisten auf die
                                                                                                                  DR. RUPERT WOLFF
 Ich hoffe sehr, dass der Gesetzgeber diesem The-       Straße zu bringen ist politisch immer opportun.           Präsident des Österreichischen
 ma die notwendige Breite einräumt und es zu kei-       Die Ausstattung der Gerichte war hingegen viele           Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK)
 ner legistischen Hau-Ruck-­Aktion ohne Begutach-       Jahre ein politisches Non-Thema. Es wurden da-
 tung kommt, wie wir es in der Vergangenheit leider     her verstärkt Überlegungen angestellt, wie man
 viel zu oft erleben mussten.                           die Gerichte entlasten kann, anstatt das Problem
 Was die Auswirkungen auf den Gerichtsbetrieb be-       an der Wurzel zu packen. Der Staat hat schlicht
 trifft, haben wir gelernt, damit umzugehen, auch       und einfach die erforderlichen Mittel für eine
 weil wir keine Wahl haben. Einen Stillstand der        funktionierende Gerichtsbarkeit bereitzustellen.
 Rechtspflege darf es ganz einfach nicht mehr geben.    Hier darf es keine Kompromisse geben.
 Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen für ihren
 unermüdlichen Einsatz. Nur so war es möglich, die      ANWALT AKTUELL: Was ist Ihr Resümee zum ab-
 Rechte der Bürgerinnen und Bürger auch in dieser       laufenden Jahr. War es für die österreichischen
 Ausnahmesituation zu wahren. Der Gerichtsbetrieb       Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein erfolg-
 selbst ist natürlich für alle schwieriger geworden.    reiches?
 Das belastet die Kollegenschaft, unsere Mandan-
 tinnen und Mandaten und auch die Richterschaft         Rupert Wolff: Jedes Jahr, in dem eine unabhängige
 zunehmend.                                             Rechtsanwaltschaft den Rechtsstaat mitgestaltet
                                                        und die Justizpolitik prägt ist ein erfolgreiches Jahr,
 ANWALT AKTUELL: Sehen Sie aktuelle Maßnah-             vor allem für die Bürgerinnen und Bürger. Auch für
 men, die hier Erleichterungen bringen können,          uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wer-
 etwa durch weitere Digitalisierung?                    den die Aufgaben immer komplexer und heraus-
                                                        fordernder. Zum Glück haben wir eine sehr gute
 Rupert Wolff: Im Gerichtsbetrieb ist das zwei-         Berufsausbildung und junge Kolleginnen und Kol-
 schneidig. Natürlich treten wir für Verbesserungen     legen, die in den Stand nachkommen, sodass die
 im Bereich der Digitalisierung ein, etwa bei der       hervorragende Qualität unserer Arbeit, auf die wir
 ­Akteneinsicht oder bei der Weiterentwicklung des      zu Recht stolz sind, gehalten werden kann. Selbst-
  elektronischen Rechtsverkehrs. Hier waren wir im-     verständnis ist das aber keines. Die Arbeit am und
  mer die treibende Kraft hinter dem Ausbau der         für unser Berufsumfeld ist oft schwierig und auf-
  Möglichkeiten. Andererseits gilt es aber auch, Ver-   wändig. Mein Dank gilt daher allen Kolleginnen
  fahrensgrundsätze wie die Unmittelbarkeit oder        und Kollegen, die sich neben ihrer beruflichen
  die Öffentlichkeit zu wahren. Wenn wir unsere         ­Tätigkeit in der standespolitischen Arbeit ein­
  rechtsstaatlichen Standards beibehalten wollen,        bringen.

                                                                                                                         anwalt aktuell 06/21       9
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GEWALT GEGEN FRAUEN

                            „Das nächste Mal
                              bringt er mich um!“
                             FRAUENMORDE. In diesem Jahr wurden bis Anfang Dezember 30 Femizide
                             in Österreich gemeldet. Birgitt Haller, Leiterin des Instituts für Konfliktfor-
                             schung, sieht die Hauptursachen im nach wie vor intakten Patriarchat und in
                             der Geschlechterungleichheit. Sie konstatiert einen großen Mangel an Bera-
                             tung und Betreuung, speziell in der Prävention.
                                                                                                        Interview: Dietmar Dworschak

                             ANWALT AKTUELL: Eine Umfrage der Europäi-              Für mich ist eine wesentliche Maßnahme, um
                             schen Union für Grundrechte ergibt, dass jede fünf-    Gewalt und Aggression gegen Frauen zu vermin-
                             te Frau in Österreich ab dem 15. Lebensjahr körper-    dern, die Verwirklichung von Geschlechter-Ge-
                             licher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist.       rechtigkeit. Das inkludiert die Geschlechterrollen
                             Lebt sich’s als Frau gefährlich in unserem Land?       in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft. Initia-
                                                                                    tiven in diesem Bereich müssen in frühem Alter
                             Dr. Birgitt Haller: Es lebt sich nicht gefährlicher    begonnen werden.
                             als in anderen Ländern. Österreich zählt zu den
                             Ländern mit der geringsten Zahl von Gewalt be-         ANWALT AKTUELL: Ist der Wunsch der Frau nach
                             troffenen Frauen. Es gibt Länder, in denen mehr        Gleichstellung ein Thema, auf das Männer gege-
                             als 30 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen         benenfalls auch mit Gewalt reagieren?
                             sind. Ich würde also nicht meinen, dass Öster-
                             reich besonders negativ hervorsticht. Was trotz-       Dr. Birgitt Haller: Es hat damit etwas zu tun, dass
                             dem hervorsticht ist die große Zahl von Frauen-        die Frauen tun, was sie glauben, dass sie tun wol-
                             morden.                                                len. Auslöser für die Morde sind häufig Tren-
                                                                                    nungsankündigungen und Trennungsversuche
                             ANWALT AKTUELL: Wo sehen Sie die Hauptur­              oder Eifersucht, wobei es hier nicht einmal einen
                             sachen der männlichen Aggression?                      realen Hintergrund geben muss. Es sind oft auch
                                                                                    nur Fantasien. Es hat schon viel mit der Haltung
                             Dr. Birgitt Haller: Hinter den Femiziden steht         „Meine Frau gehört mir“ zu tun. In der Konse-
                             ganz klar – es lässt sich so einfach sagen: das Pa­    quenz: „Wenn ich sie nicht haben kann, darf sie
                             triarchat. Es geht um patriarchale Einstellungen,      auch kein anderer haben.“
                             die Dominanz von Männern über Frauen, die
                             Tatsache, dass in gesellschaftlichen und wirt-         ANWALT AKTUELL: In Österreich werden jedes
                             schaftlichen Führungspositionen primär Män-            Jahr mehrere Tausend Gewaltfälle gegen Frauen
                             ner sind – das alles gestaltet eine Gesellschaft. In   registriert. Was geschieht dann in der Folge?
                             den skandinavischen Ländern ist das doch etwas
                             anders. Diese Verteilung von Wichtigkeiten hat         Dr. Birgitt Haller: Es werden viele Fälle registriert
                             natürlich auch etwas zu tun mit Geschlechterrol-       und es werden sehr viele Betretungsverbote ver-
                             len, die perpetuiert werden. Wenn Kinder so er-        hängt, was die Polizei mittlerweile schon ganz gut
                             zogen werden, dass der Bub halt zurückschlägt,         macht. Was passiert danach? Ungefähr jede dritte
                             wenn er geschlagen wird und das Mädchen still          Frau, die ein Betretungsverbot verlangt hat, bean-
                             und brav ist und am besten nicht aufmuckt ist          tragt anschließend eine einstweilige Verfügung,
                             das eben ein Boden, auf dem man ein bestimm-           und das ist üblicherweise die Einleitung einer
                             tes Verhalten lernt. Ich sage das jetzt zugespitzt.    Trennung. Es gibt auch Familien, in denen die
                             In den letzten Jahren ist hier vieles besser und       ­Polizei sechs, sieben Mal mit einem Betretungs-
                             anders geworden.                                       verbot einschreitet, weil es unheimlich schwierig

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GEWALT GEGEN FRAUEN

                                                                                                              BIRGITT HALLER
                                                                                                              Mag.in der Politikwissenschaften.
                                                                                                              Dr.in der Rechtswissenschaften
                                                                                                              Universität Innsbruck. Seit 1990
                                                                                                              Wissenschaftliche ­Mitarbeiterin
                                                                                                              des Instituts für Konfliktforschung
                                                                                                              (IKF) in Wien, seit 2012 dessen
                                                                                                              Leiterin.
                                                                                                              Forschungsschwerpunkte:
                                                                                                              Gewaltforschung und Gender­
                                                                                                              forschung

ist, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen. Es        flikt“ anzunähern, weil das dazu führt, dass man
gehört zum Zirkel solcher Abläufe, dass sich die        das Gravierendere übersieht. Es gibt Konflikte,
Männer dann entschuldigen, Blumen bringen,              es gibt Streitereien und es gibt Auseinanderset-
Besserung versprechen etc. Die Frauen haben             zungen mit Partnergewalt. Das sind grundsätz-
viele gute Gründe, beim Partner zu bleiben und          lich nicht einmal Eskalationsstufen, sondern
glauben die großen Versprechungen oft, weil sie         unterschiedliche Sachen. Bereits in den Neunzi-
es sich so sehr wünschen. Es braucht oft lange          gerjahren wurden in US-amerikanischen Studi-
Zeit, bis die Erkenntnis entsteht, dass sich in einer   en Begriffe wie „common couple violence“ und
solchen Beziehung nichts mehr positiv bewegen           „intimate terrorism“ geprägt, wobei die erstge-
wird.                                                   nannte Gewalt von beiden Teilen des Paares er-
Es ändert sich oft erst dann etwas, wenn die Gewalt     folgt. Es kann im Bereich der psychischen Ge-
dramatisch zunimmt. Wir haben mehrere Inter-            walt und des Keppelns bleiben, wo man sich
views mit älteren Frauen geführt, die dann ihre         gegenseitig nichts schuldig bleibt, das kann sich
Trennungsversuche gemacht haben, als sie reali-         auch als körperliche Gewalt äußern, es kann
siert haben: „Das nächste Mal bringt er mich um!“       aber insgesamt eine Beziehungsstruktur sein.
                                                        „Intimate terrorism“ hingegen ist eine Gewalt-

                                                                                                                   “
ANWALT AKTUELL: Im Frühjahr hat das Parla-              form, die sich von Männern gegen Frauen rich-
ment ein 26,4 Millionen Euro schweres „Gewalt-          tet, die tatsächlich mit der Abwertung von Frau-    In Österreich
schutzpaket“ verabschiedet. Was ist da drin und         en zu tun hat. Hier findet man viel psychische      sticht die
was bringt es?                                          Gewalt, viel Demütigung, dazu kommt körper­
                                                        liche Gewalt und der Höhepunkt sind dann die
                                                                                                            große Zahl
Dr. Birgitt Haller: Da ging es um viel Geld zur Auf-    Femizide. Dies ist insofern männertypisch als       von Femiziden
stockung von Fraueneinrichtungen, ein nochma-           dieses Verhalten nur von Männern gesetzt wird       hervor.
liges Bekräftigen der Notwendigkeit der sicher-         und nicht von Frauen.
heitspolizeilichen Fallkonferenzen – nicht umge-
setzt, würde ich sagen! -, es waren Veränderungen       ANWALT AKTUELL: Gibt es einen Männertypus,
bei der ursprünglich geplanten Dauer bei der            vor dessen Eigenschaften man die Frauen im Hin-
Prävention für Gewalttäter…Es wurden wieder             blick auf Gefahrenpotentiale warnen sollte?
einmal bekannte Maßnahmen formuliert und
mit einem Rufzeichen unterstützt.                       Dr. Birgitt Haller: Man kann deswegen so
                                                        schlecht warnen, weil es Anzeichen eines typi-
ANWALT AKTUELL: Eine alte Volksweisheit sagt            schen Aggressors beispielsweise bei psychiatri-
„es gehören immer zwei dazu“. Trifft das nicht auf      schen Erkrankungen gibt, die man nicht so ein-
Partnerschaftskonflikte ganz besonders zu?              fach „mit freiem Auge“ sieht. In einer Studie
                                                        haben wir die Daten der Männerberatung Wien
Dr. Birgitt Haller: Ich würde zuerst einmal davor       analysiert und dabei eine nicht unwesentliche
warnen, sich dem Thema über den Begriff „Kon-           Zahl von Borderlinern festgestellt. Als Laie er-

                                                                                                                  anwalt aktuell 06/21              11
GEWALT GEGEN FRAUEN

                            kennt man das vorher meist nicht, und gleichzei-       dass bei der Polizei die unmittelbar Vorgesetzten
                            tig handelt es sich um eine ungemein gefährliche       eine sehr hohe Verantwortung haben und sie da-
                            Gruppe. Bei Gewalttrainings gibt es Tests, wo          für sorgen müssen, dass korrekt eingeschritten
                            man beispielsweise solche Typen erkennen               wird. Ich kann mir schon vorstellen, dass es in
                            kann. Wenn ich als Frau jemanden kennenlerne           diesem Bereich nicht genug Personen gibt, die
                            gelingt es mir natürlich nicht, in dieser Weise da-    sich zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ engagie-
                            hinter zu schauen.                                     ren. Es ist sicher einiges besser geworden, weil es
                            Was wir allerdings wissen: Nicht selten beginnt        bei der Polizei mittlerweile viele Schulungen
                            die Gewalt in der Schwangerschaft. Hier entste-        gibt. Die Beamtinnen und Beamten müssen ei-
                            hen bereits die ersten Hinweise auf einen mögli-       nen authentischen Blick darauf bekommen, was
                            chen Femizid, weil es sich um eine extreme Ge-         hier passiert.
                            waltform handelt, der Frau in den Bauch zu treten.     Die Betretungsverbote sind österreichweit regio-
                            Wenn man solche Akten liest kann man sich gar          nal sehr unterschiedlich gestreut. Wenn ich Be-
                            nicht vorstellen, dass die Frauen solche Männer        amter oder Beamtin in einer Gegend bin, wo das
                            nicht gleich verlassen. Oft handelt es sich auch       öfter passiert, bekomme ich Routine im Einschrei-
                            um Verhaltensmuster über Generationen. Wenn            ten. Wenn ich in einer Region Dienst tue, wo das

       “
                            Gewalt in der Beziehung der Eltern eine Rolle          fast nie passiert, ist es sicher schwieriger, die rich-
                            spielt, wird dies nicht selten an die Jüngeren wei-    tigen Maßnahmen zu setzen.
Hinter den                  tergegeben, bei männlichen und weiblichen Kin-
Femiziden                   dern. In diesem Zusammenhang sind Beratungs-
                            stellen unheimlich wichtig, wo gesagt wird: Sie
                                                                                   ANWALT AKTUELL: Ist es Ihrer Meinung nach
                                                                                   gut, dass sich bei den Medien mittlerweile eine Art
steht das                   sind nicht allein, es geht hier um ein Muster. Dafür   Alarmstimmung etabliert hat, wenn es um Ge-
Patriarchat.                ist das Angebot allerdings derzeit viel zu klein.      walt gegen Frauen geht? Oder ist es einfach ein
                            Momentan sind die Beratungsstellen hauptsäch-          prickelndes Thema, mit dem man Auflage macht?
                            lich mit den Fällen von Betretungs- und Annähe-
                            rungsverboten ausgelastet. Je mehr man aber            Dr. Birgitt Haller: Ich würde sagen: beides. Es ist
                            präventiv tätig sein möchte, umso deutlicher           einerseits gut, weil damit die Frage „Wie gefähr-
                            müsste das Angebot hier ausgeweitet werden.            lich sind Männer?“ zu einem gesellschaftlichen
                                                                                   Thema wird und die Bereitschaft steigert, mehr
                            ANWALT AKTUELL: Tut die Polizei eigentlich ge-         Geld an Opferschutzeinrichtungen zu geben.
                            nug, um die Gefährdung von Frauen festzustellen        2019 gab es eine Serie von Frauenmorden, auf
                            bzw. einzudämmen? Anders gefragt: Für wie ty-          die sich die Medien regelrecht gestürzt haben. Es
                            pisch halten Sie Vorfälle, bei denen Frauen von        war ein richtiger Boom. Ich gab damals ein Inter-
                            der Polizei als „Provokateurinnen“ des Anlasses        view für die Wochenbeilage einer Qualitätszei-
                            deklariert werden?                                     tung. Eine Woche später ereignete sich der
                                                                                   nächste Femizid. Und der wurde praktisch nir-
                            Dr. Birgitt Haller: Was Sie ansprechen kommt           gends mehr erwähnt. Ich habe mir gedacht: Wie
                            immer wieder vor und findet auch den Weg in die        schrecklich muss das für die Angehörigen sein.
                            Medien, wo es die Vorgesetzten vermutlich mit-         Da wird jemand ermordet, aber es kommt redak-
                            bekommen. Die einschreitende Beamtin, der              tionell zur Unzeit.
                            einschreitende Beamte wird daraus vermutlich
                            keine lehrreichen Schlüsse ziehen. Ich denke,          Frau Dr. Haller, danke für das Gespräch.

12   anwalt aktuell 06/21
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HOT SPOTS – Juristen und Kanzleien

Kanzleigründung in St. Pölten –                                               Award für „Beste Rechts­
MVS Strafverteidigung                                                         anwaltskanzlei 2021“
In der neu gegründeten Kanzlei MVS Strafverteidigung in St. Pölten            Die Kanzlei, die auf Private Wealth & Family Business Service spe-
engagiert sich die erfahrene Strafverteidigerin Mercedes Voll-                zialisiert ist, konnte durch ihre erfolgreichen Konzepte zur Digi-
mann-Schultes (32) für Privatpersonen wie Unternehmen in ganz                 talisierung und zur Förderung weiblicher Juristinnen überzeugen.
Österreich.

                                                                                                                                                            © Marlene Rahmann, Promoting the Best
„Mit meiner rechtlichen Expertise und meinem wirtschaftlichen Know-
how stehe ich verlässlich an der Seite meiner Klientinnen und Klienten.
Ob in der klassischen Strafverteidigung, in Wirtschaftsstrafverfahren
oder im Bereich Compliance.“
Nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit bei „Asyl in Not“ sowie an der
Außenhandelsstelle in Paris, war die Powerfrau als Juristin bei der
­Finanzmarktaufsicht und danach als Rechtsanalystin bei Deloitte FSI
 Advisory GmbH im Bereich Compliance tätig. Von 2014 bis 2021 war
 sie in einer renommierten Anwaltskanzlei in St. Pölten im Strafrecht
 erfolgreich im Einsatz.

                                                                              Foto: Mag. Stefanie Smets (Rechtsanwaltsanwärterin), Mag. Valentina
                                                                              ­Philadelphy-Steiner (Partnerin, Eingetragene Mediatorin), Mag. Angelina
                                                                              Barisitz (Rechtsanwaltsanwärterin), Mag. Caroline Weerkamp (Rechtsanwältin)

                                                                              Gründerin Valentina Philadelphy-Steiner freut sich: „Neben einer
                                                                              unendlichen Freude am Arbeiten brauchen wir Frauen vor allem
                                                                              eines: Flexibilität und Vertrauen. Das leben wir einfach in unserer
                                                                              Kanzlei. Unsere Juristinnen können selbst bestimmen, wann und
                                                                              wo sie arbeiten. Deadlines haben wir immer im Blick, genauso wie
                                                                              das gemeinsame Abstimmen und Tun. Dadurch wird jeder in sei-
                                                                              nem individuellen Arbeitsstil gefördert.“
                                                                              Philadelphy-Steiner Rechtsanwälte wurde im Frühjahr 2020 von
Mercedes Vollmann-Schultes                                                    Valentina Philadelphy-Steiner gegründet und zählt heute bereits
                                                                              sieben Juristinnen, davon zwei Partnerinnen. Die Wiener Kanzlei
Die dreifache Mutter ist eine der Initiatorinnen von AWLA, der Aus­           ist auf Familienrecht, Immobilienrecht sowie Nachlassplanung
trian Women Lawyer Association – Verbund Österreichischer Rechts-             spezialisiert. Das Private Wealth & Family Business Service umfasst
anwältinnen. Hier setzt sie sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen für          u.a. Beratung zur Vermögensaufteilung und -weitergabe bei Tren-
die Gleichstellung von Anwältinnen und Anwälten ein.                          nungen, Todesfällen und Betriebsübergaben.

Anwältin verstärkt Finance,                                               Weibliche Verstärkung bei Wirt­
Projects & Restructuring-Praxis                                           schafts­kanzlei Metzler & Partner
Katharina Widhalm LL.M., BSc ist im Bereich des Insolvenz-, Banken-                                            Die Linzer Wirtschaftskanzlei
und des Immobilienrechts spezialisiert. Weiters berät sie Klienten                                             Metzler & Partner wird auf An­
auch im Gesellschaftsrecht, Versicherungsrecht und allgemein im                                                waltsebene um ihre langjährige
Zivilrecht.                                                                                                    und nun als Rechtsanwältin an­
                                  Katharina Widhalm absolvierte das                                            gelobte Mitarbeiterin Mag. Laura
                                  Bachelor-Studium der Betriebs-                                               Metzler verstärkt.
                                  wirtschaft und das Masterstudium                                             Mag. Laura Metzler (34) war bereits
                                  Wirtschaftsrecht und war beglei-                                             drei Jahre in der Kanzlei tätig.
                                  tend bereits als juristische Mitar-                                          Nach Studienabschluss 2011 und
                                                                          Laura Metzler
                                  beiterin bei DLA Piper tätig.                                                einer ersten Etappe in der Kanzlei
                                  Nach Studienabschluss sammelte          arbeitete sie 2013 bis 2015 zwei Jahre im Litigation-Team einer renom-
                                  sie Erfahrung als Universitätsas­       mierten Wiener Wirtschaftskanzlei und absolvierte 2015 die Anwalts-
                                  sistentin am Institut für Zivil- und    prüfung mit Auszeichnung. Im September 2021 wurde sie als Rechts-
                                  Unternehmensrecht der WU Wien.          anwältin angelobt. Die 3-fache Mutter ist ausgewiesene Prozess-
                                  Zudem war sie seit 2015 in Wiener       rechts-Expertin und leitet außerdem die Fachbereiche Arbeitsrecht
                                  Anwaltskanzleien als Rechtsan-          und Familienrecht.
                                  waltsanwärterin tätig.                 Das Beratungsangebot der Kanzlei im Bereich Umweltrecht wird nun
                                     Katharina Widhalm                    auch über die neue Plattform www.umweltrecht-ooe.at präsentiert.

14    anwalt aktuell 06/21
RAK Wien

Digitale Beweismittel
Plädoyer für eine neue Kategorie an Beweismitteln im Strafverfahren

Die Sicherstellung eines Mobiltelefons unterliegt nach der StPO denselben
Regeln wie die Sicherstellung einer simplen Tatwaffe. Letzteres ist bloß ein
Gegenstand, ersteres hingegen – auch – ein digitales Abbild des Benutzers
und seiner Persönlichkeit. Dieser Tragweite wird die StPO nicht gerecht.

S
           icherstellung ist die vorläufige Begrün-    Fotos und Chats auf dessen Mobiltelefon, erlau-
           dung der Verfügungsmacht über Gegen-        ben einen Einblick in das Leben und die Persön-
           stände. So steht es aktuell in § 109 StPO   lichkeit dieses Menschen, wie es vor wenigen
           und sinngemäß seit Jahrzehnten in des-      Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre.
sen Vorläuferbestimmungen.                             Dem werden die aktuellen Sicherstellungs-Rege-
Wann etwas ein „Gegenstand“ ist, wird nicht de-        lungen nicht gerecht. Sie sind von ihrer Konzep-
finiert, sondern seit jeher vorausgesetzt. Eine Axt,   tion und ihren Voraussetzungen her noch immer
mit der jemand erschlagen wurde, ist sicher ein        auf rein physische Gegenstände/Urkunden zuge-
Gegenstand, der zu Beweiszwecken sichergestellt        schnitten. Das ist insofern nicht überraschend, als
werden kann. Ebenso ein Mobiltelefon oder eine         es „Gegenstände“ mit solch mächtigen Eigen-
                                                                                                             RA HON.-PROF.
Festplatte, wenn damit jemand erschlagen wurde.        schaften wie PCs oder Mobiltelefonen bei Erlas-       DR. MICHAEL ROHREGGER
Das kommt freilich in der Praxis eher selten vor.      sung der Sicherstellungbestimmungen noch gar          Vizepräsident der RAK Wien
Das Interesse der Ermittlungsbehörden an Mobil-        nicht gab.
telefonen, Festplatten und ähnlichen digitalen         Freilich hätte der Gesetzgeber zwischenzeitig
Datenträgern gilt ja auch gar nicht dem physi-         nachbessern können. Bei anderen technischen
schen Gerät als solchem, sondern den darauf be-        Ermittlungsmaßnahmen, wie der – intentional
findlichen Daten. Erst die SMS, Chats, Fotos und       ähnlichen – Kommunikationsüberwachung oder
sonstigen Daten machen das Gerät als Beweismit-        dem – schiefgegangenen – Bundestrojaner ist er
tel interessant.                                       sich der Eingriffsintensität durchaus bewusst und
Solche Datenbestände gehen freilich in qualitati-      zieht die formellen und materiellen Zulässigkeits-
ver und quantitativer Hinsicht weit – und zwar         voraussetzungen deutlich strenger. Dasv sollte er
meilenweit – über das hinaus, was man gemein-          auch bei digitalen Datenbeständen tun.
hin unter einem „Gegenstand“ versteht: Dass Big        Damit alleine wäre es hier aber nicht getan. Denn
Data eine ganz andere Qualität hat als eine Einzel­    im Regelfall werden nicht bloß die verfahrensre-
information, hat sich zwischenzeitig herum­            levanten Teile von Datenbeständen sichergestellt,
gesprochen. Der gesamte Datenbestand einer             sondern der vorgefundene Datenbestand in sei-
Person über Jahre, sei es nun das elektronische        ner Gesamtheit. Dafür wird ins Treffen geführt,
Postfach am PC/Laptop oder die gesammelten             dass eine Sichtung vor Ort zu lange dauert und
                                                       nur die sofortige Sicherstellung garantiert, dass
                                                       nichts mehr beiseite geschafft wird.
                                                       Wenn aber aus technischen Gründen im ersten
                                                       Schritt eine – durchaus massiv – überschießende
                                                       Sicherstellung erforderlich ist, dann müsste die
                                                       StPO zumindest einen Mechanismus vorsehen,
                                                       der danach in geschütztem Umfeld eine Trennung
                                                       der verfahrensrelevanten Teile von den übrigen
                                                       erlaubt.
                                                       Als Vorbild für ein solches Zwischenverfahren
                                                       könnte § 112 StPO dienen. Eine Verfahrensver­
                                                       zögerung wäre durch ein ähnlich strukturiertes
                                                       Zwischenverfahren nicht zu befürchten, denn die
                                                       technische Sichtung muss in solchen Konstella­
                                                       tionen ja jedenfalls vorgenommen werden, um
                                                       mit den Daten im Verfahren überhaupt etwas an-
                                                       fangen zu können.
                                                       Auf diese Weise wäre allen Interessen gedient:
                                                       ­Vorhandene Beweise könnten von den Ermitt-
                                                        lungsbehörden vollständig sichergestellt werden,
                                                        aber der Beschuldigte würde nicht durch Offen-
                                                       legung seines gesamten sonstigen (nicht verfah-
                                                       rensrelevanten) Lebens zum gläsernen Menschen.

                                                                                                                   anwalt aktuell 06/21   15
WOMEN IN LAW

                                                             Die Stimme der Frau in der Anwaltschaft

                                                             Sind Mikroaggressionen
                                                             wirklich so mikro?
                                                             Ich habe mir kürzlich den Film Contra angese­             Mikroaggression erfährt, als „hypersensibel“ ein-
                                                             hen. Als der Frankfurter Universitätsprofessor            gestuft, womit die Mikroaggression dann ihre
                                                             Pohl (Deutsche Rechtsgeschichte) der Jus­                 vermeintliche Berechtigung erfährt.
                                                             studentin Naima mit Migrationshintergrund ihr             Die Zeit-Journalistin Vanessa Vu beschreibt ihr
                                                             Zuspätkommen im großen Hörsaal vor versam­                Gefühl in Bezug auf eine Mikroaggression über
                                                             meltem Publikum vorwirft, krampfte sich alles             die Wo-kommst du-her-Frage so: „Man kann sich
                                                             in mir zusammen:                                          das wie Nadelstiche vorstellen: Ein Pikser verletzt
Foto: Fotostudio Huger

                                                             Pohl: Sie sind zu spät! In meinem Kulturkreis             kaum, aber alle paar Tage gestochen zu werden,
                                                             bedeutet Pünktlichkeit noch etwas!                        macht die Haut wund. Und niemand bringt Salbe.
                                                             Naima: Entschuldigung!                                    Niemand entschuldigt sich. Niemand fragt, was er
                                                             Pohl: Ist das ein Befehl? Man kann sich nicht             oder sie für mich tun kann. Die Leute beschweren
                                                             selbst entschuldigen, man kann nur darum bit­             sich stattdessen über meinen Schmerz, etikettieren
DR. ALIX FRANK-THOMASSER                                     ten. Wissen Sie das nicht?                                ihn als Diskursunfähigkeit und reden darüber, wie
                                                                                                                       sie es gemeint haben.“
                                                             Im Film ist für Naima mit diesem Intro die Vorle-         Damit solche Pikser nicht zum Wundbrand wer-
                                                             sung, ja der gesamte Tag bereits, negativ gelaufen.       den, müssen sie angesprochen werden. Im besten
                                                             Hat Pohl unbewusst oder bewusst überzogen ge-             Fall nicht von der Person, die die Mikroaggression
                                                             handelt? Für Naima zählt die Antwort auf diese            erfährt, sondern von Kolleginnen und Kollegen
                                                             Frage nicht mehr wirklich, sie fühlt sich öffentlich      aus dem Umfeld. Es ist nicht hilfreich, den Aggres-
                                                             zurückgesetzt und ausgegrenzt.                            sor anzugreifen, vielmehr ist die Mikroaggression
                                                             Mikroaggressionen sind nachweislich eine im Ar-           offen anzusprechen und zwar mit dem Ziel, dass
                                                             beitsalltag unterschätzte Gefahr. Sie untergraben         es zu einer Klärung und einer echt gemeinten Ent-
                                                             die Firmenkultur. Sie unterminieren jede Team-            schuldigung des Aggressors gegenüber der betrof-
                                                             arbeit. Ausgrenzung im Arbeitsalltag führt im             fenen Person kommt. Hört sich doch einfach und
                                                             ­Ergebnis zum Verlust einer oft wertvollen Arbeits-       fast unproblematisch an!
                                                              kraft, denn wer bleibt schon gerne einem Unter­          Aber denken Sie zum Beispiel nach, wo und wann
                                                              nehmen erhalten, dem er sich nicht zugehörig             Sie sich regelmäßig im Partnerkreis Ihrer Anwalts-
                                                              fühlen kann. Sie sind daher der größte Feind einer       kanzlei treffen. Könnte Zeit oder Ort bestimmte
                                                              inklusiven Arbeitskultur.                                Kollegen oder Kolleginnen ausgrenzen? Dazu
                                                              Solche Mikroaggressionen verstecken sich oft hin-        erzählte mir kürzlich eine Kollegin, die vor einem
                                                              ter vermeintlichen Komplimenten: „Du sprichst            Jahr die einzige Frau in dieser Anwaltspartner-
                                                              aber toll Deutsch. Aus welchem Land kommst Du?“          schaft war, dass sich jedem Partnermeeting, an
                                                              oder „Für eine Frau kennst Du Dich aber ganz             dem sie teilgenommen hatte, regelmäßig ein
                                                              ­super in diesem Bereich aus.“ Oder sie treffen          ­Saunaabend angeschlossen hat. Später fand sie
                                                               gleich ganz massiv weit unter der seelischen Gür-        heraus, dass gerade beim Saunaabend die wirk-
                                                               tellinie: „Schaffen Sie das, oder soll das ein Mann      lichen inner core Themen betreffend die Part­
                                                               machen?“ oder „Da schicken wir einen jungen              nerschaft und die Kanzleistrategie besprochen
                                                               ­Kollegen hin, der in social media fit ist.“ Oder sie    wurden. Ihr war es begreiflicherweise nicht son-
                                                                werden gar nicht ausgesprochen: In ­einer Bespre-       derlich angenehm, sich einem solchen Sauna­
                                                             chung diskutieren Teilnehmer zu einem be­                  abend unter Männern anzuschließen.
                         Die Autorin:                           stimmten Thema. Ein Teilnehmer wird bewusst             Mikroaggressionen, wie und wo sie uns in Rechts­
                         Gründerin der Alix Frank               ignoriert, dessen Einwürfe und Kommentare zum           berufen ganz besonders schaden und wie wir
                         Rechtsanwälte GmbH in Wien,            Thema werden einfach übergangen.                        ihnen professionell beikommen können, sind
                         spezialisiert auf M&A, Gesell­
                         schaftsrecht, Restrukturierungen,      Mit Mikroaggressionen ist stets eine systemati-         nicht nur Thema der Dritten Internationalen
                         Europäisches Vertragsrecht etc.        sche und institutionalisierte Diskriminierung           Konferenz der Initiative Women in Law – Frauen
                         diverse Funktionen in der              verbunden. Mikroaggressionen sind Werkzeuge,            im Recht www.womeninlaw.info vom 15. – 17.
                         Standes­­vertretung national und
                                                                die regelmäßig von dominierenden Gesellschafts-        September 2022, sondern auch ein Kernthema
                         international.
                         Gründerin und Obfrau des               gruppen benutzt werden und sie zeigen die               der Women In Law Lehrveranstaltungen an der
                         Vereins „Women in Law“                 ­Vorurteile auf, die in der Mehrheitsgesellschaft       Universität Wien, der WU Wien und der Univer-
                                                                 existieren. Nicht selten wird die Person, die eine     sität Graz.                                   AA

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STEPHEN M. HARNIK – Brief aus NY

                                   Ein Blick ins Ausland
                                   ABTREIBUNG. Die Auseinandersetzung über den Abbruch einer Schwanger-
                                   schaft beschäftigt nach wie vor die amerikanischen Gerichte. Dabei stellt sich
                                   die Frage, ob die Richter zur Rechtsfindung auch über die Grenzen blicken
                                   dürfen.
                                                                                                                       Stephen M. Harnik

                                   A
                                             m 1. Dezember wird sich der amerikani-    in den USA – unabhängig von einem strikten Zeit-
                                             sche Supreme Court erneut mit dem         raum die individuell abzuschätzende Lebensfä-
                                             Thema Abtreibung befassen müssen –        higkeit des Fötus und die Gesundheit der Mutter
                                             diesmal geht es in Dobbs v. Jackson       ausschlaggebend wären. Sollte die konservative
                                   ­ omen’s Health Organization um eine Verfas-
                                   W                                                   Mehrheit der Höchstrichter den Vergleich mit
                                   sungsklage gegen ein Gesetz des Bundesstaats        anderen Ländern als Maßstab akzeptieren, würde
                                   Mississippi, welches Abtreibungen nach der 15.      dies eine höchst ironische Kehrtwende darstellen,
                                   Schwangerschaftswoche strafbar macht. Zur Un-       denn gerade die konservativen Richter weigern
                                   terstützung des umstrittenen Gesetzes verweist      sich traditionell, ausländische Gesetze und Richt-
                                   der republikanische Gesetzgeber diesmal auf         linien für die Interpretation des amerikanischen
                                   ausländisches Recht: 75 Prozent aller Länder – so   Rechts herbeizuziehen.
                                   das Argument – verbieten, außer bei medizini-
                                   schen Notfällen, eine Abtreibung nach Ablauf von    Ausland kein Vorbild
                                   12 Schwangerschaftswochen. Verwiesen wird           Der verstorbene Justice Antonin Scalia meinte
                                   speziell auch auf die Rechtslage in Frankreich,     beispielsweise dazu: „To invoke alien law when it
                                   Italien, Deutschland, Spanien, Norwegen und der     agrees with one’s own thinking, and ignore it other-
                                   Schweiz, als Beispiele für Länder, in denen 14      wise, is not reasoned decision-making, but sophis-
                                   Wochen als Obergrenze gelten. Dagegen würden        try”. Gefragt nach seiner Ansicht, ob sich ameri-
                                   sich die USA ohne derartige Gesetze mit Ländern     kanische Richter in einem Urteil auf ausländische
                                   wie China und Nord-Korea gleichstellen, wo Ab-      Gesetze berufen können, verneinte dies Chief
                                   treibungen auch nach der 20. Schwangerschafts-      Justice John G. Roberts im Rahmen seines Confir-
                                   woche möglich sind. Dem entgegnen die Kläger,       mation Hearings mit dem Hinweis, dass man sich
                                   dass in Ländern wie Kanada, Neuseeland und          sonst jede Rechtsansicht rauspicken könnte, so
                                   dem Vereinigten Königreich – wie auch bis jetzt     als würde man versuchen in einer Menschenmen-

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