Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin

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Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin
blz
                                    Zeitschrift der           BER L I N
                                                           64.(79.) Jahrgang

                                                  O k t o b e r 2 0 11

Schule	Titel	Tendenzen
Lehrkräftemangel   Befristete Hochschule 	Mitbestimmung unbekannt
Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin
2                                                                   Z E ITSCHRIFT FÜR DI E MIT G LI E D E R D E R G E W  B E RLI N                                                                                                                                                                                            blz          | O ktober 2 0 11

     In h a l t
    Leute | Standpunkt | Kurz und bündig | Post an die Redaktion| . . 3-5

           Titel
    Wir gehen den nächsten Schritt Folker Schmidt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
    Was zu ändern ist Heidi Degenthoff de Campos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    Kaum drin, schon wieder draußen Christof Mauersberger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
    Da müssen wir ran Rainer Hansel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

           Re c h t & T a r i f
    Kurzmeldungen                                          . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    13
                                                                                                                                                                                                                                                                 14 SCHULE Becketts »Warten auf Godot« gilt als typisches
                                                                                                                                                                                                                                                                Beispiel für das Absurde Theater. Godot kommt nicht, ebenso
           Schule                                                                                                                                                                                                                                              wenig wie die Hilfe des Senats für Integrierte Sekundarschulen
    Warten auf Godot Lenka Kesting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14                                                                                                    in sozialen Brennpunkten. Lenka Kesting berichtet.
    Only bad news are good news Michael Kaemmerer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
    Gesundheitsschutz an Schulen Susanne Reiß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
    Gut gemeint – schlecht gemacht Matthias Jähne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
    SchulhelferInnen in Not Thomas Zadow. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

           G ewe r k s c h a f t
    Bericht von der Bildungsdemonstration Sigrid Baumgardt. . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
    Tom Sawyer Kultur-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
    Kurzmeldungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

           Glosse
    Ehrliche Arbeit Gabriele Frydrych. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25                                                                                                      20 SCHULE Der Schulhelfer Thomas Zadow berichtet
                                                                                                                                                                                                                                                                  von den schwierigen Arbeitsbedingungen und der schlechten
           Ten d en z en                                                                                                                                                                                                                                           Entlohnung der SchulhelferInnen, die sich oft als fünftes Rad
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             am Wagen fühlen.
    »Ich beginne zu glauben,
    dass die Linke recht hat« Frank Schirrmacher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  26
    Kaum Ahnung von Mitbestimmung Mario Müller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Titel: D. Tonn, unten: imago/Kai Bienert, mitte: imago/Steinach, Foto Oben: imago/Scherf
           Bücher
    Nach Sinn fragen Wilfried Seiring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30
    Von der Wiederherstellung des Glücks Klaus Will. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30
    Vorzeigemuslim und Islamhasser Eberhard Seidel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  31

           Se r v i c e
    Theater und Schule | Fortbildung | Materialien                                                                                                                            . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   32

                                                                                                                                                                                                                                                               26 TENDENZEN FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher (Mitte)
                                                                                                                                                                                                                                                                über die Zweifel des bürgerlichen Lagers am Neoliberalismus:
                                                                                                                                                                                                                                                                Das große Versprechen an individuellen Lebensmöglichkeiten
                                                                                                                                                                                                                                                                                          hat sich in sein Gegenteil verkehrt.
            I m p r e s s u m
    Die blz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband                                                                                                   tion), Richardo Zeh, Andreas Kraft, Ralf Schiweck, Folker Schmidt, Christiane Thöne   Satz, Layout und Konzept:
    Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin und erscheint monatlich (10 Ausgaben) als Beilage der                                                                                                            Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46, Fax –49,          bleifrei Texte + Grafik/Claudia Sikora/Jürgen Brauweiler
    E&W. Für die Mit­glieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nicht­mitglieder                                                                                                   E-Mail blz@gew-berlin.de                                                              Prinzessinnenstr. 30, 10969 Berlin, Tel. 61 39 36-0, Fax -18, e-mail: info@bleifrei-berlin.de
    beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand).                                                                                                                                          Anzeigen und Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion.                           Druck: Bloch & Co, Prinzessinnenstr. 26, 10969 Berlin
    Redaktion: Sigrid Baumgardt (verantwortlich), Klaus Will (Koordinierung, Foto- und Schlussredak-                                                                                                   Für Anzeigen gilt die Preisliste Nr. 11 vom 1. Januar 2009                            ISSN 0944-3207                                                              10/2011: 22.500
Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin
O k t o b e r 2 0 11 |   blz                                                                                                      Standpunk t        3

                                                                              Stehen bald wieder viele

                                               Foto: Privat
  L E UT E

Paul Schuknecht, Vorsitzender der GEW-Schul­
leitervereinigung, war mit dabei bei der
Befragung von Renate Künast (Bündnis 90/
                                                                              Jugendliche auf der Straße?
Grüne) durch eine Expertenrunde im Rah-
men des Leserforums der Berliner Morgen­
                                                                              Verdrängungswettbewerb durch doppelten Abiturjahrgang
post. Künast antwortete auf die Schuknecht-
Frage, was sie vorhabe: »Mir geht es kon-
kret um drei Punkte: Räume, Lehrer und
Stadtteilschulen.« 50 Millionen will sie da-
für lockermachen, zum Ausgleich aber auf
die »sündhaft teure Landesbibliothek« ver-
zichten.

Bernd Sonnewald, vor Kurzem noch zustän-
dig für die Lehrerbildung bei der Senats-                                     von Stefan Marien, Schulleiter OSZ Bürowirtschaft und Dienstleistungen
schulverwaltung, ist jetzt Leiter der
Landeszentrale für politische Bildungsar-
beit, allerdings nur kommissarisch. Bei
der Abteilung VI E (Lehrerbildung) gibt es
                                                         A    m 1. September 2011 erschien die
                                                              positive   Pressemitteilung,   dass
                                                         1.100 zusätzliche Ausbildungsplätze al­
                                                                                                       darüber hinausgehende Maßnahmen im
                                                                                                       Übergangssystem bzw. bei öffentlich ge­
                                                                                                       förderten Ausbildungsplätzen wird aus­
dagegen nur einen gewissen N.N. – ist ja                 len Berliner Jugendlichen Bildungschan­       drücklich verzichtet.« Offensichtlich ist
nicht so wichtig!                                        cen sichern. Grundlage ist eine Verein­       bei den Herren Wowereit und Nußbaum
                                                         barung, die unser Regierender Bürger­         noch nicht angekommen, dass wir in
                                                         meister Klaus Wowereit, der Finanzsena­       Deutschland ein plurales Ausbildungs­
Heike Wiese hat einen neuen Dialekt ent-                 tor Dr. Ulrich Nußbaum, der Präsident         system haben. Eine Tatsache, die in al­
deckt: Kiezdeutsch. Die Germanistik-Pro-                 der IHK Berlin Eric Schweitzer und die        len einschlägigen Bildungsberichten der
fessorin an der Universität Potsdam meint                Präsidentin des Verbandes der Freien          letzten Zeit bekräftigt wird. Wir haben
damit die Jugendsprache (»Isch mach dich                 Berufe Claudia Frank unterschrieben ha­       einerseits ein duales Ausbildungssys­
Urban«) in Bezirken mit vielen Menschen                  ben. So kurz vor Wahlen erfreuen solche       tem, und keiner wird auf die Idee kom­
nichtdeutscher Herkunftssprache. Wiese                   Nachrichten natürlich das Wahlvolk.           men, dieses in Frage zu stellen, wenn es
findet, dass dieser neue Dialekt das Spek-               Aber wird da nicht einiges schöngerech­       funktioniert. Seit Jahren sinkt (oder sta­
trum des Deutschen bereichert: Generell                  net?                                          gniert zumindest) die Zahl der Unterneh­
sei in Deutschland das Standarddeutsche                     Zunächst einmal strömen durch den          men, die selbst ausbilden. Diesen Trend
sehr nah am Sprachgebrauch der Mittel-                   doppelten Abiturjahrgang 6.000 Ju­            konnten die Kammern nicht stoppen,
schicht. Ein anderer Sprachcode gelte                    gendliche zusätzlich auf den Markt. Die       deswegen hat sich parallel ein System
dann, weil nicht der eigene Dialekt, als                 alte Regel, dass 20 Prozent der Abituri­      von öffentlich geförderten Ausbildungs­
falsch. Das sei aber eine soziale Bewer-                 enten versuchen, einen Ausbildungs­           plätzen entwickelt, die fester Bestand­
tung. Kiezdeutsch sei keine Mischung aus                 platz zu bekommen, scheint zu optimi­         teil der beruflichen Bildung in Berlin
Deutsch und Türkisch oder Deutsch und                    stisch, da die Universitäten die 80 Pro­      sind.
Arabisch, sondern ein Gemeinschaftspro-
jekt aller Jugendlichen aus den entspre-
chenden Bezirken, erklärte sie in einem
                                                         zent der zusätzlichen Studienbewerber
                                                         nicht aufnehmen werden können. So
                                                         wird es zu einem Verdrängungswettbe­
                                                                                                       D    ie Qualität kann sich oftmals mit
                                                                                                            der in der dualen Ausbildung mes­
                                                                                                       sen – wenn sie nicht sogar darüber hi­
Interview mit der Berliner Zeitung.                      werb kommen: Die Abiturienten strö­           naus geht. Nachweislich finden die mei­
                                                         men auf den Ausbildungsmarkt, die Be­         sten der Absolventen einen Arbeitsplatz
                                                         triebe reiben sich die Hände, da sie nun      auf dem ersten Arbeitsmarkt. Und da
Kazim Erdogan hat den taz-Panter-Preis ge-               genügend gut qualifizierte BewerberIn­        viele dieser Ausbildungsangebote sogar
wonnen. Erdogan gründete die erste Ge-                   nen haben, und dabei werden die Schü­         doppelqualifizierend sind, tragen diese
sprächsgruppe für türkischstämmige                       ler mit einem MSA vom Ausbildungs­            Bildungsgänge auch dazu bei, die ge­
Männer und hilft ihnen, Alltagsprobleme                  markt verdrängt – ganz zu schweigen           ringe Studierendenquote in Deutschland
und Familienkonflikte zu bewältigen. Er                  von SchülerInnen mit einem erwei­             zu erhöhen.
ist außerdem Initiator der Neuköllner                    terten Hauptschulabschluss. 600 zu­             Es war sicherlich kein Zufall, dass
»Woche der Sprache und des Lesens« Das                   sätzliche Ausbildungsplätze in der            Nußbaum diese Vereinbarung mit unter­
Preisgeld von 5.000 Euro fließt in die eh-               Wirtschaft und weitere 500 im öffent­         schrieb. Ihm gefiel natürlich, dass die
renamtliche Arbeit. Im GEW-Fortbildungs-                 lichen Dienst werden bei weitem nicht         vermeintlich teuren vollzeitschuli­schen
programm bietet Erdogan seit einiger Zeit                ausreichen, zumal solche Verspre­             Bildungsgänge nicht erhöht werden.
das Seminar »Aktivierung von Eltern mit                  chungen nur sehr selten eingehalten           Wenn er aber langfristig denken würde,
Migrationshintergrund« an. Der taz-Pan-                  worden sind.                                  könnte er erkennen, dass die Folgeko­
ter-Preis wird jedes Jahr sozial engagierten                Und ganz grotesk wird es, wenn man         sten nicht durchgeführter Ausbildung
»HeldInnen des Alltags« verliehen.                      dann in die Vereinbarung schaut: »Auf         deutlich höher sind.
Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin
4   Kurz & Bündig                                                                                                                                 blz   | O k t o b e r 2 0 11

                                                                                                                                    se begünstigten vor allem Beschäftigte
                                                                                                                                    mit mittleren oder höheren Einkommen.
                                                                                                                                    Länder wie Frankreich oder die Nieder­
                                                                                                                                    lande beugten dem Problem der Alters­
                                                                                                                                    armut deutlich besser vor als Deutsch­
                                                                                                                                    land, sagt Döring: In Frankreich erzielen
                                                                                                                                    Niedrigverdiener eine Lohnersatzrate
                                                                                                                                    von 55,9 Prozent. In den Niederlanden
                                                                                                                                    bekommen Geringverdiener aus der
                                                                                                                                    Pflicht-Alterssicherung sogar 93 Prozent
                                                                                                                                    ihres früheren Arbeitsentgeltes, höhere
                                                                                                                                    Verdienste beziehen noch 86,5 Prozent,
                                                                                                                                    also etwa doppelt so viel wie in
                                                                                                                                    Deutschland. Download der Studie un­
                                                                                                                                    ter www.boecklerimpuls.de

                                                                                                                                    Nachgerechnet: Mehr Kitaplätze und
                                                                                                                                    ErzieherInnen fehlen
                                                                                                                                       Ende August hat die Senatsbildungsver­
                                                                                                                                    waltung endlich zur Kenntnis genommen,
                                                                                                                                    dass ihre Prognose über den Bedarf von
                                                                                                                                    Kitaplätzen hinter der Realität – sprich
                                                                                                                                    der Bevölkerungsentwicklung – hinter­
                                                                                                                                    herhinkt. Tatsächlich ist der Platzbedarf
    10. September 2011: Annähernd 6.000 PädagogInnen, Eltern und SchülerInnen sind dem Aufruf des Bündnisses gefolgt                aufgrund der höheren Geburtenraten
    und haben unmittelbar vor den Berliner Wahlen nochmals »Für eine bessere Schule in Berlin und mehr Bildung von An-              weitaus größer als bisher angegeben.
    fang an« demonstriert (siehe auch Seite 22).                                             Foto: Ch. v. Polentz/transitfoto.de   Während die Senatsbildungsverwaltung
                                                                                                                                    bisher für das Jahr 2015 von einem
                                                                                                                                    Rückgang an benötigten Plätzen aus­
    Hortplätze nicht für                                            zu zehn Prozent der Sprachförderstun­                           ging, prognostiziert sie nun einen Mehr­
    Hartz IV-Empfänger                                              den der Schule, mindestens aber zwei                            bedarf von 3.790 Plätzen für das Jahr
      In einem Offenen Brief kritisieren Kol­                       Unterrichtsstunden pro KoordinatorIn.                           2015. Vermutlich wird der Platzbedarf
    legInnen der Sonnen-Grundschule in                              Berlinweit wären das bei 390 Schulen                            aber noch größer, weil die Zahl der Kin­
    Nordneukölln, dass nur die Kinder be­                           mit Sprachförderstunden mindestens                              der, die ein Jahr später eingeschult wer­
    rufstätiger Eltern einen Hortplatz be­                          780 Stunden oder rund 30 Stellen. Aller­                        den (»Schulrücksteller«) steigt. So sind
    kommen. In Nordneukölln seien in den                            dings: Die Stunden werden aus dem                               im Vorjahr 1.994 Kinder und in diesem
    wenigsten Familien beide Elternteile be­                        Topf der Sprachförderstunden genom­                             Jahr 2.247 Kinder vom Schulbesuch zu­
    rufstätig, die meisten Eltern seien Hartz                       men. Da dieser Topf gedeckelt ist, ge­                          rückgestellt worden. Verweilen die Kin­
    IV-Empfänger, deren Kinder oft einen Be­                        hen die Ermäßigungsstunden unmittel­                            der länger in den Kitas, werden für die
    treuungsbedarf hätten. Während aber                             bar zulasten der SchülerInnen. Und das                          nachfolgenden zusätzlichen Plätze be­
    der Bedarf an ganztägiger Betreuung für                         bei einem Gesamtvolumen, das seit Jah­                          nötigt. Die GEW BERLIN erwartet, dass
    die Sekundarstufe anerkannt werde,                              ren den notwendigen Ansprüchen nicht                            der Senat nun umgehend die Konse­
    blieben die Grundschüler an den Nach­                           genügt.                                                         quenz aus diesen Erkenntnissen zieht.
    mittagen sich selbst überlassen. Die Kol­                                                                                       Dazu gehört neben der Schaffung neuer
    legInnen fordern die Fraktionen der Par­                                                                                        Plätze vor allem die Gewinnung von
    teien im Abgeordnetenhaus auf, sich da­                         Geringverdiener ohne Schutz                                     Fachpersonal. Neben dem Ausbau der
    für einzusetzen, »dass zunächst alle                            vor Altersarmut                                                 Ausbildungskapazitäten müssen vor
    Kinder der Klassen 1 – 4 den Anspruch                              Diether Döring von der Europäischen                          allem Maßnahmen ergriffen werden, die
    auf einen Hortplatz zuerkannt bekom­                            Akademie der Arbeit hat die Lohnersatz­                         den Beruf der ErzieherIn attraktiver ma­
    men«.                                                           raten aus verpflichtenden – staatlichen                         chen. Die Bezahlung ist in Berlin deut­
                                                                    wie betrieblichen – Alterssicherungssy­                         lich schlechter als im übrigen Bundesge­
                                                                    stemen in fünf Ländern verglichen. Der                          biet und es fehlt an gesellschaftlicher
    KoordinatorInnen reduzieren                                     Professor zieht für die Bundesrepublik                          Anerkennung. Schlechte Arbeitsbedin­
    Sprachförderstunden!                                            ein kritisches Zwischenfazit: Sie verfüge                       gungen, befristete und Teilzeitarbeits­
      Im Zuge des Qualitätspakets sollen ab                         nicht mehr über eine »wirklich lei­                             verhältnisse bieten ebenfalls wenig An­
    kommendem Schuljahr an den Schulen,                             stungsstarke erste Säule in der Alterssi­                       reiz. Um mit ausreichendem Erfolg für
    die Anspruch auf Stunden zur Sprach­                            cherung«. Geringverdiener hätten beim                           den Beruf werben zu können, müssen
    förderung haben, Sprachbildungskoor­                            Schutz vor Altersarmut durch die ge­                            Bezahlung und Arbeitsbedingungen ver­
    dinatorInnen durch die Schulleitung be­                         setzliche Rente schlechte Karten, profi­                        bessert werden. Für den neuen Senat
    nannt werden. Für deren Arbeit gibt es                          tieren aber auch kaum von der Riester-                          gibt es hier viel zu tun und nachzubes­
    Ermäßigungsstunden in Höhe von bis                              Rente oder betrieblichen Lösungen. Die­                         sern.
Blz - lehrkrftemangel schulE - GEW Berlin
O k t o b e r 2 0 11 |     blz                                                                                 P o s t a n d i e Re d a k t i o n    5

 Unverlangt eingesandte Besprechungsexemplare
                                                        Angestellten nach Hamburg, Baden-            Missstände vorgeht: gleicher Job und
 und Beiträge werden nicht zurückgeschickt. Die         Württemberg und Bayern abwanderten.          komplett unterschiedliche Bezahlung,
 Redaktion behält sich bei allen Beiträgen Kür­zungen
                                                        Unverständlich die verbohrte Haltung         Krankenversicherung, Altersvorsorge, ...
 vor. Beiträge möglichst auf Diskette oder per e-
 mail einsenden. Die in der blz veröffentlichten Ar-    der Gewerkschaft, selbst ein Funktionär      Für mich birgt das ungeheuren Spreng­
 tikel sind keine verbandsoffiziellen Mitteilungen,     aus der GEW-Vorstandsetage darf pole­        stoff in den Kollegien. Entweder für den
 sofern sie nicht als solche gekennzeichnet sind.
                                                        misch auf einer Personalversammlung          Angestelltenstatus und gegen die Verbe­
                                                        über den kurzen Gedanken der Grünen-         amtung sein, dann auch offensiv gegen
Leserbrief von H. Dehring zu W.                         Chefin Künast herziehen, die die Verbe­      die aktuelle missliche Situation vorge­
Harnischfeger, September-blz                            amtung anvisierte. Nun endlich spricht       hen – inklusive für Einschnitte bei den
                                                        Harnischfeger dafür. Hierfür danke ich       Beamten eintreten – oder die eigene Po­
   Weshalb tut die GEW eigentlich nichts                ihm. Ich hoffe auf immer mehr Mitstrei­      sition noch einmal überdenken. Es är­
gegen die Übernahme des Beamtensta­                     ter für einen Gesinnungswandel in der        gert mich, in jeder blz über die Unge­
tus von Lehrkräften aus anderen Bun­                    GEW, denn nicht die Landesdelegierten­       rechtigkeiten auf der ganzen Welt be­
desländern? Hat die GEW etwa Angst,                     versammlung allein ist unsere Gewerk­        lehrt zu werden, aber vor der eigenen
der Senat würde merken, dass man oh­                    schaft.                      Joachim Dams   Haustüre verschließt man die Augen. Ich
ne Verbeamtung keine Lehrkräfte aus                                                                  hätte auch gerne FairTrade in meinen
anderen Bundesländern bekommt, und                                                                   Job, das ist einer der Gründe, warum ich
wieder zur Verbeamtung zurückkehrt?                     Standpunkt W. Harnischfeger,                 in die GEW eingetreten bin.    Stephan Hell
Ich als angestellter Lehrer, der mit Ber­               Juli/August-blz
lin verbunden ist, fühle mich durch
dieses Hintertürchen vera...... Die GEW                   Danke, dass Sie das Thema Verbeam­
muss, wenn sie glaubwürdig bleiben                      tung ansprechen, da mich zurzeit das          Mete-Eks,i-Preis
will, sich entweder für eine Verbeam­                   Thema auch beschäftigt. Ich war schon
tung einsetzen, oder die Übernahme der                  kurz davor, nachzufragen, was der aktu­       wird zum 20. Mal verliehen: Im Rat-
Verbeamtung aus anderen Bundeslän­                      elle Standpunkt der GEW BERLIN ist. Au­       haus Charlottenburg (Festsaal), Otto-
dern bekämpfen (beispielsweise durch                    ßerdem können viele Ihre Position nicht       Suhr-Allee 100 am Samstag, 19. No-
den Personalrat).           Christian Hoffmann         nachvollziehen, dass das ja abzuschaf­        vember 2011 von 13 bis 18 Uhr.
                                                        fen sei. Das Argument der Konkurrenz­
                                                        fähigkeit von Berlin berührt mich nur in
Standpunkt W. Harnischfeger,                            Maßen. Eine Zeit lang habe ich mich da­
Juli/August-blz                                         mit beruhigt, das Beamtendasein ist ja        Üb r i g e n s
                                                        in anderen Bundesländern und mit hö­
   Na endlich! Also sprach Wolfgang Har­                heren Lebenshaltungskosten und nicht
nischfeger im »Standpunkt« der blz Ju­
li/August über die Abwanderungswelle
aus Berliner Schulen. Schon erheblich
                                                        im schönen Berlin. Seit ein paar Wochen
                                                        komme ich damit nicht mehr zurecht.
                                                        Es ist kein Problem, dass herauswach­
                                                                                                     D    ie Wahlen sind vorbei – ob wir froh
                                                                                                          über den Ausgang sein können, wer-
                                                                                                     den die nahe und fernere Zukunft erwei-
früher wünschte ich mir einen so klaren                 sen wird, da es immer mehr Kollegen          sen. Was wir von Worten halten können,
Vorstoß für die Verbeamtung aus rein                    gibt, die wieder mit dem Beamtenstatus       zeigen nah die jetzt anstehenden Koaliti-
perspektivischen Gründen. In den letz­                  nach Berlin zurückkommen. Es ist mir         onsverhandlungen. Werden wir einbezo-
ten drei Jahren musste ich miterleben,                  vollkommen unverständlich, warum ei­         gen, wie zugesagt, oder eben nicht? Die
dass an der Beethoven-Schule die besten                 ne Gewerkschaft nicht gegen solche           blz bleibt dran und wird berichten. Und
                                                                                                     wenig später wird sich dann in der Praxis
                                                                                                     zeigen, was es heißt, dass die Piraten ins
                                                                                                     Abgeordnetenhaus einziehen. Einiges
                                                                                                     wird sicher gegen den Strich gedacht und
                                       Die GEW Berlin trauert um                                     gesagt und belebt die Diskussion.

                                     Ingeborg Schmidt

               geboren am 21. November 1927 – gestorben am 24. Juni 2011
                                                                                                     D    ie Redaktion hatte jetzt schon viermal
                                                                                                          einen Gast. Unser Gast fand die Ar-
                                                                                                     beit spannend und interessant, schafft es
                                                                                                     aber leider nicht, kontinuierlich dabei zu
  Ingeborg war jahrzehntelang an der Gottfried-Röhl-Grundschule im Bezirk Wedding                    bleiben. Immerhin, es hat sich jemand ge-
     tätig, bewundert und geschätzt von ihren Schülerinnen und Schülern und deren                    traut, nein korrekterweise sogar zwei. Al-
    ­Eltern. Mit ihrem Engagement und ihrer Hilfsbereitschaft war sie Vorbild für viele              so, die blz-Redaktion ist offen, bewegt
      Kolleginnen und Kollegen. Sie war der Gewerkschaft treu und hinterlässt in der                 sich und bekommt positives Feedback.
                      ­Seniorengruppe Mitte eine schmerzhafte Lücke.                                 Wer noch Lust verspürt nach journali-
                                                                                                     stischem Tun und einer lebendigen, dis-
          Viele werden noch oft von ihr sprechen und sich gern an sie erinnern.                      kussionsfreudigen Gruppe, sollte einfach
                                                                                                     zu uns stoßen.                         Sigrid
                                Lore Kujawa und Heike R.-Fichthorst
                                  für die GEW-Bezirksleitung Mitte                                   Redaktionsschluss blz 12/2011: 4. November 2011
                                                                                                     Redaktionsschluss blz 1/2012: 28. November 2011
6
B e f r is t e t e H o c hs c h u l e   T i t el                                                                                      blz     | O k t o b e r 2 0 11

                                                                                                       Wir
                                                                                                     gehen den
                                                                                                      nächsten Schritt …
                                                     D
                                                             ie Laufzeiten der Verträge von wissenschaft-    Campos zur Situation des wissenschaftlichen »Nach-
                                                             lichen MitarbeiterInnen werden immer mehr       wuchses« entstanden, das wir auf der nächsten Seite
                                                             atomisiert. Das Wissenschaftszeitvertragsge-    vorstellen.
                                                     setz bietet dazu die Möglichkeit, wenn es auch nicht    Christof Mauersberger hat anschließend den Fein-
                                                     so gemeint gewesen sein mag. Anders als in fast al-     schliff seiner Anfrage an den Präsidenten der Freien
                                                     len anderen Berufsfeldern, ist für die Befristung an    Universität Berlin vorgenommen und ihn gefragt. Was
                                                     Hochschulen seitdem keine Begründung mehr nötig.        dabei herausgekommen ist, berichtet er ab Seite 8.
                                                     Das Templiner Manifest der GEW hat im September         Und was folgt daraus? Rainer Hansel stellt die not-
                                                     2010 unsere Forderungen zu Personalstruktur und         wendigen Aktivitäten vor, die jetzt in Berlin unter-
                                                     Berufswegen in Hochschule und Forschung für den         nommen werden müssen. Auch von Mitgliedern der
                                                     Standort Deutschland formuliert.                        GEW in den universitären Gremien. Ein Antragsent-
                                                     Die Abteilung Wissenschaft der GEW BERLIN hat im        wurf befindet sich im Kasten innerhalb des Artikels.
                                                     Mai des Jahres in einer Arbeitstagung über die erfor-   Zur Nachahmung (und eventuellen Anpassung an ört-
                                                     derlichen Schritte an den Berliner Hochschulen bera-    liche Gegebenheiten) empfohlen von
                                                     ten. Daraus ist ein Papier von Heidi Degethoff de                                Folker Schmidt, Abteilung Wissenschaft
O k t o b e r 2 0 11 |   blz                                                                                                   T i t el                                      7

Was zu ändern ist

                                                                                                                                                               B e f r is t e t e H o c hs c h u l e
Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses

von Heidi Degethoff de Campos, Abteilung Wissenschaft

D    ie Situation des wissenschaftlichen Nach­
     wuchses an deutschen Universitäten wird seit
Jahr und Tag beklagt. Unsichere Arbeitsverhält­
                                                          Das dritte Problem ist das fast völlige Fehlen von
                                                        Dauerstellen, die eine unbefristete Tätigkeit in For­
                                                        schung und Lehre neben der Professur erlauben
nisse, weil befristet oder in Teilzeit, kaum planbare   würde. Auch dieses Thema müsste im Rahmen ei­
Karrierewege, persönliche Abhängigkeiten, innerer       ner Gestaltung der Postdoc-Phase mit in Angriff ge­
und äußerer Druck im Falle der Qualifikation sind       nommen werden, denn der Evaluationsbericht zum

                                                                                                                                            Foto: Elke WeiSS
die am häufigsten genannten Probleme in allen           WissZeitVG fordert hier ausdrücklich Anderungen.
Studien, die bisher zu diesem Thema genannt wor­          Nach langem Zögern und einer auch dadurch
den sind.                                               verschlimmerten Situation für die Nachwuchswis­
  Dies war schon in den 80er und 90er Jahren des        senschaftlerInnen, ist es jetzt an der Zeit, auf Ver­   Heidi Degethoff de
vergangenen Jahrhunderts so – und es ist im er­         änderungen zu dringen, die zu einer nachhaltigen
                                                                                                                Campos
sten Jahrzehnt des 21. nicht besser geworden.           Verbesserung führen und die Phase der Qualifikati­
Ganz im Gegenteil: Das nach dem Auslaufen des           on in der Wissenschaft zu einer qualitätsvollen
Hochschulrahmengesetzes (HRG) vom Bundeswis­            und zukunftsorientierten Lebensphase macht.
senschaftsministerium initiierte Wissenschaftszeit­     Gleichzeitig darf die Promotion als zweite wissen­
vertragsgesetz (WissZeitVG) hat die Bedingungen         schaftliche Qualifikationsphase nicht verdecken,
wissenschaftlicher Arbeit an Universitäten und          dass der Berufseinstieg für den wissenschaftlichen
Hochschulen entscheidend erschwert: Es lässt kur­       »Nachwuchs« in das Berufsfeld Wissenschaft be­
ze und kürzeste Befristungen sachgrundlos zu, es        reits mit dem Verfassen der Doktorarbeit beginnt
erlaubt Teilzeitarbeitsverhältnisse, die eine Stelle
praktisch atomisieren, und es macht die Planbar­
keit einer wissenschaftlichen Karriere unüber­
schaubar, wenn nicht sogar unmöglich. Zu diesem         Es ist jetzt an der Zeit, auf Veränderungen zu drängen, die die
Ergebnis kommt jedenfalls das Evaluationsgutach­
ten, das Anfang März nach zweijähriger Arbeit                 Phase der Qualifikation in der Wissenschaft zu einer
vorgelegt wurde. Besonders benachteiligend sind
diese Bedingungen für Wissenschaftlerinnen und
                                                                     zukunftsorientierten Lebensphase macht.
Wissenschaftler mit Kindern, denn die gut gemein­
te Regelung im Gesetz, die Qualifizierungsphase
um je zwei Jahre pro Kind zu verlängern, wird von       und nicht erst mit dem Erreichen einer festen Stel­     * Als Post-Doktoranden
den Hochschulen nicht gewährt.                          le oder gar regulären Professur, wie es etwa die
                                                                                                                (auch Postdoc) bezeich-
                                                                                                                net man Wissenschaftler,
  Zu dieser Praxis kommt als strukturelles Problem      Hochschulrektorenkonferenz postuliert.
                                                                                                                die nach Beendigung ei-
noch die bisher gesetzlich nicht gestaltete Postdoc*-     Die GEW Berlin übernimmt hier Verantwortung           ner Promotion den Dok-
Phase hinzu, die nach dem Wegfall der C1/C2-Stel­       und entwickelt derzeit Vorschläge für die Gestal­       torgrad erlangt haben
len entstanden ist. Zwar gibt das WissZeitVG eine       tung der Befristungspraxis, der Postdoc-Phase und       und nun an einer Univer-
zwölfjährige Qualifikationsphase vor (sechs Jahre       für die Einrichtung unbefristeter Arbeitsverhält­       sität oder einem For-
zur Promotion und sechs Jahre für die Qualifikati­      nisse im Mittelbau. Dabei konzentriert sie sich auf     schungsinstitut befristet
on auf eine Professur), es lässt aber auch in diesen    die Hochschulebene. Wenn sich die Praxis »vor
                                                                                                                angestellt sind.
Phasen kürzeste Befristungen zu. So ist etwa jeder      Ort« ändert, müssen sich als Folge daraus auch
                                                                                                                **Die Juniorprofessur
zweite Arbeitsvertrag in dieser Phase weniger als       landes- bzw. bundesrechtliche Vorgaben ändern,          wurde 2002 eingeführt,
ein Jahr lang. Promovierte WissenschaftlerInnen         nicht zuletzt auch deswegen, um eine Vergleich­         um jungen Wissenschaft-
werden, bevor sie/er eine Juniorprofessur** antre­      barkeit der Bedingungen zu haben und die Mobili­        lern mit herausragender
ten können, in der Regel nur auf Drittmittel- und       tät zu fördern. Auch andere Instrumente der Hoch­       Promotion ohne die bis-
Projektbasis beschäftigt oder über Stipendien im        schulsteuerung wie Zielvereinbarungen oder Hoch­        her übliche Habilitation
Wissenschaftsbetrieb gehalten. Diejenigen, die kei­     schulverträge sollen zur Gestaltung herangezogen
                                                                                                                direkt unabhängige For-
                                                                                                                schung und Lehre an
ne Juniorprofessur oder eine Habilitationsstelle er­    werden.
                                                                                                                Hochschulen zu ermögli-
reichen, müssen einen prekären Nebenweg zur               Die GEW ist sich hier ihrer wichtigen Rolle be­       chen und sie für die Be-
Karriere in der Wissenschaft beschreiten, beispiels­    wusst und führt die verschiedenen Initiativen zu­       rufung auf eine Lebens-
weise über Lehraufträge, weil sie auf Projektstellen    sammen, damit keine Verzettelung die Aktivitäten        zeitprofessur zu qualifi-
nicht in die Lehre eingebunden sind.                    schwächt.                                              zieren.
8                                             T i t el                                                                                                         blz   | O k t o b e r 2 0 11

                                                       Kaum drin, schon wieder draußen
B e f r is t e t e H o c hs c h u l e

                                                       Befristung und Teilzeit an der Freien Universität Berlin

                                                       von Christof Mauersberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin

                                                                                 I m Rahmen der Evaluierung des Wissenschafts­
                                                                                   zeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) kamen vor ein
                                                                                 paar Monaten erschreckende Zahlen über den Um­
                                                                                                                                           Nachteil nicht nur der Studierenden. In beiden Ka­
                                                                                                                                           tegorien ist das Genderverhältnis leicht unausge­
                                                                                                                                           wogen zuungunsten von Frauen. Bei den Haus­
                                                                                 gang der Hochschulen mit Befristungen wissen­             haltsmitteln beträgt deren Anteil 49 Prozent (abso­
                                                                                 schaftlicher MitarbeiterInnen an die Öffentlichkeit.      lut: 508), bei den Drittmitteln nur 46 Prozent (ab­
                                                                                 Die Vertragslaufzeiten sind extrem kurz, Dauerstel­       solut: 537).
                                                                                 len werden immer mehr zur Ausnahme. Wir woll­ten
                                        Foto: Privat

                                                                                 wissen, wie die Situation an der Freien Universität
                                                                                 (FU) aussieht und haben dazu im Akademischen              Befristungen sind die Regel
                                                       Christof Mauersberger     Senat eine Anfrage an das Präsidium gestellt.
                                                                                                                                             Bundesweit haben nur 17 Prozent aller wissen­
                                                                                                                                           schaftlichen MitarbeiterInnen eine unbefristete
                                                                                 Drittmittel überholen Grundausstattung                    Stelle. Diese geringe Zahl wurde nach Veröffentli­
                                                                                                                                           chung der Evaluierung des WissZeitVG von ver­
                                                                                   An der FU waren zum 1. Mai 2011 (das Präsidium          schiedener Seite kritisiert: Aus der Sicht der Be­
                                                                                 nahm passenderweise den Tag der Arbeit als Stich­         schäftigten gibt es bei einer solchen Prekarisierung
                                                                                 tag für die statistischen Daten) insgesamt 2.196          viel zu wenig Planbarkeit und keine dauerhafte
                                                                                 wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt. Diese          Perspektive, wenn man Wissenschaft als Beruf be­
                                                                                 Kategorie umfasst 16 Berufsgruppen – vom wissen­          treiben möchte. Aus der Sicht der Hochschulen
                                                                                 schaftlichen Mitarbeiter/Angestellten/Assistenten,        führt eine solch hohe Personalrotation zu Proble­
                                                                                 der Lehrkraft für besondere Aufgaben, der Akade­          men bei der Sicherung der Qualität der Lehre und
                                                                                 mischen (Ober-)Rätin, dem Lektor bis zur Tierärz­         verheizt unnötigerweise an der Uni qualifizierte
                                                                                 tin. Eine wichtige Unterscheidung ist hierbei die         MitarbeiterInnen bereits nach kurzer Zeit.
                                                                                 zwischen Haushaltsstellen (die direkt über die Uni­         An der FU haben nur 257 MitarbeiterInnen eine
                                                                                 versität finanziert werden und im Stellenplan vor­        unbefristete Stelle. Das sind lediglich 11,7 Prozent.
                                                                                 gesehen sind) und Drittmittelstellen, die aus Pro­        Damit wird der traurige Bundesdurchschnitt noch
                                                                                 jektmitteln finanziert werden. Hier zeigt sich, dass      einmal deutlich unterschritten. Auch dies kann
                                                                                 an der FU knapp über die Hälfte der Stellen (1.159        zum Teil mit der hohen Summe der Drittmittel er­
                                                                                            bzw. 53 Prozent) über Drittmittel finan­       klärt werden, denn die FU nutzt diese bisher noch
                                                                                               ziert sind (in der Grafik »Anzahl WiMi«     nicht, um Dauerstellen für Daueraufgaben zu
                                                                                                 die linke Hälfte) – und damit nicht       schaffen – obwohl selbst DFG-Präsident Matthias
                                                                                                 zur »Grundausstattung« der FU ge­         Kleiner 2009 genau dafür plädierte.
                                                                                                 hören. Dies spiegelt zum einen den          Bei den Vertragslaufzeiten glaubten wir zu­
                                                                                                Erfolg der FU bei der Einwerbung           nächst, dass sich die FU hier positiv vom Bundes­
                                                                                                von Drittmitteln wider, zum anderen        durchschnitt abhebe. Die Zahlen suggerierten, dass
                                                                                               den               politisch gewollten,      der Anteil der Verträge mit Laufzeiten bis zu zwei
                                                                                                                  aber sehr bedenk­        Jahren bei 17 Prozent liegt und damit deutlich ge­
                                                                                                                  lichen Trend, die        ringer ausfällt als im bundesdeutschen Schnitt. Al­
                                                                                                                  Grundfinanzierung        lerdings stellte sich auf Nachfrage heraus, dass
                                                                                                                  der Hochschulen im­      hier nicht die Vertragslaufzeiten gemeint sind, son­
                                                                                                                  mer weiter abzusen­      dern quasi die »kumulierten Beschäftigungs­
                                                                                                                  ken. Drittmittelbe­      zeiten«. So fällt etwa eine Person mit einem Zwei-
                                                                                                                  schäftigte sind zu­      Jahres-Vertrag, der zweimal um je ein Jahr verlän­
                                                                                                                 dem in der Regel          gert wurde, verfälschenderweise in die Spalte der
                                                                                                                nicht in die Lehre in­     Vier-Jahres-Verträge, obwohl nie eine vierjährige
                                                                                                               volviert. Je stärker die­   Perspektive vorhanden war. Die tatsächlichen Lauf­
                                                                                                              ser Bereich also geför­      zeiten der aktuellen (Verlängerungs-)Verträge wer­
                                                                                                             dert wird, desto schwä­       den laut Auskunft der Personalwirtschaftsstelle
                                                                                                            cher wird die Verbindung       statistisch nicht erfasst, sodass wir hier nicht mit
                                                                                                   von Forschung und Lehre – zum           verlässlichen Zahlen rechnen können. Selbst bei
O k t o b e r 2 0 11 |   blz                                                                                                                       T i t el                    9

dieser Schönung haben immerhin noch 378 Per­

                                                                                                                                                                 B e f r is t e t e H o c hs c h u l e
sonen Verträge mit einer Laufzeit von maximal
                                                                                    Anzahl WiMi: Haushalts- vs. Drittmittel
zwei Jahren.
   Wir hatten auch danach gefragt, wie oft an der
FU die sechs Jahre (plus zwei je Kind) ausgenutzt
werden, die das WissZeitVG als Maximum pro Qua­
lifikationsphase (Promotion, Post-Doc) vorsieht.
Auch dies wird aber anscheinend an der FU nicht
erhoben. Die Verlängerungsoption des WissZeitVG
für Eltern wird an der FU mit Verweis auf die unsi­
chere Rechtslage bisher gar nicht genutzt.

Teilzeitstellen
    Interessante Zahlen haben wir auch beim Thema
  Teilzeit bekommen. Wie die Grafik auf Seite 10 ver­   Die (knappe) Mehrheit der WiMi wird über Drittmittel finanziert. Eine gesicherte Grundfinanzierung der
  deutlicht, gibt es zwei Standardsituationen: Entwe­   FU sähe anders aus ...
  der halbe oder ganze Stellen. Nur ein kleiner Teil
  der Stellen (83 MitarbeiterInnen) hat eine Arbeits­
  zeit von weniger als 50 Prozent. Das betrifft vor                        Kumulierte Beschäftigungszeiten der WiMi (FU Berlin)
  allem Kollegen am Fachbereich Rechtswissen­
  schaft, die während des Referendariats nur eine
  Viertelstelle haben dürfen. Der Regelfall an der FU
  ist jedoch die halbe Stelle (972 MitarbeiterInnen,
  oder 44 Prozent). Volle Stellen machen rund 40
  Prozent der Gesamtzahl aus.
    Interessant ist jedoch der Bereich dazwischen:
  Bei den Drittmitteln haben immerhin 14 Prozent ei­
  ne Teilzeitstelle zwischen 50 Prozent und 100 Pro­
  zent Arbeitszeit. Diese Tendenz wird sich in Zu­
  kunft verstärken, da die Deutsche Forschungsge­
  meinschaft (DFG) als wichtigster Drittmittelgeber
  seit Anfang diesen Jahres 66-Prozent-Stellen als
­Regelfall für die Promotionsphase betrachtet. Bei
 den Haushaltsstellen ist deren Anteil deutlich ge­
 ringer, denn hier werden Promotionsstellen in der
 Regel als halbe Stellen ausgeschrieben. Einige Fach­   dass je ein Drittel der Arbeitszeit für Lehre, für
 bereiche der FU (Wirtschaftswissenschaften und         Mitarbeit an der Arbeitsstelle und in den Gremien,
 Physik) stellen Promovenden aber auch auf 66           und für die persönliche Qualifikation vorgesehen
 ­Prozent-Basis ein. Hier muss die FU insgesamt         ist. Zur letzteren zählt die Promotion. Dies be­
  nachziehen, um den Aufgaben entsprechend ange­        deutet, dass die Promotion kein Privatver­
  messenere Stellen zu schaffen. An der TU sind so­     gnügen ist, sondern Teil des Arbeitsver­
  gar volle Stellen auch in der Promotion üblich, die   hältnisses. Wir werden dafür bezahlt,
  Vertragslaufzeit beträgt dort standardmäßig fünf      Wissenschaft (als Beruf) zu betreiben
  Jahre.                                                – und dazu gehört in der Promoti­
                                                        onsphase die Dissertation. Dieses
                                                        Selbstverständnis, also die For­
Die Dissertation ist kein Privatvergnügen               schung für die eigene Dissertati­
                                                        on nicht als weitere Studiumspha­
   Was diese Grafik nicht zeigt – und was auch in       se, sondern als fundamentalen
keiner Statistik erfasst wird –, sind Kettenbefri­      Bestandteil des Berufs zu verste­
stungen und die tatsächliche Arbeitszeit. Letztere      hen, ist wichtige Grundlage der
liegt vermutlich deutlich über den vertraglich fest­    hochschulpolitischen Auseinander­
gelegten und bezahlten Stunden. Wenn also die un­       setzungen.
bezahlten Überstunden zusammengerechnet wer­
den würden, sähe es anders aus. Viele akzeptieren
diese unbezahlten Überstunden, unter anderem in         Und die Konsequenzen?
der (oft vergeblichen) Hoffnung auf eine bessere
Zukunft. Viele sind sich zudem nicht einmal be­           Tatsächlich sind extrem kurze
wusst, dass ihr Arbeitsvertrag – sofern sie auf ei­     Vertragslaufzeiten an der FU sel­
ner »Qualifikationsstelle« sitzen – meist vorgibt,      tener als im Bundesschnitt. Den­
10
B e f r is t e t e H o c hs c h u l e   T i t el                                                                                                                         blz   | O k t o b e r 2 0 11

                                                                         noch betrifft dies mehrere Hun­
                                                                         dert MitarbeiterInnen. Daher ist
                                                                         eine Verwaltungsrichtlinie vor­
                                                                         stellbar, die wie an der TU be­
                                                                         stimmte Mindeststandards in Be­
                                                                         zug auf Vertragslaufzeit und Ar­
                                                                         beitszeit bei den Verträgen fest­
                                                                         legt. Ein überfälliger Schritt ist
                                                                         die Übernahme der DFG-Ent­
                                                                         scheidung, für Promovenden
                                                                         mindestens      66-Prozent-Stellen
                                                                         zu schaffen. Für eine solche Ver­
                                                                         waltungsrichtlinie ist an der FU das Präsidium zu­
                                                                         ständig. Zusätzlich werden wir darauf achten müs­
                                                                         sen, dass die Trennung zwischen Lehre und For­
                                                                         schung nicht weiter voranschreitet. Bisher gibt es
                                                                         »nur« 74 Lehrkräfte für besondere Aufgaben (mit
                                                                         16 SWS Lehrverpflichtung) an der FU, davon 30 im
                                                                         ZE Sprachenzentrum. Bei steigenden Studierenden­
                                                                         zahlen ist der Druck, von oben an die Fachbereiche
                                                                         durchgereicht, jedoch groß, wissenschaftliche Mit­
                                                                         arbeiterInnen mit Schwerpunkt Lehre einzustellen
                                                                         – »selbstverständlich« befristet.
                                                                           Um die Debatte über Arbeitsbedingungen und
                                                                         Zukunftsperspektiven wissenschaftlicher Mitarbei­
                                                                         ter an der FU zu führen, war die Anforderung der                       »Online-Lehre ist mehr wert!«
                                                                         Zahlen ein wichtiger Schritt. Sie ermöglichen eine
                                                                                                                                                Die Abteilung Wissenschaft und die AG Lehrbeauf-
                                                                                                                                                tragte der GEW BERLIN laden ein: Veranstaltung zu
                                                                                                                                                gewerkschaftlichen und didaktischen Aspekten
                                                                       Beschäftigungsumfang WiMi (FU Berlin)                                    der online-Lehre in Hochschulen. Samstag, 12.
                                                                                                                                                November von 10 bis 14.30 Uhr in der Hum-
                                                                                                                                                boldt-Universität, Dorotheenstraße 24, Raum
                                                                                                                                                1.308. Die AG Lehrbeauftragte der GEW BERLIN
                                                                                                                                                beschäftigt sich schon lange mit der online-Lehre.
                                                                                                                                                Für die Lehrbeauftragten stellt sie einen großen
                                                                                                                                                Widerspruch dar: Einerseits sind die online-Instru-
                                                                                                                                                mente eine faszinierende Bereicherung und Erwei-
                                                                                                                                                terung der Lehre. Andererseits werden Lehrbeauf-
                                                                                                                                                tragte nur für ihre Präsenzstunden bezahlt.
                                                                                                                                                Auch für die fest angestellten DozentInnen, so-
                                                                                                                                                wohl an Sprachenzentren als auch in den Fachbe-
                                                                                                                                                reichen, ist die online-Lehre problematisch, da sie
                                                                                                                                                beim Lehrdeputat bisher nicht berücksichtigt wird.
                                                                                                                                                In dieser Veranstaltung werden wir sowohl didak-
                                                                                                                                                tische als auch gewerkschaftliche Aspekte des
                                        50 Prozent-Stellen als Stan-     fundiertere Diskussion und untermauern einige                          Themas besprechen:
                                        dard in der Promotionspha-       unserer Forderungen, auch wenn vieles – wie aus­                       • Ist die online-Lehre eine gesondert zu berech-
                                        se? Die DFG und andere           genutzte Abhängigkeitsverhältnisse – nicht über                        nende Tätigkeit oder gehört sie zu den »norma-
                                        Berliner Universitäten sind      Zahlen sichtbar wird. Es wäre schön, in Zukunft die                    len« Vorbereitungen einer Unterrichtseinheit?
                                        da schon weiter.                 Situation der FU mit der anderer Hochschulen ver­                      • Falls die online-Lehrstunden für die Lehrauf-
                                                                         gleichen zu können und darüber in einen stärkeren                      tragsvergütung und bei der Höhe des Lehrdepu-
                                                                         Austausch zu treten. Das GEW-Seminar zur Reform                        tats anerkannt werden, sollen sie dann wie die Un-
                                                                         der Personalstruktur im Mai war hier ein wichtiger                     terrichtsstunden oder nur teilweise anerkannt wer-
                                                                         Schritt.                                                              den?
                                                                                                                                                • Was ist eine online-Lehrstunde eigentlich?
                                                                                                                                                Zum Schluss wollen wir die Forderungen, die in
                                                                         Dieser Artikel ist die veränderte Fassung des Beitrags unter www.fu-   der GEW erarbeitet wurden, vorstellen und disku-
                                                                         mittelbau.de/?p=574. Auf diesem Blog der Initiative FU-Mittelbau       tieren. Die Tagung richtet sich an Lehrbeauftragte
                                                                         findet sich auch der Wortlaut der Anfrage und weitere Beiträge zum     und angestellte Lehrkräfte.
                                                                         Thema.
O k t o b e r 2 0 11 |   blz                                                                                                            T i t el                                       11

Da müssen wir ran

                                                                                                                                                                              B e f r is t e t e H o c hs c h u l e
Veränderungen der Personalstruktur an den Universitäten sind notwendig

von Rainer Hansel, Leiter des Referats Hochschule der GEW Berlin

D    ie Berliner Hochschulen stehen mit dem Be­
     ginn des Wintersemesters 2011/2012 vor der
Herausforderung, mehr Studierende aufnehmen zu
                                                                   keiten Gebrauch gemacht: Manche haben akade­
                                                                   mische Räte und Oberräte wieder aus der Kiste ge­
                                                                   holt, andere haben nichts getan – und Berlin hat
müssen. Zusätzlich zu den vorhandenen Studien­                     gerade den wissenschaftlichen Mitarbeiter mit
plätzen, zusätzlich zu den bisher schon mehr auf­                  Schwerpunkt Lehre ins Berliner Hochschulgesetz

                                                                                                                                                     Foto: Kay Herschelmann
genommenen Studierenden der letzten zwei Jahre,                    eingeführt. Aber Personalstrukturen sind kein
zusätzlich zu den finanziellen, personellen und                    Selbstzweck, sondern sollen die Erfüllung der Auf­
räumlichen Möglichkeiten. Die Gründe für die be­                   gaben der Hochschulen durch einen adäquaten
sonderen Maßnahmen sind bekannt: Doppelte Abi­                     personellen Rahmen ermöglichen: differenziert,
turjahrgänge und Aussetzung der Wehrpflicht.                       funktionell.
                                                                                                                          Rainer Hansel
   Da die zur Verfügung stehenden Mittel keines­                     Die traditionelle Struktur bundesdeutscher Hoch­
wegs ausreichen, die vorhersehbaren Studienwün­                    schulen stützt sich auf einen im internationalen
sche zu realisieren, werden die verschiedensten Er­                Vergleich relativ kleinen Kreis von ProfessorInnen,
klärungsmuster bemüht: Senator Zöllner verwies                     die in der Regel in unbefristeten Beamtenverhält­
stolz auf das Vorziehen von Mitteln aus dem Hoch­                  nissen beschäftigt werden. Die größte Gruppe des
schulpakt 2020. Das Vorziehen heißt aber nur, dass                 wissenschaftlichen Personals bilden die wissen­
jetzt mehr Mittel ausgewiesen werden können. Das                   schaftlichen MitarbeiterInnen, zu 90 Prozent in be­
Vorziehen bewirkt, dass die Mittel dann am Ende
der Bachelorausbildung nicht mehr zur Verfügung
stehen werden, und von der anschließenden Ma­
sterphase redet ohnehin niemand. Die Hochschu­
                                                                     International gesehen zeichnet sich Deutschland durch eine
len sind erstaunlich ruhig, obwohl die zugesagten                        personelle Unterausstattung und Disparitäten aus.
Mittel den Hochschulen bisher nicht zur Verfü­
gung stehen. Mit einem vagen Verweis auf das neu
etablierte Hochschulfinanzierungssystem, bei dem                   fristeten Beschäftigungsverhältnissen und zumin­
über das so genannte Preis-Modell für zusätzliche                  dest in der Promotionsphase teilzeitbeschäftigt. In­
Leistungen zusätzliche Gelder zur Verfügung ge­                    ternational gesehen zeichnet sich Deutschland
stellt werden sollen, tun alle so, als ob hierin die               durch eine personelle Unterausstattung und Dispa­
Lösung vorborgen wäre. Nur ist offenbar, dass die                  ritäten aus: zu viele Aufgaben für zu wenige Mitar­
Mittel wegen der veranschlagten Rechengrößen                       beiterInnen, zu wenige ProfessorInnen, zu wenige
nicht ausreichend die Zusatzkosten abdecken wer­                   Dauerstellen unterhalb der professoralen Ebene,
den. Und ebenso problematisch schlägt die zeit­                    zu schwach entwickelte Personalentwicklungskon­
liche Verzögerung der Abrechnung und Zuweisung                     zepte und Karriereoptionen. Hinzu kommt mit
der Mittel zu Buche. Doch davon soll im Weiteren                   dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Rundum­
nicht die Rede sein. Viel mehr soll Fragen wie »Wer                sorglospaket für die Befristung des gesamten
soll eigentlich all die Aufgaben – mehr Studieren­                 hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals an
de, mehr wissenschaftliche Leistung, höhere Dritt­                 deutschen Hochschulen. Letzteres sichert die risi­
mitteleinwerbung, Erfolg im Exzellenzwettbewerb –                  kofreie Befristung für je sechs Jahre vor und nach
realisieren?«, »Wer steht hinter diesen Leis­tun­gen?«,            der Promotion sowie für die Drittmittelfinanzie­
»Unter welchen Bedingungen werden Grund- und                       rung – und das auch noch in fast beliebiger Stücke­
Zusatzleistungen erbracht?« unter dem besonde­                     lung: häufige und kurzfristige Fristverträge.
ren Aspekt der Entwicklung der Personalstruktur
nachgegangen werden.                                                 Mit diesem Kontext zeichnet sich ab, dass die ak­
                                                                   tuellen Berliner Herausforderungen wiederum zur
  Seit der Föderalismusreform sind die Personal­                   Ausweitung befristeter und prekärer Arbeitsver­
strukturen der Hochschulen ausschließlich Länder­                  hältnisse im Wissenschaftsbereich führen werden:
sache, nur die Befristung der Arbeitsverhältnisse                  Ohne eine längerfristig berechenbare Haushalts­
ist bundeseinheitlich geregelt. Die Länder haben                   grundlage mit den Unsicherheiten des neuen Hoch­
im unterschiedlichen Maße von diesen Möglich­                      schulfinanzierungsmodells werden Lehraufträge
12                                   T i t el                                                                                                 blz   | O k t o b e r 2 0 11

                                                              und befristete Mitarbeiterpositionen mit hohen           befristeter Arbeitsverhältnisse. Ebenso sind die
B e f r is t e t e H o c hs c h u l e

                                                              Lehrdeputaten (Lehrkräfte für besondere Aufga­           Hochschulverträge auch unter Aspekten des ver­
                                                              ben, unter Umständen wissenschaftliche Mitarbei­         antwortungsvollen Umgangs mit Befristungen neu
                                                              terInnen mit Schwerpunkt Lehre) den Löwenanteil          auszurichten. Der Beginn einer Wahlperiode bietet
                                                              der Zusatzlasten tragen sollen.                          die Chance neue Akzente zu setzen. Da müssen
                                                                                                                        wir ran.
                                                                Die GEW hat seit Jahren die
                                                              Diskussion um die Veränderung                                             Auf der zweiten Handlungsebene
                                                              der Personalstruktur forciert.                                          wollen wir in den Hochschulen den
                                                              Zusammengefasst unter der                                              verantwortungsbewußten Umgang mit
                                                              Forderung Wissenschaft als                                            Befristung und Personalentwicklung
                                                              Beruf hat 2010 das Templiner                                         vor­antreiben. Aktivitäten der GEW über
                                                              Manifest   der   GEW     neuen                                      die Mittelbau­initiativen, die Vertrete­
                                                              Schwung in die laufenden Veränderungs­                             rInnen in den akademischen Gremien und
                                                              prozesse auf Politik- und Hochschulebene ge­                      den Personalräten zur Ausgestaltung der
                                                              bracht.                                                  Promotionsphase, der Postdoc-Entwicklung, zu
                                                                                                                       Entfristungsstrategien wurden im vergangenen Se­
                                                                 Wir haben viel vor: Zum einen sind auf der poli­      mester intensiv diskutiert und sind in einem Semi­
                                                              tischen Ebene die Vorschläge zur Veränderungen           nar zusammengefasst worden. Mit konkreten Initi­
                                                                       der gesetzlichen Rahmenbedingungen for­         ativen im beginnenden Wintersemester wollen wir
                                                                        muliert worden – gleichberechtigte Aus­        die Voraussetzungen schaffen, dass sich für die Be­
                                                                         gestaltung von Lehr- und Forschungs­          schäftigungsbedingungen der wissenschaftlichen
                                                                          funktionen in der Personalstruktur,          MitarbeiterInnen, der Lehrkräfte neue Perspektiven
                                                                            Durchlässigkeit der Personalkatego­        eröffnen – den Qualifikationszielen angemessene
                                                                             rien, Personalentwicklung und Ten­        Vertragsgestaltungen, berechenbare und längerfri­
                                                                              ure-Track-Optionen zur Entfristung       stige Personalentwicklungsoptionen.

                                         Muster für einen Antrag zur Erhöhung des Anteils an Dauerstellen für
                                         Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Universität
                                         Die Universität strebt an, längerfristig den Anteil an unbefristeten Wissenschaftlichen Mitarbeite-
                                         rInnen unter den haushaltsfinanzierten Planstellen zu erhöhen. Als erster Schritt dazu soll bis 2015
                                         ein Anteil von … Prozent erreicht werden. Zu diesem Zweck fordert … auf, zu prüfen, welche Positi-
                                         onen dafür in Frage kommen und diese Stellen in der nächsten Zeit unbefristet zu besetzen. Über die
                                         erzielten Fortschritte ist dem … bis zum Oktober 2013 von der Hochschulleitung zu berichten.

                                         Begründung: In Deutschland ist der Anteil befristeter Wissenschaftlicher MitarbeiterInnen an Univer-
                                         sitäten im Vergleich zu anderen Ländern extrem viel höher. Das zeigt ein Schaubild, von Professor
                                         Kreckel vom HoF Wittenberg (vgl. Anlage Deutschland: 55 Prozent, Frankreich 17 Prozent, Großbri-
                                         tannien 31 Prozent, USA 20 Prozent). Dabei kann über das Ausmaß im Einzelnen gestritten werden;
                                         dass Deutschland bei den befristeten Stellen »führend« ist, ist nicht bezweifelbar.
                                         Insbesondere seit Inkrafttreten des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Jahre 2007, mit dem die
                                         Begründungspflicht für Befristungen entfiel (sachgrundlose Befristung)t ist der Anteil der befristeten
                                         Stellen stark gestiegen, wie eine Studie der Hochschul-Informations-System GmbH beweist. (vgl. da-
                                         zu Jongmanns, Georg: Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes – Ergebnisse und
                                         Schlussfolgerungen, 2011), obwohl die Absicht des Gesetzes darin bestand, den Dauerstellenanteil
                                         zu erhöhen.
                                         Alle Argumente, die für die Befristung vorgetragen werden (»Vergreisung«, »unvorhersehbare Haus-
                                         haltsmittel«) sind in den angeführten Vergleichsländern in ebensolchen Maße richtig oder falsch; sie
                                         rechtfertigen in keinem Fall eine solche Differenz zu Deutschland.
                                         Dass Mittelbaustellen mit einem mehr oder weniger großen Anteil mit Daueraufgaben belegt sind
                                         oder sein können, zeigt ein Arbeitsblatt der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Darin werden eine
                                         Vielzahl von Arbeitsinhalten aufgeführt, von denen viele Dauertätigkeiten sind. Warum die während
                                         der Tätigkeit erworbenen Qualifikationen nach einer Zeit von ein bis fünf Jahren mit der Entlassung
                                         der MitarbeiterInnen weggeworfen werden, wäre für keinen Betrieb in der »freien Wirtschaft« zu be-
                                         gründen. Warum dies im Wissenschaftsbetrieb anders ist, ist unerfindlich.
                                         An der Universität beträgt der gegenwärtige Anteil an befristeten Stellen im fraglichen Bereich … Pro-
                                         zent. Natürlich sind befristete Stellen zum Teil begründbar (Drittmittelstellen, Vertretungen). Der an
                                         der Universität vorhandene Anteil sollte aber in vertretbarem Maße reduziert werden. Das strebt die-
                                         se Beschlussvorlage an.
O k t o b e r 2 0 11 |   blz                                                                                                          Rech t & T a r i f            13

  §§ §§
                                                         Das Jobcenter ermittelte unter Abzug                  ter Texte an Hochschulen Gebühren
                                                         von Nachlassverbindlichkeiten einen                   zahlen, und zwar rückwirkend zum 1.
                                                         Nachlasswert von 19.853,26 Euro. Im                   Januar 2008. Das hat der 6. Zivilsenat

  §§ §§
                                                         Juli 2007 forderte das Jobcenter dann                 des Oberlandesgerichtes (OLG) München
                                                         von der Erbin die Rückzahlung der dem                 mit seiner Spezialzuständigkeit für Ur­
                                                         Vater bewilligten Sozialleistungen. Die               heberrechtsfragen in erster Instanz ent­
                                                         dagegen erhobene Klage hat das Sozial­                schieden. Das Urteil gilt für die gesamte

  §§ §§
                                                         gericht Berlin abgewiesen: Es sei eine le­            Bundesrepublik. Der Senat hat die Revi­
                                                         gitime Erwägung des Gesetzgebers, dass                sion zum Bundesgerichtshof zugelas­
                                                         sich das dem Hilfebedürftigen belassene               sen. Geklagt hatte die Verwertungsge­
                                                         Schonvermögen nicht zugunsten der Er­                 sellschaft VG Wort gegen die 16 deut­
                                                         ben auswirken solle. Sozialgericht Ber­               schen Bundesländer. Den Streitwert
                                                         lin, Urteil vom 24. Mai 2011 (S 149 AS                setzte das OLG auf eine Million Euro
                                                         21300/08).                                            fest. Es bezeichnete diesen Wert nach
Anzeige von Missständen                                                                                        Angaben vom 28. März jedoch als die
                                                                                                               unterste Grenze. Mehr als 20 ähnlich ge­
kein Kündigungsgrund                                                                                           lagerte Verfahren seien derzeit anhängig
                                                         Ausschluss von Klassenfahrt                           und es gehe um wirtschaftliche Interes­

E   ine Kündigung wegen Strafanzeige
    und Veröffentlichung von Missstän­
den im Betrieb des Arbeitgebers ver­
                                                         rechtmäSSig
                                                                                                               sen im Wert von einigen 100 Millionen
                                                                                                               Euro. Eine vergleichbare Regelung zwi­
                                                                                                               schen der VG Wort und den Bundeslän­
stößt gegen Artikel 10 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (Recht auf
freie Meinungsäußerung), wenn Anzeige
                                                         A    ggressives Fehlverhalten gegenüber
                                                              Mitschülern kann den Ausschluss
                                                         von einer Klassenfahrt rechtfertigen. Mit
                                                                                                               dern als Träger von Schulen gibt es be­
                                                                                                               reits seit 2006 für den Unterricht an
                                                                                                               Schulen. Weitere Infos online unter:
und Öffentlichmachung sachlich be­                       dieser Begründung hat das Verwaltungs­                http://bildungsklick.de/a/78227/laen­der-
gründet gewesen sind, stellte der Euro­                  gericht Berlin die Eilanträge zweier                  muessen-fuer-genutzte-texte-zahlen
päische Menschenrechtsgerichtshof in                     Schüler einer siebten Klasse eines Gym­                                                 Ilse Schaad
seinem Urteil vom 21. Juli 2011 fest. Ge­                nasiums in Berlin-Zehlendorf zurückge­
klagt hatte eine Altenpflegerin, die Pfle­               wiesen, die ihren Ausschluss von einer
gemissstände in einem Vivantes-Alten­                    Klassenreise hatten rückgängig machen
pflegeheim öffentlich gemacht hatte,                     wollen. Die beiden 13-jährigen Antrag­                Berufsgenossenschaft
weswegen ihr gekündigt wurde.                            steller hatten in einer Schulpause am
                 Quelle: DGB-Rechtsticker August 2011   13. Mai 2011 mit einer Gruppe weiterer                trägt Beweislast
                                                         Schüler zwei Mitschüler in ein Rondell

Erben müssen Hartz IV-Leistungen
                                                         aus Holzbänken geschubst, sie mit Ge­
                                                         walt gehindert, den Kreis wieder zu ver­
                                                         lassen und ihre Freilassung von dem
                                                                                                               D    er Unfallversicherungsträger trägt
                                                                                                                    die Beweislast dafür, dass die/der
                                                                                                               Versicherte nach Antritt des versicher­
                                                         Ausgang eines Zweikampfs abhängig ge­                 ten Weges zur Arbeit seine Handlungs­
zurückzahlen                                             macht. Erst nach Einschreiten einer                   tendenz dahingehend geändert hat,
                                                         Lehrkraft ließen sie von den beiden ab.               dass er nicht mehr seine Arbeitsstätte

D    ie Erben eines Hartz IV Empfängers
     sind zum Ersatz der Sozialleistun­
gen verpflichtet, die dieser in den letz­
                                                         Bis dahin hatten sich zahlreiche weitere
                                                         Schüler durch Schreien und Schubsen
                                                         der Gruppe der Antragsteller angeschlos­
                                                                                                               erreichen, sondern sich aus eigenwirt­
                                                                                                               schaftlichen Gründen einer privaten Tä­
                                                                                                               tigkeit zuwenden wollte (Landessozial­
ten zehn Jahren vor seinem Tod erhal­                    sen. Die 3. Kammer des Verwaltungsge­                 gericht Baden-Württemberg, Urteil v. 15.
ten hat, sofern der Leistungsbetrag                      richts bestätigte am 14. Juni 2011 die                April 2010, Az: L 6 U 3210/09,
1.700 Euro überstieg. Dabei ist die Er­                  Rechtmäßigkeit der gegenüber den An­                                           Quelle: DGB-einblick 10/10
satzpflicht der Erben auf den Wert des                   tragstellern verhängten Ordnungsmaß­
Erbes begrenzt. Ausnahmen von der Er­                    nahme. Bliebe derartiges Fehlverhalten
benhaftung gelten nur für Angehörige,                    sanktionslos, würde die Schule die zur
die den Verstorbenen gepflegt und mit                    Vermittlung der genannten Ziele erfor­                Staatliche Schule geht vor
ihm zusammengewohnt haben, wenn                          derliche Glaubwürdigkeit und Durchset­
das Erbe 15.500 Euro nicht übersteigt,
oder in besonderen Härtefällen.
  Im November 2006 teilte die Klägerin
                                                         zungsfähigkeit einbüßen.
                                                                         (VG 3 L 350.11 und VG 3 L 351.11).   B   ehinderte Kinder haben Anspruch
                                                                                                                   auf Hilfen zu einer angemessenen
                                                                                                               Schulbildung im Rahmen der Eingliede­
dem beklagten Jobcenter Marzahn-Hel­                                                                           rungshilfe. Kann der besondere sonder­
lersdorf den Tod ihres 60 Jahre alten Va­                                                                      pädagogische Bedarf in einer staatlichen
ters mit, der von Januar 2005 bis Okto­                  Nutzung von geschützten                               Förderschule erbracht werden, so muss
ber 2006 Hartz IV-Leistungen in Höhe                                                                           der Sozialhilfeträger das Schulgeld für
von insgesamt 11.918,04 Euro erhalten                    Texten an Hochschulen                                 den Besuch einer Privatschule nicht
hatte. Sein Vermögen von rund 22.000                                                                           übernehmen (Hessisches Landessozial­
Euro war dabei als sogenanntes Schon­
vermögen nicht angerechnet worden.                       D    ie Bundesländer müssen für die
                                                              Nutzung urheberrechtlich geschütz­
                                                                                                               gericht, Urteil vom 22. November 2010
                                                                                                               — Az.: L 950 7/09)    Quelle: DGB-einblick 6/11
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