Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de

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Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
11 / 12-2016

                                                                                                      (Bildungs-)Reichtum umverteilen!
                                                                                                      Fünf Jahre Sekundarschule
                                                                                                      Gute Arbeit an der Hochschule
                                                                                                      Leitbild: Lernen im digitalen Wandel
                                                                                                      Mobilisieren für die Tarifrunde 2017
                                                       DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT       Jugendarbeit vor Ort stärken

                                                                                                       Weiterbildung:
                                                                                                  Fit für die Zukunft.
68. Jahrgang November / Dezember 2016 ISSN 0720-9673
K 5141
Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
Illustration: gettyimages .de / fotolia.com  / amg
                                                      Bildung. Weiter denken!
                                                                                        Bochumer Kongress
                                                                         Save the date: 3. und 4. März 2017

DER FACHKONGRESS FÜR BILDUNG IN NRW
LOBBYISMUS AN SCHULEN . Bildungsgerechtigkeit . Migration & Integration
Frühkindliche Bildung . Digitalisierung Hochschule & Studium . Schulentwicklung
Heterogene Lerngruppen . Lehrer*innenausbildung . Inklusion

Prof. Dr. Tim Engartner zeigt beim Bochumer Kongress,                           „Die ‚Bildungsrepublik Deutsch-
wie Unternehmen und unternehmensnahe Stiftungen Ein-                            land‘ befindet sich – so mein
fluss auf den Bildungssektor nehmen und um Schüler*innen                        Eindruck – im permanenten
buhlen, zum Beispiel mit kostenlosen Unterrichts-                               Ausnahmezustand. Ich erhoffe
materialien. Er ist Professor für Didaktik der Sozialwissen-                    mir vom Bochumer Kongress
schaften mit dem Schwerpunkt schulische Politische                              wertvolle Impulse für die
Bildung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.                            bildungspolitische Debatte.“
                                                               Der Experte im Interview:
                                                               www.tinyurl.com/Bochumer-Kongress-Engartner
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nds 11/12-2016 3

(Weiter-)Bildung als Schlüssel
   Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beschreibt Bildung als Schlüssel
für Teilhabe und Integration. Sie schließt nicht nur Zugänge zu Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit
auf, sondern auch zur sozialen, politischen und kulturellen Teilhabe. Besorgniserregend vor diesem
Hintergrund ist, dass die soziale Selektivität des Bildungswesens bislang nicht gedämpft werden
konnte – auch in der Weiterbildung setzt sie sich fort. Das Resultat: Nicht alle Bevölkerungsgruppen
können in gleichem Maße von Weiterbildung profitieren – so auch ein Teil der Personen, die selbst
oder deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind. Dies zeigen etwa die aktuellen Ergebnisse
des Adult Education Survey. Demzufolge sind Erwachsene mit Migrationshintergrund besonders
in der betrieblichen Weiterbildung unterrepräsentiert. Auch Analysen auf Basis des Nationalen          Halit Öztürk
Bildungspanels zeigen diese Tendenz, aber nicht gleichermaßen für alle Personengruppen:                Westfälische Wilhelms-Uni-
So weist die zweite Generation von Zugewanderten in allen Weiterbildungssegmenten höhere Teil-         versität Münster, Institut für
nahmequoten auf als die erste. Die ungleiche Weiterbildungsbeteiligung allein mit dem Merkmal          Erziehungswissenschaft,
„Migrationshintergrund“ zu erklären, greift daher deutlich zu kurz. Stattdessen ist er mit vielen      Arbeitsbereich Erwachsenen-
weiteren Faktoren verknüpft, die unterschiedliche Lösungsansätze für mehr Chancengleichheit            bildung / Weiterbildung
und Bildungsgerechtigkeit erfordern.
Teilhabebarrieren gezielt abbauen
   Der schulische und berufliche Erfolg in Deutschland ist stark an sozialstrukturelle Faktoren
gekoppelt, wobei Zugewanderte häufiger untere Positionen einnehmen und damit in einem
beruflichen Arbeitsumfeld tätig sind, das geringe Möglichkeiten für qualifikatorische Weiterent-
wicklung eröffnet. Gleichzeitig wird ihre wenig attraktive Stellung auf dem Arbeitsmarkt durch die
fehlende Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen mitverursacht. Zugewanderte
sind häufiger von sprachlichen Barrieren betroffen und erhalten seltener Informationen über
geeignete Weiterbildungsangebote aus ihrem sozialen und beruflichen Umfeld als Personen,
die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Insofern hängt die Teilhabe an Weiterbildung
nicht allein von den Teilnehmenden ab, sondern auch von äußeren Faktoren. Wenn auch ein
Migrationshintergrund in zweiter Generation durch bessere schulische und berufliche Qualifikationen
eine stärkere Beteiligung an Weiterbildung bedeutet: Der Anteil der ersten Generation wird auch
zukünftig – etwa durch Fluchtmigration – hoch bleiben. Es besteht dringender Handlungsbedarf,
um die spezifischen Teilhabebarrieren abzubauen.
Umfassende Herausforderungen, differenzierte Lösungen
   Die Weiterbildung ist gefordert, die Interessen und Bedarfe dieser vielfältigen Bevölkerungs-
gruppe zu erschließen und zu identifizieren, damit diese neben zielgruppenspezifischen Deutsch-,
Grundbildungs- und Integrationskursen auch von den Regelangeboten etwa zu politischen, kultu-
rellen, gesundheits- oder persönlichkeitsbezogenen Themen stärker profitieren kann. Dabei bieten
zielgruppenspezifische Angebote eine gute Gelegenheit, die Teilnehmenden für das Regelangebot
der Einrichtungen zu gewinnen. Auch erste Beratungsangebote zu Weiterbildungs- und Förder-
möglichkeiten können hier gemacht werden. Um migrationsbedingte Vielfalt in der Weiterbildung
umfassend zu fördern, müssen gleichwohl weitere Organisationsebenen einbezogen werden:
Prozesse der Personalgewinnung und -entwicklung, der Angebotsentwicklung und Teilnehmerge-
winnung sind darauf zu überprüfen, inwieweit sie die Weiterbildungsteilhabe von Erwachsenen
mit Migrationshintergrund unterstützen. Politisches Handeln darf den Weiterbildungsbereich
nicht länger nur am Rande berücksichtigen, sondern muss die Anerkennung von Bildungs- und
Berufsqualifikationen ermöglichen sowie Förderanreize im Bereich des Lebenslangen Lernens
schaffen. Wer gleiche Teilhabechancen schaffen will, muss den Kreislauf aus gering qualifizierter
Beschäftigung, geringer Weiterbildungsteilhabe und ungleichen Zugangschancen zum Arbeitsmarkt
durchbrechen. Das wird nur im Zusammenwirken aller gesellschaftlicher AkteurInnen möglich. //
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4 INHALT

THEMA
Lehrkräfte für besondere Aufgaben
stärken! Für Gute Arbeit und sichere
Perspektiven.
Aus dem Alltag einer Lehrkraft
für besondere Aufgaben: An der
Belastungsgrenze – und darüber
hinaus
Lehrkräfte für besondere Aufgaben:
Bezahlung tariflich regeln!
Lehrkräfte für besondere Aufgaben:      S. 17
Befristungspraxis beenden!
GEW NRW fordert Entfristungs-
offensive: Karrierewege an der
Hochschule planbar machen
Kommission „Rahmenkodex für
gute Beschäftigungsbedingungen“
eingerichtet
Akkreditierung von Studiengängen
Höchste Zeit für eine Reform

Weiterbildung: Fit für die Zukunft.
Beteiligung: Herausforderung für
Politik und Einrichtungen         8
Finanzierung: Landesregierung           S. 8

verstärkt ihr Engagement         10
Digitalisierung: Soziale Spaltung
verringern11

                                       Bochumer Memorandum:
BILDUNG                                (Bildungs-)Reichtum umverteilen!
                                       Fünf Jahre Sekundarschule:
                                                                                   12

                                       Auf gutem Weg zu einer Schule für alle     14
                                       Landtagswahlen 2017 – Wahlprogramm der FDP:
                                       Lindners Mondfahrt                         16
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         ARBEITSPLATZ
        Digitalisierung in der Bildung –
        Leitbild der Landesregierung:
        Bildungseinrichtungen zeitgemäß
        gestalten26
        Im Gespräch mit Andreas Gehrke:
        Im Fokus steht die Mobilisierung28
        Lehrkäftemangel in NRW:
        Duisburger Grundschulen
        fordern Soforthilfe             29
S. 26   JugendkoordinatorInnen für
        die GEW NRW: We want you! 30
        Personalrätekonferenz des DGB
        NRW: Neue Herausforderungen
        für den öffentlichen Dienst     31

        Dieser nds ist die „Besoldungstabelle 2017 für Beam-
        tinnen und Beamte in NRW“ beigelegt. Sollte sie in Ihrer
        Ausgabe versehentlich fehlen, geben Sie uns Bescheid
        unter poststelle@gew-nrw.de.

S. 28

        IMMER IM HEFT
           nachrichten6
           leserbriefe25
           buchtipps32
           weiterbildung33
           jubilare33
           infothek34
S. 12      termine39
           impressum39
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6 NACHRICHTEN

Grundbildung sichert Teilhabe
                                                                                                 „Arbeitsplatzbezogene Grundbildung fördern!“, lautet die Forde-
  Wer sollte die Kosten tragen, wenn ArbeitnehmerInnen an                                     rung des 2. Grundbildungstags NRW, der am 14. November 2016 in
  Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen teilnehmen?
                                                                                              Mülheim stattfand. Eingeladen hatten „Arbeit und Leben NRW“, das
                                                                                              DGB-Bildungswerk NRW e. V. und das Bildungswerk der Nordrhein-
  Nach Ansicht der ArbeitnehmerInnen           Nach Ansicht der ArbeitgeberInnen
  sollten die Kosten getragen werden ...1      sollten die Kosten getragen werden ...2        Westfälischen Wirtschaft. Rund zwölf Prozent der Erwerbstätigen
                                                                                              in Deutschland können allenfalls einzelne Wörter und Sätze lesen
                                        62                                      63
         vom Staat
                                   53
                                                      vom Staat
                                                                               58
                                                                                              und schreiben. Damit fehlen ihnen wesentliche Voraussetzungen
                                                                                              für die Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.
  von den Teilneh-                47           von den Teilneh-                 65
  merInnen selbst                              merInnen selbst
                                                                                              Ein Tabuthema ist Analphabetismus am Arbeitsplatz nicht mehr,
                                       57                                            75
                                                                                              wie eine Studie der Stiftung Lesen aus 2015 belegt: 34 Prozent der
                             33                                        23                     ArbeitnehmerInnen kennen Betroffene innerhalb ihres Betriebs, bei
  vom Arbeitgeber                               vom Arbeitgeber
                            32                                         23
                                                                                              den ArbeitgeberInnen sind es sogar 42 Prozent. Dabei herrscht dort,
      keine Angabe
                       8
                                                   keine Angabe
                                                                  4                           wo Betroffene bekannt sind, größere Unterstützungsbereitschaft –
                      6                                           4                           etwa in Hinblick auf die Kostenübernahme. Landesregierung und
                                                                                              Sozialpartner vereinbarten in Mülheim, ihr Engagement für betriebliche
  Betroffene im Betrieb; 1n=534; 2n=228 Keine Betroffenen im Betrieb; 1n=592; 2n=282
  Basis: alle Befragten; Angaben in Prozent; Mehrfachantworten                                Grundbildung gemeinsam weiterzuentwickeln. Dazu vereinbarten
                                                                                              die Sozialpartner in einer gemeinsamen Erklärung einen Maßnah-
Quelle: Stiftung Lesen, Alphabetisierung und Grundbildung am Arbeitsplatz. Sichtweisen        menkatalog. www.grundbildungstag.nrw                              hei
im beruflichen Umfeld und ihre Potenziale (2015), www.tinyurl.com/SAPfA-Studie

                                             Respekt!                                     Mehr Geld für SchulleiterInnen
                                                Die nordrhein-westfälische Lan-               Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im Zuge der Bera-
            Begreifen                        desregierung hat mit der „Woche              tungen für den Landeshaushalt 2017 beschlossen, für SchulleiterInnen
        zum Eingreifen                       des Respekts“ vom 14. bis 18.                an Grund- und Hauptschulen, die bislang nach A 12 oder A 13 besoldet
                                             November 2016 ein klares Zeichen             werden, die Besoldung um eine Stufe zu erhöhen. Die GEW NRW, die sich
 Total digital                               gegen Hass und Gewalt gesetzt.               seit Jahren für eine deutlich höhere Bezahlung des Leitungspersonals
 Die Arbeitswelt verändert sich              Zivilgesellschaftliche Initiativen           einsetzt, begrüßt diese überfällige Entscheidung. Die Landesregierung
 rasant, alles wird digital und              und auch viele Schulen stellten ihre         folgt damit einer Empfehlung der „Projektgruppe Schulleitungen“ des
 vernetzt. Was bedeutet das für
 die Beschäftigten? Fachleute der            Projekte für gegenseitige Achtung            Schulministeriums. „Die Leitung einer Grundschule oder einer Hauptschule
 Hans-Böckler-Stiftung beantwor-             und den respektvollen Umgang                 erfordert echte Managementqualitäten. Das Verantwortungsspektrum
 ten in einer aktuellen Analyse              miteinander vor. Gewerkschaften,             ist in den letzten Jahren rasant gestiegen, hier sind Führungskräfte mit
 die wichtigsten Fragen.                     Kirchen und Arbeitgeberverbän-               umfassenden Kompetenzen gefragt. Die Landesregierung erkennt dies
 www.tinyurl.com/HBS-Report
                                             de setzen sich in einer Erklärung            endlich an“, so GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. So sehr die
 Nachwuchssorgen                             für ein weltoffenes und tolerantes           Initiative der Landesregierung zur Verbesserung der Besoldung von
 Die Bundeswehr auf Nachwuchs-               NRW ein. www.tinyurl.com/Welt-               SchulleiterInnen zu begrüßen ist, so sehr ist es jedoch erforderlich, dass
 fang: Mit der Webserie „Die Re-             offenes-NRW                     hei         der Landtag im parlamentarischen Verfahren nachbessert. Der Vorschlag
 kruten“, die samt Werbung rund                                                           der Landesregierung ist unausgewogen im Sinne guter Schulentwicklung
 acht Millionen Euro kostet, will
 sie Freiwilige für den Wehrdienst           Digitalisierung                              und fairer Besoldung: Wer die Besoldung von SchulleiterInnen verbessert,
                                                                                          muss auch die Besoldung der stellvertretenden SchulleiterInnen analog
 gewinnen. Und gleichzeitig die
 Realität ungeschönt darstellen.                Zum Nationalen IT-Gipfel am 16.           erhöhen.                                                              bp
 Die taz fragt: Geht das?                    und 17. November 2016, der den
 www.tinyurl.com/taz-Rekruten                Schwerpunkt auf Digitale Bildung             Schulen sind überwiegend weiblich
                                             legte, erklärte Elke Hannack, stell-
 Trump – und jetzt?
                                             vertretende DGB-Vorsitzende: „Bund              Von den 154.010 hauptamtlichen Lehrkräften an den allgemeinbil-
 Noch gelten die USA als wirt-
 schaftliche und politische Welt-            und Länder sollten ein Gesamtpaket           denden Schulen in NRW waren im Schuljahr 2015 / 2016 nur gut ein
 macht – doch mit Donald Trump               aus Schulsanierung, Schulsozialarbeit        Viertel Männer. Der Anteil der männlichen Lehrkräfte ist damit in den
 drohen Protektionismus und das              und digitaler Ausstattung schnü-             letzten zehn Jahren um fünf Prozentpunkte auf 27,9 Prozent gesunken.
 Ende der Globalisierung. Das                ren. Dabei darf es nicht nur um die          Insbesondere Grundschulen sind betroffen: Hier hat sich der Lehreranteil
 Dossier des Instituts der deut-
                                             Ausstattung mit WLAN und Tablets             seit dem Schuljahr 2005 / 2006 von 10,9 Prozent auf 8,7 Prozent verrin-
 schen Wirtschaft Köln gibt einen
 Überblick über die US-Wirtschaft            gehen. Notwendig ist auch eine päda-         gert. Den höchsten Männeranteil gab es 2015 / 2016 in NRW mit 41,2
 vor Trump – und zeigt nach und              gogische Debatte um Chancen und              Prozent an Gymnasien. Zugleich war hier der Rückgang der Männerquote
 nach, wie es weitergeht.                    Risiken der Digitalisierung." Mehr           mit zehn Prozentpunkten am höchsten; vor zehn Jahren lag die Quote
 www.tinyurl.com/iwd-Trump
                                             dazu auf Seite 26.      hei / DGB           noch bei über 50 Prozent.                                 hei / IT.NRW
Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
nds 11/12-2016 7

                                                                                     Hochschulvereinbarung NRW 2021
                                                                                        Gemeinsam mit NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und den
                                                                                     Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenzen Prof. Dr. Gerhard Sagerer
                                                                                     und Prof. Dr. Marcus Baumann hat NRW-Wissenschaftsministerin Svenja
                                                                                     Schulze die Hochschulvereinbarung NRW 2021 unterzeichnet. Bei der
                                                                                     Vereinbarung zwischen Land und Hochschulen für 2017 bis 2021 geht
                                                                                     es um die Verstetigung von Finanzmitteln im Umfang von insgesamt
                                                                                     250 Millionen Euro. „Aus diesen Mitteln können nun unbefristete Stellen
                                                                                     geschaffen werden“, so die Erwartung der Ministerin. Das Land werde
                                                                                     künftig auch alle Besoldungs- und Tarifsteigerungen übernehmen sowie
                                                                                     weitere Finanzmittel – unter anderem für die LehrerInnenausbildung – in
                                                                                     die Hochschulhaushalte verlagern. Die Hochschulen verpflichten sich
v.l.n.r.: Andreas Meyer-Lauber (Vorsitzender des DGB NRW), Christina Kampmann        unter anderem zur Umsetzung des Landeshochschulentwicklungsplans
(NRW-Familienministerin), Sabine Uhlenkott (ver.di NRW), Joyce Abebrese (GEW         und zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen Studienabbruch, errichten
NRW) und Stefanie Baranski-Müller (DGB NRW)                      Foto: U. Reinker   Teilzeitstudiengänge und richten künftig mehr Dauerstellen ein. bp

Kita-Konferenz der Gewerkschaften                                                    Hilfe für geflüchtete KollegInnen
   Gemeinsam mit NRW-Familienministerin Christina Kampmann, Ver-
                                                                                        Die Zahl der Flüchtlinge aus der Türkei steigt: Bis Ende September 2016
treterInnen von GEW NRW und ver.di NRW sowie zahlreichen gewerk-
                                                                                     wurden 3.973 Asylanträge von türkischen StaatsbürgerInnen in Deutschland
schaftlich organisierten Kitabeschäftigten diskutierte der DGB NRW am
                                                                                     gezählt – mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2015. Sakine
12. November 2016 im Rahmen der Kita-Konferenz die Eckpunkte zum
                                                                                     Esen Yilmaz, die bisherige Generalsekretärin der Bildungsgewerkschaft
geplanten Kita-Gesetz. Die NRW-Landesregierung möchte das neue Gesetz
                                                                                     Egitim Sen, ist im September 2016 nach Deutschland geflohen, um einer
in der nächsten Legislaturperiode auf den Weg bringen. Der DGB NRW
                                                                                     drohenden Verhaftung zu entgehen. Sie wird wegen ihrer gewerkschaftlichen
hatte im Vorfeld der Kita-Konferenz gemeinsam mit der GEW NRW und
                                                                                     Arbeit in der Türkei verfolgt. Die GEW unterstützt die türkische Kollegin
ver.di NRW Eckpunkte erarbeitet, die aus Sicht der Gewerkschaften in
                                                                                     und finanziert über den Heinrich-Rodenstein-Fonds die anwaltschaftliche
das Gesetz aufzunehmen sind. Oberstes Ziel ist es, dass Kitas endlich als
                                                                                     Unterstützung ihres Asylantrags. Die Bildungsgewerkschaft rechnet mit
Bildungseinrichtungen anerkannt und entsprechend mit mehr finanziellen
                                                                                     weiteren GewerkschafterInnen aus der Türkei, die nach Deutschland
Ressourcen und mehr qualifiziertem Personal ausgestattet werden. Das
                                                                                     flüchten werden und ruft deshalb zu Spenden auf. Spendenkonto: Heinrich-
Eckpunktepapier der Gewerkschaften steht zum Download bereit unter
                                                                                     Rodenstein-Fonds // Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale // IBAN:
www.tinyurl.com/Eckpunkte-Kita-Gesetz                  hei / DGB NRW
                                                                                     DE88 5005 0000 0084 0001 24 // BIC: HELADEFF// Stichwort: Hilfe
                                                                                     für verfolgte Gewerkschafter                           Manfred Brinkmann
DGB analysiert Ausbildungsstatistik
   Viel zu wenig BewerberInnen, um alle freien Ausbildungsplätze zu
besetzen? Das stimmt so nicht, sagt eine DGB-Kurzanalyse der Ausbil-
dungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Rund 283.000 Jugendliche,
die als ausbildungsreif eingestuft wurden, sind leer ausgegangen – und
wurden in Ersatzmaßnahmen geparkt. Ihre Chancen auf einen Abschluss
sind gering. „Die Geschichte vom Azubi-Mangel entpuppt sich bei Licht
betrachtet als Märchen“, erklärt die stellvertretende DGB-Vorsitzende,
Elke Hannack. Die Kurzanalyse steht zum Download bereit unter www.
tinyurl.com/DGB-Ausbildungsstatistik.                            DGB
                                                                                     Die GEW unterstützt die geflüchtete Gewerkschafterin Sakine Esen Yilmaz mit Hilfe

Umlage des Weihnachtsgeldes                                                          des Heinrich-Rodenstein-Fonds.                      Foto: D. Hoppe / NETZHAUT

   Der Dienstherr in NRW legt das Weihnachtsgeld zum 1. Januar
2017 um in die normale Grundtabelle der Bezüge der BeamtInnen. Die
                                                                                      Zum Jahreswechsel
Beitragsordnung der GEW – zuletzt beschlossen vom Bundesgewerk-                         Mit dieser Ausgabe geht das nds-Jahr 2016 zu Ende. Allen Leserinnen
schaftstag 2013 – berechnet den GEW-Mitgliedsbeitrag immer auf die                    und Lesern, allen Kolleginnen und Kollegen wünschen wir eine ruhige
                                                                                                                                                                         Foto: go2 / photocase.de

Bezüge nach der Grundtabelle. Das Weihnachtsgeld war deshalb – wie                    Adventszeit, schöne Weihnachtstage und einen guten Start in ein
zum Beispiel auch familienbezogene Bestandteile der Bezüge – nicht                                       glückliches Jahr 2017! GEW-Landesgeschäftsstelle,
                                                                                                         NDS Verlag und nds-Redaktion machen vom
beitragswirksam. Mit der Umstellung wird die Erhöhung beitragswirksam,
                                                                                                         23. Dezember 2016 bis einschließlich 1. Januar 2017
wie es die Bezüge nach der Grundtabelle bis jetzt auch sind. Daher wer-                                  Ferien. Ab dem 2. Januar sind wir zu den üblichen
den die Mitgliedsbeiträge zum 1. Januar 2017 an diese neue Situation                                     Geschäftszeiten wieder für Sie da!
angepasst. Christian Peters, Kassierer der GEW NRW
Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
Foto: tomertu /shutterstock.com
8 BILDUNG

Weiterbildungsbeteiligung

Gemeinsame Herausforderung
für Politik und Einrichtungen
Die Frage nach der Teilnahme an den Weiterbildungsangeboten in NRW wirbelt                                 Von 1979 bis 2007 hat das Bundesministe-
seit vielen Jahren immer wieder eine Menge Staub auf. Und obwohl sich viele                             rium für Bildung und Forschung alle drei Jahre
gute Projekte schon lange und erfolgreich darum bemühen, auch die Zielgruppen                           statistische Daten über das Weiterbildungsver-
zu erreichen, die bislang in der Weiterbildung eher unterrepräsentiert sind, bleibt                     halten in Deutschland erhoben und in einem
viel zu tun, um echte Teilhabe für alle BürgerInnen zu ermöglichen.                                     Trendbericht bereitgestellt. Seit 2007 wird das
                                                                                                        Lernen im Erwachsenenalter, angepasst an euro-
   Das Weiterbildungsgesetz (WbG) in NRW           sich dabei vordringlich für die quantitative und
                                                                                                        päische Vergleichsstudien, nach den Parametern
garantiert den Einrichtungen für ihr Programm      qualitative Beteiligung an der Weiterbildung
                                                                                                        des „Adult Education Survey“ (AES) erhoben. Die
die völlige Lehrplanfreiheit und geht von der      zu interessieren. Im Übrigen werden sich die
                                                                                                        Ergebnisse beider Forschungsstrategien bestä-
freiwilligen Teilnahme aller Lernenden an den      Einrichtungen im neuen Berichtswesen Mitte
                                                   2017 mit den Daten aus dem Programmjahr              tigen der Weiterbildung in der Bundesrepublik
offen zugänglichen Veranstaltungen aus. Es
verlangt ferner für die Förderung von Bildungs-    2016 der politischen Erwartung nach einer            eine relativ hohe Weiterbildungsbeteiligung von
veranstaltungen im Durchschnitt lediglich zehn     Leistungsbilanz umfassend und differenziert          bis zu 50 Prozent aller BürgerInnen. Nordrhein-
TeilnehmerInnen. Ein zentraler Reibungspunkt:      stellen. Die Einrichtungen rechnen allerdings        Westfalen hat sowohl im Berichtssystem Wei-
Der Anteil der Landesmittel an der Finanzierung    auch damit, dass sie dann auf dieser Basis die       terbildung bis 2007 sowie in den folgenden
der anerkannten Einrichtungen hat sich in den      Forderung nach verbesserter Ausstattung – mit        AES-basierten Berichten im Ländervergleich
vergangenen Jahren kontinuierlich verringert,      anderen Worten: besserer finanzieller Förde-         beständig Spitzenpositionen eingenommen.
bei den kommunalen Einrichtungen auf circa         rung – für die bestehende und die notwendige            Umso größer war in diesem Sommer die Irri-
20 Prozent, bei anderen Einrichtungen auf circa    Programmarbeit und ihren infrastrukturellen          tation, die die Bertelsmann Stiftung mit ihrem
25 Prozent. Im Vergleich der Bundesländer          Voraussetzungen untermauern können.                  zum zweiten Mal herausgegebenen „Deutschen
nimmt NRW bei den Ausgaben pro BürgerIn                Die Frage nach der Weiterbildungsbeteiligung     Weiterbildungsatlas“ ausgelöst hat. Während
seit Jahren nur noch einen mittleren Platz ein.    ist nie eine rein quantitative gewesen, denn es
                                                                                                        der AES der Weiterbildung bundesweit eine
Aber in absoluten Zahlen liegen die Aufwen-        geht nicht einfach darum, unter den BürgerInnen
                                                                                                        durchschnittliche Teilnahmequote von 50 Pro-
dungen des Landes NRW weit an der Spitze des       eine hohe Teilnahmequote zu erreichen. Vielmehr
                                                                                                        zent attestiert, sieht der Weiterbildungsatlas
nationalen Rankings, in 2016 zum Beispiel mit      sollen vor allem diejenigen erreicht werden,
                                                                                                        hier nur noch durchschnittlich 12,3 Prozent.
fast 130 Millionen Euro.                           die aufgrund sozialstruktureller Merkmale und
                                                   Lebenslagen – zum Beispiel Geschlecht, Alter,        Und noch schlimmer: NRW liegt mit einer Quote
Weiterbildung messbar machen                       Zuwanderungshintergrund, schulische und beruf-       von 10,4 Prozent im Bundesvergleich ganz weit
   Diese (absolute) Sonderstellung der Weiter-     liche Qualifikation, Erwerbsstatus oder berufliche   hinten – zusammen mit anderen Bundesländern,
bildung in NRW motiviert die politischen Kräfte,   Stellung – systematisch bildungsbenachteiligt        die nur ein Bruchteil dessen aufwänden, was
die Einrichtungen nach transparenten Berichten     sind und bisher deutlich unterrepräsentiert am       NRW jährlich in die öffentliche Weiterbildungs-
über die erreichten Ergebnisse zu fragen und       Weiterbildungsangebot teilhaben.                     finanzierung steckt.
Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
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                                                                                                                  Verlässliche Ressourcen bereitstellen
  Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung NRW
                                                                                                                     Alle maßgeblichen Beiträge zur Erhöhung der
  Bewährte Unterstützung beibehalten                                                                              Weiterbildungsbeteiligung in NRW sehen einen
                                                                                                                  Zusammenhang mit dem Ressourcenmangel in
  Alle Beteiligten sind sich sehr einig: Der Landes-     In zwei Empfehlungen ist dieses Anliegen in den ver-
  beirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung        gangenen Jahren überzeugend bereits erreicht wor-
                                                                                                                  den Einrichtungen. Die auf der Basis von 1984
  in NRW, der 2014 auf Empfehlung der Weiterbil-         den: Die Empfehlungen zu „Alphabetisierung und           eingefrorene Landesförderung hat einerseits
  dungskonferenz durch die Ministerin für Schule         Grundbildung“ konnten Ministerin Sylvia Löhrmann         zu fortlaufendem Personalabbau, zu prekärer
  und Weiterbildung Sylvia Löhrmann berufen              Anfang 2015 überreicht werden. Die Arbeiten an
                                                                                                                  Beschäftigung von Honorarkräften, zur Ver-
  wurde, hat sich bewährt und sollte seine Arbeit        den Empfehlungen zur Verbesserung der Weiterbil-
                                                         dungsbeteiligung auf der Basis diversitätsbewusster      nachlässigung der Infrastruktur, zur Aufgabe
  langfristig fortsetzen.
                                                         Strategien unter dem Titel „Vielfalt gestalten – Wei-    von wohnortnahen Standorten, zur Einsparung
  Nach fast drei Jahren kann in einem Zwischen-          terbildungsbeteiligung erhöhen“ sind abgeschlos-         kostenintensiver Kommunikations- und Bera-
  ergebnis festgestellt werden: Die breite Zusam-        sen und stehen kurz vor der Veröffentlichung.
                                                                                                                  tungsstrategien sowie zur Vernachlässigung
  mensetzung aus kommunalen Spitzenverbänden,            Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung fokus-
  Wirtschafts- und Sozialpartnern, Wissenschaft, Ver-                                                             aufwändiger, niedrigschwelliger Lernformate
                                                         siert insbesondere Aufgaben der Weiterbildung,
  braucherzentrale sowie Landesorganisationen der        die aber personell, curricular, finanziell und organi-   geführt. Andererseits sind viele Einrichtungen
  Weiterbildung bietet die Chance, mit gemeinsamen       satorisch nur bedingt dafür ausgestattet ist. Auch       aus finanziellen Gründen parallel marktab-
  Positionen die Entwicklung der gemeinwohlorien-        deshalb gehört die Beratung der Politik durch den        hängiger geworden, da die kommunalen und
  tierten Weiterbildung in der Politik zu unterstützen   Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbil-
  und in fachlichen Fragen die zuständigen Ministe-      dung in NRW dauerhaft und unabhängig gesichert –
                                                                                                                  anderen Träger keinesfalls in der Lage waren,
  rien „mit einer Stimme“ zu beraten.                    so die Forderung des amtierenden Landesbeirates.         alleine die sozialpolitischen Aufgaben und die
                                                                                                                  ständigen Kostensteigerungen aufzufangen.
                                                                                                                     Eine Weiterbildung, die keine BürgerInnen
                                                                                                                  abhängen will und die die Herausforderungen
   Da der Weiterbildungsatlas auf andere, für            wird die stärkere Einbindung besonders för-              und Chancen von Diversität aufgreifen will,
NRW ungenaue und unvollständige Daten-                   derungswürdiger Zielgruppen angesprochen.                braucht zur zukunftsfähigen und dynamischen
bestände zurückgreift und auf der Basis des              Gleichzeitig werden aber die dafür notwendigen           Entwicklung eine bessere und verlässliche Lan-
Mikrozensus eine nicht vergleichbare stati-              finanziellen Ressourcen angemahnt.                       desförderung. Mit der Erhöhung der Landesmittel
stische Befragungsstrategie verfolgt, lässt sich         Vielfalt engagiert akzeptieren                           im Haushalt 2016 und im Plan für 2017 sind –
ein großer Teil dieser Ergebnisse relativieren.          und Zugangsbarrieren abbauen                             motiviert durch den Integrationsplan für NRW –
Trotzdem und zu Recht ist es dem „Deutschen                                                                       erste, von den Einrichtungen begrüßte Schritte
                                                            Der Landesbeirat der gemeinwohlorientierten
Weiterbildungsatlas“ gelungen, die Debatte                                                                        getan. Sie reichen allerdings keinesfalls aus, um
                                                         Weiterbildung NRW, der sich Anfang 2014 auf
um die Weiterbildungsbeteiligung in NRW neu                                                                       alle Bevölkerungsgruppen in NRW flächende-
                                                         Empfehlung der Weiterbildungskonferenz konsti-
zu befeuern.                                                                                                      ckend nachhaltig zu beteiligen. //
                                                         tuiert hat, unterstützt mit seiner übergreifenden
Viel Bewegung in der Weiterbildung                       Expertise beratend die Landespolitik. Nach der
                                                         Alphabetisierung und Grundbildung wendet er
   Dabei wird die Debatte über die Weiterbil-
                                                         sich nun in dem jüngst verabschiedeten Papier                     Deutsches Institut für Erwachsenen-
dungsbeteiligung in NRW seit vielen Jahren               „Vielfalt gestalten – Weiterbildungsbeteiligung          PDF      bildung: Lernende fördern – Strukturen
geführt: In Evaluationen wie zuletzt in 2011             erhöhen“ der Teilnahmeentwicklung zu. Gefor-                      stützen
das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung,                                                                              www.tinyurl.com/DIE-Evaluation
                                                         dert wird, die individuellen und institutionellen
das die Wirksamkeit der Weiterbildungsmittel                                                                               Helmut Bremer, Mark Kleemann-Göhring:
                                                         Zugangsbarrieren abzubauen, die Menschen                          Abschlussbericht des Projekts „Potenziale
                                                                                                                  PDF
des WbG NRW ausgewertet und die Ergebnisse               davon abhalten, ihre Potenziale zu entfalten                      der Weiterbildung“
unter dem Titel „Lernende fördern – Strukturen           und insbesondere am wirtschaftlichen und gesell-                  www.tinyurl.com/Potenziale-Weiterbildung
stützen“ veröffentlicht hat. In den politischen          schaftlichen Leben gleichberechtigt teilzuhaben.         www.     Ministerium für Familie, Kinder, Jugend,
                                                         Die Weiterbildung wird aufgefordert, Vielfalt                     Kultur und Sport NRW: Infos zum Familien-
Diskursen, wie die Landtagsfraktion der GRÜNEN
                                                                                                                           bildungsprogramm „Elternstart NRW“
in NRW, die 2014 unter dem Motto „Weiterbil-             engagiert zu akzeptieren und zur Entwicklung                      www.mfkjks.nrw/unterstuetzung-und-
dung weiterdenken“ Strategien zur Erhöhung der           einer Kultur der Wertschätzung beizutragen. In                    staerkung-von-muettern-und-vaetern
Weiterbildungsbeteiligung entwickelt hat. In den         der individuellen Unterstützung der Lernenden                     Weiterbildungskonferenz NRW: Ziele und
                                                         werden zielgerichtete Informationsangebote, Be-          PDF      Empfehlungen für die Entwicklung der
von den Ministerien angestoßenen Innovations-                                                                              gemeinwohlorientierten Weiterbildung
                                                         ratung und gesonderte Förderung als notwendig
projekten wie dem Modellprojekt „Potenziale der                                                                            in NRW
                                                         erachtet. Zur Verbesserung der institutionellen                   www.tinyurl.com/Weiterbildungskonferenz-
Weiterbildung“, das seit 2009 neue Wege zur
                                                         Bedingungen wird Organisationsentwicklung auf                     Ziele
Gewinnung von sozial benachteiligten Gruppen
                                                         der Basis von Diversity-Konzepten empfohlen,
für Weiterbildungsangebote erschließt. In den            außerdem die Implementierung aufsuchender
Sonderfinanzierungen für die Einrichtungen, so           Bildungsberatung und Bildungsarbeit systema-                            Kurt Koddenberg
zum Beispiel seit 2012 in dem landesweiten,              tische örtliche Kooperationen und Netzwerke                             Vorsitzender des Landesbeirates der
gebührenfreien Angebot der Familienbildung                                                                                       gemeinwohlorientierten Weiterbildung
                                                         sowie die Weiterentwicklung niedrigschwelliger
                                                                                                                                 NRW und der Landesarbeitsgemein-
„Elternstart“. Auch in den Empfehlungen der              Lernformate sowie sozialraum- und arbeitswelt-                          schaft Katholische Erwachsenen- und
Weiterbildungskonferenz aus dem Jahr 2012                orientierte Angebote.                                                   Familienbildung NRW e. V.
Weiterbildung: Fit für die Zukunft - nds-zeitschrift.de
10 BILDUNG

                                                                                                                                                           Foto: Deemwave / shutterstock.com
Finanzierung der gemeinwohlorientierten Weiterbildung

Landesregierung verstärkt
ihr Engagement
Die Herausforderungen für die Weiterbildung sind in den vergangenen Jahren                             Folgen ihrer strukturellen Unterfinanzierung auf-
stetig gewachsen. Diversität, Integration, Inklusion, Prävention und Demo-                             zufangen. Um jedoch die insbesondere durch die
kratiefähigkeit erfordern lebensbegleitende Weiterbildung für möglichst viele                          Zuwanderung von Geflüchteten entstandenen
Menschen und damit die Gestaltungskraft der 131 Volkshochschulen und der                               zusätzlichen Aufgaben angemessen bewältigen
330 Einrichtungen in anderer Trägerschaft. Um ihren Aufgaben auch zukünftig                            zu können, ohne die etablierten Angebote ein-
gerecht werden zu können, brauchen Weiterbildungseinrichtungen eine ange-                              schränken zu müssen, braucht die Weiterbildung
messene und anforderungsorientierte Ausstattung.                                                       dringend eine deutlich erhöhte, verlässliche und
                                                                                                       dynamisierte Regelförderung.
    Mit der Verabschiedung des zweiten Nachtrags-   lichen, zum Zusammentreffen von Geflüchteten
                                                                                                       Die Formel für die Landtagswahl: 10 + 1
haushalts 2016 und den Kabinettsbeschlüssen         mit bereits hier lebenden Menschen und zur Stär-
zum Haushalt 2017 gibt die nordrhein-westfä-        kung demokratischer Teilhabe organisiert. Von         Die insgesamt 460 Einrichtungen der ge-
                                                                                                       meinwohlorientierten Weiterbildung in NRW
lische Landesregierung erste, längst überfällige    zentraler Bedeutung ist dabei, andere relevante
                                                                                                       arbeiten über ihre Landesorganisationen im
Signale, diese geradezu trivial anmutenden Er-      Bildungsaufgaben nicht zu vernachlässigen.
                                                                                                       Gesprächskreis der gemeinwohlorientierten
kenntnisse verstanden zu haben und in Politik       Unverzichtbar sind aus gewerkschaftlicher Sicht
                                                                                                       Weiterbildung eng zusammen. So gelingt es,
umzusetzen.                                         Angebote der politischen Bildung zur Stärkung
                                                                                                       Interessen der unterschiedlichsten Träger zu bün-
                                                    unserer Demokratie. Aber auch das Spektrum all-
Die Grenzen des Machbaren                                                                              deln. Im Landtagswahlkampf und gegenüber der
                                                    gemeiner, beruflicher, schulabschlussbezogener
sind erreicht                                                                                          neuen Landesregierung wird die Weiterbildung
                                                    und kultureller Weiterbildung sowie Eltern- und
   Zum Hintergrund: Die Zuschüsse über das                                                             mit einer Stimme sprechen. Unsere Forderung
                                                    Familienbildung haben einen Stellenwert, den es
Weiterbildungsgesetz wurden seit 1984 – trotz                                                          nach einer deutlich erhöhten, verlässlichen und
                                                    nicht nur zu sichern, sondern auszubauen gilt.     dynamisierten Regelförderung bringen wir auf
regelmäßiger Kostensteigerungen in den Einrich-
tungen – über 30 Jahre nicht erhöht. Im Gegen-      Regelförderung ausbauen                            die Formel „10 + 1“. Das heißt konkret: Zehn
teil, die Kürzungen aus 2004 und 2006 wurden           Mit der Verabschiedung des zweiten Nach-        Euro im Jahr für alle EinwohnerInnen unseres
                                                                                                       Landes, eine jährliche Erhöhung der Mittel um
im Jahr 2011 nur zum Teil zurückgenommen.           tragshaushalts am 14. September 2016 hat der
                                                                                                       (mindestens) ein Prozent – das muss uns die
Real bedeutete das bis zum Herbst dieses Jahres     nordrhein-westfälische Landtag zunächst bis
                                                                                                       Weiterbildung wert sein. //
eine um 15 Prozent reduzierte Regelförderung        2019 eine Absenkung der Kürzungen aus den
der Weiterbildung gegenüber dem Jahr 2000.          Vorjahren um fünf Prozent – nämlich von 15 auf
Berücksichtigt man darüber hinaus allgemeine        10 Prozent – beschlossen. Das Landeskabinett
                                                                                                       www.     Helle Timmermann: Bochumer Memoran-
Kostensteigerungen wird deutlich, dass viele        hat sich am 8. November darauf verständigt, die             dum 2011 bis 2017: Weiterbildungsför-
Einrichtungen schon längst die Grenzen des          Weiterbildung von 2017 bis 2019 mit weiteren                derung – Bildung für alle ermöglichen
Machbaren erreicht haben.                           sechs Millionen Euro auszustatten. Vorbehaltlich            (in: nds 6/7-2016)
                                                                                                                www.nds-zeitschrift.de/nds-67-2016/
   In 2015 und 2016 sind die Weiterbildungs-        der Zustimmung durch den Landtag werden
                                                                                                                bildung-fuer-alle-ermoeglichen
einrichtungen in NRW bei einer der aktuell          damit weitere fünf Prozent der ursprünglichen
größten gesellschaftlichen Aufgaben – der           Kürzungen zurückgenommen. Damit hat die
Integration von Geflüchteten – trotz prekärer       Landesregierung das Grundanliegen der gemein-                    Elke Hülsmann
Voraussetzungen in Vorleistung gegangen.            wohlorientierten Weiterbildung aufgegriffen                      Geschäftsführerin des
                                                                                                                     DGB-Bildungswerks NRW e. V.
Neben der Umsetzung von Sprachangeboten             und erste Lösungen auf den Weg gebracht.
werden Angebote zur Herstellung von Beschäfti-      Die teilweise Rücknahme der Kürzungen wird
gungsfähigkeit, zur Qualifizierung von Ehrenamt-    der Weiterbildung helfen, die dramatischsten
nds 11/12-2016 11

                                    Digitalisierung in der Weiterbildung

                                    Soziale Spaltung verringern
                                    In der Weiterbildung gilt bisher: Wer hat, dem wird gegeben. Blickt man auf die                             Um diese Potenziale zu nutzen, braucht es
                                    Weiterbildung in Deutschland, wird klar: Wer sie am dringendsten braucht, hat                            standardisierte Formen digitaler Kompetenz-
                                    selten eine Chance auf Qualifizierung. Die Digitalisierung von Bildung kann dazu                         nachweise, die bei ArbeitnehmerInnen wie Ar-
                                    beitragen, diese Diskrepanz aufzuheben.                                                                  beitgeberInnen anerkannt sind. Zudem sollten
                                                                                                                                             Betriebe digitale Bildungsangebote für alle Mit-
                                       Hochqualifizierte nehmen laut Deutschem           back und kontinuierliche Fortschritte wird Lernen   arbeiterInnen anbieten. Vonseiten des Staates
                                    Weiterbildungsatlas dreimal so oft an Weiter-        zum Erfolgserlebnis. Spielerische Lernformen        braucht es dazu eine integrierte Strategie, die
                                    bildungsangeboten teil wie Geringqualifizierte –     machen Weiterbildung auch für Bildungsferne         das Potenzial der Digitalisierung und Anschlüsse
                                    22,5 Prozent gegenüber 6,7 Prozent, in NRW           attraktiver.                                        an die Arbeitsmarktpolitik aufzeigt. Wenn dies
                                    liegt die Quote sogar nur bei 4,9 Prozent. Zudem        Damit diese Potenziale genutzt werden, sind      gelingt, fassen Dräger und Müller-Eiselt treffend
                                    zieht sich der Staat aus der Förderung zurück. Die   Investitionen nötig. Dann können exzellente         zusammen, „wird die digitale Revolution nicht
                                    Studie „Weiterbildungsfinanzierung in Deutsch-       Lerninhalte zu geringen Kosten für viele an-        nur Lernprozesse, sondern auch gesellschaftliche
                                    land“ der Bertelsmann Stiftung belegt: Um ganze      geboten werden. Bildungsanbieter müssen ihr         Strukturen verändern. Wenn bisher Abgehängte
                                    41Prozent – oder 6,1 Milliarden Euro – sanken        pädagogisches Personal fortbilden, denn diese       Zugang zu günstiger und guter Bildung erhalten,
                                    die öffentlichen Ausgaben für Weiterbildung von      KollegInnen sind der Schlüssel, um digitale Bil-    wenn Können mehr zählt als Titel“, führt das zu
                                    1995 bis 2012. Diese Kürzungen gehen zulasten        dung umzusetzen. Der Staat sollte für Lerninhalte   einer faireren Gesellschaft. //
                                    derer, die auf Unterstützung angewiesen sind         und Fortbildung ausreichende Mittel bereitstellen
                                    und verschärfen soziale Ungleichheit.                und ein klares Signal aussenden, die Chancen
                                       Die Digitalisierung hat das Potenzial, mehr       der Digitalisierung zu nutzen. „Veränderungen       www.     Marvin Bürmann, Frank Frick: Deutscher
                                                                                                                                                      Weiterbildungsatlas
                                    Menschen Weiterbildung zu ermöglichen. So            werden nur dann gelingen, wenn die Technik als
                                                                                                                                                      www.deutscher-weiterbildungsatlas.de
                                    sind digitale Bildungsangebote immer, über-          Hilfsmittel und nicht als Ersatz für Lehrpersonal
                                                                                                                                             www.     Marcel Walter: Weiterbildungsfinanzierung
                                    all und für jeden verfügbar. Personalisierte         verstanden wird. Die Digitalisierung ist keine               in Deutschland. Aktueller Stand, Entwick-
                                    und spielerisch gestaltete Lerninhalte, die sich     Einladung, unter dem Deckmantel des Fortschritts             lung, Problemlagen und Perspektiven
                                    dem Lernstil sowie Lerntempo anpassen, wirken        Kosten einzusparen“, so die Bildungsexperten                 www.tinyurl.com/Walter-Finanzierung
                                    motivierend. Online-Lerngruppen fördern den          Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt in ihrem                 Stefanie Velten, Gunvald Herdin: Aner-
                                                                                                                                             PDF      kennung informellen und non-formalen
                                    Kompetenzerwerb im Austausch mit anderen.            Buch „Die digitale Bildungsrevolution“.                      Lernens in Deutschland. Ergebnisse aus
                                    Badges und Microcredits – also digitale Zertifi-                                                                  dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche
                                                                                         Digitale Zertifikate schaffen
                                    kate und Nachweise – machen die erworbenen                                                                        Bildung 2015
                                                                                         Anschlüsse zwischen Bildung und Beruf                        www.tinyurl.com/BIBB-Expertenmonitor
                                    Kompetenzen im beruflichen Kontext verwertbar.
                                    Wenn passgenaue Angebote für jede Lernerin              Kompetenzen sind dann beruflich verwert-         www.     Bertelsmann Stiftung: Projekt „Digitali-
                                                                                         bar, wenn sie durch ein Zertifikat bescheinigt               sierung der Bildung“, Beiträge zum Bereich
                                    und jeden Lerner bereitstehen und Gelerntes                                                                       Weiterbildung
                                    stärker als bisher anerkannt wird, kann die          werden. Das gilt vor allem auf dem deutschen
                                                                                                                                                      www.digitalisierung-bildung.de/tag/
                                    Digitalisierung die soziale Spaltung in der Wei-     Arbeitsmarkt, wie der „Expertenmonitor Beruf-                weiterbildung
                                    terbildung verringern.                               liche Bildung 2015“ des Bundesinstituts für
                                                                                         Berufsbildung (BIBB) hervorhebt. Ein Großteil des
                                    Passgenaue Angebote führen                           berufsrelevanten Wissens wird jedoch informell                     Monika Fischer
                                    jede und jeden zum Lernerfolg                        erworben. Der IT-Bereich greift diese Erkenntnis                   Projektmanagerin im Programm
                                                                                                                                                            „Lernen fürs Leben“ der Bertelsmann
                                       Wer in der Weiterbildung tätig ist, weiß: Die     bereits auf und rekrutiert MitarbeiterInnen über                   Stiftung
                                    Heterogenität der Lernenden ist der Normalfall.      digitale Plattformen oder Tests. Digitale Badges
                                    Erwachsene LernerInnen bringen viele Vorerfah-       und Microcredits machen das individuelle Kom-
                                    rungen mit. Digitale Angebote können dafür           petenzprofil der LernerInnen sichtbar. Werden                      Frank Frick
                                    personalisierte Lernwege bereitstellen. Aufei-       diese digitalen Kompetenznachweise nach ein-                       Direktor im Programm „Lernen fürs
                                                                                                                                                            Leben“ der Bertelsmann Stiftung
                                    nander aufbauende Lerneinheiten, gesteuert           zelnen Lernschritten vergeben, motiviert das die
                                    von intelligenten Algorithmen, passen sich den       Lernenden und vereinfacht die Anerkennung der
                                    Voraussetzungen der Lernenden an. Durch Feed-        Kompetenzen durch ArbeitgeberInnen.
Foto: Sergey Nivens / fotolia.com
12 BILDUNG

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Armut und Schulbildung

(Bildungs-)Reichtum umverteilen!
Soziale Benachteiligung wirkt sich negativ auf die Bildungsbeteiligung aus:                             Sinne, dass Bildungsdefizite der Eltern die
So finden beispielsweise Kinder aus einkommensschwachen Familien schlech-                               Kinderarmut herbeigeführt hätten. Kinder aus
ter Zugang zu Bildung. Das Bochumer Memorandum forderte schon 2011 die                                  sozial benachteiligten Familien gehören zwar
Abschwächung dieses Zusammenhangs, doch bis zur Zwischenbilanz in 2015                                  zu den größten BildungsverliererInnen, ihre
hatte sich die Situation nicht verändert. Was bei der Suche nach den Ursachen                           Armut basiert jedoch selten auf falschen oder
häufig unberücksichtigt bleibt: Bezugspunkt für fehlende Bildungschancen ist                            fehlenden Schulabschlüssen, denn Letztere sind
nicht allein Armut, sondern die stetig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.                          höchstens Auslöser und Verstärker, aber nicht
                                                                                                        Verursacher materieller Not. Bildungsdefizite
   Um die Lebenssituation sozial benachteiligter     dern je nach Alter 0,32 Euro, 1,30 Euro oder       führen allerdings oft zu einer Verfestigung der
SchülerInnen zu kennzeichnen, wird häufig der        1,61 Euro. Symptomatisch war auch das jüngste      Armut, weil die Chancen eines Menschen auf
zur Jahrtausendwende von Jutta Allmendinger          Gutachten des Sachverständigenrates zur Begut-     dem Arbeitsmarkt und Berufskarrieren heute
in die Fachdebatte eingeführte Begriff „Bil-         achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung     immer stärker an Kompetenzen gebunden sind,
dungsarmut“ verwendet. Tatsächlich schlägt           mit dem Titel „Zeit für Reformen“, welches statt   die man an (Hoch-)Schulen erwirbt.
sich Armut nicht bloß als chronisches Minus          einer Wiedererhebung der Vermögensteuer die           Wenn man so tut, als führten ausschließlich
auf dem Bankkonto oder als gähnende Leere            Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres    oder hauptsächlich mangelnde Bildungsanstren-
im Portemonnaie nieder, sondern führt auch           empfiehlt – Bildung ja, Umverteilung nein. Letz-   gungen zu materieller Armut, fällt ausgerechnet
zu vielfältigen Benachteiligungen, gerade im         tere ist aber die unabdingbare Voraussetzung       den Betroffenen im Sinne eines individuellen
Hinblick auf die Schulbildung der Betroffenen.       dafür, wenn man Schulen besser ausstatten und      Versagens (der Eltern) die Verantwortung dafür
Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, Armut           Kinder umfassender bilden will.                    zu, während ihre gesellschaftlich bedingten
erschöpfe sich in Bildungsdefiziten oder basiere     Bildungsdefizite –                                 Handlungsrestriktionen und die politischen
primär darauf. Vielmehr ist das Verhältnis von       Hauptursache von Kinderarmut?                      Strukturzusammenhänge aus dem Blick geraten.
Armut und Schulbildung erheblich komplizierter                                                          Bildungsbeteiligung für die einen und Bildungs-
                                                        Der Begriff „Bildungsarmut“ leistet dem
als es zunächst scheint und der Begriff „Bildungs-                                                      benachteiligung für die anderen Kinder ergeben
                                                     Irrglauben Vorschub, eine gute Schulbildung
armut“ missverständlich, wenn nicht irreführend.     garantiere einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.   sich aus der Tendenz zur sozialen Polarisierung,
Durch eine Blickverengung auf (gescheiterte)         Zweifellos verhindern Bildungsdefizite vielfach,   die wiederum eine Folge der Globalisierung
Bildungsbiografien sozial Benachteiligter wird       dass junge Menschen auf liberalisierten Arbeits-   beziehungsweise der neoliberalen Modernisie-
nämlich von den eigentlichen Wurzeln der sich        märkten sofort Fuß fassen. Auch führt die Armut    rung darstellt.
vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich ab-        von Familien häufig dazu, dass deren Kinder           So wenig ein ökonomistisch verkürzter Ar-
gelenkt sowie eine Pädagogisierung, Subjektivie-     keine weiterführende Schule besuchen oder          mutsbegriff das Phänomen in seiner ganzen
rung beziehungsweise Psychologisierung dieses        sie ohne Abschlusszeugnis wieder verlassen.        Komplexität erfasst, so wenig Sinn macht ein
Kardinalproblems der Gesellschaftsentwicklung        Armut in der Herkunftsfamilie zieht oftmals        kulturalistisch verkürzter Armutsbegriff. Ohne
betrieben, dessen erfolgreiche Lösung nur mittels    Bildungsdefizite der davon betroffenen Kinder      die Berücksichtigung der Schlüsselrolle ma-
einer Umverteilung der materiellen Ressourcen        nach sich. Der umgekehrte Effekt ist hingegen      terieller Güter für die Existenz, das Ansehen
von oben nach unten erfolgen kann.                   kaum signifikant: Ein schlechter oder fehlender    und die Wertschätzung eines Menschen im
   WissenschaftlerInnen, verantwortliche Politi-     Schulabschluss verringert zwar die Erwerbs-        Gegenwartskapitalismus kann das Problem
kerInnen oder PublizistInnen, die den privaten       chancen, wirkt sich aber kaum nachteilig auf       nicht verstanden werden. Geradezu paradox
Reichtum nicht antasten wollen, können die           den Wohlstand einer Person aus, wenn diese         erscheint, dass die überragende Bedeutung des
Armut in unserem reichen Land nicht verringern,      vermögend ist oder Kapital besitzt. Armut macht    Geldes sowie seiner halbwegs gleichmäßigen
verweisen aber gern auf die überragende Rolle        zwar auf die Dauer dumm, Dummheit deshalb          und gerechten Verteilung auf die unterschied-
der Bildung, ohne dafür mehr Geld bereitzustel-      jedoch noch lange nicht arm.                       lichen Bevölkerungsgruppen ausgerechnet zu
len. So wird Erwachsenen im Hartz-Regelbedarf           Armut und Bildung stehen in einem Wech-         einer Zeit immer häufiger angezweifelt wird, in
1,54 Euro pro Monat für Bildung gewährt, Kin-        selverhältnis zueinander, aber nicht in dem        der es aufgrund einer fortschreitenden Ökonomi-
nds 11/12-2016 13

                                                                                                                                            Zum Weiterlesen
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                                                                                                      Fotos: suze, kemai / photocase.de
                                                                                                                                            Armut

                                                                                                                                                                 PapyRossa, 2016
                                                                                                                                                                 ISBN: 978-3-89438-625-2
                                                                                                                                                                 131 Seiten
                                                                                                                                                                 9,90 Euro
sierung, Privatisierung und Kommerzialisierung      durch Förderung der Privatschulen, Beschnei-                                            Christoph Butterwegge diskutiert den Armuts-
in fast allen Gesellschaftsbereichen ständig an     dung der Lernmittelfreiheit und (Wieder-)Einfüh-                                        begriff, wirft einen Blick auf die Geschichte
Relevanz für die Versorgung und den Status von                                                                                              der Armut und vermittelt die theoretischen
                                                    rung von Studiengebühren die Bildungsbarrieren
                                                                                                                                            Grundlagen. Er stellt die Hauptrichtungen der
Individuen gewinnt.                                 für Kinder aus sozial benachteiligten Familien.                                         Armutsforschung vor, erläutert die gängigen Me-
                                                                                                                                            thoden der Armutsmessung und hinterfragt die
„Bildung für alle“ statt                            Bildung als Wunderwaffe gegen Armut?                                                    statistische Datenlage. Neben den unterschied-
Umverteilung des Reichtums?                                                                                                                 lichen Erscheinungsformen und den Folgen der
                                                        Bildungsbeteiligung ist kein Garant für eine
   Was unter günstigen Umständen fraglos zum                                                                                                Armut für die Betroffenen wie die Gesellschaft
                                                    gesicherte materielle Existenz. Andernfalls hät-                                        beschäftigen ihn die Entstehungsursachen und
individuellen beruflichen Aufstieg taugt, versagt   ten nicht elf Prozent aller Beschäftigten im                                            die wenig überzeugenden Erklärungsansätze der
als gesellschaftliches Patentrezept. Wenn alle      Niedriglohnsektor einen Hochschulabschluss. So                                          (­
                                                                                                                                             Medien-)Öffentlichkeit. Abschließend geht es
Jugendlichen – nicht bloß jene mit Migrationshin-                                                                                           um den Kampf gegen die Armut sowie die Frage,
                                                    wichtig Bildungs- und Kulturangebote für Kinder                                         welche Maßnahmen hierbei Erfolg versprechen
tergrund – mehr Bildungsmöglichkeiten bekämen,      sind, so wenig taugen sie als Wunderwaffe im                                            und ob das bedingungslose Grundeinkommen
was sicherlich wünschenswert wäre, würden sie       Kampf gegen die Armut. Zwar werden die Armen                                            ein Patentrezept darstellt.
um die wenigen Ausbildungs- und Arbeitsplätze
                                                    häufig dumm (gemacht), die Klugen aber des-
womöglich nur auf einem höheren geistigen                                                                                                   Christoph Butterwegge:
                                                    halb nicht automatisch reich. Bildung ist daher
Niveau, aber nicht mit größeren Chancen kon-
kurrieren. Eine bessere (Aus-)Bildung erhöht die
                                                    auch nur ein begrenzt taugliches Mittel gegen                                           Armut in einem reichen Land.
                                                    (Kinder-)Armut, denn sie kann zwar durch soziale                                        Wie das Problem verharmlost
Konkurrenzfähigkeit eines Heranwachsenden auf
                                                    Diskriminierung entstandene Partizipationsde-                                           und verdrängt wird
dem Arbeitsmarkt, ohne die Erwerbslosigkeit und
                                                    fizite junger Menschen mildern, allerdings nicht
die (Kinder-)Armut zu beseitigen.
                                                    verhindern, dass materielle Ungleichgewichte
   Zwar kann ein Individuum durch die Betei-
                                                    auf deren Arbeits- und Lebensbedingungen
ligung an Bildungsprozessen einer prekären
Lebenslage entkommen, eine gesamtgesell-            durchschlagen.
schaftliche Lösung bietet sie allein freilich           Da die „Bildungsferne“ armer Familien eine
                                                                                                                                                                  Campus, 2016
nicht. Ohne eine spürbare Verbesserung der          Folge gravierender materieller Defizite ist, die                                                              4. aktualisierte Auflage
Bildungseinrichtungen und der Bildungschancen       teilweise über Generationen hinweg kumuliert                                                                  ISBN: 978-3593506425
                                                    wurden, lässt sich die Benachteiligung von                                                                    400 Seiten
für alle (Wohn-)BürgerInnen und ihre Kinder ist                                                                                                                   24,95 Euro
die Armut nicht erfolgreich zu bekämpfen. Aber      Kindern nur verringern, wenn Schulbildung als
                                                                                                                                            Vermehrte Fluchtmigration, Angst vor gesell-
nur mittels eines Ausbaus im Bildungsbereich        integraler Bestandteil einer fortschrittlichen
                                                                                                                                            schaftlichem Abstieg und soziale Ungleichheit:
lässt sich das Problem ebenso wenig lösen.          Gesellschaftspolitik verstanden wird und eine                                           Obwohl diese Themen viele Menschen umtrei-
Vielmehr bedarf es darüber hinaus neben einer       strukturelle Benachteiligung deprivierter Kinder                                        ben, wird Armut in Deutschland, so Christoph
                                                                                                                                            Butterwegge, nicht konsequent bekämpft, son-
Vielzahl anderer Maßnahmen, um die soziale          unterbleibt. Inklusion sollte nicht bloß als sonder-
                                                                                                                                            dern verharmlost und „ideologisch entsorgt“. In
Infrastruktur zu verbessern, der Umverteilung       pädagogisches, vielmehr auch als gesellschafts-                                         der aktualisierten Auflage seines Standardwerks
von Arbeit, Einkommen und Vermögen. Schließ-        politisches Paradigma verstanden werden. //                                             diskutiert er auch, was getan werden muss, um
lich kann die Pädagogik weder eine gerechte                                                                                                 die Kluft zwischen Arm und Reich wieder zu
                                                                                                                                            schließen.
Steuerpolitik noch eine die Armut konsequent
bekämpfende Sozialpolitik ersetzen.
   Es ist heuchlerisch und purer Zynismus, den
Armen „Bildet euch! Bildet euch! Bildet euch!“                     Prof. Dr. Christoph Butterwegge
zu predigen, ihnen jedoch die dafür notwendigen                    Armutsforscher, bis 2016 Professor für
                                                                   Politikwissenschaft an der Universität                                 www.    Webseite von Prof. Dr. Christoph Butter-
materiellen Ressourcen vorzuenthalten. Politi-
                                                                   zu Köln, Kandidat der LINKEN für die                                           wegge: aktuelle Infos, Publikationen und
kerInnen, die in Sonntagsreden eine bessere                        Wahl des Bundespräsidenten 2017                                                Vorträge
Bildung für alle versprechen, erhöhen im Alltag                                                                                                   www.christophbutterwegge.de
14 BILDUNG

Fünf Jahre Sekundarschule – eine Standortbestimmung

Auf gutem Weg zu einer Schule für alle
Fünf Jahre sind vergangen und der Schulkonsens hat in vielen Teilen NRWs für                              die Schule aktiv mitzugestalten. So arbeiteten sie
eine Neuordnung der Bildungslandschaft gesorgt. Im August 2016 veröffent-                                 als ElternvertreterInnen in der Schulpflegschaft
lichte die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie mit der Fragestellung, wie sich                            mit, gründeten zügig Fördervereine für die neuen
die Schullandschaft durch den Schulkonsens verändert hat. Der Sekundarschule                              Schulen und saßen oft stundenlang in den noch
stellt die Studie kein gutes Zeugnis aus – zu Unrecht, meint die GEW NRW.                                 sehr kleinen Schulkonferenzen, um über die
                                                                                                          Ausrichtung der Schule mitzubestimmen. Nach
   Von den 117 Sekundarschulen im Land seien       gemeinsam mit vielen MitschülerInnen aus ihren         außen hin standen sie anderen Eltern Rede und
schon drei in Gesamtschulen umgewandelt            Grundschulen, ohne auf einen Bildungsgang              Antwort, warum sie gerade diese Schule für ihr
worden und neun müssten ernsthaft um ihr           festgelegt zu sein. Im Jahrgang 2015 / 2016            Kind ausgewählt haben und keine andere. Die
Weiterbestehen bangen, so die Studie der Rosa-     haben 49 Prozent der Lernenden Übergangs-              Eltern stellen an den neu gegründeten Schulen
Luxemburg-Stiftung. Wenige Chancen gebe man        empfehlungen für die Hauptschule, 43 Prozent           einen nicht unerheblichen Erfolgsfaktor dar.
der Sekundarschule, insbesondere dann, wenn        haben Realschul- und acht Prozent Gymnasial-           Deshalb trifft auch sie das Urteil der Studie der
es in unmittelbarer Nähe eine Gesamtschule         empfehlungen. Die Mehrzahl der Sekundar-               Rosa-Luxemburg-Stiftung hart.
gebe. Ihre Überlebensnische sehe man im länd-      schülerInnen wird teilintegriert unterrichtet: In
                                                                                                          LehrerInnen: Raum für Ideen
lichen Raum, wo sie je nach Ausgestaltung der      den Klassen 5 und 6 lernen sie gemeinsam im
                                                                                                          und hohe Belastung
dortigen Schullandschaft als Restschule für alle   Klassenverband, in der siebten Klasse belegen
SchülerInnen fungiere, die nicht das Gymnasium     sie dann Grund- und Erweiterungskurse in den               Die Sekundarschule gilt mit einer Schüle-
besuchen. Die Sekundarschule, bilanziert die       Hauptfächern. Ein Fünftel aller Sekundarschulen        rInnen-LehrerInnen-Relation pro Stelle von 16,27,
Studie, sei aus Sicht der Eltern und der Kom-      unterrichtet sogar komplett integrativ. Nur zwei       einem Klassenfrequenzrichtwert von 25 Schüle-
mune die schlechtere Wahl, denn die Kinder         Schulen unterrichten kooperativ und bieten zwei        rInnen pro Klasse und einem Stundendeputat
müssten nach der zehnten Klasse die Schule         Bildungsgänge parallel an. Der überwiegende            von 25,5 Stunden als eine Schule mit guter
und manchmal sogar die Stadt verlassen, um         Teil der Sekundarschulen orientiert sich somit an      Ausstattung. Trotzdem können die Belastungen
einen weiterführenden Abschluss zu erwerben.       der Sekundarstufe I der Gesamtschulen, ebenso          des Aufbaus so nicht aufgefangen werden.
Ein düsteres Fazit für eine Schulform, die als     die Lehrpläne. Welchen Abschluss die Schüle-               Knapp 3.400 KollegInnen unterrichteten im
Schule der Zukunft gestartet ist.                  rInnen einmal erhalten werden, das wird sich           Schuljahr 2015 / 2016 an den 114 Sekundarschu-
   Den circa 3.400 KollegInnen und 38.851          in den kommenden Jahren ihrer Schullaufbahn            len und ähnlich wie seine SchülerInnenschaft
SchülerInnen an 114 Sekundarschulen in NRW         noch herausstellen. Ein Manko, das auch die            ist auch das Kollegium jeder Schule heterogen
wird dieses Fazit nicht gerecht. Und auch nicht    MacherInnen der Studie erkannt haben, denn             zusammengesetzt. LehrerInnen aus allen Schul-
den Tausenden Eltern, die ihre Kinder diesen       es gibt noch keine Daten über die erreichten           formen arbeiten eng zusammen. Zu Beginn jeden
noch neuen Schulen anvertraut haben. Im Ver-       Abschlüsse der SekundarschülerInnen, und Pro-          neuen Schuljahres erweitert sich das Kollegium
gleich zu anderen Schulformen eine vielleicht      gnosen sind nur schwer möglich.                        durch Versetzungen und Neueinstellungen. All
kleine Anzahl von Personen, die aber in einem                                                             diese neuen KollegInnen müssen in das Team in-
                                                   Eltern: Eine große Chance,                             tegriert und eingearbeitet werden. Und trotz der
spannenden, abwechslungsreichen, kreativen
                                                   Schule mitzugestalten                                  vielen Personalbewegungen sind die wenigsten
und fordernden Schulumfeld lernt, arbeitet
und mitgestaltet.                                     Die Eltern waren mutig, als sie ihre Kinder         Schulen voll besetzt: Die durchschnittliche Stel-
                                                   2012 an den ersten gegründeten Sekundar-               lenbesetzung liegt laut Schul-Informations- und
SchülerInnen: Gemeinsames Lernen                   schulen anmeldeten. Sie wussten nicht, ob die          -Planungs-System (SchIPS) für die Schulaufsicht
nahe dem Wohnort                                   Schulform überhaupt zustande kommen würde              nur bei 96 Prozent, sollte bei Schulen im Aufbau
   Den SchülerInnen ist die Umstellung auf die     und wenn ja, wie erfolgreich die neue Schule am        aber eigentlich bei 110 Prozent liegen. Der
neue Schulform wohl am leichtesten gefallen.       Wohnort arbeiten würde. Allerdings begriffen           Mangel an KollegInnen zeigt sich insbesondere
Sie besuchen eine Schule nah an ihrem Wohnort,     viele, dass sich hier eine große Chance für sie bot,   in den Fächern Chemie oder Physik, da diese
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