Das deutsche Bildungssystem auf dem Prüfstand - 20 Jahre
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ständige Deutsche Kinderhilfe 20 spezial Jahre Das deutsche Bildungssystem auf dem Prüfstand www.kindervertretung.de
Liebe Kindervertreter*innen, liebe Freund*innen und Förder*innen der Deutschen Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung, liebe Kinder, das Recht auf Bildung ist ein fundamentales Menschenrecht. Doch Die beste Bildung für ALLE Kinder – das bedeutet nicht die größt- gerade die Corona-Pandemie hat uns wieder einmal deutlich vor mögliche Anhäufung von Wissen. Bildungseinrichtungen wie Kitas Augen geführt, dass dieses in der „Allgemeinen Erklärung der Men- und Schulen sollen Orte sein, wo Kinder mit- und voneinander schenrechte“ festgeschriebene Recht selbst in unserem hochentwi- lernen, wo sie in ihrer Einzigartigkeit wertgeschätzt werden und ckelten Deutschland leider nicht ausreichend gewährleistet wird. sich gut und richtig fühlen so wie sie sind, wo sie in der freien So zeigt die aktuelle Krise, dass Kindern und Jugendlichen der Zu- Entfaltung ihrer Persönlichkeit, ihrer individuellen Potentiale und gang zur Bildung zeitweise erschwert oder sogar gänzlich verwehrt ihrer Kreativität bestmöglich unterstützt werden. Dabei gilt es wurde. Die Folge: Bildungsarmut und wachsende Ungleichheit. selbstverständlich, Kindern die Kompetenzen und Fähigkeiten zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, ein selbstbestimmtes, sinn- Doch genauer betrachtet bestehen die Probleme unseres Bildungs- erfülltes und zugleich glückliches Leben zu führen. Dabei sollte die systems mehr oder weniger schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten und Förderung des Gemeinschaftssinns und der Bereitschaft für sich, haben sich durch die Corona-Pandemie lediglich verschärft. Daher für andere sowie für unsere Erde Verantwortung zu übernehmen 1 wird die Corona-Krise oft mit einem Brennglas verglichen, durch das und für deren Erhalt einen Beitrag zu leisten, ebenfalls Aufgabe die Missstände des Bildungssystems verstärkt hervortreten. Dies von Bildungseinrichtungen sein. betrifft insbesondere die mangelnde Digitalisierung im Bildungsbe- reich, die in der Pandemie besonders deutlich wurde und daher im Kitas und Schulen brauchen jedoch mehr Raum, damit der ange- vorliegenden Magazin als Schwerpunkt behandelt wird. Freuen Sie borene Bewegungs- und Entdeckungsdrang der Kinder erhalten sich dazu unter anderem auf Beiträge zur Schule der Zukunft, wie bleibt. Sie lernen nicht fürs Leben, indem sie tagtäglich stunden- die Herausforderung der Digitalisierung gemeistert werden kann, lang im Frontalunterricht sitzen und sich das Einheitscurriculum über die Rechte der Kinder im Zuge der Digitalen Transformation, aneignen müssen. Lernen sollte vielmehr intrinsisch und explorativ zu Chancen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz beim Lernen gestaltet werden. Kinder brauchen den Raum und die Freiheit, ihre und die Stimme der Kinder. Auch sie sollten selbstverständlich ge- Umwelt zu erleben, zu verstehen und in altersangemessenen, realen hört werden. Sie berichten in dieser Ausgabe, wie sie die Zeit der Erfahrungsräumen zu lernen. Genau das sollte Schule leisten, doch Schulschließungen erlebten, ob bzw. wie das Lernen funktionierte dafür braucht sie Mut zur Veränderung – zu neuen, innovativen und was sie sich konkret wünschen. Lernformaten, die unsere Kinder auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten und an deren Gestaltung sie aktiv betei- Mit dem Ziel, die beste Bildung für ALLE Kinder zu erreichen, wer- ligt werden. Dazu werden wir als ständige Kindervertretung gerne den – neben der defizitären Digitalisierung – in diesem Magazin unseren Beitrag leisten. auch noch weitere Probleme unseres Bildungssystems unter die Lupe genommen und Lösungsansätze für eine zukunftsfähige Bil- An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich bei dung in Kita und Schule vorgestellt. Folgende fünf Aspekte werden unseren Expert*innen für die großartige Unterstützung bei der dabei genauer auf den Prüfstand gestellt: die frühkindliche Bildung Realisierung dieses Magazins bedanken. Ihre Beiträge haben ent- in der Kita, die Chancengerechtigkeit, der Bildungsföderalismus, schieden zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen. die Lehrkräftebildung und das Thema Schulverweigerung. Damit ergänzt dieses Magazin unser bereits Ende 2018 erschienenes Heft Wir wünschen Ihnen allen eine interessante Lektüre, freuen uns „Bildung ist MEHR wert!“, welches Sie ebenfalls gerne bei uns be- über Ihre Rückmeldung zu diesem Magazin und darauf, mit Ihnen ziehen können. gemeinsam den Bildungsdialog im Sinne der Kinder fortzusetzen. Herzliche Grüße Heino Qualmann Jan Havemann Yade Lütz Vorstandsvorsitzender stellv. Vorstandsvorsitzender Projektmanagerin Bildung
Inhalt Seite 1 Editorial Seite 2 Impressum Seite 4 Nur eine gute frühkindliche Bildung in der Kita schafft Chancengleichheit im späteren Leben Seite 6 Bildungserfolg von sozialer Herkunft entkoppeln! Seite 10 Bildungsungleichheit in der Klassengesellschaft Seite 14 Brauchen wir ein Ende des Flickenteppichs in der Bildung? Seite 18 Bildungsföderalismus – Flickenteppich oder Innovationskatalysator? Seite 24 Digitale Bildungslücken erfolgreich schließen! Seite 28 Kinderrechte im Zuge der Digitalen Transformation verwirklichen Seite 32 Geist und Glasfaser: die Corona-Pandemie und die Schule der Zukunft Seite 36 Bildungsteilhabe und Digitalisierung – Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie Seite 39 Kinder für ihre Zukunft bilden, nicht für unsere Vergangenheit Seite 42 Künstliche Intelligenz in der Schule 2 Seite 45 Lesekompetenz und KI Seite 48 Qualitätsoffensive für die Lehrerbildung: praxisnäher, vernetzter, digitaler Seite 51 Kinderbefragung zur Bildung in der Corona-Krise Seite 54 Kinderschutz und Kinderrechte in der Schule – Zur Notwendigkeit von Lehrkräftefortbildungen Seite 58 Wie Schulverweigerung entstehen kann – ein Fallbeispiel Seite 60 Präventive Ansatzpunkte gegen Schulverweigerung und Schulabsentismus Seite 64 Sozialpädagogische Projekte für schulverweigernde Kinder und Jugendliche Seite 66 Mitten im Betrieb statt abwesend in der Schule: Das Projekt „Anstoß“ in Hildesheim Seite 69 Wie Bildung gelingt: Ein Plädoyer für lebendige Vielfalt Impressum Herausgeber Redaktion (V.i.S.d.P.): Layout Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Yade Lütz Michael Geisler_Factory Kommuni- Kindervertretung e.V. kation Haus der Bundespressekonferenz Verlag und Anzeigenverwaltung E-Mail: Schiffbauerdamm 40 Verlag Herrmann & Stenger GbR – m.geisler@factorywerbeagentur.de 10117 Berlin Soziales Marketing Telefon: 030 2434294-0 Rüsselsheimer Str. 22, Gebäude A Druck Fax: 030 2434294-9 D-60326 Frankfurt/Main Schneider Druck GmbH E-Mail: info@kindervertretung.de Telefon: +49 (0)69 60605888-13 Erlbacherstr. 102 Web: www.kindervertretung.de Telefax: +49 (0)69 60605888-10 91541 Rothenburg ob der Tauber E-Mail: info@sozialesmarketing.de Vorstandsvorsitzender: Web: www.sozialesmarketing.de Heino Qualmann Vereinsregister des AG Charlottenburg Anzeigenleitung (V.i.S.d.P.): VR-Nr. 19957 B, Anerkannt als gemein- Volker Herrmann nützig im Sinne der AO Finanzamt Berlin St.-Nr. 27/663/64466
WE CARE WE DO WE MOVE 3 Verantwortung bewegt Welten Gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wollen wir im Umfeld unserer Standorte und rund um den Globus einen nachhaltigen Nutzen für das Gemeinwohl stien. Mit der Initiative WE CARE WE DO WE MOVE bündeln wir alle weltweiten Corporate Citizenship Aktivitäten. WE CARE, weil wir Verantwortung im Rahmen unserer nachhaltigen Geschässtrategie übernehmen. WE DO, da unser gesellschaliches Engagement vom aktiven Einsatz geprägt ist. WE MOVE, weil wir Positives in der Welt bewegen möchten. www.daimler.com/caredomove
Prüfstand „Frühkindliche Bildung“ Nur eine gute frühkindliche Bildung in der Kita schafft Chancengleichheit im späteren Leben In den ersten Lebensjahren werden die entscheidenden überlastete Kinderpflegerinnen und Praktikanten die Kin- Weichen für die gesamte Entwicklung eines Kindes ge- der. Die Folgen: zu wenig bedeutungsvolle Gespräche zwi- stellt. Es durchläuft mehrere Entwicklungsphasen, die in- schen Kindern und Erzieher*innen, zu wenig gemeinsame einandergreifen. So entwickelt sich aus dem Schreien das Spiele, zu wenig Förderung musikalischer Fähigkeiten, zu Lallen, aus dem Lallen das Brabbeln; irgendwann spricht wenig kreative Anregung, zu wenig Bewegung – kostbare das Kind die ersten Wörter und bald auch einfache Sätze. Entwicklungszeit wird durch diesen Mangel verschenkt. Ebenso entwickelt es seine motorischen Fähigkeiten. Aus „Schwierige“ Kinder bekommen schnell den Stempel der den anfangs unkoordinierten Bewegungen werden zielge- „Therapiebedürftigkeit“, man schickt sie zu uns Kinder- richtete Bewegungen, das Kind lernt, den Kopf zu heben, und Jugendärzten mit der Aufforderung, Logopädie oder 4 sich zu drehen, es beginnt zu robben und zu krabbeln, dann Ergotherapie zu verordnen. Als wenn einmal in der Woche zu laufen; es lernt zu greifen, einen Stift zu halten und zu zwanzig Minuten Therapie Defizite „reparieren“ könnten, malen. Auch seine emotionalen, kognitiven und sozialen die häusliche Vernachlässigung und der Mangel an Förde- Kompetenzen, die Fähigkeiten, Kontakt zu suchen, Bin- rung in der Kita verursachen! dungen einzugehen, unbekannte Aufgaben zu lösen, sich in Gruppen zu integrieren und Interessen zu verhandeln, Wolfgang Tietze, emeritierter Professor für Kleinkindpä- entwickeln sich grundlegend in den ersten Lebensjahren. dagogik an der FU Berlin, beschrieb in seiner bekannten Wir Kinder- und Jugendärzte begleiten diese Entwicklung. NUBBEK-Studie („Nationale Untersuchung zur Bildung, Wir wissen, dass jedes Kind sein eigenes Entwicklungstem- Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“) bereits po hat. Die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen helfen 2012 die Auswirkungen der pädagogischen Magerkost auf uns zu erkennen, ob sich die Entwicklung im Normbereich Kinder: Kinder, die eine qualitativ schlechte Kita besuchen, abspielt oder ob in bestimmten Bereichen eine Entwick- hinkten bis zu einem Jahr hinter der Entwicklung von Kin- lungsstörung vorliegt. In den letzten Jahren sehen wir dern in einer guten Kita her. Der negative Effekt zeigt sich immer mehr Kinder mit Entwicklungsstörungen. Einige in zahlreichen Studien über die Schullaufbahn bis hin zur dieser Entwicklungsstörungen beruhen auf genetischen späteren Berufstätigkeit und der Höhe des Einkommens. Veranlagungen, andere auf biologischen Reifungsverzöge- Wer zu Hause nicht gut gefördert wird und dazu das Pech rungen, sehr viele haben jedoch soziogene Gründe: Anre- hat, in einer schlechten Kita zu landen, erreicht weniger in gungsarmut oder sogar Vernachlässigung. In Familien, in der Schule, im Beruf, bricht eher die Schule ab, landet eher denen nicht vorgelesen, erzählt, gebastelt und gemeinsam im Gefängnis, verdient lebenslang weniger als von Anfang gegessen und gespielt wird, in denen das Kind und sein Be- an gut geförderte Altersgenossen. dürfnis nach sicheren Bindungen und Zuwendung nicht ge- sehen wird, kann es seine angeborenen Fähigkeiten nicht Inzwischen hat der Staat viel dafür getan, die Betreu- einüben und sich gesund entwickeln. Sprachvermögen, ung von Kindern in Kitas zu verbessern und auszubauen. Motorik, die intellektuelle Entwicklung und die Ausbildung Es gibt einen Rechtsanspruch auf Kitabetreuung, was zu sozialer Kompetenzen leiden. einem gewaltigen Ausbau der Kitaplätze geführt hat, es gibt Programme wie die Sprach-Kitas. 2014 versprach Bun- Gute Kitas sind gerade für diese Kinder aus zumeist armen desfamilienministerin Manuela Schwesig, mit Hilfe eines und bildungsfernen Familien wichtig. Hier können Entwick- Bundesqualitätsgesetzes die zum Teil erheblichen Quali- lungsstörungen und -verzögerungen und ihre Ursachen tätsunterschiede in Kitas aufzuheben – bisher ohne große frühzeitig erkannt und im besten Fall günstig beeinflusst Folgen, denn Länder und Kommunen wollen sich nicht in werden durch kompensatorische Förderung des Kindes und ihre Hoheit über die Kitas hineinreden lassen – vor allem durch Beratung der Eltern bzw. Bezugspersonen. Aber sol- aber wollen sie nicht auf den Kosten für die höhere Qualität che guten Kitas sind Mangelware in Deutschland. Immer sitzen bleiben. Zuletzt wurde 2019 das Gute-Kita-Gesetz noch sind laut aktueller Bertelsmann-Studie bundesweit beschlossen, 5,5 Milliarden Euro sollen die Länder bis zum 54 % aller Kita-Gruppen zu groß und statt ausgebildeter Jahr 2022 abrufen. Doch statt das Geld in die Qualitäts- Erzieher und Erzieherinnen betreuen überforderte und verbesserung der Kitas zu stecken, verwenden die Länder
Gute Kita: Frühe Förderung schafft Vorteile fürs ganze Leben. nun ein Drittel der Mittel für die Senkung der Beiträge. Nur reichend Zeit zur Vor- und Nachbereitung und für Fortbil- zwei Drittel der Gelder fließen in die Verbesserung der Be- dungen haben. treuung. Das wird nicht reichen, um flächendeckend allen Kindern und insbesondere den Kindern aus prekären Ver- Um gute Kitas zu schaffen, bräuchten wir auch Instrumen- hältnissen einen guten Start ins Leben zu sichern. Trotz te, um die Betreuungs-Qualität von Kitas zu überprüfen. des „Gute-Kita-Gesetzes“ haben wir weiterhin zu viele Warum also nicht unabhängige Expert*innen die Kitas schlechte Kitas. bewerten lassen und durch die Vergabe von Sternen die Qualität kenntlich machen? Kleine Gruppen, studierte Unsere Welt wird immer komplizierter und vielfältiger, Erzieher*innen, die die Talente und Neigungen jedes ein- 5 Kinder müssen früh lernen, sich auf ständig wechselnde zelnen Kindes anregen und fördern, Schwächen erkennen berufliche und gesellschaftliche Verhältnisse einzustellen, und ausgleichen können, ein angeschlossenes Familien- sie müssen lernen, lebenslang zu lernen, um mithalten zu zentrum, das die Eltern auch bei häuslichen Problemen be- können. Sie müssen aber gleichzeitig auch lernen, sich zu rät, regelmäßige Musikförderung: fünf Sterne! wappnen gegen die Überflutung mit medialen Reizen, Wi- derstand zu leisten gegen die Vereinnahmung durch eine Um ein solches Bewertungskonzept zu schaffen, müssten Arbeitswelt, die über elektronische Medien rund um die wir uns darauf verständigen, was Kitas vermitteln sollen Uhr nach ihnen greift. Sie müssen lernen, mit sich selbst und wie. Wir bräuchten also ein national verbindliches Bil- in Verbindung zu bleiben, zu spüren, was ihnen guttut und dungs- und Förderkonzept für die frühen Jahre, dessen Ein- was sie krank macht. haltung überprüft werden könnte. Was wir in Deutschland haben, ist aber nur ein Durchwursteln. Jede Einrichtung Gute Kitas müssten Kindern helfen, diese Fähigkeiten zu setzt ihre eigenen Prioritäten. Das kann Vorteile haben, entwickeln, sie müssten ihre Beziehungskompetenz we- zum Beispiel können Eltern bewusst Kitas mit besonderen cken, ihre innere Stärke, ihre Kreativität und Neugier Schwerpunkten wählen, andererseits fehlen verbindliche fördern. Sie müssten die Kinder beobachten, an ihren klare Standards, in Curricula umsetzbare Vorgaben. Wenn Interessen ansetzen, eventuelle Auffälligkeiten und Ent- es gelänge, diese einzuführen und zu überprüfen, wäre das wicklungsrückstände bemerken und damit zur weiteren ein Riesengewinn. Vor allem für die Kinder, die auf Förde- Untersuchung und Klärung durch den Kinder- und Jugend- rung und Unterstützung in der Kita angewiesen sind, weil arzt beitragen, ohne dabei die Eltern zu verunsichern. Sie es zu Hause daran mangelt. Sie könnten ihre Talente und müssten vielmehr die Eltern „mit ins Boot“ holen, also Er- Interessen entfalten, anstatt wie bisher von Anfang an mit ziehungspartnerschaften aufbauen. schlechteren Chancen zu starten, ins Medizinsystem ver- schoben zu werden und im gesamten weiteren Leben hinter Doch dazu bräuchte es eine verbesserte Strukturqualität. ihren Möglichkeiten zurückzubleiben. An dieser fehlt es hauptsächlich. Es ist ein Jammer, dass so viele Erzieherinnen und Erzieher sich mit enormer Begeis- terung für ihren Beruf engagieren, dass ihr Engagement aber viel zu oft in der täglichen Überforderung versandet. Erzieherinnen und Erzieher müssten, wie in vielen ande- ren Ländern, nach einem verbindlichen Fächerkanon ler- nen und ihr Wissen auch wissenschaftlich vertiefen. Wir Der Autor: brauchen ein verbindliches Hochschulstudium für Erzieher Dr. Thomas Fischbach und Erzieherinnen. Und damit einhergehend eine bessere Präsident des Berufsverbandes Bezahlung ihrer Arbeit, mindestens müssten sie so viel ver- der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ e. V.) dienen wie Grundschullehrer. Dann müsste der Personal- schlüssel in den Kitas verbessert werden, so dass überall Frank Schoepgens FOTOGRAFIE, kleine Gruppen möglich sind und die Erzieher*innen aus- Köln
Prüfstand „Chancengerechtigkeit“ Bildungserfolg von sozialer Herkunft entkoppeln! Die Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung Bildungserfolg und die soziale Herkunft MÜSSEN entkop- e. V. setzt sich seit Jahren, zum Beispiel mit ihrem Projekt pelt werden. Das bedeutet aber auch, dass die Situation „Bildung für ALLE“, für ein gerechtes Bildungssystem in von Familien in sozial schwierigen Lebenslagen verbessert Deutschland ein, das allen Kindern gleichermaßen Chancen werden muss, um einer möglichen bildungsbezogenen Be- auf eine gute Bildung ermöglicht – und das von Anfang an. nachteiligung der Kinder wirksam zu begegnen. Bildungs- Denn in Bezug auf Bildung ist das Gerechtigkeitsproblem und Sozialpolitik sollten somit wirksam verzahnt werden. hierzulande nach wie vor gravierend und erfordert drin- Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, aus kinder- gend eine Lösung. Mehr als in vielen anderen OECD-Staaten reichen Familien sowie von Alleinerziehenden sind beson- hängt in Deutschland der Bildungserfolg der Kinder stark ders häufig von bildungsbezogenen Risikolagen betroffen. vom Geldbeutel, Bildungsstand und Wohnort der Eltern Sie wachsen überdurchschnittlich oft unter den Bedingun- ab. Das bildungspolitische Ziel ist somit klar definiert: Der gen der Armutsgefährdung auf. 6 Von Anfang an und häufiger benachteiligt: Kinder von Al- leinerziehenden und Familien mit Migrationshintergrund geraten schneller in prekäre Lebenslagen. (Quelle: Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2020“, S. 46) Darüber hinaus lassen sich drei strukturelle Merkmale fest- gen, 4 % der Kinder sind sogar von allen drei Risikolagen legen, aus denen sich mögliche Risikolagen für den Bil- betroffen, mit entsprechenden negativen Folgen für ihre dungserfolg der Kinder ergeben: Bildungschancen. 1. formal gering qualifiziertes Elternhaus/ Frühkindliche Bildung zahlt sich aus niedriger Bildungsstand Bei der Verbesserung der Chancengerechtigkeit kommt be- 2. soziale Risikolage/Erwerbslosigkeit der Eltern reits der frühkindlichen Bildung eine immense Bedeutung 3. finanzielle Risikolage/geringes Familieneinkommen zu, denn in Kitas mit qualitativ hochwertiger Bildung und Betreuung erlernen die Kinder Fähigkeiten, die für ihre Diesbezüglich lebte im Jahr 2018 in Deutschland etwa je- späteren Entwicklungs-, Teilhabe- und Aufstiegschancen des dritte Kind unter 18 Jahren in einer dieser Risikola- von besonderer Relevanz sind. Frühkindliche Bildungsmaß-
nahmen kommen vor allem Kindern aus benachteiligten Problem Selektionssystem Familien zugute, sie können einen erheblichen Mehrwert Im Hinblick auf die mangelnde Chancengerechtigkeit im aus dem Kita-Besuch ziehen, nicht nur durch die Bildungs- deutschen Bildungssystem wird zudem häufig kritisiert, angebote als solche, sondern insbesondere auch durch die dass Schüler*innen hierzulande schon frühzeitig nach dem Interaktion mit Kindern aus bessergestellten Familien. Ende der Grundschulzeit – und damit deutlich früher als Doch bei der frühkindlichen Bildung bestehen in Deutsch- im OECD-Durchschnitt – selektiert und auf verschiedene land gleich mehrere Probleme: Im Jahr 2020 fehlten mehr Schultypen verteilt werden. Nach Ansicht der OECD steigt als 340.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren, jedoch der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf den Bil- weitere 225.000 Betreuungspersonen werden in nächster dungserfolg, je früher die Selektion erfolgt. Daher befür- Zeit benötigt. Eine weitere Herausforderung liegt zudem worten Expert*innen, Schüler*innen länger – bestenfalls darin, die frühkindliche Bildungsbeteiligung von Kindern bis zu einem Alter von 16 Jahren – gemeinsam zu unter- aus Familien in prekären Lebenslagen zu erhöhen, denn ge- richten und lernen zu lassen. Kinder aus weniger privile- rade bei diesen Kindern, die am meisten davon profitieren gierten Schichten würden somit bessere Bildungschancen könnten, ist eine unterdurchschnittliche Nutzung festzu- erhalten. Insgesamt führe dies sogar zu einem höheren Bil- stellen. Dies liegt primär in den ungleichen Zugangschan- dungssockel für ALLE sowie zu mehr Respekt füreinander. cen zu den verfügbaren U3-Plätzen begründet, weshalb ein Der flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen, der bedarfs- und flächendeckender Ausbau von Kinderbetreu- mit verbindlich festgelegten Qualitätskriterien einherge- ungsplätzen dringend erforderlich ist, selbstverständlich hen sollte, ist daher eine wichtige Maßnahme hin zu mehr ohne dabei die Qualität außer Acht zu lassen. Chancengerechtigkeit. Ein weiterer Vorteil des Ganztags- schulausbaus ist die damit verbundene steigende Erwerbs- Dass sich mehr Investitionen in die frühkindliche Bildung tätigkeit der Mütter. Dadurch sinkt ihre Wahrscheinlichkeit auch aus volkswirtschaftlicher Sicht lohnen, bestätigt später von Altersarmut betroffen zu sein. beispielsweise Prof. Waldemar Stange: seinen Berechnun- gen zufolge bringt jeder Dollar, der in die frühkindliche Besonders positiv zu bewerten ist daher der im aktuellen Bildung investiert wird, der Gesellschaft das Vierfache an Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtsanspruch auf Ganz- Rendite zurück, bei prekären Zielgruppen, z. B. Menschen tagsbetreuung an Grundschulen, der ab dem Jahr 2025 7 mit Migrationshintergrund, liegt das Verhältnis sogar bei gelten soll. Bis dieser Rechtsanspruch Wirklichkeit werden eins zu sieben. Langzeitstudien in den USA zufolge ist so- kann, ist es aber noch ein weiter Weg. Nicht nur, dass ak- gar das Vierzigfache an Rendite möglich. Nach Ansicht der tuell noch mehr als 1 Million Plätze fehlen, wieder einmal Bertelsmann Stiftung lohnt sich jeder Euro, der in früh- gibt es in unserem föderalen System Streit zwischen Bund kindliche Bildungsangebote investiert wird, mehr als in und Ländern über die Finanzierung dieses Vorhabens. Eine JEDE andere Bildungsinvestition. Prof. Stange zufolge ist schnelle Einigung ist jedoch gerade im Hinblick auf die Ver- gerade bei der Verbesserung der Chancengerechtigkeit der besserung der Chancengerechtigkeit in Deutschland drin- Nutzen des Krippenbesuchs für benachteiligte Kinder noch gend erforderlich. Dieses unverzichtbare Vorhaben darf deutlich größer als für den Durchschnitt. Gehen Kinder aus nicht scheitern! benachteiligten Familien in eine Krippe, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie später ein Gymnasium besu- Brennglas Corona-Pandemie chen um 65 %, bei nicht benachteiligten Kindern liegt die Erfreulicherweise konnte Deutschland in den vergangenen Wahrscheinlichkeit hingegen bei 38 %. Jahren bei der Verwirklichung der Bildungsgerechtigkeit
Prüfstand „Chancengerechtigkeit“ einige Fortschritte erzielen. So stieg beispielsweise in Wir fordern daher die Politik dringend dazu auf, das Bil- den Jahren 2000 bis 2018 der Anteil junger Menschen aus dungs- und Teilhabepaket endlich im Sinne der Chancenge- Nichtakademikerfamilien, die einen Hochschulabschluss rechtigkeit nachzubessern und ALLEN Schüler*innen, die erwarben, von 19 auf 30 %. Doch in der jüngsten PISA-Stu- im staatlichen Hilfebezug sind, einen Rechtsanspruch auf die verdichtete sich erneut der Zusammenhang von sozio- Lernförderung einzuräumen – unabhängig vom individuel- ökonomischem Status der Kinder und ihrer nachgewiesenen len Leistungsstand! Lesekompetenz. Zudem verließen wieder mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss. Individuelle Förderung statt Nachhilfe! Langfristig betrachtet müssen Schule und Unterricht je- Durch die Corona-Pandemie dürfte sich die bestehende Bil- doch dazu in der Lage sein, JEDES Kind unabhängig von dungsungerechtigkeit nochmals zugespitzt haben, weshalb seiner sozialen Herkunft so individuell zu fördern, dass Corona auch mit einem Brennglas verglichen wird, das die es sich begabungsgerecht entwickeln und seine Potenti- bestehenden Probleme verschärfe. So hatten während der ale voll zur Entfaltung bringen kann. Privater, außerschu- pandemiebedingten Schulschließungen Kinder aus sozial lischer Nachhilfeunterricht oder teure außerschulische benachteiligten Familien häufiger keine entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen, z. B. bei einer bestehenden digitalen Endgeräte und zuverlässige Internetzugänge, mit Legasthenie oder Dyskalkulie, die sich nicht alle Familie denen sie von zu Hause an den digitalen Lernangeboten der leisten können, sollten damit obsolet und mehr Chancen- Lehrkräfte hätten teilnehmen können und sie erhielten we- gerechtigkeit gewährleistet sein. Diesbezüglich lohnt ein niger Unterstützung durch ihre Eltern. Diese Schüler*innen Blick in andere Länder wie z. B. Finnland, eine der bes- blieben somit während der Zeit der Schulschließungen „ab- ten Bildungsnationen der Welt. Das Land gibt in Relation gehängt“ und konnten weniger Lernzuwächse verzeichnen zum Bruttoinlandsprodukt mehr Geld für Bildung aus als als Kinder aus bessergestellten Familien. Die Politik ist der OECD-Durchschnitt, wohingegen die deutschen Bil- 8 daher dringend gefordert, eine langfristig und nachhaltig dungsausgaben im Vergleich deutlich unter dem OECD- angelegte Digitalisierungsstrategie, die insbesondere auch Durchschnitt liegen. Dafür kommen die Schüler*innen in Kinder aus Familien in bildungsbezogenen Risikolagen Finnland auch fast völlig ohne Nachhilfe aus und Inklusion stärker im Blick hat, auf den Weg zu bringen sowie hierzu wird als Leitgedanke gelebt. Dies sollte sich Deutschland verpflichtende Aus- und Fortbildungen für Lehrkräfte zu zum Vorbild nehmen. etablieren. (Ausführlichere Informationen zu diesem The- ma finden Sie im Prüfstand „Digitalisierung“ ab Seite 23) Literatur: Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2020“: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland Bildungspaket nachbessern! 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer Das deutsche Schulsystem kommt ohne privaten Nachhil- digitalisierten Welt. Bielefeld feunterricht nicht aus, fast zwei Drittel der Schüler*innen nutzen entsprechende Angebote. Somit boomt der Nach- hilfemarkt hierzulande mehr als je zuvor. Doch des einen Freud ist des anderen Leid, denn schließlich ist dieser Boom ein Zeichen für das Versagen unseres Schulsystems. Und das Nachsehen in puncto Nachhilfe haben wiederum Kinder aus armen Familien, die sich außerschulische Lern- förderung oftmals nicht leisten können. Hier versuchte die Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e. V. mit ihrem eingangs erwähnten und bereits prämier- ten Projekt „Bildung für ALLE“ eine Lücke zu schließen. Damit finanziert der Verein Kindern aus bedürftigen Fa- Die Autorin: milien, deren Anträge auf Lernförderung im Rahmen des Yade Lütz Bildungs- und Teilhabepakets abgelehnt wurden, dennoch Projektmanagerin bei der Deutschen Kinderhilfe – ihre benötigte Nachhilfe. Diesbezüglich lagen große Hoff- Die ständige Kindervertretung e.V., nungen auf dem Jahr 2019, in welchem die Bundesregie- Diplom-Politologin rung beabsichtigte, mit dem „Starke-Familien-Gesetz“ eine wirksame Maßnahme zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland auf den Weg zu bringen und in diesem Zuge auch die Regelung bei der Bewilligung von Lernförderung zugunsten benachteiligter Kinder zu verbessern. Doch die Hoffnungen wurden zerschlagen, als klar war, dass ledig- lich jene Schüler*innen Lernförderung erhalten sollten, deren Leistungen schlechter als „ausreichend“ sind. Da das Erreichen eines höheren Leistungsniveaus – wie schon zuvor – nur bei mangelhaftem Leistungsstand unterstützt wird, blieb mehr oder weniger alles beim Alten.
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Prüfstand „Chancengerechtigkeit“ Bildungsungleichheit in der Klassengesellschaft In der Bundesrepublik sind die Bildungschancen ähnlich einhergingen, haben die Benachteiligung von Kindern aus ungleich verteilt wie Einkommen und Vermögen. Wenn es finanzschwachen Familien im Bildungsbereich verstärkt. um den Bildungserfolg von (Schul-)Kindern geht, spielen Häufig standen ihnen keine geeigneten digitalen Endgerä- die soziale Herkunft bzw. die Klassenlage und der famili- te (Laptop oder Tablet und Drucker) im Haushalt zur Verfü- äre Hintergrund nach wie vor eine Hauptrolle. Zu fragen gung, die nötig gewesen wären, um den Kontakt zur Schule ist deshalb, ob ein Grund für die sozioökonomische Pola- zu halten und nicht ins Hintertreffen gegenüber materiell risierung in einer parallel dazu wachsenden Bildungsun- bessergestellten Klassenkamerad(inn)en zu geraten. In gleichheit und kulturellen Defiziten der Unterschichtan- migrierten Familien verstärkten die bestehenden Sprach- gehörigen liegt. Nur dann könnte die Klassenspaltung der barrieren das Problem: Sprachen die Eltern (noch) wenig Gesellschaft durch mehr oder eine bessere (Schul-)Bildung Deutsch, konnten sie auch nicht als „Ersatzlehrer/-innen“ für alle überwunden bzw. bewältigt werden, wie verschie- herhalten. Auf diese Weise wurden Schüler/-innen aus un- dentlich zu hören ist. terprivilegierten Elternhäusern im Extremfall regelrecht 10 abgehängt. Bildungsbe(nach)teiligung während der Covid-19-Pande- mie Trotz dieser zusätzlichen Privilegierung der Kinder aus gut- Ohne die Würdigung der überragenden Bedeutung mate- situierten Familien lehnten Jobcenter und manche Sozial- rieller Güter für die Existenz, das Ansehen und die Wert- gerichte einen pandemiebedingten Mehrbedarf für Kinder schätzung eines Menschen in unserer Gesellschaft kann aus Hartz IV beziehenden Familien teilweise ab, obwohl das Problem der Bildungsungleichheit nicht verstanden sie nur über ein Smartphone und manchmal nicht einmal werden. In einer Marktgesellschaft, wo das Geld so wich- über einen Internetzugang (WLAN) verfügten. Zwar legte tig ist wie noch nie und so ungleich verteilt ist wie noch der Bund zusammen mit den Ländern am 15. Mai 2020 ein nie, entscheidet nicht zuletzt das Portemonnaie über die Sofortprogramm in Höhe von 550 Millionen Euro für den Bildungschancen der Menschen. Ob ein Kind nach dem digitalen Unterricht auf. Damit sollen die Bildungseinrich- Schulunterricht auf den Bolzplatz oder in die Ballettschu- tungen bedürftigen Schüler(inne)n einen Zuschuss von le geht, hängt nicht bloß von seinem Geschlecht, sondern 150 Euro für die Anschaffung entsprechender Geräte ge- auch oder vielleicht sogar noch mehr vom Einkommen und währen und professionelle Online-Lehrangebote erstellen. vom sozialen Status seiner Eltern ab. Kinder reicher Eltern Allerdings reichte der genannte Betrag nicht aus, um damit sind eindeutig im Vorteil, weshalb man in Abwandlung ei- spürbare Verbesserungen zu erzielen. Bei dem zwei Jahre nes deutschen Sprichwortes sagen kann: Wo eine Villa ist, vorher geschlossenen „DigitalPakt Schule“ waren die Ver- ist auch ein Weg, sei es zum Abitur, zum Studium und/oder gabelinien derart kompliziert, dass erst ein Bruchteil der zur beruflichen Karriere. bis zum Jahr 2024 bewilligten Gesamtsumme von fünf Mil- liarden Euro abgerufen wurde. Ein weiteres Problem sozial Das deutsche Bildungssystem reproduziert und zementiert benachteiligter Familien konnte dadurch ebenfalls nicht aufgrund seiner Mehrgliedrigkeit die Klassenstruktur der gelöst werden: Oft fehlt armen Kindern ein eigenes Zimmer Gesellschaft. Die ungleiche Verteilung der Güter, Einkom- und damit ein ruhiger Arbeitsplatz, der ihnen ein konzen- men und Vermögen führt zu unterschiedlichen Zugangs- triertes Lernen ermöglichen würde. möglichkeiten im Hinblick auf Bildungs- und Ausbildungs- einrichtungen, erst recht dann, wenn diese im Rahmen Armut durch Bildungsdefizite oder Bildungsdefizite einer neoliberalen Privatisierungsoffensive von der Markt- durch Armut? bzw. Kaufkraft ihrer „Kunden“ abhängig gemacht werden. Dieser missverständliche und zumindest mehrdeutige Be- Hieraus resultiert eine strukturelle Bildungsbenachteili- griff wurde von Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wis- gung von Armen, die an den weiterführenden Schulen und senschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, kurz vor an den Universitäten immer noch deutlich unterrepräsen- der Jahrtausendwende in die deutsche Fachdebatte ein- tiert sind. geführt. Er verweist zwar auf die soziale Determiniertheit von Bildungsdefiziten und markiert diese auch in einem Kita- und Schulschließungen, die in höheren Jahrgangs- bestimmten Maß als gesellschaftlich inakzeptabel, trägt stufen größtenteils mit einer beschleunigten Digitalisie- aber – vermutlich ungewollt – zur Reduktion des Armuts- rung des Unterrichts (Homeschooling und E-Learning) problems auf seine kulturelle Dimension bei.
Zweifellos verhindern Bildungsdefizite vielfach, dass junge seitens des Bundes wie der Länder allerdings beendet oder Menschen auf einem flexibilisierten Arbeitsmarkt sofort abgemildert hätte. Zugleich wurde das Soziale spürbar ab- Fuß fassen. Auch führt die Armut von Familien häufig dazu, bzw. entwertet, galt es doch im Unterschied zur Bildung dass deren Kinder keine weiterführende Schule besuchen nicht als Standortvorteil. Armut wurde in der (Medien-) oder sie ohne Abschlusszeugnis wieder verlassen. Armut Öffentlichkeit fortan noch häufiger auf die „Bildungsferne“ in der Herkunftsfamilie zieht bereits in der Sekundarstu- oder einen fehlenden Schulabschluss der von ihr Betroffe- fe oftmals Bildungsdefizite der davon betroffenen Kin- nen zurückgeführt. der nach sich. Der umgekehrte Effekt ist hingegen kaum signifikant: Ein schlechter oder fehlender Schulabschluss Damit verwechselte oder vertauschte man Ursache und verringert zwar die Erwerbschancen und erhöht das Ar- Wirkung, denn Armut zieht in einer zunehmend ökonomi- beitslosigkeitsrisiko, wirkt sich aber kaum nachteilig auf schen Imperativen gehorchenden, marktförmig bzw. ka- den Wohlstand einer Person aus, wenn diese vermögend ist pitalistisch organisierten Gesellschaft fast zwangsläufig oder Kapital besitzt. mangelnde bzw. mangelhafte Bildung nach sich, während eine gute (Aus-)Bildung heutzutage keineswegs mehr die Obwohl die Kinder aus ökonomisch und sozial benachtei- Gewähr dafür bietet, außerhalb des breiten Niedriglohn- ligten Familien zu den größten Bildungsverlierer(inne)n sektors zu arbeiten. Man kann geistreich und doch bet- gehören, basiert ihre Armut selten auf falschen oder feh- telarm, aber ebenso gut strohdumm und steinreich sein. lenden Schulabschlüssen, sind Letztere doch höchstens Bildung ist also weder ein Patentrezept gegen Armut noch Auslöser und Verstärker, aber nicht die eigentlichen Verur- eine Grundvoraussetzung zur Vermögensbildung in gro- sacher materieller Not. Bildungsdefizite führen allerdings ßem Stil, denn Firmengründer und -erben benötigen nicht oft zu einer Verfestigung der Armut, weil die Chancen eines einmal höhere Bildungsabschlüsse für die Mehrung ihres Menschen auf dem Arbeitsmarkt und Berufskarrieren heu- Reichtums. te immer stärker an Kompetenzen gebunden sind, die man 11 an weiterführenden und Hochschulen erwirbt. Armut, die Schlussfolgerungen und Gegenmaßnahmen in einer kapitalistischen Wohlstands- und Konsumgesell- Bildung wird hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Ungleichheit schaft wie der unseren vornehmlich einen Mangel an Geld, zu begrenzen, maßlos überschätzt. Sie ist kein Wunder- gesichertem Einkommen und Vermögen bedeutet, zieht mittel, um die materielle Unterprivilegierung (der Kinder) neben finanziellen Schwierigkeiten (Überschuldung) fast bestimmter Bevölkerungsschichten auszugleichen. Wären zwangsläufig Unterversorgungsprobleme in fast allen Le- alle Kinder und Jugendlichen, nicht bloß die mit einem bensbereichen der davon Betroffenen nach sich, auch und familiären Migrationshintergrund, besser gebildet, was ih- gerade im Bildungsbereich. nen sehr zu wünschen ist, würden sie womöglich nur auf einem höheren geistigen Niveau um die zu wenigen Ar- Durch den „PISA-Schock“ erfuhr die Bildung kurz nach der beits- bzw. Ausbildungsplätze konkurrieren. Dann gäbe es Jahrtausendwende unter dem wachsenden Einfluss des zwar am Ende mehr Taxifahrer mit Hochschulabschluss und Neoliberalismus eine neuerliche Aufwertung, ohne dass mehr Haushaltshilfen mit Abitur, aber weiterhin Armut und dieser Imagegewinn ihre chronische Unterfinanzierung sozioökonomische Ungleichheit.
Prüfstand „Chancengerechtigkeit“ Wenn die „Bildungsferne“ der Kinder aus Unterschichtfa- 4. Schließlich bedarf es einer sozialen Grundsicherung, die milien nicht selbstverschuldet, vielmehr das Resultat ihrer das soziokulturelle Existenzminimum ohne entwürdigende sozialen Benachteiligung ist, müssen die materiellen Vo- Antragstellung und bürokratische Bedürftigkeitsprüfung raussetzungen verbessert werden, unter denen sie leben. für alle Familien garantiert. Hierbei würde zunächst das Maßnahmen zur Verringerung und Verhinderung von noch Einkommen eines Haushaltes mit Kindern so weit aufge- mehr Kinderarmut sollten auf unterschiedlichen Politikfel- stockt, dass deren Versorgung staatlicherseits gesichert dern und Handlungsebenen ansetzen. wäre. Es gibt zwar kein Patentrezept zur Bekämpfung der Kin- Literatur: Butterwegge, Christoph (2020): derarmut, aber vier Kernelemente eines integrierten Ge- Ungleichheit in der Klassengesellschaft, samtkonzepts, die allesamt mit einem G beginnen: ein Köln: PapyRossa gesetzlicher Mindestlohn ohne Ausnahmen und in exis- tenzsichernder Höhe, eine gute Ganztagsbetreuung, eine Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild und eine armutsfeste, bedarfsgerechte und sanktionsfreie Grundsicherung für die Familien. 1. Nur durch einen gesetzlichen Mindestlohn in existenz- sichernder Höhe, die Streichung sämtlicher Ausnahmen sowie eine flächendeckende Kontrolle seiner Geltung kann man den Niedriglohnsektor einhegen. Damit der Mindest- 12 lohn seine Wirkung als Instrument zur Armutsbekämpfung entfalten und zur Verringerung der sozioökonomischen Un- gleichheit beitragen kann, sollte er zu einem „Lebenslohn“ (living wage) fortentwickelt werden, der auch die Teilnah- me am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Der Autor: 2. Noch immer ist die Versorgung mit öffentlichen Kinder- Prof. (em.) Dr. Christoph Butterwegge bis 2016 Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln betreuungseinrichtungen in weiten Teilen der Bundesre- und Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) publik unzureichend. Erheblich mehr Ganztagsschulen, die möglichst kostenlos bereits nach Vollendung des 1. Lebensjahres zur Verfügung gestellte Krippen-, Kinder- garten- und Hortplätze ergänzen sollten, hätten einen Doppeleffekt: Einerseits würden von Armut betroffene oder bedrohte Kinder umfassender betreut und systemati- scher gefördert, andererseits könnten ihre Eltern leichter als sonst einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, was sie finanzielle Probleme eher meistern ließe. Vornehmlich al- leinerziehende Mütter würden befähigt, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, ohne hier wie dort Abstriche machen zu müssen. 3. Wer von der Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule für Kin- der aller Bevölkerungsschichten nicht sprechen will, sollte auch von der Ganztagsschule schweigen. Um die Bildung stärker von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, muss man die hierarchische Gliederung des Schulwesens in Deutsch- land aufgeben. In „einer Schule für alle“ wäre kein Platz für die frühzeitige Aussonderung „bildungsferner“ Kinder, die arm sind bzw. aus sog. Problemfamilien stammen. Mit einer inklusiven Pädagogik, die keine „Sonderbehandlung“ für bestimmte Gruppen mehr kennt, könnte man sozialer Desintegration und damit dem Zerfall der Gesellschaft ins- gesamt entgegenwirken.
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Prüfstand „Bildungsföderalismus“ Brauchen wir ein Ende des Flickenteppichs in der Bildung? Jedes Kind hat das Recht auf Bildung. Doch gerade die mit schlüsse zwischen den einzelnen Bundesländern. Diesen der Corona-Krise verbundenen Schulschließungen, die un- Umstand bekommen auch immer wieder Familien zu spüren, gleiche digitale Lernausstattung für Schüler*innen sowie die sich durch den Umzug von einem in ein anderes Bundes- der mangelhafte Distanzunterricht der Schulen haben uns land plötzlich mit komplizierten Schulproblemen ihrer Kin- wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass dieses in der konfrontiert sehen und zudem feststellen müssen, dass der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ fest- das Bildungsniveau in Deutschland vom Wohnort abhängt. geschriebene Recht selbst in unserem hochentwickelten Das darf selbstverständlich nicht sein! Deutschland leider nur unzureichend gewährleistet wird. Zumindest zeigt die aktuelle Pandemie, dass Kindern der Wirft man einen Blick auf die Ergebnisse aktueller Bevölke- Zugang zur Bildung erschwert und teilweise sogar verwehrt rungsumfragen, so scheint das Meinungsbild der Deutschen wurde – nicht wenige Kinder waren von der Bildung zeit- mehrheitlich eindeutig: dem ifo Bildungsbarometer 2020 weise gänzlich „abgehängt“. Die Folge: Bildungsarmut und zufolge, bei dem 10.338 Erwachsene im Alter zwischen 18 wachsende Ungleichheit. Daher wird nicht erst, aber ver- und 69 Jahren befragt wurden, wollen 60 % der Teilneh- mehrt, seit der Pandemie auch der deutsche Föderalismus menden, dass wichtige bildungspolitische Entscheidungen 14 in Frage gestellt. Zum Teil wird dabei heftig über die Frage vom Bund getroffen werden. gestritten, ob Deutschlands föderatives System noch zeit- gemäß ist und ob nicht Verbesserungsbedarf besteht, um Ein ähnliches Bild zeichnet die Umfrage „Bitkom Research beispielsweise in der Bildungspolitik dauerhaft funktions- 2020“: danach sehen 72 % der Bevölkerung den Föderalis- fähig, zielführend und leistungsstark zu sein sowie ALLEN mus als „Bremsklotz“ für die Digitalisierung der Schulen. jungen Menschen deutschlandweit chancengleiche Bedin- 71 % sind der Meinung, dass ausschließlich der Bund statt gungen zu ermöglichen. Im Superwahljahr 2021 werden wir der Länder für die Bildungspolitik verantwortlich sein soll- womöglich noch erleben, dass diese Debatte aufgrund ihrer te. Aktualität eine besondere Rolle in der Wahlkampfauseinan- dersetzung der Parteien spielen wird. Die Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinstituts Civey vom Januar 2021 gehen erneut in dieselbe Richtung: Bereits vor der Corona-Krise bemängelten Kritiker des Bil- demnach wollen 62 % der Befragten, dass die Bundesregie- dungsföderalismus die qualitativen Unterschiede in der rung mehr Einfluss in der Bildungs- und Schulpolitik erhält. Bildung und die unzureichende Vergleichbarkeit der Ab-
Allen Ergebnissen gemein ist, dass der Großteil der Be- Die Länder befürchteten Eingriffe in ihre Bildungshoheit völkerung mehr bildungspolitische Mitbestimmung durch durch den Bund und eine zunehmende inhaltliche Mit- den Bund befürwortet. Dieser Wunsch einer Vielzahl der gestaltung als Folge seines finanziellen Engagements in Bürger*innen in Deutschland sollte der Politik ein Signal kommunale Bildungsinfrastrukturprojekte. Doch was wäre sein und in unserer Demokratie nicht ungehört verhallen. eigentlich so schlimm daran? Fakt ist: Laut Grundgesetz ist die rechtliche Gestaltung Unbestritten ist, dass Deutschland eine lange föderale Tra- und Organisation des Bildungswesens in Deutschland im dition hat. Die Verfasser*innen des Grundgesetztes hatten wesentlichen Ländersache (Kulturhoheit der Länder). nach dem zentralistischen Hitler-Regime sehr gute Grün- Das bedeutet, dass, mit Ausnahme weniger Regelungen, de dafür, den Föderalismus zu etablieren und damit die die Länder ihre eigenen Bildungsgesetze und Regelun- Macht in Deutschland zu verteilen. Doch sind heutzutage gen haben und der Einfluss des Bundes bei inhaltlichen noch 16 verschiedene Bildungssysteme, schwer vergleich- Bildungsfragen stark eingeschränkt ist. In Belangen mit bare Prüfungen und Abschlüsse und je nach Bundesland länderübergreifender Bedeutung ist es Aufgabe der Kul- unterschiedliche Bildungschancen für junge Menschen zu tusministerkonferenz (KMK), ein Zusammenschluss der zu- rechtfertigen? Sollte der Bildungsföderalismus nicht nach- ständigen Minister*innen und Senator*innen der Länder, justiert oder gar aufgegeben werden? Müsste der Mehr- für das notwendige Maß an Gemeinsamkeit in Bildung, Wis- heitswille des Volkes, der in zahlreichen aktuellen Um- senschaft und Kultur zu sorgen. Darüber hinaus gibt es ein- fragen deutlich wurde, nicht auch mehr Berücksichtigung zelne Randbereiche, in denen der Bund „konkurrierende“ finden? Kompetenzen hat, so z. B. bei Regelungen zur außerschu- lischen beruflichen Ausbildung, der Ausbildungsförderung, Diese Fragen sind nicht wirklich leicht zu beantworten. der Forschungsförderung und dem Kinder- und Jugendhil- Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die politischen Par- 15 ferecht (SGB VIII), zu dem auch Kindertageseinrichtungen teien, Verfassungsrechtler*innen, Wissenschaftler*innen und die Schulsozialarbeit zählen. Hinzu kommt das Grund- und Vertreter*innen der Wirtschaft sind sich in diesen Fra- sicherungsrecht des Bundes, d. h. Leistungen für Bildung gen uneinig. und Teilhabe. Doch selbst dort, wo der Bund ausnahmswei- se in der Bildungspolitik Gesetze erlassen kann, sind die Wir meinen jedoch, dass die Defizite des Bildungsföderalis- Länder für deren Durchsetzung zuständig. Im Kernbereich mus schon lange offensichtlich sind und es deshalb an der der Bildung, d. h. bei den Schulen und Hochschulen, hat Zeit ist, diese im Sinne der Kinder auszuräumen. Dies muss der Bund keine Gesetzgebungskompetenz. Bund und Län- jedoch nicht dazu führen, dass der Bildungsföderalismus in der dürfen außerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Deutschland untergraben wird. Kompetenzen nicht zusammenarbeiten, dies verbietet das Prinzip des sogenannten „Kooperationsverbots“. Zu einer Ein richtungsweisender Vorstoß wäre die Gründung des im teilweisen Aufhebung dieses Verbots kam es allerdings im aktuellen Koalitionsvertrag festgelegten „Nationalen Bil- Jahr 2015 als der Artikel 91b des Grundgesetzes dahinge- dungsrats“ gewesen. Dieser Rat sollte aus Expert*innen hend geändert wurde, dass Bund und Länder nun im Hoch- und Vertreter*innen von Bund und Ländern bestehen mit schulbereich zusammenwirken können – allerdings müssen dem Ziel, gemeinsam länderübergreifende Qualitätsstan- bei einer entsprechenden Vereinbarung dann auch ALLE dards für Schulen zu setzen. Dieses Gremium kam jedoch Länder zustimmen. Für den Schulbereich ist ein entspre- nicht zustande, da Bayern und Baden-Württemberg eine chend großer Wurf bislang nicht gelungen. Beteiligung des Bundes ablehnten. Nun fehlen konkrete Empfehlungen zu wichtigen Fragen, die im Nationalen Bil- Dennoch kam es im Jahr 2019 zu zwei Änderungen im dungsrat erarbeitet worden wären, wie der Vergleichbarkeit Grundgesetz, die den deutschen Föderalismus betreffen: in des Abiturs oder wie ein Umzug von Familien mit Schulkin- Art. 104b Grundgesetz wurde die Kofinanzierungspflicht dern von einem Bundesland in ein anderes erleichtert wer- der Länder bei Finanzhilfen des Bundes ergänzt. Mit Artikel den kann. 70 % der Bevölkerung sprachen sich in der ifo- 104c Grundgesetz wurde dem Bund gestattet, im Bereich Umfrage 2020 noch für einen Nationalen Bildungsrat aus. der kommunalen Bildungsinfrastruktur der Schulen sowie Einrichtungen der Kindertagesbetreuung umfangreiche Fi- Wir meinen: ein solcher Bildungsrat wäre längst überfäl- nanzhilfen zu tätigen – und dies nicht wie zuvor nur für lig! Er sollte jedoch viel breiter gedacht werden und mehr finanzschwache Gemeinden, sondern für ALLE Gemeinden, Beteiligung ermöglichen: z. B. auch von Lehrkräften, unabhängig von ihrer finanziellen Lage, sofern diese Inves- Elternvertreter*innen, Schulträgern und natürlich – von titionen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sind. So Kindern! Doch nun wird von der KMK stattdessen nur ein konnte der Bund fortan auch bei Vorhaben wie der Schul- rein wissenschaftlicher Rat, die „Ständige Wissenschaft- digitalisierung, der Schulsanierung und für den flächen- liche Kommission der Kultusministerkonferenz“, beste- deckenden Ausbau von Ganztagsschul- und Betreuungsan- hend aus 16 Mitgliedern auf den Weg gebracht, der diese geboten in Deutschland finanzielle Unterstützung leisten. Funktion übernehmen soll. Wir hätten uns mehr erhofft als Die Finanzierung des „DigitalPakts Schule“ durch den Bund das, was von diesem geplanten großen „Leuchtturmpro- wurde damit ermöglicht. Bezüglich dieser Verfassungsän- jekt“ der Großen Koalition noch übrigblieb. derungen gab es jedoch vielfach Kritik.
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