Die dümpelnde Behörde 07/21 - Gewerkschaft der Polizei

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07/21
 Das Magazin
 der Gewerkschaft
 der Polizei

 Die
 dümpelnde
 Behörde
In Koop
 eration
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 Gewerk it der
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 der Poli aft
 zei
 (GdP)

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07
 Inhalt

IN EIGENER SACHE Innenleben Im Gespräch

Wenn die DP-Leserinnen und -Leser ihre 2 #100für100 auf Deutschlandtour 12 „Politiker wollen nicht immer
DP in den Händen halten, sind es noch et- verstanden werden“
was weniger als drei Monate zur Wahl des 4 Wertschätzung für „Gute Arbeit“
neuen Bundestages. Die Parteien haben sich 21 Aktuelle Fragen der Sicherheitspolitik
längst in Stellung gebracht, der Wahlkampf 16 Im Fokus: Altersdiskriminierung erörtert
hat begonnen. Womöglich wird die kom-
mende Wahl als eine besondere in die An- 20 Digitales Planungstreffen 24 Flächendeckend, rund um die Uhr
nalen unserer Demokratiegeschichte einge-
hen. Schließlich endet die rund 16-jährige 20 Neuer Imageflyer
Amtszeit von Bundeskanzlerin Dr. Angela Hingeschaut
Merkel, wahrscheinlich ist immer noch ir- 28 So transparent wie möglich
gendwie Pandemie und die Parteienland- 5 Digitale Dienststelle
schaft stellt sich längst nicht mehr so dar 30 Sachverständige in der Daktyloskopie
wie noch 2005, als die Kanzlerin ihr neues 7 Digitales Wissen über das PSN
Amt antrat. 33 Dauerbaustelle Mitbestimmung transferieren
 Orientierung in teils turbulenten Wahl-
kampfzeiten sollen Wahlprogramme bie- 36 Der 1. FC Wundervoll als 22 Gaffen tötet
ten. Die Parteien gießen ihre Ziele für die Glücksbringer
nächste Legislaturperiode in oft umfangrei-
che Schriftwerke. Deren Inhalte sind dann 38 Ernst Schrader – ein Hilfreich
zwar „modern“, „nachhaltig“, „innovativ“, Gewerkschaftspionier
„sozial“, „gerecht“ oder „mutig“, im Zusam- 31 Auslandseinsatz in der Pandemie
menhang jedoch überwiegend schwer ver-
ständlich. Mehr zum Verstehen und den Titel
Hürden der Kommunikation, erläutert Prof. Im Kalender
Dr. Frank Brettschneider in einem DP-Ge- 8 Moderne Sklaverei
spräch. Der Kommunikationswissenschaft- 40 Gemeinsamer „Ausritt“
ler und sein Team unterziehen seit mehreren
Jahren Wahlprogramme einem Verständ-
lichkeitscheck.
 40 Eure Meinung
Die Bundesliga-Fußballsaison 2020/21 dürf-
te dagegen mit ziemlicher Sicherheit als eine 40 Impressum
besondere in Erinnerung bleiben. Die neun-
te „Meisterschale“ der Bayern in Folge und
ein packendes Abstiegsdrama – all dies
ohne Schlachtgesänge aus brodelnden Kur-
ven: großer Sport, jedoch prinzipiell unter
Ausschluss der Fans. Davon haben sich die
Teilnehmenden des GdP-Bundesligatipp-
spiels nicht beirren lassen. Die zu ertippen-
den Tagestickets für ein Heimspiel von Bo-
russia Dortmund sowie das BVB-VIP-Wo-
chenende bleiben den Siegerinnen und
Siegern erhalten. Die GdP kümmert sich um
die Realisierung. Ein bisschen Geduld ist je-
doch vonnöten. In der nächsten Saison geht
es dann weiter. Neue Spiele, neues Glück.

Michael Zielasko 100% Einsatz
DP-Chefredakteur
 verdienen
 100% Einsatz.
2

KAMPAGNE IN LÄNDERN UND BEZIRKEN GdP Sachsen-Anhalt

#100für100 auf
Deutschlandtour
GdP Rheinland-Pfalz

 Foto: GdP Sachsen-Anhalt
 Sachsen-Anhalts Innenminister Michael
 Richter (l.) erhielt einen Forderungskatalog
 aus den Händen von GdP-Landeschef Uwe
 Bachmann. Rechts: Isabell Glossmann,
 Tarifexpertin im GdP-Landesvorstand.

 Foto: GdP RP/Loth
 Anfang Mai überreichten in Magdeburg
 der GdP-Vorsitzende Sachsen-Anhalts, Uwe
Die rheinland-pfälzische GdP-Landesvorsitzende Sabrina Kunz übergab ein Forderungspapier Bachmann, und Vorstandskollegin Isa-
an Landtagspräsident Hendrik Hering und Staatssekretärin Nicole Steingaß (r.). Links: René bell Glossmann CDU-Innenminister Micha-
Klemmer, stellvertretender Landesvorsitzender. el Richter den Forderungskatalog der bun-
 desweiten GdP-Wertschätzungsaktion. Vor
„Die kommenden fünf Jahre sind unter an- gut funktionierende Polizei ist. Dafür brau- Kampagneplakaten informierte Ende Mai
derem geprägt davon, auch mit den finan- chen wir den 100-prozentigen Rückhalt der Bachmann die innenpolitischen Sprecher
ziellen Folgen der Corona-Pandemie um- Politik“, betonte Kunz. I der SPD, Rüdiger Erben, sowie Sebastian
zugehen. Das wird sicherlich eine große Striegel von Bündnis90/Die Grünen.
Herausforderung für die Politik. Es darf da- „7.500 Polizeibeschäftigte in Vollzug und
bei aber nicht passieren, dass bei den Be- Verwaltung in Sachsen-Anhalt stehen tag-
schäftigten des öffentlichen Dienstes ge- täglich mit ihrem Einsatz und ihrer Hal-
spart wird“, so die Landesvorsitzende Sab- tung für die Werte unserer Demokratie. Um
rina Kunz. „Bereits jetzt bekommen wir mit, die zunehmenden Herausforderungen auch
dass es deutliche Haushaltsrestriktionen – künftig bewältigen zu können, brauchen sie
auch für die Polizei – geben soll. Dies wer- die besten Bedingungen! Darum: 100% Ein-
den wir so nicht hinnehmen.“ Eine GdP-Ab- satz der Polizei erfordern 100% Einsatz der
ordnung hatte Mitte Mai in Mainz ein Forde- Politik. Für alle Beschäftigten der Polizei“,
rungspapier am Tag des Zusammentretens erklärte Bachmann. I
des neugewählten rheinland-pfälzischen
Landtags an Landtagspräsident Hendrik
Hering und Staatssekretärin Nicole Stein- GdP Hessen
gaß übergeben. Mit vielen Landtagsabge-
ordneten kam die GdP an ihrem Stand ins
Gespräch. Thematisiert wurden insbeson-
dere die Lehren aus der Pandemie, die IT-
Infrastruktur und der Umgang mit „Coro-
 Foto: Screenshot GdP Hessen/Facebook

na-Dienstunfällen“. Wenig später an einer
Werbefläche in der Nähe des Regierungs-
 Foto: GdP RP/Loth

viertels wurde der frisch wiedergewählten
Ministerpräsidentin Malu Dreyer das Posi-
tionspapier „100 für 100“ überreicht. „Die Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin
Kampagne für mehr Wertschätzung für die Malu Dreyer (r.) und GdP-Landeschefin In einem Facebook-Video präsentiert
Polizei ist aktuell wichtiger denn je. In der Sabrina Kunz vor einem Kampagnenmotiv Kampagnen-Gesicht Peter die Aktivitäten
Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig eine mit dem Forderungskatalog. und Forderungen der GdP Hessen.

#100für100
3

 Unterstützer
Foto: Signal Iduna Gruppe

 Unsere erste Elf: Die Gesichter der GdP-Wertschätzungskampagne vor der Signal-Iduna-Zentrale in Dortmund.

 JUNGE GRUPPE (GdP) GdP Brandenburg
Foto: privat

 JUNGE-GRUPPE-Bundespolizist und
 Foto: Veronika Müller

 Kampagnen-Gesicht Vakkas Soyudogan
 vor (s)einem Plakat.

 GdP Sachsen GdP-Landesvorsitzender Andreas Schuster (l.) überreichte einen Forderungskatalog an
 Uwe Schüler, Staatssekret r im Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes
 Brandenburg.

 Anfang Juni übergab die GdP in Potsdam on von manchen Bürgerinnen und Bürgern
 dem Staatssekretär im Brandenburger Mi- gegenüber“. Allein in Brandenburg würden
 nisterium des Innern und für Kommunales, durchschnittlich zwei Polizisten täglich
 Uwe Schüler, ihren Forderungskatalog im verbal oder physisch angegriffen. Schuster:
 Rahmen der „100 für 100“-Kampagne. Ins- „Wer täglich 100-prozentigen Einsatz im In-
 besondere unter den Pandemie-Bedingun- teresse dieser Gesellschaft und der Bürge-
 gen habe sich die Situation in der Polizei rinnen und Bürger leistet, für den muss Po-
Foto: Berit Gabriel

 zugespitzt, verdeutlichte GdP-Landeschef litik ebenso 100 Prozent leisten. Wir fordern
 Andreas Schuster. Neue und unbekannte bessere Bedingungen, mehr Wertschätzung
 Dresden: An vier Standorten wurden Plakate Einsatzlagen seien zu bewältigen, „und es und Anerkennung. Das ist gerade heute
 geklebt, eines an der Ziegel-, Ecke Steinstraße. treten uns deutlich mehr Wut und Aggressi- wichtiger denn je.“ I

 #100für100
4

 Eine alarmierende Entwicklung lässt die
 jährlich erscheinende Polizeiliche Kriminal-
 statistik erkennen. Immer häufiger werden

 Foto (l.): DGB | Foto (r.): DGB/Simone M. Neumann
 Polizistinnen und Polizisten im Dienst belei-
 digt oder sogar körperlich angegriffen. Die
 Reaktion der Dienstherren darauf ist noch
 immer verhalten. Der DGB macht mit der Ini-
 tiative „Vergiss nie hier arbeitet ein Mensch“
 auf diesen Missstand aufmerksam – für si-
 chere und gute Arbeitsbedingungen.
DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann Stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack All diese aufgeführten Beispiele machen
 eines deutlich, mit der Wertschätzung für
KAMPAGNE #100FÜR100 „Gute Arbeit“ ist es im Polizeidienst nicht
 gut bestellt. Deshalb macht sich die GdP

Wertschätzung mit der bundesweiten Kampagne „100 für
 100“ dafür stark, dass die Polizeibeschäftig-
 ten durch Arbeitgeber und Dienstherren, je-

für „Gute Arbeit“ doch auch durch unsere Gesellschaft stärker
 wertgeschätzt werden. Denn Wertschätzung
 trägt zu einer guten Arbeitsqualität bei. Sie
 motiviert und fördert das Wohlbefinden der
Reiner Hoffmann (DGB-Vorsitzender) Beschäftigten. Fehlt sie, führt das zu Frust
Elke Hannack (stellvertretende DGB-Vorsitzende) und Stress. „100% Einsatz verdienen 100%
 Einsatz“ lautet daher euer treffendes Motto
 – das unterstützen wir als DGB.

A „
 rbeit ist für viele Menschen ein wich- ginnen und Kollegen auch als Geringschät-
 tiger Lebensinhalt. Sie ist im besten zung empfunden.
 Fall weit mehr als der sprichwörtliche Dringender Handlungs- und Verbesse-
Broterwerb, sondern vermittelt das Gefühl, rungsbedarf besteht jedoch über den monetä-
etwas Sinnvolles zu tun. Für das eigene Tun ren Bereich hinaus. Wenn etwa bei der Polizei
 Die Personaldecke
Anerkennung zu erfahren, hat dabei für Dienst im Schichtdienst und zu ungünstigen und Ausstattung der
jede und jeden Beschäftigten einen nicht Zeiten geleistet wird, ist das gesundheitlich Polizeien müssen endlich
zu unterschätzenden Wert. Wichtig ist, dass wie auch für das Sozialleben der Kollegin-
Anerkennung nicht auf das vielzitierte Klat- nen und Kollegen extrem belastend. Zwar ist bedarfsgerecht und
schen reduziert werden darf. Anerkennung eine beschäftigtenfreundliche Gestaltung zukunftsfest aufgestellt
für das eigene Tun spiegelt sich auch und von Dienstplänen durchaus möglich, doch
vor allem in den Arbeitsbedingungen wider. die größte Stellschraube stellt die wöchent- werden.
 Als Gewerkschaften kämpfen wir für eine liche Arbeitszeit dar. Hier sind die Dienst-
gerechte und zukunftsorientierte Gestaltung herren gefragt. Denn es steht fest: Mit einer
der Arbeitswelt. Wir kämpfen für gute Tarif- wöchentlichen Arbeitszeit von 40 oder mehr
verträge, für sichere Jobs und gegen den aus- Stunden ist ein humaner, gesundheitserhal- Das Grundgesetz normiert unseren Staat
ufernden Niedriglohnsektor. Kurz: Wir wol- tender Wechselschichtdienst nicht machbar. als einen „sozialen und demokratischen
len für abhängig Beschäftigte eine gerech- Hier brauchen wir ein Umdenken! Rechtsstaat“, indem alle Bürgerinnen und
te Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen Arbeit, die nicht krank macht, ist aber Bürger einen Anspruch auf Bildung, Kultur,
durchsetzen. Das gilt selbstverständlich auch nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt
für jene, die bei den Bundes- und Landespoli- die Bezahlung stimmt und die Arbeitszei- auch auf öffentliche Sicherheit haben. Wie
zeien für unsere Sicherheit sorgen. ten zum Leben passen. Unsere Beschäftig- wichtig eine stabile öffentliche Infrastruk-
 So kritisiert der Deutsche Gewerkschafts- tenbefragung „DGB-Index Gute Arbeit“ zeigt tur ist, hat nicht zuletzt die Corona-Pande-
bund (DGB) seit Jahren die Spreizung im auf, wie wichtig das Betriebsklima für die mie gezeigt. Zugleich wurde sichtbar, woran
bundesweiten Besoldungsgefüge. Es ist Beschäftigten ist. Knapp 90 Prozent der Be- es mangelt. Die Personaldecke und Ausstat-
nicht nachvollziehbar, warum 2020 zwi- fragten berichten von großer Unterstützung tung der Polizeien müssen endlich bedarfs-
schen der A9-Jahresbruttobesoldung (Ein- und Hilfe durch Kolleginnen und Kollegen gerecht und zukunftsfest aufgestellt werden.
gangsstufe) des Saarlandes und der Bayerns (so im DGB-Index Jahresbericht 2020, S. 62). Denn diejenigen, die im Dienst der Gesell-
eine Lücke von über zehn Prozent klafft. Das ist auch innerhalb der Polizei der Fall. schaft arbeiten, haben Unterstützung ver-
Diese Diskrepanz lässt sich im DGB-Besol- Ganz entscheidend dabei ist außerdem eine dient. Für 100% Einsatz muss ihnen 100%
dungsreport Jahr für Jahr nachlesen. Wenn gute Führungskultur. Der Effekt ist sogar Wertschätzung entgegengebracht werden.
für die gleiche Arbeit mitunter 3.800 Euro messbar. Wenn das Betriebsklima gut ist, Es ist also Zeit, dass „Gute Arbeit“ im öf-
weniger im Portemonnaie landen, ist das bewerten die Beschäftigten ihren Gesund- fentlichen Dienst eine Selbstverständlich-
nicht nur ungerecht. Es wird von den Kolle- heitszustand deutlich positiver. keit wird. I

#100für100
DP DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 5

 Hingeschaut

 SOZIALES NETZWERK DER POLIZEI

 Digitale
 Dienststelle
Foto: denisismagilov/stock.adobe.com

 A
 Was wäre eine digitale (Polizei-)Welt ohne eine ls 2017 die Entscheidung fiel, ein
 internes soziales Netzwerk für die
 virtuelle Polizeidienststelle? Ohne einen Ort, an niedersächsische Polizei einzufüh-
 dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ren, war nicht vorhersehbar, wie bedeutend
 sowohl die digitale Kommunikation als auch
 digital treffen können? Jedenfalls nicht zeitgemäß, die Wissensweitergabe in Pandemiezeiten
 oder? Die Polizei Niedersachsen ging mit der Zeit, werden würde. Noch ist die Corona-Lage
 zwar nicht überstanden, die besonderen
 wie unser DP-Autor weiß. Herausforderungen der vergangenen Monate
 machen jedoch deutlich, dass sich die An-
 Nils Allendorf strengungen gelohnt haben.
 26. November 2020: Rund 500 Teilneh-
 mende einer digitalen Fachtagung der nie-
„
6 DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 DP

 DP-Autor Nils Allendorf ist Referent
 Die digitale Dienststelle
 für Kommunikation der Polizei
 Niedersachsen und arbeitet im ist ein wesentlicher Pfeiler
 Hannoveraner Innenministerium.
 der Digitalstrategie der
 Polizei Niedersachsen.
 Foto: privat

dersächsischen Polizei verfolgen an diesem kel, unterstreichen den Wandel von einem Palette der Führungskräfte, zum Beispiel
Tag am Bildschirm, wie Landesinnenminis- vertikalen Miteinander hin zu einem ge- durch die Möglichkeit, Mitarbeiterinnen
ter Boris Pistorius und Landespolizeipräsi- meinsamen Nebeneinander. und Mitarbeiter in digitaler Regelmäßigkeit
dent Axel Brockmann den Startschuss für Womöglich bestehende Kommunikations- über bedeutsame Ereignisse oder Entschei-
das erste „Polizeiinterne Soziale Netzwerk“ barrieren in der Organisation werden aufge- dungen in dem jeweiligen Verantwortungs-
(PSN) geben. Sie drückten damit den Start- brochen, dem Verstecken und Einbunkern bereich auf Stand zu bringen.
knopf für einen organisationskulturellen von Informationen wird entgegengewirkt. Es eröffnet jedoch vor allem Wege, den
Wandel in der innerpolizeilichen Kommu- Das Worum-es-geht sowie das Wie-es-geht teils divergierenden und komplexen An-
nikation – ein bislang unbetretener Pfad lassen sich in Form vieler aktueller Beiträ- sprüchen und Erwartungen der vielschich-
hin zu mehr Transparenz, Kollaboration ge und Diskussionen, die jederzeit für alle tigen Anspruchsgruppen im Sinne moder-
und Netzwerk. Nutzenden verfügbar sind, gestalten. Ohne, ner Führung zu entsprechen und Orientie-
 Seit mehr als einem halben Jahr nutzen dass Rang- und Unterordnung das Steuern rung zu geben, zum Beispiel:
die Polizeibeschäftigten des nordwestlichen und Verteilen der Informationen bestimmen.
Flächenlandes das hierarchiedurchlässige • Liken, um wertzuschätzen,
Social-Intranet und erproben es als zusätzli-
chen digitalen und informativen Treffpunkt. Kernfunktionen • Kommentieren, um zu beteiligen oder
Die Vielseitigkeit des PSN fördert die effizi-
ent vernetzte Kommunikation und erleich- Neben einer inhaltsübergreifenden, leis- • Teilen, um zu motivieren und anzuspornen.
tert das gemeinsame Arbeiten über Dienst- tungsstarken Suchfunktion werden Nutze-
stellengrenzen hinweg. Ein Vorteil, dessen rinnen und Nutzer auf der PSN-Startseite Der Wille, sich mit den Werkzeugen zu be-
Wert vor allem angesichts der pandemiebe- über das, was polizeilich im Land passiert schäftigen, ist jedoch die Voraussetzung da-
dingten Reduzierung persönlicher Kontak- sowie spezifische Nachrichten der eigenen für, dass Führungskräfte erst die Optionen
te zu Tage tritt, wenn auch allen Teilneh- Dienststelle informiert. Jede Dienststel- erkennen, die ihnen digitale Kommunika-
menden klar ist, dass der PSN-Werkzeug- le kann sich zudem auf einer eigenen Seite tionswerkzeuge für ihre Führungsaufga-
koffer wertvolle persönliche Kontakte und präsentieren und relevante Dokumente wie be bieten. Blogs ermöglichen beispielswei-
Gespräche nicht vollständig ersetzen kann Erlasse, Verfügungen oder Dokumente ge- se eine beteiligungsorientierte Zwei-Wege-
– und soll. ordnet und via Volltextsuche recherchier- Kommunikation, indem Mitarbeiterinnen
 bar ablegen. Auch auf den Umgang mit Ver- und Mitarbeiter ihre Meinung zu bestimm-
 schlusssachen der Kategorie „Verschlusssa- ten Themen oder Entscheidungen darlegen
Was ist polizeiinternes, che – nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) und mitteilen können – sei es zu perspek-
soziales Netzwerken? ist Rücksicht genommen worden. tivischen Entwicklungen der Dienststelle
 Blogs, Foren und Wikis als die drei be- oder bei Fragen der Gestaltung des nächs-
Das PSN ist eine Form des Social-Networking- deutsamen Kernelemente verschiedener so- ten Dienststellenausflugs.
Service, wie viele es von populären Social- zialer Netzwerkfunktionen begründen die
Media-Plattformen, beispielsweise Facebook, Philosophie der aktiven Teilhabe in einer
kennen. Im Besonderen ist es die Antwort der Organisation. Sie bringen die soziale Inter- Reifezeit
niedersächsischen Polizei auf die Bedürfnis- aktion in Fahrt und ermöglichen ein quali-
se von Menschen, die in einer zeitgemäßen fiziertes, professionelles Wissensmanage- Die Polizei Niedersachsen wird weiter dar-
und vor allem digitalen Arbeitswelt bestehen ment. Auch wenn diese Tools im Internet an arbeiten, die digitalen Chancen eines in-
wollen und müssen. Als digitale Dienststel- seit Jahren genutzt werden, sind Organisa- ternen sozialen Netzwerkes noch effektiver
le für jede und jeden Beschäftigten rückt das tionen wie die Polizei herausgefordert, sie zu nutzen. Kommunikationstools sollen in
PSN Themen wie Wissenstransfer, Zusam- unter den gegebenen Rahmenbedingungen dem Prozess zu einem selbstverständlichen
menarbeit und Beteiligung in den Fokus. nutzbar zu machen und eine ausreichende Instrument von Führungsarbeit werden.
Von den neuen interaktiven Möglichkeiten Akzeptanz dafür zu erzielen. Eine Organisationskultur, die auf Offenheit
sollen möglichst viele profitieren. Nutzende und Transparenz setzt, erleichtert das Ein-
können, dürfen und sollen sich profilbasiert schwenken auf neue Wege der Personalfüh-
einbringen und Netze knüpfen. Bisher tren- Führungswandel rung. Bereits jetzt ist klar: Anfängliche Be-
nende Funktions- und Behördengrenzen ver- denken oder gar Ängste, Machtverhältnisse
lieren zugunsten einer umfassenden Koope- Werden neue Werkzeuge und Methoden könnten sich durch die neue Offenheit und
ration an Bedeutung. eingeführt, fährt ein gewisses Maß an Un- Transparenz verschieben und unsachgemä-
 Losgelöst von Hierarchie und Position la- sicherheit – fast schon automatisch – mit. ße Kritik würde überwiegen, waren und sind
den Funktionen wie Kommentieren, Bewer- Neue digitale Funktionen verändern die unbegründet. Der Austausch und das Feed-
ten („gefällt mir“), Taggen und Teilen dazu Kommunikation innerhalb der Polizeiorga- back der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ein, teilzuhaben und mitzuwirken. Alle An- nisation und sorgen damit für frische An- enthalten bereits jetzt zahlreiche nützliche
wendungen, die diese Plattform in sich ver- forderungen an Führung. Da Führung durch Anregungen, von denen die Polizei Nieder-
eint, darunter Foren, Blogs und Wiki-Arti- Kommunikation wirkt, erweitert das PSN die sachsen profitiert.
DP DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 7

 DP-Autor Till Maurer ist Leiter der
 Koordinierungsstelle Fortbildung der
 Polizei Niedersachsen. Er führt die
 Projekte „Digitaler Wissenstransfer“
 und „Bildung neu denken“.

 Foto: Polizei Niedersachsen

 Neue Verteilungswege und -formen
machen das vorhandene Wissen spürbar
schneller und besser sichtbar. Vielfältige
Maßnahmen im Rahmen gezielter Verände-
rungen haben Führungskräfte und Mitarbei-
tenden Mut gegeben, sich auf das Austau-
schen und Voneinander-Lernen einzulas-
sen. Erkannt wurde das gemeinsame Ziel
 Digitales Wissen
des Ausbaus einer digitalen Dienststelle als
unterstützendes Element für das Miteinan-
der im Analogen.
 über das PSN
 Um nachhaltigen Erfolg zu sichern, soll
das Projekt auch nach der Einführungspha-
se zuverlässig und mehrere Jahre lang be-
 transferieren
gleitet werden. So wurden bereits Imagevi-
deos veröffentlicht, die Mitarbeitende darin
bestärken, an der digitalen Transformation
teilzuhaben und sie mitzugestalten. Video-
Tutorials erläutern die Philosophie sowie
den Nutzen der neuen Funktionen und ver-
 B logs, Foren und Wikis bieten allen
 Beschäftigten einen orts- und zeit-
 unabhängigen Zugang zum Organi-
 werden muss, erweisen sich eigens da-
 für ins Leben gerufene und inhaltlich
 fortentwickelte Blogs als gute Wahl.
mitteln ihnen die dafür erforderlichen Kom- sationswissen. Wirklich nutzbar und
petenzen. Proaktiv begleiten zwei Commu- zum Mehrwert wird das Angebot erst Wandel in der Lehre
nity-Managerinnen den PSN-Alltag. durch die Integration des digitalen
 Neben dem Projekt geleiten in jeder Be- Wissenstransfers in bisherige Struk- Mit dem PSN setzt sich ein bildungs-
hörde sogenannte Guides ihre Kolleginnen turen. Unterm Strich: das Erweitern kultureller Wandel in Gang. Die Leh-
und Kollegen bei der Nutzung der Plattform. der von Präsenzveranstaltungen ge- renden entwickeln zwangsläufig digi-
Nach Vorabschulungen sind diese in der prägten Fortbildungsarbeit um digitale tal-didaktische Fähigkeiten, werden
Lage, bei Fragen zum PSN angesprochen zu Angebote. zu „Lernbegleitenden“, moderieren
werden. Vor dem Hintergrund, größtmögli- Dazu wurden neben einem „Bil- und vernetzen Wissen. Mehr Eigenin-
che Akzeptanz zu erreichen, waren Anwen- dungs-Wiki“, das eher beständiges itiative bei der eigenständigen Quali-
derfreundlichkeit und Praktikabilität be- Fachwissen zu den unterschiedlichs- fizierung stehen auf der Soll- und Ha-
reits bei der PSN-Entwicklung von großer ten Themenfeldern beinhaltet, Blogs ben-Seite der Lernenden. Wiki-Artikel
Bedeutung. So wurden viele Funktionen des zu den jeweiligen Fortbildungsthemen und Blogs können gemeinsam erstellt,
Alltags wie die polizeilichen Auskunftssys- erstellt. Über diese Blogs erhalten die betrieben, kommentiert und sogar re-
teme, der Niedersachsen-Messenger – das Nutzenden ständig aktuelle Informa- digiert (Wiki) werden. Vernetzung und
dienstliche Kommunikationstool auf priva- tionen zum jeweiligen (Fortbildungs-) Kollaboration nehmen zu.
ten Endgeräten –, Outlook, Skype und vie- Themenbereich. Der Wandel in der (Fort-)Bildungsar-
les mehr im System verlinkt. Neben Textbeiträgen werden zu- beit nimmt Gestalt an. Seit Anfang 2020
 nehmend Audio- und Videopodcasts gewährleistet dies die Polizeiakademie
 produziert, um das Wissen in einem Niedersachsen (PA NI) mit der inhaltli-
Das Netz wächst smarten und adressatengerechten For- chen und strukturellen Gestaltung des
 mat anzubieten. Diese werden sowohl digitalen Wissenstransfers über das
Nach mehr als sechs Monaten sind über für die informelle sowie ergänzend – PSN. 60 Fortbildungs-Blogs mit über
1.200 Blogs und Foren eingerichtet. Ein Drit- teils gänzlich – für die formale Fort- 200 Lehrvideos und zahlreichen Arti-
tel der Beschäftigten ist täglich auf der Platt- bildung genutzt: zum Beispiel das Ein- keln bilden das derzeitige Angebot. Di-
form aktiv. Dennoch befindet sich die Polizei weisen in das Tragen der Body-Cam gitale und analoge Fortbildungsange-
Niedersachsen noch ganz am Anfang dieses über ein entsprechendes Lehrvideo. bote verzahnen sich zunehmend.
mehrdimensionalen Veränderungsprozes- Eigens an der Polizeiakademie Nieder- Dass der sich bewährende, einge-
ses, der sich erst mit der weiteren Nutzung sachsen (PA NI) eingerichtete Green- schlagene Weg auf die gesamte Bil-
der Möglichkeiten des PSN in größerer Trag- Screen-Räume ermöglichen dabei eine dungs- und bisweilen auch Arbeits-
weite erkennen lässt. Er wird die Polizei wo- zeitgemäße Aufnahmetechnik. kultur wirkt, ist unverkennbar. Da-
möglich tiefgreifend in ihrer Organisations- Insbesondere bei aktuellen The- mit beschäftigt sich nunmehr das an
kultur verändern und – wenn alles gut ver- men, bei denen schnell und umfas- der PA NI neu gegründete Projekt „Bil-
läuft – zu mehr Transparenz, Qualität und send eine große Zielgruppe erreicht dung neu denken“. I
Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterzufrieden-
heit führen. I
8

Titel

ARBEITSMARKTKRIMINALITÄT

Moderne
Sklaverei
Die zivilisierte Welt ist sich einig: Sklaverei ist
barbarisch und darum verboten. Dennoch gibt es sie.
Im Verborgenen handeln Menschen mit Menschen.
Bekämpfen soll das in Deutschland der Zoll. Wie das
geht – oder eben auch nicht, erklärt DP-Autor
Frank Buckenhofer.
9

 kaum Auskunft über festgestellte illegal Be-
 Frank Buckenhofer schäftigte mit derartigem Herkunftsbezug
 geben. Die Logik der hohen Finanzbeam-
 ten: Für die Nacherhebung der Sozialver-
 sicherungsbeiträge sei es unerheblich, aus

 D
 er Sklavenhandel ist eine Erfindung welchem Land jemand komme. Der Hinweis
 aus der Hochkultur des Altertums. auf die Notwendigkeit von Lagebildern zur
 Dieser erstreckt sich in veränderter Kriminalitätsbekämpfung stieß in der Füh-
 Weise subtil bis in die Gegenwart. Während rungsetage des BMF auf große Augen und
 Sklaven noch bis in das 19. Jahrhundert offen wenig Verständnis.
 gehandelt wurden, ist ein solcher Markt der Ein aktuelles Beispiel ungebremster
 Ausbeutung für Polizei und Zoll heute kaum Geldgeilheit auf dem Rücken prekär Be-
 sichtbar und schwer zu ermitteln. Entweder schäftigter sind die sogenannten Schnitzel-
 findet die Ausbeutung im Verborgenen statt barone. Jene Fleischindustrielle, die in der
 oder tarnt sich hinter verschachtelten und Corona-Pandemie in die Schlagzeilen gerie-
 oftmals grenzüberschreitenden Vertrags- ten. Die vermeintlich neue Spitze eines alten
 konstruktionen. Den Schaden tragen die, Eisbergs. Das Erbärmliche dieser untergrün-
 die unter unmenschlichen Bedingungen digen Arbeitswelt zieht sich wie ein Krebs-
 arbeiten müssen, und nicht zuletzt der Staat, geschwür durch viele Branchen. Sie reichen
 dem durch illegale Beschäftigung Steuern von fast systemrelevanten Weltkonzernen
 und Sozialversicherungsbeiträge in Milliar- bis zu Kleinstunternehmen. Ob Industrie,
 denhöhe vorenthalten werden. Gastgewerbe, Bauwirtschaft, körpernahe
 Nun könnte man annehmen, dass hierzu- Dienstleistungen, Servicedienste oder Han-
 lande Menschenhandel, Ausbeutung, Skla- del: Überall, wo es gierige Unternehmer
 verei und Unterdrückung längst abgeschafft gibt, finden sich undurchsichtige Vertrags-
 seien. Immerhin garantiert die Bundesrepu- konstruktionen.
 blik eine verfassungsmäßige Rechts- und So-
 zialstaatlichkeit. Die Straftatbestände Men-
 schenhandel, Zwangsprostitution, Zwangs- Finanzpolizei für mehr
 arbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft oder Schlagkraft
 Ausbeutung unter Ausnutzung einer Frei-
 heitsberaubung dürften in entwickelten Zi- Im Kampf gegen diese Straftaten, die nicht
 vilgesellschaften bestenfalls nur noch in der selten weit in die Organisierte Kriminali-
 Erinnerung existieren. Sie sind unzweifel- tät hineinreichen, muss der Zoll endlich als
 hafte Merkmale eines völlig verrohten und schlagkräftige Polizei auf dem Arbeitsmarkt
 anachronistischen Barbarenverhaltens. agieren. Dazu hat die Gewerkschaft der Poli-
 zei (GdP) bereits zur Jahrtausendwende ein
 klares Konzept vorgelegt: Die vielfältigen
 Moderne Sklavenmärkte und unverzichtbaren Polizeiaufgaben des
 Zolls müssen in einer starken Finanzpolizei
 Dennoch existiert im sozialstaatlichen gebündelt werden – vergleichbar mit der ita-
 Deutschland immer noch eine Vielzahl pro- lienischen Guardia di Finanza.
 fitabler Möglichkeiten der Ausbeutung gibt. Trotz permanenter politischer Lippen-
 Der Volksmund bezeichnet diese Schlupflö- bekenntnisse im Kampf gegen Schmuggel,
 cher auch als „moderne Lohnsklaverei“. Der Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Fi-
 Visa-Untersuchungsausschuss des Bundes- nanz- und Steuerkriminalität sowie der mas-
 tages im Jahr 2005 machte genau das deut- siven Kriminalität auf dem Arbeitsmarkt ha-
 lich. Er zeigte, dass eine Vielzahl zunächst ben weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot und
 touristisch erteilter Einreisvisa für Osteuro- auch nicht Schwarz-Gelb etwas verändert.
 päer nicht deswegen beantragt wurde, weil FDP (2012) und SPD (2017) haben die Finanz-
 die Antragsteller etwa die Dresdner Semper- polizei zur Beschlusslage ihrer Parteien ge-
 oper, den Hamburger Hafen oder das Mün- macht. Die Linke tat dies 2013 auch. Nur ge-
Foto: Wolfram Steinberg/dpa

 chener Oktoberfest besuchen wollten. holfen hat es nicht. Der Zoll dümpelt weiter-
 Problematisch: Bereits damals konnte hin als reine Finanzverwaltung vor sich hin.
 das Bundesfinanzministerium (BMF) man- Seine motivierten Kontroll-, Fahndungs-
 gels ausreichender Datenerfassung im Zoll und Ermittlungskräfte warten seit Jahren im
„
10 DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 DP

 Der Zoll dümpelt weiterhin
als reine Finanzverwaltung
vor sich hin.

 Foto: Arne Dedert/dpa
Beamte des Zoll bei einem Einsatz gegen illegale Beschäftigung, Mindestlohnverstöße und Sozialleistungsmissbrauch auf einer Großbaustelle.

polizeilichen Kampf gegen die Organisierte kann man nicht mal erahnen. Der Begriff
Kriminalität auf moderne Technik, bessere führt in die Irre, weil die Aufgabe des Zolls
Einsatzmittel, klare Melde- und Befehlswe- nach dem SchwarzArbG ja gar keine Finanz-
ge, mehr und bessere Datenzugänge sowie kontrolle ist. Welche Finanzen werden denn
eine geeignete IT.
 2004 beschloss der damalige Bundestag
das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzar-
 „ wann, wo und bei wem kontrolliert?
 Seit 2004 wurde die FKS immer nur teu-
 rer gemacht, nicht aber effektiver. Mehrere
beit und illegalen Beschäftigung (Schwarz- Berichte des Bundesrechnungshofes geben
arbeitsbekämpfungsgesetz – Schwarz-
 Die vielfältigen und ausreichend Zeugnis von der Unfähigkeit
ArbG). Die Folge: Der Zoll wurde beauftragt, unverzichtbaren im BMF, der Kriminalität auf dem Arbeits-
die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der markt ernsthaft und mit guten Strategien
illegalen Beschäftigung zu intensivieren. Polizeiaufgaben des und Strukturen zu begegnen. Der Mangel
Der möglicherweise ernste politische Wille Zolls müssen in einer an polizeifachlicher Expertise im Ministe-
der Bekämpfung blieb jedoch spätestens in rium zeigt sich hier in gleicher Weise ver-
der behäbigen Bürokratie eines kreativ- und schlagkräftigen heerend wie schon bei der Schmuggel- und
mutlosen BMF hängen. Geldwäschebekämpfung. Die Erfolge des
 Finanzpolizei gebündelt Zolls sind auch hier nur dem unermüdli-
 werden – vergleichbar chen und engagierten Einsatz der Kolle-
Teuer und uneffektiv ginnen und Kollegen vor Ort zu verdanken,
 mit der italienischen die trotz schlechter Ausrüstung, mangeln-
Wenn hohe Finanzbeamte im BMF einen Guardia di Finanza. der Datenzugänge, schlechter IT und un-
glasklar im Gesetz formulierten Polizeiauf- tauglicher Behördenstrukturen immer wie-
trag zur Kriminalitätsbekämpfung bekom- der Täter der Justiz überführen. Selbst das
men, wären sie keine hohen Finanzbeamten, in der laufenden Legislatur verabschiede-
wenn sie nicht schon bei der Wahl des Na- te neue SchwarzArbG mit seinen Weiterun-
mens für diese Einheit einen völlig untaugli- gen bleibt halbherzig auf halbem Wege als
chen Begriff wählen würden – „Finanzkont- vertane Chance stecken. Wesentliche Neue-
rolle Schwarzarbeit“ (FKS). Dass sich dahin- rungen, von der GdP aus polizeifachlicher
ter eine Arbeitsmarktpolizei verbergen soll, Sicht in ihrer Stellungnahme gefordert,
DP DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 11

 DP-Autor Frank Buckenhofer ist
 Vorsitzender der GdP Zoll im Bezirk
 Bundespolizei.

 Foto: GdP Bundespolizei

 sind nicht umgesetzt worden. Stattdessen Zoll bewirken können. Vorschläge zur drin- Kriminalität nicht mit der Erhöhung statis-
 schrieb man dem Zoll weitere Aufgaben aus gend notwendigen Neuausrichtung seines tischer Kontrollzahlen bekämpft. Im Zwei-
 anderen Rechtsgebieten im Zusammenhang Zolls wurden ihm und seiner Partei immer fel verkehrt dieser Ansatz den Fokus von ge-
 mit der Zahlung des Kindergeldes in das Ge- wieder unterbreitet. Nicht nur von der GdP. zielter Ermittlung, hin zum Erfüllen statisti-
 setz. Das bremst die polizeiliche Arbeit des Wer allerdings in diesem Fall mehr auf scher Zielwerte. Die Folge: Kolleginnen und
 Zolls bei der Verfolgung von Straftätern auf den trägen und von eigenen Partikularin- Kollegen werden von einer Prüfung in die
 dem Arbeitsmarkt. Dass ausgerechnet in ei- teressen getriebenen ministeriellen Büro- nächste gescheucht, um dem Zahlenbedürf-
 ner Zeit, in der die SPD das Bundesarbeits-, kratenapparat hört, dem es zudem an der nis der Politik zu entsprechen. Währenddes-
 Bundessozial- und Bundesfinanzministeri- nötigen polizeifachlichen Expertise fehlt, sen reibt sich die Bau-Mafia die Hände und
 um zugleich besetzt, keine großen Sprün- als auf kriminalpolitische Fachleute, darf zählt fleißig ihr Geld.
 ge möglich waren, lässt tief in deren Kraft-, sich nicht wundern, wenn es am Ende Umstände anhand von Zahlen interpre-
 Mut- und Konzeptlosigkeit blicken. nicht funktioniert. Lediglich mehr Perso- tieren zu wollen hilft nicht weiter. Um sie
 nal in eine untaugliche Struktur zu stop- zum Besseren zu verändern hilft nur Anpa-
 fen, macht alles nur teurer – aber niemals cken. Ob die kommende 20. Legislaturperi-
 Hätte, wäre, könnte … besser. Gestört wird die Arbeit des Zolls zu- ode den Zoll aus dem Stillstand in eine dy-
 dem immer wieder durch sinnbefreite Klei- namische Zukunft führt? Die Kolleginnen
 Finanzminister Olaf Scholz hätte in der nen Anfragen aus der Politik und geneigten und Kollegen haben es angesichts ihres en-
 laufenden 19. Legislaturperiode zur Freu- Organisationen. gagierten Einsatzes gegen die Kriminellen
 de des Arbeits- und Sozialministers Hu- In vielen Gesprächen versuchten Vertre- in jedem Fall verdient – vor allem aber die
 bertus Heil wirklich Großes und Gutes im ter der GdP der Politik zu erklären, dass man Ausgebeuteten moderner Sklavenmärkte. I

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12 DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 DP

Im Gespräch

 Foto: bluedesign/stock.adobe.com
DER HOHENHEIMER VERSTÄNDLICHKEITSINDEX DP: Herr Prof. Brettschneider, sich auf
 vielerlei Weise auszudrücken ist dem

„Politiker wollen Menschen angeboren. Warum haut es
 trotzdem beim Kommunizieren so oft
 nicht hin?

nicht immer Prof. Dr. Frank Brettschneider: Wir den-
 ken beim Kommunizieren oft zu sehr an uns.
 Und zu wenig an die Empfänger – die Leser

verstanden werden“ oder die Zuhörer. Dann gebrauchen wir zum
 Beispiel Begriffe, die uns geläufig sind. Aber
 die anderen verstehen diese nicht, weil es
 sich um Fachsprache handelt. Oder wir ver-
Sich verständlich zu machen ist womöglich die größte Hürde der wenden Ironie, die die Empfänger als solche
Kommunikation. Der Wissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider nicht erkennen. Teils formulieren wir nicht
 klar genug, was wir meinen. Und die Emp-
und sein Team messen die Verständlichkeit von Sprache. fänger müssen das dann entschlüsseln.
Im DP-Gespräch erklärt er, warum Wahlprogramme gemeinhin
als schwer verständlich gelten. DP: Haben es Sprachakrobaten im Leben
 eher leichter?
 Brettschneider: Sprachakrobaten sind re-
Michael Zielasko degewandt. Das hilft ihnen zwar. Denn da-
 bei geht es um die Fähigkeit, die eigenen
 Gedanken sprachlich so zu verpacken, dass
DP DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 13

 andere sie verstehen können. Aber Redege- DP: Sie kennen sich mit politischer Spra- Brettschneider: Ja, da haben Sie Recht. Ver-
 wandtheit allein reicht nicht. Wichtiger ist che aus. Wollen Politikerinnen und Poli- ständliche Kommunikation sollte eigentlich
 noch die Substanz dessen, was man mit- tiker wirklich immer verstanden werden? selbstverständlich sein. Die Regeln dafür
 teilen möchte. Unfug wird nicht sinnvol- Brettschneider: Nein. Sie wollen nicht im- sind nicht schwer.
 ler, wenn er sprachlich ansprechend ver- mer verstanden werden. Einer meiner Stu-
 packt wird. denten hat mal die großen Regierungserklä- DP: Schafft schwer verständliche Spra-
 rungen der Bundeskanzler analysiert. Sein che Distanz zum Lesenden?
 DP: Was ist Ihr Nummer-Eins-Hausmittel, Ergebnis war eindeutig: Erfolge und popu- Brettschneider: Ja, das ist so. Erstens emp-
 damit mich alle so verstehen wie beab- läre Maßnahmen gießen die Bundeskanzler finden Lesende objektiv schwer verständli-
 sichtigt? in ihren Reden in einfache Sätze. Unpopulä- che Sprache tatsächlich auch subjektiv als
 Brettschneider: Nummer-Eins: Immer an re Maßnahmen hingegen verpacken sie oder schwer verständlich. Zweitens verstehen sie
 die Empfänger denken. Zweitens hilft fol- ihre Redenschreiber in lange Schachtelsät- die Inhalte dann tatsächlich nicht so gut.
 gende Regel ungemein: Ein Gedanke, ein ze. Und sie verwenden dann gerne Fachbe- Dies sehen wir, wenn wir im Anschluss an
 Satz. Man sollte also nicht zu viele Informa- griffe. Wir sprechen in diesen Fällen von das Lesen eines Textes einen Lücken-Text-
 tionen in einen Satz packen, sondern nach taktischer Unverständlichkeit. Test durchführen. Bei gut verständlichen
 Möglichkeit nur einen Gedanken. Und der Texten sind die Test-Ergebnisse wesentlich
 nächste Gedanke bekommt dann seinen ei- DP: Die Verständlichkeit schriftlicher besser als bei schwer verständlichen. Drit-
 genen Satz. Das macht es den Empfängern Texte ist einer Ihrer Forschungsschwer- tens erinnern sich Lesende besser an die In-
 viel leichter, der Botschaft gedanklich zu punkte. Eigentlich schade, dass darüber halte leicht verständlicher Texte. Und vier-
 folgen. geforscht werden muss, oder? tens empfinden sie die leicht verständlichen

polizeiautohaus_1220_sg.pdf; s1; (210.00 x 140.00 mm); 05.Jan 2021 08:36:10; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
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14 DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 DP

 Prof. Dr. Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber
 des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der
 Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwer-
 punkten zählen die Kommunikation bei Bau- und Infra-
 strukturprojekten, die Verständlichkeitsforschung, die
 Politische Kommunikation (insbesondere Wahl-
 forschung) und das Kommunikationsmanagement.
 Foto: Universität Hohenheim

Texte in der Regel auch als glaubwürdiger. DP: Verraten Sie uns bitte einige aktuel- en halten sich später im Parlament erstaun-
Es gibt also gute Gründe, sich verständlich lere Ergebnisse. lich häufig an das, was sie in ihren Program-
auszudrücken. Brettschneider: Gerne. Die Wahlprogram- men geschrieben haben.
 me zur Landtagswahl in Baden-Württem-
DP: Dann müssten doch Wahlprogramme berg haben im Schnitt einen Wert von 8,5 DP: Wissen Sie, wie gut es den Wahl-
sehr leicht zu verstehen sein? erzielt. In Rheinland-Pfalz waren es 8,0. kämpfern auf den Straßen gelingt, die
Brettschneider: Das sollte man meinen. Bei der letzten Bundestagswahl betrug die teils verklausulierten Wahlprogramme
Leider sind sie es nicht. Wir haben mehr als durchschnittliche Verständlichkeit 9,1. Die im Bürgergespräch zu übersetzen?
700 Landtags-, Bundestags- und Europa­ CSU schneidet übrigens immer besser ab Brettschneider: Manchmal wissen auch
wahlprogramme analysiert. Die Verständ- als die anderen Parteien. Offenbar nimmt die Wahlkämpfer nicht, was mit bestimmten
lichkeitshürden sind stets die Gleichen: sie die Verständlichkeit etwas ernster. Au- Formulierungen im Wahlprogramm gemeint
komplizierte, zusammengesetzte Wörter, ßerdem sind zwei Teile der Programme bei ist. Dann greifen sie auf die Kurzfassungen
Fachbegriffe, „Denglish“ und Monster-Sät- allen Parteien verständlicher als der Rest: der Programme, die Broschüren oder die ei-
ze mit über 40 Wörtern. Da finden Sie dann erstens die Einleitung und zweitens die Kri- gene Homepage zurück. Dort sind die For-
„Ridepooling-Dienste“, „Eigengewichts- tik an den politischen Kontrahenten. derungen in komprimierter Form zu finden.
übungen“, „Strahlformungsantennen“, Und meist sind die Formulierungen auch
„Postwachstumsansätze“, „Aufgabenver- verständlicher als in der Langfassung der

 „
teilungswahrnehmung“ und „Akzelerato- Programme.
ren“, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
 DP: Haben klassische Wahlprogramme
DP: „Denglish“ klingt zumindest global noch den Stellenwert, den sie vor der So-
und modern … Unfug wird nicht cial-Media-Zeit und der Online-Kommu-
Brettschneider: Diese Wortkombinatio- nikation hatten?
nen aus Deutsch und Englisch sind ähn-
 sinnvoller, wenn er Brettschneider: Das ist unterschiedlich.
lich problematisch wie viele Anglizismen. sprachlich ansprechend Die Langfassungen dienen vor allem der
Denn sie sind für die Mehrheit der Wäh- Selbst-Verständigung der Parteien nach in-
lenden unverständlich: „Diversitycheck“, verpackt wird. nen. Kaum ein Wähler liest diese Fassungen
„Smart-Metering“, „Tenure-Track-Beschäf- vollständig durch. Und doch sind sie wich-
tigungsmodelle“, „Funklochscreening“, tig. Denn sie bilden die Grundlage für die an-
„Beamforming-Antennen“ oder „Cyber-Val- deren Wahlkampfinstrumente der Parteien.
ley-Regionen“. Das sind alles Beispiele aus Broschüren oder Flugblätter werden schon
den Programmen zu den Landtagswahlen in DP: Im Superwahljahr 2021 haben Sie ja eher gelesen. Die Social-Media-Kanäle wer-
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in einiges zu tun. Können Sie schon einen den wichtiger, erreichen im Wahlkampf aber
diesem Frühjahr. Trend zu mehr oder weniger Verständ- derzeit nur ein Viertel der Wählerinnen und
 lichkeit ausmachen? Wähler – meist die jüngeren. Für die sind
DP: Wie messen Sie denn die Verständ- Brettschneider: Nein, einen Trend gibt es übrigens YouTube und Instagram von be-
lichkeit solcher Schriften? nicht. Anders übrigens als bei den Reden, sonderer Bedeutung. An der Spitze stehen
Brettschneider: Wir haben dafür – gemein- die die Vorstandsvorsitzenden der DAX- aber die guten alten Wahlplakate. Sie wer-
sam mit einem Unternehmen in Ulm – eine 30-Unternehmen auf den Hauptversamm- den von zwei Dritteln der Wählerinnen und
Software entwickelt. TextLab, so heißt die lungen ihrer Unternehmen halten. Die un- Wähler wahrgenommen. Damit sie wirken,
Software, misst zahlreiche Wort- und Satz- tersuchen wir seit 2012. Und die Verständ- müssen sie aber gut gemacht sein.
merkmale. Zum Beispiel Satzlängen, Wort- lichkeit dieser Reden wird von Jahr zu Jahr
längen und den Anteil der Schachtelsät- besser – von 9,8 im Jahr 2012 bis hin zu 15,5 DP: Hand aufs Herz, wie verständlich sind
ze. Daraus ergibt sich der „Hohenheimer im letzten Jahr. Es geht also, wenn man will. denn Ihre verschrifteten Forschungser-
Verständlichkeitsindex“. Er bildet die Ver- gebnisse?
ständlichkeit von Texten auf einer Skala DP: Sie dürften zu den hierzulande am Brettschneider: (lacht) Das messe ich nicht
von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht besten informierten Wählerinnen und immer – aber manchmal. Die Pressemittei-
verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorar- Wählern gehören. Welchen Einfluss ha- lungen sind jedenfalls verständlicher als ein
beiten in Politikwissenschaft haben eine ben die durchforsteten Wahlprogramme wissenschaftlicher Beitrag in einer Fachzeit-
durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 auf ihre eigene Entscheidungsfindung? schrift. Da ist ja auch das Publikum ein an-
Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen Brettschneider: Keinen großen Einfluss. deres. Aber mal ehrlich: Natürlich entdecke
im Schnitt auf 16,4 Punkte. Politik-Beiträge Meine Entscheidung habe ich meist schon ich auch in meinen Texten immer wieder
überregionaler Zeitungen wie der „Frank- vorher getroffen – auf der Basis vieler Infor- sprachlich gruselige Passagen.
furter Allgemeinen“, der „Welt“ oder „Süd- mationen aus vielen Quellen. Unentschiede-
deutschen Zeitung“ kommen auf Werte zwi- nen Wählenden kann ich aber die Lektüre DP: Herr Prof. Brettschneider, vielen
schen 11 und 14. der Programme empfehlen. Denn die Partei- Dank für das Gespräch.
Baufi_100_Jahre__188x260mm_GdP.pdf; s1; (188.00 x 260.00 mm); 31.May 2021 19:43:55; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien

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16 DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 DP

Innenleben

FORDERUNGEN DER GdP-SENIORENGRUPPE tenbildes. Alter ist meist negativ belegt und
 steht dem Bild des jungen, aktiven, agilen,

Im Fokus: flexiblen Menschen entgegen. Nicht zuletzt
 leisten ältere Menschen, insbesondere Frau-
 en, einen großen gesellschaftlichen Beitrag

Altersdiskriminierung durch unsichtbare und unbezahlte Pflegear-
 beit von Angehörigen, aber auch in Instituti-
 onen in Milliardenhöhe.
 Der DGB-Arbeitskreis Senioren und die
Am 26. September sind Bundestagswahlen. Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-
 organisationen (BAGSO) haben sich Gedan-
Für DP hat die GdP-Seniorengruppe die aus ken gemacht und Forderungen aufgestellt,
ihrer Sicht wichtigsten Themen erörtert und was sie von den Parteien für die kommende
 Bundestagswahlperiode erwarten. Sie wur-
in politische Forderungen gegossen. den im Vorfeld den Parteien übermittelt, da-
 mit diese entsprechend Berücksichtigung
 finden können.

 Demokratische
 Teilhabe

 Als Teil der Gesellschaft, mit allen Rechten
 und Pflichten, ist es aus unserer Sicht für den
 demokratischen Zusammenhalt der Gesell-
 schaft notwendig, dass Senioreninteressen
Ewald Gerk stärker zu berücksichtigen sind. Die demo-
Stellvertretender Bundesseniorenvorsitzender kratische Teilhabe Lebensälterer ist daher ge-
 setzlich zu regeln. Politische Entscheidungen
 sollten nicht ohne die Mitwirkung und Mitge-
 staltung dieses Bevölkerungsanteils getrof-

J
 ede Stimme zählt bei uns gleich viel, fen werden und eben so wenig, ohne deren
 egal wo wir unser „Kreuzchen“ machen. Jede Stimme zählt! besondere Bedürfnisse zu berücksichtigen.
 Eines sollte jedoch für alle von Verpflich-
tung sein: Wählen gehen! Nur wer wählt, Die Seniorinnen und Senioren sind ein Teil
 Wir fordern:
bestimmt die Politik unserer Republik mit. der Gesellschaft – mit allen Rechten und
 Die kandidierenden Politiker und Partei- Pflichten. Sie sind eine aktive Gruppe, die • Die Schaffung einer Rahmengesetz-
en haben im Vorfeld Wahlprogramme veröf- sich verstärkt ins gesellschaftliche Leben gebung auf Bundesebene. Sie regelt
fentlicht. Darin kann man nachlesen, wel- einbringen will. Von ihrem Wissen, ihrer Er- die Grundzüge der Seniorenbeteili-
che politischen Ziele verfolgt werden und fahrung, ihren Fähigkeiten und ihrem Wil- gung auf Landes- und kommunaler
was man als Partei umsetzen möchte, sofern len, sich freiwillig in gesellschaftlichen Auf- Ebene.
man Regierungsverantwortung vom Wähler gaben zu engagieren, profitiert die Gesell-
übertragen bekommt. schaft schon jetzt und wird dies in Zukunft • Die Zusammenfassung und Auswer-
 Zugegeben, es ist schon mühselig, sich umso mehr tun. tung der Altenberichte und
durch die verschiedenen Wahlprogramme zu Der Anteil der Älteren wird in Deutsch- Schlussfolgerungen der Ergebnisse
kämpfen, aber es lohnt sich. Nur so kann man land in den nächsten Jahrzehnten immer für die Unterstützung auf Landes-
mit ruhigem Gewissen seine Stimme der Par- größer. Das resultiert sowohl aus den ge- und kommunaler Ebene. Hierzu
tei und dem Politiker geben, der die eigenen burtenstarken Jahrgängen 1955 bis 1969 als bedarf es einer zweckgebundenen fi-
Interessen am nachdrücklichsten vertritt. auch aus der Tatsache, dass die Menschen nanziellen Förderung für Länder und
 Eines muss klar sein: Politische Extreme, hierzulande immer älter werden. Kommunen.
egal ob rechts oder links, sollten nicht die Diese Entwicklung stellt Gesellschaft und
Chance bekommen, Regierungsverantwor- Politik vor große Herausforderungen, die mit • Die Förderung von Projekten der Se-
tung zu übernehmen. Sie wollen unser de- und nicht nur für ältere Menschen bewältigt niorenarbeit und -beteiligung, sowie
mokratisches System in der Regel nicht nach werden müssen. Einzubeziehen sind die ge- von Veröffentlichungen, die sich dem
vorn bringen, sondern im Sinne ihrer Gesin- genseitigen Wechselwirkungen zwischen den Thema Seniorenbeteiligung widmen.
nung nachhaltig verändern. Generationen zugunsten eines modernen Al-
DP DEUTSCHE POLIZEI 07/2021 17

Altersdiskriminierung • Den Digitalpakt für ältere Menschen.
 Denn sie sind noch immer vom digi-
Die ältere Generation gilt in Teilen als kauf- talen Leben abgeschnitten.
kräftige Zielgruppe („Silver Economy“). Je-
doch erhalten Menschen in Rente und Pensi- • Digitale Technologien in den Berei-
on schwieriger einen Kredit. Sie müssen zu- chen Gesundheit und Pflege dürfen
dem höhere Versicherungsprämien zahlen immer nur unterstützend oder ergän-
oder werden bei der Vergabe von Wohnun- zend eingesetzt werden und niemals
gen und bei verschiedenen Ehrenämtern be- als Ersatz für Personalstellen gelten.
nachteiligt.

 Wir fordern:
 Mobilität
• Eine Änderung des Allgemeinen

 Foto: GdP/Hagen Immel
 Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Menschen im Alter haben besondere Anfor-
 und die Aufnahme des Diskriminie- derungen an Mobilität. Viele würden im Al-
 rungstatbestandes aufgrund des ter gern auf den eigenen Pkw verzichten, ha-
 Alters, um entsprechende Kontroll- ben jedoch kein verlässliches und auf ihre DP-Autor Ewald Gerk wurde bei der Bundes-
 und Sanktionsmöglichkeiten zu Bedürfnisse abgestimmtes Angebot im Öf- seniorenkonferenz 2018 zum stellver-
 haben. fentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). tretenden Bundesseniorenvorsitzenden ge-
 Um die Mobilität älterer Menschen zu wählt und zuständig für DGB-Arbeitskreis
• Eine Änderung des Grundgesetzes erhöhen, ist ein konsequenter Ausbau des Senioren und BAGSO.
 und die Erweiterung um das Diskrimi- ÖPNV erforderlich. Durch spezielle Senio-
 nierungsmerkmal „Alter“ in Artikel 3, ren-Tickets ist ein, dem Rentenniveau an-
 Abs. 3. gepasstes und dadurch bezahlbares Beför- tigen Verkehrsangeboten wie
 derungsentgelt einzuführen. Zeitliche Ein- Seniorentickets oder sogenannten
 schränkungen darf es bei der Nutzung nicht 1-Euro-Tickets. Diese dürfen keine
 geben. Zudem müssen in Kommunen mit zeitliche Beschränkung beinhalten.
Digitalpakt für Ältere guter Nahverkehrsversorgung Parkplätze
 zur Anbindung geschaffen werden. Die an-
Mit der Digitalisierung wandelt sich auch schließende Nutzung des ÖPNV muss da-
der Alltag älterer Menschen. Dies umfasst durch entgeltfrei sein. Wohnen im Alter
bereits die Umstellung auf digitale Verwal-
tungsakte und Onlinebanking. Die Digitali- Ältere Menschen sind von den Verwerfungen
 Wir fordern:
sierung befindet sich derzeit auf dem Weg auf dem Wohnungsmarkt besonders betrof-
zur Künstlichen Intelligenz, die in alle Le- • Mehr Mitsprache bei Ausschreibun- fen. Viele müssen durch gekürzte Renten und
bensbereiche eindringt. Kein Individuum gen von Verkehren durch öffentliche Versorgung sowie gebrochene Erwerbsbio-
und keine gesellschaftliche Gruppierung Seniorenmitwirkungsgremien, um grafien mit wenig Geld im Alter auskommen.
kann sich dieser Tatsache entziehen. Die die Anforderungen an öffentliche Die Versorgung mit bedarfsgerechtem Wohn-
Nutzung im persönlichen Lebensbereich Mobilität passgenauer auf die raum in einer lebenswerten Wohnumgebung
kann persönlich entschieden werden, ist Zielgruppe der Seniorinnen und ist vielerorts gefährdet. Betroffen sind sowohl
aber kaum beherrschbar und zu kontrollie- Senioren abzustimmen. Menschen, die zur Miete wohnen als auch Ei-
ren. gentümerinnen und Eigentümer.
 • Parkplätze für Menschen mit
 Versorgungs- oder Rentenausweis,
 Wir fordern:
 insbesondere zur Anbindung an den • Wir brauchen dringend gesetzliche
• Ein Recht auf ein Leben ohne Inter- ÖPNV. Diese sollen analog zu spe- Rahmenbedingungen für bezahlbare
 net: Analoge Zugänge und Angebote ziellen Parkplätzen für Behinderte Mieten.
 wie bei Behördenangelegenheiten, und Frauen entstehen, um Wege ein-
 Fahrscheinkauf, Bankgeschäften facher und zugänglicher zu machen. • Die Förderung von altersgerechtem
 und vielem mehr, müssen weiter- Wohnungsneubau und Umbau ist
 hin ohne Nachteile – wie erhöhte • Verwendung öffentlicher Gelder auszuweiten. Die Rückbaupflicht für
 Servicegebühren – zur Schaffung von bezahlbaren, barrierefreie Mietwohnungen ist ab-
 verfügbar sein. beziehungsweise kostengüns- zuschaffen und die kontinuierliche
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