Elzach mit kreativer Lösung - Fachkräftemangel- BDH Bundesverband Rehabilitation
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65. Jahrgang ∙ 9/10 2013 Kurier Informationszeitschrift des BDH Im Fokus – Fachkräftemangel – Elzach mit Europa fehlen kreativer Lösung Pflegeplätze Seite 12 Seite 3 Aktuelles – Reha vor Rente Seite 6
Aus dem Inhalt Grußwort Liebe Mitglieder und Freunde des BDH, Wahlkampfzeiten bieten Medien und politisch Interessier- Im Fokus – ten alle Jahre wieder Einblicke in persönliche Befindlich- Europa fehlen Pflegesätze 3 keiten der Hauptakteure, innerparteiliche Machtkämpfe und großes Koalitionsgerangel. Aller rhetorischen Winkelzüge und Spitzfindigkeiten zum Trotze dienen uns Wahlkämpfe auch dazu, auszuloten, an welchen Stellen unseres Landes gesellschaftliche Entwicklungen sozialen Sprengstoff bergen und letztlich gar aus dem Ruder zu laufen drohen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück rückte mit seinem Vorstoß zur Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags um 0,5 Prozent das Thema des Pflegefachkräfteman- gels in den medialen Mittelpunkt. Deutschland fehlen bereits heute 60.000 Pflege- fachkräfte. Experten gehen davon aus, dass sich das Problem weiter verschärfen wird und in zwei Jahrzehnten etwa 300.000 Fachkräfte fehlen werden und die Qualität der Pflege und Betreuung massiven Schaden nehmen wird. ●●● Zunächst ist Personalpolitik gefragt. Unsere Kliniken reagieren auf diese Entwick- Aktuelles lungen und gehen inzwischen auch im Ausland initiativ auf Personalsuche. Auf Rentenpolitik 8 lange Sicht muss es Deutschland gelingen, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten, Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf so zu wählen, dass ●●● die Arbeitskräftelücke auch durch eine höhere Frauenerwerbsquote geschlossen werden kann. Die Ihnen vorliegende Ausgabe des Kuriers nimmt aktuelle renten- und Sozialrecht pflegepolitische Aspekte in den Fokus. Aktuelles aus dem Sozialrecht 11 Ich wünsche Ihnen eine wundervolle Spätsommerzeit und gute Erkenntnisse mit der ●●● Lektüre des neuen BDH-Kuriers. Es grüßt Sie herzlich Klinik-News Ihre Fachkräftemangel – Elzach mit kreativer Lösung 12 Ilse Müller ●●● Bundesvorsitzende des BDH Bundesverband Rehabilitation Jugendseite 14 ●●● Reha Redaktion und Anzeigenschaltung: Neue Leitlinie unter Beteiligung von Thomas Kolbe Sitz: 53119 Bonn, Eifelstraße 7, Prof. Claus Wallesch Telefon: 0228/96984-0, Telefax: 0228/96984-99, verabschiedet E-Mail: t.kolbe@bdh-bonn.de, www.bdh-reha.de 15 Satz, Druck und Vertrieb: Rehabilitationszentrum der BDH-Klinik Vallendar ●●● 56179 Vallendar/Rhein, Heerstraße 54a, E-mail: gerd.thomas@bdh-klinik-vallendar.de Erscheinungsweise: Sechsmal im Jahr Aus der Presse 16 Impressum Fotonachweis: AOK-Mediendienst, BDA, BDH Bundesverband Reha- ●●● bilitation, BDH-Klinik Elzach, Berliner Tafel e.V., BMG/ Dedeke, Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt e.V., Deutsche Bundesbank, Eric Fahrner - Fotolia.com, BDH - (Chefredaktion): EZB, Feng Yu – Fotolia.com, Klöckners Genuss-Agentur, Kzenon, RAMESH AMRUTH, Techniker Krankenkasse, Land und Leute 18 BDH Bundesverband Rehabilitation Sitz: 53119 Bonn, Eifelstraße 7, Volker Zierhut, CDU-Fraktion NRW Telefon: 0228/96984-0, Telefax: 0228/96984-99, Der Kurier als Bundesorgan des BDH wird allen Mitglie- E-Mail: info@bdh-reha.de, www.bdh-reha.de dern im Rahmen der Mitgliedschaft ohne Erhebung einer Bankverbindungen: besonderen Bezugsgebühr geliefert (kostenloser Bezug Bank für Sozialwirtschaft des BDH-Kuriers ist im entrichteten Mitgliedsbeitrag Konto-Nr. 1180800 enthalten – (»mittelbarer Bezugspreis«). Die mit Namen BLZ 37020500 gezeichneten Artikel geben nicht immer die Auffassung des Bundesvorstandes wieder. Unverlangt eingesandte Titelbild: Das Team der Sparkasse KölnBonn Kto.-Nr. 14850069 Manuskripte werden zurückgesandt, sofern Porto beiliegt. BDH-Klinik Vallendar nahm das (BLZ 37050198) Die Chefredaktion behält sich Änderungen und Kür- Bank für Sozialwirtschaft zungen der Manuskripte, Briefe u. ä. auch der aus den KTQ-Zertifikat entgegen. Spendenkonto-Nr. 250 250 Landesverbänden zugestellten Beiträge, vor. Foto: Lothar Lehmler BLZ 37020500 Redaktionsschluss: jeweils der 10. eines geraden Monats
Europa fehlen Pflegeplätze ••• Experten fordern Strategie Im Fokus zur Vermeidung eines Flächenbrandes Griechenland ist das Referenzland großer Entwicklungen und die Quelle der Philosophie, der Demokratie und der ersten Na- turwissenschaften. Unsere Kultur konnte sich auf diesem rei- chen Nährboden entwickeln und erhielt, quasi „frei Haus“ ein vielfältiges Instrumentarium an die Hand, gesellschaftlichen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Auf sein expan- sives Bevölkerungswachstum reagierte die Stadtstaatenwelt einst mit der Kolonisation weiter Teile des Mittelmeerraumes. Heute steht das Land vor Problemen anderer Art. Eine hartnäckige Rezession schwächt das Land, und mit ihm große Teile Südeuropas, auf allen Ebenen. Dies gilt auch im Bereich der medizinischen Versorgung und der Pflege. Schockierend waren die Meldun- gel der allgemeinen Pflegesituation gen, die uns vor Jahresfrist aus festgestellt wurden. Die tagtägliche Zuwanderung als Antwort Griechenland erreichten und auf Realität Betroffener im Süden Euro- auf Pflegefachkräftemangel eine Medikamentenknappheit pas wird geprägt durch Perso- Die Politik steht vor einem er- hinwiesen, wobei erhebliche Män- nalknappheit und extremer finanzi- heblichen Dilemma: Auf der einen Seite leben in Deutsch- land Hunderttausende ohne adäquate Berufsbildung. Die- se Gruppe ließe sich nur unter erheblichen Schwierigkeiten, Weiterbildungsmaßnahmen und individueller beruflicher Aktivie- rung überhaupt noch einmal an den Arbeitsmarkt heranführen. Der Gedanke, Menschen auch aus dieser Gruppe für die Pflege zu gewinnen, klingt zunächst reizvoll, vernebelt allerdings die Tatsache, dass der Pflegeberuf tatsächlich mehr ist, als nur ein „Job“. Das Belastungsniveau ist sowohl physisch als auch psychisch enorm – eine schnelle Umschu- lung damit in der Regel utopisch. Diese Erkenntnis schwingt in den Gedanken von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mit, wenn dieser kürzlich noch einmal auf die Option einer gezielten Zuwanderung ausländischer Pflegefachkräfte hinwies und eine Lo- ckerung der Einwanderungshürden anmahnte: „Wir brauchen Zuwanderung, auch wenn das allein die Probleme in der Pflege nicht lösen wird“, sagte Bahr der Zeitung „Welt“ und verwies auf erste Erfolge bei der Lockerung der Zuwanderungsregeln für Medizi- ner. Nun müsse die Vorrangprüfung für Pflegekräfte fallen, um den spürbaren Pflegekräftemangel zügig in den Griff zu bekommen. BDH-Kurier 9/10 2013 3
macht. Und die Probleme werden sich weiter verschärfen. Waren im Jahre 2008 noch 25,4 Prozent älter Im Fokus als 65 Jahre, werden es im Jahre 2040 schon 30 Prozent sein. EU- Experten schätzen die Lücke an Pflegeplätzen in ganz Europa auf eine halbe Million. Vor allem Italien steht vor großen Problemen: Hier fehlen 150.000 Pflegeplätze. Und dies in einer Situation politischer In- stabilität, während eine jahrelange Rezession finanzielle Spielräume beschneidet. l Einnahmen könnten Ausgaben kompensieren Die EU arbeitet an der Umsetzung einer Pflege-Quote von 6.000 Plät- zen pro einer Million Einwohner. Deutschland liegt im europäischen Ein hohes Pflegeniveau lässt sich nur mit ausreichend qualifiziertem Personal erreichen Vergleich gut im Rennen und bietet – das gilt für jede Region Europas über 10.000 Plätze, berechnet auf eine Million Einwohner. Die Be- schäftigungsstrategie im Pflegesek- eller Engpässe. Der Pflegestandard Deutschland benötigt tor soll europaweit 760.000 Arbeits- sinkt rapide. Nun fordern Sozialver- ein Zuwanderungskonzept bände ein Umdenken auf europäi- plätze schaffen. Steigende Sozial- abgaben gingen auf lange Sicht Wie begegnet die Gesellschaft der Alterung und dem scher Ebene. Der Zeitpunkt ist nicht einher mit dem Abbau staatlicher Mangel an Arbeitskräften? Neben Maßnahmen zur bes- schlecht gewählt, kämpft doch das Transferleistungen, bedingt auch seren Vereinbarkeit von Familie und Beruf nimmt ein EU-Parlament um seine eigene Umschulungen und den Aufbau zu- profiliertes Zuwanderungskonzept Formen an. Staaten Budgethoheit. Im Erfolgsfalle ließen kunftsfester Beschäftigungsverhält- wie die USA oder Kanada machen es vor: Eine gesteu- sich Investitionsprogramme ins Le- nisse. Ökonomen raten als Lö- erte Zuwanderung hilft beiden Seiten, den ausländi- ben rufen, die Mittel in die Verbes- sungsoption zur Investition in Aus- schen Bewerbern und dem heimischen Arbeitsmarkt, serung der Pflegewirtschaft lenk- bildungszentren in Südeuropa. An- der einen nachfragebedingten Engpass überwindet. ten. Erste Erfolge lassen Hoffnung bieter von Pflegeeinrichtungen Der Handlungsdruck wächst, was die Analyse „Fach- aufkeimen, eine europaweite Sozi- könnten regionale Kooperation kräfteengpässe in Deutschland“ der Bundesagentur für alpolitik zur Minderung extremer schließen und als Co-Investoren in Arbeit nochmals unterstrich. Die Studie weist auf einen Entwicklungen in Gang zu setzen. die Ausbildung junger Pflegekräfte flächendeckenden Fachkräftemangel in Gesundheits- investieren, was angesichts einer und Pflegeberufen hin, wobei der Mangel an examinier- l 20 Millionen Europäer Jugendarbeitslosigkeit von über 30 ten Altenpflegern ins Auge tritt. Im Bundesdurchschnitt sind pflegebedürftig Prozent im Süden eine weitere Op- konnten Arbeitgeber in diesem Bereich freie Stellen 124 Es liegt großes Potenzial in der tion zur Lösung des Beschäfti- Tage lang nicht besetzen. Zudem kommen auf 100 ge- Pflegewirtschaft, denn Experten se- gungsdesasters bedeuten könnte. meldete Stellen lediglich 35 qualifizierte Arbeitslose. Die hen die Chance, ein erhebliches Denn es droht bereits neues Unge- Vakanzzeiten bei Gesundheits- und Krankenpflegefach- Beschäftigungspotenzial zu er- mach: Das Institut der deutschen kräften liegen durchschnittlich bei 112 Tagen. Erfolgrei- schließen. Bereits jetzt beginnen Wirtschaft in Köln beziffert den dro- che Zuwanderungspolitik muss zunächst die Hürden das harte Ringen um die Budgets henden Mangel an Pflegefachkräf- im Anerkennungsverfahren ausländischer Qualifika- und der Kampf um eine gezielte In- ten im Jahre 2020 in Deutschland tionen abbauen und Transparenz schaffen. Dort, wo vestitionsstrategie, die die südeuro- auf 220.000. Das würde den Kampf es nötig ist, müssen Weiterbildungsmaßnahmen und päischen Länder in den Fokus der um knappe Arbeitskräfte zusätzlich Sprachschulungen ergänzend angeboten werden. Ein EU nimmt. Immerhin leben in der anheizen und den politischen Hand- Gesamtkonzept sollte zügig und umfassend erarbeitet Europäischen Union mehr als 20 lungsdruck extrem erhöhen. werden. Denn längst kämpfen andere Nationen um gut Millionen pflegebedürftige Men- ausgebildete Fachkräfte und werben für ihre Standorte. schen, was einen Anteil von über vier Prozent aller EU-Bürger aus- 4 BDH-Kurier 9/10 2013
Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ••• Expertenbeirat: „Zeit- Aktuelles messung entfällt ersatzlos“ Die Versorgungsdefizite in der Pflege sind längst zum politischen Tagesgeschäft geworden. Politiker aller Parteien beteuern ihr Verständnis, doch der Reformprozess in der Pflege ist ins Stocken geraten, richtungsweisende Entscheidungen sind überfällig. Die Folgen der politischen Verzögerungstaktik treffen vor allem die Betroffenen. Zankapfel von Wissenschaft, Politik l Pflegebedarf wächst stetig Mehrkosten betrügen jährlich etwa und Interessenvertretungen ist und Fakt ist: Die Pflege ist unterfinan- zwei Milliarden Euro. bleibt der Pflegebedürftigkeitsbe- ziert. Am 1. März 2012 betraute griff des § 14 SGB XI, der in seinem auch Gesundheitsminister Daniel l Reform wurde immer Verrichtungsbezug Aspekte wie so- Bahr (FDP) einen Expertenbeirat wieder vertagt ziale Teilhabe und individuellen Be- mit der Lösung des Problems. 18 Das Problem, das vor allem De- treuungsbedarf von Menschen mit Monate später liegen erste Empfeh- menzkranke und Angehörige eingeschränkter Alltagskompetenz lungen auf dem Tisch: So soll es ein spüren, ist altbekannt. kaum berücksichtigt. Politiker System von fünf Pflegestufen rich- Schon 2006 rief das schrecken angesichts drohender ten, die den Grad der Selbständig- Bundesgesundheits- Mehrkosten zurück, sollte es zu ei- keit besser erfassen. Dabei sollen ministerium einen ner von Gesundheitsexperten emp- acht pflegerelevante Aspekte wie Beirat ins Leben, der fohlenen Anspruchserweiterung kognitive und kommunikative Kom- auf eine Neudefiniti- und der damit verbundenen Neude- petenzen festgestellt werden. on der Pflegebedürf- finition kommen. Auch eine Erhö- tigkeit drang. 2009 hung des Pflegeversicherungsbei- Experten schätzen, dass bis zu erhielt Ursula Schmidt trags um 0,5 Prozent, wie es SPD- 250.000 Menschen von der Reform (SPD), damals feder- Kanzlerkandidat Peer Steinbrück profitieren würden, darunter eine führende Ministerin, den forderte, steht nun im Raum. große Zahl Demenzkranker. Die Bericht des Beirats, der Empfehlungen zur Neudefinition enthielt Pflegepolitik braucht mutige Reform und einen neuen An- Als längst überfälligen politischen Weckruf bezeichnete Ilse Müller satz des den Vorschlag von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, den Beitrag Begutach- zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozent anzuheben und so notwendi- tungsver- gen personellen Spielraum in der Pflegewirtschaft zu schaffen. fahrens „Die spürbare Personalknappheit in der Pflege ist zum Teil hausgemacht zur Feststellung der Pflegebedürf- „Wir wollen den und nicht nur ein demografisches Problem. Der Pflegeberuf muss für junge tigkeit vorsah. Seither herrscht neuen Pflegebedürf- Menschen attraktiver werden, wenn wir den Kampf gegen den Pflegefach- tigkeitsbegriff so Funkstille. Experten und Verbände gestalten, dass kräftemangel nicht nur wortgewaltig zu Wahlkampfzeiten führen wollen. Da geben sich die ministeriale Klinke Demenzkranke spielt Geld selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Mit der geforder- in die Hand und setzen sich für eine endlich ausreichend ten Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags wäre ein wichtiger Schritt zügige Reform ein. Im September mit ihrem individuel- getan, personellen Spielraum für intensivere individuelle Betreuungsleis- wird gewählt – im Anschluss bietet len Leistungsvermö- tungen zu schaffen, was die Qualität der Pflege und damit die Lebens- sich der neuen (oder alten) Bundes- gen berücksichtigt werden.“ Gesund- qualität Betroffener deutlich erhöhen dürfte. Allein darauf kommt es an.“ regierung die große Chance, Politik heitsminister Daniel Generell benötige Deutschland ein ergänzendes Zuwanderungskonzept, für Millionen Betroffene zu machen. Bahr warb auch auf um dem grassierenden Pflegefachkräftemangel wirksam zu begegnen. Die Bleibt zu hoffen, dass nicht wieder der Internetseite des Vorsitzende des Sozialverbandes verwies in diesem Zusammenhang auf Investmentabteilungen der Groß- Ministeriums für eine die prognostizierte Fachkräftelücke, die 2030 bei unveränderten Rahmen- banken zu politischen Pflegefällen Neudefinition der bedingungen zu 328.000 unbesetzten Stellen führen könne. Pflegebedürftigkeit. werden BDH-Kurier 9/10 2013 5
Reha-Deckel nicht mehr zeitgemäß ••• BDH-Bundesvorsitzende Aktuelles warnt vor weiteren Folgen Im vergangenen Jahr stellten die Deutschen 2,1 Millionen Anträge auf Reha-Therapien. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung konnten 880.000 bewilligt und durch- geführt werden, was einem Plus von 25 Prozent seit 2005 entsprach, aber keineswegs den wachsenden Bedarf abdecken kann. Experten nehmen nun die sog. „Reha-Deckelung“ in den Fokus der Kritik. „Es kommt der verantwortlich scheint, das Er- Punkt, an dem sich werbsleben der Menschen schritt- die Politik bewe- weise zu verlängern und zeitgleich gen muss und auf einer alternden Erwerbsbevölke- demografische rung die notwendigen medizinisch- Notwendigkeiten begleitende Maßnahmen zu ver- zu reagieren hat“, wehren. Die Politik fordert von den forderte die BDH- Menschen immer längere Lebens- Vorsitzende Ilse arbeitszeiten, was indirekt eine Müller angesichts Rentenkürzung nach sich zieht. Da- der großen Zahl mit verpflichtete sie sich, dies ent- unbewilligter sprechend zu flankieren. Anspruch Reha-Maßnahmen und Wirklichkeit passen hier nicht ein rasches Einlen- zusammen. Es besteht dringender ken der Politik, die Korrekturbedarf. Gute Reha kostest Geld. Aber die Investition lohnt sich: Jeder investierte Euro hilft sich derzeit hinter dabei, fünf Euro volkswirtschaftlichen Gewinn einzufahren. der gesetzlich vorgeschriebenen l Berufliche Reha Reha-Deckelung verschanzt und ist Erfolgsmodell Rente mit 67 – aber wie? darauf verweisen kann, dass sich Dabei sind Politiker doch stets auf das Reha-Volumen nach Maßgabe der Suche nach brauchbaren Lö- Die Umstellungsphase in der Rente hat begonnen. Seit der Löhne entwickelt und aktuell ein sungen für gesellschaftlich drän- 2012 verschiebt sich das Renteneintrittsalter der Deut- jährliches Volumen von 5,66 Milliar- gende Probleme. Gerade die beruf- schen schrittweise, bis es schließlich in wenigen Jahren den Euro vorsieht. Bewirtschaftung liche Reha ist mit einer Wiederein- bei einem Alter von 67 Jahren festgesetzt wird. Bereits reiche nicht aus, die Menschen stiegsquote Therapierter von 85 heute diskutieren Ökonomen und Soziologen über den auch im Alter fit für das Erwerbsle- Prozent ein Erfolgsmodell und soll- nächsten Schritt. Rente mit 68, Rente gar mit 70 Jah- ben zu machen, so die Vorsitzende, te Schule machen. Vor dem Hinter- ren? Eines muss neben der Frage nach der sozialen die flexible Anpassungsschritte an grund der drohenden Fachkräftelü- Balance dieser Politik bedacht werden: Ältere Arbeit- den wachsenden Reha-Bedarf vor- cke in wenigen Jahren dürfte dies nehmer stellen andere Ansprüche an medizinische schlägt und den Reha-Deckel am umso interessanter klingen. Hin Prävention und Begleitung. Die Zahl medizinischer Be- liebsten in der Versenkung ver- und wieder liegt die Antwort auf handlungen im Rahmen von Reha-Therapien stieg seit schwinden sehen würde. manche Frage so nahe, dass man 2005 von 880.000 um ein Viertel auf 1,1 Millionen Fälle die Politik an die Hand nehmen und im vergangenen Jahr. Dabei wurden 2012 schon 2,1 l Reha lohnt sich in die richtige Richtung führen Millionen Anträge gestellt, von denen beinahe die Hälfte Dies zurecht. Das Institut Prognos muss. Eine demografische Kompo- abgelehnt wurde. Der Bedarf wird weiter steigen. Der bezifferte den volkswirtschaftlichen nente zur Berechnung des steigen- Budget-Deckel richtet sich allerdings nicht nach dem Benefit eines einzigen, in die Reha den Reha-Bedarfs wäre der nun fol- Bedarf, sondern nach der Steigerung der Durchschnitts- investierten Euros, auf fünf Euro im gende Schritt. Geld ist, wie die löhne, was die Lage verschärfen dürfte. Mit einem Bud- Zuge einer verlängerten Erwerbs- Steuerschätzer stolz verkünden, in get von 5,66 Milliarden Euro wird die Rehabilitation in zeit der Menschen. Es ist eine kriti- ausreichendem Maße verfügbar. Deutschland dem Bedarf längst nicht mehr gerecht. Es sche Debatte, die hinter den Kulis- ist Zeit zu handeln. sen Wellen schlägt, wobei es un- 6 BDH-Kurier 9/10 2013
Demografie fordert politische Flexibilität ••• Zentrale Anerkennungs- Aktuelles stelle für Gesundheits- berufe wäre eine Lösung Misserfolge lassen sich politisch nur schlecht verkaufen. Dies gilt vor allem in Zeiten des Bundestagswahlkampfes. Vor Jahresfrist initiierte die Bundesregierung im Kampf gegen den Fachkräftemangel ein Anerkennungsgesetz, das es Migrantinnen und Mig- ranten ermöglichen sollte, im Ausland erworbene Berufsqualifikationen leichter anerkennen zu lassen. Doch die Zahl der Anerkennungsgesuche unterschreitet selbst die Erwartungen der Zweifler. Europa wächst zusammen. Eine ration von Migrantinnen und Mig- tur, die Deutschland im gemeinsame Währung, zollfreier ranten eine gute Gelegenheit, ge- demografischen Wan- Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizü- sellschaftspolitische Notwendigkei- del gut zu Gesicht stün- gigkeit und wachsende Kompetenz ten mit arbeitsmarktpolitischer Ver- de. Wir befinden uns in Brüssel. Die Standards nähern nunft zu verknüpfen. Bei drei Millio- derzeit noch am Anfang sich an. Doch gerade Deutschland nen Migranten in Deutschland sind eines Prozesses, der tut sich schwer, die in der Vergan- 30.000 Anträge in zwölf Monaten ein Umdenken aller Be- genheit gestiegene berufliche Aus- einfach eine zu geringe Zahl und teiligten nötig macht. Peter Clever von der Haupt- geschäftsführung des BDA bildungsqualität im europäischen lassen den Verdacht aufkommen, Die Zahl der Verfahren forderte ein stärkeres Enga- Ausland anzuerkennen. Aus die- dass Hürden existieren, die nur dürfte im Falle einer gement der Bundesländer bei sem Grunde erließ die Bundesre- schwer zu überwinden sind. Kostensenkung deut- der Umsetzung des Anerken- gierung im vergangenen Jahr das lich steigen. Arbeitge- nungsgesetzes. sog. Anerkennungsgesetz, das die l Kosten sind zu hoch ber und Arbeitsuchende Industrie- und Handelskammern Eine Hauptargument, das gegen sind bereit, aufeinander zuzuge- (IHK) im Bundesgebiet damit beauf- das Verfahren spricht, sind die ho- hen, lediglich die Politik hinkt hinter- tragte, Prüfverfahren ausländischer hen Kosten, die vielfach 500 Euro her. Zwei Drittel aller Anträge stam- Qualifikationen vorzunehmen und übersteigen und von der überwie- men im Übrigen aus den Gesund- im Einzelfalle eine entsprechende genden Zahl der Interessenten heitsberufen, was mit den demo- deutsche Zertifizierung auszustel- kaum zu stemmen sind. Das Ver- grafischen Bedürfnissen unserer len. So sollen Arbeitgeber Informati- fahren muss entbürokratisiert wer- Gesellschaft korrespondiert. onen über den Qualifikationsstand den und im Anschluss Sprachschu- ausländischer Bewerber erhalten. lungen und mögliche Weiterbil- dungsschritte offerieren. Dies wä- l Ergebnisse sorgten für Er- ren Schritte einer Willkommenskul- nüchterung Die vor kurzem veröffentlichten Er- gebnisse der Jahresbilanz des An- erkennungsgesetzes erstickten die Hoffnungen derjenigen, die sich neue Rekrutierungspotenziale durch die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt erhofften. So fehlen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern derzeit 60.000 ausgebildete Pflegefachkräfte. Die demografische Lücke wird die Pro- bleme verschärfen, so viel ist si- Die Industrie- und Handelskammern wurden mit der Evaluation ausländischer Berufsquali- cher. Da bietet die berufliche Integ- fikationen bundesweit betraut. BDH-Kurier 9/10 2013 7
Erwerbsminderungsrente ••• Sturm im Wasserglas oder Aktuelles ernst gemeinter Vorstoß? War es Wahlkampfgetöse oder der Mut zu einer längst überfälligen Geste, die Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels der CDU, zu einem Angriff auf die Ab- schläge bei der Erwerbsminderungsrente motivierte? Die grassierende Altersarmut könnte so zum Thema vor der Bundestagswahl werden und Druck auf die Politik ausüben. Hand- lungsbedarf besteht angesichts der 1,6 Millionen Erwerbsminderungsrentner in Deutschland allemal. Die Warnungen des Vorsitzenden mals eine Abschaffung der Christlich-Demokratischen Ar- der Abschläge forderte. beitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, der kürzlich vor den ren- l Strukturelles tenpolitischen Folgen bei Berufsun- Problem fähigkeit warnte, haben ihre Be- Denn die Zahlen sind ein- rechtigung. Die Deutsche Renten- deutig und setzen die Po- versicherung (DRV) untersuchte litik unter Druck: 96 Pro- dieses strukturelle Defizit unseres zent der Berufstätigen, die Rentensystems und stellte dabei ei- vor dem 63. Lebensjahr nen Rückgang der Erwerbsminde- entweder voll oder teilwei- rungsrente für Neurentner fest, die se arbeitsunfähig werden, sich zwischen den Jahren 2000 und müssen Rentenabschläge 2010 von 706 auf 600 Euro pro Mo- hinnehmen, die sich nach nat reduzierte. Zu befürchten sei Angaben der DRV auf ein Flächenbrand, der politisch durchschnittlich 76,58 Eu- Wünscht sich eine Stärkung der Erwerbsminderungs- schwer unter Kontrolle zu bringen ro monatlich belaufen. rentner: Karl-Josef Laumann von der CDU. Quelle: sein wird, befürchtet auch BDH- Diese Gruppe setzt sich Volker Zierhut, CDU-Fraktion NRW Vorsitzende Ilse Müller, die noch- größtenteils aus Geringqualifizier- ten und Menschen mit erheblichen erwerbsbiografischen Brüchen zu- l Ein „Weiter so“ sammen. Gesellschaftlich zeigt sich wird nicht genügen Schutz vor krankheitsbedingter Armut folgerichtig eine wachsende Alters- Die jüngsten Daten stammen aus armut, die den Rentenhimmel ver- dem Jahr 2011 und deuten die Fort- Deutschland strickt an Lösungen im Kampf gegen die dunkelt: Der expandierende Nied- setzung der Erosion des Renten- Altersarmut. In Deutschland beziehen etwa 1,6 Millio- nen Menschen eine Erwerbsminderungsrente. Der Ge- riglohnsektor, im Kern eine Summa- systems an. Die durchschnittliche danke der Systematik war, Menschen, die krankheits- tion von Erwerbsbrüchen und nied- Erwerbsminderungsrente für Neu- bedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden, vor Armut rigen Rentenversicherungsbeiträ- rentner lag mit 596 Euro klar unter- im Alter zu schützen. Ergänzend sichern sich viele Bür- gen, wird zu einer erheblichen Ver- halb der Grundsicherung, die 688 gerinnen und Bürger mit Hilfe einer privaten Berufsun- schärfung der Lage führen. Hier be- Euro beträgt. Rentenexperten fähigkeitsversicherung gegen einen möglichen sozialen steht erheblicher Handlungsbedarf. schätzen die Gefahr der Altersar- Abstieg ab. Das Statistische Bundesamt registriert seit Aktuell beziehen allein 300.000 Be- mut in dieser Gruppe auf etwa 40 einiger Zeit einen jährlichen Anstieg der Berufsunfähig- schäftigte einen Lohnzuschuss im Prozent. Allein die wachsende Ge- keit um 250.000 neue Betroffene. 25 Prozent der An- Rahmen der Hartz-Gesetzgebung fahr stetigen Kaufkraftverlustes als gestellten und etwa 30 Prozent der Arbeiter scheiden und speisen damit die Zahl potenzi- Folge der europäischen Geldpolitik ell armer Rentner. sollte zu einem raschen Ende oder aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen aus dem zumindest Abschmelzen der Ab- Berufsleben aus. Die Statistik wies nur einen geringen schläge führen und erste Schritte geschlechterspezifischen Unterschied auf. So scheiden zur nötigen Entlastung der Betroffe- Frauen durchschnittlich mit 49 Jahren, Männer ein Jahr nen einleiten. später aus. 8 BDH-Kurier 9/10 2013
Zerreißprobe für das deutsche Rentensystem ••• Rentenversicherung wartet Aktuelles auf die Babyboomer Der Vorschlag der Bundesregierung, Überschüsse der gesetzlichen Rentenversicherung zur Reduktion des Haushaltsdefizits zu verwenden, wurde von Rentenexperten erwartungs- gemäß heftig kritisiert Zwar sei die Rentenkasse so gut gefüllt wie lange nicht mehr, man könne den demografischen Wandel aber nicht einfach ausblenden. die Entwicklung Beitragszahlerbasis hin und raten der Arbeitskosten zu einer Erhöhung der Frauener- und dem Arbeits- werbsquote. Maßnahmen zur Ver- markt. einbarkeit von Familie und Beruf, vor allen Dingen die Erhöhung der l Wahlkampf KITA-Plätze, bleiben die wichtigs- darf nicht zur ten Stellschrauben. Erfreulich in Kurzsichtigkeit diesem Zusammenhang ist, dass führen die Quote erwerbstätiger Frauen in Der öffentlichkeits- den vergangenen zehn Jahren um wirksame Effekt ei- neun Prozent auf heute 72 Prozent nes ausgegliche- gestiegen ist. Quelle: Homepage Klöckners Genuss-Agentur nen Haushalts wä- re teuer erkauft, Die Nachhaltigkeitsrücklage von et- denn er ignoriert die großen gesell- Selbstständige und Beamte wa 30 Milliarden Euro reicht aus, schaftlichen Bewegungen. Bei- in die Pflicht nehmen zweieinhalb Monate ohne Versiche- tragserhöhungen sind vorprogram- rungseinnahmen zu überbrücken. miert. Mit einer Mittelumlenkung Unsere Gesellschaft wird alle Kräfte aufbringen Das verschafft uns Zeit zum Durch- stützt der Rentenbeitragszahler den müssen, um den demografischen Wandel in allen atmen. Dennoch muss vor übereil- Steuerzahler beim Schuldenabbau. Konsequenzen sozial gerecht gestalten zu kön- ten Entscheidungen gewarnt wer- In Zukunft wird sich die Relation nen. Dabei kommt der finanziellen Ausstattung den. Denn in den kommenden Jah- umkehren müssen, wenn das deut- der gesetzlichen Rentenversicherung eine zentrale ren tritt die Generation der Baby- sche Sozialsystem nicht ins Wan- Aufgabe zu, einer stetig wachsenden Anzahl von boomer ins Rentenalter ein. Die ge- ken geraten soll. Prognosemodelle Rentenbeziehern ein akzeptables ökonomisches burtenstarken Jahrgänge 1955 bis von Rentenforschern sehen eine Fundament bereitzustellen. 1970 werden erratische Verände- Anhebung von derzeit 19 Prozent Die Stimmen nach einer Erweiterung der Rentenbasis rungen unseres Sozialsystems her- auf 27,2 Prozent im Jahre 2060. um Beamte und Selbständige sind kaum noch zu über- beiführen. Bereits heute liegt der Das Rentenniveau wird nach aktu- hören. Zuletzt brachte die Ruhr-Universität Bochum die Anteil der über 65-Jährigen bei 30 ellen Modellen von etwa 50 Prozent Idee in die Debatte zur Sicherung unseres Rentensys- Prozent. Im Jahre 2030 wird er bei auf dann 41,2 Prozent absinken. tems ein. Ziel müsse es sein, den Versichertenkreis 49 Prozent, 2060 bei 63 Prozent lie- Die Unternehmen werden sich auf zu erweitern. Beamte und Selbstständige sollten ihren gen. Nur ein Maßnahmenkatalog diesen Anpassungsprozess einstel- Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenver- aus moderaten Beitragserhöhun- len müssen und effizienzsteigernde sicherung leisten. Ergänzend schlugen die Ökonomen gen, Verbreiterung der Versicher- Maßnahmen im Produktionspro- eine Anhebung des Renteneintrittsalters bis 2060 auf tenbasis um Selbständige und Be- zess, hier bieten sich vor allem 69 Jahre vor. Dieser Vorschlag dürfte noch intensive amte und der erfolgreiche Kampf Energieeinsparungsmaßnahmen Debatten nach sich ziehen. Aus den Reihen der SPD- gegen prekäre Arbeitsverhältnisse an, realisieren, um wettbewerbsfä- Bundestagsfraktion wird nun die Idee einer Bürgerver- werden dazu beitragen den Anpas- hig zu bleiben. sicherung kommuniziert, in die alle Deutschen zahlen. sungsprozess erfolgreich und sozi- Gerade Selbstständige ohne Pflichtversicherung könn- algerecht zu vollziehen. Ohne Um- l Frauen könnten die Wende ten nun die ersten sein, die einer neuen Bürgerversi- bau der Rentenversicherung wird herbeiführen cherung beizutreten hätten. Eine wichtige Maßnahme es zu einer Beitragsexplosion kom- Experten weisen immer wieder auf wäre zudem eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote men, mit verheerenden Folgen für die Bedeutung der Erweiterung der zur Verbreiterung der Rentenbasis. BDH-Kurier 9/10 2013 9
Anteil junger Zahlen, Daten, Männer in der Pflege steigt Fakten Eine Domäne weiblicher Berufs- wahl wird von einer stetig wach- senden Zahl junger Männer er- obert: Zwar sind nach wie vor die meisten Azubis in Pflegeberufen weiblich, doch es treten immer mehr männliche Kollegen an ihre Seite. 2010 waren 42.900 Azubis weiblich und 11.300 männlich. Dies bedeutete im Gezielte Zuwanderung Vergleich zum Jahre 2000 einen könnte für Entlastung sorgen Anstieg von 24 Prozent bei Frau- Der grassierende Ärztemangel spricht sich in Europa herum und so en und 74 Prozent bei Männern. verzeichnet Deutschland eine wachsende Zuwanderung ausländischer Ärzte. 2012 waren 32.548 Mediziner aus dem Ausland bei uns gemeldet, von denen 22.310 in Krankenhäusern tätig waren. Zehn Jahre zuvor wa- Armuts- ren es 16.160 ausländische Ärzte, die unsere Klinikteams verstärkten. gefährdung wird zum Jeder dritte europäischen Ärztemangel Empfänger von Thema in Deutschland Hartz-IV ist 15,8 Prozent der Deutschen wa- Die Ärztegewerkschaft Marbur- Aufstocker ren 2010 armutsgefährdet. EU- ger Bund meldete einen aktuel- weit lag der Wert bei 16,9 Pro- len Ärztemangel in deutschen Etwa jeder dritte der Bezieher zent. Zu diesem Ergebnis kam Kliniken von etwa 12.000 unbe- von Hartz-IV-Leistungen geht eine Studie des Statistischen setzten Stellen. Nach Angaben zusätzlich einer Beschäftigung Bundesamtes, nach der eine der Studie sei zu befürchteten, im sog. Niedriglohnsektor nach, Person dann armutsgefährdet dass sich der Ärztemangel bis viele auch in Vollzeit. Seit 2007 ist, wenn ihr Einkommen, inklu- zum Jahr 2020 erheblich ver- sank die Zahl der Hartz-IV- sive staatlicher Transfers, weni- schärfe. Die Experten rechnen Empfänger von 5,3 Millionen ger als 60 Prozent des mittleren zu diesem Zeitpunkt sogar mit Erwerbsfähigen auf 4,4 Millionen Einkommens beträgt. Bei uns lag 56.000 unbesetzten Stellen in im Jahre 2012. Im selben Zeit- der Schwellenwert für Armutsge- den Kliniken. raum blieb die Anzahl der Auf- fährdung für eine alleinstehende stocker nahezu gleich. Sie stieg Person bei 11.426 Euro im Jahr, geringfügig von 1,22 Millionen im oder 952 Euro im Monat. Jahre 2007 auf 1,33 Millionen im Frauen werden vergangenen Jahr. häufiger pflege- bedürftig Rentennachteil Bundesweit erhalten etwa 23 für verheiratete Frauen Prozent der Frauen im Alter von Eine Studie von WZB-Forscherin Anette Fasang hat nachgewiesen, über 74 Jahren Leistungen der dass jedes Ehejahr für Frauen mit einem durchschnittlichen monatlichen Pflegeversicherung. Bei den Rentenverlust von 15,40 Euro im Monat korrespondiert. Gerade ältere Männern dieser Altersgruppe Frauen sehen die Ehe weiterhin als Versorgungsmodell, da sie an ihrer waren es nur 14 Prozent. Eine eigenen Rente zweifeln. Eine Ursache für die geringere Rente verhei- vollstationäre Versorgung erhiel- rateter Frauen liegt in der unterbrochenen Erwerbstätigkeit begründet. ten 12 Prozent der Frauen und Häufig warten nach einer schwangerschaftsbedingten Pause geringer fünf Prozent der Männer. bezahlte Jobs. 10 BDH-Kurier 9/10 2013
Rechtsprechung §§ Sozialrecht Begriff der Behinderung wird weiter gefasst Luxembourg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem Urteil aus dem April 2013 Menschen mit chronischen Erkrankungen neue Chancen zur Anerkennung der Krankheit als Behinderung eröffnet. So soll es Menschen mit Multipler Sklerose oder schmerzhaften Rücke- nerkrankungen leichter fallen, Ansprüche über die Pflegeversicherung hinaus geltend zu machen. Gerade Heimbewohner und Patienten ambulanter Pflegedienste könnten dadurch wichtige Unterstützung erhalten. Der EuGH greift damit der aktuellen Diskussion um eine Erweiterung des Pflegebegriffs vor und setzt die nationalen Regierungen unter Druck, das Urteil in materi- elles Recht umzusetzen. Wegweisend könnte hier die gesetzliche Regelung Englands sein, die bereits eine Gleichbehandlung von Krankheiten wie HIV, Multiple Sklerose oder Krebs berücksichtigt. Das EU-Urteil könnte also bald § dazu führen, dass chronische Erkrankungen unter den Diskriminierungs- schutz fallen. Mehr erfahren Sie unter dem Aktenzeichen: EuGH, C-335/11 und C-337/11. Anbieter von Berufsunfähigkeits- versicherungen gestärkt Karlsruhe. Nach Maßgabe eines Urteils des Oberlandesgerichts Karlsruhe dürfen Anbieter von Berufsunfähigkeitsversicherungen Rentenleistungen verweigern, sollten beim Abschluss eines ent- sprechenden Versicherungsvertrags falsche oder unvollständige Angaben zur gesundheitlichen Situation des Versicherten gemacht worden sein. Dem Urteil lag der konkrete Fall eines Lagerarbeiters zugrunde, der vorhandene Schulterver- letzungen und Thrombosen in seinem Antrag nicht angegeben hatte. Während der Vertragslaufzeit traten schließlich Rückenprobleme auf, die zur Arbeitsunfähigkeit führten, woraufhin die Versicherung die Renten- zahlung verweigerte. Unter dem Aktenzeihen: AZ: 12 U 140/12 können Sie den Fall einsehen. Abfindungsregelung: Schwerbehinderte dürfen nicht benachteiligt werden Luxembourg. Nach einem Urteil des EuGH darf ein Sozialplan im Rahmen einer Insolvenz zwar zu einer Minderung der Entlassungsabfindung für die Angestellten führen, die unmittelbar vor dem Renteneintritt stehen. Der Tatbestand der Diskriminierung wird allerdings erfüllt, wenn bei der Berechnung die mögliche Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente aufgrund einer vorhandenen Behinderung einkalkuliert wird. Der Schwerbehinderte Kläger des Verfahrens war 30 Jahre bei einem deutschen Unternehmen angestellt. Ein Sozialplan sieht vor, dass die Abfindung für Arbeitnehmer bei betriebsbedingter Kündigung insbesondere von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit abhängt. Für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind, sah der Plan vor, dass die Abfindung nach Maßgabe des frühesten Rentenbeginns berechnet wird. Dem Kläger, der älter als 54 Jahre war, wurde aufgrund des Sozialplans eine geringere Abfindung als den jüngeren Kollegen gezahlt, die nach seiner Ansicht eine Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung darstellte. Die diskutierte Regelung, die bei betriebsbedingter Kündigung dazu führt, dass schwerbehinderte Angestellte geringere Abfindungszahlun- gen als nichtbehinderte erhalten, bewirke nach Maßgabe des Gerichts eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer Das Urteil finden Sie unter: EuGH, Aktenzeichen: C-152/11. BDH-Kurier 9/10 2013 11
BDH-Klinik Elzach ••• Pflegekräfte aus Italien Klinik-News verstärken Klinikteam „Leben und Arbeiten über Grenzen hinweg“. Unter diesem Motto startete an der BDH-Klinik Elzach am 21. Mai 2013 ein Pilotprojekt, das die Rekrutierung italienischer Fachpflegerin- nen und – pfleger zur Verstärkung des Klinikteams zum Ziel hatte. Das deutsche Gesundheitswesen l Klinik bietet optimale Ein- leidet unter einem Mangel an Fach- stiegsbedingungen pflegekräften. Nach aktuellen Bei ihrer Rekrutierungsoffensive Schätzungen fehlen bis zu 50.000 setzt die Klinik auf individuelle Be- qualifizierte Pflegende. Die demo- treuung und rasche Integration. Ne- graphische Entwicklung wird diese ben der Bereitstellung des Wohn- Entwicklung dramatisch verschär- raums, eines sechswöchigen Inten- fen, denn die Zahl Pflegebedürftiger sivsprachkurses werden auch ge- steigt kontinuierlich. Zeitgleich ha- meinsame Freizeitangebote organi- pert es bei der Ausbildung von Pfle- siert. Ende Juni hatten die Kollegin- gekräften. Eine Studie von Pricewa- nen und Kollegen aus Italien bereits therhouse Coopers (PwC) kommt ihr A1-Zertifikat für die deutsche Der BDH-Bundesvorstand hieß die neuen italienischen zu dem Ergebnis, dass im Jahre Sprache in der Tasche, wozu ihnen Kollegen in Elzach willkommen. 2020 etwa 212.000 Pflegekräfte, im die Klinikleitung und der Bundesvor- Jahr 2030 328.000 Pflegekräfte stand des BDH gratulierten. „Ab so- fehlen werden. fort werden die neuen Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen mit- Süßer Abschied aus Elzach l BDH-Klinik Elzach reagiert auf arbeiten, dabei aber begleitend Engpässe noch weiter Deutsch lernen“ erklärt Anfang 2013 Auch an der südlichsten BDH-Klinik Charlton. Das Regierungspräsidium durfte ich im spürt man den Mangel an Fachpfle- als Aufsichtsbehörde verlangt von Rahmen meiner gekräften: „Es wird schwieriger, ausländischen Pflegekräften für die Ergotherapieaus- qualifiziertes Pflegepersonal zu fin- Anerkennung als Fachpflegekraft bildung ein ein- den. In einzelnen Bereichen, etwa das ambitionierte Sprachniveau B2; monatiges Prak- bei der Intensiv- oder Beatmungs- in der Zwischenzeit werden die neu- tikum machen. pflege, ist der Arbeitsmarkt leerge- en Kollegen als Pflegehelfer ange- Das Ergothera- fegt“ bestätigt Daniel Charlton, seit stellt sein. Charlton kritisierte in die- pieteam hat mich Kulinarische Besonderheit aus Elzach: Oktober 2012 Geschäftsführer der sem Zusammenhang die hohen bü- ganz herzlich Ein eigener BDH-Kuchen. Klinik. Charlton entschloss sich rokratischen Hürden, die die Anwer- aufgenommen deshalb, zu handeln: Unter der Do- bung qualifizierten Personals er- und mich über den ganzen Monat hinweg unglaublich main www.neuronurse.de wurde in schwerten und die Wettbewerbsfä- gut unterstützt und mich sowohl fachlich als auch per- enger Zusammenarbeit mit der CI- higkeit deutscher Kliniken beein- sönlich ein Stück nach vorne gebracht. Auch das um- Gruppe des BDH eine mehrsprachi- trächtigten. Ähnlich hatte sich erst fangreiche Therapiematerial und die modernen Thera- ge Website aufgebaut, die qualifi- im Juni Bundesgesundheitsminister piegeräte haben mich beeindruckt. Ich durfte während zierte Pflegeexperten aus dem Aus- Daniel Bahr (FDP) geäußert. Gera- der Therapien zuschauen und manchmal unter Aufsicht land für das Leben und Arbeiten in de angesichts der demographi- Therapiesequenzen übernehmen, was mir viel Spaß Deutschlands Süden begeistern schen Probleme sei es ein „Irrglau- gemacht hat. Am Ende meines Praktikums habe ich soll. Anzeigen in ausländischen be, auf Zuwanderung verzichten zu mich dazu entschieden, da ich leidenschaftlich gerne Jobportalen wurden geschaltet. Mit können.“ Diese Arroganz könne backe, meine Dankbarkeit zu zeigen, indem ich einen Erfolg: Bereits im Mai trafen sechs man sich nicht mehr leisten. Der Mi- Kuchen mit dem Logo des BDH gebacken habe. junge Menschen aus Italien, alle- nister hatte zudem umfangreiche In- Daniela Erni samt examinierte Pflegekräfte, in vestitionen in die dynamische Pfle- Ergotherapieschülerin der IB Hochschule in Freiburg Elzach ein. gebranche gefordert. 12 BDH-Kurier 9/10 2013
BDH-Klinik Vallendar ••• Spezialisten für Neurologie Klinik-News erhalten KTQ-Zertifikat Mit der Verleihung des KTQ-Zertifikats im Juli 2013 schließt die BDH-Klinik Vallendar das Bewertungsverfahren nach den Kriterien und Standards der KTQ GmbH erfolgreich ab und optimiert mit diesem Schritt die Versorgung der Patienten und Rehabilitanden. Klinik-Ge- oder Rehabili- 3 Fragen an den zuständigen Qualitäts- schäftsführer Ul- tationseinrich- rich Lebrecht tungen zuge- managementbeauftragten und Vorsitzenden nahm die Aus- schnitten und der QM-Steuergruppe Jörg Biebrach: zeichnung am verfolgt die Op- Wie wirkt sich die Verankerung der neuen Qualitäts- 11. Juli 2013 timierung der standards im Klinikalltag aus? entgegen und Patientenver- Qualitätsmanagement (QM) ist ein sinnvolles Instrument unterstrich die sorgung. Mit der Unternehmensführung. Es dient dazu, Arbeitsabläufe zu Bedeutung der der KTQ-Zerti- optimieren und die Qualität von medizinischer-, therapeu- Zertifizierung für fizierung auf tischer- und pflegerischer Versorgung weiterzuentwickeln. die Klinik: „Der Basis des Wesentliches Merkmal ist der sogenannte PDCA-Zyklus Zertifizierungs- Der Ärztliche Direktor der Klinik, Dr. med. KTQ-Katalogs (plan -planen; do - handeln; check - überprüfen, hinterfra- prozess hat uns Raimund Weber (Mitte) nahm das Zertifi- Rehabilitation gen; act - anpassen, reagieren), der immer wieder durch- dazu gezwun- kat stellvertretend für das ganze Klinikper- 1.1 können Re- laufen wird. Wenn alle Vorgänge und Abläufe systematisch, gen, sämtliche sonal entgegen. habilitationskli- mit geklärten Verantwortlichkeiten geplant und durchgeführt, Prozesse und Grundlagen unse- niken die von der Bundesarbeits- sowie im Hinblick auf Verbesserungsmöglichkeiten hinter- rer Arbeit sehr detailliert und gemeinschaft für Rehabilitation fragt werden, kann dies zur Stabilisierung der Abläufe einer gründlich zu prüfen. Die kritische (BAR) festgelegten Qualitätskri- Einrichtung beitragen. Exemplarisch konnten folgende Ver- Selbstreflexion, die mit der KTQ- terien erfüllen. besserungen für den Klinikalltag abgeleitet werden: Prüfung einhergeht, hat uns letzt- l Einheitliches Einarbeitungskonzept aller Fachbereiche lich noch besser gemacht und da- l Zertifizierung umfasst l Bessere Überschaubarkeit aller Prozesse mittels der bei unterstützt, Kontrollmechanis- sämtliche Klinikbereiche Kommunikationsplattform „INTRANET“ men und Regelungen einzufüh- Die Klinikleitung entschloss sich, l Fort- und Weiterbildungskonzept ren, die die Versorgung unserer das Zertifizierungsverfahren auf Patienten auch künftig stetig ver- sämtliche Bereiche anzuwenden, Gab es schon Rückmeldungen bessern helfen.“ obwohl lediglich eine Prüfpflicht von Patienten oder Mitarbeitern? für die medizinische Rehabilitati- Den Besuch (Fremdbewertung/Zertifizierung) der KTQ- l Transparenz und Qualität on bestand. Ziel war es, die Be- Visitoren® empfanden alle Beteiligten als angenehm und im Fokus reiche Krankenhaus, medizini- kollegial, mit sehr guten Hinweisen auf Verbesserungspo- KTQ steht für „Kooperation für sche, berufliche und ambulante tentiale. Unsere Mitarbeiter schätzen im KTQ-Verfahren Transparenz und Qualität im Ge- Rehabilitation noch enger mitein- insbesondere die kollegialen Dialoge und den Austausch sundheitswesen“. Bei der feder- ander zu verzahnen. Auch der auf Augenhöhe: Die KTQ-Visitoren haben es bei uns immer führenden Gesellschaft „KTQ- Gesellschafter der Klinik, der ge- wieder geschafft, die Balance zwischen Kollegialität, fachli- GmbH“ handelt es sich um eine meinnützige BDH Bundesver- cher Diskussion und klaren Prüfaufträgen im Verfahren hin- Gesellschaft der Verbände der band Rehabilitation zeigt sich zubekommen. Kranken- und Pflegekassen, der sehr zufrieden über die Entwick- Bundesärztekammer, der Deut- lung der Klinik, die einer zwar Wie geht es weiter? schen Krankenhausgesellschaft wirtschaftlichen, aber nicht ge- Die Verbesserungsvorschläge der Visitoren haben wir in e.V., des Deutschen Pflegerates winnorientierten Betriebsführung unseren zentralen Projekt- und Maßnahmenplan mit dem e.V. und des Hartmannbundes. folgt. Freie Ressourcen können Ziel der kontinuierlichen Verbesserung aufgenommen. Der Das KTQ-Verfahren wurde spezi- so eher in die Optimierung der „Blick von außen“ stellte sich zusätzlich zu der Selbstbewer- ell auf die Anforderungen von Patientenversorgung investiert tung als hilfreich im Erkennen von Schwachstellen und Ver- Krankenhäusern, Arztpraxen werden. besserungsmöglichkeiten dar. BDH-Kurier 9/10 2013 13
Jugend im Gespräch Christiane Steinfeld, Jugendbeauftragte des BDH ••• Arbeitsgarantie „Made in Europe“ Liebe Leserinnen, Nach Plänen der EU soll künftig sichergestellt werden, dass jeder liebe Leser, EU-Bürger unter 25 Jahren spätestens nach vier Monaten ein Jo- mit großen Schritten gehen bangebot erhält- und sei es nur ein Praktikum. Eine Ausbildung wird wir auf die heiße Phase der selbstverständlich vorausgesetzt. Bewerbungs- und Ausbil- dungsorientierung in die- Die EU drängt nun darauf, dass die wichtiger Schritt in diese Richtung sem Jahr zu. Jetzt kommt einzelnen Regierungen eine „Ju- sein und Jugendliche mit der Wirt- es darauf an, herauszufin- gendgarantie“ abgeben, die sich im schaft in Kontakt bringen. Eine An- den, was einem wirklich Wesentlichen auf vergleichbare Ini- schubfinanzierung müsste der Eu- tiativen in Österreich oder den Nie- ropäische Sozialfonds leisten, der liegt und womöglich sogar derlanden bezieht. Fraglich bleibt dann mit Geld aus anderen Projek- richtig Spaß macht. die praktische Umsetzung und Kon- ten aufzustocken wäre. Sinnlose In- Die Berufsentscheidung trolle der Initiative. Der Erfolg wird dustrie- und Agrarsubventionen bie- zählt zu den wichtigsten sich nur dann einstellen, wenn es ten sich als Grundlagen an, denn Meilensteinen in unserem gelingt, Sozialpartner, Bildungsstät- aktuell sind 5,5 Millionen junge Leben. Viele Jugendliche in ten und Unternehmen vor Ort opti- Menschen in der EU arbeitslos, 7,5 unseren Nachbarländern ha- mal aufeinander abzustimmen und Millionen unter 25 Jahren haben ben es da schwerer als wir. mit ihnen in den Dialog zu treten. weder Arbeit noch einen Ausbil- Bei uns stehen in der Regel Unser duales Ausbildungssystem dungsplatz. Es ist höchste Zeit zu ausreichend Ausbildungs- könnte für viele Staaten ein erster handeln. und Studienplätze zur Ver- fügung. Wir können wählen, wo die Reise hingehen soll. Trotzdem verlassen zu viele von uns die Schulen ohne Ab- schluss. Ich wünsche Euch allen ein gutes Händchen bei Eurer Entscheidung. Schaut Euch möglichst intensiv um, sprecht mit Betrieben vor Ort und fragt diejenigen, die lan- ge dabei sind. Es grüßte Euch Sozialkommissar László Andor präsentierte die Idee einer Jobgarantie und stieß damit eine Debatte über soziale Gerechtigkeit in der EU an. (Foto: Eure Christiane EU-Kommission) 14 BDH-Kurier 9/10 2013
„Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma“ ••• Neue Leitlinie unter Reha Beteiligung von Prof. Claus-W. Wallesch verabschiedet Die Leitlinie „Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma“ wurde unter Federfüh- rung der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung und unter Be- teiligung des BDH Bundesverband Rehabilitation als Betroffenenorganisation überarbeitet und im Juli 2013 verabschiedet. An der Überarbeitung beteiligt waren außerdem die Deut- schen Gesellschaften für Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie, Psychiatrie, Psy- chotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, die Gesellschaft für Neuropsychologie und der Berufsverband Deutscher Neurologen. Die Leitlinie wurde im Internet auf halb von 3 Tagen angestrebt wer- der Seite der Arbeitsgemeinschaft den, ein EEG zum frühest mögli- wissenschaftlicher medizinischer chen Zeitpunkt. Fachgesellschaften (www.awmf. 2. Bei potentiell entschädigungs- org) veröffentlicht. Neuere For- pflichtigen Verletzungen sollte in schungsergebnisse machen immer der Frühphase der Behandlung deutlicher, dass zum Zeitpunkt ei- (in den ersten Tagen) eine MR- ner Begutachtung, also Monate und Bildgebung erhoben werden Jahre nach Verletzung, häufig nicht (Kernspintomographie). mehr eindeutig festgestellt werden Diese Empfehlungen sollen dafür kann, ob oder ob nicht eine bleiben- sorgen, dass bereits in der Früh- de Hirnverletzung erlitten wurde. phase Beweise gesammelt werden, Dies ist für die Betroffenen nachtei- die die spätere Begutachtung er- lig, weil die Zuerkennung einer Ent- leichtern. Damit bei der Begutach- schädigung oder Rente in den tung alle Beweisquellen ausge- meisten Rechtsgebieten, den „Voll- schöpft werden, gibt die Arbeits- beweis“ einer erlittenen Schädi- gruppe eine weitere Empfehlung: gung verlangt. Dies bringt den Gut- achter in ein Dilemma, wenn er eine Die Arbeitsgruppe hält die Durch- Schädigung für möglich, ja sogar führung oder Heranziehung einer wahrscheinlich, aber eben nicht für MR-Bildgebung in jedem Fall einer sicher bewiesen hält. kausalen Begutachtung zu den Fol- gen eines Schädel-Hirntraumas, in In der Akutphase nach Hirnschädi- dem die vorliegende Bildgebung gung ist dieser Beweis leichter und Prof. Dr. med. Claus-W. Wallesch keinen eindeutig positiven Hinweis eindeutiger zu führen. Die Leitlini- ist Ärztlicher Direktor der BDH-Klinik Elzach. ergibt und bei dem sich aus Akut- enkommission macht daher folgen- und Frühsymptomatik sowie dem de Vorschläge zur besseren Versor- weiteren Verlauf und den Klagen gung vor allem leichter Hirnverlet- Anhaltspunkte für eine mögliche zungen mit Bewusstseinsstörung strukturelle Hirnschädigung erge- von weniger als einer Stunde: ben, für notwendig. 1. E ine qualifizierte neurologische Der BDH war in der Leitlinienkom- oder neurochirurgische Untersu- mission durch Professor Claus-W. chung sollte bei allen Patienten Wallesch, Elzach, vertreten. nach Schädel-Hirntrauma inner- BDH-Kurier 9/10 2013 15
Aus der Presse Ruhestand wird zum Luxus für Wenige ••• BDH: „Rente mit 70 ist gesellschaftspolitische Geisterfahrt“ Die Diskussion um die Einführung eines Renteneintrittsalters von 70 Jahren ist nach An- sicht der Vorsitzenden des BDH Bundesverband Rehabilitation Ausdruck des Scheiterns von Wirtschaft und Politik, die sich mit halbherzigen Zuwanderungskonzepten, einer un- ehrlichen Familienpolitik und schrittweisen Rentenkürzungen der Demografie geschlagen gegeben haben: „Die Forderung des Handwerksprä- derung zeigt, dass Teile von Politik tungsgrenzen getrieben werden, sidenten Otto Kenztler nach einer und Interessengruppen längst die die bereits seit über 40 Jahren im Einführung der Rente mit 70 ist ver- Fesseln des Realismus zerrissen Erwerbsleben ihre Frau oder ihren antwortungslos und kurzsichtig. Ar- haben und sich auf gesellschafts- Mann standen. Das demografische beiten bis zum Umfallen ist keine politischer Geisterfahrt befinden. Problem ist nicht erst seit kurzem Lösung, sondern das Diktat derer, Das durchschnittliche Rentenein- bekannt, weshalb es nachgerade die sich der Nöte der älteren Gene- trittsalter liegt derzeit bei etwa 61 unverschämt ist, die demografische ration nicht bewusst sind. Die For- Jahren und ist auch die Folge da- Lücke durch Menschen zu schlie- von, dass sich Politik und Wirtschaft ßen, die sich einen ruhigen und tapfer gegen einen neuen Kurs in stressfreien Lebensabend redlich der Gesundheitsprävention zur verdient haben.“ Jugendwahn als Zeitgeist? Wehr setzen. Man darf sich nicht Junge, sportliche Menschen verbürgen uns die Qualität von politischen Hütchenspieler- Es sei höchste Zeit, dass sich die der Erzeugnisse der modernen Konsumwelt. Jugend- Tricks in die Irre führen lassen.“ Unternehmerschaft um ihre altern- lich-frisch kommen das Design, die Markengestaltung den Belegschaften kümmere und und das Konsumgefühl, das „Lifestyle-Produkte“ ihren Nach wie vor liege die Arbeitslosen- diese fit mache für ein Erwerbsle- Käuferinnen und Käufern vermitteln sollen, in Magazi- quote der über 55-jährigen bei etwa ben über 60, bevor Kampfparolen nen, im Internet oder im Fernsehwerbeblock daher. Äl- zehn Prozent und Ältere, die min- wie die einer Rente mit 70 die Run- tere werden selten als interessante Zielgruppe entdeckt, destens zwölf Monate lang Arbeits- de machten. „Hier haben viele Un- noch seltener spielen sie als Testimonials eine Rolle in losengeld II ohne Job-Offerte erhal- ternehmen geschlafen. Jetzt ruft al- der Werbung. Es scheint ein gesellschaftlicher Trend zu ten haben, verschwänden aus der les nach mehr Zuwanderung, einer sein: Trotz alternder Bevölkerung dominiert der Jugend- Statistik. Diese Schönfärberei ver- höheren Frauen-Erwerbsquote und wahn auch die Personalpolitik der Unternehmen. Ältere deckte die Realität, das Ältere so längerer Lebensarbeitszeit. Wir plä- werden abgeschoben und die Wirtschaft leistet sich den oder so kaum Jobchancen besit- dieren dafür, den Kern der Bemü- gefährlichen Luxus, auf das Wissen hunderttausender zen. Ein höheres Renteneintrittsal- hungen auf berufsspezifische Qua- berufserfahrener Mitbürgerinnnen und Mitbürger zu ver- ter sei damit nichts anderes als eine lifikationsmaßnahmen und Gesund- zichten. Verschämt versteckt sie diese Ungewollten in Rentenkürzung, so Müller, die zu- heitsprävention auszurichten. Der der Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Hartz-IV- dem auf die Belastungsgrenze älte- Erfolg beruflicher Rehabilitation ist Verlies der Agenda 2010-Politik und entblößt damit das rer Menschen aufmerksam macht: unbestritten und wirkt sich positiv eigene Versagen. Jugendwahn ist kein Zeitgeist, es ist „Wir dürfen nicht hinnehmen, dass auf die Entwicklung der Unterneh- eine traurige Verirrung! bei uns Menschen an die Belas- men aus“, so Müller. 16 BDH-Kurier 9/10 2013
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