Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth

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Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
12. Jahrgang   . Ausgabe 1 . Juli 2016

Impulsgeber UniversitAt

Forschendes Lernen
                           Seiten 14-17

Wirtschaft & Recht

Innovation Communities
                          Seiten 42-45

Mensch Natur & Technik
                                                                          Thema
Zukunftsfeld Bionik
                          Seiten 54-57
                                                         Innovationen
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Grusswort

                           Liebe Leserinnen und Leser,

                                  U      nsere neue SPEKTRUM-Ausgabe möchte
                                         Ihnen einen Eindruck davon vermitteln,
                                  welche zentrale Bedeutung das Thema „Innovatio-
                                                                                           Besonders wichtig ist es für uns, den Innovations-
                                                                                           geist von Studierenden, Lehrenden und Forschen-
                                                                                           den anzuspornen, ihnen Freude und Begeisterung
                                  nen“ für die Universität Bayreuth hat. Und ich darf      am Neuen zu vermitteln. „Ich weiss nicht, ob es
                                  Ihnen gleich versichern: Was Sie auf den folgen-         besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss
                                  den Seiten sehen werden, ist nur eine kleine Aus-        anders werden, wenn es besser werden soll“, hat
                                  wahl aus den innovativen Ideen, Entwicklungen            Georg Christoph Lichtenberg, Experimentalphy-
                                  und Zukunftsprojekten, die Sie bei einem persönli-       siker in Zeiten der Aufklärung, erklärt. Damit es
                                  chen Besuch auf unserem Campus erleben können.           tatsächlich besser wird, sind heute überall starke
                                                                                           Fachkompetenzen, wissenschaftliche Kreativität
                                  Die Universität Bayreuth befasst sich in ihrer For-      und Verantwortungsbewusstsein gefragt. Innova-
                                  schung unter vielen Aspekten mit der Frage, wie          tiv daran mitwirken zu wollen, dass sich die Welt
                                  Innovationen entstehen und wie sie nachhaltig            zum Besseren entwickelt: Das ist keine gut gemein-
      Prof. Dr. Stefan Leible,    erfolgreich sind. Dabei ist sie selbst seit vier Jahr-   te Schwärmerei, sondern eine ebenso fordernde
      Präsident der Universität   zehnten hochinnovativ: Mit zukunftsweisenden             wie spannende Zukunftsaufgabe.
Bayreuth.
                                  Studienprogrammen im Bachelor- und Masterbe-
                                  reich, neuen Strukturen in der Graduiertenausbil-        Diese Herausforderung mit Vernunft, frischen
                                  dung und exzellenten Forschungskompetenzen               Ideen und einem Blick auf künftige Generationen
                                  besitzt sie eine große Anziehungskraft für junge         anzugehen – wer könnte dies besser als eine junge
                                  Talente aus dem In- und Ausland. Zudem ist sie           Campus-Universität?
                                  ein vielgefragter Partner für die Industrie und die
                                  mittelständische Wirtschaft. Gerade weil sich die        Viel Freude bei der Lektüre wünscht Ihnen
                                  Universität Bayreuth international an Top-Stan-
                                  dards orientiert, kann sie nachhaltig in der eige-       Ihr
                                  nen Region wirken.

                                                                                                                      Prof. Dr. Stefan Leible
                                                                                                          Präsident der Universität Bayreuth

                                                             Weitere SPEKTRUM-Ausgaben

                                                             Auf der Homepage der Universität Bayreuth finden Sie unter anderem
                                                             auch die vorigen SPEKTRUM-Ausgaben zu den folgenden Themen:

                                                             2/2015: Digitalisierung
                                                             1/2015:   Kulturbegegnungen und transkulturelle Prozesse
                                                             2/2014: Energie
                                                             1/2014:   Recht und Moral
                                                             1/2013: 	Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften

                                                              •    www.uni-bayreuth.de/de/universitaet/presse/spektrum

2                                                                                                                            Ausgabe 1   .   2016
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Editorial

D       ie Campus-Universität Bayreuth hat sich in
        den letzten 40 Jahren zu einer der führen-
den Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland
                                                         wesentlichen Beitrag zur Entstehung von Wissen,
                                                         Innovationen und Wirtschaftskraft in und für Ober-
                                                         franken zu leisten.
entwickelt und belegt auch in internationalen Ran-
kings immer wieder Spitzenpositionen. Forschung          Die nachhaltige Umsetzung von Wissen und Inven-
und Lehre sind nach wie vor ihre Kernaufgaben.           tionen in Innovationen setzt unternehmerisches
Gleichzeitig aber sind wichtige zusätzliche Tätig-       Denken und Handeln voraus. Ziel muss es sein,
keitsfelder im Bereich des Wissens- und Techno-          kreative Köpfe und junge Unternehmen nach ih-
logietransfers hinzugekommen, die allgemein als          rer Ausbildung bzw. ersten Gründungsphase durch
„dritte Mission“ bezeichnet werden. Hier entfaltet       attraktive Karriereangebote bzw. durch attraktive
die Universität Bayreuth bereits seit Jahrzehnten        Beratungs- und Ansiedlungsoptionen zu binden.
zahlreiche Aktivitäten. Zudem haben sich auf dem         Daran wird die Universität Bayreuth in Zukunft
Campus und in direkter Nachbarschaft zur Universi-       verstärkt arbeiten. Eine Innovationswerkstatt auf
tät neue Forschungseinrichtungen und Kompetenz-          dem Campus und ein Regionales Innovationszent-                        Prof. Dr. Torsten Eymann
cluster etabliert. Durch Forschungskooperationen         rum könnten wichtige Schritte sein.                                   ist Inhaber des Lehrstuhls
                                                                                                                         für Wirtschaftsinformatik an der
können Unternehmen von ihnen unmittelbar pro-                                                                            Universität Bayreuth.
fitieren und eigene Wettbewerbsvorteile sichern.         Mit besten Grüßen

Diese Erweiterung des Aufgabenspektrums ist auf-         Ihr
grund der demographischen Entwicklungen von
zentraler Bedeutung. Während deutschlandweit
Großstädte und Verdichtungsräume an Bevölke-
rung gewinnen, verlieren die ländlichen Räume                                      Prof. Dr. Torsten Eymann
vielerorts junge erwerbstätige Einwohner. Der                         Vizepräsident der Universität Bayreuth
Universität Bayreuth ist es ein zentrales Anliegen,                 für den Bereich Informationstechnologie
dieser Entwicklung entgegenzuwirken und einen                                          und Entrepreneurship

                                                                                          Impressum
  Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth

  Auflage:                               Redaktionsleitung:
  2.000 Stück                            Christian Wißler (V.i.S.d.P.)

  Herausgeber:                           Druck:
  Universität Bayreuth                   bonitasprint gmbh, Würzburg
  Zentrale Servicestelle Presse,         Satz und Layout:
  Marketing und Kommunikation            GAUBE media agentur, Bayreuth
  95440 Bayreuth                         Telefon (09 21) 5 07 14 41                    Christian Wißler M.A.,             Titelseite: Durch Walzenpressen
  Telefon (09 21) 55 - 53 56 / - 53 24   spektrum@gaube-media.de                       Fachwirt Public Relations          hergestellte Glaskugeln (Foto:
                                                                                 (BAW), Zentrale Servicestelle     Lehrstuhl für Werkstoffverarbeitung,
  Telefax (09 21) 55 - 53 25
                                         Bildquellen-Kennzeichnung:              PMK der Universität Bayreuth,     Universität Bayreuth).
  pressestelle@uni-bayreuth.de                                                                                     Abb. links: Ausschnitt aus der ‚Sonnen-
                                         sst: www.shutterstock.com               Wissenschaftskommunikation.
                                                                                                                   scheibe‘ des Glaskünstlers Florian Lech-
                                                                                                                   ner vor der Fakultät für Ingenieurwis-
  Alle Beiträge sind bei Quellenangaben und Belegexemplaren frei zur Veröffentlichung.                             senschaften (Foto: Christian Wißler).

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                          3
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Thema

    Innovationen

    2       Grußwort
            Prof. Dr. Stefan Leible
            Präsident der Universität Bayreuth

    3	Editorial
       Prof. Dr. Torsten Eymann, Vizeprä-
       sident der Universität Bayreuth für
                                                                                                                      18      Flitterwochen, Krise, Sieg
       den Bereich Informationstechnolo-
                                                                                                                              Internationale Studierendenteams
       gie und Entrepreneurship
                                                                                                                              entwickeln innovative
    3       Impressum                                                                                                         Geschäftsideen

    4       Inhaltsverzeichnis                                                                                        22      Innovative Konzepte
                                                                                                                              in der Weiterbildung
                                                                                                                              Akademische Weiterbildung
    Impulsgeber Universität                                                                                                   als Innovationsfaktor der
                                                                                                               18             Universität Bayreuth
    6       Innovative Universitäten                          Wettstreit und interkulturelle Zusammenarbeit las-
            Wie und warum Universitäten                       sen neue Geschäftsideen entstehen (Foto: J. Quarton).
            die Welt verändern können

    10      Kreativ durch Vernetzung:                        14       Forschendes Lernen
            Die Campus-Universität Bayreuth                           Die Universität Bayreuth –
            Interview mit Prof. Dr.                                   ein Innovationszentrum für
            Claas Christian Germelmann                                das Bildungssystem

                                                                                                                                                                22
                                                                                                                      Innovationsfaktor Weiterbildung: Graduiertenfeier
                                                                                                                      der Campus-Akademie (Foto: Christian Wißler).

                                                                                                                      26      TechnologieAllianzOberfranken
                                                                                                                              Innovationen durch
                                                                                                                              Hochschulkooperationen

                                                                                                                      30      Innovationen für
                                                                                                                              den Mittelstand
                                                                                                               10             Eine Anwenderfabrik demonstriert
     Das Campusrondell der Universität Bayreuth: Treffpunkt für kreativen Austausch (Foto: Lili Nahapetian).                  neue ,Industrie 4.0‘-Technologien

4                                                                                                                                                      Ausgabe 1   .   2016
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Inhaltsverzeichnis

                                                            In einem Chemielabor auf dem Bay-
                                                            reuther Campus (Foto: Lili Nahapetian).            Mensch, Natur & Technik
                                                                                                               54      Zukunftsfeld Bionik
                                                                                                                       Innovative Materialforschung
                                                                                                                       made in Bayreuth

                                                     „Man muss etwas                                           58      Polymere:
                                                                                                                       Werkstoffe der Zukunft
                                                     Neues machen,                                                     Industrienahe Forschung für
                                                                                                                       maßgeschneiderte Kunststoffe
                                                     um etwas Neues                                            62      Energieeffiziente Gebäude

                                                     zu sehen.“                                                        Von materialwissenschaftlichen
                                                                                                                       Konzepten zu innovativen
                                                          Georg Christoph Lichtenberg                                  Produkten

                                                                                                                                                          58
                                                                                                                Polymerschäume bieten eine hohes Potenzial
                                                                                                                zur Energieeinsparung (Foto: Christian Wißler).

                                                                                                               66      Ökologie innovativ
                                                                                                                       Im Fokus: Lebensqualität und
                                                                                                 66                    ökologische Dienstleistungen
 Von Satelliten gelieferte Messdaten werden im EU-Projekt ECOPOTENTIAL mit Messdaten                                   in Schutzgebieten Europas
 aus der Geländeforschung abgeglichen (Fotomontage mit dem © ESA–Pierre Carril).
                                                                                                               70      Innovationen in afrikanischen
                                                                                                                       Gesundheitssystemen

Wirtschaft & Recht
                                                                                                                       Die Einführung von
                                                     50        Exzellente
                                                                                                                       diagnostischen Schnelltests
                                                               Forschungstechnologie
                                                                                                                       in der Malariakontrolle
34      Familienunternehmen                                    Mit magnetischer Kernresonanz-
        Chancen durch Innovationen                             spektroskopie zu innovativen
                                                               Produkten und Dienstleistungen
                                                                                                               Kunst
        jenseits von neuen Technologien

38      Corporate Digital Responsibility
        Den digitalen Wandel von                                                                               74      Afrikanische Kunst
        Unternehmen und Gesellschaft                                                                                   als innovative Kraft
        erfolgreich gestalten                                                                                          Interview mit Prof. Dr.
                                                                                                                       Bernd Kleine-Gunk
42      Innovation Communities
        Neue Forschungsergebnisse zu den                                                                       79      Artists in Residence
        Erfolgsfaktoren von Innovationen                                                                               Kreativität im
                                                                                                                       Iwalewahaus
46      Rechtswissenschaftliche
        Innovationsforschung                                                                      46
        Gesetzliche Regelungen im                      Patentämter: öffentlich zugängliche Archive des Fort-                Holzfigur des tansanischen
        Zeitalter der Digitalisierung                  schritts (Foto: Beek100 / Wikimedia / CC-BY-SA-3.0).                 Künstlers George Lilanga.

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                              5
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Impulsgeber Universitat
                             Matthew Braham

                          Innovative
                          Universitäten

                          Wie und warum
                          Universitäten die Welt
                          verändern können

                                 Interdisziplinäre Spring School in Mumbai/Indien zum
                                 Thema „Individual Choices and Collective Decisions“
                          im Mai 2016. Der Bayreuther Master-Studiengang „Philosophy
                          & Economics“ hat die Veranstaltung, die von der Wissen-
                          schaftsstiftung Oberfranken gefördert wurde, gemeinsam mit
                          niederländischen und indischen Partnern organisiert (Foto:
                          Mariam Haydeyan).
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
E
                                                       unsere gesamte Persönlichkeit prägt. Sie bezieht
       ine innovative Universität – was ist das? Es    individuelle und soziale Aspekte unseres Lebens
       gibt viele Wege, an diese Frage heranzu-        aufeinander und befähigt uns, innovative Ideen
gehen. Zunächst einmal liegt es nahe, Strukturen,      zu entwickeln und umzusetzen. Wer sich in der
Aktivitäten und Leistungen einer Universität unter     Philosophie- und Bildungsgeschichte des 20. Jahr-
die Lupe zu nehmen: die Organisation, das For-         hunderts auskennt, merkt schon: Dieser Vorschlag
schungsprofil, die Studienprogramme, die Beru-         steht in der Tradition des bedeutenden U.S.-ame-
fungspraxis oder auch die Kooperationen mit der        rikanischen Philosophen und Bildungsreformers
Industrie. Steht die Universität mit ihrer Forschung   John Dewey. Was aber ist reflektierende Vernunft?
an der Spitze des technologischen Fortschritts?        Sehen wir genauer hin, können wir vier Aspekte                                     Autor
Wendet sie sich drängenden Problemen in der Ge-        unterscheiden:
sellschaft zu? Was tut sie für ihre Studierenden und
ihre Beschäftigten?                                    Aufspüren von Möglichkeiten: Reflektierende Ver-
                                                       nunft hält uns immer wieder dazu an, den Blick
Doch wir können die Frage, was eine innovative         nicht allein auf das zu richten, was ist. Sie lässt uns
Universität ist, auch aus einem anderen Blickwin-      Möglichkeiten bedenken, wie das, was ist, anders
kel betrachten. Statt nur darauf zu achten, was an     sein könnte oder sollte – und macht uns damit kre-
sichtbaren Ergebnissen aus einer Universität ‚her-     ativ in allen Lebensbereichen. Wir öffnen uns für
auskommt‘, können wir uns ihrem innersten Kern         Neues und bemerken, dass der Fortschritt des Wis-
zuwenden, genauer: ihren Werten, ihren Grundsät-       sens nie abgeschlossen ist. Mit dieser Offenheit,
zen, ihrer Strategie. Ähnlich verfahren wir ja auch,   die mögliche Alternativen stets in Betracht zieht,
wenn wir uns ein Bild vom Charakter einer Person       verhilft uns reflektierende Vernunft zu gut begrün-
machen wollen: Dann interessieren uns nicht (nur)      deten Urteilen und Entscheidungen. Sie schärft das               Prof. Dr. Matthew Braham
                                                                                                                        ist Professor für Politische
einzelne Handlungen, viel wichtiger erscheint uns      Bewusstsein für die Qualität von Argumenten und
                                                                                                                 Philosophie und Moderator des Stu-
die moralische Integrität der Person insgesamt.        ist damit weit entfernt von einer bloßen „Anything        diengangs „Philosophy & Economics“
                                                       goes“-Attitüde.                                           an der Universität Bayreuth.
In vergleichbarer Weise können wir fragen, wofür
eine Universität steht, was die eigentliche Quelle     Thematisierung von Wissen: Wenn wir vertiefte             Übersetzung des Beitrags aus dem
ihrer Aktivitäten in Forschung und Lehre ist. An-      Fachkenntnisse in einer wissenschaftlichen Diszip-        Englischen: Christian Wißler.
knüpfend an moralphilosophische Traditionen,           lin erworben haben, sind wir mit deren Inhalten,
können wir von der „Maxime“ einer Universi-            Methoden und Zielen vertraut. Aber machen wir
tät sprechen. Oder, mit einer modernen Rede-           sie im akademischen Alltag zum Gegenstand be-
wendung, von ihrem „Mission statement“. Viele          wusster Überlegungen? Erst wenn wir reflektieren-
Hochschulen sind heute mit solchen „Mission            de Vernunft entwickelt haben, weitet sich unser
statements“ unterwegs und sprechen diesem Zu-          Horizont: Wir beginnen zu verstehen, was Wissen-
sammenhang beispielsweise von einer „Steigerung        schaft ist. Zugleich lernen wir, unser Fachwissen im
der Absolventenzahlen“ oder einer „Verringerung        Spektrum der verschiedenen Disziplinen einzuord-
der Studiendauer.                                      nen. So werden wir uns der erklärenden und pro-
                                                       gnostischen Kraft, aber auch der Grenzen unserer
                                                       Fachkompetenzen bewusst. Mehr noch: Wir entwi-
Reflektierende Vernunft:                               ckeln ein Gespür dafür, welche wissenschaftlichen
Ein strategischer Ansatz                               und welche praktischen Folgen es für unsere jewei-
                                                       lige Disziplin hat, wenn wir darin grundlegende
Worin also besteht der Charakter einer innovativen     Voraussetzungen ändern oder neu etablieren.
Universität? Der Antwortvorschlag, der im folgen-
den weiter ausgeführt und begründet werden soll,       Integration von Wissen: Reflektierende Vernunft
mag zunächst überraschen:                              befähigt uns, besser zu verstehen, wie sich unsere
                                                       eigene wissenschaftliche Disziplin zu benachbarten
 Eine Universität ist innovativ, wenn sie sich         Disziplinen verhält. Wir schauen über die Grenzen
eine grundlegende Maxime zu eigen macht:               des eigenen Faches hinaus und überlegen: Wo
     reflektierende Vernunft zu fördern.               gibt es Überlappungen mit anderen Fächern, wo
                                                       greifen Forschungsaktivitäten in benachbarte Fä-
Das Ziel ist damit die Herausbildung einer Weise       cher aus? Je klarer das Bild ist, das wir von sol-
zu denken, zu argumentieren und zu urteilen, die       chen Wechselbeziehungen zwischen den Fächern

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                7
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Impulsgeber Universitat

                                                   gewinnen, desto besser gelingt es uns, Wissen          sam: Sie bewirkt, dass wir mit dem intellektuellen
                                                   und Methoden aus einer benachbarten Disziplin          Habitus, den wir uns als Wissenschaftler und Stu-
                                                   zu übernehmen und in die eigenen Fachkompe-            dierende im Rahmen einer bestimmten Disziplin
                                                   tenzen zu integrieren. Und desto besser sind wir       angeeignet haben, einen Platz in der Gesellschaft
                                                   auch imstande, eigenes Fachwissen und eigene           finden, wo wir uns sozialen und politischen Fra-
                                                   methodische Erfahrung in benachbarte Diszipli-         gen öffnen. Nur so ist gewährleistet, dass unsere
                                                   nen einzubringen. Reflektierende Venunft ist, so       ‚wissenschaftliche Mentalität‘ nicht zur bloßen At-
                                                   gesehen, grundsätzlich interdisziplinär ausgerich-     titüde verkommt, sondern zu einer konstruktiven
                                                   tet. Sie befähigt uns, Wissen aus unterschiedlichen    Veränderung von Politik und Gesellschaft beiträgt.
                                                   Disziplinen aufeinander zu beziehen und zusam-         Es sind gerade solche Veränderungen, die uns den
                                                   menzuführen. Genau dies aber ist eine zentrale         Idealen einer freien und demokratischen Gesell-
                                                   Voraussetzung, um zu neuen Erkenntnissen vorzu-        schaft näherbringen.
                                                   dringen, welche den Ausgangspunkt für Innova-
                                                   tionen in Forschung, Technologie, Wirtschaft und
                                                   Gesellschaft bilden. Die Welt der eigenen Disziplin    Universitäre Bildung
                                                   ist nicht genug, um die Welt, in der wir leben, zum    für eine demokratische Gesellschaft
                                                   Besseren zu verändern.
                                                                                                          Wie ist das zu erklären? Es sind gerade die Merk-
                                                   Kommunikation von Wissen: Damit wir mit dieser         male reflektierender Vernunft, die eine ‚demo-
                                                   weltoffenen Einstellung Innovationen auf den           kratische Persönlichkeit‘ ausmachen. Mit diesem
                                                   Weg bringen können, verleiht uns reflektierende        Begriff können wir ein modernes Bildungs- und
      Abb. 1: Der U.S.-amerikanische
      Philosoph und Bildungsreformer               Vernunft aber noch eine weitere Fähigkeit, auf         Erziehungsideal charakterisieren, das in den Ge-
John Dewey, 1859-1952 (Foto: Library               die wir dabei angewiesen sind: kommunikative           danken der Aufklärung wurzelt. Reflektierende
of Congress, Washington D.C.).
                                                   Kompetenz. Diese versetzt uns zunächst einmal in       Vernunft macht uns gegen jedwede autoritäre
                                                   die Lage, am Wissens- und Erfahrungsaustausch          Versuchung immun. Denn sobald wir sie erwor-
                                                   innerhalb der eigenen Disziplin teilzunehmen. Da-      ben haben, sind wir gleichsam darin trainiert, uns
                                                   rüber hinaus befähigt sie uns, in einen lebhaften      im Denken und Handeln über soziale, ethnische
                                                   Austausch mit Experten aus anderen Disziplinen         und nationale Grenzen hinwegzusetzen – oder all-
                                                   einzutreten und fächerübergreifende Kooperatio-        gemein gesagt: Barrieren zu überwinden, die von
                                                   nen voranzubringen. Und schließlich verhilft uns       externen Autoritäten aufrechterhalten werden (sei
                                                   kommunikative Kompetenz dazu, die aus diesen           es von der Kirche, vom Staat, von einer sozialen
                                                   Wechselbeziehungen hervorgehenden Erkenntnis-          Klasse oder einer politische Partei). Dies sind die
                                                   se in die Gesellschaft hineinzutragen, wo sie den      Ideale der Aufklärung, des „Age of Reason“.
                                                   Bedürfnissen der Menschen entsprechend anzu-
                                                   wenden sind.                                           Reflektierende Vernunft hat für solche Autoritä-
                                                                                                          ten keine Sympathien. Sie macht uns misstrauisch
                                                   Insofern reflektierende Vernunft uns also auf eine
                                                   ‚Bildungsreise‘ schickt, die aus den Beschränkun-
                                                   gen des eigenen Fachwissens heraus- und letztlich
                                                   mitten in die soziale Welt hineinführt, könnte man
                                                   sagen: Sie ist genau diejenige kognitive Kraft, die
                                                   Wissenschaft und Technik humaner werden lässt.
                                                   Oder, um es ein wenig pathetisch auszudrücken:
                                                   Sie ermöglicht Wissenschaft mit menschlichem
                                                   Antlitz.

                                                   Reflektierende Vernunft erweist sich damit als eine
                                                   unabdingbare Voraussetzung für gesellschaftli-
                                                   chen Fortschritt – und zwar zunächst auf direktem
                                                   Weg: Sie spornt uns an, die Horizonte des eige-
       Abb. 2: Reflexion über Grundlagenfor-       nen Wissens auszuweiten; und es ist das so entste-
       schung und Angewandte Forschung in
der Bayreuth International Graduate School of      hende neue Wissen, das aus der Welt, wie sie ist,
African Studies, die aus der Exzellenzinitiative   eine bessere Welt machen kann. Darüber hinaus
gefördert wird (Foto: Lili Nahapetian).            ist reflektierende Vernunft aber auch indirekt wirk-

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Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
gegenüber jeder einseitigen, unüberlegten Par-
teinahme. Die einzige Fahne, die sie hochhält, ist
das Ideal einer freien denkenden Persönlichkeit.
Und so wird die Maxime, reflektierende Vernunft
zu fördern, wegweisend für eine Universität, die
Bildung in und für eine demokratische Gesellschaft
vermittelt.

Aber ist dieses Ideal überhaupt realisierbar? Ja, und
zwar aus einem einfachen Grund. Damit wir es als
Lehrende und Forschende in einer Universität ver-
wirklichen können, sind keine neuen Gesetze und
erst recht keine anderen Institutionen nötig (schon
Immanuel Kant wusste: Tugend kann nicht erzwun-
gen werden). Wie für alle regulativen Prinzipien,           Wissen aus benachbarten Disziplinen anzu-                   Abb. 3: Erfolg einer breiten interdis-
                                                                                                                        ziplinären Zusammenarbeit: Sechs
gilt auch für die Maxime, reflektierende Vernunft           eignen? Oder ist uns nur daran gelegen, ei-
                                                                                                                 Bayreuther Forschergruppen aus verschiedenen
zu fördern: Ob und wie wir sie anwenden, beruht             nen Wissenskanon abzuarbeiten, der keine             natur- und ingenieurwissenschaftlichen Diszi-
allein auf unserer persönlichen Entscheidung.               interdisziplinären Grenzüberschreitungen zu-         plinen haben Grundlagen für einen komplett
                                                                                                                 optischen Speicher entdeckt (Foto: Christian
                                                            lässt und ‚experimentierendes Denken‘ mehr
                                                                                                                 Wißler).
                                                            behindert als fördert?
Praktische Konsequenzen                                    	
                                                            Und schließlich: Fordern wir unsere Studie-
                                                            renden in dem erforderlichen Maß heraus,
Für das Herzstück unseres universitären Alltags,            sich engagiert den praktischen Problemen zu-
die wissenschaftliche Lehre, ergeben sich daraus            zuwenden, mit denen sich unsere Gesellschaft
ganz praktische Konsequenzen: Wenn wir Curricu-             heute konfrontiert sieht? Werden sie von uns
la konzipieren und neue Studienprogramme auf                hinreichend dazu ermutigt, für die Welt, in
den Weg bringen, müssen wir immer bedenken,                 der wir leben, neue zukunftsweisende Lö-
ob wir den Studierenden damit tatsächlich die               sungsvorschläge zu entwickeln und alternati-
Chance eröffnen, reflektierende Vernunft zu ent-            ve Konzepte zu prüfen?
wickeln – und zwar genau unter den vier Aspek-
ten des Aufspürens von Möglichkeiten sowie der          Allen diesen Fragen müssen wir uns stellen, wenn
Thematisierung, Integration und Kommunikation           wir eine Wissenschaftskultur etablieren wollen, in
von Wissen.                                             der reflektierende Vernunft gedeihen kann. Die
                                                        Antworten sind nicht in organisatorischen Struk-
   	Fördern wir in unseren Lehrveranstaltungen         turen zu finden. Und auch nicht in Zusatzqualifi-
     ein Reflexionsvermögen, das die Studieren-         kationen, die wir gewohnt sind, als „Softskills“ zu
     den in die Lage versetzt, vorgegebene Tat-         bezeichnen. Im Gegenteil, es geht um ein Ver-
     sachen auf methodisch bewusste Weise in            ständnis wissenschaftlicher Bildung, das für die
     eine Beziehung zu möglichen Alternativen           Organisation aller Studiengänge konstitutiv sein
     zu setzen? Tun wir genug, um in ihnen die          sollte – und für alle Aktivitäten, die wir als Lehren-
     Freude am Aufspüren solcher Alternativen zu        de darin entfalten.
     wecken?
   	Sind unsere Curricula geeignet, um Studie-         Vertrauen wir also unserer Maxime, reflektierende
     rende – sei es in Bachelor-, Master- oder          Vernunft zu fördern: Dann werden wissenschaft-
     Promotionsprogrammen – an ein grundsätz-           liche und soziale Innovationen – als Bestandteile
     liches Verständnis von Wissenschaft und ihrer      einer vernunftgeleiteten Neugestaltung unserer
     jeweiligen Disziplin heranzuführen? Sind wir       Welt – wie von selbst folgen. Weshalb? Weil wir
     als Lehrende hinreichend bescheiden und            kreative, ja sogar moralische Kräfte freisetzen, die
     selbstkritisch in Bezug auf die Wissens- und       in jedem einzelnen Menschen auf ihre Chance
     Forschungsgebiete, die unseren akademi-            warten. Eine Universität mit dieser Strategie wird
     schen Alltag prägen?                               die innovativsten Köpfe für sich gewinnen, die nur
   	Geben wir den Studierenden genügend Frei-          darauf brennen, sich entfalten zu können. Gibt es
     räume, um eigene Ideen an den Grenzen ih-          etwas Besseres, was wir uns von einer Universität
     res jeweiligen Faches zu erproben und sich         wünschen können?

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                        9
Innovationen Forschendes Lernen Innovation Communities Zukunftsfeld Bionik - EPub Bayreuth
Impulsgeber Universitat

       Claas Christian Germelmann
       Christian Wissler

     Kreativ durch Vernetzung:
     Die Campus-Universität Bayreuth
     Interview mit Prof. Dr. Claas Christian Germelmann

                                                          Blick auf das Campusrondell der Universität Bayreuth
                                                          (Foto: Pressestelle Universität Bayreuth).

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H
                                                          Ja durchaus, denn unsere Absolventinnen und Ab-
         err Professor Germelmann, die Universität        solventen werden ihr Leben gerade dann erfolg-
         Bayreuth ist in diesem Jahr Gastgeber des        reich in die Hand nehmen können, wenn eigener
Wissenschaftstags der Europäischen Metropolregion         Innovationsgeist sie anspornt, neue Möglichkeiten
Nürnberg, der unter dem Motto steht: „Innovations-        für sich zu entdecken und unerwartete Entwick-
faktor Hochschule“. Wohl jede Hochschule nimmt            lungen mitzugestalten. Eine junge Musikwissen-
heute für sich in Anspruch, innovativ zu sein, wäh-       schaftlerin, die vielleicht einmal Theatermanage-
rend sich gleichzeitig die Profile der Hochschulen in     rin werden möchte, wird sich überlegen müssen,
Deutschland immer stärker ausdifferenzieren. In wel-      wie Theater heute zu denken ist. Wird hier noch
cher Weise ist speziell die Universität Bayreuth in der   etabliertes Kulturgut bewahrt und vermittelt? Oder
Lage, innovative Impulse für Wissenschaft, Wirtschaft     ist das Theater nicht vielmehr eine Plattform, die
und Gesellschaft zu setzen?                               neue Ideen zusammenbringt, um wie in einem La-
                                                          bor im Zusammenwirken mit dem Publikum mo-
Zunächst einmal hat bei uns das Thema „Innova-            derne Gesellschaftsprozesse sichtbar zu machen?
tionen“ quer durch alle Wissenschaftsbereiche ei-         Eine angehende Chemikerin wird sich überlegen,
nen hohen Stellenwert in der Forschung. So gibt           ob ihre Zukunft noch in der klassischen Medika-
es in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen       mentenentwicklung liegt oder ob es zum Beispiel
Fakultät eine ganze Reihe von Forschergruppen,            ökologische Serviceleistungen gibt, für die sie mit
die sich bereits dem Namen nach mit dieser The-           ihren Fachkompetenzen viel besser qualifiziert ist.
matik befassen, zum Beispiel an den Lehrstühlen           Die Kette der Beispiele ließe sich beliebig fortset-
für ‚Technologie- und Innovationsmanagement‘,             zen. In allen verantwortungsvollen Positionen ist
‚Innovation und Dialogmarketing‘ oder ‚Strategi-          heute individuelle Kreativität gefragt.
sches Management und Organisation‘. Zugleich
wollen wir unsere Studierenden vom ersten Semes-
ter an dafür sensibilisieren, welche Relevanz Inno-       Den Unternehmergeist fördern
vationen für die Gesellschaft haben und wie stark
sie das Leben jedes Einzelnen beeinflussen können.        Gehört zu einem solchen ‚innovative mindset‘ auch
In wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen            Unternehmergeist, also die Bereitschaft, mit neuen
                                                                                                                               Zur Person
vermitteln wir die Kompetenzen, die erforderlich          Ideen ein Geschäftsmodell zu entwickeln und im eige-
sind, um Prozesse der Innovationsentwicklung zu           nen Unternehmen zu realisieren?
managen und die Umsetzung im Markt steuernd
zu begleiten. Viele Studierende bringen ein sehr          Heute entfaltet sich Unternehmergeist keineswegs
technisch geprägtes Verständnis von Innovationen          nur beim Sprung in die Selbständigkeit. Techno-
mit. Aber indem wir sie mit neuen Erkenntnissen           logiestarke Unternehmen, die auf internationalen
aus der Innovationsforschung vertraut machen,             Märkten ihren Vorsprung behaupten müssen, for-
wird deutlich: Je grundlegender eine Innovation           dern von ihren Beschäftigten ein hohes Engage-
ist, desto stärker ist ihre Breitenwirkung in Wissen-     ment als „Unternehmer im Unternehmen“. Es wird
schaft, Wirtschaft und Kultur.                            erwartet, dass man selbständig Aufgaben angeht
                                                          und Neues entwickelt. Global Player wie General
Es geht aber nicht allein darum, Wissen über In-          Electrics, IBM oder Mannesmann sehen heute
novationen zu vermitteln. Als Forschenden und             ganz anders aus als noch vor zehn Jahren, auch
Lehrenden an der Universität Bayreuth ist uns dar-        weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit                Prof. Dr. Claas Christian
an gelegen, dass die Studierenden möglichst früh          eigenen Innovationen zur Unternehmensentwick-                Germelmann ist Inhaber des
beginnen, selbst innovativ zu denken – also Pio-          lung beigetragen haben.                                Lehrstuhls für Marketing an der
                                                                                                                 Universität Bayreuth.
niergeist, Kreativität und Lust an der Umsetzung
neuer Ideen entwickeln.                                   Junge Menschen auszubilden, die das Potenzial ha-
                                                          ben, technologische und wirtschaftliche Fortschrit-
Damit aber entstehen Brücken von einem rein fach-         te voranzubringen und so die Welt zu verändern
bezogenen Wissenstransfer zur Persönlichkeitsent-         – dies ist auch unser Ziel an der Universität Bay-
wicklung der Studierenden. Werden hier Bildungsziele      reuth. Mir scheint, dies gelingt hier umso besser,
aktuell, die im Kern in europäischen Universitätstra-     als eine Reihe von Wissenschaftlern mit eigenen
ditionen wurzeln, aber aus dem Blick geraten, wenn        Firmengründungen erfolgreich waren und sind.
man Hochschulen einseitig aus einer technokratischen      Sie geben damit ein Beispiel für die Freude am
Perspektive betrachtet?                                   Neuen, die sie den Studierenden vermitteln wol-

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                11
Impulsgeber Universitat

                                                len. Darüber hinaus haben auch Serviceangebote            Offenheit, Interdisziplinarität, kreativen Austausch
                                                wie der KarriereService oder die Gründerberatung          und Innovationskraft.
                                                sowie Business Plan-Wettbewerbe ihren Anteil da-
                                                ran, Studierende für das Thema ‚Innovation‘ zu            Ohne diese räumlichen Strukturen wären ja auch die
                                                begeistern.                                               zahlreichen interdisziplinären Studiengänge und Fä-
                                                                                                          cherkombinationen nicht realisierbar, die hier in Bay-
                                                                                                          reuth – und in manchen Fällen nirgendwo sonst in
                                                Interdisziplinarität als Inkubator                        Deutschland – angeboten werden ...

                                                Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der fächerübergrei-   Ja, es ist kein Zufall, dass die Universität Bayreuth
                                                fende Austausch von Wissen und Erfahrung, wenn es         seit ihrer Gründung immer wieder Vorreiter bei
                                                darum geht, ein vertieftes Verständnis für Innovatio-     der Einrichtung innovativer Studienprogramme
                                                nen zu fördern?                                           war. Sportökonomie, Geoökologie, Philosophy &
                                                                                                          Economics sind nur einige Stichworte. Ganz neu
                                                Innovationen haben immer eine starke Tendenz zu           sind englischsprachige Master-Studiengänge wie
                                                Grenzüberschreitungen. Sie setzen sich über Län-          etwa History & Economics, Environmental Geogra-
                                                dergrenzen hinweg, und sie verschmelzen Techno-           phy oder Biofabrication, die zum Wintersemester
                                                logien, von denen man überhaupt nicht gedacht             2016/17 erstmals angeboten werden. Das Rück-
                                                hat, dass sie etwas miteinander zu tun haben              grat all dieser Angebote sind unsere universitä-
                                                könnten. Damit entfallen auch tradierte Abgren-           ren Profilfelder, von denen eine starke Dynamik
                                                zungen zwischen den Disziplinen. Umso mehr sind           ausgeht – sei es zum Beispiel in der Polymerfor-
                                                wir auf Leitplanken angewiesen, wenn wir Innova-          schung, in den Afrikastudien oder in den mitein-
                                                tionen verantwortungsvoll gestalten wollen. Hier-         ander vernetzten Lebensmittel- und Gesundheits-
                                                für bedarf es der Expertise aus unterschiedlichen         wissenschaften.
                                                Forschungsfeldern: Im Dialog mit den Rechtswis-
                                                senschaften gilt es auszuloten, welcher gesetzliche
                                                Rahmen nötig ist, damit Innovationen keinen Scha-         Innovation und Verbraucherschutz:
                                                den anrichten – oder auch, wie geistiges Eigentum         ein neues Profilfeld für Zukunftsfragen
                                                im Interesse der Entrepreneure geschützt werden
                                                kann. Auf der anderen Seite können die Kulturwis-         Sie selbst sind Sprecher des noch jungen Profilfelds
                                                senschaften wichtige Beiträge leisten, etwa beim          „Innovation und Verbraucherschutz“, das thematisch
                                                Umgang mit ethischen Problemen, die durch Inno-           geradezu an der Schnittstelle von neuen Technologi-
                                                vationen aufgeworfen werden. Auch Fragen nach             en, ökonomischen Potenzialen und gesellschaftlichen
                                                der kulturellen Identität stellen sich plötzlich, wenn    Erwartungen angesiedelt ist. Spiegeln sich die daraus
                                                sich eine Gesellschaft im Zeitalter des Internets so      resultierenden Spannungen und Chancen auch in den
                                                dynamisch verändert, dass Traditionen verblassen.         Aktivitäten des Profilfelds?

                                                Die Universität Bayreuth hat den großen Vorzug,           Ja, denn eine Reihe sehr engagierter Forscher-
                                                dass ihre räumliche Struktur den alltäglichen, in-        gruppen aus verschiedenen Fächern sind hier mit-
                                                formellen Austausch über solche Fragen entschei-          einander im Gespräch. Wichtige Kernfragen, wie
                                                dend fördert. Erlauben Sie mir einen Vergleich:           etwa das Verbraucherverhalten in digitalen Um-
                                                Junge Start-ups wollen gern in der Mitte ihres            welten oder die öffentliche Kommunikation von
                                                Unternehmens einen großen Raum haben, wo                  Innovationen, fallen nicht in die alleinige Zustän-
                                                man sich kurzfristig verabreden und offene Fragen         digkeit einzelner ‚Ressorts‘. Über Innovationen zu
                                                diskutieren kann, wo man im Gespräch bleibt und           forschen und dabei selbst innovativ zu sein, das
                                                sich persönlich kennenlernt. Genau diese Funkti-          ist nur mit offenen Netzwerkstrukturen möglich.
                                                on hat an unserer Universität das Campusrondell           Diese wiederum entwickeln sich nicht selten zum
                                                inmitten der Fakultäten und Serviceeinrichtungen.         Ausgangspunkt für große Forschungsprojekte. Ich
      Abb. 1-3: Der Bayreuther Campus bietet    Hier begegnen wir uns als Studierende, Lehrende           selbst finde es immer wieder spannend, wenn bei
      Raum für Teamwork in kleinen Gruppen,     und Forschende täglich, hier können wir die Ideen         Diskussionen in unserem Profilfeld gerade aus der
innovative Projekte, wie etwa den Bau eines
                                                anderer aufgreifen und in unser eigenes Denken            Unterschiedlichkeit der Denkmuster Funken ge-
Rennwagens, und eine enge Verknüpfung von
Lernen und Forschen (Fotos: Lili Nahapetian).   hineinnehmen. So könnte man unseren Campus                schlagen werden. Alle gehen aus solchen Gesprä-
                                                geradezu als großen Inkubator bezeichnen – das            chen mit neuen Impulsen heraus.
                                                Campusrondell ist gewissermaßen ein Symbol für

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Impulsgeber Universitat

Gibt es thematische Schwerpunkte, die derzeit im Vor-   unser Verständnis mit den digitalen Technologien
dergrund stehen?                                        überhaupt noch Schritt? Oder sind wir in immer
                                                        kürzeren Zeitabschnitten mit Neuem konfrontiert,
Ein hochaktuelles Thema ist die Sharing Economy,        so dass wir die Auswirkungen auf die Gesellschaft
die auf der Basis des Internets völlig neue Ge-         immer weniger begreifen?
schäftsmodelle hervorbringt. Dabei erwerben die
Konsumenten kein individuelles Eigentum, son-           Auch die Weiterentwicklung des Rechts ist durch diese
dern sie treten auf elektronischen Plattformen in       Prozesse herausgefordert – zum Beispiel wenn rechts-
Austauschprozesse ein, die dazu dienen, sich die        staatliche Gesetzgebungsverfahren nicht so schnell
Nutzung von Gütern im wechselseitigen Einver-           ablaufen, wie man es sich wünschen würde, damit im
ständnis zu teilen. Dies geschieht häufig kommer-       Interesse des Gemeinwohls ein passender Rechtsrah-
ziell, wie etwa beim Car-Sharing oder der Nutzung       men entsteht …
von Wohnraum. Aber immer öfter haben solche
Prozesse keinen kommerziellen Hintergrund. Als          Ja, auch dies ist eine wichtige Herausforderung.
Ökonomen finden wir diese Entwicklungen sehr            In vielen Fällen wird man sagen können, dass das
faszinierend, weil sie unser klassisches Verständnis    bestehende Recht gut ausgearbeitet und hinrei-
von Märkten berühren. Ist eine betriebswirtschaft-      chend allgemein ist, um innovative Entwicklungen
liche Logik noch zeitgemäß, wonach Güter geron-         abzubilden. Aber umgekehrt könnte man auch
nene Werte sind, deren Wert durch Konsumenten           dafür argumentieren, dass geltendes Recht in
quasi verzehrt und vernichtet wird? Oder müssen         Zukunft fluider sein und von den Bürgern im Zu-
wir uns auf innovative Modelle einstellen, wonach       sammenwirken mit der Judikative stets aufs Neue
der Wert von Gütern und Dienstleistungen allererst      ausgehandelt werden müsse – ähnlich den Prozes-
durch „Ko-Kreation“ erzeugt wird – also dadurch,        sen der ‚Ko-Kreation‘, wie wir sie im Bereich der
dass verschiedene Akteure im Markt zusammen-            Sharing Economy erleben. Man denke hier z.B. an
wirken? Vor kurzem haben wir eine vielbeachtete         die Ideen der Digitalen Demokratie. Das alles sind
Tagung zu diesen Fragen veranstaltet.                   Zukunftsfragen, mit denen wir uns wissenschaftlich
                                                        auseinandersetzen müssen. Hier in Bayreuth ist der
Ein anderes großes Thema ist natürlich die Digi-        Ort, wo wir dies tun können und gemeinsam mit
talisierung. Nur wenige Menschen fragen sich,           unseren Studierenden schon heute erfolgreich tun.
welche persönlichen Informationen über sie in
der Welt verbreitet sind. Sie sind sich des Markt-      Herr Professor Germelmann, haben Sie vielen Dank        Abb. 4: Luftaufnahme des Bayreuther
                                                                                                                Campus (Foto: Herbert Popp).
werts dieser Informationen kaum bewusst. Hält           für dieses Gespräch!

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                  13
Impulsgeber Universitat

       Franz X. Bogner
       Volker Ulm

     Forschendes Lernen
     Die Universität Bayreuth – ein Innovationszentrum für das Bildungssystem

                                                              Im Schülerlabor zur Bio- und Gentechnik der
                                                              Universität Bayreuth: Schülerinnen machen erste
                                                        Erfahrungen mit den Pipetten (Foto: Thomas Zuber).

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Die Universität Bayreuth und                            Primar- und Sekundarstufe als wirksame Methode
Bildungspolitik in Europa                               erwiesen, um das Interesse und den Kenntnisstand

W
                                                        der Schüler zu steigern, und dabei gleichzeitig
            elche wirksamen Strategien gibt es in       auch noch die Motivation der Lehrkräfte zu för-
            Europa, um Innovationen nachhaltig          dern.“ Der Bericht hebt hervor, dass forschendes
in die Schule zu bringen? Dieser Frage ging 2007        Lernen bei schwachen wie bei starken Schülerin-
eine Expertengruppe der Europäischen Kommis-            nen und Schülern erfolgreich und mit dem Streben
sion nach, um auf der Grundlage bestehender             nach Bestleistungen vereinbar sei. Zudem wirke
Erfahrungen Empfehlungen für eine europäische           es sich positiv auf das Interesse von Mädchen an
Bildungspolitik zu erarbeiten. Der daraus resul-        den Naturwissenschaften aus. Forschendes Lernen
tierende Rocard-Report entwickelte erheblichen          und herkömmliche deduktive Unterrichtskonzepte
Einfluss auf die Bildungspolitik in Europa. Explizit    schließen sich – so der Bericht – keineswegs aus
wurde darin das deutschlandweite Projekt ‚SINUS-        und sollten daher im naturwissenschaftlichen Un-
Transfer‘ als Leuchtturmprojekt hervorgehoben.          terricht kombiniert werden, um unterschiedlichen
Dieses Projekt war als großer und langfristiger         Denkarten und Altersgruppen gerecht zu werden.2
Innovationsprozess des mathematisch-naturwis-
senschaftlichen Unterrichts angelegt. Die Leitung       Beim forschenden Lernen sind die Schülerinnen
im Bereich der Mathematik lag bei der Universität       und Schüler in hohem Maße selbst aktiv. Sie ar-
Bayreuth: „Sinus-Transfer zeichnet sich durch ein       beiten sich eigenständig und kooperativ in ein für
langfristiges, in den Schulen durch Zusammen-           sie unbekanntes Phänomen ein, das sie subjektiv                               Autoren
arbeit entwickeltes Konzept aus, das sich beson-        als komplex wahrnehmen. Dabei geht es nicht um
ders auf das Lernen der Schüler konzentriert. Das       das Erlernen vorgegebener Fakten. Vielmehr wird
Konzept behandelt didaktische Schwierigkeiten           der Lernprozess in ähnlicher Weise organisiert und
im naturwissenschaftlichen Unterricht und regt          strukturiert, wie es auch für universitäres Forschen
Lehrer zum Nachdenken und zur Bewertung des             charakteristisch ist. In der amerikanischen Literatur
eigenen Unterrichts an, um dessen Qualität stän-        ist von den 5E die Rede: „Engage, Explore, Explain,
dig zu verbessern. Eine starke Zusammenarbeit           Elaborate, Evaluate“. Typische Phasen forschenden
zwischen Lehrern der eigenen Schule und anderen         Lernens im mathematisch-naturwissenschaftlichen
Schulen sowie Forschern und Praktikern wird her-        Unterricht sind daher:
gestellt. Sinus-Transfer hat sehr positive Ergebnisse
gebracht.” 1                                                  onfrontation mit einem Phänomen: Es
                                                             K
                                                             gehört zur professionellen Kompetenz der
                                                             Lehrkraft, Schülerinnen und Schüler auf ein              Prof. Dr. Franz X. Bogner ist
In der Folge förderte die Europäische Union eine
                                                                                                                      Inhaber des Lehrstuhls für
ganze Reihe von Unterrichtsentwicklungsprojekten,            mathematisches oder naturwissenschaftliches        Didaktik der Biologie und Direktor
vor allem an der Universität Bayreuth, die ähnliche          Phänomen aufmerksam zu machen und ein              des Zentrums zur Förderung des ma-
                                                             Forschungsfeld zu umreißen.                        thematisch-naturwissenschaftlichen
Strukturmerkmale wie ‚SINUS-Transfer‘ aufweisen
                                                                                                                Unterrichts (Z-MNU) der Universität
sollten. Beispielsweise wurden oder werden die             	Erkunden eines Phänomens: Die Schülerin-           Bayreuth.
Projekte ‚PATHWAY‘, ‚KeyCoMath‘, ‚CREATIONS‘                 nen und Schüler entwickeln Fragen, stellen Hy-
von Bayreuth aus koordiniert. In den Projekten               pothesen auf, planen Experimente und führen
‚Open Discovery Space‘, ‚GreeNET‘ oder ‚Inspiring            diese durch, machen Beobachtungen, formu-
Science Education‘ war bzw. ist die Universität Bay-         lieren Vermutungen und suchen nach Begrün-
reuth federführender Workpackage-Leader.                     dungen.
                                                           	Strukturieren des Themenfelds: Die Ler-
                                                             nenden ordnen und strukturieren ihre Erkun-
Forschendes Lernen                                           dungen, stellen Querverbindungen – auch
für tiefgreifendes Verständnis                               zu ihrem Vorwissen – her, suchen zugrunde
                                                             liegende Muster und Gesetzmäßigkeiten.
Alle genannten EU-Projekte zielen darauf ab, in-            Fixieren von Ergebnissen: Die Resultate der
novative pädagogisch-didaktische Konzepte im                 Forschungsarbeiten werden schriftlich fixiert
Schulsystem zu verankern. Sie setzen auf „for-               (zum Beispiel im Heft oder auf einem Plakat).
schendes Lernen“– im Englischen: „Inquiry-based              Beim Aufschreiben wird das Themenfeld weiter             Prof. Dr. Volker Ulm ist Inhaber
                                                             kognitiv durchdrungen.                                   des Lehrstuhls für Mathematik
Science Education (IBSE)“. Im Rocard-Report heißt
                                                                                                                und ihre Didaktik und Direktor des
es dazu: “Naturwissenschaftlicher Unterricht durch         	Präsentieren und Diskutieren von Ergeb-            Zentrums für Lehrerbildung (ZLB) der
Inquiry-based Science Education … hat sich in der            nissen: Die Überlegungen und Resultate der         Universität Bayreuth.

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                15
Impulsgeber Universitat

                                                     Schülerinnen und Schüler werden im Klassen-       und erproben. Die dabei gewonnenen Erfahrun-
                                                     plenum vorgestellt und gemeinsam diskutiert.      gen werden im kollegialen Netzwerk ausgetauscht
                                                     Unter der fachkundigen Leitung der Lehrkraft      und reflektiert. Auf dieser Basis werden die Unter-
                                                     werden die Resultate zusammengeführt. Es          richtsmaterialien und -konzepte gemeinsam über-
                                                     werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede           arbeitet und ggf. verbessert. Insgesamt dient das
                                                     herausgearbeitet und dabei ein Gesamtergeb-       Arbeiten an und mit konkreten Unterrichtsmateria-
                                                     nis der Forschungen fixiert.                      lien für den Schulalltag dazu,
                                                                                                             grundlegende didaktische Ideen zu vermit-
                                                                                                              teln,
                                                 Lehrerfortbildung als Schlüssel                           	Entwicklungen auf der Ebene der unterrichts-
                                                 zur Unterrichtsentwicklung                                   bezogenen Überzeugungen und Haltungen
                                                                                                              der Lehrkräfte anzustoßen
                                                 Die Schlüsselpersonen für Innovationen des Un-            	und somit das Handeln in ihrer beruflichen
                                                 terrichts sind zweifelsohne die Lehrkräfte. Ihre             Praxis zu verändern.
                                                 Überzeugungen, Haltungen und professionellen
                                                 Kompetenzen sind maßgeblich für den Unterricht        Im Zuge der genannten europäischen Projekte war
                                                 und damit das individuelle Lernen der Schülerin-      und ist die Universität Bayreuth gemeinsam mit
      Abb. 1: Jonas Landgraf aus Weiden war      nen und Schüler verantwortlich. Systematische,        zahlreichen europäischen Partnerinstitutionen Im-
      ‚Kapitän‘ des deutschen Schülerteams,      langfristig konzipierte Lehrerfortbildung hat daher   pulsgeber und Begleiter für Entwicklungsprozesse
das im Juli 2016 in Jekaterinburg/Russland
am Physik-Weltcup IYPT teilnahm und Vize-        in den erwähnten nationalen und internationalen       im Schulsystem.
Weltmeister wurde. Zusammen mit einem            Projekten der Universität Bayreuth eine zentrale
weiteren Teammitglied konnte er sich im          Rolle.
Schülerforschungszentrum Oberfranken
auf den Wettbewerb vorbereiten (Foto: Felix                                                            Innovationen im Lehramtsstudium
Wechsler).                                       Typischerweise werden für die Projektarbeit Netz-
                                                 werke von Schulen gebildet, teilnehmende Lehr-        Die universitätstypische Einheit von Forschung und
                                                 kräfte sind über einen längeren Zeitraum einge-       Lehre gibt es an der Universität Bayreuth auch im
                                                 bunden. Die Lehrkräfte werden in regelmäßigen         Bereich der Lehrerbildung. Forschungsergebnisse
                                                 Treffen mit innovativen didaktischen Konzepten        finden unmittelbar Eingang in Lehrveranstaltun-
                                                 – wie zum Beispiel forschendem Lernen – vertraut      gen, Seminare und Praktika werden direkt in aktu-
                                                 gemacht. Eine Herausforderung besteht dabei dar-      elle Forschungsprojekte eingebettet.
                                                 in, den Lehrkräften nicht nur Wissen zu vermitteln,
                                                 sondern ihre Handlungskompetenzen im Unter-           So ist beispielsweise das Schülerlabor zur Bio- und
                                                 richt weiterzuentwickeln. Um diese Brücke zwi-        Gentechnik (Lehrstuhl Didaktik der Biologie) mit
                                                 schen Theorie und Praxis zu schlagen, erarbeiten      der Lehramtsausbildung gekoppelt. Basierend auf
                                                 die Lehrkräfte im Fortbildungsnetzwerk kooperativ     der Theorie des fachdidaktischen Wissens ist das
      Abb. 2: Arbeit an der Tischzentrifuge:
      Schüler bereiten Proben für die Elektro-   Unterrichtsmaterialien, mit denen sie innovative      Lehramtsmodul Lernen und Lehren im Lernort Labor
phorese vor (Foto: Thomas Zuber).                Konzepte in ihren Klassen im Unterricht umsetzen      mit dem Schülermodul Genetischer Fingerabdruck
                                                                                                       verknüpft.3 Das Lehramtsmodul bereitet fachliches
                                                                                                       Vorwissen auf und setzt sich mit wesentlichen Kom-
                                                                                                       ponenten des fachdidaktischen Lehrerwissens (Pe-
                                                                                                       dagogical Content Knowledge, PCK) auseinander
                                                                                                       – zum Beispiel mit bekannten, alternativen Schü-
                                                                                                       lervorstellungen.4 Innerhalb einer Woche lernen
                                                                                                       Kleingruppen mit jeweils vier Studierenden inner-
                                                                                                       halb des innovativen Ansatzes einen Rollenwech-
                                                                                                       sel. Dies geschieht dadurch, dass sie innerhalb
                                                                                                       einer Unterrichtswoche mit jeweils immer neuen
                                                                                                       Schülerkursen von der Schüler- über die Tutor- in
                                                                                                       die Lehrerrolle hineinwachsen. Zunächst führen
                                                                                                       sie als zusätzliche Schülergruppe die Experimente
                                                                                                       selbst durch, um mögliche Lernschwierigkeiten aus
                                                                                                       der Sicht von Schülerinnen und Schülern wahrzu-
                                                                                                       nehmen. In den kommenden Tagen betreuen sie
                                                                                                       zwei Schülergruppen als Tutoreninnen und Tuto-

16                                                                                                                                        Ausgabe 1   .   2016
ren, und schließlich unterrichten sie als Lehrkraft
einen Unterrichtsabschnitt. Hier können sie aus
den zu Beginn wahrgenommenen Lernschwierig-
keiten eigene instruktionale Änderungen umset-
zen, um derartige Schwierigkeiten zu vermeiden.
Eine begleitende Studie stellte die wesentlichen
Ergebnisse dieses einmaligen Moduls dem inter-
nationalen Publikum vor.5

Die Universität Bayreuth setzt aber nicht nur in
Bezug auf Studieninhalte, sondern auch bei der
Organisationsform der Lehramtsstudiengänge
Maßstäbe. Als eine der beiden ersten Universitä-
ten in Bayern führte sie bereits 2006 Bachelor-und
Master-Strukturen im Lehramtsstudium ein. Das
Bayreuther Lehrerbildungsprofil weist dabei eine
Reihe charakteristischer Strukturmerkmale auf:         studierende ein. Der Studiengang „MINT-Lehramt                                       Abb. 3: „Campus erleben“: Bei dieser
                                                                                                                                            öffentlichen Veranstaltung auf dem
                                                       PLUS“ richtet sich an besonders begabte und
                                                                                                                                     Bayreuther Universitätsgelände erhalten
     Der Bachelorabschluss ist polyvalent zu fach-    leistungsfähige Studierende der Fächer Biologie,                              Kinder und Jugendliche – und ihre Eltern –
     wissenschaftlichen Bachelorabschlüssen. Dies      Chemie, Informatik, Mathematik und Physik für                                 spannende Einblicke in Themen der naturwis-
                                                                                                                                     senschaftlichen Forschung, hier mit Prof. Dr.
     bedeutet, dass Studierende ein fachwissen-        das Lehramt an Gymnasien. Er bietet ihnen Bil-
                                                                                                                                     Christian Laforsch (re.) vor einem Becken mit
     schaftliches Masterstudium aufnehmen kön-         dungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die über                                Unterwasserflöhen (Foto: Peter Kolb).
     nen, wenn sie etwa nach sechs Semestern           die Angebote der regulären Lehramtsstudiengän-
     den Beruf des Lehrers nicht weiter anstreben      ge substanziell hinausgehen. Die Studierenden
     möchten.                                          können ihre fachlichen Kompetenzen im MINT-
   	In der Masterphase des Lehramtsstudiums liegt     Bereich erweitern, indem sie das breite Angebot
      ein deutliches Gewicht im Bereich der Fachdi-    fachwissenschaftlicher Masterstudiengänge nutzen
      daktik und der Vernetzung mit der Schulpraxis.   und zudem anhand speziell eingerichteter Lehrfor-
      Die Masterarbeit kann mit dem Referendariat      men in aktuelle Forschungsgebiete der Fachwis-
      vernetzt werden.                                 senschaften und der Fachdidaktiken vordringen.
                                                       Charakteristisch sind dabei der interdisziplinäre
                                                       Austausch und eine Einbettung in internationale
Elitestudiengang                                       Forschung mit vielfältigen Freiräumen für persön-
für Lehramtsstudierende                                liche Schwerpunktsetzungen.

Begabtenförderung im Lehramtsstudium – dies ist
der neueste Innovationsimpuls, den die Universi-
tät Bayreuth in der Lehrerbildung setzt. Zum Win-      1	„Sinus-Transfer is characterized by a long-term, school-based and collaborative approach that is focused on students’ learning.

tersemester 2016/17 richtet sie im Elitenetzwerk          It relates to didactical problems in science classrooms and stimulates teachers to evaluate and reflect their teaching in a pro-
                                                          cess of continuous quality development. During the process a strong cooperation is established between teachers within and
Bayern den ersten Elitestudiengang für Lehramts-
                                                          between schools as well as between researchers and practitioners. The impact of Sinus-Transfer is very positive”, in: European
                                                          Commission: Science Education Now – A Renewed Pedagogy for the Future of Europe. European Communities. Brüssel 2007
                                                          (Rocard-Report), S. 15. Vgl. die deutsche Übersetzung unter dem Titel “Naturwissenschaftliche Erziehung jetzt: Eine erneuerte
                                 Linktipps                Erziehung für die Zukunft Europas”: http://ec.europa.eu/research/science-society/document_library/pdf_06/report-rocard-
                                                          on-science-education_de.pdf, S.15.
  Rocard-Bericht der Europäischen Kommission,          2	„Inquiry-based science education (IBSE) has proved its efficacy at both primary and secondary levels in increasing children’s
  Science Education Now – A Renewed Pedagogy for          and students’ interest and attainments levels while at the same time stimulating teacher motivation. IBSE is effective with all
  the Future of Europe:                                   kinds of students from the weakest to the most able and is fully compatible with the ambition of excellence. Moreover IBSE is
                                                          beneficial to promoting girls’ interest and participation in science activities. Finally, IBSE and traditional deductive approaches
  •	http://ec.europa.eu/research/science-society/        are not mutually exclusive and they should be combined in any science classroom to accommodate different mindsets and
     document_library/pdf_06/report-rocard-on-            age-group preferences.” (Rocard-Report, ebd., S. 2).
                                                       3	Franz-Josef Scharfenberg und Franz X. Bogner, Instructional efficiency of changing cognitive load in an out-of-school laborato-
     science-education_en.pdf
                                                          ry. In: International Journal of Science Education, 32(6), S. 829-844 (2010); Franz-Josef Scharfenberg und Franz X. Bogner, A new
                                                          two-step approach for hands-on teaching of gene technology: Effects on students‘ activities during experimentation in an
  Elite-Programm „MINT-Lehramt PLUS“ im Elite-            outreach gene technology lab. In: Research in Science Education, 41(4), 505-523 (2011).
                                                       4	Franz-Josef Scharfenberg und Franz X. Bogner: Investigation of Students’ Alternative Conceptions of Terms and Processes of
  netzwerk Bayern:
                                                          Gene Technology, International Scholarly Research Network Education (2013), (Article ID 741807).
  •	www.mint-lehramt-plus.bayern                      5	Franz-Josef Scharfenberg und Franz X. Bogner: A New Role-Change Approach in Pre-service Teacher Education for Developing
                                                          Pedagogical Content Knowledge in the Context of a Student Outreach, in: Lab. Research in Science Education (2015, online first).

Ausgabe 1   .   2016                                                                                                                                                                       17
Impulsgeber Universitat

       Sascha Schweitzer
       Stefan Seifert

     Flitterwochen, Krise, Sieg
     Internationale Studierendenteams entwickeln innovative Geschäftsideen

                                           Gemeinsames Lernen durch interkulturelle Herausforderungen: Teilnehmerinnen
                                           und Teilnehmer des Wettbewerbs 2016 in São Carlos (Foto: Volker Altstädt).

18
D
                                                           an der eigenen Kultur schätzt und vermisst,
        ie International Business Plan Competition         ohne sich dessen zuvor bewusst gewesen zu
        ist eine gemeinsame Lehrveranstaltung              sein. Unweigerlich sammelt man auch erste
der Universität Bayreuth mit Spitzenuniversitäten          negative Erfahrungen. So kommt es zu sprach-
in Hongkong, Brasilien und den USA. Alljährlich            lichen oder gedanklichen Missverständnissen,
treffen sich ausgewählte Studierendenteams der             die sich häufig nicht auf einfache Art auflösen
Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften an ei-            lassen und zu gelegentlichen Frustrationen
ner der Partneruniversitäten, um in internationa-          führen können.
len Gruppen zukunftsweisende Geschäftsideen zu           	Auf die Krisen-Phase folgen die Phasen der
konzipieren und entsprechende Businesspläne zu             Erholung und der Anpassung. Man befreit
entwickeln. Gleichzeitig bietet der Wettbewerb             sich aus dem vorherigen emotionalen Tief
spannende Einblicke in den Mikrokosmos inter-              und geht dank neuerlernter Fähigkeiten ge-
nationaler Zusammenarbeit. Dies ist insbesondere           stärkt daraus hervor. „Erholung“ bezeichnet
der durchdachten und systematischen Planung zu             in diesem Zusammenhang das Erkennen und
verdanken, die den Wettbewerb zu einem faszinie-           die Reflexion der kulturellen Unterschiede,
renden Experiment des interkulturellen Austauschs          während „Anpassung“ in der Annahme von
macht.                                                     Lösungsstrategien und Umgangsformen be-
                                                           steht, die den Unterschieden Rechnung tra-
Ein Schlüsselelement, durch das die Veranstaltung          gen.
an Reichtum und Tiefe gewinnt, liegt in der Zu-
sammenstellung der studentischen Teams, die im        Eine herausfordernde Besonderheit der Internatio-
Vorfeld nach unterschiedlichen Kriterien – wie        nal Business Plan Competition besteht darin, dass
beispielsweise Studienfach, Studienabschnitt (Ba-     die vier Erfahrungsphasen – verglichen mit einem
chelor bzw. Master), außercurricularen Interessen
und Alter – gebildet werden. Jedes Team besteht
aus sechs Studierenden, jede Partneruniversität
ist dabei vertreten. Im Vorfeld des Wettbewerbs        Kreativität von Rio bis Hongkong
besuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
                                                       Die International Business Plan Competition ist ein gemeinsames Projekt, das von der Universi-
Vorbereitungskurse an ihren Heimatuniversitäten,
                                                       dade de São Paulo (USP), der University of Illinois (UI) und der Hong Kong University of Science
so dass sie die Mitglieder ihres Teams erst am Aus-
                                                       and Technology (HKUST) seit mehreren Jahren an wechselnden Orten angeboten wird. Im Jahr
tragungsort kennenlernen.
                                                       2014 fand die Competition in Bayreuth statt, im Jahr 2015 im Silicon Valley in Kalifornien, in die-
                                                       sem Jahr in São Carlos und Rio de Janeiro. Im kommenden Jahr wird Hongkong als Gastgeber
                                                       fungieren und den Studierenden die Aufgabe stellen, innovative Geschäftsideen im Bereich
Persönlichkeitsentwicklung im Zeitraffer
                                                       Health-Care vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung zu erarbeiten. Hier werden ins-
                                                       besondere die Bayreuther Studierenden des Studiengangs Gesundheitsökonomie ihre speziel-
Die Zusammenarbeit der Studierenden in diesen
                                                       len Kompetenzen einbringen können.
multinational zusammengesetzten Teams ist ein
komplexer Prozess, der mit interkulturellen Her-
                                                       Die Competition zielt darauf ab, junge Menschen anzuleiten, in einem internationalen Umfeld
ausforderungen verbunden ist. Die dabei auftre-
                                                       gemeinsam an neuen Ideen zu arbeiten, gemeinsam zu forschen und Anstöße zur Vernetzung
tenden Schwierigkeiten und Erfolge lassen sich
                                                       zu schaffen. Seitens der Universität Bayreuth wird der Wettbewerb koordiniert von:
mit dem „U-Modell“ des schwedischen Soziologen
Sverre Lysgaard beschreiben, der vier typische
                                                          P rof. Dr.-Ing. Volker Altstädt, Inhaber des Lehrstuhls für Polymere Werkstoffe und Geschäfts-
Phasen unterscheidet:
                                                          führer der Neue Materialien Bayreuth GmbH
                                                          Prof. Dr. Stefan Seifert, Inhaber des Lehrstuhls für Technologie- und Innovationsmanagement
      ie erste Phase, auch „Flitterwochenphase“
     D                                                     D
                                                            r. Sascha Schweitzer, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Technologie- und Innovationsmanage-
     genannt, ist gekennzeichnet durch Vorfreude           ment
     in der Vorbereitung auf die Reise und erste
     aufregende Entdeckungen vor dem Hinter-           Als Mentoren der Universität Bayreuth stehen sie den Studierenden am jeweiligen Wettbe-
     grund einer gewissen romantischen Verklä-         werbsort mit ihrer Expertise zur Verfügung.
     rung in der Anfangszeit.
   	In der zweiten Phase legt man die Rolle des       Über die Competition hinaus bieten sich der Universität Bayreuth weitere Anknüpfungspunkte
     Gasts ab. Nach und nach realisiert man die        in Forschung und Lehre. So bestehen zum Beispiel Kooperationsabkommen mit den Partneruni-
     Schwierigkeiten, die sich aus der fremden         versitäten in Brasilien und Hongkong.
     Umgebung ergeben, und bemerkt, was man

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