Kunstmarkt neu? Wie erfindet - BERLINboxx
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Juli/August 2021 · 22. Jahrgang · 4,90 € MONIKA GRÜTTERS KAI WEGNER MANUEL WIEMANN/VOLKER KRANE Kultur leben Der Ehrgeizige AUTOFREIE STADT? Wie erfindet sich der Kunstmarkt neu? 1
Editorial NUDO Liebe Leserinnen und Leser, die Temperaturen steigen und die Inzidenzen sinken – verhaltener Optimismus macht sich insbesondere in der Wirtschaft breit. Einzelhandel, Restaurants und Tourismus laufen wieder an und auch Kunst und Kultur können wieder stattfinden. Unsere Sommerausgabe steht im Zeichen einer Branche, die während der letz- ten Pandemiemonate mehrfach ihre Kreativität und ihren Durchhaltewillen bewiesen hat – die Berliner Kunstszene. Unsere Titelgeschichte beleuchtet die pandemiebedingten Umbrüche, aktuelle Herausforderungen und zukunftswei- sende Entwicklungen, Expert*innen und Insider geben uns spannende Einbli- cke. Dass Kunst nicht allein den großen Metropolen vorbehalten ist, zeigen auch die vielen Künstlerdörfer in unserem Nachbarbundesland Brandenburg. Auf ehemaligen Gehöften und Werksiedlungen finden Künstler*innen inspirie- rende Rahmenbedingungen. Mit dem Sommer tritt der Wahlkampf für das Abgeordnetenhaus in seine heiße Phase. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen den CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner Covermotiv: Installation view: The Artist is Online. Digital Paintings and Sculptures in a Virtual World, vor, der mit seiner Partei ein Gegenangebot zu Rot-Rot-Grün machen möchte. KÖNIG GALERIE, Decentraland, 2021. Image courtesy of KÖNIG GALERIE Berlin, London, Seoul. Unsere Reihe Stadtquartiere der Zukunft wird mit dem Leuchtturmprojekt Am Tacheles in Berlin-Mitte fortgesetzt. Die städtebauliche Vision der internatio- nalen Architekten von Herzog & de Meuron sieht zehn neue Gebäude rund um das ehemalige Künstlerareal vor. Der Kampf gegen den Klimawandel wird das beherrschende Thema der nächs- ten Jahre. Im Beitrag zum Bahnhof der Zukunft schildern wir, wie Bahnhöfe Juwelier Reuer weltweit schon heute zu klimaschonenden und optimal vernetzten Mobilitäts- Feine Uhren & Juwelen am Roseneck drehscheiben werden. Hohenzollerndamm 94 Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und einen entspannten Sommer. 14199 Berlin Alle Informationen und täglich aktualisierte Termine aus Politik und Wirt- Telefon 030 / 826 42 92 schaft erhalten Sie wie immer auf unserer Website: www.berlinboxx.de. www.reuer.com FotoEditorial: Dirk Lässig Herzlichst, Ihre Dr. Angela Wiechula 2 3
Neu in Berlin Aus dem Inhalt Wirtschaftsstandort Aktuell + + Editorial Seite 3 8,5 Stunden von Berlin Wirtschaftsstandort aktuell Seite 4 Estrel Berlin – startklar in die Alpen Berlin – Stadt der Start-ups Seite 6 in die hybride Zukunft POLITIK Wahljahr 2021 – die Spitzenkandidat*innen: Kai Wegner Seite 8 Zwiegespräch: Autostadt Berlin? Seite 16 Porträt Stadträtin Heike Schmitt-Schmelz Seite 22 Titel Wie erfindet sich der Kunstmarkt neu? Seite 24 Corona flaut ab und der Sommerurlaub Krypto-Kunst Seite 39 steht vor der Tür – diesmal bequem nach Süddeutschland oder Österreich? Raab: Galeristinnengenerationen Seite 42 Trotz der schwierigen Pandemie-Zeit mit ein- Mit der Direktverbindung der Bahn Grütters: Für die Kultur Seite 44 schneidenden Beschränkungen und Umsatzver- gelangt man ab Anfang Juli zum Bo- Wirtschaft lusten rüstete das Kongress-Center technisch auf. densee und in die Alpen in etwas mehr Kunst gut abgesichert Seite 47 Denn Veranstaltungen sind der Motor des Estrels. als acht Stunden – umsteigefrei. Auch Dafür wurde ein TV-Studio mit einer acht Meter weitere Reiseziele in Österreich wie Kuf- Die neue alte Sehnsucht nach Teilhabe Seite 48 hohen LED-Wand und ein Regieplatz eingerichtet. stein, Innsbruck, Ötztal und Tirol sind Glanzlicht am Kurfürstendamm Seite 52 Das Motto lautet: Hybride Veranstaltungen als so leicht zu erreichen. Während es die Mittelstand: Zeiten des Umbruchs Seite 54 Präsenz- und Online-Format. Zusätzlich hat das Bahnverbindung in die Alpen schon im Eine Gala für die Nachhaltigkeit Seite 58 Unternehmen das neue Auditorium im Februar Winter gab, ist die zum Bodensee eine mit einem Kostenpunkt von 25 Millionen Euro er- Premiere. Das komfortable Angebot gilt Architektur & Stadtentwicklung öffnet. Das Estrel Berlin ist einer der bekanntes- bis zum 11. September 2021. Wer lieber Stadtquartiere der Zukunft: Am Tacheles Seite 62 ten Veranstaltungsorte in der Hauptstadt. Mit in den Norden fahren will, kann mit der Bahnhöfe der Zukunft Seite 66 angeschlossenem Hotel bespielt es 30.000 Qua- IC-Direktverbindung von Dresden direkt Neue Wohnformen für eine + dratmeter Veranstaltungsfläche mit jährlich rund nach Rügen fahren – und das vom 3. alternde Gesellschaft Seite 70 1.800 Events wie Kongresse, Tagungen, Messen Juli bis zum 5. September 2021. „Ein Areal, viele Möglichkeiten….“ Seite 72 und Musical-Abenden. Gesellschaft Berliner Konzern Biotronik will Produktion in Asien ausbauen Hideaways für Sonnenhungrige Seite 74 Fotos: Estrel Berlin; Deutsche Bahn AG/Kai Michael Neuhold Der Konzern beabsichtigt, laut der Berliner Morgenpost, die Produktion nach Asien aus- Brandenburg zulagern. Das ruft Gewerkschaften wie die IG Metall auf den Plan, die die Produktion am Künstlerdörfer in Brandenburg Seite 76 Berliner Standort gefährdet sehen. Die Mitarbeitenden bangen um ihre Arbeitsplätze. Brandenburg News Seite 79 Bereits im Jahr 2019 verlagerte das Medizintechnik-Unternehmen einen Teil seiner Pro- duktion in den asiatischen Stadtstaat Singapur. Dadurch wurden am Hauptsitz von Bio- Termine Seite 80 tronik in Neukölln zahlreiche Stellen abgebaut. Bis 2022 sollen 210 Vollzeit-Arbeitsplät- Impressum Seite 95 ze und rund 170 Leiharbeiterstellen wegfallen. Der Konzern Biotronik SE ist ein weltweit Zu guter Letzt Seite 96 Mit führender Hersteller von medizintechnischen Produkten zur Elektrotherapie des Herzens Hauptstadt und vaskulären Intervention. kalender Mehr über neue Entwicklungen und Ansiedlungen in Berlin unter: für Wirtschaft www.projektzukunft.berlin.de & Politik 4 5
Die Berliner Start-up-Szene Innovativer Gründergeist in der Hauptstadt Nirgendwo in Deutschland floriert die Start-up-Szene mehr und auch innerhalb Europas zählt Berlin trotz großer Konkurrenz zu den bedeutendsten Start-up- Hochburgen. Denn fast jeden Tag wird hier ein Jungunternehmen gegründet, das sich mit neuartigen Ideen auf dem Markt beweisen will. Sei es in den Bereichen Software, Dienstleistungen oder Mobilität, es ist alles dabei. Die BERLINboxx hat sich die Szene genauer angeschaut und stellt in jeder Ausgabe drei Start-ups vor, die aktuell besonders auf Resilient Resident sich aufmerksam machen. Mehr Raum für nachhaltige Projekte im knappen Wohnungsmarkt schaffen? Das Start-up Resilient Resident macht Dächer zu innovativen Gestaltungsflächen und möchte hochfunktionale Module für den Anbau von Nutzpflanzen oder auch als Erholungsort darauf bauen. Das GreenTech-Unternehmen ermöglicht, viele Aspekte unseres täglichen Lebens neu zu lokalisieren und vorhandenen Beazy Platz in der Stadt sinnvoll zu nutzen. resilient-resident.com Die Mission des Start-ups ist es, Kreativen zu helfen, Fotos: Ovidiu Dumitra, Julia Besson; Johannes Müller, Sebastian Siebel; Leo Seidel von Fotodesign ein zusätzliches Einkommen zu gene- Careloop rieren. Zur Unterstüt- Die Pandemie hat den Pflegekräfte- zung vermietet es als Mangel in den Fokus gerückt. Das Vermittlungsplattform Start-up Careloop möchte dieser Equipment wie Kameras Herausforderung durch Vermittlung und Objektive sowie auch zwischen ausländischen Pflegekräften professionelle Studios und und Kliniken sowie Pflegeeinrich- Apartments. Sie verstehen sich tungen in Deutschland begegnen. als Community engagierter Kreativer. Mit ihrer gleichnamigen Onlineplatt- Mit regelmäßigen Meet-ups, Fotowanderungen, form revolutionieren sie den Rekru- Workshops und Vorträgen bringen sie die tierungsmarkt im Gesundheitswesen. Kreativen zusammen und voran. Einen Job in der Pflege finden und www.beazy.co das ohne große Bewerbung. careloop.io 6 7
Politik Der Ehrgeizige Porträt Kai Wegner, Spitzenkandidat der CDU Berlin Kai Wegner beschreibt sich selbst als Ber- CDU und der Jungen Union und wurde ein liner mit Leib und Seele. Sein Ziel ist es, Jahr später Vorsitzender der Schülerunion. das Rote Rathaus wieder mit der CDU zu Zu seinen Aufgaben gehörte es, im Ostteil besetzen. Von einer absoluten Mehrheit ist der Stadt Kreisverbände für die Schülerunion die Berliner CDU dieser Tage weit entfernt zu gründen. Dadurch war er viel in Ostber- und wird auf einen Koalitionspartner zu- lin unterwegs. Seine Heimat war und ist das rückgreifen müssen. grüne, wasserreiche Spandau, aber wenn er etwas erleben wollte, fuhr er in die Metropo- In diesem Jahr kandidiert Wegner nicht le Berlin und genau dieser Gegensatz macht mehr für den Bundestag, denn er will Re- Berlin noch heute für ihn aus. gierender Bürgermeister von Berlin wer- „Wir müssen die großen Chancen Berlins endlich konsequent nutzen und ein neues Miteinander den. Er möchte die Chancen der Stadt end- Nach seinem Wehrdienst absolvierte Weg- schaffen. Berlin muss für die Berlinerinnen und Berliner wieder funktionieren“, erklärt Kai Wegner lich nutzen und anpacken. Doch wer ist der ner eine Ausbildung zum Versicherungs- Mensch, den die Berliner CDU ins Rennen kaufmann. Im Anschluss daran arbeitete um das Abgeordnetenhaus Berlin schickt? er in einem familiengeführten mittelstän- dischen Bauunternehmen, zuletzt bis 2002 Darüber hinaus war er von 2000 bis 2003 Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ein Berliner als Mitglied der Geschäftsleitung. Landesvorsitzender der Jungen Union Ber- und war Vorsitzender der AG Bau, Wohnen, lin und stellvertretender Landesvorsitzen- Stadtentwicklung und Kommunen der CDU/ durch und durch Dennoch blieb er immer auch politisch, in der der CDU Berlin. 2005 wechselte er in den CSU-Bundestagsfraktion. 2019 übernahm Kai Wegner ist Spandauer. Dort ist er gebo- der Jungen Union und später nur noch in Bundestag und war 2009 bis 2017 Vorsit- er schließlich das Amt von Monika Grütters ren, aufgewachsen und mit seiner eigenen der CDU, aktiv. 1995 bis 1999 war er Mit- zender der Landesgruppe Berlin in der CDU/ als Landesvorsitzender der CDU Berlin. Familie geblieben. Seine Grundschule lag di- glied der Bezirksverordnetenversammlung CSU-Bundestagsfraktion. In der gleichen rekt am Spandauer Forst – mitten im Grünen. von Berlin-Spandau. Danach ging es für Zeit war er Generalsekretär der CDU Berlin, Politik für „die Normalen” Ob er damit wirklicher Berliner sei, ist wohl ihn ins Abgeordnetenhaus von Berlin. Dort Großstadtbeauftragter der CDU/CSU-Bun- Foto: Yves Sucksdorff nach über 100 Jahren Groß-Berlin eine über- übernahm er von 2001 bis 2005 das Amt des destagsfraktion und wurde anschließend Wegner holt gern gegen die Grünen und noch holte Frage. Vor allem, wenn man in seine stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden 2017 stellvertretender Landesvorsitzen- lieber gegen den rot-rot-grünen Senat aus. Vergangenheit schaut. Als die Berliner Mauer und von 2003 bis 2005 das des wirtschafts- der der CDU Berlin. Ein Jahr später über- Kritisiert Planlosigkeit, ideologische For- fiel, war er 17 Jahre alt, bereits Mitglied der politischen Sprechers der CDU-Fraktion. nahm er die Funktion des baupolitischen derungen, Unstimmigkeiten und Verbote. 8 9
Politik Wegner ist pro Wachstum in der Stadt und gern mit Menschen ins Gespräch und in den damit wieder im Einklang mit seiner Partei. Austausch. Unterstützung bekommt er vor Ziel in Berlin muss seiner Meinung nach allem aus der Berliner Wirtschaft. Um die, eine ökologisch, soziale Marktwirtschaft insbesondere den Mittelstand, macht er sein – mit Angeboten statt Verboten. Weg- sich aktuell große Sorgen. ner will sich das Vertrauen der Berliner*in- nen, von dem er glaubt, das es durch die Wo er sich für den Bund durchaus eine Koa- vielen Streitigkeiten in der aktuellen Regie- lition aus CDU und Grünen vorstellen kann, rung verloren gegangen ist, zurückgewin- fehlt ihm für das Land Berlin die Phantasie nen. Vertrauen gewinnen, Politik für „die für Schwarz-Grün – die ist ihm hier zu links. Normalen“ machen – für die Erzieher*innen Dennoch versucht er, das Image der CDU und Polizist*innen, einheitlich handeln, vom Altherrenverein zur Großstadtpartei zu Wachstum gestalten – sind Narrative, die wandeln. Die Berliner CDU müsse diverser sich bei ihm vielfach finden. werden. Darum sollen die Senatspositionen unter ihm auch paritätisch besetzt werden. Eine Vision für Beim Öffentlichen Nahverkehr zeigt sich, die Hauptstadt dass ihm nicht bei allen Themen eine klare, Der Christdemokrat möchte für Berlin einen grundlegenden Politikwechsel Als baupolitischer Sprecher beschäftigt ihn definitive Richtung, die er von einer Regie- ein Thema besonders: Neubau. Hier zeigt rung erwartet, gelingt. Er will die Verkehr- sich, wie er die, in seinen Augen durch die steilnehmer*innen nicht gegeneinander Regierung verursachte, politisch polarisier- ausspielen. Das ÖPNV-Angebot soll wach- Es brauche ein gemeinsames Ziel für Ber- auf Bundesebene zugeschrieben wird, stehe te und gespaltene Metropole Berlin wieder sen, die Sicherheit des Radverkehrs ebenso lin und nicht immer nur den kleinsten ge- er nicht zur Verfügung. Die CDU-Mitglieder zusammenbringen will. Wegner selbst lebt und alle, die wollen, in Berlin mit dem Auto meinsamen Nenner. Berlin würde unter Wert hätten eine Verantwortung für die Partei im Eigentum und wünscht sich das auch für unterwegs sein. regiert, sind Aussagen, die von ihm vielfach und die Richtung, in die sie sich entwickle. mehr Berliner*innen. Um in Berlin mehr kommen. Für die Hauptstadt will er einen Einen konservativen Flügel brauche eine bezahlbares Wohnen zu erreichen, will er Ein steiniger Weg grundlegenden Politikwechsel und einen Volkspartei dennoch, vor allem in Bezug auf einen runden Tisch mit einem Bündnis aus neuen Politikstil. Die Berliner CDU sieht er die AfD, aber auch eine klare Haltung, so der privaten und öffentlichen Wohnungsunter- Man kann wohl mit Fug und Recht behaup- klar als Gegenmodell zu Rot-Rot-Grün. Denn Christdemokrat. nehmen sowie Genossenschaften ins Leben ten, dass Kai Wegner jemand ist, der viel in der Spandauer ist ehrgeizig und hartnäckig. rufen. Mit diesen relevanten Akteuren für Berlin rumgekommen ist und diese Stadt Auf eine politische Richtung innerhalb der Wegner findet die Vielfalt Berlins gut und den Wohnungsbau will er auf Augenhöhe kennt. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit CDU möchte er sich allerdings nicht festle- sieht in der Unterschiedlichkeit der Bezirke, ins Gespräch kommen. der Stadt sieht er als Gewinn. Er will das gen lassen und stattdessen für einen ganz mit seinen vielen kleinen Kiezen und den Vertrauen der Berliner*innen in die Regie- pragmatischen Kurs stehen. In Bezug auf verschiedenen Mentalitäten einen Gewinn. Ein gutes Beispiel, wie er künftig Themen rung zurückgewinnen. Dass er sich bei aller Lebensformen in der Stadt sei er sehr liberal, Er wolle vor allem Politik für „die Normalen“ in Berlin angehen will, ist das Tempelhofer Offenheit dennoch auf eine politische Linie bei Alters- und Kinderarmut und Bildungsge- machen, für die, die Berlin am Laufen halten. Feld. Er sieht in dem Gelände eine riesige festlegen muss, rückt manchmal etwas in rechtigkeit sehr sozial, begründet in seiner Chance. Um auch die Kritiker zu überzeugen, den Hintergrund. Seine Themen sind Wirt- eigenen Vergangenheit, da er in kleinen Immer wieder betont der Christdemokrat, brauche es für ihn vor allem eine Vision. Er schaft und Arbeitsplätze, Bauen und be- Verhältnissen aufgewachsen sei. Bei Recht- dass Berlin seine Potenziale besser nutzen sieht dort einen Stadtwald und Randbebau- zahlbare Mieten, Bildung, Mobilität, Sicher- staatlichkeit, Sicherheit und Sauberkeit sei muss – sei es im Neubau oder in der Ent- ung mit Wohnungen. Einen smarten Stadt- heit, Sauberkeit, Vereinbarkeit von Familie er wiederum sehr konsequent, erklärte er im wicklung innovativer Technologien für die teil mit bezahlbarem, alters- und familien- und Beruf, Klimaschutz und eine funktio- Foto: Photomat from Pixabay S-Bahn-Podcast des Tagesspiegels zur anste- Stadt der Zukunft. Der Anspruch Berlins gerechten Wohnen und gleichzeitig reichlich nierende Verwaltung. Für alles will er mehr henden Wahl. Ob er das Wort konservativ an müsse sein, sich mit den Metropolen Eu- Platz für Freizeitaktivitäten aller Art. Geld und mehr Personal. Hoffen wir, dass er dieser Stelle bewusst vermeidet, bleibt wohl ropas zu messen. Eine weltoffene, liberale sich damit nicht zu viel vorgenommen hat, Spekulation. Doch für einen Rechtsruck, wie Metropole Berlin auf einem sicheren Funda- Wegner bezeichnet sich selbst als Optimist sollte er der nächste Regierende Bürger- er einigen seiner Parteimitglieder gerade ment, so seine Vision. und freut sich auf den Wahlkampf. Er kommt meister von Berlin werden. (aw) 10 11
Politik Zehn Fragen Wie wollen Sie die Menschen erreichen? Digital oder persönlich? An… Natürlich nutze ich gerne auch die digitalen Formate, aber der persönliche Austausch, das Vier-Augen-Gespräch, ist durch nichts zu ersetzen. Kai Wegner Wir stehen offensichtlich vor einer Abwen- dung von der sozialen Marktwirtschaft. Wie wollen Sie den Linksrutsch, die zuneh- menden Eingriffe der Politik in das Leben der Menschen verändern? Was wollen Sie anders machen, sollten Sie Regierender Für die Wahl im Herbst hat sich die Berliner Bürgermeister werden? Welche Vision ha- CDU große Ziele gesetzt. Ihr Spitzenkan- ben Sie für Berlin? didat Kai Wegner möchte Politik für „die Rot-Rot-Grün hat die Instrumente der sozi- Normalen“ machen und sieht seine Partei alen Marktwirtschaft an vielen Stellen au- als klares Gegenmodell zu Rot-Rot-Grün. ßer Kraft gesetzt und die Stadt gespalten. Was er damit meint und wie er in Zukunft Das will ich ändern. Wir müssen die großen in Berlin Politik machen möchte, sollte er Chancen Berlins endlich konsequent nutzen Regierender Bürgermeister sein, verrät er und ein neues Miteinander schaffen. Berlin uns in 10 Fragen an… muss für die Berlinerinnen und Berliner wieder funktionieren. Wir brauchen als Fun- Wie sind Sie zur Politik gekommen? Gab dament der Vielfalt und Liberalität unserer es ein konkretes Ereignis in Ihrem Leben? Stadt einen starken und konsequenten In der Schule habe ich gerne diskutiert, ich Rechtstaat. Dann kann hier jeder nach sei- wollte aber auch anpacken und etwas bewe- ner Fasson glücklich werden. Als baupolitischer Sprecher beschäftigt ihn insbesondere ein Thema: Neubau. gen. Das hat die Junge Union mitbekommen Hier müsse Schluss sein mit der Mangelverwaltung und der Neubaumotor angeworfen werden und mich intensiv umworben. Eingetreten Mit einem wirksamen, unbürokratischen bin ich dann 1989, weil die SPD mit der Al- und umfassenden Behandlungsplan wol- ternativen Liste eine Koalition gebildet hat. len Sie die Berliner Wirtschaft aus der Kri- se holen. Wie genau sieht dieser Plan aus? Berlin hat eine ausgeprägte Start-up-Szene, Viele Investoren haben sich zurückgezo- Mehr und mehr Menschen haben das Ge- Wir brauchen einen echten Neustart der ist in den letzten Jahren im internationalen gen. Wie wollen Sie zu einem konstruk- fühl, dass sich die Politiker*innen zu viel Berliner Wirtschaf t. Dafür müssen wir Vergleich aber zurückgefallen. Deswegen will tiven Dialog mit der Immobilienbranche mit Machterhalt, Taktieren, Wahrung ei- Schluss machen mit unnötigen Vorschrif- ich zur Förderung von Start-ups eine Investi- zurückkommen? Wie den geplanten mas- gener Privilegien beschäftigen und nicht ten. Alles, was wirtschaftshemmend ist, tionsagentur aufbauen. Diese Agentur kann siven Neubau fördern? ausreichend an Bürgeranliegen arbeiten. gehört auf den Prüfstand. Am Ende geht Zuschüsse vergeben und junge Unternehmen Mietendeckel und Enteignungsdebatte ha- CDU-Kanzlerkandidatur, Listenplatz-Schar- es um Arbeitsplätze, um Ausbildungsplätze mit Wagniskapital von privaten Geldgebern ben die Wohnungskrise in Berlin verschärft. mützel etc. Wie dicht sind Sie an den Sor- und um Existenzen. fördern. Es geht darum, Wissenschaft, For- Nie war es so schwer, in Berlin eine Wohnung gen der Bürger*innen? schung und Entwicklung noch besser mit den zu finden. Wir müssen weg von der Mangel- Foto: Marcus Lenk on Unsplash Der direkte Austausch mit den Berlinerinnen Ihr Fokus liegt vor allem auf der Unter- Start-ups zu verbinden. verwaltung, den Neubaumotor anwerfen und und Berliner ist mir besonders wichtig. Der stützung des Mittelstandes. Wie sieht es starke soziale Leitplanken einziehen, die Zuspruch vieler Menschen, aber auch kritische mit den Start-ups aus? Welche Anreize Mietendeckel und Enteignungsdebatte ha- wirklich funktionieren. Das schaffen wir mit Worte, sind die Grundlage meiner Arbeit. Ich wollen Sie setzen, um den jungen Gründer- ben das Vertrauen der Immobilienunter- einem Bündnis für bezahlbares Bauen und will zuhören, entscheiden und machen. geist in der Hauptstadt zu erhalten? nehmen in die Berliner Politik erschüttert. Wohnen, mit allen Beteiligten. 12 13
Politik Eine weltoffene, liberale Metropole Berlin auf einem sicheren Fundament, so die Vision des Spandauers Eines Ihrer zentralen Themen ist die Bil- Ich will nicht 36 Milliarden Euro für sinnlose dungsgerechtigkeit. Wie wollen Sie es Enteignungen ausgeben. Ich möchte lieber schaffen, dass die Berliner Schüler*innen Geld in einen leistungsfähigen öffentlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft Dienst investieren. bessere Chancen haben? Wir brauchen eine neue Qualität und eine In Berlin sollten alle Verkehrsteilneh- Lieferando Wolt neue Verlässlichkeit. Die Berliner Bildung mer*innen schnell, sauber und sicher muss endlich wieder spitze werden. Ich will vorankommen, so ist es auf Ihrer Web- eine Berliner Bildungsgarantie, damit alle site nachzulesen. Sie schließen dabei Schüler bestmöglich gefördert werden. Au- die öffentlichen Verkehrsmittel ebenso ßerdem brauchen wir die Vorschule und die ein wie das Fahrrad und das Auto. Wie Lehrerverbeamtung, um im Wettstreit um die wollen Sie all diese Verkehrsteilneh- besten Köpfe zu bestehen. mer*innen zusammenbringen? Foto: Stefaan Van Parys on Unsplash Verbote, Zwang und Bevormundung im Stile Mehr qualifiziertes Lehrpersonal, mehr von Rot-Rot-Grün sichern keine nachhal- Polizist*innen, mehr Verwaltungsmitar- tige Mobilität. Ich setze auf pragmatische beiter*innen – die Berliner CDU will das Lösungen und ein Miteinander aller Mobi- Personal im öffentlichen Dienst ordentlich litätsträger. Wir brauchen attraktive Ange- aufstocken. Doch wie? Und wo sollen die bote und müssen insbesondere den ÖPNV finanziellen Mittel dafür herkommen? massiv stärken. (aw) 14 15
Politik Zwiegespräch Manuel Wiemann Volker Krane Autostadt Berlin? Es geht auf/um ➥ ➥ Nahverkehrsnetz. Deswegen ist die para- doxe Situation entstanden, dass in Berlin nicht nur NGOs und Grüne, sondern auch gleichberechtigt mit Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen mitgedacht wer- den? Werden in Ihren Augen durch diesen Junge Union und sogar der ADAC weniger Vorstoß die Berliner Verkehrsteilneh- die StraSSe Autos fordern. Allen ist klar, dass mehr Le- mer*innen gegeneinander ausgespielt? bensqualität nur mit weniger Autos möglich ist. Dafür liefern wir einen zukunftsweisen- Wiemann: Auch wenn der Name „auto- den Vorschlag. frei“ provokant klingt: Das Auto kommt wei- Der Kampf um die Straßen Berlins hat gerade erst begonnen. So scheint es, wenn man in den ter zum Einsatz, wo es notwendig ist. Hand- vergangenen Monaten die Berichterstattung in der Hauptstadt verfolgt hat. Fußgänger*innen Krane: Eine vollkommen autofreie Innen- werker, Lieferverkehr, Krankenschwestern gegen Radfahrer*innen, Radfahrer*innen gegen Autofahrer*innen und dazwischen der Wirt- stadt ist aus Sicht des ADAC Berlin-Bran- bei Nacht, aber auch Feuerwehr und Men- schafts- und der öffentliche Nahverkehr. Sie alle wollen täglich von A nach B kommen und das denburg fernab jeder Realität. Die Men- schen mit Mobilitätseinschränkungen wer- in einer Millionenstadt wie Berlin. Die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ möchte nun Fotos: Initiative Volksentscheid Berlin autofrei/CC by-sa 4.0; Uwe Klössing/Hoffotografen schen haben ein hohes Bedürfnis nach Mo- den schneller und staufrei im Auto ans Ziel in dieser hitzigen Debatte von „Wer darf wo fahren?“ durchsetzen, dass das Auto fast komplett bilität, welches sich (noch) nicht durch den kommen. Gleiches gilt für den privaten Um- aus der Innenstadt verschwindet. Die BERLINboxx hat Manuel Wiemann, einen Sprecher der Umweltverbund allein decken lässt. Um dies zug oder den Ausflug nach Brandenburg. Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ und Volker Krane, Vorstand für Verkehr beim ADAC zu ändern, müsste der öffentliche Verkehr Berlin-Brandenburg zum Zwiegespräch zum Thema autofreies Berlin gebeten. im gesamten Stadtgebiet erheblich ausge- Dadurch stellen wir die individuelle Mobili- baut sowie Radinfrastruktur und Gehwege tät in den Mittelpunkt, statt wie bisher das erneuert, verbessert und sicherer gemacht Auto. Denn obwohl der Kfz-Verkehr kaum Ist Berlin bereit für aufgebaut worden. Ist die Hauptstadt werden. Angebote statt Verbote lautet hier Menschen innerhalb des S-Bahn-Rings be- bereit für diesen radikalen Umschwung? unsere Devise. wegt, nimmt er fast 60 Prozent der Fläche einen Spurenwechsel? Wiemann: Berlin hat die besten Voraus- ein. Diesen Raum möchten wir zurückge- Die Initiative „Volksentscheid Berlin au- setzungen, um Vorreiter für die Verkehrs- Gleichberechtigtes winnen. Wir wollen, dass Eltern wieder tofrei“ möchte den privaten Autoverkehr wende zu werden: Schon jetzt sind über die nebeneinander Kinderwagen schieben kön- im gesamten Berliner S-Bahnbereich weit- Hälfte der Haushalte ohne eigenes Auto Mobilitätskonzept nen, statt über schmale Gehwege stolpern gehend verbieten und damit die weltweit mobil. Innerhalb des S-Bahn-Rings werden In Berlin sind rund 1,2 Millionen Autos zu müssen. Auch ältere Menschen sollen größte autoreduzierte Zone schaffen. Pkw nur für 17 Prozent der Wege genutzt! angemeldet. Braucht es da nicht auch ein sich wieder aufs Rad trauen. Wir möchten Nach dem zweiten Weltkrieg ist vor allem Und auch wenn die BVG manchmal auf integratives Mobilitätskonzept, in dem ein menschenfreundliches Berlin, in dem West-Berlin als Stadt für den Autoverkehr sich warten lässt, haben wir ein sehr gutes Auto-, Wirtschafts- und Lieferverkehre Kinder selbstständig und sicher zur Schule 16 17
Politik Zwiegespräch Manuel Wiemann Volker Krane ➥ gehen können. Daran misst sich Freiheit – und nicht daran, ob ich eine Spritztour durch die Innenstadt machen darf. den Individualverkehr zukunftsfähiger zu gestalten, indem emissionsfreie Pkw ge- fördert werden? Wiemann: Wir brauchen beides: Eine ➥ einmal vielerorts besteht, zu mindern. Ein starker, zuverlässiger ÖPNV ist hier das A und O. Zudem könnte schon jetzt oder zumindest mittelfristig der Berliner Autoverkehr effek- gelingen, mehr motorisierte Pendler*innen zu motivieren, auf den ÖPNV umzusteigen? Wiemann: Unser Gesetz würde ab 2027 zu einer autoarmen Innenstadt führen. Bis Krane: Ein Mobilitätskonzept für ALLE Antriebswende und eine Verkehrswen- tiv reduziert werden, in dem das P+R-An- dahin kann das Busnetz verdichtet und das Berliner*innen, also auch für alle Verkehrs- de durch weniger Autos. Neuzulassungen gebot (Park + Ride) im Speckgürtel und im Tramnetz vor allem in West-Berlin stark er- gruppen, ist sehr wichtig. Darauf haben wir müssen baldmöglichst elektrisch sein. Aber Land Brandenburg endlich ausgebaut wird. weitert werden. Busse und Trams kommen unter anderem in der Diskussion um das das reicht nicht aus: Auch Elektroautos schneller ans Ziel durch weniger private Berliner Mobilitätsgesetz wiederholt hin- verursachen Feinstaub durch Reifenabrieb, Viele der 150.000 Menschen, die tagtäglich Autos. gewiesen. rauben der Stadt wertvollen Platz, verlet- mit ihrem Pkw in die Hauptstadt pendeln, zen und töten Menschen. Wir müssen den könnten ihr Auto auf diese Weise vor den Allerdings steigt niemand freiwillig aufs Rad Die Initiative „Berlin autofrei“ macht letzt- Kfz-Verkehr deutlich reduzieren, um wieder Toren der Stadt stehen lassen. Doch trotz oder in die Bahn, wenn er oder sie auch be- endlich – auch wenn etwas rabiater – den durchatmen zu können. dieses Bedarfs wird der Senat nicht tätig. quem und billig mit dem Auto fahren kann. gleichen Fehler wie der Senat: sie will die Deswegen sagt die Verkehrsforschung: Die Verkehrswende in Berlin mit Verboten und Krane: Man muss zum Teil unterscheiden In eine ähnliche Kerbe schlägt auch unsere Pkw-Nutzung muss unattraktiv werden – le- Einschränkungen vorantreiben – komme, zwischen Maßnahmen, die dem Klimaschutz Forderung, endlich ein gutes Parkraumma- diglich Anreize reichen nicht für den Aus- was wolle. Egal, was das für viele Men- dienen und Maßnahmen, die den Verkehr nagement mit Parkleitsystem, in das auch stieg aus dem Auto. Als Autolobby-Verband schen bedeuten würde. Dem Ziel eines selbst zukunftsfähig machen. Emissionsfreie die vorhandenen Parkhäuser integriert will der ADAC dies natürlich mit Händen und „harmonischen Miteinanders“ aller Ver- Pkw und „grüne“ Kraftstoffe zu fördern und werden, in Berlin aufzusetzen, um den mas- Füßen verhindern. Aber wir müssen uns fra- kehrsträger*innen und einer nachhaltigen die entsprechende Infrastruktur auszubau- siven Parksuchverkehr zu reduzieren. Erst, gen, wie wir die Verkehrswende sozial und Verkehrswende wird auf diese Weise sicher en, erachten wir als unumgänglich für eine wenn diese offensichtlichen Probleme ge- zukunftsfähig gestalten. Dafür liefert der nicht gedient, im Gegenteil. umweltfreundliche Mobilität. Das beweist löst wurden, kann über einen sukzessiven Volksentscheid einen sehr durchdachten auch unsere Kooperation mit der BTU Cott- Rückgang des privaten Autoverkehrs nach- und konkreten Vorschlag. Zukunftsfähiger bus, die sich der Erforschung „grünerer“ gedacht werden. Kraftstoffmischungen verschrieben hat. Krane: Die Ausweitung des P+R-An- Individualverkehr gebots, ein stadtumfassendes Parkraum- Motivation zum Umstieg Elektro, Brennstoffzelle, Hybrid – neben Doch der Verkehr wird durch emissionsfreie- management und der Ausbau des ÖPNV-An- reinen Verbrennern gibt es bereits Alter- oder ärmere Pkw nicht weniger. Hier müs- Die Umwelt profitiert stark davon, wenn gebots in puncto Kapazität und Taktung nativen oder es wird daran geforscht. Wir sen parallel zur Technologieentwicklung weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind die wichtigsten Stellschrauben, an de- haben die beiden Herren gefragt, was sie endlich Angebote geschaffen werden, um sind. Dies ist wohl der zentrale Gedanke nen es zu drehen gilt. Was vor dem Hinter- von dem Vorschlag halten, stattdessen die Abhängigkeit vom privaten Pkw, die nun der Initiative. Wie kann es in Ihren Augen grund der COVID-19-Pandemie zudem nicht 18 19
Politik Zwiegespräch 22. Jahrgang Bleiben Sie vernetzt. Hybride Termine in Wirtschaft und Politik, News und Trends Berlins große Straßen sind geprägt von dichtem Autoverkehr. Das soll sich ändern – aber wie? Darüber diskutieren die Hauptstädter*innen noch vergessen werden darf: BVG und Deutsche die Umsetzung verschleppt. Deswegen Bahn müssen das verlorene Vertrauen der nehmen wir die Verkehrswende selbst in Fahrgäste und die Fahrgäste selbst wieder die Hand und setzen uns für saubere Luft zurückgewinnen. Dies geht nur mit einem und Freiräume ein: Wir möchten, dass alle durchdachten und umfassenden Hygiene- Berliner*innen abstimmen können, wie das Konzept, das langfristig - auch nach Corona Berlin der Zukunft aussieht! - verfolgt werden muss. www.BERLINboxx.de Krane: Es zeigt sich, dass der Pkw-Bestand Berliner sogar weiter zunimmt, nur nicht in dem Aus- maß, wie es die Berliner Bevölkerung tut. Mobilitätsgesetz Umso wichtiger ist es, auch wenn es für viele 2018 wurde das Mobilitätsgesetz be- einfacher erscheint, die Fahrzeughalter*in- schlossen. Immer weniger Berliner*innen nen in der Verkehrswende nicht zu vergessen haben ein eigenes Auto – der Motorisie- oder gar per Verbot auszusperren. rungsgrad sinkt. Braucht es da überhaupt die Initiative? Ist es nicht fast ein natür- Der große bürokratische Aufwand, den ein Foto: Ernest Ojeh on Unsplash licher Prozess, dass immer mehr private solches Verbot mit sich ziehen würde, stün- Pkw aus dem Stadtbild verschwinden? de in keiner Kosten-Nutzen-Relation. Die Wiemann: Das Gegenteil ist der Fall. Die Berliner*innen sollten nicht bevormundet Gesamtzahl der Autos steigt noch immer. werden, sondern selbst entscheiden kön- Auf der Straße macht sich das Mobilitäts- nen, welches Verkehrsmittel sie künftig gesetz kaum bemerkbar, weil der Senat nutzen. Dies ist ihr gutes Recht. (aw) 20 21
Politik Traufhöhe ade und andere frische Ideen Porträt Heike Schmitt-Schmelz, Stadträtin und SPD-Bürgermeister- kandidatin im City-Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf Mutige und unkonventionelle Ideen formu- Und dann sind da noch die großen Entwick- lierte Heike Schmitt-Schmelz im Interview lungsgebiete wie das ehemalige Reemts- mit Frank Schmeichel, Verleger BERLIN- ma-Areal, wo ein ganz neues Stadtquartier boxx, zum Beispiel im Hinblick auf die entstehen soll für mehr als 10.000 Arbeits- Baurichtlinien im Bezirk. Politik und In- plätze. Hier könne sich Wirtschaft, Wissen- vestor sollten sich zukünftig für kreativen schaft und vielleicht auch Wohnen zu einem Lösungsansätze offener zeigen und nicht lebendigen Quartier entwickeln. an der alten Traufhöhe, die in B-Plänen aus den 1950er Jahren als Maßstab dient, Auch bei den drängenden Verkehrsproble- Mit „Flitzi“, dem Öko-Flitzer und mobilen Wahlkampfstand, festhalten. So könne deutlich über sieben men strebt die kreative Kandidatin unkonven- geht Heike Schmitt-Schmelz auf Tour im Bezirk Stockwerke geplant werden. Verdichten in tionelle Lösungen an. So sieht sie den Bezirk die Höhe, nannte das die Bürgermeis- zukünftig als Modellbezirk für eine intelli- terkandidatin von Charlottenburg-Wilm- gente und stadtverträgliche Logistik. Trans- hat, soll den Wirtschaftsstandort weiter und die jüdische Tradition, die mit dem von ersdorf. Allerdings dürfe das nicht allein portfahrzeuge sollten die Busspur benutzen stärken, genauso wie eine engere Zusam- der Kantorin Avitall Gerstetter initiierten zugunsten der Gewinnmaximierung des dürfen, wenn sie verantwortungsbewusst die menarbeit zwischen Wirtschaft und Hoch- Kampagne für einen jüdischen Leuchter auf Investors geschehen, sondern auch die Fahrradfahrerinnen beachten. Insgesamt schulen. Der Wissenschaftsstandort kann dem Kurfürstendamm bald ein neues Sym- Bürger müssten was davon haben. So kann müsse der Verkehr menschengerechter wer- noch deutlich mehr genutzt und im Bezirk bol erhalten wird. sie sich gut vorstellen, dass die Preise in den und der ÖPNV deutlich umweltgerechter. vernetzt werden. Für Charlottenburg-Wil- den Dachgeschossen durchaus höher seien, mersdorf wünscht sich Schmitt-Schmelz, Heike Schmitt-Schmelz ist eine zielstrebi- dafür müsse aber Wohnraum in den unte- Eine starke Verwaltung ist für Schmitt- dass die Stadt mit dem studentischen Le- ge, offene und ideenreiche Politikerin, die ren Geschossen bezahlbar bleiben. Durch Schmelz ein Augenmerk. Alle Leistungen ben ins Pulsieren kommt. Die Mutter zweier seit 15 Jahren in der Bezirksverordneten- mehr Kooperation mit den Kommunen aus einer Hand sei ein Ziel, flankiert durch schulpflichtiger Töchter will sich auch für versammlung arbeitet und seit fünf Jahren lässt sich im dichtbesiedelten Innenstadt- eine Stellenoffensive und eine stärkere Ser- eine Verbesserung der Bildungsstandorte als Stadträtin für Jugend, Familie, Bildung, bezirk zusätzlicher Wohnraum schaffen. vice- und Bürgerorientierung. einsetzen und insgesamt mehr Vernetzung Sport und Kultur überparteilich anerkann- schaffen zwischen den gesellschaftlichen te sozialdemokratische Politik macht. Als Das klingt nach Partnerschaft statt Geg- Die gute und konstruktive Zusammenarbeit Bereichen. Der große Vorteil ihres Bezirks, Nachfolgerin für den beliebten Reinhard Foto: privat nerschaft wie heute zumeist das Verhältnis mit den Unternehmen und Interessengrup- wo die gelernte Facherzieherin für Integra- Naumann ist sie sicher eine exzellente zwischen Politik und Bauherr bestimmt ist. pen wie der AG City, für die sie nur gute Worte tion aufgewachsen ist, sei die Weltoffenheit Wahl. (fs) 22 23
Titel Wie erfindet sich der Kunstmarkt neu? Berlin ist bekannt für seine Kunst- und Kulturszene. Sie ist Motor der Stadt. Die Kreativität, die von Ihren Akteur*innen ausgeht, strahlt in alle Branchen und Bereiche. Doch wie geht es dem Kunstmarkt aktuell? Die BERLINboxx hat die Foto: Jeanchristophe Lett, bbk berlin Teilnehmer*innen selbst gefragt. Heidi Sill, berufsverband bildender künstler*innen berlin 24 25
Titel Kunst markt 2.0? „Ein ganzes System kann kippen, wenn offener für neue Formate – muss es werden. sich nur eine Winzigkeit ändert. Das ist in „Die Stimmung in der Berliner Kunstszene einem Bild so, das ist in der echten Welt ist, wie sie immer war: Sie schwankt zwi- Berlin ist ein Ort, wo in vielfältiger Weise Kunst entsteht – die so“, sagte Katharina Grosse, Künstlerin schen ‚hoffnungslos, aber nicht ernst‘ und Anziehungskraft für junge Kunstschaffende ist ungebrochen von Weltrang, im Sommer 2020 anlässlich ‚ernst, aber nicht hoffnungslos‘. Insofern ihrer fulminanten Ausstellung „It wasn’t bleibt alles beim Alten: Man tut so, als wäre us“ im Hamburger Bahnhof. man der Nabel der Kunstwelt, und hofft da- rauf, dass es einem genug Leute abnehmen vieles im Umbruch, was wir uns in dieser und die Rechte der Kunstschaffenden – Corona hat den Kunstmarkt in Berlin nicht und niemand den Bluff merkt. Aber funk- Titelgeschichte näher anschauen wollen. besonders auch in der Krise. „Das gesell- einschneidend geschädigt, aber sehr wohl tioniert so nicht der gesamte Kunstmarkt? schaftliche Leben in Berlin ist wesentlich aus dem Takt gebracht. Vieles, was bis zum Und zumindest in Berlin klappt diese Eigen- von Kunst und Kultur geprägt. Kunst und Stadt der März 2020 unumstößlich schien – Auktio- blut-Therapie und Selbstbestätigung noch Künstler*innen waren von der „Bühne“ der nen, Ausstellungen und Galerieveranstal- ganz gut“, beschreibt Markus Peichl von der Künstler*innen Stadt verbannt, das kulturelle Leben exis- Foto: RhondaK Native Florida Folk Artist on Unsplash tungen in Präsenz oder auch der Verkauf Galerie Crone die Lage. Die Stimmung ist Für die Attraktivität der Kunststadt Berlin tiert seit über einem Jahr nicht mehr, wie per Handschlag in Persona – war nicht mehr also verhalten optimistisch. Finanzstarke sind nicht in erster Linie die Messen und wir es kennen, und die Menschen sind ihrer möglich. Ob dies alles in seiner alten Form Käufer*innen gibt es auch. ähnliche Formate prägend, sondern die kulturellen Auseinandersetzung beraubt. wiederkommen wird, ist zum jetzigen Zeit- Kunstschaffenden selbst. In der Spreemet- Umso deutlicher wurde, dass Arbeits- und punkt noch nicht klar zu sagen. Es ist viel- Digitalisierung? Auch in der Kunstszene ropole arbeiten aktuell etwa 8.000 bildende Lebensbedingungen der Künstler*innen mehr die Rede davon, dass die Pandemie ist sie nicht aufzuhalten. Der Kunstmarkt Künstler*innen. Ihre Belange werden un- stabilisiert und stetig verbessert werden eine Chance zur Selbstreinigung und Kor- wird digitaler. Präsentiert wird nun auch im ter anderem vom berufsverband bildender müssen. Wir als bbk berlin stehen hierzu in rektur eines überhitzten Kunstmarktes ist. In virtuellen Raum und bei Instagram – Auk- künstler*innen berlin (bbk Berlin) vertre- der vordersten Reihe“, erläutert Heidi Sill, jedem Fall wurde ein Strukturwandel einge- tionen finden online live statt. Es kommen ten. Der Verband kämpft seit seiner Grün- Sprecherin des berufsverbands bildender leitet. Die Kunstwelt wird vielschichtiger und neue Formen des Schaffens auf. Es ist also dung 1950 für bessere Arbeitsbedingungen künstler*innen berlin. 26 27
Titel unmittelbar von der Pandemie betroffen. nator, teilweise von der Förderkommission Sie mussten sich mit Verdienstausfällen, Bildende Kunst begleitet. Mitglieder der unbezahlten Vorleistungen und zeitrauben- Kommission sind Vertreter*innen der Ber- den Nebenjobs auseinandersetzen, statt liner Sammlungen zeitgenössischer Kunst. ihrer ureigenen Arbeit, der Schaffung von Aktuell gehören dazu: der Neue Berliner Kunst, nachgehen zu können. Kunstverein e.V. (n.b.k.), das Stadtmuse- um Berlin, das Kupferstichkabinett und die Berlinische Galerie (BG) sowie ein weiteres Staatliche Förderungen freies Mitglied. „Erworben werden auf die- Ankaufsetats für Bildende Kunst sind gute sem Weg ausschließlich Werke der zeitge- Möglichkeiten, wie der Staat durch be- nössischen Kunst von in Berlin lebenden stimmte Strukturen Künstler*innen un- Künstler*innen. Bei der Auswahl der Werke terstützen kann, die über Stipendien und berücksichtigen die Vertreter*innen der In- andere Förderstrukturen hinausgehen und stitutionen, die jeweiligen Sammlungsziele außerdem eine Sichtbarkeit für die Werke und Sammlungsgrundsätze ihrer Häuser zu schaffen. Denn mit den Etats werden die sowie die künstlerische Qualität. Ziel ist Werke tatsächlich gekauft oder zur Auffüh- es gleichmäßig Frauen und Männer zu för- rung gebracht. Doch wonach entscheidet dern“, erklärt Lederer. sich, welche Kunstwerke von den Berliner Museen gekauft werden? Kultursenator Ankaufsetats für Berliner Museen bestün- Klaus Lederer sagt dazu: „Unsere Berliner den nur im Hinblick auf den Ankauf von Museen sind weitüberwiegend rechtlich zeitgenössischer Kunst aus Berlin, so Le- selbständige Kultureinrichtungen, die ei- derer. „So hat die Förderkommission vorbe- genständig über den Erwerb von Kunst- haltlich der Zustimmung des Stiftungsrats Markus Peichl, Galerie Crone werken entscheiden. Dabei müssen für das der Lotto Stiftung Berlin jährlich einen Etat jeweilige Museum die für dieses Haus gel- von 250.000 Euro zur Verfügung. Diese tenden Regeln über den Ankauf eingehalten Summe wird aufgeteilt und steht für Samm- werden. Zum Teil ist also ein entsprechen- lungsankäufe dem n.b.k., dem Stadtmuse- Künstler*innen brauchen einen Raum, eine Selbstverständlichkeit sein – in der des Aufsichts- oder Beratungsgremium des um Berlin, dem Kupferstichkabinett und in wo sie ihre Kreativität ausleben können, Kunst ist sie es nicht“, kritisiert Sill. Vorbe- jeweiligen Hauses in den Entscheidungs- geringer Höhe der BG zur Verfügung. Die BG ein Atelier. Von der Branche wird darum reitungszeiten sind häufig gar nicht vergü- prozess einzubeziehen. Von entscheiden- verfügt seit dem Doppelhaushalt 2016/17 immer wieder gefordert, dass langfristige tet ebenso das Verfassen von Anträgen und der Bedeutung sind die Aufgabe bzw. der über einen eigenen jährlichen Ankaufse- Programme initiiert werden, die eine ver- Konzepten. Darum strebt der Verband eine Zweck des jeweiligen Museums und das tat in Höhe von 250.000 Euro. Dieser ist stärkte Nutzung des Leerstandes durch Regelung für Mindesthonorare für Künst- hierauf gründende Sammlungskonzept. Es zweckgebunden für den Erwerb von zeit- Schöpfer*innen von Kunst und Galerist*in- ler*innen auf Bundesebene an. ist grundsätzlich davon auszugehen, dass genössischer in Berlin produzierter Kunst“, nen im Blick haben. Auch müsse die Künst- sich die Berliner Museen an professionelle beschreibt der Senator. ler*innenförderung neu gedacht werden. Von den coronabedingten Absagen der Standards halten und sich somit beim An- „Künstler*innen sind ständig gefordert, Ausstellungen und Schließungen der Ga- kauf von Kunstwerken an den Kriterien der Was die Galerien betrifft, sind auch sie ihre Strategien für das Überleben zu sichern lerien waren diejenigen Künstler*innen Leitfäden des Deutschen Museumsbundes durch staatliche Unterstützung bisher gut und zu entwickeln. Dazu gehört besonders am stärksten betroffen, die sich noch nicht bzw. des International Council of Museums durch die Krise gekommen. Keine musste, Foto: Crone Wien GmbH/Galerie Crone ein sicherer Arbeitsplatz, gute Bedingun- zur etablierten Szene zählen können. Die (ICOM) orientieren. Insofern spielen Fragen trotz gravierender Umsatzeinbußen, dau- gen für eine kontinuierliche, künstlerische Zeit war mit vielen Unsicherheiten für sie des Zustands eines Kunstwerkes, ggf. sei- erhaft schließen. Besonders schwierig war Arbeit mit niederschwelligen Zugängen zu verbunden, weitere Planungen wurden ner Provenienz, des Schließens von Lücken die Situation für international tätige Ga- Werkstätten und Ausstellungsorten so- sehr schwierig. Nicht selten standen Aus- in der Sammlung eine große Rolle bei der lerien bzw. für jene, die junge, noch nicht wie die ungefährdete Kranken- und Renten- stellungen monatelang in geschlossenen Entscheidungsfindung.“ Anders sieht es renommierte Künstler*innen vertreten. versicherung in der KSK“, erklärt Sill. „Be- Institutionen. Insbesondere freischaffende aus, wenn es um den Ankauf zeitgenössi- Dennoch wurden die vergangenen Monate zahlung von geleisteter Arbeit ist und muss Künstler*innen waren trotz der Soforthilfen scher Kunst geht. Diese werden, so der Se- von vielen Galerien vor allem für eine ein- 28 29
Titel gehende Reflexion über die Galerietätigkeit schen Kunsthandel auf dem internationalen genutzt. Die Entschleunigung des Kunst- Markt erheblich geschwächt. Denn die Erhö- marktes hat bei einigen dazu geführt, dass hung macht es für Sammler*innen günsti- Kontakte zu Galerist*innen, Kurator*innen ger, Kunstwerke beispielsweise in Frankreich und Sammler*innen national und interna- zu kaufen. Hinzu kommt: Der Einkaufetat tional intensiviert wurden. Ebenso ist das vieler Museen ist nur klein. Thema Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt. Beispiele dafür sind das Ausstellungspro- Gerade einmal 12 Prozent der Berliner Gale- jekt K60 und die Initiative Gallery Climate rien erwirtschaften einen Jahresumsatz von Coalition – ein Zusammenschluss verschie- mehr als einer Million Euro. Bei 50 Prozent dener Berliner Galerien, der sich für mehr liegt er bei unter 100.000 Euro und bei 35 Nachhaltigkeit im Kunstbetrieb einsetzt. Prozent unter 50.000 Euro. So ein Ergebnis einer repräsentativen Online-Umfrage, die GröSSter Galerie- der Verein Berliner Kaufleute und Indus- trieller (VBKI) 2019 gemeinsam mit dem standort Europas Landesverband Berliner Galerien (lvbg) Berlin ist mit mehr als 300 Galerien der gemacht hat. Also in einer Zeit, in der die dichteste Galeriestandort in Europa. Doch Corona-Pandemie noch weit entfernt war. in der hiesigen Szene fehlen große inter- national renommierte Adressen und Auk- Doch trotz all dieser Entwicklungen gibt es tionshäuser. Die Akteur*innen kritisieren sie noch immer – die Galerist*innen mit immer wieder die fehlende Anerkennung einem optimistischen Blick in die Zukunft: des Kunstmarktes und ein dezidiertes Ver- „Ich blicke immer positiv in die Zukunft. Als ständnis seines Wirkungsfeldes. Kind der 1980er Jahre halte ich es mit dem Virtual Reality, Augmented Reality, Optimismus-Mantra von Dame Edna Everage: Apps – diese Technologien sind heute Lange Zeit funktionierte der Kunstmarkt Expect the worst, hope the best and take auch Teil moderner Kunstwirklichkeit nach dem gleichen, einfachen Schema: what you get“, sagt Peichl. Denn während am Leben zu halten, setzt er auf Transpa- ein*e Künstler*in erschuf ein Werk, über- ihre Bedeutung als Händler*in zunehmend renz und Partizipation. „Das Ziel all meiner gab es an eine*n Galerist*in und so fand schwindet, erweitert sich heute ihr Aufga- Aktivitäten ist es, die Kunstwelt transpa- atshirts, Caps oder Küchentücher verkauft, das Werk eine*n Käufer*in. Anschließend benspektrum gegenüber den Künstler*in- renter und verständlicher zu machen. Jeder macht er auf seine Galerie und die von wurden die Einnahmen zwischen Galerist*in nen. Für die reine kommerzielle Vermittlung kann ein Insider sein. Über soziale Medien ihm vertretenen Künstler*innen effektvoll und Kunstschaffendem aufgeteilt. Gefun- eines Objektes gibt es viele Alternativen. wie Instagram und virtuelle Welten wie aufmerksam. „Last but not least“ befeuert der den wurden die kunstinteressierten Samm- Doch um das künstlerische Oeuvre des Pro- Decentraland erreiche ich ein neues Publi- Umtriebige täglich seinen Instagram-Kanal. ler*innen über Ausstellungen und Messen. gramms auch inhaltlich zu vermitteln bis das kum, das vielleicht erst einmal nicht in eine künstlerische Schaffen ausgereift ist und es Galerie gehen würde, weil Berührungsängs- König ist sicher ein Pionier der Branche. Doch gerade in der Hauptstadt gibt es kaum von Museen in ihre Sammlung aufgenommen te da sind“, erklärt Galerist Johann König. Als der Galerist vor einigen Jahren erstmals Messen, neue lassen sich nur schwer imple- wird, braucht es Zeit und die Unterstützung Er sieht die Galerie nicht mehr als engen Preisschilder neben die Werke hing, galt es mentieren und die Corona-Pandemie hat von Galerist*innen. Zirkel, in den nur wenige, ausgewählte Ku- als Tabubruch, heute setzt sich dieses Vor- auch international die Messen zumindest in rator*innen und Sammler*innen dürfen, gehen mehr und mehr durch. Auch haben Präsenz zum Erliegen gebracht. Zudem hat sondern macht sie zum Ort für alle und zur bereits andere Galerien begonnen, Editio- Marketinggenie König die Digitalisierung eine direktere Kommuni- Brand itself. Er will die Kunst aus dem stil- nen über Onlineshops zu verkaufen. Foto: Billetto Editorial on Unsplash kation zwischen Künstler*innen und Samm- Einer, der wie kaum ein zweiter für einen len Kämmerlein holen. Mit seinen spektaku- ler*innen möglich gemacht. Wandel in der Branche steht, ist der Gale- lären Ausstellungsräumen – der ehemaligen Als die Art Basel letztes Jahr ausfiel und das rist Johann König. Jeden Tag wartet er mit Kirche St. Agnes in Kreuzberg –, einem ge- Gallery Weekend verschoben wurde, stellte Ein großes Problem stellt zudem immer noch einer neuen Idee auf. Statt Konservatismus druckten Magazin, einem Podcast und dem er – Marketinggenie, das er nun mal ist, in die Mehrwertsteuererhöhung aus Jahr 2014 und Elitismus, die lange das vorherrschen- Editionshandel „Koenig Souvenir“, über schönster Doppeldeutigkeit kurzerhand die von 7 auf 19 Prozent dar. Sie hat den deut- de Momentum der Branche waren, künstlich den er von Künstler*innen gestaltete Swe- ‚Messe in St. Agnes‘ (MISA) in seinen ehemals 30 31
Titel aufstrebende Künstler*innen als auch eta- gen. Viele Galerien haben die vergangenen blierte Positionen sehen. Manch einer, der Monate genutzt, um ihr digitales Angebot kam, weil er sich für ein Gemälde von Lee auszubauen oder zu optimieren. Online- Ufan interessierte, hat am Ende vielleicht rundgänge sogenannte „Live Tours“ haben eine Arbeit von Jeppe Hein gekauft“, be- es den Kunstinteressierten ermöglicht, richtet uns Lena Winter. „Für die MISA im trotz Beschränkungen durch die Galerien zu August haben wir die Ausstellungsarchitek- schlendern. „Begleitet“ wurden sie dabei tur umgebaut. Es wird nun Kojen geben, die von den Künstler*innen oder den Gale- thematische Schwerpunkte setzen. Dort rist*innen. Auch beim Gallery Weekend im präsentieren wir beispielsweise prägende Mai 2021, das nicht in seiner üblichen Form Positionen zu Themen wie ‚Junge Wilde‘, stattfinden konnte, haben sie eine zentrale ‚40er /50er Jahre‘, ‚Editionen‘ oder ‚Farbe‘. Rolle gespielt – ob auf den Webseiten der In langen Fluchten im Mittelgang zeigen wir Galerien oder ihren Instagram-Kanälen. einige Highlights aus dem Programm, da- Denn letztere wurden in den vergangenen runter Arbeiten von Albert Oehlen, Martin Monaten immer wichtiger, um den Kontakt Kippenberger, Günter Fruhtrunk, Rosemarie zu Sammler*innen und interessiertem Pu- Trockel, Leiko Ikemura. Und natürlich, blikum nicht zu verlieren. Mit Instagram da wir uns als Galerie ja auch gerade da- Stories oder Live-Stream-Talks mit Künst- mit beschäftigen, wird es eine Koje für ler*innen oder Galerist*innen werden NFTs geben, die dort auf Screens zu sehen neue Ausstellungen und die Ideen dahinter sein werden“, so Winter. Non-Fungible präsentiert. Durch Live-Stream-Talks ist Token (NFT) sind digitale Zertifikate auf vielleicht sogar ein intensiverer Austausch der Ethereum-Blockchain, die eindeutig möglich, so der Eindruck einiger Berliner einem Kunstwerk zugeordnet werden und Galerist*innen. die die Kundschaft als Besitzer*in der „Ori- ginal-Datei“ festlegen. Damit wird digitale Dass sich die Uhr nicht mehr zurückdre- Kunst fälschungssicher und handelbar. hen lässt, ist sich Galerist König sicher: „Der Kunstmarkt ist jetzt schon digitaler, Nicht alles, was aus Königs Werkstatt als er es noch vor einem Jahr war. Diese kommt, ist im Sinne der Kunst. So sehen es Entwicklung ist nicht aufzuhalten, denn seine Kritiker*innen. Auch steht die Frage NFTs beispielsweise gehen so wenig wie- im Raum, ob so viel Tamtam wirklich not- der weg wie das Internet. Ich bringe mich MISA 2020 in der König Galerie wendig ist. Doch auch wenn König immer ein und probiere Neues aus, da man nur wieder Gegenwind und Kritik mit seinen so konstruktiv neue Räume, sei es digital, oft radikalen Überlegungen bekommt, ist sei es lokal, mitgestalten kann. Ich bin er ein Taktgeber, bringt neuen Schwung in lieber hyperaktiv, statt in Schockstarre zu Foto: Roman März,courtesy of the artist and KÖNIG GALERIE Ausstellungsansicht: Messe in St. Agnes, September 2020, den Betrieb. verharren. Der Kunstmarkt wird sich lokal sakralen Räumlichkeiten auf die Beine. Er nun professionalisiert. „Die MISA wurde und digital weiterentwickeln, wie wir das lud Sammler*innen, Künstler*innen und im ersten Lockdown 2020 als Plattform gerade auf den NFT Marktplätzen wie Nifty Neue Technologien andere Galerien ein. Die erste Ad-hoc-Ver- gegründet, um Künstler*innen und auch Gateway und SuperRare sehen. Dort kaufen sion der Verkaufsausstellung war aufgrund Galerist*innen Sichtbarkeit zu bieten, die und Kunstformate nicht traditionelle Kunstsammler*innen, der Schnelligkeit, in der sie entstand noch durch die Absagen der Kunst-Messen stark In Berlin ist die Kunstszene schneller als sondern die Fans der Künstler*innen, die recht chaotisch. In Petersburger Hängung eingeschränkt war. Mit der MISA wollen wir anderswo und in der Lage, neuen Ideen über soziale Medien groß geworden sind. Berlin, London, Seoul hingen große Namen neben kleinen, eher den Primär- und Sekundärmarkt nebenein- Raum zu geben. Virtual Reality, Augmen- Und natürlich Crypto-Sammler*innen, die unbekannten Künstler*innen. Mit Lena ander präsentieren und damit zeigen, dass ted Reality, Apps – diese Technologien oft aus der Tech-Branche kommen und Winter als Direktorin, zuletzt bei Grisebach die beiden Märkte einander bedingen. So werden Teil moderner Kunstwirklichkeit. einen anderen Zugang zur Kunst haben. und Ketterer tätig, wird das Format in 2021 können Besucher*innen sowohl ganz junge Corona hat viele digitale Formate erzwun- Diese neuen Sammler*innen sind Teil der 32 33
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