TRANSFER - HERAUS-FORDERUNG ÖKOSYSTEM DER ZUKUNFT - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 01|21
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STEINBEIS: PLATTFORM FÜR ERFOLG Steinbeis ist mit seiner Plattform ein verlässlicher Partner für Unter- nehmensgründungen und Projekte. Wir unterstützen Menschen und Organisationen aus dem akademischen und wirtschaftlichen Umfeld, die ihr Know-how durch konkrete Projekte in Forschung, Entwicklung, Beratung und Qualifizierung unternehmerisch und praxisnah zur Anwendung bringen wollen. Über unsere Plattform wurden bereits über 2.000 UNTERNEHMEN gegründet. Entstanden ist ein Verbund aus mehr als 6.000 EXPERTEN 1.100 UNTERNEHMEN, die jährlich mit mehr als in rund 10.000 KUNDEN Projekte durchführen. So werden Unternehmen und Mitarbeiter professionell in der Kompetenz- bildung und damit für den Erfolg im Wettbewerb unterstützt. Und unser Verbund wächst stetig: Infos und Kontaktdaten unserer aktuell gegründeten Unternehmen finden Sie unter STEINBEIS.DE/AKTUELLES WIR HALTEN SIE AUF DEM LAUFENDEN TRANSFERMAGAZIN.STEINBEIS.DE Das Steinbeis Transfer-Magazin liefert Einblicke in spannende Success Stories aus dem Steinbeis-Verbund. Sie möchten informiert werden, wenn unser Online-Magazin erscheint? Hier geht’s zu unserem Online-Verteiler: STEINBEIS.DE/ONLINEVERTEILER facebook.com/Steinbeisverbund twitter.com/SteinbeisGlobal instagram.com/steinbeisverbund vimeo.com/Steinbeis youtube.com/c/steinbeisverbund
EDITORIAL 3 LIEBE LESERINNEN UND LESER, „Europa weltweit führend im Bereich ‚Green Growth‘“ – das ist weder Vision noch Ziel für 2050, das ist das Ergebnis des „Green Growth Index 2020“. In allen vier Kategorien – Nutzung der Ressourcen, soziale Inklusion, grüne Wirtschaftschancen und Schutz des natürlichen Kapitals – bescheinigt der Index Europa die führende Position. Den europäischen „Green Deal“ als ein Wirtschaftswachstumsprogramm anzulegen scheint damit berechtigt. Die dafür not- wendigen Innovationen und Technologiekompetenzen haben wir reichlich in Europa, jetzt kommen über die Investitions- programme auch die Mittel für Transfer und Umsetzung. Die „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) unterstützen beispielsweise bereits die neuen Wertschöpfungsketten in Europa im Bereich Batterie, Mikrotechnologie und Wasserstoff. Die Pandemie hat uns gelehrt, wie wichtig es ist, dass wir innerhalb von Europa Allianzen zwischen den Regionen aufbauen. Eine engere Vernetzung der Ökosysteme in Bezug auf Innovation und wirtschaftliche Zusammenarbeit, gemeinsame Ent- wicklung der Rahmenbedingungen und Stärkung der Synergien erhöhen das mögliche Investitionsvolumen, die Innovations- kraft und die Chancen für Wachstum im noch immer größten Markt der Welt – dem europäischen Binnenmarkt. Das im Januar 2021 gestartete europäische Forschungs- und Innovationsrahmenprogramm „Horizont Europa“ ermöglicht Wirtschaft und Gesellschaft in allen Themenbereichen die Erprobung solcher Allianzen. Auch die öffentliche Beschaffung kann auf europäischer Ebene neue Märkte für innovationsgetriebene Unternehmen und deren neue Produkte und Dienstleis- tungen liefern. Der Europäische Innovationsrat arbeitet unter anderem an einer engeren Verknüpfung der Innovations- ökosysteme und einer stärkeren Nutzung des öffentlichen Auftragswesens. Wir in Deutschland können viel dazu beitragen, dass innovationsinteressierte Unternehmen aus weniger gut aufgestellten Regionen daran teilhaben und deren Ökosysteme sich weiterentwickeln. Denn wenn wir die Führungsrolle beim Green Growth behalten und ausbauen wollen, brauchen wir dafür ganz Europa. Die aktuelle TRANSFER zeigt Herausforderungen auf, die ein denkbares Ökosystem der Zukunft mit sich bringt, und mögliche Herangehensweisen an die Umsetzung. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Ihre DR.-ING. PETRA PÜCHNER petra.puechner@steinbeis.de (Autorin) Dr.-Ing. Petra Püchner ist seit 2018 Europabeauftragte der Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg und konzentriert sich in dieser Funktion auf die Stärkung der Innovationskraft der baden-württembergischen Wirtschaft und die Nutzung europäischer Forschungs- und Innovationskapazitäten und Initiativen. Ihre Expertise in der europäischen Zusammenarbeit bringt sie seit vielen Jahren als Leiterin am Steinbeis-Europa-Zentrum in den Steinbeis-Verbund ein. Steinbeis-Europa-Zentrum (Stuttgart) www.steinbeis.de/su/2016 | www.steinbeis-europa.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
4 12 27 03 24 EDITORIAL DAS EFQM-EXCELLENCE MODELL 2020 ALS WEGWEISER ZUM ERFOLG Wie KMU vom Monitoring des wirtschaftlichen Ökosystems profitieren können FOKUS 27 „VERTRAUEN ZU SCHAFFEN IST ZENTRAL“ Im Gespräch mit Dr. Marie-Eve Reinert, Senior Project Managerin der Steinbeis 2i GmbH 08 „WIR DENKEN AUS DER ZUKUNFT HERAUS“ Die Steinbeis-Unternehmerinnen Kerstin Schenk und 30 Professor Dr. Esin Bozyazi im Gespräch über die Herausforderungen ÖKOLOGISCHE NÄHRSTOFFRÜCKGEWINNUNG eines nachhaltigen Geschäftsmodells AUS DER LANDWIRTSCHAFT Steinbeis-Experten tragen zur kreislauforientierten Bioökonomie bei 12 NETWORKNATURE: VERNETZTE EXPERTISE 33 FÜR KLIMASCHUTZ UND NACHHALTIGKEIT „AUF ABSEHBARE ZEIT MÜSSEN WIR IN EINER POSTFOSSILEN Steinbeis bietet Plattform für den Austausch über naturbasierte WELT ANKOMMEN“ Lösungen, Projekte und Best Practices Im Gespräch mit Steinbeis-Unternehmer Markus Klätte 15 36 „IM KERN GEHT ES DARUM, DIE EIGENEN KERNKOMPETENZEN DER RETTER IN DER NOT GRUNDLEGEND WEITERZUENTWICKELN“ Mit dem „Krisen-Retter“ unterstützt ein Steinbeis-Team Im Gespräch mit Professor Dr. Christoph Zanker, Unternehmen bei der Neuorientierung Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Industrielles Innovations- und Transformationsmanagement 38 INNOWERK BREMEN-UNTERWESER: 18 HANDWERK NACHHALTIG GEDACHT „ERST WENN DIE KOSTEN WIRKLICH WEHTUN, Steinbeis-Experten entwickeln das Zukunftsbild für WIRD EIN UMDENKEN IN DER BREITE EINSETZEN“ ein innovatives und nachhaltiges Handwerk Im Gespräch mit Steinbeis-Unternehmer und Energietechniker Dr.-Ing. Thomas Freitag 40 KLIMANEUTRALE GEBÄUDE: 20 EINE MACHBARE HERKULESAUFGABE GRÜNER WASSERSTOFF: Steinbeis-Team setzt CO2-neutrale Pilotprojekte um IN 40 JAHREN VON DER VISION ZUR REALITÄT Die Schlüsseltechnologie stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität dar Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
5 64 62 44 62 JEDE VERÄNDERUNG BEGINNT MIT EINER VISION… IN DER KRISE NEU ERFUNDEN: DAS KARRIEREPORTAL Ein Exposé über die Zukunft der Ökosysteme wie auch SPITZENFRAUEN BW die Ökosysteme der Zukunft Steinbeis-Webseminarreihe rund um Frau und Karriere wird zur Erfolgsgeschichte 47 STEIN UM STEIN: MIT INTELLIGENTER 64 KREISLAUFWIRTSCHAFT AUF DEM WEG IN EINE AGILE TEAMS: ERFOLGSFAKTOR FÜR DIE DIGITALE NACHHALTIGE ÖKONOMIE TRANSFORMATION IN WERTSCHÖPFUNGSNETZWERKEN Wie man ein altes (Natur)Prinzip für die Wirtschaft nutzbar macht Ferdinand-Steinbeis-Institut begleitet unternehmens- und branchenübergreifende Kooperationen 68 50 UNTERSTÜTZUNG IN DER KRISE: EIN ANTRAGSSYSTEM STEINWURF! FÜR CORONA-HILFEN Steinbeis-Team entwickelt die digitale Umsetzung der Soforthilfen in Bayern QUERSCHNITT 70 AUS DEM RAHMEN GEFALLEN: DIE RESTAURIERUNG VON HOLZFENSTERN 53 Steinbeiser Volker Bucher entwickelt mit der Holzmanufaktur DAS FÜGT SICH GUT Rottweil innovative Methoden zur Reinigung, Abtragung und zum Steinbeis-Team entwickelt Verfahrenstechnologie zum thermischen Aufbringen von Oberflächen Fügen von Multimaterial- und Bauteilverbundwerkstoffen 72 56 EINE VISION FÜR DEN KLIMASCHONENDEN REINRAUMBETRIEB INCONNECT: WIE EIN INDEX Offenburger Steinbeis-Team zeigt, wie sich KOOPERATIONSNUTZEN SICHTBAR MACHT zukunftssicher Ressourcen schonen lassen Steinbeis analysiert in Forschungskooperationen die Faktoren für erfolgreiche Innovationen und Wertschöpfung aus Kooperationen 59 74 MEHR ANSTRENGUNG, WENIGER ERFOLG: NEUERSCHEINUNGEN IN DER STEINBEIS-EDITION FÜHREN IN PANDEMIEZEITEN Steinbeis-Studie untersucht, wie sich Teamarbeit und individuelle 78 Leistung aktuell entwickeln VORSCHAU & TERMINE 79 IMPRESSUM Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
HERAUSFORDERUNG ÖKOSYSTEM DER ZUKUNFT Die ANFORDERUNGEN an ein zukünftiges ÖKOSYSTEM könnten wohl kaum größer sein – das gilt für ökologische wie auch wirtschaftliche Systeme, die NACHHALTIG ausgerichtet für die kommenden GENERATIONEN eine lebens- werte Zukunft gestalten sollen. Denn mit den Anforderungen kommen gleichzeitig enorme HERAUSFORDERUNGEN: Endliche RESSOURCEN und ihnen entgegen- stehende wirtschaftliche INTERESSEN sind nur zwei davon. Doch es gibt erfolg- versprechende ANSÄTZE, die diese Herausforderungen angehen: ökologisch wie ökonomisch, im Hinblick auf ROHSTOFFE wie auch auf GESCHÄFTSMODELLE. Unsere Autoren zeigen auf den folgenden Seiten, wie der Steinbeis-Verbund an konkreten MEHRWERTEN für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft arbeitet, um ein für alle NUTZBRINGENDES ÖKOSYSTEM der Zukunft Realität werden zu lassen. © istockphoto.com/Creative-Touch © istockphoto.com/DrAfter123
FOKUS 9 „WIR DENKEN AUS DER ZUKUNFT HERAUS“ DIE STEINBEIS-UNTERNEHMERINNEN KERSTIN SCHENK UND PROFESSOR DR. ESIN BOZYAZI IM GESPRÄCH ÜBER DIE HERAUSFORDERUNGEN EINES NACHHALTIGEN GESCHÄFTSMODELLS Der Begriff der Nachhaltigkeit wird heute allzu schnell ausschließlich mit umwelt- freundlichem Handeln gleichgesetzt. Dabei erfordert ein nachhaltiges Handlungs- prinzip weit mehr: Es ist ausgerichtet auf den verantwortungsvollen Umgang mit endlichen Ressourcen, ganz gleich welcher Art. Dass Nachhaltigkeit damit auch zwingend Einzug in Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien finden muss, davon überzeugen Kerstin Schenk und Professor Dr. Esin Bozyazi ihre Kunden im Steinbeis-Beratungszentrum Geschäftsmodelle der Zukunft. Mit der TRANSFER haben sie über die Anforderungen gesprochen, die ein nachhaltiges Konzept mit sich bringt. Frau Schenk, Frau Professor Bozy- beitskulturen entwickelt. Das Thema be- azi, in Ihrer Arbeit setzen Sie auf gleitet mich seit mehr als 15 Jahren. Ich Nachhaltigkeit als Zukunftsmodell: glaube, Esin und ich sind beide Men- Warum haben Sie sich für diesen schen, die aus der Zukunft heraus den- Ansatz entschieden? ken. Und wenn man das tut, kann man gar nicht anders als sich Nachhaltigkeit Esin Bozyazi: als Thema auf die Fahnen zu schreiben: Wenn man sich unsere Werdegänge an- Wir streben nicht nach den Low-hang sieht, war das sehr naheliegend. Neben ing-fruits und den Quick-wins, sondern unserem Steinbeis-Beratungszentrum nach etwas, das langfristige Lösungen habe ich 2015 das Institut für soziale schafft und die Gesellschaft verändert – Nachhaltigkeit mitgegründet. Nachhal- sei das im Arbeitsumfeld oder im Pri- tigkeit ist aus ökologischer Sicht keine vaten. Frage mehr. Wir haben das nun um die soziale Nachhaltigkeit ergänzt. Damit EB: habe ich mich in einem Bereich wieder- Natürlich denken nicht alle Unterneh- gefunden, in dem ich für Gesellschaft men von der Zukunft aus, einige fragen und Natur Mehrwerte schaffen kann. sich lediglich, was sie jetzt konkret tun Denn genau darum geht es ja eigentlich können. Aber die Sustainable Develop- bei Geschäftsmodellen. ment Goals der UN sind schon seit lan- gem ein Orientierung gebendes Thema Kerstin Schenk: und es hat sich auch gesellschaftlich Auch bei mir ist das ein Stück weit His- schon einiges verändert, wir haben ei- torie, die aus einer gewissen Leiden- nen gewissen gesellschaftlichen Kon- schaft entstanden ist. Ich habe immer sens gefunden. Wir gehen beispielswei- schon Projekte im Bereich nachhaltige se endlich das Klimaproblem an, das wir Arbeit durchgeführt und nachhaltige Ar- selbst geschaffen haben. Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
10 FOKUS Warum sollten sich Unternehmen Es ist ein Phänomen unseres Zeital- auch Schnelllebigkeit haben wir ande- Ihrer Meinung nach intensiv mit ters, dass man sehr viel einfacher an re Möglichkeiten Geschäftsmodelle zu nachhaltigen Geschäftsmodellen Wissen kommt. Was früher noch ein gestalten. Kundenwünsche ändern sich, beschäftigen? bisschen im Dunkeln lag, beispielswei- die technologische Entwicklung ändert se Produktionsprozesse oder wie ein sich. Deshalb müssen wir im Blick ha- KS: Unternehmen tatsächlich wirtschaftet, ben, wie wir unser eigenes Geschäfts- Mit der Marketingbrille betrachtet be- wird immer transparenter und ist der modell weiterentwickeln, wie wir bei- steht natürlich immer die Gefahr, dass Öffentlichkeit zugänglich und bekannt. spielsweise Bezahlung anbieten: Wie Nachhaltigkeit nur als Branding ver- Ich bin überzeugt, dass die Kunden von beeinflussen uns Bitcoin, Blockchain wendet wird. Ich glaube aber, Gesell- morgen zunehmend mit in ihre Bewer- oder Bezahlung mit dem iPhone? Die schaft und Kunden sind inzwischen so tung nehmen, ob ein Unternehmen nach- Geschäftsmodellentwicklung berück- aufgeklärt, dass das heutzutage nicht haltig wirtschaftet oder nicht, bevor sie sichtigt von der Produktion bis zur Be- mehr durchgeht. Das ist auch nicht der ein Produkt kaufen. zahlung alle Bereiche und nimmt An- Ansatz, den wir verfolgen. Wenn man passungen vor, um auf Neuerungen zu sich den Wertewandel in unserer Gesell- EB: reagieren. schaft ansieht, dann sind nachhaltige Unternehmen beschäftigen sich intensiv Themen wie Gesundheit und Umwelt- mit dem Nachhaltigkeitsaspekt ihres KS: schutz die Themen, die immer wichti- Geschäftsmodells, nicht nur im Rahmen Lassen Sie uns kurz die Rolle rückwärts ger werden. Das ist ein Feld und damit des Human-centered-Ansatzes und im machen und uns fragen, was ist denn ein ein USP, der mit Sicherheit in Zukunft Hinblick auf den Kundenwunsch. Durch Geschäftsmodell überhaupt? Ein Ge- immer mehr an Relevanz gewinnen wird. neue Technologien, Schnelligkeit aber schäftsmodell ist ein Denkmodell, das DIE SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS (SDG) DER UN 2015 haben die Vereinten Nationen 17 grundlegende Ziele für eine nachhaltige soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung im Rahmen der Agenda 2030 definiert: 1 Keine Armut 10 Weniger Ungleichheiten 2 Kein Hunger 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden Verantwortungsvolle Konsum- und 3 Gesundheit und Wohlergehen 12 Produktionsmuster 4 Hochwertige Bildung 13 Maßnahmen zum Klimaschutz 5 Geschlechtergleichstellung 14 Leben unter Wasser 6 Sauberes Wasser und Sanitärversorgung 15 Leben an Land 7 Bezahlbare und saubere Energie 16 Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen Menschenwürdige Arbeit und 8 Wirtschaftswachstum 17 Partnerschaften zur Erreichung der Ziele 9 Industrie, Innovation und Infrastruktur Quelle: https://sdg-portal.de/de/ Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 11 MIT DER MARKETINGBRILLE BETRACHTET BESTEHT » IMMER DIE GEFAHR, DASS NACHHALTIGKEIT NUR ALS BRANDING VERWENDET WIRD. versucht, möglichst umfassend zu skiz- se bekommen und ob sie diese auch ent- Wie sehen Sie die aktuelle Lage: Sind zieren, mit welchen Tätigkeiten und Fel- sprechend verarbeiten können. Manch- wir schon auf einem guten Weg zu dern ein Unternehmen heutzutage zu tun mal ist die dafür benötigte Technologie mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen? hat und welche Bereiche organisiert vorhanden, ein anderes Mal zwar vor- werden müssen. Wesentlich ist, in allen handen, aber zu teuer, um die Kunden- KS: Bereichen nachhaltig zu denken, weil wünsche zu erfüllen. Auch hier wollen Es gibt schon gute Beispiele dafür, die wir in einer sehr agilen Welt leben und wir kompromisslos eine sogenannte Cir- vor allem immer mehr in der Start-up- sich die kurzfristigen Quick-wins immer cular economy schaffen: Was in den Wirt- Szene aufkommen. Wir verwenden die schneller ändern. Um auch hier Zu- schaftskreislauf eingebracht wird, muss Suchmaschine Ecosia, es gibt den grü- kunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähig- maximal sozial, nachhaltig und ökolo- nen Strom. Man muss aber natürlich ge- keit zu schaffen, ist es wichtig vom An- gisch sein. Hundertprozentig nachhal- nau hingucken, wie nachhaltig das wirk- satz der Nachhaltigkeit aus zu denken. tige Geschäftsmodelle und Geschäfts- lich ist. Ich glaube, in einigen Branchen prozesse zu entwickeln ist momentan sind wir da weiter, in anderen gibt es Was sind die wichtigsten Meilenstei- noch eine große Herausforderung. noch viel zu tun. Wir stehen im Gesamt- ne, aber auch die größten Hürden bei prozess noch am Anfang, aber der ist der Entwicklung von nachhaltigen KS: immerhin gemacht. Geschäftsmodellen? Ich glaube, aus Sicht einer Circular eco- nomy denken Unternehmen provokant EB: KS: gesagt noch zu kurz. Die Denkweise hört Vieles hat heute noch zu sehr Marketing- Meilensteine verbinde ich immer mit ei- oft dort auf, wo der Unternehmenspro- charakter. Und natürlich sollte der Nach- ner Roadmap und die Roadmap für Nach- zess endet. Der Unternehmer muss die haltigkeitsansatz nicht nur im Geschäft- haltigkeit gibt es in Form der SDG der Wertschöpfungskette aber weiterden- lichen, sondern auch im Privaten gelebt UN, an denen wir uns orientieren sollten. ken, nicht nur bis zu seinen eigenen Kern- werden. Einige Ansätze und Vorausset- Man muss das Rad nicht neu erfinden, kompetenzen. Das ist eine Denke und ein zungen sind vorhanden und vielverspre- sondern diese übergeordneten Ziele auf Mindset, die noch nicht überall vorhan- chend. Nun fehlen lediglich die passen- jeden einzelnen Bereich eines Geschäfts- den sind. Das müssen wir in die Unter- de Denkweise und das konsequente Tun! modells herunterbrechen. nehmen, in die Köpfe und vor allem bis Dabei bieten wir gern unsere Hilfe an, für in die Führungsebene bekommen. mittelständische wie auch Großunter- EB: nehmen. Absolut. Die Hürden, die wir beobachten, EB: liegen darin, die Supply Chain zu kon Und genau hier setzen wir an und ver- KS: trollieren und die richtigen Ressourcen suchen diese Kultur in die Unternehmen Unser Kernanliegen ist, dieses Thema von den richtigen Lieferanten zu kaufen, zu bekommen. Dazu haben wir einige nicht nur zu denken, sondern auch um- absichtlich oder unabsichtlich. Hier se- Impulse und Beratungsansätze, wie wir zusetzen. Wir nennen uns „Co-Creator“ hen wir unsere Rolle darin, das Bewusst- das gemeinsam mit den Unternehmen und in diesem Sinne packen wir es sein dafür zu erweitern. Wenn elektri- gestalten. auch an! sche Autos als nachhaltiges Produkt verkauft werden, die Batterien dafür aber in Südamerika unter schlimmsten PROF. DR. ESIN BOZYAZI KERSTIN SCHENK Bedingungen produziert und Ressour- esin.bozyazi@steinbeis.de (Autorin) kerstin.schenk@steinbeis.de (Autorin) cen im großen Stil rücksichtslos abge- Steinbeis-Unternehmerin Steinbeis-Unternehmerin baut werden, dann ist das sozial nicht Steinbeis-Beratungszentrum Steinbeis-Beratungszentrum nachhaltig. Daraus leitet sich die Hürde Geschäftsmodelle der Zukunft Geschäftsmodelle der Zukunft (Stuttgart) (Stuttgart) ab, woher Produzenten die benötigten Ressourcen auf wirklich nachhaltige Wei- www.steinbeis.de/su/2319 www.steinbeis.de/su/2319 Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
12 FOKUS NETWORKNATURE: VERNETZTE EXPERTISE FÜR KLIMASCHUTZ UND NACHHALTIGKEIT STEINBEIS BIETET PLATTFORM FÜR DEN AUSTAUSCH ÜBER NATURBASIERTE LÖSUNGEN, PROJEKTE UND BEST PRACTICES Naturbasierte Lösungen, damit meint die EU natürliche oder gebaute Lösungen, die die positiven Eigenschaften der Natur und intakter Ökosysteme nutzen und dadurch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, insbesondere von Städten, liefern. Für die Umsetzung der europäischen Strategien des Green Deals und der Biodiversität sind sie unerlässlich. In einer Ausschreibung der Europäischen Kommission bekam die Steinbeis 2i mit einem Konsortium aus vier weiteren Partnern den Zuschlag für das Projekt NetworkNature. Das Steinbeis-Team begleitet die Etablierung einer Plattform für naturbasierte Lösungen (NBS) und unterstützt die Markteinführung, indem sie neue Geschäftsmodelle für NBS entwickelt. Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie an einem ber 2020 mit einer Veranstaltung zum gebieten für bedrohte Tierarten zählen. heißen Sommertag in einen bewaldeten Green Deal gemeinsam mit weiteren Jede dieser Maßnahmen wirkt sich zu- Stadtpark flüchten, um der sengenden internationalen hochrangigen Vertretern gleich positiv auf viele andere Nachhal- Hitze zu entgehen? Über Ihnen entfaltet ein deutliches Signal: Der Schutz intak- tigkeitsziele aus. sich das grüne Dach der Bäume und sofort ter und die Wiederherstellung degra- spüren Sie eine merkliche Abkühlung der dierter Ökosysteme müsse ein zentra- URBANE WÄLDER SCHÜTZEN Temperatur. Diese Kühle verdanken wir ler Baustein bei der Ausgestaltung des KLIMA UND MENSCHEN der Fotosynthese: Die Pflanzen entziehen European Green Deals, aber auch der in- der Umwelt Wärme und verwandeln CO2 ternationalen Politik der EU sein. Ohne Steinbeis 2i beteiligt sich seit Mitte letz- in Sauerstoff, den wir einatmen. Dieses naturbasierte Lösungen seien weder die ten Jahres im Projekt NetworkNature an sinnliche Erleben zeigt, wie wichtig Pflan- Ziele für Klimaschutz und Klimaanpas- der Etablierung einer Plattform, auf der zen mit ihren einzigartigen Prozessen für sung, noch zum Erhalt der Biodiversität neue Forschungsergebnisse, Best Prac- unser Leben sind. erreichbar. tices und Informationen kuratiert und die Möglichkeit der Vernetzung geschaffen Eine nachhaltige Stadtentwicklung, die Naturbasierte Lösungen verfolgen meh- werden. Diese online verfügbaren Res- Wiederherstellung degradierter Ökosys- rere Ziele und weisen gleichzeitig öko- sourcen werden durch Veranstaltungen, teme, Klimaschutz und die Anpassung an logische, ökonomische, soziale und kul- Wissensprodukte und Handlungsemp- den Klimawandel standen bereits im Zen- turelle Vorteile auf. Sie nutzen die fehlungen für bestimmte Zielgruppen wie trum einer europäischen Expertengruppe positiven Eigenschaften und Funktio- auch halbjährlich wechselnde Themen- zu „naturbasierten Lösungen und Re-Na- nen intakter Ökosysteme, zu denen der schwerpunkte ergänzt. Die Basis bildet turierung von Städten“, die sich regelmä- Schutz und die Wiederherstellung von eine Gemeinschaft von über 30 EU- ßig unter dem EU-Programm Horizont Wäldern, Mooren und Böden, die Etab- Projekten, in und mit denen bereits Wis- 2020 traf. Auch das Bundesumweltmi- lierung entwaldungsfreier Lieferketten, senslücken geschlossen und gute Bei- nisterium und die EU setzten im Dezem- aber auch die Ausweitung von Schutz- spiele entwickelt wurden. Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 13 Die Stadt Gelsenkirchen beteiligt sich ren sich auf das Gebiet Industriewald einem Match-Making-Service bieten die beispielweise aktuell an einem europäi- Rheinelbe und einen Biomassepark in Projektpartner unterschiedlichen Ziel- schen Forschungsprojekt zu urbanen der Zeche Hugo. Gelsenkirchen will gruppen Services an, darunter Unter- Wäldern: Im Fokus steht die baumba- durch den Strukturwandel mit urba- nehmer, Manager von natürlichen Res- sierte grüne Infrastruktur, wie sie sich nen Wäldern unterschiedliche soziale sourcen, Flächeneigentümer, Stadt- und in bewaldeten Parks, städtischen Wäl- und ökologische Impulse setzen. Bauplaner aber auch junge Menschen. dern und bei Bäumen in öffentlichen und privaten Räumen findet. Diese Infra- KLIMASCHUTZ BRAUCHT So bot das „The Nature of Cities (TNOC) struktur hat eine große Bedeutung für VERNETZUNG Festival“ vom 22. bis 26. Februar 2021 den Naturhaushalt, das Klima, eine neue Perspektiven und überschritt Gren- nachhaltige Stadtentwicklung und die Mit einem Angebot zur Vernetzung, Wei- zen, um sich die Städte für die Zukunft Gesundheit der Menschen. Die Schwer- terbildung und Beteiligung an Veranstal- radikal vorzustellen. Das virtuelle Fes- punkte der Forschungsarbeit und Best tungen motiviert die Steinbeis 2i zur Kon- tival, das in allen regionalen Zeitzonen Practices in Gelsenkirchen konzentrie- taktaufnahme mit neuen Zielgruppen. Mit und in mehreren Sprachen angeboten » BIODIVERSITÄT IN URBANEN RÄUMEN, EINE NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT, LUFTREINHALTUNG UND EINE NACHHALTIGE MOBILITÄT SIND DIE GRUNDPFEILER FÜR EINEN BESSEREN KLIMASCHUTZ Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
14 FOKUS wurde, bot die Möglichkeit, lokale Orte und Ideen auf globaler Ebene miteinan- der zu verbinden, um eine viel breitere Perspektive und Beteiligung zu erhalten, als es ein physisches Treffen in einer Stadt jemals hätte erreichen können. PLATTFORM FÜR LOKALE, REGIONALE UND INTERNATIONALE KOOPERATION Die Steinbeis 2i GmbH arbeitet im Pro- jekt NetworkNature mit vier weiteren Partnern zusammen: ICLEI Europe – Local Governments for Sustainability (Deutschland), International Union for Conservation of Nature (IUCN) (Schweiz und Belgien), BiodivERsA (Frankreich) und Oppla (Niederlande). Mit Expertisen in Nachhaltigkeit, Forschung, Geschäfts- strategie, Politik und Kommunikation ist das Team gut gerüstet, um die wachsen- de globale Community um naturbasier- te Lösungen zu fördern. Ziel ist es, diese zu vergrößern, die Implementierung und Erweiterung naturbasierter Lösungen voranzubringen und Ressourcen, Pro- jekte, Best Practices und Tools unter einem Dach anzubieten. Der Dialog mit den politischen Entschei- dern auf verschiedenen Ebenen spielt ebenso eine große Rolle, denn es geht UNTERSTÜTZUNG FÜR KMU darum, Lösungen für die Herausforde- rungen des Green Deals auf lokaler, na- Die Steinbeis 2i wendet sich insbesondere an europäische KMU, bietet tionaler und europäischer Ebene zu fin- Marktanalysen an und unterstützt die Entwicklung neuer Geschäftsmodel- den. Biodiversität in urbanen Räumen, le, beispielsweise für Anbieter von Fassaden- und Dachbegrünung, Baum- eine nachhaltige Landwirtschaft, Luft- pflanzung, Wasserversorgung in der Stadt oder Urban Farming. Um Prozes- reinhaltung und eine nachhaltige Mobi- se der Co-Creation und Internationalisierung zu stimulieren, werden Trainings lität sind die Grundpfeiler für einen bes- konzipiert und interessierte Unternehmen werden mit Investoren in Kontakt seren Klimaschutz und um das Ziel der gebracht. Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Die Projektpartner werden Forscher, Unternehmer und Experten aus der Pra- xis (Ingenieur- und Bauwesen, Stadt- und Landschaftsplanung, natürliches Res- ANETTE MACK MATTHIEU GROSJEAN sourcenmanagement), die hier bereits anette.mack@steinbeis.de (Autorin) matthieu.grosjean@steinbeis.de (Autor) gute Lösungen entwickelt haben, zusam- Senior Manager Public Relations Project Manager Smart Cities, menbringen und der Wissenschafts- Steinbeis-Europa-Zentrum Transport, Logistik und (Stuttgart) Elektromobilität kommunikation einen Schub verleihen. Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart) So soll das Thema auch für die breite www.steinbeis.de/su/2016 www.steinbeis-europa.de www.steinbeis.de/su/2017 Öffentlichkeit verständlich werden. www.steinbeis-europa.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 15 „IM KERN GEHT ES DARUM, DIE EIGENEN KERNKOMPETENZEN GRUNDLEGEND WEITERZUENTWICKELN“ IM GESPRÄCH MIT PROFESSOR DR. CHRISTOPH ZANKER, STEINBEIS-UNTERNEHMER AM STEINBEIS-TRANSFERZENTRUM INDUSTRIELLES INNOVATIONS- UND TRANSFORMATIONSMANAGEMENT © istockphoto.com/Eoneren Die gegenwärtige Rezession nimmt so begleitet er seit über zehn Jahren zahl- Ist in dieser Situation überhaupt an manches Unternehmen zum Anlass sich reiche Unternehmen beim Aufbau sol- neue Produkte und Veränderungs- neu zu orientieren. Gerade der Mittel- cher Netzwerke und weiß genau, wo prozesse zu denken? stand kann dabei von Ecosystemen pro- rauf zu achten ist, damit die Partnerwahl fitieren, meint Professor Dr. Christoph kein Glücksspiel wird. Meiner Wahrnehmung nach setzen sich Zanker. Als Innovationsberater und die meisten Entscheidungsträger in der Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis- Herr Professor Zanker, viele Unter- Industrie genau damit auseinander. Und Transferzentrum Industrielles Innova- nehmen kämpfen aktuell damit, ihr das aus gutem Grund, denn die aktuelle tions- und Transformationsmanagement Kerngeschäft aufrechtzuerhalten. Pandemie hat in vielen Bereichen eine Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
16 FOKUS katalytische Wirkung. Aus latent abseh- Was raten Sie Unternehmen, die mit Variante ist, die erforderlichen Fähig- baren technologischen oder marktlichen solchen Veränderungen umgehen keiten selbst aufzubauen. Das ist aber Veränderungen sind radikale Brüche müssen? ein langwieriger Prozess und das Risiko geworden. Vielen Unternehmen ist be- ist groß, wenn alle Ressourcen bei hoher wusst, dass Kompetenzen, die bisher Die Gefahr, nach der Krise über kurz Unsicherheit auf eine Karte gesetzt wer- Basis für ihre Innovations-, Schaffens- oder lang nicht mehr mit den Marktan- den. Gerade wenn es um komplexe, und Ertragskraft waren, nach der Krise forderungen mithalten zu können, ist hybride oder datenbasierte Leistungs- teilweise, schlimmstenfalls ganz ent- den meisten Unternehmen bewusst. angebote geht, ist es empfehlenswer- wertet werden. Reihen geschlossen halten, so viel Wert- ter auf Ecosysteme zu setzen. schöpfung wie nur möglich im Hause Können Sie ein Beispiel nennen? abdecken, risikoreiche Innovationspro- Dass Unternehmen für neue Leis- jekte zurückstellen – auf den ersten tungsangebote kooperieren, ist an Nehmen wir das Thema Wartung oder Blick scheint das die richtige Taktik aus sich nichts Neues. Worin genau liegt Reparatur komplexer Anlagen. Wer dem Lehrbuch zu sein. Genau das kann der Unterschied zu einem Ecosys- konnte sich vor anderthalb Jahren vor- aber für Unternehmen fatal werden und tem? stellen, dass es plötzlich nicht mehr das viel proklamierte „Disrupt yourself“ möglich ist, Servicetechniker an jeden ist dabei auch keine Hilfestellung. Die Ein Ecosystem geht über die bekannte Ort der Welt zu entsenden? Genau das Fragen nach dem „was“ und dem „wie“ Zulieferer-Abnehmer-Beziehung deut- ist aber passiert. Die Shutdowns und sind alles andere als trivial. Aus einem lich hinaus. Es handelt sich um dauer- Reiserestriktionen haben daher die TIER3-Hochpräzisionsteilefertiger wird hafte Kooperationen zwischen verschie- Nachfrage nach datenbasierten Re nun mal über Nacht kein datenbasier- denen Akteuren, die ein gemeinsames mote-Services schlagartig erhöht. Zwar ter Systemlieferant für Medizintechnik. Ziel eint, nämlich die Entwicklung und waren die Technologien und Anwendun- Darum geht es aber auch gar nicht, Erbringung neuer und innovativer Leis- gen schon vorher am Markt verfügbar, vielmehr muss das Ziel sein, neue tungsangebote. Ecosysteme sind damit hatten aber eher Exotenstatus mit we- Technologien zu erschließen, neue An- keine sequenzielle Kette, sie haben viel- nigen Nutzern. Was sich jetzt aber er- wendungen zu entwickeln und nutzen- mehr einen netzwerkartigen Charakter. folgreich etabliert hat, wird auch nach generierende Leistungsangebote für Die Interaktion zwischen den Akteuren Corona nicht einfach wieder verschwin- bestehende und neue Kundengruppen ist intensiver, vor allem wissensintensi- den. Vielmehr können wir davon ausge- aufzubauen. Und das mit hoher Ge- ver und damit noch stärker auf Innovation hen, dass Remote-Services in den schwindigkeit. ausgelegt. Auch die Machtasymmetrien nächsten zwei bis drei Jahren zum zwischen den beteiligten Unternehmen Standard werden. Ein exzellentes Netz- Im Kern geht es darum, die eigenen sind deutlich geringer. Jeder einzelne werk mit vielen Service-Niederlassun- Kompetenzen grundlegend weiterzuent- Akteur gewinnt daher auch an Bedeu- gen, das gestern einen echten Wettbe- wickeln, umzuwidmen und um fehlende tung für das Leistungsangebot insge- werbsvorteil mit sich gebracht hat, ist Bausteine zu ergänzen. Dabei gibt es samt und ist weniger austauschbar. übermorgen nur noch halb so wertvoll. grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Eine » AUS LATENT ABSEHBAREN TECHNOLOGISCHEN ODER MARKTLICHEN VERÄNDERUNGEN SIND RADIKALE BRÜCHE GEWORDEN. Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 17 Das klingt erstmal vielversprechend, hängigkeit von der Leistung der anderen Viele große Unternehmen kooperie- warum tun sich Ihrer Erfahrung ist. Fällt ein Partner aus oder agiert op- ren verstärkt mit Start-ups. Macht nach viele Unternehmen dennoch portunistisch, dann kann ein komplettes das auch für kleine und mittelstän- so schwer mit der Partnersuche? Leistungsangebot in sich zusammenfal- dische Unternehmen Sinn? len. Auch kann es Sinn machen, dass Häufig begegnen mir zwei Extreme: Die Unternehmen, die bisher im Wettbewerb Eindeutig ja. Meiner Erfahrung nach Konservativen benennen einen „Koope- zueinanderstanden, Kooperationen ein- klappen solche Kooperationen häufig rationsbeauftragten“ oder bestenfalls gehen. Das ist nicht unmöglich, bedarf sogar deutlich besser als mit den gro- eine „Task Force New Business“, die sich aber anderer Taktiken und Muster. Kurz- ßen Playern. Das hat vor allem drei jetzt „endlich mal dem Thema anneh- um: Es muss eine permanente und sehr Gründe: Erstens ist – entgegen vieler men soll“. Die vermeintlich Progressi- bewusste Chancen-Risiken-Abwägung Unkenrufe – die Anpassungsfähigkeit ven setzen auf Co-Working-Spaces und stattfinden und die eigene Organisation von Mittelständlern sehr ausgeprägt und Innovationhubs und proklamieren eine strukturiert geöffnet werden, sonst las- es besteht ein ehrliches Interesse daran, neue wertebasierte Scheiterkultur, bei sen sich die externen Kompetenzen nicht langfristig zusammenzuarbeiten und der kooperative Innovationen aber verwerten. sich gegenseitig zu unterstützen. Zwei- höchstens aus Zufall entstehen. In der tens sind die Machtasymmetrien zwi- Praxis sind beide Ansätze Irrwege, weil Wie kann das konkret aussehen? schen den Kooperationspartnern deut- sie keine substanziellen Änderungen mit lich geringer. Junge Unternehmen sich bringen. Innovationen entstehen Ein Beispiel: Ich durfte über drei Jahre können dem Mittelstand oft bei der nicht aufgrund der Tatsache, dass eini- hinweg einen mittelständischen Her- Digitalisierung neue Türen öffnen, wäh- ge Führungskräfte jetzt weiße Sneaker steller von Standard-Heizelementen für rend sie selbst von konkreten Anwen- tragen, und der Aufbau eines Ecosys- Weiße Ware begleiten, ein klassisches dungsfällen und Marktzugängen profi- tems folgt auch nicht dem Zufallsprin- Lowtech-Produkt. Da die Kunden zu- tieren. Und zu guter Letzt sind die zip, sondern vielmehr einer klaren Vision nehmend in Niedriglohnländer abwan- Innovationskulturen im Mittelstand und und Zielsetzung. Das ist zu 98 Prozent derten, waren die Zukunftsaussichten bei Start-ups deutlich ähnlicher als die harte Arbeit und vor allem planbar. In eher düster. Das Unternehmen stand vor zwischen Großunternehmen und Start- der Organisation muss dann an vielen der Wahl: Transformieren und massiv ups, weil immer die konkrete Lösung kleinen und großen Stellschrauben sys- Innovationskraft aufbauen oder vor sich im Zentrum steht, nicht das Image. tematisch und integriert gedreht werden: hindümpeln. Durch den Aufbau eigener Die eigene Rolle im Ecosystem muss de- Entwicklungskompetenzen, vor allem finiert, neue Innovationsprozesse auf- aber durch den Zusammenschluss mit und umgesetzt und die nötigen Schnitt- anderen Herstellern und Technologie- stellen nach innen und außen geschaffen lieferanten, ist es dem Unternehmen werden. Diese Schnittstellen werden gelungen, komplexe Hightech-Anwen- durch sogenannte Boundary Spanner dungen und ein viel breiteres und kun- personifiziert, die – unternehmensüber- denindividuelles Leistungsangebot zu greifend – kollektive Innovationsprozes- realisieren. Heute hat das Unternehmen se fördern, gemeinsame Wissensbestän- eine umfassende Transformation hinter de entwickeln und Impulse intern wie sich und liefert im Netzwerk sehr erfolg- extern kanalisieren, um sie auch ver- reich Hightech-Anwendungen in den werten zu können. Maschinenbau. Der Aufbau solcher Eco- systeme und die damit einhergehende Wenn alles Wissen geteilt wird, birgt Transformation sind also auch für mit- das doch auch gewisse Risiken? telständische Unternehmen kein Hexen- PROF. DR. CHRISTOPH ZANKER christoph.zanker@steinbeis.de (Autor) werk, wenn die Aufgabe systematisch Das ist richtig, gilt aber für jede ge- angegangen wird. Häufig braucht es Steinbeis-Unternehmer schäftliche Beziehung. Entscheidend ist lediglich einen Impulsgeber und etwas Steinbeis-Transferzentrum Industrielles Innovations- und immer, wie man damit umgeht. Speziell strukturierende Unterstützung von au- Transformationsmanagement im Fall von Ecosystemen muss man sich ßen, um schnell erste Erfolge zu ver- (Nürtingen) klar machen, wie stark die eigene Ab- buchen. www.steinbeis.de/su/2261 Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
18 FOKUS „ERST WENN DIE KOSTEN WIRKLICH WEHTUN, WIRD EIN UMDENKEN IN DER BREITE EINSETZEN“ IM GESPRÄCH MIT STEINBEIS-UNTERNEHMER UND ENERGIETECHNIKER DR.-ING. THOMAS FREITAG Man kann den „Greta-Effekt“ kontrovers diskutieren, aber eins scheint sicher: Die junge Klimaaktivistin hat dem Klimawandel eine enorme Öffentlichkeitswirksam- keit beschert. Doch das wird nicht für ein nachhaltiges Umdenken in Gesellschaft und Wirtschaft ausreichen, meint Dr.-Ing. Thomas Freitag, Steinbeis-Unterneh- mer am Steinbeis-Transferzentrum Energie- und Umwelttechnik. Er konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Erarbeitung von komplexen Energiekonzepten und das Energiemanagement, um den Energiebedarf zu minimieren. Mit der TRANS- FER hat er sich über die eigentlichen Herausforderungen unterhalten, denen wir bei der Begegnung mit dem Klimawandel gegenüberstehen. Herr Dr. Freitag, das verantwor- große Verbrauch der Bestandsimmo- Zuerst sollte immer eine grundlegende tungsvolle Managen von Energie- bilien wird bis jetzt kaum angegangen, Bestandsaufnahme erfolgen. Dafür gibt ressourcen rückt immer mehr in da dort die Kosten der Einsparmaßnah- es für viele Unternehmen sehr lukrative den Fokus der Unternehmen, aber men nicht auf die Nutzer umgelegt wer- Fördermittel. Ich rate dazu, auf kompe- auch der Städte und Kommunen. den dürfen. tente Experten zu setzen, die den aktu- Was sind aus Ihrer Sicht die größ- ellen Stand der Technik, aber auch der ten Herausforderungen dabei? Würden schon jetzt die Folgekosten der gesetzlichen Regelungen kennen. Denn Energieerzeugung aus fossilen und ato- es gibt immer wieder Projekte, die durch Ein Problem ist, dass man auch in Ent- maren Energieträgern mit in den Ener- unzureichende Planung entweder nicht scheidungspositionen immer noch auf giepreis eingerechnet werden, wären wirtschaftlich sind oder technisch nicht Menschen trifft, die den anthropogenen diese schon längst nicht mehr so güns- funktionieren. Klimawandel und die damit zukünftig auf tig, wie sie es momentan noch sind. Lei- uns zukommenden Probleme als nicht der werden die sogenannten Ewigkeits- Wie kann der weltweit steigende real oder von der Zivilisation beeinfluss- kosten immer noch zum großen Teil auf Energiebedarf Ihrer Meinung nach bar ansehen. Teilweise gibt es ein er- die gesamte Gesellschaft umgelegt, in- jetzt, aber auch in Zukunft gedeckt schreckendes Desinteresse an derar- dem sie vom Staat getragen werden. werden? Ist dafür ein Umdenken in tigen Fragestellungen. Auf der anderen der Wirtschaft und Gesellschaft not- Seite ist der verantwortungsvolle Um- Viele Unternehmen setzen sich ak- wendig? gang mit Energieressourcen immer mit tuell mit der Frage der Energieein- finanziellem Aufwand verbunden. Kurz- sparung auseinander, sowohl aus Da Wirtschaft und Gesellschaft ein sehr fristiges ökonomisches Denken, hohe wirtschaftlichen, aber auch aus Um- träges System bilden, wird ein Umden- Kosten und geringes finanzielles Ein- weltschutzgründen. Welche Vorge- ken nur durch einschneidende Maßnah- sparpotenzial machen die Umsetzung hensweise würden Sie hier empfeh- men von außen induziert werden kön- solcher Projekte schwierig. Der sehr len? nen. Die in diesem Jahr begonnene Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 19 © istockphoto.com/DKosig CO2-Bepreisung ist ein erster Schritt in Basis einen gewissen Mindestenergie- giesystem unweigerlich schwieriger wer- die richtige Richtung. Aber erst wenn verbrauch bedingt. Ob ein radikales Um- den als mit wenigen großen Erzeugern. die Kosten wirklich wehtun und Alterna- denken in der Mobilität und im Wohl- Die Gegenwart zeigt allerdings, dass tiven aufgezeigt werden, wird ein Um- stand wirklich realistisch ist, möchte ich dies ein lösbares regelungstechnisches denken in der Breite einsetzen. Alter- zurzeit bezweifeln. Wichtig wäre, dass Problem darstellt. nativ dazu müssen wir warten, bis der die großen Industrienationen zusam- Klimawandel solch große Auswirkungen menarbeiten und sich abstimmen, um Welche Rolle spielt die Digitalisie- auf uns Menschen hat, dass wir zum eine Abwanderung der energieintensi- rung dabei? Handeln gezwungen werden. Leider be- ven Industrie in andere Länder zu ver- schränkt sich dann unser Handeln nur meiden. Insbesondere der erwähnte letzte Punkt noch auf Schadensbegrenzung. der Koordination des gesamten Energie- Eine bedarfsgerechte Deckung des Ener- systems, von der Regelung bis zum Ver- Natürlich ist ein effizienter Umgang mit giebedarfs ist natürlich die entscheiden- brauch, wird nur mit einem gewissen Energie essenziell. Man muss aber auch de Voraussetzung unseres Wohlstands. Grad an Digitalisierung möglich sein. eingestehen, dass unser Lebensstil als Diese wird mit einem heterogenen Ener- DR.-ING. THOMAS FREITAG thomas.freitag@steinbeis.de (Autor) Steinbeis-Unternehmer Steinbeis-Transferzentrum Energie- und Umwelttechnik (Oelsnitz) www.steinbeis.de/su/340 www.stz-energie.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
20 FOKUS GRÜNER WASSERSTOFF: IN 40 JAHREN VON DER VISION ZUR REALITÄT DIE SCHLÜSSELTECHNOLOGIE STELLT EINEN WICHTIGEN MEILENSTEIN AUF DEM WEG ZUR KLIMANEUTRALITÄT DAR Solarisierung der Gebäudeblöcke im Klimaquartier Neue Weststadt Esslingen Fossilfrei und raus aus der Abhängigkeit durch Wasserelektrolyse in grünen Strompreis aus den PV-Anlagen und vom Öl – das war die Vision für die Ener- Wasserstoff nach dem Prinzip Power- Windparks dramatisch gesunken. In gieversorgung der Zukunft vor rund 40 to-Gas. Deutschland wird der grüne Strom für Jahren. Namhafte Forschungsinstitute unter 5 ct/kWh, in Südeuropa für unter haben schon damals an dem Thema im Vor 40 Jahren stand im Mittelpunkt die 3 ct/kWh produziert. Rahmen von Förderprogrammen des Suche nach alternativen Energieträgern Forschungsministeriums (heute BMBF) und der Ersatz von Erdöl in der chemi- GRÜNER WASSERSTOFF ALS gearbeitet. Die solare Wasserstoff- schen Industrie für das „Post-oil“-Zeit- SCHLÜSSELELEMENT DER wirtschaft in Deutschland ist also nicht alter. Wasserstoff als Sekundärenergie, ENERGIEWENDE neu. Wie lässt sich dann aber der aktu- produziert aus Sonnen- und Wind- elle Hype um den „grünen“ Wasser- energie, wurde als ein universelles Die Ziele der Energiewende in Deutsch- stoff erklären und was hat sich in den Wundermittel für die Zukunft gesehen. land, 2010 durch das Bundesministeri- letzten vier Dekaden verändert? Profes- Eine technische Lösung war greifbar, um für Wirtschaft und Energie formu- sor Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch vom der Strom aus der erneuerbaren Ener- liert, und das ambitionierte Klimaziel Steinbeis-Innovationszentrum energie- gie aber viel zu teuer. Inzwischen hat der EU mit dem „Green Deal“ aus dem plus geht dieser Frage nach. Seine sich zum einen die Zielsetzung geändert, Jahr 2019 lassen sich aus Sicht des Überzeugung: Eine der Schlüsseltech- es geht heute um die kostenoptimale Steinbeis-Experten Manfred Norbert nologien für das klimaneutrale Europa Verringerung der anthropogenen CO2- Fisch nur annähernd mit einem extrem ist die Umwandlung des Überangebots Emissionen zur Minimierung von Kli- beschleunigten Ausbau der Photovolta- von Strom aus erneuerbaren Energien mafolgeschäden. Zum anderen ist der ik- und Windenergieanlagen erreichen. Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 21 sätzlich kann es in Brennstoffzellen zur ben in Deutschland und 2 Mrd. Euro für Rückverstromung genutzt werden. Da- Beteiligungen in sonnenreicheren Län- neben wird der grüne Wasserstoff in dern zur Verfügung gestellt werden. Es den nächsten Jahren zur Dekarbonisie- wäre notwendig, einen großen Teil des rung der Industrie und Mobilität benö- 750 Mrd. Euro umfassenden EU-Kon- tigt. Mit rund 33 kWh/kg ist die Ener- junkturprogramms in Südeuropa für giedichte im Vergleich zum Diesel rund den Aufbau von Industrie und Projekten dreimal so hoch, sodass H2 als Kraft- im Kontext des Green Deal einzusetzen, stoff ein hohes Potenzial zum Beispiel um damit zukunftssichere Arbeitsplät- für den Einsatz im Schwerlastverkehr ze zu schaffen und grünen Strom und Anlieferung des Elektrolyseurs im hat. Für 1 kg Wasserstoff werden für die Wasserstoff nach Mitteleuropa zu ex- Klimaquartier Neue Weststadt Esslingen Spaltung durch die Elektrolyse 45 bis portieren. Wieviel von dem für 2050 ge- 50 kWh Strom benötigt und mit rund schätzten Bedarf mit rund 15 Mio. t 16-20 Liter Leitungswasser eine nicht Wasserstoff jährlich in Deutschland und unerhebliche Menge an Wasser. Die da- Europa produziert oder aus der Ferne bei abzuführende Wärme, im Tempera- importiert werden wird, ist weniger ent- turbereich von 60 bis 65 °C, wird in der scheidend als zu erkennen, dass der Regel an die Umgebung abgegeben. Der Zeitpunkt zu Handeln erreicht ist. Road- Wirkungsgrad von PEM- und alkalischen maps und Studien zu diversen Szenarien Elektrolyseuren liegt bei etwa 60 %. helfen nicht weiter, sie verkürzen nur die Der entscheidende Vorteil von Wasser- verbleibende Zeit der Umsetzung. Die stoffmolekülen ist die verlustfreie Spei- notwendigen Technologien zur Produk- cherung über lange Zeiträume, ganz im tion von grünem Wasserstoff sind alle Gegensatz zu Elektronen in Batterien. verfügbar, sie müssen nur angewendet Das spricht für die Mittel- und Langzeit- werden. speicherung von grünem Wasserstoff, um damit unter anderem die befürch- Ein völlig veralteter Ansatz geht der Fra- teten „Dunkelflauten“ – Zeiten, in denen ge nach, was der grüne im Vergleich zum wegen fehlenden Windes und Dunkel- konventionell hergestellten Wasser- heit keine Energie in Wind- und Photo- stoff kosten darf, 1,50 oder 2 Euro/kg? voltaikanlagen produziert werden kann Diese Frage ist im Kontext des Klima- – zu überbrücken. schutzplans der Bundesregierung nicht Die benötigte Kraftwerksleistung aus zielführend, vielmehr muss die Frage erneuerbaren Energien (EE) wird gegen- DER ZEITPUNKT ZU HANDELN beantwortet werden, mit welchen kos- über dem heutigen Stand mit ca. 110 GW IST JETZT tenoptimalen Maßnahmen das Ziel er- in Deutschland bis 2050 um mindestens reicht werden kann. Trotzdem muss die das Fünffache wachsen. Mit diesem Fak- Der aktuelle Hype um den grünen Was- Diskussion geführt werden, wo und mit tor wachsen dann auch nicht nutzbare serstoff wird durch die „Nationale Was- welchen Technologien die großen Men- Stromüberschüsse, die sich aus dem serstoffstrategie“ (NWS) der Bundes- gen an grünem Wasserstoff produziert fluktuierenden Angebot der EE ergeben. regierung beflügelt. Deutschland strebt werden, zu welchen Preisen er zu den Daher ist grüner Wasserstoff eines der mit der NWS die Weltmarktführerschaft Abnehmern kommt und welche Auswir- Schlüsselelemente der Energiewende: auf dem Gebiet der Wasserstofftechno- kungen auf die damit produzierten Wirt- Stromüberschüsse sollten nicht wie der- logie mit Elektrolysen, Brennstoffzellen, schaftsgüter zu erwarten sind. zeit üblich „abgeregelt“, sondern in den H2-Infrastruktur, H2-Abfüll- und Tank- chemischen Energieträger Wasserstoff stationen etc. an. Ein ambitioniertes Ziel, ELEKTROLYSE: WASSERSPALTUNG umgewandelt werden (Power-to-Gas). für das es notwendig sein wird, das DURCH STROM Dieser grüne Wasserstoff (H2) kann den German Engineering zu nutzen sowie Kohlenstoff in vielen Prozessen, zum risikofreudige und innovative Unterneh- Die Kosten des grünen Wasserstoffs Beispiel als Reduktionsmittel bei der men im Aufbau von Fertigungskapazi- hängen in erster Linie von den Strom- Stahlherstellung, ersetzen. Aus H2 las- täten im Gigawatt-Bereich in Europa zu gestehungskosten, den Betriebszeiten sen sich synthetisches Methan und syn- unterstützen. Bis 2030 sollen für den des Elektrolyseurs und von den Inves- thetische Kraftstoffe produzieren, zu- Markthochlauf 7 Mrd. Euro für Vorha- titionskosten der Elektrolyseanlagen ab. Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
22 FOKUS 2020 Strom Produktion 2050 60 % 20 % Atom Kohle Gas Gas BHKW 40 % 80 % Wind PV Wasser Wind PV Wasser Gebäude Kraftwerksleistung EE x5 Grüner Wasserstoff wird in den nächsten ge Verflüssigung, die Verluste und die und Windkraftwerksleistung auf 500 bis Jahren für 3 bis 5 Euro/kg produzierbar Kosten des Transports sowie die geo- 550 GW kein Flächenproblem. Für PV- sein. Die Anlagenkosten zur Produktion politische Abhängigkeit sind darüber hi- Anlagen sind ausreichend Dach- und von Wasserstoff werden durch eine in- naus Herkulesaufgaben, für die Lösun- Freiflächen vorhanden. 250 GW Photo- dustrielle Fertigung im Gigawatt-Bereich gen entwickelt werden müssen. „Nach voltaik würden umgerechnet lediglich um mindestens zwei Drittel auf spezifi- meinen Berechnungen ergeben sich un- 2 bis 3 % der landwirtschaftlich genutz- sche Investitionen von unter 500 Euro/ ter Berücksichtigung aller Aufwendun- ten Areale bedecken, ohne Berücksich- kW sinken. gen bis zum Abnehmer in Deutschland tigung von nutzbaren Dachflächen. keine nennenswerten Preisvorteile zwi- „Ein großer Teil des Wasserstoffs soll- schen Wasserstoff aus Deutschland be- Ein weiterer Vorteil einer in Deutschland te dort produziert werden, wo der Be- ziehungsweise Südeuropa und den ME- lokal eingebundenen elektrolytischen darf direkt gedeckt werden kann“, meint NA-Staaten“, so Manfred Norbert Fisch. Wasserstoffproduktion ist die Möglich- Manfred Norbert Fisch. Die Verteilung Es bleibt die Frage des Flächenpotenzi- keit, die aus dem Prozess entstehende über LKW-Trailer hat ihre Grenzen, letzt- als und der Akzeptanz in der Bevölkerung Abwärme zur Versorgung von Gebäuden endlich transportiert ein 40-Tonnen- zur Umsetzung der benötigten Windparks und Quartieren zu nutzen. Rund 30 % des Fahrzeug einige hundert Kilogramm und Photovoltaik-Freiflächenanlagen. In eingesetzten Stroms werden in Wärme Wasserstoff (15-20 MWh). Die Erdgas- Deutschland wäre der Ausbau der PV- umgewandelt. Die Effizienz des Systems netze in Deutschland sind grundsätz- lich geeignet, um die großen Wasser- Wasserstoffpreise beim Abnehmer stoffmengen zu verteilen sowie von Süd- nach Mitteleuropa zu transpor- tieren. In einer Übergangszeit bis 2050 wird es Mischnetze mit einem zweistel- ligen Prozentanteil an H2 geben. Paral- Verteilung lel werden zukünftig reine Wasserstoff- netze die Industriezentren in Europa verbinden. Wie der in Nordafrika oder Transport Transport Tanker anderen sonnenreichen Gegenden pro- Pipeline duzierte grüne Strom, grüne Wasser- stoff oder grüne Kraftstoff nach Europa kommt, ist eine spannende technisch- Produktion ökonomische Ingenieuraufgabe. Den Wasserstoff in den sonnenreichen, ari- den Gebieten herzustellen, erfordert große Wassermengen, die energieinten- siv überwiegend aus Meerwasser ge- Süddeutschland Südeuropa MENA-Region wonnen werden. Die energieaufwendi- Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
FOKUS 23 Erforderlicher Ausbau der PV- und O2 Abwärme 35 % Windenergiekapazitäten Wind- energie H2O 100 % 60 % „Grüner“ Strom Wasserelektrolyse Grüner H2 44 - 50 kWhel/kgH2 Energieperformance der Wasserstoffelektrolyse steigt damit deutlich, von rund 60 auf rund 500 Wohneinheiten, Büro- und gedeckt. Der Jahres-Nutzungsgrad der nahezu 90 %. Wenn nur die Hälfte des Gewerbeflächen sowie den Neubau der Elektrolyse erhöht sich somit auf etwa im Jahr 2050 benötigten grünen Was- örtlichen Hochschule. Ziel ist es, einen 85 bis 90 %. Die Untersuchungen zu serstoffs, also rund 7,5 Mio. t pro Jahr, nahezu klimaneutralen Stadtteil zu er- weiteren Vermarktungspfaden des grü- in Deutschland produziert wird, ent- richten. Im Projekt wird diese Größe mit nen Wasserstoffs, wie die Trailer-Ab- steht eine nutzbare Abwärme von etwa einer CO2-Emission pro Kopf und Jahr füllung oder der Bau von H2-Leitungen 110 TWh/a. Dies entspricht in etwa dem von unter einer Tonne für Wohnen und zu nahe gelegenen Industriestandorten, heutigen Fernwärmeaufkommen und Mobilität definiert. Erreicht wird das sind in der Bearbeitung. reicht zur Wärmeversorgung von rund unter anderem durch die Reduzierung 14 Mio. energetisch sanierten Wohnun- des Energiebedarfs, einen hohen Grad Das fast fertiggestellte Vorhaben ist ei- gen. Das Potenzial ist daher in vielerlei an Solarisierung (ca. 1.500 kWp PV), die nes der sechs Leuchtturmprojekte des Hinsicht erheblich und mit vorhandenen Nutzung der Abwärme aus der Wasser- 6. Energieforschungsprogramms der Konzepten erschließbar. stofferzeugung sowie den Einsatz von Bundesregierung in der Förderinitiative importiertem Biomethan in Blockheiz- „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt" AUF DEM WEG ZUR kraftwerken. Zentrales Element der und wird von 2017 bis 2022 mit etwa 12 KLIMANEUTRALEN STADT Energieversorgung des Quartiers ist Mio. Euro gefördert. Die im Jahr 2019 ein Wasserstoff-Elektrolyseur mit einer gegründete Gesellschaft Green Hydro- Das Projekt „Klimaquartier Neue West- Leistung von 1.000 kWel. Der eingesetz- gen Esslingen (GHE) ist der Investor, Be- stadt“ im baden-württembergischen te Strom kommt aus den auf den Ge- treiber und Vermarkter des grünen Was- Esslingen folgt dem Ansatz der heimi- bäudedächern installierten PV-Anlagen serstoffs und der Abwärme aus der schen Stromerzeugung aus erneuerba- sowie überwiegend aus Erzeugungs- H2-Produktion. In Abhängigkeit von den ren Energien, der lokalen Wasserstoff- anlagen, die von außerhalb überschüs- Strompreisen (8 bis 10 ct/kWh) ergibt produktion und der Abwärmenutzung sigen, erneuerbaren Strom über das sich aktuell ein Wasserstoffpreis von 6 zur Wärmeversorgung des Stadtteils. öffentliche Stromnetz liefern. Mit der bis 7 Euro/kg. Der Probebetrieb ist bis Der grüne Wasserstoff wird ins Erdgas- Abwärme aus dem Elektrolyseur wird Mai 2021 geplant, dann beginnt eine netz der Stadt eingespeist und trägt über ein Nahwärmenetz rund die Hälf- zweijährige Monitoringphase durch das damit zur Dekarbonisierung des Ener- te des Wärmebedarfs der Wohn- und Steinbeis-Innovationszentrum energie- giesektors bei. Im Rahmen der For- Gewerbeflächen und der Hochschule plus. schung wird darüber hinaus untersucht, welche weiteren direkten Verwertungs- pfade in die Sektoren Mobilität und In- dustrie in den nächsten Jahren tech- PROF. DR.-ING. MANFRED NORBERT FISCH manfred-norbert.fisch@steinbeis.de (Autor) nisch-wirtschaftlich erschlossen werden können. Das Reallabor der Energiewen- Steinbeis-Unternehmer Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Braunschweig) de auf einem innerstädtischen Areal von 12 ha wird im Juni 2021 eingeweiht. www.steinbeis.de/su/1725 Das Quartier umfasst im Endausbau Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 01|2021
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