"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
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Inhalt aus dem 2 Inhalt | Impressum 3 Vorwort Herbert Wölger 3 Das Nationalpark Gesäuse Team 4 Die Muster der Wildnis 8 Tierportrait 12 Die Seite der Landesforste 15 Wildmanagement 18 Gesäuse-Bilder 20 Wildnis 22 Barrierefreiheit 24 Mensch und Natur 26 Gesäuse Partner 31 Für den Naturschutz 32 Umweltbildung 33 Gemeinsam Berge versetzen 34 Wertschöpfungskette Wald-Holz 36 Almgeschichte – Teil 2 38 Forscherinnen und Forschern über die Schulter schauen 39 Weltweit einzigartig – Endemiten 40 Baum-Naturdenkmale 42 Fliegen 44 Gstatterboden 46 Fotofestival Gesäuse 48 Luchs Trail 50 Gut beobachtet 51 Jugendbeirat 52 Tourismus 54 Stift Admont 55 Gseiserl IMPRESSUM Im Gseis Nr. 32, Sommer 2019 Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich: Nationalpark Gesäuse GmbH Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2 Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18 E-Mail: office@nationalpark.co.at Internet: www.nationalpark.co.at Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwortung der jeweiligen Autoren. Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des Herausgebers. Layout: fuernholzer design & foto, St. Gallen. Druck: Wallig, Ennstaler Druckerei & Verlag Ges.m.b.H., Gröbming. Die Druckerei Wallig besitzt als erste Druckerei der Steiermark das Umweltzeichen. Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher üblichen Begriffe wie Nationalpark Ranger, Besucher etc. gleichberechtigt weiblich wie männlich zu verstehen. Titelseite: Zaunkönige Troglodytes troglodytes, Fotograf: Hannah Assil Seite 2: Am Luchs Trail, Fotograf: Max Mauthner Rückseite: Am Ausstieg des Peternpfades, Fotograf: Stefan Leitner ISSN-Nummer: 1993 - 8926 (Printausgabe) / 1993 - 9485 (Webausgabe)
Vorwort Wem gehört die Natur? D ie Natur gehört uns nicht als Beobachter. Was immer wird, ist in Ganzes. Wir brauchen allerdings Ordnung. Wir sind dort der Verantwortung einen Teil von ihr. Diesen Teil enthoben, dass etwas wird. Baruch de sollen wir nutzen. Für diesen Teil sind Spinoza sah in Geist und Materie, Gott, wir verantwortlich. Für diesen Teil sollen der Welt und der Natur eine Einheit. wir Sorge tragen. Dann gibt es einen Teil Arthur Schopenhauer entgegnete auf der Natur, den wir sein lassen und nicht diesen Pantheismus „der böse Geist beanspruchen sollen. Um diesen Teil – und die Natur sind Eins“. Aber: die Natur nennen wir ihn Wildnis – brauchen wir uns hat weder eine gute noch eine böse nicht kümmern. Ich weiß, wie schwer uns Absicht. Auch das zeigen uns Wildnis und das fällt. Nationalparks. © Stefan Leitner Kulturfreie Räume sind selten geworden. In kulturfreien Gebieten wie Nationalparks Wir finden sie vielleicht noch in der lassen wir einfach zu. Sie sind daher Antarktis, in Wüsten und Gebirgen. eine Schule der Gelassenheit! Und diese Vor allem aber in Nationalparks. In den Ruhe und Gelassenheit brauchen wir, Kerngebieten der Nationalparks sind wir um die richtigen Gedanken und Wege für nicht für die Natur und deren Entwicklung die Weiterentwicklung unserer Kultur zu Herbert Wölger zuständig, sondern nur Zuschauer und finden. Nationalparkdirektor Das Team Wir kümmern uns darum, dass im Gesäuse der Natur möglichst viel Raum bleibt. Getreu unserem Motto: Weil es Sinn macht – weil es schön ist! © Stefan Leitner Das Team des Nationalparks. Nicht im Bild: Nationalpark Ranger und die Kollegen der Steiermärkischen Landesforste. Sommer 2019 | Im Gseis 3
Die Muster der Wildnis CORINNA HECKE, MICHAEL JUNGMEIER & DANIEL KREINER Die Auswirkungen von Naturprozessen auf die Pflanzenwelt im Nationalpark © Hecke (E.C.O.) am Beispiel des Kühgrabens Die charakteristischen Schuttrinnen des Kühgrabens Anhand von vier Untersuchungs- Diskurs zum Thema Wildnis natürliche Prozesse eine wichtige Rolle. gebieten (Kühgraben, Johnsbach, Gemäß Festlegung der Wild Europe Enns, Kalktal) wird der Einfluss Wildnis und Wildnisgebiete sind ein Initiative ist ein Wildnisgebiet durch die von dynamischen Prozessen auf wesentlicher Teil des europäischen entsprechenden Naturprozesse bestimmt. die Vegetationszusammensetzung, Naturerbes. Die aktuelle naturschutz- Das Gebiet muss groß genug sein, „um Vegetationsmuster und Vegetations- politische Diskussion um „Wildnis“ wirft das effektive ökologische Ablaufen abfolgen im Nationalpark Gesäuse eine Reihe von praktischen, ebenso wie natürlicher Prozesse“ (WILD EUROPE untersucht. Mit dem Versuch, diese wissenschaftlichen Fragen auf (HUBER & INITIATIVE 2014) gewährleisten zu können. störungsgeprägten Ökosysteme in ihren JUNGMEIER 2016). So nimmt zum Beispiel räumlichen und zeitlichen Mustern die europäische Debatte wiederholt Bezug Wenig berücksichtigt ist in diesen zu beschreiben, soll die Grundlage für auf den US Wilderness Act von 1964, der Beschreibungen, dass „natürliche ein Gesamtinventar der Naturprozesse Wildnis unpräzise als Gebiete definiert, wo Prozesse“ sehr unterschiedliche im Nationalpark Gesäuse erarbeitet „die Erde und ihre Lebensgemeinschaften Qualitäten sowie räumliche und werden. vom Menschen unbeeinflusst sind und wo zeitliche Maßstäbe haben und zwischen Dadurch wird sichtbar, in welchem der Mensch selbst nur als zeitweiliger Gast biotischen und abiotischen Prozessen Ausmaß Hochwässer, Lawinen und auftritt.“ In europäischen Landschaften, unterschieden wird, wie zum Beispiel Murenabgänge die Pflanzenwelt selbst in arktischen, hochalpinen oder die Pflanzenzusammensetzung, verändern und so zur standörtlichen sehr abgelegenen Gebieten, sind derartige jahreszeitliche Entwicklungen oder Vielfalt und Biodiversität beitragen Flächen kaum noch vorhanden. Im Kontext tierische Wanderungen. und nicht zuletzt, wie wichtig dieser Diskussionen soll ein Inventar der Die Untersuchung des Kühgrabens ein konsequenter Schutz von Naturprozesse im Nationalpark Gesäuse beschränkt sich auf die Untersuchung Naturprozessen ist. einen naturwissenschaftlichen Zugang der Vegetationszusammensetzung, Der Artikel basiert auf der bringen. Dabei wird versucht, Wildnis als Vegetationsmuster und Vegetations- wissenschaftlichen Publikation eine Summe von natürlichen Prozessen zu abfolgen in dessen Schüttgräben, die von Hecke, C., Jungmeier, M. & beschreiben und zu erfassen. mit Mitteln der Vegetationskunde erfasst Kreiner, D. „Die Muster der Wildnis und beschrieben werden. Die räumlichen – Am Weg zu einem Inventar der Dimensionen der Untersuchung liegen Naturprozesse im Nationalpark Wildnis als Summe natürlicher im Bereich zwischen Quadratdezimetern Gesäuse (Ennstaler Alpen)“, die im Prozesse und Quadratkilometern. Die zeitlichen Jahr 2018 in den Mitteilungen des Dimensionen der Untersuchung liegen Naturwissenschaftlichen Vereines für In naturwissenschaftlichen Definitionen zwischen einem Jahr und mehreren Steiermark (Bd. 148) erschienen ist. und Beschreibungen von Wildnis spielen Jahrhunderten. 4 Nationalpark Gesäuse | Die Muster der Wildnis
Die Muster der Wildnis Naturprozesse, im Sinne der vorliegenden Studie, sind demnach Muster im Raum und in der Zeit, welche die Ökosysteme charakterisieren. Sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dimension sind mit Mitteln eines Naturschutz- oder Nationalparkmanagements gestaltbar. Naturprozesse im Nationalpark Gesäuse Der Nationalpark Gesäuse ist für Naturprozessforschung in besonderem Maße prädestiniert. In der Naturzone (derzeit 83 Prozent der Fläche) sollen © Hecke (E.C.O.) natürliche Prozesse ungestört ablaufen. Die Gesäuseberge sind durch hohe Reliefenergien charakterisiert. Dies bedingt eine Vielzahl von gravitativen, dynamischen Prozessen, wie Lawinen, Muren und Felsstürzen. „Wildes Wasser Kühgraben im Nationalpark Gesäuse – Steiler Fels“, mit diesen Schlagworten wird der Nationalpark Gesäuse verbunden. Daher wurde in der Nationalparkforschung Der Kühgraben – ein der Landschaft formt und der Schutt auch ein Schwerpunkt auf die störungsgeprägtes Ökosystem sich schließlich ablagert. Speziell die Inventarisierung (STANGL 2011) und Schmelzwässer im Frühjahr verursachen Beobachtung dieser Flächen gelegt (KLIPP Der Kühgraben besteht aus hochdyna- den Abtransport des gelockerten & SUEN 2011, HALLER et al. 2013). Ein mischen Mur- und Lawinenrinnen an den Gesteinsmaterials hangabwärts in den hoher Stellenwert wurde dem Thema Südflanken des Buchsteins. Das Verwit- Graben. Entlang der Rinne sind ältere auch im Forschungskonzept für die Jahre terungsmaterial im Einzugsgebiet des Schotterkörper ausgebildet, die nur 2013-2023 gegeben, wobei es vor allem Kühgrabens ist von Dachsteinkalk bei Extremereignissen in Bewegung um die ökologischen Zusammenhänge auf dominiert. Dieser verwittert zwar nicht so geraten und daher zum Teil von kleinen diesen Flächen gehen sollte (MARINGER & rasch wie Magnesium-Karbonat (= Haupt- Waldinseln überwachsen sind. KREINER 2012). anteil des Dolomits), aufgrund der In Summe sind der Kühgraben und JUNGMEIER et al. (1998) haben versucht, enormen Reliefenergie (Höhenunterschied auch der östlich gelegene Rotgraben die Naturprozesse im Nationalpark von über 1.600 m auf einer Länge von dynamische Systeme, in denen Hohe Tauern zu erfassen. Sie haben 3.000 m) kommt es dennoch zu einer Standortverhältnisse vorherrschen, die zehn „Leitprozesse“ herausgearbeitet, beachtlichen Erosion des Gesteins. Bei nur von einer hochspezialisierten Flora als in ihrer Verbreitung modelliert und Starkregenereignissen gerät die lockere Lebensraum genutzt werden kann (vgl. zusammenfassend beschrieben. Diese Schuttmasse in Bewegung und „rinnt“ KAMMERER 2008). Systematik kann in abgewandelter Form talwärts, wo sie die markante Rinne in auch für den Nationalpark Gesäuse herangezogen werden: • Primäre Sukzessionen (z.B. Vegetations- entwicklung auf primärem Substrat oder bei biogener Verlandung) • Dynamik von Klimax-Gesellschaften (z.B. Vegetationsentwicklung von alpinen Rasen, Wäldern oder Mooren) • Dynamik von anthropogenen Dauergesellschaften (z.B. Vegetationsentwicklung von genutzten oder nicht mehr genutzten Almweiden, Wiesen oder Mähdern) • Dynamik von Disklimax-Gesellschaften (Vegetationsentwicklung in hoch- © Hecke (E.C.O.) dynamischen und störungsgeprägten Ökosystemen) In einem Screening wurde der Kühgraben und die darin vorherrschenden Naturpro- zesse als einer der vier Untersuchungs- Die verschiedenen Standortverhältnisse der Schuttrinnen des Kühgrabens von gebiete im Nationalpark für bewaldeten Randgebieten bis zu vegetationslosen Schuttflächen, Detailuntersuchungen ausgewählt. die teilweise permanent in Bewegung sind. Sommer 2019 | Im Gseis 5
Die Muster der Wildnis und höheren Artenzahlen äußert. Mit einem größeren Feinerdereichtum und zunehmender Bodenbildung erfolgt über gehölzreiche Sukzessionsstadien die Weiterentwicklung zu Gebüschen und Blockwäldern (vgl. AMT DER STEIERMÄRKISCHEN LANDESREGIERUNG 2008). Die Latschengebüschinseln im Ruhschuttfeld können sich entweder als Dauergesellschaft etablieren oder bei ungestörter Boden- und Vegetationsentwicklung zum Klimaxwald weiterentwickeln. © Hecke (E.C.O.) Struktogramme und Dynamogramme Die Vegetationszusammensetzung, Vegetationsmuster und Vegetationsab- folgen werden durch Muster im Raum und Durch ständige Veränderung des Lebensraums bilden sich hochspezialisierte in der Zeit, in Form von Struktogrammen Vegetationszusammensetzungen aus. und Dynamogrammen dargestellt. In den Struktogrammen wird das räumliche Schuttrinnen als Lebensraum einer Murabgänge, Überschwemmungen Gefüge des jeweiligen Naturprozesses als hochspezialisierten Flora und Lawinenabgänge, wo sie bei abstrahiertes Muster der entsprechenden Extremereignissen ebenfalls auf das Vegetationseinheiten, basierend auf deren Die Vegetation der Schuttrinnen des Ausgangsstadium der vegetationslosen tatsächlicher räumlichen Ausdehnung, Kühgrabens wurde im Rahmen der Schuttfläche zurückgesetzt werden dargestellt. Biotopkartierung der Jahre 2006 und können. 2007 untersucht (KAMMERER 2008). Je zentraler die Schuttflur am Murgang Für die Analyse des zeitlichen Gefüges Die wasser- und schwerkraftbedingten liegt, desto wahrscheinlicher ist eine wurde aus dem räumlichen Muster das Umlagerungen des Gesteins bestimmen Rückführung in eine vegetationslose (meist naheliegende) zeitliche Muster des die natürlichen Prozesse des Kühgrabens. Schuttrinne bzw. die periodische Prozesses als Abfolge unterschiedlicher Durch Erosion und Anlagerung entstehen Überlagerung mit Schuttmaterial Vegetationseinheiten generiert und in unterschiedlich alte Schuttfelder, die die unterschiedlicher Gesteinsgrößen. den Dynamogrammen entsprechend Vegetationsentwicklung bestimmen. Die Instabilität und Trockenheit des Kies- dargestellt. Durch diese ständige Veränderung der und Schottermaterials in der zentralen Lebensräume werden für unterschiedlich Schuttrinne erlaubt zunächst keine spezialisierte Organismen, Pflanzen (nennenswerte) Vegetationsentwicklung. Ausblick zur Inventarisierung von wie Tiere, ständig neue Nischen als An den Abhängen zur Schuttrinne Naturprozessen Lebensraum geschaffen. Auf einer befinden sich so genannte Untersuchungsfläche von insgesamt Regschuttfluren mit feinerem Material, Die Untersuchung zeigt die räumlichen 750 m2 konnten 129 unterschiedliche die bei ständigem Nachrieseln ebenso wie und zeitlichen Muster, welche Gefäßpflanzenarten dokumentiert werden, die flacheren Schuttfluren im zentralen durch Störungsereignisse in einem mit einer durchschnittlichen Artenzahl von Bereich die Entwicklung von Vegetation hochkomplexen Ökosystem entstehen. 27 Arten je Vegetationsaufnahme. nicht zulassen. Diese sind durch die natürliche Die Vegetation der Karbonatregschutt- Sukzession hin zur Klimaxgesellschaft Die Klimaxgesellschaft im Untersuchungs- halden wird stark von Exposition und und die gegenläufigen Störungsregimes gebiet ist der Buchenwald. Von KAMMERER dem Feinerdeanteil beeinflusst. Bei charakterisiert. Mit der Erhebung dieser (2008) wurde jedoch dokumentiert, dass abnehmender Schuttbewegung kann Muster wurde ein Verfahren getestet, diese Waldstandorte von Fichtenforsten sich eine Pioniervegetation (artenarm das es erlaubt, natürliche Prozesse zu eingenommen werden. Kleinräumig sind und mit geringer Deckung) ausbilden. erfassen und vergleichend nebeneinander aber noch Buchenwaldbestände ausge- Durch beginnende Verwitterung zu stellen. Damit können die natürlichen bildet, wie z.B. östlich des Murgangs. Die entsteht ein Rohboden, der mit einer Prozesse des Nationalparks Gesäuse Waldfläche im Westen ist als Fichtenwald Schuttflurvegetation besiedelt werden systematisch erfasst und zu einem kartiert, es handelt sich um einen kann. Diese trägt mit ihrem Wurzelwerk Gesamtinventar geführt werden. Auf der aufgeforsteten Buchenwald-Standort. zur Festigung der Schutthalde bei. Grundlage entsprechender Erhebungen Durch die Extremereignisse wird die Die Ruhschutthalde, also Teile der lässt sich eine Typologie der Prozesse Klimaxgesellschaft immer wieder in das Schutthalde mit ruhendem Gestein, liegt sowie ein Gesamtinventar erstellen. Stadium einer vegetationslosen Schuttflur im Kühgraben auf erhöhtem Niveau über Damit kann ein wichtiger Schritt zum zurückgeworfen, was den Ausgangspunkt dem eingetieften Murgang. Verständnis und konsequenten Schutz der Sukzession darstellt. Die Waldinseln Je älter die Schuttflur, desto besser kann von Naturprozessen im Nationalpark sind auf kleine Sonderstandorte der sich die Vegetation entfalten, was sich in gemacht werden. Schuttfelder beschränkt. Sie liegen am einer größeren Vegetationsbedeckung Rand der Einflussgebiete der 6 Nationalpark Gesäuse | Die Muster der Wildnis
Die Muster der Wildnis Struktogramm (räumliche Muster gemäß Vegetationserhebung): die Vegetationsmuster folgen den hangnormalen, unterschiedlich alten und unterschiedlich verfestigten Schuttkörpern (Quelle: Hecke et al. 2018). HECKE, C., JUNGMEIER, M. & KREINER, D. 2018: Die Muster der Wildnis – Am Weg zu einem Inventar der Naturprozesse im Nationalpark Gesäuse (Ennstaler Alpen). Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines für Steiermark Bd. 148. 107-130 Dynamogramm (zeitliche Muster gemäß Vegetationserhebung): zeitliche Abfolge der Vegetationseinheiten in einem Muster aus verschiedenen Sukzessionen von vegetationsfreien Schotterkörpern zum Buchen- beziehungsweise Fichtenwald als Klimaxgesellschaft. Vegetationsbestimmend ist der Grad der Verfestigung der Schotterkörper. Durch Mur- und Hochwasserereignisse wird die Entwicklung in unterschiedlichen Frequenzen und Intensitäten zurückgeworfen (Quelle: Hecke et al. 2018). Sommer 2019 | Im Gseis 7
Tierportrait ALEXANDER MARINGER Alpensalamander © Herfried Marek Ein ungewöhnlicher Alpenbewohner im Portrait Das stehende Oberflächenwasser Strategie zu finden. Die Gelbbauchunken Viel Fürsorge verschwindet im Karst schnell. im Gesäuse pflanzen sich nur alle zwei Alle Amphibien benötigen jedoch Jahre fort, um den rauen Bedingungen Alpensalamander haben ihren ausreichend Wasser für die begegnen zu können (siehe Im Gseis Lebensrhythmus dem kurzen alpinen Fortpflanzung. Alpensalamander Winter 2016). Amphibien, die sich Sommer angepasst. Im Winterhalbjahr haben dieses Problem anders gelöst: außerhalb des Wassers fortpflanzen, suchen sie einen geschützten Die Weibchen haben ihre Tragezeit sind damit Helden unter ihresgleichen! Unterschlupf auf und verfallen in eine stark verlängert und bringen voll Dem Alpensalamander ist genau das Kältestarre. Von April bis September sind entwickelte Jungtiere zur Welt. gelungen und er hat damit den gesamten sie aktiv und auch über den gesamten Alpenraum bis in große Höhen erobert. Zeitraum hinweg paarungsbereit. A ls vor 380 Millionen Jahren die ersten Landwirbeltiere auftraten, bildete sich die Linie der Amphibien heraus. Ihre Strategie war einfach und erfolgreich: An Land leben und für die Fortpflanzung ins Wasser zurückkehren. Alle Amphibien wie Frösche, Kröten und Unken, sind an das Wasser gebunden und legen dort ihre Eier ab. Daraus ergibt sich jedoch auch ein Limit: Süßwasser muss ausreichend lang vorhanden sein, um die Entwicklung der Eier und Frühstadien zu gewährleisten. Sonst vertrocknen sie und © Johannes Pötscher die Generation ist verloren. Der Feuersalamander ist einen Schritt weitergegangen und benötigt Wasser nur noch, um die weit entwickelten kiementragenden Larven darin freizusetzen. Nun erscheint es nicht einfach, im Karst Ein eher gemächlicher Bergwanderer und ein beliebtes Fotomotiv genügend Wasser für eine solche 8 Nationalpark Gesäuse | Tierportrait
Tierportrait Dazu bringt das Männchen das Weibchen treu geblieben. Sie bewohnen feuchte Präferenzen in der Nahrungswahl und zunächst in Stimmung. Dann setzt es Laub- und Mischwälder, Blockhalden und sind wenig gewillt, ihre Beute aktiv zu Samenpakete ab, denn es besitzt keinen Almen in der Nähe von Gebirgsbächen. verfolgen. So sind es vor allem Insekten, Penis oder ähnliche Organe, um den Eine hohe Luftfeuchtigkeit bestimmt Spinnentiere, Nacktschnecken und Samen direkt in die Kloake des Weibchens ihre Aktivitätsphasen, etwa nach Regen Regenwürmer, die als Nahrung in Frage zu überführen. Weibchen können ein oder früh morgens. Sie meiden Wind kommen. Alles was überwältigt werden bis drei Samenpakete aufnehmen und oder Sonne, da die empfindliche Haut kann, wird gefressen. Feuchtigkeit wird die Spermien sogar befruchtungsfähig schnell austrocknet. Unter solchen über die Haut aufgenommen, so dass sie über zwei Jahre hinweg erhalten. Von Bedingungen verkriechen sie sich nicht aktiv trinken müssen. einer Vielzahl an Eiern werden nach und sind beinahe unauffindbar. Durch Vor ihren Feinden schützen sich dem Eisprung nur zwei befruchtet. Der ihre erfolgreiche Strategie können sie Alpensalamander, indem sie eine Rest der etwa 100 Eier zerfällt wieder Höhen bis 2.800 Metern besiedeln. Der Abwehrhaltung einnehmen und mit dem und dient dem geschlüpften Embryo Verbreitungsschwerpunkt liegt etwa bei Kopf umherschlagen. Dabei sondern die als eiweißreiche Nahrung. Danach 1.700 Höhenmetern. Ohrendrüsen ein weißliches Sekret ab, produziert das erwachsene Tier eigene das das Alkaloid Samandarin enthält. Auf Zellen, von denen die beiden Larven im der Schleimhaut des Angreifers wirkt es Mutterleib fressen können. Zunächst Salamander trinken nicht stark giftig, führt zu Atembeschwerden besitzen diese Larven Kiemen, wie das und Maulsperre. Alpensalamander auch beim Feuersalamander der Fall Alpensalamander sind eher gemächlich werden von Rabenvögeln und Kreuzottern ist. Die Larven wären theoretisch in unterwegs. Gefressen wird, was ihnen vor gefressen, die jedoch gegen dieses Gift einem Gewässer überlebensfähig. Sie die Schnauze kommt. Sie zeigen keine nicht immun sein dürften. verweilen aber im Körper der Mutter und schließen ihre Metamorphose dort ab. Die Kiemen werden reduziert und die Lungen bilden sich aus. Die Entwicklung dauert in tiefen Lagen zwei Jahre, über 1.000 Metern bereits drei Jahre. In Höhen über 2.000 Metern läuft die Entwicklung noch langsamer ab, sodass vier bis fünf Jahre bis zur Geburt vergehen. Das macht den Alpensalamander zum Wirbeltier mit der längsten Entwicklungsdauer. Erst nach dieser langen Zeitspanne erblicken die etwa vier Zentimeter großen, voll ausgebildeten Jungtiere das Licht der © Toni Kerschbaumer Welt. Erwachsene Tiere können bis zu 15 Zentimeter lang und 15 Jahre alt werden. Bei aller Anpassung sind die Alpen- salamander den nassen Lebensräumen Charakteristisch ist die glänzende, schwarze Haut der Salamander © Archiv Nationalpark Gesäuse © Kunz Bei Gefahr „verkrümmen“ sich die Tiere Auch bei den „Tagen der Artenvielfalt“ stößt man auf die „Wegmandln“ Sommer 2019 | Im Gseis 9
Tierportrait Die Bergmandln Wanderern ist das pechschwarze, glänzende Tier ein Begriff. Immer wieder stößt man auf den Alpensalamander und so kommt der Name „Bergnarr“ oder „Wegmandl“ oft auch in historischen Geschichten vor. In Westösterreich wird der Alpensalamander auch als „Tattermandl“ bezeichnet. Während eine Ableitung auf die übliche Bezeichnung einer Vogelscheuche hindeutet, geht eine andere von der Verstümmelung des lateinischen Namens Salamandra atra © Andreas Hollinger aus. Aus „atra“, das nichts anderes als schwarz bedeutet, wird Tattermandl – das zitternde Männchen. Das Kopfzittern beschreibt möglicherweise das oben erwähnte Abwehrverhalten des Alpensalamanders. Nach einem sommerlichen Regenguss im Hartelsgraben Verwechseln kann man die Alpensala- sind oft hunderte Individuen zu sehen. mander nur mit Bergmolchen, die in der Landtracht auch eine sehr dunkle Oberseite besitzen. Bergmolche haben aber einen roten Bauch, während Alpen- salamander durchgehend schwarz sind. Alpenendemit Alpensalamander sind im Alpenbogen verbreitet. Ihr Vorkommen beginnt östlich des Rhônetales, zieht sich über die Schweiz bis Österreich und reicht von den bayerischen Alpen im Norden © Alexander Maringer bis ins italienische Piemont und das slowenische Karstgebiet im Süden. Auch in den Dinariden gibt es versprengte Vorkommen des Alpensalamanders, deren Ursprünge man gerade genetisch ergründet. Inneralpin fehlt die Art durch seine ökologischen Ansprüche Der Feuersalamander ist ein naher Verwandter des Alpensalamanders. immer wieder in Trockentälern oder in kristallinem Gestein, so etwa im Tiroler Ötztal. Dort, wo aber der Lebensraum günstig ist, treten Alpensalamander in großer Individuendichte auf. Auch im Gesäuse werden jedes Jahr nach einem sommerlichen Regenguss 100 und mehr Tiere im Hartelsgraben beobachtet. Die nahe Verwandtschaft Eine zweite Art trifft man im Talboden auch bei uns. Der Feuersalamander ist ein naher Verwandter des Alpensalamanders. Auch er entwickelt seine Eier noch im Körper zu Larven. Diese besitzen aber noch Kiemen, wenn © Hubert Keil sie ins Wasser abgegeben werden. Erst dort wachsen sie zu adulten Tieren heran. Mit den Kiemenbüscheln sind die Feuersalamander-Larven eindeutig von Kein Vergnügen: Diese Ringelnatter versucht einen giftigen Fröschen und Kröten, mit dem breiten Feuersalamander zu fressen. Kopf und gelben Flecken an den Beinen, 10 Nationalpark Gesäuse | Tierportrait
Tierportrait auch von Molchen zu unterscheiden. Salamanderfressender Pilz zu Gute kommen. Das, obwohl man Die bei erwachsenen Feuersalamandern annimmt, dass Alpensalamander als sehr ausgeprägte schwarz-gelbe In der Community der Herpetologen wechselwarme Tiere in dieser Höhenlage Färbung ist eine Warnfarbe, die auf seine herrscht helle Aufregung. Seit 2008 einem Stress ausgesetzt sind, der ihr Ungenießbarkeit hinweist. Der Gelbanteil breiten sich in Europa zwei hochinfektiöse Immunsystem belastet und sie anfällig für variiert sehr stark und kann zu Streifen Pilzarten aus, die Amphibien befallen Krankheitserreger macht. oder großen Flächen verschmelzen. und rasch zu deren Tod führen. Einmal mehr muss man in diesem Kollegen aus dem Wildnisgebiet Bisher wurden zwei Töpfchenpilze, Zusammenhang über den Klimawandel Dürrenstein staunten vergangenen einer mit dem furchteinflößenden spekulieren. Was passiert, wenn die Sommer, als sie ein schwarz-rotes Namen „salamanderfressender“ Pilz, Durchschnittstemperaturen steigen und Exemplar entdecken. Die Farbvariation identifiziert. Der Ausgangspunkt diese Infektionskrankheit in größere beim Feuersalamander geht aber noch Niederlande lässt vermuten, dass die Höhen vordringt? Was passiert mit den weiter. Es sind Albinos bekannt, die Pilze über Handelswege aus Südostasien Alpensalamandern, wenn noch extremere blass gelblich erscheinen oder völlig eingeschleppt wurden. Bis 2010 ist die Witterung oder (klein-)klimatische schwarze Exemplare. Diese Variationen Population der Feuersalamander in dem Veränderungen ihren Abwehrkräften sind aber besondere Ausnahmen, die man westeuropäischen Land auf weniger als zusetzen? selten zu Gesicht bekommt. Für letztere 5 % des Ursprungs zusammengebrochen. braucht man einen zweiten Blick, um sie Seither verfolgt man bang die Ausbreitung vom Alpensalamander unterscheiden zu über Belgien und Deutschland. © Christian Deschka können. Es geht aber auch umgekehrt: Bedroht sind mehr als 200 europäische Der Goldene Alpensalamander Amphibienarten. Ein Massensterben wird Salamandra atra aurorae ist eine Unterart befürchtet und bis dato gibt es keine des Alpensalamanders, die „goldene“, wirksamen Behandlungsmethoden für also gelb-braune Flecken auf der Haut infizierte Tiere im Freiland. zeigt. Hier könnte es sein, dass ausgerechnet Sie ist der Wissenschaft erst seit 1978 Ein Alpensalamander wird zum der Alpensalamander eine günstige bekannt und kommt im italienischen Feuersalamander. Das Modell aus Nische erwischt hat. Die unwirtlichen Venezien in einem sehr kleinen Biokunststoff ist eine innovative Idee für Bedingungen im alpinen Bergland Verbreitungsgebiet vor. Schulklassen und Jugendgruppen des hemmen auch den Pilz. Niedrige Biologen und Lehrers Christian Deschka Temperaturen und lange Winter (christiandeschka@hotmail.com). könnten hier dem Alpensalamander Sommer 2019 | Im Gseis 11
Landesforste ANDREAS HOLZINGER Die Seite der © Ernst Kren Steiermärkischen Landesforste Frühjahrsszenario Nahezu täglich, ja fast stündlich Winter mit Schneehöhen, die Gartenzäune Johnsbach und Hieflau. Insbesondere kommen Meldungen im Rundfunk, mühelos verschwinden ließen, eine die drei Rotwildfütterungen im Gseng, Fernsehen und der Presse über nahezu fixe Konstante waren und beim Gstatterbodenbauer und im Revier Schneemengen, -verfrachtungen, stundenlanges Schaufeln (es gab Hieflau Schattseite waren freizuräumen, Lawinengefahr, gesperrte Straßen, noch keine handlichen Schneefräsen) um die tägliche Betreuung für das Rotwild hängengebliebene Schwerfahrzeuge, morgens und abends die Tagesordnung sicher zu stellen. Ein schwieriges und Eiseskälte, Wind und Schnee. prägten. Was bedeutete das aber heuer risikoreiches Unterfangen, mussten Tatsächlich eine ungewohnte Situation: für die Arbeit der Landesforste im doch mehrere Gefahrenstellen für In einem breiten Niederschlagsband, Nationalpark? Zunächst Schneeräumung Lawinenabgänge täglich zweimal gequert vom Ausseerland bis Mariazell in Ortsteilen von Gstatterboden, werden. eine Woche Schneetreiben – und das Gesäuse mittendrin! Nach den beschaulichen Weihnachtsfeiertagen Wintereinbruch aller Orten. Und während man in Graz und Wien zwar bei frostigen Temperaturen, aber sonst gemütlich im schneefreien Beserlpark spazieren konnte, waren vier der sechs Landesforst-Reviere, nämlich Johnsbach, das Laussatal, Gstatterboden und Hieflau zehn Tage lang gänzlich von der Umwelt abgeschnitten oder wie Wigg, der Kölblwirt zu sagen pflegt: „Die Umwelt ist von Johnsbach abgeschnitten!“ Man braucht also nur die Seite zu wechseln. © Karl Platzer Dennoch ein normaler Winter, wie er früher immer war Viele ältere Einheimische bestätigen, dass Beobachtungshütte, mit ca. 800 kg Schneelast beschwert in den Fünfziger- und Sechziger Jahren 12 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Landesforste In Hieflau kam noch das Problem der zusammenhängenden Gebieten ohne alle naturbegeisterten Skitourengeher Straßensperre beim Bahnhof durch Störungen und abgewehten Rücken und Schneeschuhwanderer: Bitte gefahrdrohenden Steinschlag dazu – möglich, wo das Wild auch im Winter bleibt im Frühjahr zur Zeit der Balz Sicherungsarbeiten dauerten eineinhalb selbstständig Äsung freischlagen kann. von Birk- und Auerwild und im Winter Monate! Die Landesforste verfolgen da eine während der Notzeit des Wildes auf andere Strategie: In unseren beiden den gekennzeichneten und gespurten Aber nicht nur Fütterungen, sondern auch Kesseln in Johnsbach und Gstatterboden Routen und akzeptiert so die Habitate der Sitze, Kanzeln und Beobachtungshütten wurde der Winterlebensraum durch Wildtiere – sie würden energieraubende im Hinterland – nur mit Skidoo oder touristische Nutzung, Infrastruktur, Fluchten sonst mit ihrem Leben bezahlen! Tourenski erreichbar – mussten durch Straße, Eisenbahn, etc. dermaßen abgeschaufelt werden. eingeengt, dass ein Überwintern des Wildes ohne Schäden der Vegetation bei Zeit für Gefahrenbaummanagement Störungen durch Skitourengeher oder Rotwildfütterung – ja oder nein? Schneeschuhwanderer ausgeschlossen Wenn noch keine Besucher in den scheint. Daher sehen wir die klassischen Besucherzentren beim Etliche Großbetriebe folgen seit geraumer notwendige Fütterung des Rotwildes Weidendom, am Leierweg oder am Zeit dem Trend – einem Kärntner als Kompensation für den verringerten Rauchbodenweg unterwegs sind, ist die Pilotprojekt folgend – Rotwildfütterungen Lebensraum. Die hohen Fallwildzahlen beste Gelegenheit, abgestorbene Bäume nicht mehr zu beschicken und damit der beiden nicht gefütterten Wildarten entlang der Forststraßen und Wanderwege Hirsche, Tiere und ihre Kälber in Rehwild und Gamswild belegen die zu entfernen. Damit soll das Verletzungs- der Hochlage oder im Schutzwald harte Realität einer natürlichen Auslese. und Gefahrenrisiko minimiert werden. unversorgt überwintern zu lassen. Prozessschutz einmal anders! Das ist aber nur in großräumigen, Daher ein Appell an dieser Stelle an © Stefan Leitner © Martin Zorn Hinweistafel zur Respektierung des Wildlebensraumes Fällen von Gefahrenbäumen Sommer 2019 | Im Gseis 13
Landesforste Kurze Rückblende auf unsere Arbeit im abgelaufenen Jahr 2018 Bestandesumwandlungen auf ca. 1,5 ha Fläche im August durch Fällung und Entrindung von Fichten zur Mischungs- regelung; Umschneiden von abgestorbenen Eschen entlang der Themenwege und Errichtung von stabilen Bänken entlang des von Professor Sepp Hasitschka konzipierten und am 1. September bei strömendem Regen aber ungeteilter Begeisterung eröffneten „Kupferweges“ von der Radmer ins Johnsbachtal – standen am © Sepp Hasitschka Arbeitsprogramm. Den herbstlichen Abschluss bildete wieder die traditionelle Gamszählung in ausgewählten Revierteilen des Gesäuses, an der – neben dem Berufspersonal Hier lässt es sich gemütlich ausrasten! der Landesforste und den Kollegen des Nationalparks – auch jagdlich versierte Pensionisten mithalfen. Die wir auch heuer wieder neue Akzente Möge ihm und damit auch uns der Erfolg dabei gezählten und hochgerechneten und Verbesserungen für die beschieden sein – das wünscht uns allen Bestandszahlen dürften nach diesem Besucherbetreuung gesetzt. der Fachbereichsleiter, Winter mit seiner hohen natürlichen Mortalität wohl länger nicht mehr zu Spannend wird letztlich auch die erreichen sein! Zusammenarbeit mit unserem neuen Andreas Holzinger Pächter im Gesäuse – Pavillon in Mit dem Ausbau zweier Hütten und dem Gstatterboden, der viele junge und gute Matratzenlager am Campingplatz haben Ideen mitbringt. © Max Mauthner Der Nationalpark-Pavillon erwartet seine Gäste 14 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Wildmanagement ANDREAS HOLZINGER Von der Pachtjagd in einem Großrevier zum Wildmanagement im Schutzgebiet © Christian Mayer Rückblick auf 15 Jahre Entwicklung des Wildlebensraumes im Nationalpark Ein Birkhahn oder „Kleiner Hahn“ bei der Bodenbalz im Frühjahr Als im Jahre 2003 das Schutzgebiet Am Anfang war das Wort in Form des und der bestehenden Rechtsbescheide. Nationalpark Gesäuse per Gesetz Managementplanes – und dieser Plan Diese formelle Basis gibt den Berufsjägern und Verordnung Wirklichkeit wurde, war gut… eine gewisse Sicherheit bei der Planung wusste noch niemand genau, wohin die denn er beruhte auf dem Leitbild der Bejagungs- und Schonzeiten, Reise gehen sollte und vor allem, wie unseres Schutzgebietes, der Strategie Stärke der Eingriffe und aller anderen lange es dauern würde, ob und „Schalenwildmanagement in Österreichs flächenbezogenen Maßnahmen mit bis wann der Wald, die Almen und Nationalparken“ und orientierte sich Auswirkungen auf das jagdliche Umfeld, Hochlagen als Lebensraum der formell am gültigen Steirischen Jagdgesetz etwa der Wechsel in andere Reviere und Wildtiere – und auch diese selbst der Fütterungsstandorte. Andererseits – ohne menschliches Zutun einer ist eine nachvollziehbare Vorgangsweise natürlichen Entwicklung überlassen des Wildmanagements für die Interessen werden könnten. der benachbarten Grundbesitzer wichtige Durch das Fehlen von Großprädatoren Voraussetzung für eine partnerschaftliche wie Bär, Wolf und Luchs in unserer Akzeptanz, die uns ein besonderes Kulturlandschaft einerseits und die Anliegen ist. Tatsache einer ständigen natürlicher Reproduktion der Schalenwildarten Festgelegte und wichtige Eckpfeiler des Rotwild, Rehwild und Gams und Wildmanagements im Nationalpark: Es deren Wechselbeziehungen zum gibt weder Pächter noch Abschussnehmer Lebensraum im und außerhalb des im Nationalpark, das gesamte Nationalparks andererseits, war Wildmanagement wird von beeidetem schnell klar: Für diese wichtige Berufspersonal der Landesforste wahr- Aufgabe des Wildmanagements genommen. Bestandeszählungen an den braucht es gesunden Hausverstand, Rotwildfütterungen ergeben die Höhe der Gebietskenntnis und konkret definierte Reduktion, außer den drei Hauptwildarten © Andreas Holzinger Rahmenbedingungen, offene und Rot-, Reh- und Gamswild, für die es einen ehrliche Diskussion und vor allem: behördlich bewilligten Abschussplan gibt, Geduld und Zeit! Ein konkreter werden lediglich Sauen und Mufflons auf Auftrag also für Berufsjäger und Begegnung bejagt, alle anderen jagdbaren Forstpersonal der Landesforste, daher Wildarten – vom Auerwild, Birkwild bis zu auch passend unser Slogan beim Start: Reinecke Fuchs sind ganzjährig geschont, „Zeit für Natur“ – gleichermaßen Managementplan Schalenwild 2012 bzw. werden nur mit der „Fotolinse“ gültig für Wald, Wild und Mensch! Sommer 2019 | Im Gseis 15
Wildmanagement geschossen. Herzstück aller raum- bezogenen Tätigkeiten ist jedoch eine laufend zu adaptierende Zonierung. Strenge Naturzone als Wildruhezone und Managementzone Diese „wildökologische Maßnahme“ der Zonierung ermöglicht etwa den Muttertieren, ihre Kitze und Kälber in ungestörten und ruhigen Waldteilen zu setzen, abseits von Steigen, wo kein Schuss fällt und die „Kinderstube“ ganzjährig respektiert wird. Hier sollte auch die Vernunft des freiwilligen © Alexander Maringer Verzichts unserer wandernden Naturliebhaber oder Fotografen, diese Gebiete nicht zu betreten, höher bewertet werden als es die: „Freie Betretbarkeit des Waldes für Erholungszwecke“ durch das Forstgesetz ´75 ermöglicht. Die Festlegung von jagdlichen Maßnahmen auf „gemanagte Arbeitsbereiche“ Zonierung des Nationalparkgebietes andererseits hat sinnvollerweise auch waldbauliche Zielsetzungen. Wo Verbisskonzentrationen diese verhindern z.B. Rehwild – auch in Gebirgsregionen – gebracht. Im Zuge der Umstellung auf oder Jagdnachbarn Schäden geltend ohne Fütterung Winter überleben kann, wiederkäuergerechte Raufuttervorlage machen wollen, muss gezielt bejagt da es sich in Talbereichen mit Prossäsung wurden bei beiden Fütterungen neue werden! Allerdings gilt der vom Menschen von Wildgehölzen einstellt und so die Futterstadel zur Einlagerung weitgehend definierte Begriff des Schadens im Winter überdauert. Diesem Grundsatz selbsterzeugten Futters (Heu und Prozessschutz ohnehin als relativ, denken folgend wurden im Zeitraum von 15 Jahren Heusilage) errichtet. wir etwa an den lockeren Spruch: „Es ist mittlerweile alle Rehfütterungen aufgelöst dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in und abgebaut. Die regelmäßige und tägliche Präsenz den Himmel wachsen“… dachte der Jäger, ermöglicht dem Berufspersonal einen als ihm der Förster die abgebissenen Anders verhält es sich bei Rotwild. Da genauen Überblick über Stückzahl, Triebspitzen der Bäumchen zeigte. bei dieser Wildart der Wechsel von den Geschlechterverhältnis und Altersklassen- Sommereinständen im Gebirgswald, aufbau, also eine nachvollziehbare Basis Alm und Latschenhochlagen in die für die Abschussplanung. Die gemeinsam Hohe Sensibilität bei Fütterung und natürlichen Wintereinstände in ferneren mit der Nationalparkverwaltung Reduktion Augebieten durch Infrastruktur nicht mehr installierte Wilddatenbank erlaubt möglich ist, werden die Stücke bei zwei darüber hinaus genaue Einblicke in Wissenschaftliche Studien und Langzeit- etablierten Rotwildfütterungen im Gseng Zeitreihen der Bestandesentwicklung. beobachtungen gehen davon aus, dass und in Gstatterboden über den Winter © Heimo Kranzer © Karl Platzer Auflassung und Abbau einer Rehfütterung Rotwild bei der Fütterung im Gseng 16 Nationalpark Gesäuse | Wildmanagement
Wildmanagement © Heimo Kranzer © Karl Platzer Futterstadel im Gseng Mit dem Revierjäger auf DU und DU Reviereinrichtungen: Notwendiges oder Reh, Hirsch und Gams in ihrer Fleischqualität und Genusswert von Übel oder Erleichterung im Paarungszeit, der Brunft. Dass dabei Wildbret: Mehrere wissenschaftliche Wildmanagement habitatverbessernde Maßnahmen wie die Institute begleiten uns auf unserer Anlage von Flugschneisen, Frattenlegen Erfahrungsreise: Raumberg-Gumpenstein, Dort, wo Wildtiere beobachtet, gezählt – notwendige Voraussetzungen sind, sei Veterinärmedizinische Uni Wien, Uni Graz oder bejagt werden sollen, wurden Sitze, hier nur am Rande erwähnt. Und wenn oder Privatdozenten. Kanzeln und Wildwiesen abgetragen dann einmal ein Auerhahn zutraulich – auch wegen etwaiger Haftung bei wird, hat das weniger mit Dankbarkeit Solcherart gut betreut und umfassend unbefugter Inanspruchnahme durch oder Jägerliebe zu tun, sondern vielmehr informiert geben wir dieses Wissen gerne neugierige Touristen oder unwissende mit seinen turbulenten Hormonen in der wertfrei an unsere Sympathisanten Kinder. turbulenten Zeit der Balz. oder auch Kritiker weiter durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit, ständig aufklärende Gespräche in der Natur oder am Highlights der Besucherlenkung: Nichts geht mehr ohne begleitende Stammtisch. Es gibt vieles zu berichten, Erlebnis- und Beobachtungsführungen Wissenschaft zu erleben und laufend zu erfahren – von den letzten 15 Jahren im Rückblick und Besonders beliebt bei Schulgruppen, Egal, ob Monitoring bei den einem neugierigen Blick in die Zukunft aber auch Familien und insbesondere Raufußhühnern (Projekt unter – zur gedeihlichen Entwicklung unseres Fotografen sind die geführten wissenschaftlicher Begleitung seit Nationalparks und seiner Wildtiere. Wanderungen oder Ansitze auf Auerwild 2005), Konditionsparameter bei Gams und Birkwild, Murmeltiere im Sommer und Hirsch, oder Untersuchungen zur © Heimo Kranzer © Karl Platzer Bau einer neuen Kanzel im Beobachtungshütte mit ausgeschnittener Flugschneise Gstatterboden Kessel Sommer 2019 | Im Gseis 17
Gesäuse-Bilder MAX MAUTHNER Portrait des Gesäuse-Fotografen © Max Mauthner Max Mauthner Traumhafte Morgenstimmung am Tamischbachturm – früh Aufstehen lohnt sich! Fotografieren bedeutet die Augen zu Genau deshalb ist es für mich als Fotograf Im Sommer und Herbst 2018 bekam ich öffnen, zu schauen und zu versuchen, immer wieder etwas Besonderes, hierher die Möglichkeit, mich erneut intensiv mit das Gesehene festzuhalten. Wer zurückzukehren und Neues zu entdecken. dem Gebiet in und um das Gesäuse zu fotografiert, muss genau hinsehen. Ich wurde 1993 in Deutschlandsberg beschäftigen: Ich wurde von der ARGE Dazu möchten wir die Besucherinnen geboren, meine Kindheit verbrachte ich in Luchs Trail gebeten, den neuen Weitwan- und Besucher im Nationalpark St. Oswald ob Eibiswald an den Ausläufern derweg durch die Schutzgebiete National- einladen. Aus diesem Grund der Koralpe. Seit 2013 lebe ich in Graz und park Kalkalpen, Nationalpark Gesäuse und portraitieren wir hier und in den bin seit meinem Studienabschluss 2017 Wildnisgebiet Dürrenstein in emotionalen nächsten Ausgaben Menschen, die selbstständig als Grafiker und Fotograf vor und authentischen Bildern einzufangen. genau hingesehen haben, und zeigen allem in den Bereichen Outdoor, Lifestyle Die gefühlt grenzenlose Vielfalt auf den elf ihre Bilder. und Sport tätig. Tagesetappen des Luchs Trails, ermöglichte Im Sommer 2017 konnte ich im Rahmen es mir, mich trotz konzeptioneller des Fotografie-Stipendiums der National- Vorgaben fotografisch frei auszuleben und I ch verbringe einen großen Teil meiner parks Austria erstmals mit allen Sinnen auf jeder Etappe neue Herausforderungen Zeit – beruflich wie privat – im Freien. in die nahezu unberührte Wildnis des zu erleben. Einen Auszug aus den Als leidenschaftlicher Bergsteiger und Nationalparks Gesäuse eintauchen. Ich entstandenen Fotos finden Sie auf dieser Fotograf bin ich stets auf der Suche nach verbrachte zwei Wochen auf der Hüpf- Doppelseite sowie auf den Seiten 48 neuen Abenteuern und Blickwinkeln. linger Alm, einer abgelegenen Jagdhütte und 49. Bei jeder Wanderung mit im Gepäck: am Fuße des Lugauers. Kein Strom, kein Dankbarkeit, ein so schönes und Warmwasser, kein Handyempfang – dafür vielfältiges Land mein Zuhause nennen zu eine unglaublich reizvolle Umgebung als Mehr Infos unter dürfen. Und natürlich meine Kamera. Das Basis und Inspiration für meine fotografi- maxmauthner.at Gesäuse in all seinen Facetten – egal, ob sche Arbeit. So entstanden hier in absolu- instagram.com/maxmthnr schroffe Berggipfel, saftig-grüne Almen ter Abgeschiedenheit drei eigenständige oder malerische Gewässer – ist für mich Bildstrecken, die meine Erlebnisse in dieser ein einzigartiges Naturjuwel. sehr intensiven Zeit bildlich darstellen. Wohlverdiente Rast in malerischer Umgebung Das Admonterhaus verabschiedet sich am Ende der Gsengscharte langsam aber sicher in die Nacht 18 Nationalpark Gesäuse | Gesäuse-Bilder
Gesäuse-Bilder Sonnenuntergang am Gamsstein Herbstfarben-Palette im Haindlkar Eiskaltes Quellwasser im Flitzengraben Gesäuse at its best – ein gewaltiger Blick auf den Buchstein in der Nachmittagssonne Sommer 2019 | Im Gseis 19
Wildnis REINHARD PEKNY © Johannes Pötscher Werte der Wildnis Wir müssen uns zurücknehmen und einfach zuschauen Wildnis zulassen, das sollte doch Wildnis hat kein Wollen und Planen Wir können nirgendwohin nachschauen einfach sein, möchte man meinen. von uns Menschen, wir müssen uns gehen, wie das die Natur so erfolgreich Einfach nichts tun. Bei näherer zurücknehmen und einfach zuschauen, seit der Eiszeit gemacht hat… Betrachtung stellt sich aber heraus, was passiert. Je naturnäher der dass für den Menschen das „Nichts Ausgangszustand ist, desto schneller Wildnis als Genreservat tun“ eine besonders schwere Aufgabe sind wir dort, wie es die Natur ohne uns darstellt. Welchen Wert hat aber gemacht hätte. In einigen Gebieten wird Wir haben Lebewesen in diesen Gebieten, Wildnis? Welchen Wert hat eine es Jahrzehnte dauern, bis es richtig wild die es wo anders kaum oder gar nicht Fläche des bewussten „Nichts tuns“? wird und in anderen, beispielsweise gibt. Ein unglaubliches Potential, das Reinhard Pekny vom Wildnisgebiet Industriebrachen, dauert es vermutlich wir weltweit zerstören, ohne es vorher Dürrenstein hielt beim Lichtbildgipfel Jahrhunderte. Aber ganz wichtig: Wildnis gekannt zu haben. Gesäuse einen Impulsvortrag zum ist Selbstüberlassenheit. Wir nehmen uns „Wert der Wildnis“. Hier ein Auszug zurück. Das fällt uns Menschen immer Wildnis als Evolutionsraum daraus: schwer: wir machen gerne etwas, wir managen. Aber Wildnis kann man nicht Evolution ist ein Prozess, der ohne unser managen! Sobald man etwas tut, ist es Zutun abläuft. Sobald wir auftauchen, Wert der Wildnis nicht mehr Wildnis. etwas wollen, planen, verändern, wird die Evolution verändert. Viel schneller als Der Wert der Wildnis – da muss man Wie kann das Ungenutzte überhaupt wir jemals geglaubt hätten. Manchmal ist vorher fragen, was ist überhaupt Wildnis? einen Wert haben? dieses Verändern beabsichtigt: Züchtung, In naturwissenschaftlichen Definitionen Auswahl, Genmanipulation, aber sie kann man den Begriff Wildnis gar nicht Ökosystemare Dienstleistungen passiert auch unbewusst, nur durch unser finden. Es gibt also in der Ökologie den Handeln. Ob das von Vorteil sein wird, sei Begriff Wildnis nicht. Wildnis ist für uns Zum einen haben die ökosystemaren dahingestellt. Umso wichtiger ist es, dass ein Kontrastbegriff. Er hat immer nur Dienstleistungen einen viel zu wenig es auch Gebiete gibt, wo diese Prozesse einen Sinn im Gegensatz zur Zivilisation, beachteten Wert. von uns unbeeinflusst ablaufen können. zur Kulturlandschaft. Dort, wo wir nicht Sauberes Wasser, Luft zum Atmen Evolution bedeutet, vorbereitet sein auf wirken, wo wir nicht tätig sind, das und ein fruchtbarer Boden. Für uns eine Zukunft, die niemand kennen kann. ist Wildnis. Wildnis kann auch wieder selbstverständlich, obwohl es nicht Die beste Vorbereitung auf eine Zukunft, entstehen, im Gegensatz zu Urwald. selbstverständlich ist. die niemand kennen kann, ist Vielfalt – Wildnis wird sofort zur Wildnis, sobald wir Diversität. Je breiter wir aufgestellt sind, uns zurücknehmen und sagen: da machen Freiluftlabor für die Wissenschaft desto leichter wird sich ein Weg finden, wir nichts mehr und zwar nie wieder. So sich anzupassen und zu überleben. kann zum Beispiel aus einem Parkplatz Zum praktischen Wert gehört aber auch Auf unserer Erde passiert aber gerade oder aus einer Bergbau-Folgelandschaft „Wildnis als Freiluftlabor“. Wir können eine Reduktion dieser Vielfalt in einem oder einer Industriebrache im Ruhrgebiet da Prozesse untersuchen, die auch auf unglaublichen Ausmaß! Wildnis werden – sobald wir uns unseren Kulturlandschaftsflächen sehr zurücknehmen. hilfreich sind. Dort sehen wir, wie es Das alles ist praktischer Nutzen von Hier soll es aber vor allem um den die Natur macht. Wir können lernen, Wildnis, der direkt auf unser Leben Wert einer naturnahen Waldwildnis wie wir die Kräfte der Natur optimal einwirkt aber nirgends aufscheint, in gehen, wie wir sie beispielsweise im nutzen um zu wirtschaften, denn wir keiner Bilanz, in keiner Kalkulation. Wildnisgebiet Dürrenstein haben, oder in müssen wirtschaften! Das Traurige ist den Nationalparks Gesäuse und Kalkalpen aber, wir haben für den Großteil unserer finden. Ökosysteme keine Referenzflächen mehr. 20 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis © Johannes Pötscher Wildnis als Freiluftlabor Darüber hinaus gibt es aber auch noch ganzen Welt. Wir haben einen Großteil Unverständnis gestoßen, weil der Mensch andere Dinge: wir sind nicht nur materielle der Flächen in Beschlag genommen, die noch immer bedroht war in seiner Wesen, sondern wir haben auch Gefühle, meisten Ökosysteme überprägt und in Existenz. Hoffnungen, Träume und deswegen gibt Kulturlandschaft verwandelt. Ökologen es auch einen ideellen Nutzen der Wildnis: sagen, man müsste etwa ein Drittel der Das Zulassen von Wildnis ist eine Ökosysteme sich selbst überlassen, Kulturleistung. Man muss in seiner Wildnis als Erlebnisraum damit die Funktionalität der Erde Zivilisation gefestigt sein und selbstsicher aufrechterhalten werden kann. Bei vielen sein um zu sagen: ja, in diesen Gebieten Wildnis ist ein guter Ort, um zu sich selbst Lebensraumtypen sind wir weit davon nehmen wir uns zurück, dort machen wir zu finden, um sich zu erden. Ideal wäre, entfernt. Feuchtgebiete haben wir bereits nichts, das können wir uns leisten und es wenn man längere Zeit in der Wildnis 90 % trocken gelegt und in Ackerland interessiert uns, was dort dann geschieht. unterwegs sein könnte. verwandelt, bei den Wäldern kann Wir haben vor nicht allzu langer Zeit die man weltweit etwa ein Drittel noch als Wildnis verlassen. In den letzten 8.000 Wildnis als Besinnungsraum naturnah oder Urwald bezeichnen, aber Jahren hat sich aber in unseren Körpern, in die Fläche wird täglich kleiner. unserer genetischen Anlage nicht sehr viel Sich besinnen auf die Grundbedürfnisse verändert, das sollte uns bewusst sein. des Lebens. Besinnen auf sich selbst, auf In Europa wurden 99,9 % der Wälder Trotzdem wünscht sich niemand, dass wir die Beziehungen zwischen uns Menschen. umgewandelt in Kulturlandschaft oder in zurückkehren in die Wildnis. Wir müssen In der Wildnis sind Beziehungen sehr Forste. ein ausgewogenes Maß finden zwischen wichtig. Wir hätten in der Vergangenheit den Zugängen zur Wildnis und zur nicht überlebt, wenn wir nicht als soziale Wildnis und Freiheit Nutzung der Flächen, die wir für unsere Wesen unterwegs gewesen wären. Existenz brauchen. Für viele Menschen ist Wildnis eine Intrinsischer Wert von Wildnis Bedrohung, verbunden mit Katastrophen. Katastrophen sind Elementarereignisse. Niemand muss sich vor Wildnis fürchten Das Leben an und für sich ist eine Erdbeben, Erdrutsche, Überschwem- – in Europa schon gar nicht. Wildnis ist „Organisationsform“, die gegen die mungen. Sie hängen nicht mit Wildnis eine Randerscheinung und wird eine Entropie wirkt. Die Entropie macht alles zusammen. Diese Elementarereignisse Randerscheinung bleiben. Wir haben gleich. Irgendwann wird das gesamte finden in der Wildnis genauso statt wie in in der EU etwa 1 % der Fläche, die noch Universum gleich finster und gleich kalt der Zivilisation. als Wildnis gelten kann. Wildnis ist sein. Die Materie wird gleich verteilt sein. ein Rückzugsgebiet; nicht nur für die Entropie wirkt auch heute, alles strebt Man muss sich aber davor hüten, Wildnis verschiedensten Organismen, die sich dort zur gleichmäßigen Verteilung, die das zu romantisieren. Wir könnten heute entwickeln können – ohne unser Zutun; absolute Chaos ist. Das Leben arbeitet mit unseren Fähigkeiten kaum mehr in nicht nur für Prozesse der Evolution, mit viel Energie dagegen. Darum ist es der Wildnis überleben. Wir haben uns in sondern auch für uns. Wir sind in der wichtig, auch die durch uns ungenutzte den letzten 8.000 bis 10.000 Jahren eine Wildnis entstanden und haben in ihr sehr Natur als Wert anzusehen. Zivilisation aufgebaut – eine ganz tolle erfolgreich und glücklich gelebt. Leistung! Erst wenn man gefestigt und Bedrohte Wildnis gesichert ist in seiner Kulturleistung, in Aus diesem Grund plädieren wir dazu, seiner Zivilisation, kann man überhaupt dort, wo es möglich ist, Wildnis wieder Die Wildnis auf diesem Planeten ist daran denken, wieder Wildnis zuzulassen. zuzulassen. durch uns bedroht. Wir sind in den Wenn man vor 200 Jahren gesagt letzten hundert Jahren der größte hätte, lassen wir doch große Gebiete „Sein lassen – Zeit lassen – Zulassen“ Aussterbefaktor für alle Arten auf der ungenutzt, wäre man sicher auf völliges Sommer 2019 | Im Gseis 21
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