"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19

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"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer ´19

Im Gseis
„Wildes Wasser              – Steiler Fels“
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Inhalt
  aus dem              2         Inhalt | Impressum
                       3         Vorwort Herbert Wölger
                       3         Das Nationalpark Gesäuse Team
                       4         Die Muster der Wildnis
                       8         Tierportrait
                       12        Die Seite der Landesforste
                       15        Wildmanagement
                       18        Gesäuse-Bilder
                       20        Wildnis
                       22        Barrierefreiheit
                       24        Mensch und Natur
                       26        Gesäuse Partner
                       31        Für den Naturschutz
                       32        Umweltbildung
                       33        Gemeinsam Berge versetzen
                       34        Wertschöpfungskette Wald-Holz
                       36        Almgeschichte – Teil 2
                       38        Forscherinnen und Forschern über die Schulter schauen
                       39        Weltweit einzigartig – Endemiten
                       40        Baum-Naturdenkmale
                       42        Fliegen
                       44        Gstatterboden
                       46        Fotofestival Gesäuse
                       48        Luchs Trail
                       50        Gut beobachtet
                       51        Jugendbeirat
                       52        Tourismus
                       54        Stift Admont
                       55        Gseiserl

            IMPRESSUM Im Gseis Nr. 32, Sommer 2019
            Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich:

                                          Nationalpark Gesäuse GmbH
                                          Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2
                                          Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18
                                          E-Mail: office@nationalpark.co.at
                                          Internet: www.nationalpark.co.at

            Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwortung der jeweiligen Autoren.
            Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des
            Herausgebers. Layout: fuernholzer design & foto, St. Gallen. Druck: Wallig, Ennstaler Druckerei & Verlag
            Ges.m.b.H., Gröbming. Die Druckerei Wallig besitzt als erste Druckerei der Steiermark das Umweltzeichen.

            Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher üblichen Begriffe
            wie Nationalpark Ranger, Besucher etc. gleichberechtigt weiblich wie männlich zu verstehen.

            Titelseite: Zaunkönige Troglodytes troglodytes, Fotograf: Hannah Assil
            Seite 2: Am Luchs Trail, Fotograf: Max Mauthner
            Rückseite: Am Ausstieg des Peternpfades, Fotograf: Stefan Leitner

            ISSN-Nummer: 1993 - 8926 (Printausgabe) / 1993 - 9485 (Webausgabe)
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Vorwort

Wem gehört die Natur?

D
      ie Natur gehört uns nicht als          Beobachter. Was immer wird, ist in
      Ganzes. Wir brauchen allerdings        Ordnung. Wir sind dort der Verantwortung
      einen Teil von ihr. Diesen Teil        enthoben, dass etwas wird. Baruch de
sollen wir nutzen. Für diesen Teil sind      Spinoza sah in Geist und Materie, Gott,
wir verantwortlich. Für diesen Teil sollen   der Welt und der Natur eine Einheit.
wir Sorge tragen. Dann gibt es einen Teil    Arthur Schopenhauer entgegnete auf
der Natur, den wir sein lassen und nicht     diesen Pantheismus „der böse Geist
beanspruchen sollen. Um diesen Teil –        und die Natur sind Eins“. Aber: die Natur
nennen wir ihn Wildnis – brauchen wir uns    hat weder eine gute noch eine böse
nicht kümmern. Ich weiß, wie schwer uns      Absicht. Auch das zeigen uns Wildnis und
das fällt.                                   Nationalparks.

                                                                                                                             © Stefan Leitner
Kulturfreie Räume sind selten geworden.      In kulturfreien Gebieten wie Nationalparks
Wir finden sie vielleicht noch in der        lassen wir einfach zu. Sie sind daher
Antarktis, in Wüsten und Gebirgen.           eine Schule der Gelassenheit! Und diese
Vor allem aber in Nationalparks. In den      Ruhe und Gelassenheit brauchen wir,
Kerngebieten der Nationalparks sind wir      um die richtigen Gedanken und Wege für
nicht für die Natur und deren Entwicklung    die Weiterentwicklung unserer Kultur zu      Herbert Wölger
zuständig, sondern nur Zuschauer und         finden.                                      Nationalparkdirektor

Das Team
Wir kümmern uns darum, dass im Gesäuse der Natur möglichst viel Raum bleibt.
Getreu unserem Motto: Weil es Sinn macht – weil es schön ist!

                                                                                                                             © Stefan Leitner

       Das Team des Nationalparks. Nicht im Bild: Nationalpark Ranger und die Kollegen der Steiermärkischen Landesforste.

                                                                                                        Sommer 2019 | Im Gseis 3
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Die Muster der Wildnis

   CORINNA HECKE, MICHAEL JUNGMEIER & DANIEL KREINER

Die Auswirkungen von Naturprozessen
auf die Pflanzenwelt im Nationalpark

                                                                                                                                     © Hecke (E.C.O.)
am Beispiel des Kühgrabens
                                     Die charakteristischen Schuttrinnen des Kühgrabens

Anhand von vier Untersuchungs-            Diskurs zum Thema Wildnis                     natürliche Prozesse eine wichtige Rolle.
gebieten (Kühgraben, Johnsbach,                                                         Gemäß Festlegung der Wild Europe
Enns, Kalktal) wird der Einfluss          Wildnis und Wildnisgebiete sind ein           Initiative ist ein Wildnisgebiet durch die
von dynamischen Prozessen auf             wesentlicher Teil des europäischen            entsprechenden Naturprozesse bestimmt.
die Vegetationszusammensetzung,           Naturerbes. Die aktuelle naturschutz-         Das Gebiet muss groß genug sein, „um
Vegetationsmuster und Vegetations-        politische Diskussion um „Wildnis“ wirft      das effektive ökologische Ablaufen
abfolgen im Nationalpark Gesäuse          eine Reihe von praktischen, ebenso wie        natürlicher Prozesse“ (WILD EUROPE
untersucht. Mit dem Versuch, diese        wissenschaftlichen Fragen auf (HUBER &        INITIATIVE 2014) gewährleisten zu können.
störungsgeprägten Ökosysteme in ihren     JUNGMEIER 2016). So nimmt zum Beispiel
räumlichen und zeitlichen Mustern         die europäische Debatte wiederholt Bezug      Wenig berücksichtigt ist in diesen
zu beschreiben, soll die Grundlage für    auf den US Wilderness Act von 1964, der       Beschreibungen, dass „natürliche
ein Gesamtinventar der Naturprozesse      Wildnis unpräzise als Gebiete definiert, wo   Prozesse“ sehr unterschiedliche
im Nationalpark Gesäuse erarbeitet        „die Erde und ihre Lebensgemeinschaften       Qualitäten sowie räumliche und
werden.                                   vom Menschen unbeeinflusst sind und wo        zeitliche Maßstäbe haben und zwischen
Dadurch wird sichtbar, in welchem         der Mensch selbst nur als zeitweiliger Gast   biotischen und abiotischen Prozessen
Ausmaß Hochwässer, Lawinen und            auftritt.“ In europäischen Landschaften,      unterschieden wird, wie zum Beispiel
Murenabgänge die Pflanzenwelt             selbst in arktischen, hochalpinen oder        die Pflanzenzusammensetzung,
verändern und so zur standörtlichen       sehr abgelegenen Gebieten, sind derartige     jahreszeitliche Entwicklungen oder
Vielfalt und Biodiversität beitragen      Flächen kaum noch vorhanden. Im Kontext       tierische Wanderungen.
und nicht zuletzt, wie wichtig            dieser Diskussionen soll ein Inventar der     Die Untersuchung des Kühgrabens
ein konsequenter Schutz von               Naturprozesse im Nationalpark Gesäuse         beschränkt sich auf die Untersuchung
Naturprozessen ist.                       einen naturwissenschaftlichen Zugang          der Vegetationszusammensetzung,
Der Artikel basiert auf der               bringen. Dabei wird versucht, Wildnis als     Vegetationsmuster und Vegetations-
wissenschaftlichen Publikation            eine Summe von natürlichen Prozessen zu       abfolgen in dessen Schüttgräben, die
von Hecke, C., Jungmeier, M. &            beschreiben und zu erfassen.                  mit Mitteln der Vegetationskunde erfasst
Kreiner, D. „Die Muster der Wildnis                                                     und beschrieben werden. Die räumlichen
– Am Weg zu einem Inventar der                                                          Dimensionen der Untersuchung liegen
Naturprozesse im Nationalpark             Wildnis als Summe natürlicher                 im Bereich zwischen Quadratdezimetern
Gesäuse (Ennstaler Alpen)“, die im        Prozesse                                      und Quadratkilometern. Die zeitlichen
Jahr 2018 in den Mitteilungen des                                                       Dimensionen der Untersuchung liegen
Naturwissenschaftlichen Vereines für      In naturwissenschaftlichen Definitionen       zwischen einem Jahr und mehreren
Steiermark (Bd. 148) erschienen ist.      und Beschreibungen von Wildnis spielen        Jahrhunderten.

4 Nationalpark Gesäuse | Die Muster der Wildnis
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Die Muster der Wildnis

Naturprozesse, im Sinne der vorliegenden
Studie, sind demnach Muster im Raum
und in der Zeit, welche die Ökosysteme
charakterisieren. Sowohl die räumliche
als auch die zeitliche Dimension sind
mit Mitteln eines Naturschutz- oder
Nationalparkmanagements gestaltbar.

Naturprozesse im Nationalpark
Gesäuse

Der Nationalpark Gesäuse ist für
Naturprozessforschung in besonderem
Maße prädestiniert. In der Naturzone
(derzeit 83 Prozent der Fläche) sollen

                                                                                                                                  © Hecke (E.C.O.)
natürliche Prozesse ungestört ablaufen.
Die Gesäuseberge sind durch hohe
Reliefenergien charakterisiert. Dies
bedingt eine Vielzahl von gravitativen,
dynamischen Prozessen, wie Lawinen,
Muren und Felsstürzen. „Wildes Wasser                                Kühgraben im Nationalpark Gesäuse
– Steiler Fels“, mit diesen Schlagworten
wird der Nationalpark Gesäuse verbunden.
Daher wurde in der Nationalparkforschung    Der Kühgraben – ein                          der Landschaft formt und der Schutt
auch ein Schwerpunkt auf die                störungsgeprägtes Ökosystem                  sich schließlich ablagert. Speziell die
Inventarisierung (STANGL 2011) und                                                       Schmelzwässer im Frühjahr verursachen
Beobachtung dieser Flächen gelegt (KLIPP    Der Kühgraben besteht aus hochdyna-          den Abtransport des gelockerten
& SUEN 2011, HALLER et al. 2013). Ein       mischen Mur- und Lawinenrinnen an den        Gesteinsmaterials hangabwärts in den
hoher Stellenwert wurde dem Thema           Südflanken des Buchsteins. Das Verwit-       Graben. Entlang der Rinne sind ältere
auch im Forschungskonzept für die Jahre     terungsmaterial im Einzugsgebiet des         Schotterkörper ausgebildet, die nur
2013-2023 gegeben, wobei es vor allem       Kühgrabens ist von Dachsteinkalk             bei Extremereignissen in Bewegung
um die ökologischen Zusammenhänge auf       dominiert. Dieser verwittert zwar nicht so   geraten und daher zum Teil von kleinen
diesen Flächen gehen sollte (MARINGER &     rasch wie Magnesium-Karbonat (= Haupt-       Waldinseln überwachsen sind.
KREINER 2012).                              anteil des Dolomits), aufgrund der           In Summe sind der Kühgraben und
JUNGMEIER et al. (1998) haben versucht,     enormen Reliefenergie (Höhenunterschied      auch der östlich gelegene Rotgraben
die Naturprozesse im Nationalpark           von über 1.600 m auf einer Länge von         dynamische Systeme, in denen
Hohe Tauern zu erfassen. Sie haben          3.000 m) kommt es dennoch zu einer           Standortverhältnisse vorherrschen, die
zehn „Leitprozesse“ herausgearbeitet,       beachtlichen Erosion des Gesteins. Bei       nur von einer hochspezialisierten Flora als
in ihrer Verbreitung modelliert und         Starkregenereignissen gerät die lockere      Lebensraum genutzt werden kann (vgl.
zusammenfassend beschrieben. Diese          Schuttmasse in Bewegung und „rinnt“          KAMMERER 2008).
Systematik kann in abgewandelter Form       talwärts, wo sie die markante Rinne in
auch für den Nationalpark Gesäuse
herangezogen werden:

• Primäre Sukzessionen (z.B. Vegetations-
  entwicklung auf primärem Substrat oder
  bei biogener Verlandung)
• Dynamik von Klimax-Gesellschaften
  (z.B. Vegetationsentwicklung von
  alpinen Rasen, Wäldern oder Mooren)
• Dynamik von anthropogenen
  Dauergesellschaften (z.B.
  Vegetationsentwicklung von genutzten
  oder nicht mehr genutzten Almweiden,
  Wiesen oder Mähdern)
• Dynamik von Disklimax-Gesellschaften
  (Vegetationsentwicklung in hoch-
                                                                                                                                  © Hecke (E.C.O.)

  dynamischen und störungsgeprägten
  Ökosystemen)

In einem Screening wurde der Kühgraben
und die darin vorherrschenden Naturpro-
zesse als einer der vier Untersuchungs-           Die verschiedenen Standortverhältnisse der Schuttrinnen des Kühgrabens von
gebiete im Nationalpark für                              bewaldeten Randgebieten bis zu vegetationslosen Schuttflächen,
Detailuntersuchungen ausgewählt.                                   die teilweise permanent in Bewegung sind.

                                                                                                        Sommer 2019 | Im Gseis 5
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Die Muster der Wildnis

                                                                                                        und höheren Artenzahlen äußert.
                                                                                                        Mit einem größeren Feinerdereichtum
                                                                                                        und zunehmender Bodenbildung erfolgt
                                                                                                        über gehölzreiche Sukzessionsstadien
                                                                                                        die Weiterentwicklung zu Gebüschen
                                                                                                        und Blockwäldern (vgl. AMT DER
                                                                                                        STEIERMÄRKISCHEN LANDESREGIERUNG
                                                                                                        2008).
                                                                                                        Die Latschengebüschinseln im
                                                                                                        Ruhschuttfeld können sich entweder
                                                                                                        als Dauergesellschaft etablieren
                                                                                                        oder bei ungestörter Boden- und
                                                                                                        Vegetationsentwicklung zum Klimaxwald
                                                                                                        weiterentwickeln.

                                                                                     © Hecke (E.C.O.)
                                                                                                        Struktogramme und Dynamogramme

                                                                                                        Die Vegetationszusammensetzung,
                                                                                                        Vegetationsmuster und Vegetationsab-
                                                                                                        folgen werden durch Muster im Raum und
       Durch ständige Veränderung des Lebensraums bilden sich hochspezialisierte                        in der Zeit, in Form von Struktogrammen
                         Vegetationszusammensetzungen aus.                                              und Dynamogrammen dargestellt. In
                                                                                                        den Struktogrammen wird das räumliche
Schuttrinnen als Lebensraum einer            Murabgänge, Überschwemmungen                               Gefüge des jeweiligen Naturprozesses als
hochspezialisierten Flora                    und Lawinenabgänge, wo sie bei                             abstrahiertes Muster der entsprechenden
                                             Extremereignissen ebenfalls auf das                        Vegetationseinheiten, basierend auf deren
Die Vegetation der Schuttrinnen des          Ausgangsstadium der vegetationslosen                       tatsächlicher räumlichen Ausdehnung,
Kühgrabens wurde im Rahmen der               Schuttfläche zurückgesetzt werden                          dargestellt.
Biotopkartierung der Jahre 2006 und          können.
2007 untersucht (KAMMERER 2008).             Je zentraler die Schuttflur am Murgang                     Für die Analyse des zeitlichen Gefüges
Die wasser- und schwerkraftbedingten         liegt, desto wahrscheinlicher ist eine                     wurde aus dem räumlichen Muster das
Umlagerungen des Gesteins bestimmen          Rückführung in eine vegetationslose                        (meist naheliegende) zeitliche Muster des
die natürlichen Prozesse des Kühgrabens.     Schuttrinne bzw. die periodische                           Prozesses als Abfolge unterschiedlicher
Durch Erosion und Anlagerung entstehen       Überlagerung mit Schuttmaterial                            Vegetationseinheiten generiert und in
unterschiedlich alte Schuttfelder, die die   unterschiedlicher Gesteinsgrößen.                          den Dynamogrammen entsprechend
Vegetationsentwicklung bestimmen.            Die Instabilität und Trockenheit des Kies-                 dargestellt.
Durch diese ständige Veränderung der         und Schottermaterials in der zentralen
Lebensräume werden für unterschiedlich       Schuttrinne erlaubt zunächst keine
spezialisierte Organismen, Pflanzen          (nennenswerte) Vegetationsentwicklung.                     Ausblick zur Inventarisierung von
wie Tiere, ständig neue Nischen als          An den Abhängen zur Schuttrinne                            Naturprozessen
Lebensraum geschaffen. Auf einer             befinden sich so genannte
Untersuchungsfläche von insgesamt            Regschuttfluren mit feinerem Material,                     Die Untersuchung zeigt die räumlichen
750 m2 konnten 129 unterschiedliche          die bei ständigem Nachrieseln ebenso wie                   und zeitlichen Muster, welche
Gefäßpflanzenarten dokumentiert werden,      die flacheren Schuttfluren im zentralen                    durch Störungsereignisse in einem
mit einer durchschnittlichen Artenzahl von   Bereich die Entwicklung von Vegetation                     hochkomplexen Ökosystem entstehen.
27 Arten je Vegetationsaufnahme.             nicht zulassen.                                            Diese sind durch die natürliche
                                             Die Vegetation der Karbonatregschutt-                      Sukzession hin zur Klimaxgesellschaft
Die Klimaxgesellschaft im Untersuchungs-     halden wird stark von Exposition und                       und die gegenläufigen Störungsregimes
gebiet ist der Buchenwald. Von KAMMERER      dem Feinerdeanteil beeinflusst. Bei                        charakterisiert. Mit der Erhebung dieser
(2008) wurde jedoch dokumentiert, dass       abnehmender Schuttbewegung kann                            Muster wurde ein Verfahren getestet,
diese Waldstandorte von Fichtenforsten       sich eine Pioniervegetation (artenarm                      das es erlaubt, natürliche Prozesse zu
eingenommen werden. Kleinräumig sind         und mit geringer Deckung) ausbilden.                       erfassen und vergleichend nebeneinander
aber noch Buchenwaldbestände ausge-          Durch beginnende Verwitterung                              zu stellen. Damit können die natürlichen
bildet, wie z.B. östlich des Murgangs. Die   entsteht ein Rohboden, der mit einer                       Prozesse des Nationalparks Gesäuse
Waldfläche im Westen ist als Fichtenwald     Schuttflurvegetation besiedelt werden                      systematisch erfasst und zu einem
kartiert, es handelt sich um einen           kann. Diese trägt mit ihrem Wurzelwerk                     Gesamtinventar geführt werden. Auf der
aufgeforsteten Buchenwald-Standort.          zur Festigung der Schutthalde bei.                         Grundlage entsprechender Erhebungen
Durch die Extremereignisse wird die          Die Ruhschutthalde, also Teile der                         lässt sich eine Typologie der Prozesse
Klimaxgesellschaft immer wieder in das       Schutthalde mit ruhendem Gestein, liegt                    sowie ein Gesamtinventar erstellen.
Stadium einer vegetationslosen Schuttflur    im Kühgraben auf erhöhtem Niveau über                      Damit kann ein wichtiger Schritt zum
zurückgeworfen, was den Ausgangspunkt        dem eingetieften Murgang.                                  Verständnis und konsequenten Schutz
der Sukzession darstellt. Die Waldinseln     Je älter die Schuttflur, desto besser kann                 von Naturprozessen im Nationalpark
sind auf kleine Sonderstandorte der          sich die Vegetation entfalten, was sich in                 gemacht werden.
Schuttfelder beschränkt. Sie liegen am       einer größeren Vegetationsbedeckung
Rand der Einflussgebiete der

6 Nationalpark Gesäuse | Die Muster der Wildnis
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Die Muster der Wildnis

        Struktogramm (räumliche Muster gemäß Vegetationserhebung): die Vegetationsmuster folgen den hangnormalen,
                    unterschiedlich alten und unterschiedlich verfestigten Schuttkörpern (Quelle: Hecke et al. 2018).

                                                                                               HECKE, C., JUNGMEIER, M. & KREINER, D.
                                                                                               2018: Die Muster der Wildnis – Am Weg
                                                                                               zu einem Inventar der Naturprozesse im
                                                                                               Nationalpark Gesäuse (Ennstaler Alpen).
                                                                                               Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen
                                                                                               Vereines für Steiermark Bd. 148. 107-130

  Dynamogramm (zeitliche Muster gemäß Vegetationserhebung): zeitliche Abfolge der Vegetationseinheiten in einem Muster aus
verschiedenen Sukzessionen von vegetationsfreien Schotterkörpern zum Buchen- beziehungsweise Fichtenwald als Klimaxgesellschaft.
     Vegetationsbestimmend ist der Grad der Verfestigung der Schotterkörper. Durch Mur- und Hochwasserereignisse wird die
                  Entwicklung in unterschiedlichen Frequenzen und Intensitäten zurückgeworfen (Quelle: Hecke et al. 2018).

                                                                                                        Sommer 2019 | Im Gseis 7
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Tierportrait

    ALEXANDER MARINGER

Alpensalamander

                                                                                                                                                      © Herfried Marek
                                          Ein ungewöhnlicher Alpenbewohner im Portrait

Das stehende Oberflächenwasser                Strategie zu finden. Die Gelbbauchunken    Viel Fürsorge
verschwindet im Karst schnell.                im Gesäuse pflanzen sich nur alle zwei
Alle Amphibien benötigen jedoch               Jahre fort, um den rauen Bedingungen       Alpensalamander haben ihren
ausreichend Wasser für die                    begegnen zu können (siehe Im Gseis         Lebensrhythmus dem kurzen alpinen
Fortpflanzung. Alpensalamander                Winter 2016). Amphibien, die sich          Sommer angepasst. Im Winterhalbjahr
haben dieses Problem anders gelöst:           außerhalb des Wassers fortpflanzen,        suchen sie einen geschützten
Die Weibchen haben ihre Tragezeit             sind damit Helden unter ihresgleichen!     Unterschlupf auf und verfallen in eine
stark verlängert und bringen voll             Dem Alpensalamander ist genau das          Kältestarre. Von April bis September sind
entwickelte Jungtiere zur Welt.               gelungen und er hat damit den gesamten     sie aktiv und auch über den gesamten
                                              Alpenraum bis in große Höhen erobert.      Zeitraum hinweg paarungsbereit.

A
      ls vor 380 Millionen Jahren die
      ersten Landwirbeltiere auftraten,
      bildete sich die Linie der Amphibien
heraus. Ihre Strategie war einfach und
erfolgreich: An Land leben und für die
Fortpflanzung ins Wasser zurückkehren.
Alle Amphibien wie Frösche, Kröten und
Unken, sind an das Wasser gebunden und
legen dort ihre Eier ab. Daraus ergibt sich
jedoch auch ein Limit: Süßwasser muss
ausreichend lang vorhanden sein, um die
Entwicklung der Eier und Frühstadien zu
gewährleisten. Sonst vertrocknen sie und
                                                                                                                                © Johannes Pötscher

die Generation ist verloren.
Der Feuersalamander ist einen Schritt
weitergegangen und benötigt Wasser
nur noch, um die weit entwickelten
kiementragenden Larven darin
freizusetzen.
Nun erscheint es nicht einfach, im Karst                 Ein eher gemächlicher Bergwanderer und ein beliebtes Fotomotiv
genügend Wasser für eine solche

8 Nationalpark Gesäuse | Tierportrait
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Tierportrait

Dazu bringt das Männchen das Weibchen                                 treu geblieben. Sie bewohnen feuchte       Präferenzen in der Nahrungswahl und
zunächst in Stimmung. Dann setzt es                                   Laub- und Mischwälder, Blockhalden und     sind wenig gewillt, ihre Beute aktiv zu
Samenpakete ab, denn es besitzt keinen                                Almen in der Nähe von Gebirgsbächen.       verfolgen. So sind es vor allem Insekten,
Penis oder ähnliche Organe, um den                                    Eine hohe Luftfeuchtigkeit bestimmt        Spinnentiere, Nacktschnecken und
Samen direkt in die Kloake des Weibchens                              ihre Aktivitätsphasen, etwa nach Regen     Regenwürmer, die als Nahrung in Frage
zu überführen. Weibchen können ein                                    oder früh morgens. Sie meiden Wind         kommen. Alles was überwältigt werden
bis drei Samenpakete aufnehmen und                                    oder Sonne, da die empfindliche Haut       kann, wird gefressen. Feuchtigkeit wird
die Spermien sogar befruchtungsfähig                                  schnell austrocknet. Unter solchen         über die Haut aufgenommen, so dass sie
über zwei Jahre hinweg erhalten. Von                                  Bedingungen verkriechen sie sich           nicht aktiv trinken müssen.
einer Vielzahl an Eiern werden nach                                   und sind beinahe unauffindbar. Durch       Vor ihren Feinden schützen sich
dem Eisprung nur zwei befruchtet. Der                                 ihre erfolgreiche Strategie können sie     Alpensalamander, indem sie eine
Rest der etwa 100 Eier zerfällt wieder                                Höhen bis 2.800 Metern besiedeln. Der      Abwehrhaltung einnehmen und mit dem
und dient dem geschlüpften Embryo                                     Verbreitungsschwerpunkt liegt etwa bei     Kopf umherschlagen. Dabei sondern die
als eiweißreiche Nahrung. Danach                                      1.700 Höhenmetern.                         Ohrendrüsen ein weißliches Sekret ab,
produziert das erwachsene Tier eigene                                                                            das das Alkaloid Samandarin enthält. Auf
Zellen, von denen die beiden Larven im                                                                           der Schleimhaut des Angreifers wirkt es
Mutterleib fressen können. Zunächst                                   Salamander trinken nicht                   stark giftig, führt zu Atembeschwerden
besitzen diese Larven Kiemen, wie das                                                                            und Maulsperre. Alpensalamander
auch beim Feuersalamander der Fall                                    Alpensalamander sind eher gemächlich       werden von Rabenvögeln und Kreuzottern
ist. Die Larven wären theoretisch in                                  unterwegs. Gefressen wird, was ihnen vor   gefressen, die jedoch gegen dieses Gift
einem Gewässer überlebensfähig. Sie                                   die Schnauze kommt. Sie zeigen keine       nicht immun sein dürften.
verweilen aber im Körper der Mutter und
schließen ihre Metamorphose dort ab.
Die Kiemen werden reduziert und die
Lungen bilden sich aus. Die Entwicklung
dauert in tiefen Lagen zwei Jahre, über
1.000 Metern bereits drei Jahre. In Höhen
über 2.000 Metern läuft die Entwicklung
noch langsamer ab, sodass vier bis fünf
Jahre bis zur Geburt vergehen. Das macht
den Alpensalamander zum Wirbeltier mit
der längsten Entwicklungsdauer. Erst
nach dieser langen Zeitspanne erblicken
die etwa vier Zentimeter großen, voll
ausgebildeten Jungtiere das Licht der

                                                                                                                                                        © Toni Kerschbaumer
Welt. Erwachsene Tiere können bis zu 15
Zentimeter lang und 15 Jahre alt werden.

Bei aller Anpassung sind die Alpen-
salamander den nassen Lebensräumen

                                                                                Charakteristisch ist die glänzende, schwarze Haut der Salamander
                                      © Archiv Nationalpark Gesäuse

                                                                                                                                                        © Kunz

 Bei Gefahr „verkrümmen“ sich die Tiere                                      Auch bei den „Tagen der Artenvielfalt“ stößt man auf die „Wegmandln“

                                                                                                                                Sommer 2019 | Im Gseis 9
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 19
Tierportrait

                                                                                                    Die Bergmandln

                                                                                                    Wanderern ist das pechschwarze,
                                                                                                    glänzende Tier ein Begriff. Immer wieder
                                                                                                    stößt man auf den Alpensalamander und
                                                                                                    so kommt der Name „Bergnarr“ oder
                                                                                                    „Wegmandl“ oft auch in historischen
                                                                                                    Geschichten vor. In Westösterreich
                                                                                                    wird der Alpensalamander auch als
                                                                                                    „Tattermandl“ bezeichnet. Während eine
                                                                                                    Ableitung auf die übliche Bezeichnung
                                                                                                    einer Vogelscheuche hindeutet, geht
                                                                                                    eine andere von der Verstümmelung des
                                                                                                    lateinischen Namens Salamandra atra

                                                                             © Andreas Hollinger
                                                                                                    aus. Aus „atra“, das nichts anderes als
                                                                                                    schwarz bedeutet, wird Tattermandl –
                                                                                                    das zitternde Männchen. Das Kopfzittern
                                                                                                    beschreibt möglicherweise das oben
                                                                                                    erwähnte Abwehrverhalten des
                                                                                                    Alpensalamanders.
               Nach einem sommerlichen Regenguss im Hartelsgraben                                   Verwechseln kann man die Alpensala-
                       sind oft hunderte Individuen zu sehen.                                       mander nur mit Bergmolchen, die in
                                                                                                    der Landtracht auch eine sehr dunkle
                                                                                                    Oberseite besitzen. Bergmolche haben
                                                                                                    aber einen roten Bauch, während Alpen-
                                                                                                    salamander durchgehend schwarz sind.

                                                                                                    Alpenendemit

                                                                                                    Alpensalamander sind im Alpenbogen
                                                                                                    verbreitet. Ihr Vorkommen beginnt
                                                                                                    östlich des Rhônetales, zieht sich über
                                                                                                    die Schweiz bis Österreich und reicht
                                                                                                    von den bayerischen Alpen im Norden
                                                                             © Alexander Maringer

                                                                                                    bis ins italienische Piemont und das
                                                                                                    slowenische Karstgebiet im Süden. Auch
                                                                                                    in den Dinariden gibt es versprengte
                                                                                                    Vorkommen des Alpensalamanders,
                                                                                                    deren Ursprünge man gerade genetisch
                                                                                                    ergründet. Inneralpin fehlt die Art
                                                                                                    durch seine ökologischen Ansprüche
        Der Feuersalamander ist ein naher Verwandter des Alpensalamanders.                          immer wieder in Trockentälern oder in
                                                                                                    kristallinem Gestein, so etwa im Tiroler
                                                                                                    Ötztal. Dort, wo aber der Lebensraum
                                                                                                    günstig ist, treten Alpensalamander in
                                                                                                    großer Individuendichte auf. Auch im
                                                                                                    Gesäuse werden jedes Jahr nach einem
                                                                                                    sommerlichen Regenguss 100 und mehr
                                                                                                    Tiere im Hartelsgraben beobachtet.

                                                                                                    Die nahe Verwandtschaft

                                                                                                    Eine zweite Art trifft man im Talboden
                                                                                                    auch bei uns. Der Feuersalamander
                                                                                                    ist ein naher Verwandter des
                                                                                                    Alpensalamanders. Auch er entwickelt
                                                                                                    seine Eier noch im Körper zu Larven.
                                                                                                    Diese besitzen aber noch Kiemen, wenn
                                                                             © Hubert Keil

                                                                                                    sie ins Wasser abgegeben werden. Erst
                                                                                                    dort wachsen sie zu adulten Tieren
                                                                                                    heran. Mit den Kiemenbüscheln sind die
                                                                                                    Feuersalamander-Larven eindeutig von
             Kein Vergnügen: Diese Ringelnatter versucht einen giftigen                             Fröschen und Kröten, mit dem breiten
                          Feuersalamander zu fressen.                                               Kopf und gelben Flecken an den Beinen,

10 Nationalpark Gesäuse | Tierportrait
Tierportrait

auch von Molchen zu unterscheiden.          Salamanderfressender Pilz                    zu Gute kommen. Das, obwohl man
Die bei erwachsenen Feuersalamandern                                                     annimmt, dass Alpensalamander als
sehr ausgeprägte schwarz-gelbe              In der Community der Herpetologen            wechselwarme Tiere in dieser Höhenlage
Färbung ist eine Warnfarbe, die auf seine   herrscht helle Aufregung. Seit 2008          einem Stress ausgesetzt sind, der ihr
Ungenießbarkeit hinweist. Der Gelbanteil    breiten sich in Europa zwei hochinfektiöse   Immunsystem belastet und sie anfällig für
variiert sehr stark und kann zu Streifen    Pilzarten aus, die Amphibien befallen        Krankheitserreger macht.
oder großen Flächen verschmelzen.           und rasch zu deren Tod führen.               Einmal mehr muss man in diesem
Kollegen aus dem Wildnisgebiet              Bisher wurden zwei Töpfchenpilze,            Zusammenhang über den Klimawandel
Dürrenstein staunten vergangenen            einer mit dem furchteinflößenden             spekulieren. Was passiert, wenn die
Sommer, als sie ein schwarz-rotes           Namen „salamanderfressender“ Pilz,           Durchschnittstemperaturen steigen und
Exemplar entdecken. Die Farbvariation       identifiziert. Der Ausgangspunkt             diese Infektionskrankheit in größere
beim Feuersalamander geht aber noch         Niederlande lässt vermuten, dass die         Höhen vordringt? Was passiert mit den
weiter. Es sind Albinos bekannt, die        Pilze über Handelswege aus Südostasien       Alpensalamandern, wenn noch extremere
blass gelblich erscheinen oder völlig       eingeschleppt wurden. Bis 2010 ist die       Witterung oder (klein-)klimatische
schwarze Exemplare. Diese Variationen       Population der Feuersalamander in dem        Veränderungen ihren Abwehrkräften
sind aber besondere Ausnahmen, die man      westeuropäischen Land auf weniger als        zusetzen?
selten zu Gesicht bekommt. Für letztere     5 % des Ursprungs zusammengebrochen.
braucht man einen zweiten Blick, um sie     Seither verfolgt man bang die Ausbreitung
vom Alpensalamander unterscheiden zu        über Belgien und Deutschland.

                                                                                                                                   © Christian Deschka
können. Es geht aber auch umgekehrt:        Bedroht sind mehr als 200 europäische
Der Goldene Alpensalamander                 Amphibienarten. Ein Massensterben wird
Salamandra atra aurorae ist eine Unterart   befürchtet und bis dato gibt es keine
des Alpensalamanders, die „goldene“,        wirksamen Behandlungsmethoden für
also gelb-braune Flecken auf der Haut       infizierte Tiere im Freiland.
zeigt.                                      Hier könnte es sein, dass ausgerechnet
Sie ist der Wissenschaft erst seit 1978                                                       Ein Alpensalamander wird zum
                                            der Alpensalamander eine günstige
bekannt und kommt im italienischen                                                           Feuersalamander. Das Modell aus
                                            Nische erwischt hat. Die unwirtlichen
Venezien in einem sehr kleinen                                                            Biokunststoff ist eine innovative Idee für
                                            Bedingungen im alpinen Bergland
Verbreitungsgebiet vor.                                                                     Schulklassen und Jugendgruppen des
                                            hemmen auch den Pilz. Niedrige
                                                                                          Biologen und Lehrers Christian Deschka
                                            Temperaturen und lange Winter
                                                                                              (christiandeschka@hotmail.com).
                                            könnten hier dem Alpensalamander

                                                                                                        Sommer 2019 | Im Gseis 11
Landesforste

    ANDREAS HOLZINGER

Die Seite der

                                                                                                                                                © Ernst Kren
Steiermärkischen Landesforste
                                                       Frühjahrsszenario

Nahezu täglich, ja fast stündlich            Winter mit Schneehöhen, die Gartenzäune    Johnsbach und Hieflau. Insbesondere
kommen Meldungen im Rundfunk,                mühelos verschwinden ließen, eine          die drei Rotwildfütterungen im Gseng,
Fernsehen und der Presse über                nahezu fixe Konstante waren und            beim Gstatterbodenbauer und im Revier
Schneemengen, -verfrachtungen,               stundenlanges Schaufeln (es gab            Hieflau Schattseite waren freizuräumen,
Lawinengefahr, gesperrte Straßen,            noch keine handlichen Schneefräsen)        um die tägliche Betreuung für das Rotwild
hängengebliebene Schwerfahrzeuge,            morgens und abends die Tagesordnung        sicher zu stellen. Ein schwieriges und
Eiseskälte, Wind und Schnee.                 prägten. Was bedeutete das aber heuer      risikoreiches Unterfangen, mussten
Tatsächlich eine ungewohnte Situation:       für die Arbeit der Landesforste im         doch mehrere Gefahrenstellen für
In einem breiten Niederschlagsband,          Nationalpark? Zunächst Schneeräumung       Lawinenabgänge täglich zweimal gequert
vom Ausseerland bis Mariazell                in Ortsteilen von Gstatterboden,           werden.
eine Woche Schneetreiben – und
das Gesäuse mittendrin! Nach den
beschaulichen Weihnachtsfeiertagen
Wintereinbruch aller Orten. Und
während man in Graz und Wien
zwar bei frostigen Temperaturen,
aber sonst gemütlich im schneefreien
Beserlpark spazieren konnte, waren
vier der sechs Landesforst-Reviere,
nämlich Johnsbach, das Laussatal,
Gstatterboden und Hieflau zehn
Tage lang gänzlich von der Umwelt
abgeschnitten oder wie Wigg,
der Kölblwirt zu sagen pflegt:
„Die Umwelt ist von Johnsbach
abgeschnitten!“ Man braucht also nur
die Seite zu wechseln.
                                                                                                                               © Karl Platzer

Dennoch ein normaler Winter, wie er
früher immer war

Viele ältere Einheimische bestätigen, dass                  Beobachtungshütte, mit ca. 800 kg Schneelast beschwert
in den Fünfziger- und Sechziger Jahren

12 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Landesforste

In Hieflau kam noch das Problem der         zusammenhängenden Gebieten ohne                alle naturbegeisterten Skitourengeher
Straßensperre beim Bahnhof durch            Störungen und abgewehten Rücken                und Schneeschuhwanderer: Bitte
gefahrdrohenden Steinschlag dazu –          möglich, wo das Wild auch im Winter            bleibt im Frühjahr zur Zeit der Balz
Sicherungsarbeiten dauerten eineinhalb      selbstständig Äsung freischlagen kann.         von Birk- und Auerwild und im Winter
Monate!                                     Die Landesforste verfolgen da eine             während der Notzeit des Wildes auf
                                            andere Strategie: In unseren beiden            den gekennzeichneten und gespurten
Aber nicht nur Fütterungen, sondern auch    Kesseln in Johnsbach und Gstatterboden         Routen und akzeptiert so die Habitate der
Sitze, Kanzeln und Beobachtungshütten       wurde der Winterlebensraum durch               Wildtiere – sie würden energieraubende
im Hinterland – nur mit Skidoo oder         touristische Nutzung, Infrastruktur,           Fluchten sonst mit ihrem Leben bezahlen!
Tourenski erreichbar – mussten              durch Straße, Eisenbahn, etc. dermaßen
abgeschaufelt werden.                       eingeengt, dass ein Überwintern des
                                            Wildes ohne Schäden der Vegetation bei         Zeit für Gefahrenbaummanagement
                                            Störungen durch Skitourengeher oder
Rotwildfütterung – ja oder nein?            Schneeschuhwanderer ausgeschlossen             Wenn noch keine Besucher in den
                                            scheint. Daher sehen wir die                   klassischen Besucherzentren beim
Etliche Großbetriebe folgen seit geraumer   notwendige Fütterung des Rotwildes             Weidendom, am Leierweg oder am
Zeit dem Trend – einem Kärntner             als Kompensation für den verringerten          Rauchbodenweg unterwegs sind, ist die
Pilotprojekt folgend – Rotwildfütterungen   Lebensraum. Die hohen Fallwildzahlen           beste Gelegenheit, abgestorbene Bäume
nicht mehr zu beschicken und damit          der beiden nicht gefütterten Wildarten         entlang der Forststraßen und Wanderwege
Hirsche, Tiere und ihre Kälber in           Rehwild und Gamswild belegen die               zu entfernen. Damit soll das Verletzungs-
der Hochlage oder im Schutzwald             harte Realität einer natürlichen Auslese.      und Gefahrenrisiko minimiert werden.
unversorgt überwintern zu lassen.           Prozessschutz einmal anders!
Das ist aber nur in großräumigen,           Daher ein Appell an dieser Stelle an
                                                             © Stefan Leitner

                                                                                                                                  © Martin Zorn

     Hinweistafel zur Respektierung des Wildlebensraumes                                Fällen von Gefahrenbäumen

                                                                                                         Sommer 2019 | Im Gseis 13
Landesforste

Kurze Rückblende auf unsere Arbeit
im abgelaufenen Jahr 2018

Bestandesumwandlungen auf ca. 1,5 ha
Fläche im August durch Fällung und
Entrindung von Fichten zur Mischungs-
regelung; Umschneiden von
abgestorbenen Eschen entlang der
Themenwege und Errichtung von
stabilen Bänken entlang des von
Professor Sepp Hasitschka konzipierten
und am 1. September bei strömendem
Regen aber ungeteilter Begeisterung
eröffneten „Kupferweges“ von der
Radmer ins Johnsbachtal – standen am

                                                                                                                                 © Sepp Hasitschka
Arbeitsprogramm.

Den herbstlichen Abschluss bildete
wieder die traditionelle Gamszählung in
ausgewählten Revierteilen des Gesäuses,
an der – neben dem Berufspersonal                                    Hier lässt es sich gemütlich ausrasten!
der Landesforste und den Kollegen
des Nationalparks – auch jagdlich
versierte Pensionisten mithalfen. Die       wir auch heuer wieder neue Akzente             Möge ihm und damit auch uns der Erfolg
dabei gezählten und hochgerechneten         und Verbesserungen für die                     beschieden sein – das wünscht uns allen
Bestandszahlen dürften nach diesem          Besucherbetreuung gesetzt.                     der Fachbereichsleiter,
Winter mit seiner hohen natürlichen
Mortalität wohl länger nicht mehr zu        Spannend wird letztlich auch die
erreichen sein!                             Zusammenarbeit mit unserem neuen               Andreas Holzinger
                                            Pächter im Gesäuse – Pavillon in
Mit dem Ausbau zweier Hütten und dem        Gstatterboden, der viele junge und gute
Matratzenlager am Campingplatz haben        Ideen mitbringt.

                                                                                                                                 © Max Mauthner

                                          Der Nationalpark-Pavillon erwartet seine Gäste

14 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Wildmanagement

   ANDREAS HOLZINGER

Von der Pachtjagd in einem Großrevier
zum Wildmanagement im Schutzgebiet

                                                                                                                                                   © Christian Mayer
Rückblick auf 15 Jahre Entwicklung des
Wildlebensraumes im Nationalpark
                               Ein Birkhahn oder „Kleiner Hahn“ bei der Bodenbalz im Frühjahr

Als im Jahre 2003 das Schutzgebiet       Am Anfang war das Wort in Form des                           und der bestehenden Rechtsbescheide.
Nationalpark Gesäuse per Gesetz          Managementplanes – und dieser Plan                           Diese formelle Basis gibt den Berufsjägern
und Verordnung Wirklichkeit wurde,       war gut…                                                     eine gewisse Sicherheit bei der Planung
wusste noch niemand genau, wohin die     denn er beruhte auf dem Leitbild                             der Bejagungs- und Schonzeiten,
Reise gehen sollte und vor allem, wie    unseres Schutzgebietes, der Strategie                        Stärke der Eingriffe und aller anderen
lange es dauern würde, ob und            „Schalenwildmanagement in Österreichs                        flächenbezogenen Maßnahmen mit
bis wann der Wald, die Almen und         Nationalparken“ und orientierte sich                         Auswirkungen auf das jagdliche Umfeld,
Hochlagen als Lebensraum der             formell am gültigen Steirischen Jagdgesetz                   etwa der Wechsel in andere Reviere und
Wildtiere – und auch diese selbst                                                                     der Fütterungsstandorte. Andererseits
– ohne menschliches Zutun einer                                                                       ist eine nachvollziehbare Vorgangsweise
natürlichen Entwicklung überlassen                                                                    des Wildmanagements für die Interessen
werden könnten.                                                                                       der benachbarten Grundbesitzer wichtige
Durch das Fehlen von Großprädatoren                                                                   Voraussetzung für eine partnerschaftliche
wie Bär, Wolf und Luchs in unserer                                                                    Akzeptanz, die uns ein besonderes
Kulturlandschaft einerseits und die                                                                   Anliegen ist.
Tatsache einer ständigen natürlicher
Reproduktion der Schalenwildarten                                                                     Festgelegte und wichtige Eckpfeiler des
Rotwild, Rehwild und Gams und                                                                         Wildmanagements im Nationalpark: Es
deren Wechselbeziehungen zum                                                                          gibt weder Pächter noch Abschussnehmer
Lebensraum im und außerhalb des                                                                       im Nationalpark, das gesamte
Nationalparks andererseits, war                                                                       Wildmanagement wird von beeidetem
schnell klar: Für diese wichtige                                                                      Berufspersonal der Landesforste wahr-
Aufgabe des Wildmanagements                                                                           genommen. Bestandeszählungen an den
braucht es gesunden Hausverstand,                                                                     Rotwildfütterungen ergeben die Höhe der
Gebietskenntnis und konkret definierte                                                                Reduktion, außer den drei Hauptwildarten
                                                                                © Andreas Holzinger

Rahmenbedingungen, offene und                                                                         Rot-, Reh- und Gamswild, für die es einen
ehrliche Diskussion und vor allem:                                                                    behördlich bewilligten Abschussplan gibt,
Geduld und Zeit! Ein konkreter                                                                        werden lediglich Sauen und Mufflons auf
Auftrag also für Berufsjäger und                                                                      Begegnung bejagt, alle anderen jagdbaren
Forstpersonal der Landesforste, daher                                                                 Wildarten – vom Auerwild, Birkwild bis zu
auch passend unser Slogan beim Start:                                                                 Reinecke Fuchs sind ganzjährig geschont,
„Zeit für Natur“ – gleichermaßen            Managementplan Schalenwild 2012                           bzw. werden nur mit der „Fotolinse“
gültig für Wald, Wild und Mensch!

                                                                                                                    Sommer 2019 | Im Gseis 15
Wildmanagement

geschossen. Herzstück aller raum-
bezogenen Tätigkeiten ist jedoch eine
laufend zu adaptierende Zonierung.

Strenge Naturzone als Wildruhezone
und Managementzone

Diese „wildökologische Maßnahme“
der Zonierung ermöglicht etwa den
Muttertieren, ihre Kitze und Kälber in
ungestörten und ruhigen Waldteilen zu
setzen, abseits von Steigen, wo kein
Schuss fällt und die „Kinderstube“
ganzjährig respektiert wird. Hier sollte
auch die Vernunft des freiwilligen

                                                                                                                                             © Alexander Maringer
Verzichts unserer wandernden
Naturliebhaber oder Fotografen, diese
Gebiete nicht zu betreten, höher bewertet
werden als es die: „Freie Betretbarkeit
des Waldes für Erholungszwecke“ durch
das Forstgesetz ´75 ermöglicht. Die
Festlegung von jagdlichen Maßnahmen
auf „gemanagte Arbeitsbereiche“                                       Zonierung des Nationalparkgebietes
andererseits hat sinnvollerweise
auch waldbauliche Zielsetzungen. Wo
Verbisskonzentrationen diese verhindern     z.B. Rehwild – auch in Gebirgsregionen –                 gebracht. Im Zuge der Umstellung auf
oder Jagdnachbarn Schäden geltend           ohne Fütterung Winter überleben kann,                    wiederkäuergerechte Raufuttervorlage
machen wollen, muss gezielt bejagt          da es sich in Talbereichen mit Prossäsung                wurden bei beiden Fütterungen neue
werden! Allerdings gilt der vom Menschen    von Wildgehölzen einstellt und so die                    Futterstadel zur Einlagerung weitgehend
definierte Begriff des Schadens im          Winter überdauert. Diesem Grundsatz                      selbsterzeugten Futters (Heu und
Prozessschutz ohnehin als relativ, denken   folgend wurden im Zeitraum von 15 Jahren                 Heusilage) errichtet.
wir etwa an den lockeren Spruch: „Es ist    mittlerweile alle Rehfütterungen aufgelöst
dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in      und abgebaut.                                            Die regelmäßige und tägliche Präsenz
den Himmel wachsen“… dachte der Jäger,                                                               ermöglicht dem Berufspersonal einen
als ihm der Förster die abgebissenen        Anders verhält es sich bei Rotwild. Da                   genauen Überblick über Stückzahl,
Triebspitzen der Bäumchen zeigte.           bei dieser Wildart der Wechsel von den                   Geschlechterverhältnis und Altersklassen-
                                            Sommereinständen im Gebirgswald,                         aufbau, also eine nachvollziehbare Basis
                                            Alm und Latschenhochlagen in die                         für die Abschussplanung. Die gemeinsam
Hohe Sensibilität bei Fütterung und         natürlichen Wintereinstände in ferneren                  mit der Nationalparkverwaltung
Reduktion                                   Augebieten durch Infrastruktur nicht mehr                installierte Wilddatenbank erlaubt
                                            möglich ist, werden die Stücke bei zwei                  darüber hinaus genaue Einblicke in
Wissenschaftliche Studien und Langzeit-     etablierten Rotwildfütterungen im Gseng                  Zeitreihen der Bestandesentwicklung.
beobachtungen gehen davon aus, dass         und in Gstatterboden über den Winter
                                                                                   © Heimo Kranzer

                                                                                                                                             © Karl Platzer

                     Auflassung und Abbau einer Rehfütterung                                            Rotwild bei der Fütterung im Gseng

16 Nationalpark Gesäuse | Wildmanagement
Wildmanagement

                                                                                                                                                         © Heimo Kranzer
                                                                                                © Karl Platzer
                                Futterstadel im Gseng                                                              Mit dem Revierjäger auf DU und DU

Reviereinrichtungen: Notwendiges                          oder Reh, Hirsch und Gams in ihrer                     Fleischqualität und Genusswert von
Übel oder Erleichterung im                                Paarungszeit, der Brunft. Dass dabei                   Wildbret: Mehrere wissenschaftliche
Wildmanagement                                            habitatverbessernde Maßnahmen wie die                  Institute begleiten uns auf unserer
                                                          Anlage von Flugschneisen, Frattenlegen                 Erfahrungsreise: Raumberg-Gumpenstein,
Dort, wo Wildtiere beobachtet, gezählt                    – notwendige Voraussetzungen sind, sei                 Veterinärmedizinische Uni Wien, Uni Graz
oder bejagt werden sollen, wurden Sitze,                  hier nur am Rande erwähnt. Und wenn                    oder Privatdozenten.
Kanzeln und Wildwiesen abgetragen                         dann einmal ein Auerhahn zutraulich
– auch wegen etwaiger Haftung bei                         wird, hat das weniger mit Dankbarkeit                  Solcherart gut betreut und umfassend
unbefugter Inanspruchnahme durch                          oder Jägerliebe zu tun, sondern vielmehr               informiert geben wir dieses Wissen gerne
neugierige Touristen oder unwissende                      mit seinen turbulenten Hormonen in der                 wertfrei an unsere Sympathisanten
Kinder.                                                   turbulenten Zeit der Balz.                             oder auch Kritiker weiter durch gezielte
                                                                                                                 Öffentlichkeitsarbeit, ständig aufklärende
                                                                                                                 Gespräche in der Natur oder am
Highlights der Besucherlenkung:                           Nichts geht mehr ohne begleitende                      Stammtisch. Es gibt vieles zu berichten,
Erlebnis- und Beobachtungsführungen                       Wissenschaft                                           zu erleben und laufend zu erfahren – von
                                                                                                                 den letzten 15 Jahren im Rückblick und
Besonders beliebt bei Schulgruppen,                       Egal, ob Monitoring bei den                            einem neugierigen Blick in die Zukunft
aber auch Familien und insbesondere                       Raufußhühnern (Projekt unter                           – zur gedeihlichen Entwicklung unseres
Fotografen sind die geführten                             wissenschaftlicher Begleitung seit                     Nationalparks und seiner Wildtiere.
Wanderungen oder Ansitze auf Auerwild                     2005), Konditionsparameter bei Gams
und Birkwild, Murmeltiere im Sommer                       und Hirsch, oder Untersuchungen zur
                                        © Heimo Kranzer

                                                                                                                                                         © Karl Platzer

       Bau einer neuen Kanzel im                                           Beobachtungshütte mit ausgeschnittener Flugschneise
          Gstatterboden Kessel

                                                                                                                               Sommer 2019 | Im Gseis 17
Gesäuse-Bilder

    MAX MAUTHNER

Portrait des Gesäuse-Fotografen

                                                                                                                                           © Max Mauthner
Max Mauthner
                         Traumhafte Morgenstimmung am Tamischbachturm – früh Aufstehen lohnt sich!

Fotografieren bedeutet die Augen zu          Genau deshalb ist es für mich als Fotograf     Im Sommer und Herbst 2018 bekam ich
öffnen, zu schauen und zu versuchen,         immer wieder etwas Besonderes, hierher         die Möglichkeit, mich erneut intensiv mit
das Gesehene festzuhalten. Wer               zurückzukehren und Neues zu entdecken.         dem Gebiet in und um das Gesäuse zu
fotografiert, muss genau hinsehen.           Ich wurde 1993 in Deutschlandsberg             beschäftigen: Ich wurde von der ARGE
Dazu möchten wir die Besucherinnen           geboren, meine Kindheit verbrachte ich in      Luchs Trail gebeten, den neuen Weitwan-
und Besucher im Nationalpark                 St. Oswald ob Eibiswald an den Ausläufern      derweg durch die Schutzgebiete National-
einladen. Aus diesem Grund                   der Koralpe. Seit 2013 lebe ich in Graz und    park Kalkalpen, Nationalpark Gesäuse und
portraitieren wir hier und in den            bin seit meinem Studienabschluss 2017          Wildnisgebiet Dürrenstein in emotionalen
nächsten Ausgaben Menschen, die              selbstständig als Grafiker und Fotograf vor    und authentischen Bildern einzufangen.
genau hingesehen haben, und zeigen           allem in den Bereichen Outdoor, Lifestyle      Die gefühlt grenzenlose Vielfalt auf den elf
ihre Bilder.                                 und Sport tätig.                               Tagesetappen des Luchs Trails, ermöglichte
                                             Im Sommer 2017 konnte ich im Rahmen            es mir, mich trotz konzeptioneller
                                             des Fotografie-Stipendiums der National-       Vorgaben fotografisch frei auszuleben und

I
  ch verbringe einen großen Teil meiner      parks Austria erstmals mit allen Sinnen        auf jeder Etappe neue Herausforderungen
  Zeit – beruflich wie privat – im Freien.   in die nahezu unberührte Wildnis des           zu erleben. Einen Auszug aus den
  Als leidenschaftlicher Bergsteiger und     Nationalparks Gesäuse eintauchen. Ich          entstandenen Fotos finden Sie auf dieser
Fotograf bin ich stets auf der Suche nach    verbrachte zwei Wochen auf der Hüpf-           Doppelseite sowie auf den Seiten 48
neuen Abenteuern und Blickwinkeln.           linger Alm, einer abgelegenen Jagdhütte        und 49.
Bei jeder Wanderung mit im Gepäck:           am Fuße des Lugauers. Kein Strom, kein
Dankbarkeit, ein so schönes und              Warmwasser, kein Handyempfang – dafür
vielfältiges Land mein Zuhause nennen zu     eine unglaublich reizvolle Umgebung als                 Mehr Infos unter
dürfen. Und natürlich meine Kamera. Das      Basis und Inspiration für meine fotografi-              maxmauthner.at
Gesäuse in all seinen Facetten – egal, ob    sche Arbeit. So entstanden hier in absolu-     instagram.com/maxmthnr
schroffe Berggipfel, saftig-grüne Almen      ter Abgeschiedenheit drei eigenständige
oder malerische Gewässer – ist für mich      Bildstrecken, die meine Erlebnisse in dieser
ein einzigartiges Naturjuwel.                sehr intensiven Zeit bildlich darstellen.

         Wohlverdiente Rast in malerischer Umgebung                                Das Admonterhaus verabschiedet sich
                  am Ende der Gsengscharte                                          langsam aber sicher in die Nacht

18 Nationalpark Gesäuse | Gesäuse-Bilder
Gesäuse-Bilder

                                                                     Sonnenuntergang am Gamsstein

Herbstfarben-Palette im Haindlkar                                 Eiskaltes Quellwasser im Flitzengraben

     Gesäuse at its best – ein gewaltiger Blick auf den Buchstein in der Nachmittagssonne

                                                                                      Sommer 2019 | Im Gseis 19
Wildnis

    REINHARD PEKNY

                                                                                                                                         © Johannes Pötscher
Werte der Wildnis
                                       Wir müssen uns zurücknehmen und einfach zuschauen

Wildnis zulassen, das sollte doch             Wildnis hat kein Wollen und Planen          Wir können nirgendwohin nachschauen
einfach sein, möchte man meinen.              von uns Menschen, wir müssen uns            gehen, wie das die Natur so erfolgreich
Einfach nichts tun. Bei näherer               zurücknehmen und einfach zuschauen,         seit der Eiszeit gemacht hat…
Betrachtung stellt sich aber heraus,          was passiert. Je naturnäher der
dass für den Menschen das „Nichts             Ausgangszustand ist, desto schneller        Wildnis als Genreservat
tun“ eine besonders schwere Aufgabe           sind wir dort, wie es die Natur ohne uns
darstellt. Welchen Wert hat aber              gemacht hätte. In einigen Gebieten wird     Wir haben Lebewesen in diesen Gebieten,
Wildnis? Welchen Wert hat eine                es Jahrzehnte dauern, bis es richtig wild   die es wo anders kaum oder gar nicht
Fläche des bewussten „Nichts tuns“?           wird und in anderen, beispielsweise         gibt. Ein unglaubliches Potential, das
Reinhard Pekny vom Wildnisgebiet              Industriebrachen, dauert es vermutlich      wir weltweit zerstören, ohne es vorher
Dürrenstein hielt beim Lichtbildgipfel        Jahrhunderte. Aber ganz wichtig: Wildnis    gekannt zu haben.
Gesäuse einen Impulsvortrag zum               ist Selbstüberlassenheit. Wir nehmen uns
„Wert der Wildnis“. Hier ein Auszug           zurück. Das fällt uns Menschen immer        Wildnis als Evolutionsraum
daraus:                                       schwer: wir machen gerne etwas, wir
                                              managen. Aber Wildnis kann man nicht        Evolution ist ein Prozess, der ohne unser
                                              managen! Sobald man etwas tut, ist es       Zutun abläuft. Sobald wir auftauchen,
Wert der Wildnis                              nicht mehr Wildnis.                         etwas wollen, planen, verändern, wird
                                                                                          die Evolution verändert. Viel schneller als
Der Wert der Wildnis – da muss man            Wie kann das Ungenutzte überhaupt           wir jemals geglaubt hätten. Manchmal ist
vorher fragen, was ist überhaupt Wildnis?     einen Wert haben?                           dieses Verändern beabsichtigt: Züchtung,
In naturwissenschaftlichen Definitionen                                                   Auswahl, Genmanipulation, aber sie
kann man den Begriff Wildnis gar nicht        Ökosystemare Dienstleistungen               passiert auch unbewusst, nur durch unser
finden. Es gibt also in der Ökologie den                                                  Handeln. Ob das von Vorteil sein wird, sei
Begriff Wildnis nicht. Wildnis ist für uns    Zum einen haben die ökosystemaren           dahingestellt. Umso wichtiger ist es, dass
ein Kontrastbegriff. Er hat immer nur         Dienstleistungen einen viel zu wenig        es auch Gebiete gibt, wo diese Prozesse
einen Sinn im Gegensatz zur Zivilisation,     beachteten Wert.                            von uns unbeeinflusst ablaufen können.
zur Kulturlandschaft. Dort, wo wir nicht      Sauberes Wasser, Luft zum Atmen             Evolution bedeutet, vorbereitet sein auf
wirken, wo wir nicht tätig sind, das          und ein fruchtbarer Boden. Für uns          eine Zukunft, die niemand kennen kann.
ist Wildnis. Wildnis kann auch wieder         selbstverständlich, obwohl es nicht         Die beste Vorbereitung auf eine Zukunft,
entstehen, im Gegensatz zu Urwald.            selbstverständlich ist.                     die niemand kennen kann, ist Vielfalt –
Wildnis wird sofort zur Wildnis, sobald wir                                               Diversität. Je breiter wir aufgestellt sind,
uns zurücknehmen und sagen: da machen         Freiluftlabor für die Wissenschaft          desto leichter wird sich ein Weg finden,
wir nichts mehr und zwar nie wieder. So                                                   sich anzupassen und zu überleben.
kann zum Beispiel aus einem Parkplatz         Zum praktischen Wert gehört aber auch       Auf unserer Erde passiert aber gerade
oder aus einer Bergbau-Folgelandschaft        „Wildnis als Freiluftlabor“. Wir können     eine Reduktion dieser Vielfalt in einem
oder einer Industriebrache im Ruhrgebiet      da Prozesse untersuchen, die auch auf       unglaublichen Ausmaß!
Wildnis werden – sobald wir uns               unseren Kulturlandschaftsflächen sehr
zurücknehmen.                                 hilfreich sind. Dort sehen wir, wie es      Das alles ist praktischer Nutzen von
Hier soll es aber vor allem um den            die Natur macht. Wir können lernen,         Wildnis, der direkt auf unser Leben
Wert einer naturnahen Waldwildnis             wie wir die Kräfte der Natur optimal        einwirkt aber nirgends aufscheint, in
gehen, wie wir sie beispielsweise im          nutzen um zu wirtschaften, denn wir         keiner Bilanz, in keiner Kalkulation.
Wildnisgebiet Dürrenstein haben, oder in      müssen wirtschaften! Das Traurige ist
den Nationalparks Gesäuse und Kalkalpen       aber, wir haben für den Großteil unserer
finden.                                       Ökosysteme keine Referenzflächen mehr.

20 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis

                                                                                                                                           © Johannes Pötscher
                                                         Wildnis als Freiluftlabor

Darüber hinaus gibt es aber auch noch          ganzen Welt. Wir haben einen Großteil        Unverständnis gestoßen, weil der Mensch
andere Dinge: wir sind nicht nur materielle    der Flächen in Beschlag genommen, die        noch immer bedroht war in seiner
Wesen, sondern wir haben auch Gefühle,         meisten Ökosysteme überprägt und in          Existenz.
Hoffnungen, Träume und deswegen gibt           Kulturlandschaft verwandelt. Ökologen
es auch einen ideellen Nutzen der Wildnis:     sagen, man müsste etwa ein Drittel der       Das Zulassen von Wildnis ist eine
                                               Ökosysteme sich selbst überlassen,           Kulturleistung. Man muss in seiner
Wildnis als Erlebnisraum                       damit die Funktionalität der Erde            Zivilisation gefestigt sein und selbstsicher
                                               aufrechterhalten werden kann. Bei vielen     sein um zu sagen: ja, in diesen Gebieten
Wildnis ist ein guter Ort, um zu sich selbst   Lebensraumtypen sind wir weit davon          nehmen wir uns zurück, dort machen wir
zu finden, um sich zu erden. Ideal wäre,       entfernt. Feuchtgebiete haben wir bereits    nichts, das können wir uns leisten und es
wenn man längere Zeit in der Wildnis           90 % trocken gelegt und in Ackerland         interessiert uns, was dort dann geschieht.
unterwegs sein könnte.                         verwandelt, bei den Wäldern kann             Wir haben vor nicht allzu langer Zeit die
                                               man weltweit etwa ein Drittel noch als       Wildnis verlassen. In den letzten 8.000
Wildnis als Besinnungsraum                     naturnah oder Urwald bezeichnen, aber        Jahren hat sich aber in unseren Körpern, in
                                               die Fläche wird täglich kleiner.             unserer genetischen Anlage nicht sehr viel
Sich besinnen auf die Grundbedürfnisse                                                      verändert, das sollte uns bewusst sein.
des Lebens. Besinnen auf sich selbst, auf      In Europa wurden 99,9 % der Wälder           Trotzdem wünscht sich niemand, dass wir
die Beziehungen zwischen uns Menschen.         umgewandelt in Kulturlandschaft oder in      zurückkehren in die Wildnis. Wir müssen
In der Wildnis sind Beziehungen sehr           Forste.                                      ein ausgewogenes Maß finden zwischen
wichtig. Wir hätten in der Vergangenheit                                                    den Zugängen zur Wildnis und zur
nicht überlebt, wenn wir nicht als soziale     Wildnis und Freiheit                         Nutzung der Flächen, die wir für unsere
Wesen unterwegs gewesen wären.                                                              Existenz brauchen.
                                               Für viele Menschen ist Wildnis eine
Intrinsischer Wert von Wildnis                 Bedrohung, verbunden mit Katastrophen.
                                               Katastrophen sind Elementarereignisse.       Niemand muss sich vor Wildnis fürchten
Das Leben an und für sich ist eine             Erdbeben, Erdrutsche, Überschwem-            – in Europa schon gar nicht. Wildnis ist
„Organisationsform“, die gegen die             mungen. Sie hängen nicht mit Wildnis         eine Randerscheinung und wird eine
Entropie wirkt. Die Entropie macht alles       zusammen. Diese Elementarereignisse          Randerscheinung bleiben. Wir haben
gleich. Irgendwann wird das gesamte            finden in der Wildnis genauso statt wie in   in der EU etwa 1 % der Fläche, die noch
Universum gleich finster und gleich kalt       der Zivilisation.                            als Wildnis gelten kann. Wildnis ist
sein. Die Materie wird gleich verteilt sein.                                                ein Rückzugsgebiet; nicht nur für die
Entropie wirkt auch heute, alles strebt        Man muss sich aber davor hüten, Wildnis      verschiedensten Organismen, die sich dort
zur gleichmäßigen Verteilung, die das          zu romantisieren. Wir könnten heute          entwickeln können – ohne unser Zutun;
absolute Chaos ist. Das Leben arbeitet         mit unseren Fähigkeiten kaum mehr in         nicht nur für Prozesse der Evolution,
mit viel Energie dagegen. Darum ist es         der Wildnis überleben. Wir haben uns in      sondern auch für uns. Wir sind in der
wichtig, auch die durch uns ungenutzte         den letzten 8.000 bis 10.000 Jahren eine     Wildnis entstanden und haben in ihr sehr
Natur als Wert anzusehen.                      Zivilisation aufgebaut – eine ganz tolle     erfolgreich und glücklich gelebt.
                                               Leistung! Erst wenn man gefestigt und
Bedrohte Wildnis                               gesichert ist in seiner Kulturleistung, in   Aus diesem Grund plädieren wir dazu,
                                               seiner Zivilisation, kann man überhaupt      dort, wo es möglich ist, Wildnis wieder
Die Wildnis auf diesem Planeten ist            daran denken, wieder Wildnis zuzulassen.     zuzulassen.
durch uns bedroht. Wir sind in den             Wenn man vor 200 Jahren gesagt
letzten hundert Jahren der größte              hätte, lassen wir doch große Gebiete         „Sein lassen – Zeit lassen – Zulassen“
Aussterbefaktor für alle Arten auf der         ungenutzt, wäre man sicher auf völliges

                                                                                                           Sommer 2019 | Im Gseis 21
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