Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs - Meine Welt
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Heft 2 Jahrgang 28 Herbst 2011 Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs 50 Jahre indische Krankenpflegekräfte in Deutschland · Indien als Idee gerät in Schwierigkeiten · Mission und Evangelisierung · Indische Diaspora in Afrika · Tempel- schätze von Thiruvananthapuram · Interview · Gedichte · Erzählungen · Rezensionen
i I n h a lt i Editorial........................................................................................................................................ 3 Herausgeber Eine Nation, die vom Staat zerfressen wird ............................................................................ 4 Diözesan-Caritasverband Ramachandra Guha für das Erzbistum Köln e.V. Abteilung Integration und Migration Mein Leben ist meine Botschaft ............................................................................................. 13 Georgstr. 7, 50676 Köln Jose Punnamparambil Tel. 0221/2010-287 Indische Erfahrung ist wichtiger als die Sprache, . www.caritasnet.de in der das literarische Werk geschrieben wird ...................................................................... 15 Kannan Sundaram Vertreter des Herausgebers: Dipl.-Soz. paed. Heinz Müller, Journalist DJV Die Chancen aus den Krisen ................................................................................................... 17 E-Mail: heinz.mueller@caritasnet.de Dr. George Arickal Redaktion: Tempel-Schätze von Thiruvananthapuram . .......................................................................... 19 Jose Punnamparambil (verantwortlich), König Marthanda Varma Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren, Mission und Evangelisierung .................................................................................................. 20 Tel. 02224 / 7 53 17 Prof. Dr. Joseph Pathrapankal E-Mail: punnam@t-online.de Mahatma Gandhi war ganz bestimmt ein holistischer Denker, . Thomas Chakkiath, auch wenn das zu seiner Zeit kein Modewort war. .............................................................. 24 Novalisstr. 45, 51147 Köln, Irmel Marla Tel. 02203 / 2 26 54; E-Mail: tchakkiath@yahoo.de 50 Jahre indische Krankenpflegekräfte in Deutschland Nisa Punnamparambil, Wie war es am Anfang ............................................................................................................. 28 Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren Jose Punnamparambil Tel. 02224/9897690; Das Unternehmen „Auszug aus Indien, Aufenthalt in Deutschland“ ............................... 30 E-Mail: Daniel.Nisa@t-online.de Sunitha Vithayathil Redaktionelle Mitarbeit: Ein Tag aus dem Leben von Schwester Deenamma ............................................................ 35 Walter Meister, Öhringen Edward Nazareth Unterstützung und Beratung: Die Inderinnen suchten Gesellschaft und waren immer zuvorkommender . Pater Ignatius Chalissery, Köln; Dr. Urmila und fröhlicher . .......................................................................................................................... 37 Goel, Bonn; Dr. Martin Kämpchen, Santiniketan, Schw. Ute Nedden Indien; Dr. Ajit Lokhande, Jülich; Walter 50 Jahre indische Krankenpflegekräfte in Deutschland ...................................................... 39 Meister, Öhringen; Pfarrer Darius Glowacki, Ciciliamma Thundiyil, Mercy Thadathhil, Fredeena Nazareth, Königswinter; Dr. Claudia Warning, Lohmar Elsy Vadakkumchery, Joseph Kurumundayil Gestaltung und Satz: Das einsame Leben und der Tod von Elfriede Maria Schmidt ........................................... 48 Alexander Schmid Wachstum an sich kann nicht unser ultimatives Ziel sein ................................................... 50 Layout: Amartya Sen Jose Punnamparambil; Jose Ukken Indische Diaspora in Afrika .................................................................................................... 51 Herstellung und Vertrieb: A. Khaliq Kaifi Jose Ukken, Indische Musik bedeutet für mich der Atem des indischen Subkontinents, . Im Rheingarten 21, 53639 Königswinter, in welchem meine Seele beheimatet ist. ................................................................................ 57 Tel. 02223 / 49 49; Diptesh alias Fichi Diamond E-Mail: joseukken@googlemail.com Ein hilfsbereiter Mensch ......................................................................................................... 59 Druck: Uday Prakash Siebengebirgs-Druck, Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef Prof. Dr. Shiva Prakash ist neuer Direktor des Tagore Centers in Berlin ......................... 62 Annakutty Valiamangalam K. Findeis Erscheinungsweise: dreimal jährlich Eine Spende von mindest. 13 Euro wird von Die Megacity mit vielen Stimmen (Gedichte) ...................................................................... 63 den Lesern erwartet. Annakutty Valiamangalam K. Findeis Konto-Nr. 106 3205, Gedichte:.................................................................................................................................... 64 Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 370 205 00), K. Satchidanandan, Shiva Prakash Diözesan-Caritasverband, Köln Indische Literatur als gesellschaftliche Kraft . ...................................................................... 65 Christina Kamp Titelbild Neue Bücher ............................................................................................................................. 66 Ohne Titel von Gurdeep Singh, Neu Delhi (Ausschnitt) Chili, Chai, Chapati .................................................................................................................. 67 Josua Walbrodt Rückseite „Dawn” von Medha Bhatt, Patchworkkunst Die magische Kraft alter Überlieferungen . .......................................................................... 68 aus Textilabfall (siehe Seite 70) Franz Schneider Indorama ................................................................................................................................... 69 2 meine welt 2/2011
i e di t o ri a l I Eine Erfolgsgeschichte Die Einwanderung indischer Kran- der Heimat, und gründeten Familien. Deutschland fast abgeschlossen. In kenpflegekräfte nach Deutschland ist Dann kamen die Kinder und damit einigen Jahren werden Erinnerungen ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. auch die Schwierigkeit, Familie und an diese Einwanderung nur noch als Sie kamen Anfang der 60er Jahre des Beruf zu vereinbaren. Da die meisten ein gelegentliches scharfes Essen, als letzten Jahrhunderts ohne Vertrag Krankenschwestern Schichtdienst ein komischer Name, als schöne dunk- durch private, meist kirchliche Kanäle. oder Nachtdienst machten, konnten le Hautfarbe bei einigen und als ein In den Spitzenzeiten – Anfang der 70er sich nicht richtig um die Kindern Hauch mehr Spannkraft und Offen- Jahre – zählten sie ca. 5.000 Personen. kümmern. Viele indische Ehepaare heit in der Gesellschaft zurückbleiben. Die meisten kamen als junge Mädchen erinnern sich heute mit Dankbarkeit So war es auch bei den deutschen Sol- aus christlichen Mittelschichtfamilien daran, wie ihre deutschen Freunde daten, die Vasco Da Gama 1498 und im südindischen Bundesstaat Ke- ihnen bei der Überwindung dieser noch zweimal danach nach Calicut rala. Einige wenige hatten schon eine schwierigen Situation kräftig geholfen und Cochin mitnahm, um die Herr- Ausbildung als Krankenschwester in haben. scher von Calicut zu besiegen. Diese Indien und wollten hier eine Arbeitstä- Soldaten entschieden sich nach Been- tigkeit aufnehmen. Die indischen Krankenschwestern und digung der Mission in Cochin, Kerala, deren Ehepartner legten großen Wert zu bleiben, dort zu heiraten und Fami- Es war nicht leicht für diese jungen auf gute Bildung und Ausbildung für lien zu gründen. Was merken wir von Mädchen, in Deutschland Fuß zu ihre Kinder. Dafür waren sie bereit, diesen Deutschen heute bei einer Reise fassen. Allergrößtes Problem war die eigene Bequemlichkeiten zurückzu- nach Kerala? Sprache, aber auch die Essgewohn- stecken. Mit großer Opferbereitschaft heiten, die Verhaltensweisen, das kalte und mit beispielhaftem Einsatz Die Einwanderung der indischen Wetter etc. bereiteten ihnen große wurden die Kinder in guten Schulen Krankenschwestern nach Deutschland Anpassungsschwierigkeiten. Hinzu untergebracht und ihnen später ein ist das Schwerpunktthema dieses Hef- kam später die große Unsicherheit in Hochschulstudium ermöglicht. So sind tes. Wir haben viele Interviews, Stel- Bezug auf Arbeits- und Aufenthalts- heute viele dieser Kinder Ärzte, Inge- lungnahmen etc. über dieses Thema genehmigung. Auch die Fremdheit der nieure, Betriebswirte, Forscher, Hoch- abgedruckt. Wir hoffen, dass dies auf hoch urbanisierten Lebenskultur im schullehrer, Journalisten. Ihr Interesse stößt. Ansonsten haben deutschen Alltag machte den jungen, wir viele andere interessante Beiträge meist aus ländlicher Umgebung stam- Deutschland verhängte 1973 einen in diesem Heft untergebracht. Wir menden Mädchen zu schaffen. Anwerbestopp für nichteuropäische empfehlen insbesondere den Beitrag Arbeitskräfte. Danach kamen nur von Ramachandra Guha, eine scho- Es gab aber auch verbindende und sehr wenige zur Ausbildung als Kran- nungslose Analyse des Zustands des rettende Faktoren, die den jungen In- kenpfleger/ Krankenpflegerin nach heutigen Indien. derinnen Abhilfe schafften. Menschen Deutschland. Heute befindet sich die aus fremden Kulturen waren damals große Mehrzahl der Inderinnen, die Herzlichst Ihr in Deutschland keine alltägliche Wirk- in den 1960er und 1970er Jahren nach J ose P unnamparambil lichkeit wie heute. Gegenüber ihnen Deutschland kamen, im Ruhestand. waren die meisten Deutschen beson- Viele ihrer Kinder haben bereits ge- ders offen und zuvorkommend. Dies heiratet und Familien gegründet. Die gilt insbesondere für Inder und Inde- Ankunft der Enkelkinder verändert Meine Welt rinnen, da sie aus einem in Deutsch- das Leben der 1. Generation der Kran- Die Zeitschrift „Meine Welt” erscheint drei Mal land hochgeschätzten Kulturland kenschwestern radikal. Viele sprechen im Jahr. Eine Spende von mindestens 13,00 kamen. Auch die Zugehörigkeit zu der nicht mehr von Heimweh nach Indien, Euro wird von den Lesern erwartet. Alle Rechte christlichen Kirche half den Mädchen, sondern von einem Leben mit den bleiben dem Herausgeber vorbehalten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte über- Freundschaften und Bindungen mit eigenen Kindern und Enkelkindern in nimmt die Redaktion keine Haftung. Die in den den Deutschen zu knüpfen. Deutschland. Es wird doch genug sein, Beiträgen vertretenen Ansichten decken sich einmal im Jahr Indien und die Ver- nicht immer mit der Auffassung der Redaktion. Nachdem die Probleme in Bezug auf wandten/ Freunde dort zu besuchen! Die Redaktion behält sich redaktionelle Ände- Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis rungen vor. Alle Zuschriften sind an die Redak tion zu richten. gelöst worden waren, heirateten die So ist die Geschichte einer einmali- Mädchen, meist indische Männer aus gen Einwanderung aus Indien nach meine welt 2/2011 3
i I d e e v o n I n di e n i Eine Nation, die vom Staat zerfressen wird Eine Unzahl von zerstörenden Faktoren – eingeschlossen der indische Staat – nagen an der Idee von Indien. Das ist nicht die Republik, die wir werden wollten. R amachandra G uha Der Dichter Wallace Stegner bemerkte ders Indien, nämlich unsere Banknoten, einmal: „Ideen zu verfolgen ist ein Ra- die auf der einen Seite ein Porträt Gan- tespiel. Man kann nicht mit Sicherheit dhis ziert und ein Bild des Parlaments. Auf sagen, wer eine Idee zuerst hatte – man der anderen Seite ist der Nennwert in 17 kann höchstens sagen, wer eine Idee zuerst Sprachen und tatsächlich 17 unterschiedli- verwendet hat, zuerst in irgendeiner Form, chen Schriften angeführt, von denen jede in einem Gedicht, einer Gleichung oder einzelne eine eigene, anspruchsvolle, alte einem Bild formuliert hat, über das andere und ehrwürdige Literaturtradition reprä- stolpern und schockiert feststellen, dass sentiert. Da Geldscheine ein Produkt des sie ähnliches auch schon gedacht haben.“ täglichen Lebens sind, nehmen wir deren So verhält es sich auch mit der Idee von Bedeutung nicht mehr wahr. Ramachandra Guha ist einer der Indien. Rabindranath Tagore schrieb in profiliertesten Historiker und Sach- einem Brief an einen Freund im Jahre 1921, Drei Feinde buchautor im heutigen Indien. Seine „dass die Idee von Indien dem Bewusstsein Die pluralistische, inklusive Idee von In- international bekannten Bücher sind der Getrenntheit des eigenen Volkes von diens hat drei Feinde: der bekannteste ist „The Unquiet Woods” 1989 ( Die unru- anderen entgegensteht und unausweichlich der Gedanke eines Hindu Rashtra, wie er higen Wälder), ein Pionierwerk über zu endlosen Konflikten führen muss.“ Es auf eine unberechenbare Weise von der die bedrohliche Entwicklung unserer mag andere gegeben haben, die sich vor Bharatiya Janata Party und auf eine ent- Umwelt, und „India after Gandhi” 2007, ihm bereits in der Form geäußert hatten, schlossene (oder eher bigotte) Weise von die Geschichte Indiens nach dem Tod aber erst im Jahr 1997, als Sunil Khilnais der Rashtriya Svayamsevak Sangh, dem von Gandhi. Ramachandra Guha hat an wundervolles Buch erschien, stellten seine Vishwa Hindu Parishad, Bajrang Dal und der Yale und der Stanford Universität Landsleute mit Entsetzen fest, was die Idee anderen ähnlichen Vereinigungen vertre- gelehrt, hat bereits einen Lehrstuhl an von Indien bedeutete. ten wird. Als Khilnai im Jahr 1997 sein der Oslo Universität gehabt und war Der aufkommende Nationalismus im Eu- Buch veröffentlichte, schien die Idee des „Visiting Professor” an der California ropa des 19. Jahrhunderts, der Bürger im Hindutva die größte Herausforderung für Universität in Berkeley. Vor kurzem Namen einer einzigen Religion und einer die Idee von Indien zu sein. Der Sangh war er als Inhaber des „Philippe Ro- einzigen Sprache gegen einen gemeinsa- Parivar, so schrieb er, biete eine Alter- man Chair in History and International men Feind vereinte, lieferte das Modell für native zu der „theoretisch unsauberen, Affairs” bei der London School of Eco- viele spätere nationalistische Bewegungen improvisierten, pluralistischen Herange- nomics für das akademische Jahr 2011- (die Israels und Pakistans eingeschlossen). hensweise“, wie sie von Gandhi und Nehru 2012 berufen worden. Anderseits schließt die Idee von Indien, geboten wurde, nämlich die Alternative Im folgenden Beitrag, der bereits in wie sie schon von Tagore und Gandhi einer „im kulturellen wie ethnischen Sinne der indischen Zeitschrift „Outlook” formuliert wurde und auch in der indi- gesäuberten, homogenen Gemeinschaft erschienen ist, gibt er eine schonungs- schen Verfassung festgeschrieben ist, in mit einer indischen Staatsangehörigkeit, lose, aber konstruktive Analyse des ihren weitläufigen Grenzen mehr soziale die von einem Staat verteidigt wird, der Zustandes des heutigen Indien als eine Vielfalt ein als jede andere Nation: Keine sowohl Gott als auch nukleare Spreng- Nation, als eine „Idee”, als die größte bestimmte Religion wird einer anderen köpfe auf seiner Seite hat.“ Demokratie der Welt. Den vorgezogen, keine gemeinsame Sprache Diese Herausforderung erfuhr ich, als ich Beitrag, den Anna Martin aus dem Eng- wird durchgesetzt und Patriotismus wird im Zeitraum zwischen 1988 und 1994 in lischen ins Deutsche übertragen hat, nicht durch ein gemeinsames äußeres oder Nordindien lebte, direkt und indirekt – als drucken wir leicht verkürzt mit freund- inneres Feindbild geschürt. Wir als indi- ich mitbekam, wie meine muslimischen licher Genehmigung des Autors. sche Staatsbürger benutzen ständig eine Freunde unter Hindu- Namen Fahrkarten D ie R edaktion stereotype Erscheinungsform des Wun- reservierten, als ich nach den Krawallen, 4 meine welt 2/2011
i I d e e v o n I n di e n i die von Lal Krishna Advanis rath yatra ausgelöst worden waren, nach Bhagalpur fuhr, als ich beobachtete, wie die öffent- liche Meinung sich allgemein an den re- ligiösen Fronten erhärtete. Die giftigen Überbleibsel dieser Jahre blieben auch im nächsten Jahrzehnt erhalten, wie die Pogrome gegen Muslime im Gujarat des Jahres 2002 zeigen. Die Bedrohung Indi- ens durch Hindutva-Fanatismus erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit von 1989 bis etwa 2004. Diese Bedrohung scheint allge- mein abgenommen zu haben, obwohl die kürzlich aufgedeckten terroristischen Akti- vitäten durch Sundry Sadhvis und Swamis keinen Grund für eine Entwarnung geben. Slumbewohner in Mumbai (Rainer Hörig. Quelle: Indien Verstehen 2010) Wie auch immer, der religiöse Fundamen- talismus der Rechten wird inzwischen ter ausgesetzt, die offiziell den Adivasi zur Im Sommer des Jahres 2006 reiste ich sowohl was die Macht als auch was den Verfügung stehen sollten, sie de facto aber durch den Distrikt Dantewada im Bun- Einfluss betrifft, von der Linken einge- schikanieren und ausbeuten. desstaat Chhattisgarh als Angehöriger holt, die in Gestalt der Kommunistischen einer Gruppe unabhängiger Bürger, die (Maoistischen) Partei Indiens ebenfalls Die Maoisten Übergriffe einer Bürgerwehr untersuchen eine Herausforderung für die Idee Indiens Alles in allem kann man sagen, dass die sollte, die von der Landesregierung ge- darstellt. Der Aufstieg der Maoisten ist Stammesbevölkerung in den letzten 63 fördert worden war. Wir fanden heraus, untrennbar mit der Enteignung der Stam- Jahren der Demokratie und Entwicklung dass diese Bürgerwehr die Gesellschaft mesbevölkerung Zentralund Ostindiens in Indien nur verloren hat. Ich will da- der Adivasi polarisiert hatte, zahlreiche verbunden. Diese Stammesvölker leben mit nicht sagen, dass Dalits und Muslime Morde angeheizt und mindestens 60.000 in den dichten Wäldern Indiens, an ih- nicht diskriminiert worden sind. Deren Menschen aus ihrer Heimat vertrieben ren schnell fließenden Flüssen – und auf Anliegen haben aber durch demokratisch hatte. Empörung und Abscheu gegen- einem Boden, der die reichsten Adern gewählte Parteien und Politiker ein mäch- über der Politik der Regierung ließ uns an Eisenerz und Bauxit enthält. Mit der tiges Sprachrohr gefunden, während die aber nicht die Augen vor den Fehlern der Industrialisierung des Landes haben sie Stammesbevölkerung noch nicht einmal anderen Seite verschließen: Die Maoisten ihr Zuhause und ihre Existenzgrundlage diesen Trost für sich verbuchen kann. hatten eine Spirale der Gewalt ins Laufen im Zuge von Abholzungskampagnen, Dieses Vakuum haben die Maoisten mit gebracht, indem sie vermeintliche Spitzel Dammbauten und Bergbau verloren, die steigendem Erfolg zu füllen versucht – und köpften, Dorfvorsteher ermordeten und von mächtigeren, davon profitierenden ge- dabei kommt ihnen eine wachsende Sym- Landminen einsetzten, denen sowohl sellschaftlichen Kräften geleitet werden. pathie der indischen Intelligentsia entge- Polizisten als auch Zivilisten zum Opfer Selbst wenn sie nicht enteignet werden, gen. Weltläufige Intellektuelle hatten seit fielen. Sie hatten auch Schulen in die Luft werden die Stammesvölker aktiv diskri- jeher eine Faszination für linke Rebellen: gesprengt, Hochspannungsleitungen ge- miniert. Sie leben in wenigen Bergregi- von Mao über Che Guevara und dem Sub- kappt, Schienen gesprengt und Sanitäter onen, sie stellen kein Stimmenpotential comandante Marcos bis zum Genossen daran gehindert, in Dörfern zum Einsatz dar, deren Stimmen wenigstens symbolisch Kishenji: Guerillagruppen in den Wäldern zu kommen, die unter der Kontrolle der von den Politikern vernommen werden oder Bergen galt der bewundernde Blick Maoisten waren. können. Es gibt hier einen Kontrast zu den von Dichtern und Schriftstellern, die selbst Mir war klar, dass die Maoisten keine Dalits (wie auch zu den Muslimen), die in Städten lebten. Dieser Kontrast erklärt Gandhianer waren, aber es brauchte gleichmäßiger über das Land verteilt sind die Stärke ihres Engagements. Weil diese eine Unterhaltung mit einem Muria, um und demzufolge einen weiter reichenden Intellektuellen selbst einen gutbürgerli- die Maoisten in einem klareren Licht zu Einfluss auf die Folgen der Wahlen haben. chen Lebensstil pflegen in einem Land, sehen. Mein Gesprächspartner gehörte Die Stammesbevölkerung jedoch, die unter in dem es so viel Armut gibt, sublimieren zur ersten Generation der Stammesan- den höheren Beamten kaum vertreten ist diese Autoren ihre Schuldgefühle mit einer gehörigen mit einem Schulabschluss und und sowieso über keine politische Stimme überschwänglichen Anerkennung bewaff- war ein ehemaliger Lehrer, der durch den verfügt, ist Missachtung und Geringschät- neter Rebellen, die für sich in Anspruch Bürgerkrieg heimatlos geworden war. Er zung seitens der Forstbehörden, der Polizei, nehmen, für die Armen und Entrechteten erklärte mir, dass hinter dem Macho-Bild des Finanzamtes und der Gesundheitsäm- zu sprechen. des bewaffneten Revolutionärs ein Mann meine welt 2/2011 5
i I d e e v o n I n di e n i stand, dem jegliche Zivilcourage fehlte. Ich Ein Flickwerk? einzugehen. Aber es brauchte Zeit und kann immer noch seine Worte hören - er Die dritte Herausforderung der Idee In- Geld, und viel Blut wurde dabei vergossen. sagte auf Hindi: „Naxaliyon ko himmat diens geht ebenfalls zurück bis in die Zeit Zwischen den Jahren 1947 und 1950 wur- nahin ki woh hathiyaaron ko gaon ke bahar der Staatsgründung. Es ist die Idee, dass den über fünfhundert Fürstenstaaten in die chhod ke hamare beech mein aake behas die Indische Union nichts weiter ist als ein Indische Union eingegliedert. 1963 gaben karein“ (die Naxaliten haben nicht den Flickwerk aus konkurrierenden Nationen, die dravidischen Parteien den Anspruch Mut, ihre Waffen außerhalb unseres Dorfes das früher oder später in seine Einzelteile auf einen eigenen Staat schließlich auf. Die abzulegen und dann zu kommen und mit zerfallen wird. Im Sommer des Jahres 1946 Mizos rebellierten 1965, zwei Jahrzehnte uns zu diskutieren). Das war eine faszinie- gab eine Splittergruppe der Nagas bekannt, später legten deren Anführer die Waffen rende Bemerkung, die tiefe Einsicht und dass sie nach Abzug der Briten einen ei- nieder und beteiligten sich am demokra- ein tiefes Verständnis von der wirklichen genen Staat bilden würden. Im Sommer tischen Prozess. In die 80er Jahre fiel die Bedeutung der Demokratie verriet, Trotz 1947 wurden ähnliche Ansprüche unter separatistische Bewegung der Sikhs im des zur Schau getragenen Machismo und anderem vom Dewan von Travancore, dem Punjab, die schließlich befriedet wurde, der vermeintlichen Sicherheit fürchtet sich Maharaja von Kaschmir und dem Nizam wobei allerdings viele ihr Leben lassen der Maoist in Wirklichkeit vor sich selbst, von Hyderabad geäußert. Der 15. August mussten. In den 80ern und 90ern brach eine dass er es nicht wagt, an einer demokrati- 1947 wurde für den Dravida Kazhagam, weitere Welle der Gewalt los, die von der schen Debatte teilzunehmen – nicht einmal einer einflussreichen Tamilischen Partei, Vereinigten Front zur Befreiung Assams mit armen, unbewaffneten Dorfbewoh- die ebenso eine unabhängige Nation aus- (ULF) initiiert wurde - auch diese ebbte nern. Wenn er seinen eigenen Überzeu- rufen wollte, zum Tag der Trauer. Die Sikhs schließlich ab und die große Mehrheit der gungen trauen würde, warum sollte er waren über die Trennung zwischen Indien Assamesen sucht ihr Glück innerhalb der zuerst versuchen, sie mit Waffengewalt und Pakistan aufgebracht, da sie gehofft Indischen Union anstatt nach einem un- zu untermauern? hatten, ein dritter Staat namens Khalistan abhängigen Staat Assam zu streben. Die Bemerkung des Muria-Lehrers führte würde ebenfalls ins Leben gerufen werden. Im Jahr 2011 gibt es drei separatistische mir auch vor Augen, dass die Gewalt der Viele britische Imperialisten glaubten, Bewegungen, die ihren Einfluss und ihre Maoisten nicht willkürlich oder anarchisch dass ein unabhängiges und vereintes In- Bedeutung bewahren: in Nagaland, Mani- ist, sondern äußerst gezielt. Schulen wur- dien nicht überleben würde. Zu diesen pur und Kaschmir. Die erste dieser Bewe- den angegriffen, weil die Revolutionäre Skeptikern gehörte auch der ehemalige gungen wurde über drei Jahrzehnte lang nicht wollten, dass die Kinder einer an- Premierminister Winston Churchill, aber von einem Thangkul Naga namens T. Mui- deren Pädagogik ausgesetzt sind als ih- auch einige Beamte, die zur Zeit der vah angeführt. In den späten Achtzigerjah- rer eigenen. Die Maoisten ermordeten Machtübertragung im Dienst der briti- ren war der Niederländische Autor Bertil regelmäßig Mitglieder und Führer des schen Regierung angestellt waren. Die Lintner entlang der indisch-burmesischen Panchayats (darunter auch Frauen), weil Mizo-Berge, damals als Lushai-Berge be- Grenze unterwegs, um den Naga-Anführer für sie die Wahldemokratie sogar – oder kannt, wurden von einem Mann namens in seinem Versteck im Dschungel zu tref- vielleicht insbesonders – auf dem Niveau A.R.H. MacDonald regiert. Dieser Mac- fen. Muivah erzählte ihm, dass „die einzige einer Dorfgemeinschaft, eine Gefahr für Donald schrieb im März 1947 an seinen Hoffnung, die die Naga hätten, wie sie ihre die maoistische Vision eines Ein-Partei- unmittelbaren Nachfolger, dass sein „Rat Unabhängigkeit erreichen könnten, sei, enstaates darstellte. an die Lushais seit dem Ende des Krieges dass der Staat Indien zusammenbreche.“ Kurzfristig unterstützen die Maoisten die bis jetzt immer gewesen sei, sich um die Die Naga hatten Kontakte zu Sikh- und Dorfgemeinschaften vielleicht manchmal zukünftigen Beziehungen zum Rest Indi- kaschmirischen Separatisten geknüpft und gegen die Forderungen von Forstschützern ens keine Sorgen zu machen, da niemand Muivah „hegte die inbrünstige Hoffnung, und Geldverleihern, mittel- und länger- vorhersagen kann, wie die Lage Indiens in dass eine ähnliche Bewegung unter den fristig bieten sie jedoch keine wirkliche zwei Jahren sein wird oder ob es dann über- Tamilen in Südindien entstünde, da dies Lösung. Sie betrachten die Stammesvölker haupt noch ein einheitliches politisches das Land in die Anarchie stürzen würde, im Wesentlichen als Kanonenfutter, als ein Gebilde Indien geben wird. Ich würde die er sich erhoffte.“ Sprungbrett im größeren Krieg gegen den meine kleine Tochter nicht ermutigen, ein Die Tamilen bleiben relativ zufrieden mit indischen Staat, der nach ihrer Ideologie lebenslanges Gelübde der Jungfernschaft der Indischen Union und die Sikh- Separa- damit enden wird, dass die rote Fahne in abzulegen, aber ich würde es als ein noch tisten sind nicht länger aktiv oder einfluss- dreißig oder vierzig Jahren von der Spitze schlimmeres Verbrechen ansehen, sie im reich (wenn man von den Bhindranwale- des Roten Forts flattern wird. Indem sie Kindesalter mit einem Jungen zu verloben, Plakaten absieht). Aber das Kaschmirtal diese Fantasie verfolgen, wird die Gewalt der selbst noch unentwickelt ist.“ bleibt ein brodelnder Krisenherd; Manipur immer mehr eskalieren und die Adivasi In den darauffolgenden Jahren entwickelte beherbergt Dutzende bewaffneter Separa- werden immer mehr Leid und Unzufrie- das Kind sich ausreichend, um seine un- tistengruppen, und 13 Jahren Waffenstill- denheit ausgesetzt sein. willigen Partner zu überzeugen oder re- stand zum Trotz ist zwischen der indischen gelrecht zu nötigen, mit ihm eine Bindung Regierung und den Anhängern Muivahs 6 meine welt 2/2011
i I d e e v o n I n di e n i keine Einigung erreicht. Das Unbehagen in die Wut über die Immunität vor Inhaftie- verüben ihrerseits eigene Verbrechen, wie diesen drei Staaten hat vier Hauptgründe: rung und Strafverfolgung der Soldaten der zum Beispiel die Vertreibung von Pandits erstens sind sie zu weit entfernt vom Lan- indischen Armee, deren Vorgehen gegen im Fall von Kaschmir und die ständige desinneren der Indischen Union, und zwar Zivilisten nur zu mehr Unruhe führt. Der Erpressung von Zivilisten durch Rebellen sowohl geographisch als auch kulturell. vierte Grund, der für Unbehagen sorgt, aus Manipur und Nagaland zeigt. Zweitens ist die Idee der Unabhängigkeit ist die Unterstützung manipulativer und Oft kommt die finanzielle Unterstützung unter den jungen Männern der genannten korrupter Politiker seitens der indischen für diese Gruppen aus dem Ausland. Staaten enorm attraktiv, drittens wächst Zentralregierung. Die Aufständischen Hauptgrund des Konfliktes bleibt aber das Tagore-Kulturpreis 2011 für Prof. Dr. Dietmar Rothermund und Günther Paust sondern vor allem auch durch heute auf 52 Konzerttourneen mit über die Medien. Als Experte für 1850 Gastspielen europaweit und in Indien den südasiatischen Raum ist er zurückblicken. in zahlreichen Rundfunk-, Fern- Die Preisverleihung fand am 24.09.11 seh- und Zeitungsreportagen im Rahmen einer Festveranstaltung im ein gefragter Ansprechpartner. Kulturrathaus Dresden statt. Die beiden Seine Sachund Fachkompetenz, Preisträger erhielten den Preis von Herrn die nicht nur in Europa, sondern Hans-Joachim Kiderlen, dem Vorsitzenden weltweit hohe Anerkennung er- der Deutsch-Indischen Gesellschaft e.V. fährt, stellt er zahllosen Organi- Anwesend war Prof. Dr. Shiva Prakash, sationen und Institutionen zur Direktor des Tagore Centers Berlin und Verfügung. So konnte auch die Botschaftsrat (Kultur) bei der Indischen Deutsch-Indische Gesellschaft Botschaft in Berlin. Der Preisträger Prof. Rothermund mit Herrn Kiderlen lange Jahre von seinem Wirken Der Rabindranath Tagore-Preis wurde bei im Bundesvorstand und Beirat seiner Errichtung im Jahre 1986 als ein Prof. Rothermund wurde der Preis vor der Gesellschaft profitieren. „Literaturpreis“ begründet und erst im allem für die außergewöhnliche Brei- Günther Paust wurde mit dem Tagore Jahre 2002 zu einem „Kulturpreis“ erwei- tenwirkung seiner Arbeit verliehen. Sein Kultur-Preis ausgezeichnet für seinen seit tert. Der mit insgesamt Euro 5000 dotierte Interesse an Indien erstreckt sich neben Jahrzehnten andauernden unermüdlichen Preis wird alle drei Jahre verliehen. JP historischen, wirtschaftlichen und landes- Einsatz als Kulturbotschafter und kundlichen Aspekten auch auf den künst- Kulturschaffender, fokussiert auf lerischen bzw. literarischen Bereich. Ein Indien. Beispiel hierfür ist der kürzlich erschie- Er widmet sich nun seit über 30 nene Beitrag zum Band „Rabindranath Jahren mit hohem Engagement Tagore and Germany. The History and its und harter Arbeit der Vermitt- Relevance for Today“ (New Delhi 2011). lung klassischer indischer Musik Prof. Dr. Dietmar Rothermund, geb. 1933 und klassischen indischen Tanzes in Kassel, Historiker und emeritierter in Deutschland und Europa, auch Professor für die Geschichte Südasiens in beispielhafter Zusammenarbeit an der Universität Heidelberg, prägte mit anderen Kulturkreisen. Die über Jahrzehnte hinweg das Indien-Bild zunehmende Popularität seines in Deutschland. Als herausragender Mitt- Ensembles weit über die Gren- ler zwischen beiden Nationen legte Ro- zen Deutschlands hinaus spiegelt thermund einen besonderen Schwerpunkt sich in zahlreichen Einladungen auf die Verbreitung von indienkundlichem zu Festivals in Rumänien, Itali- Wissen in Deutschland, nicht nur durch en, Teneriffa, Österreich und der seine Publikationen und Vorlesungen, Schweiz wider. So kann er bis Der Preisträger Günther Paust mit Herrn Kiderlen meine welt 2/2011 7
i I d e e v o n I n di e n i starke Engagement der Rebellen auf der der Verletzung von Menschenrechten schon einige von ihnen innehaben). Wa- einen Seite und der übermäßige Einsatz schuldig gemacht haben, müssen bestraft rum sollten sie sich also auf eine kleine von Gewalt auf Seiten des Staates. Eini- werden. Die ständige Beeinflussbarkeit abgegrenzte Region beschränken? ge werden einwenden, dass es für Länder der Arbeitsweise demokratisch gewähl- Diese drei konzeptuellen und ideologi- wie Spanien und England Jahrhunderte ter Regierungen einzelner Staaten muss schen Herausforderungen (Hindu-Fun- gedauert hat, die ethnischen Minderhei- aufhören. Gleichzeitig sollte man kleine damentalismus, kommunistische Dikta- ten, die an den Grenzgebieten leben, unter Nationalismen nicht verklären, da sie ein tur und enthnischer Seperatismus) gehen Kontrolle zu bringen. Man könnte auch das hässliches Gesicht haben. Die Intoleranz allesamt in die Tage der Staatsgründung Beispiel des amerikanischen Bürgerkriegs der Naga-Aktivisten zeigte sich deutlich zurück. Zu diesen sind in jüngster Zeit anführen und Chinas Vorgehen in Tibet im Sommer 2010, als sie das Imphal-Tal drei eher weltliche und materialistische und Xinjiang. Der Prozess der Staatwer- über zwei Monate lang versperrten und so Herausforderungen hinzugekommen: Un- dung ist oft von Qualen, Verbitterung und Zivilisten den Zugang zu Lebensmitteln, gleichheit, Korruption und Umweltzerstö- Brutalität begleitet. Indien beansprucht Benzin und Medikamenten verwehrten. rung. Im heutigen Indien gibt es enorme den Status einer modernen Demokratie. Die Engstirnigkeit (vielleicht auch die Pa- Ungleichheiten in Bezug auf Einkommen, Die Maßstäbe, die Indien selbst dabei setzt, ranoia) von Meitei Aufständischen zeigt Reichtum, Konsum, Besitz, Zugang zu Bil- müssen sich von denjenigen eines aristo- sich darin, dass sie DVDs von Hindi-Filmen dung und medizinischer Versorgung und kratischen Regimes des 19. Jahrhunderts sogar für den privaten Gebrauch verbieten. in Bezug auf Arbeitsverhältnisse. Diese oder denen eines totalitären Staates der Es gibt auch die Frage der Durchführbar- verschiedenen Missverhältnisse laufen Gegenwart unterscheiden. Die Kaschmiris, keit. Die kleinen, bergigen, abgeschiedenen entlang verschiedener sozialer Grenzen Manipuris und Nagas lassen sich nicht mit unabhängigen Binnenstaaten, von denen wie Kaste, Religionszugehörigkeit, Ethnie, Nötigung oder Bestechung für die Idee die Radikalen träumen, würden im wirt- Region und Geschlecht. Höhere Kasten Indiens gewinnen. schaftlichen und politischen Sinn nicht (insbesondere die Brahmanen und Banias) Das Beharren auf Unterdrückung seitens überleben können. (Und ein unabhängiges besuchen bessere Schulen und Kranken- des Staates und das Bestehen auf dem Stre- Kaschmir würde höchstwahrscheinlich zu häuser und sind massiv überrepräsentiert ben nach nationaler Souveränität seitens einem Sammelbecken für Al-Qaida wer- unter den Unternehmern und Fachkräften. der Rebellen hat laut Tagore zu „endlosen den). Wenn Tamilen und Mizos innerhalb Sowohl wirtschaftlich als auch sozial be- Konflikten“ geführt. Wenn die Gewalt en- der Indischen Union leben können, gibt trachtet, sind Hindus, Sikhs und Christen den soll, muss die indische Regierung weit es keinen Grund, warum die Meiteis besser dran als Muslime. Die Stammesvöl- mehr unternehmen, um die Bevölkerung und Nagas es nicht können sollten. Die- ker Zentralindiens sind, wie wir gesehen in Kaschmir, Nagaland und Manipur zu sen Gemeinschaften, die gut ausgebildet haben, sogar noch schlechter dran als die erreichen. Das Sonderermächtigungsge- sind, Englisch sprechen und sich durch ein Muslime. Diejenigen, die im Westen und setz für die Streitkräfte (Armed Forces hohes Maß an Geschlechtergerechtigkeit Süden des Landes leben, haben bessere Special Powers Act) muss aufgehoben auszeichnen, stehen die besten Arbeitsstel- Einkommensverhältnisse als diejenigen, werden. Polizisten und Soldaten, die sich len in ganz Indien offen (die tatsächlich die im Norden oder Osten leben. In ganz Indien ist das Pro- Kopf-Einkommen in Städten viel höher als auf dem Land. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass in jeder sozialen Schicht Männer einen besseren Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Erwerbstätigkeit haben als Frauen. Ich bin kein Sozialist und noch weniger ein Marxist. Die Geschichte des Kom- munismus zeigt, dass die Versuche, eine Mustergesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen gleich sind, nur in verschärfter Unterdrückung der Bürger und in der Ent- stehung einer neuer Klasse mündet, die mehr Privilegien und größere Immunität vor Strafverfolgung genießt als sie mittelal- terlichen Herrschern zu eigen waren. Der Staat Nordkorea ist ein geeignetes Beispiel Erscheinungsbild krasser Ungleichheiten. Auf einer Baustelle für einen Softwarepark in Pune bewegen dafür, wie schwachsinnig und barbarisch Tagelöhnerinnen in Handarbeit schwere Steine. (Foto: Rainer Hörig. Quelle: Indien Verstehen 2010) die Suche nach der absoluten Gleichheit 8 meine welt 2/2011
i I d e e v o n I n di e n i Am Ende des letzten Jahrhunderts war Bangalore ein Vorzeigeprojekt für die Vorteile der Liberalisierung. Der Zugang zu den weltweiten Märkten hatte den aus- gebildeten Arbeitskräften der Stadt die Möglichkeit geschaffen, ein Ausmaß an Wohlstand zu erreichen, in dessen Folge eine neue Welle der Menschfreundlichkeit in Indien aufkam. Zu Beginn des gegen- wärtigen Jahrzehnts war mein Heimatland Karnataka ein sprichwörtlich gewordenes Beispiel für die dunklere Seite der Globa- lisierung. Die Ausbeutung von Mineralien und deren Export nach China hat Um- weltschäden im großen Ausmaß verursacht und das politische System durch Kaufen und Verkaufen durch den Gesetzgeber ru- Kinderarbeit (Quelle: Länderreport Indien 2008, DGB) iniert. Der enorme Profit durch Bergbau werden kann.Wie unser kluger Landsmann nern zu können, in der indische Politiker entsteht teils aufgrund der hohen Preise Andre Beteille immer betont, ist es nicht noch nicht allesamt selbstherrlich, engstir- auf dem internationalen Markt, aber zu die absolute Gleichheit, die erstrebenswert nig und bestechlich waren. Lal Bahadur einem größeren Teil entsteht er, da der ist, sondern die Chancengleichheit. Diese Shastri regierte zwischen 1964 und 1966 mit Staat eine sehr geringe Förderabgabe auf haben wir schlichtweg nicht erreicht, daher einem Kabinett von ehrenhaften Männern Eisenerz erhebt, viele Lieferungen ohne die oben genannten Ungleichheiten. Die und Frauen. Sein Kollege, Gulzaril Nanda, jegliche Abgaben die Häfen erreichen und Chancen eines Dalit sind weiterhin weit verbrachte seinen Lebensabend in einer keinerlei Einhaltung umwelttechnischer von denen eines Brahmanen entfernt, die schäbigen, dunklen Wohnung in Ahme- Auflagen oder Arbeitsstandards von den eines Muslim von denen eines Hindu. Ei- dabad, ohne Auto, Kühlschrank etc. Die Bergwerksbetreibern verlangt werden. nem Stammesangehörigen werden nicht Politiker der Rechten und Linken waren Im Oktober des Jahres 2010 versuchte die die gleichen Chancen gewährt wie einem meist so integer wie diejenigen der Mitte. Opposition in Karnataka, die Regierung Hindu oder Muslim, ein Dorfbewohner Als in den 1980er Jahren ein Einbrecher ihres Amtes zu entheben. Medienberichten liegt hinsichtlich der Chancengleichheit in das Haus von E.M.S. Namboodiripad zufolge wurden einigen MLAs bis zu 500 weit hinter einem Städter. Bürger des einbrach, der für drei Legislaturperioden Mio Rupien (Rs 50 crore) angeboten, um Staates Orissa oder Jharkhand können der Ministerpräsident des Staates Kerala ihre Meinung zu ändern. Da die meisten mit denen Maharashtras oder Tamil Na- war, fand er nur achthundert Rupien und sich nicht kaufen ließen, kann man davon dus nicht mithalten. einen Gold- Sovereign [Anmerkung: alte ausgehen, dass ihre eigene Partei mehr britische Münze]. bot, um sie auf ihrer Seite zu halten. Meh- Korruption Man könnte von drei sich überlappenden rere Milliarden Rupien werden in dieser Diese Ungleichheiten werden durch Kor- Phasen in der Entwicklung der politischen Angelegenheit den Besitzer gewechselt ruption noch verstärkt. Öffentliche Gelder, Korruption in Indien sprechen. Die erste haben. Das sind grobe Schätzungen, aber die dazu bestimmt sind, Arbeitsplätze oder Etappe war die Zulassungserlaubnis für es ist sicher, dass mit illegalem Bergbau in soziale Einrichtungen zu schaffen, fließen Stücklizenzen der Britischen Herrschaft Karnataka ein Milliardengeschäft gemacht in die Taschen von Politikern und Bürokra- in Indien (Raj) der 50er und 60er Jahre. wird. In anderen Bundesstaaten wie Goa ten. In einem Roman aus den 50er Jahren Bestimmten Personen oder Betrieben und Orissa wird der Profit aus illegalem bemerkte Verrier Elwin, wie handgespon- wurde einen Gefallen getan und sie er- Bergbau noch schlimmere Auswirkungen nene Baumwolle (khadi), einst „ein Sym- hielten eine Gegenleistung. In der zwei- auf die Demokratie haben. bol des Aufbegehrens gegen die britische ten Etappe, die in den 70ern begann, war Maharashtra scheint der nächste Staat auf Kolonialherrschaft“, inzwischen fast schon die regierende Partei involviert, die von der Liste zu sein. Letzten Monat verbrach- zu einer offiziellen Uniform, einem Zei- Rüstungsaufträgen größere Beträge zum te ich in Puna einige Stunden mit dem chen von Macht und Autorität geworden eigenen Nutzen abzweigte. Die dritte Etap- Umweltschutzexperten Madhav Gadgil. ist. Einstige Rebellen sind nun an der Re- pe, die zur selben Zeit begann, sich aber Gadgil war gerade von einer Reise zurück- gierung beteiligt, trotzdem assoziierte man in den 90ern verstärkte, besteht immer gekehrt, die ihn an die Westküste geführt lange noch handgesponnene Baumwolle noch: der Missbrauch staatlicher Macht bei hatte Dort hatte er einst eine gedeihende mit Anstand und Ehrenhaftigkeit. Ich bin der Zuweisung von Land und natürlichen Landwirtschaft vorgefunden, die auf dem alt genug, um mich noch an eine Zeit erin- Ressourcen an Freunde und Handlanger. Anbau von Früchten und Gewürzen und meine welt 2/2011 9
i I d e e v o n I n di e n i auf Fischfang basiert. Inzwischen ist dort Priorität erklärt hat, zum sine qua non, hat werden aber bis auf einige Ausnahmen eine massive Aneignung von Land im sie die Regierungen der Bundesstaaten nicht angewendet). Das heutige Indien ist Gange. Bergwerkbetreiber, Betreiber von ermutigt, Korruption, Kriminalität und ein hoffnungsloser Fall, was die Umwelt Luxushotels und Kraftwerken versuchen möglicherweise nicht wieder gut zu ma- betrifft: Absinken des Grundwasserspie- zusammen mit Juristen und Ministern die chende Umweltzerstörung voranzutreiben. gels, enorm hohe Luftverschmutzung und lokale Bevölkerung zu vertreiben und Wäl- Natürlich muss die indische Wirtschaft Bodenerosion, die Entsorgung von Gift- der und Mündungsgebiete zu zerstören. stetig wachsen, um unser Volk aus der müll, die keinerlei Regelungen unterliegt, Armut zu hieven. Es ist jedoch unbedingt Abholzung der Wälder und Dezimierung Supermacht Indien notwendig, sich die Einzelheiten dieses der Artenvielfalt sind verheerend. Dies Der Bergbau- und Kraftwerksboom ist Wachstums genauer anzuschauen, aus wird durch Korruption und Ungleichheit zum Teil mit dem Wahn zu erklären, dass dem das Erbe für spätere Generationen begünstigt. Sowohl die Politiker der Zent- man unbedingt die Wachstumsrate von 9 gemacht wird. Unternehmen und Projekte ralregierung als auch die Regierungen der Prozent erreichen will, die, wie manche müssen nach der Art der Arbeitsplätze, die einzelnen Bundesstaaten, die nur im Inte- Kreise in Neu Delhi behaupten, notwendig sie schaffen, und nach deren jeweiligen resse der Reichen agieren, überlassen die sei, damit Indien den Status einer Super- Folgen für die Umwelt bewertet werden. Kosten der Umweltzerstörung den Armen macht erreicht. Dieses Ziel wird vor allem Wir müssen sicherstellen, dass jegliche und zukünftigen Generationen. von bestimmten Ministern, Großunterneh- Form der Aneignung von Land fair, ge- Am 4. November 1948 brachte B.R. Am- mern und Zeitungsverlegern verfolgt, die recht und transparent von statten geht. bedkar einen Verfassungsentwurf in die alle von einem tiefen Minderwertigkeits- Die Kosten für eine engstirnige Fokus- verfassungsgebende Versammlung ein. komplex befallen sind: Sie wollen um jeden sierung auf das Wachstum des BIP und Dieser Entwurf sollte, mit einigen Än- Preis im internationalen Vergleich mit den die Fetischisierung einer bestimmten Zahl derungen, die Indische Verfassung wer- Politikern, Billionären und Herausgebern – acht Prozent, neun Prozent, zehn Pro- den. Ambedkar äußerte sich über das des Westens auf einer Stufe stehen. zent – können verheerend sein. Denn im Dokument, das er betreut hatte, dass es Dieses zwanghafte Streben nach dem Sta- BIP ist nicht der Verlust eingerechnet, der „brauchbar, flexibel und geeignet genug tus einer Supermacht ist ebenso ein männ- durch Tagebau entsteht: Wasserknappheit, sei, das Land in Kriegs- wie Friedenszei- liches Machogehabe wie der Naxalismus Umweltverschmutzung und -zerstörung. ten zusammen zu halten. Wenn etwas mit oder der Hindu Fundamentalismus. Es ist Der Markt kann Effizienz und Produktivi- der neuen Verfassung tatsächlich schief genauso eine Fantasie und eine genauso tät fördern, aber nicht Nachhaltigkeit oder läuft, liegt es nicht daran – wenn ich mir gefährliche obendrein. Viele Konflikte sind soziale Gerechtigkeit. Der Markt legt kei- erlauben darf, das zu sagen –, dass die bereits dadurch entstanden. Mit der Politik, nen Wert auf die Bedürfnisse der Armen, Verfassung schlecht ist, sondern an der die mit großer Mehrheit das Bestreben auf die Zukunft und auch nicht auf das schlechten Natur des Menschen.“ 62 Jah- befürwortet, ein Wachstum von neun Pro- Recht auf Leben anderer Spezies. Es liegt re später können wir hinsichtlich unseres zent zu erreichen, haben wir Agrarflächen also im Interesse der Bergwerkbetreiber Versagens, die Ideale der Verfassung wie und Lebensraum der Stammesbevölke- und Industriellen, die Kosten der Schädi- Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu rung überaus zerstörerischen Formen von gung der Umwelt nicht offen zu legen (die erfüllen, schlussfolgern, dass bestimmte Industrie und Bergbau überlassen. Indem Gesetze, die solche Schädigung verhindern Menschen besonders versagt haben: die- die Zentralregierung die neun Prozent zur könnten, existieren zwar auf dem Papier, jenigen, die eben diese Ideale von Berufs wegen fördern und durchsetzen müssten. Das Ausmaß und die Allgegenwärtigkeit der Korruption in der Politik bedeutet, dass möglicherweise der mächtigste Feind der Idee von Indien inzwischen der indische Staat selbst ist. Die Kongresspartei hat hierbei eine wich- tige Rolle gespielt. Als die Partei der Un- abhängigkeitsbewegung hat sie geholfen, die Idee von Indien zu definieren. Als die Partei, die nach der Unabhängigkeit für Einheit und Demokratie warb, hat sie der Idee von Indien Tiefe verliehen. In den letzten Jahrzehnten jedoch haben die Par- tei und ihre Führer hauptsächlich an der Bauern protestieren gegen ihre Vertreibung durch eine Serie von Großstaudämmen am Narmada-Fluss. Zerstörung der Idee von Indien gearbeitet. (Foto: Rainer Hörig. Quelle: Indien Verstehen 2010) 10 meine welt 2/2011
i I d e e v o n I n di e n i Familiengeführte Unternehmen Man kann ebenso gut Namen nennen: Unter Indira Gandhi, selbst ein Kind des Freiheitskampfes, in der Tradition Gandhis und Nehrus geschult, wandelte sich die Partei von einer dezentralisierten, demo- kratischen Partei mit starken Bezirksaus- schüssen und Landesausschüssen in ein familiengeführtes Unternehmen, das die Autonomie und die Integrität des gehobe- nen Dienstes zerstörte, indem sie Loyalität zur Parteispitze zum Hauptkriterium für den Aufstieg machte. Rajiv Gandhi, ein modern gesinnter Mann, der Indien ins 21. Jahrhundert führen wollte, öffnete die Tore an der Moschee von Ayodhya und anschließend annullierte er, um den Bigotten auf der anderen Seite zu gefal- len, die Entscheidung des Höchsten Ge- richtshofs im Shah Bano-Fall. Dies führte zu zwei Jahrzehnte währender religiöser Feindschaft und zu religiös motivierten Krawallen mit tausenden Toten und noch mehr Obdachlosen (und bahnte neben- bei Hindutva den Weg vom politischen Rand auf die politische Bühne). Manmo- han Singh, der selbst ein integerer Mann ist, regiert mit einem Kabinett, das vor Korruption nur so stinkt, sieht dabei zu, wie mehrere Milliarden von Rupien als Vergütung für die Sanktionierung spezi- Protest gegen staatliche Untätigkeit: Demonstration von BJP-Anhängern gegen Straßenbau in Delhi. (Quelle: Länderreport Indien 2008 DGB) eller Wirtschaftszonen, Energieprojekte und andere Dinge illegal von einer Hand Baburam Bhattarai, der Ideologe der ne- die mitziehen müssen: den Staat, die Pri- in die andere wechseln. palesischen Maoisten, äußerte, seine Partei vatwirtschaft/ Privatwirtschaftliche Un- Was persönliche Integrität und Aufrich- „möchte ein neues Modell ausprobieren, ternehmen und die Zivilgesellschaft. In tigkeit betrifft, scheinen die Kommunisten welches sich auf die Ideen Gandhis, Lo- den 50ern und 60ern, als die Unternehmer im Parlament die am wenigsten verhassten hias, Marx’ und Lenins bezieht und dabei zaghaft und nicht besonders risikofreudig unter den indischen Politikern zu sein. Sie eine Synthese von allen darstellt”. Sein waren und eine Zivilgesellschaft noch nicht unterhalten z.B. keine Schweizer Bankkon- Führer, Genosse Prachanda, spricht oft existierte, gab der Staat sich größte Mühe. ten und sind nur äußerst selten in Fünf- mit Bewunderung vom Buddha. Die in- Heute schreiben wir das Jahr 2011 und es Sterne-Restaurants anzutreffen. Viele von dischen Genossen lassen sich von weiter scheint, als wäre es jetzt die Zivilgesell- ihnen haben ein tiefes Mitgefühl mit den entfernten Persönlichkeiten inspirieren. schaft, die sich größte Mühe gibt. Hunderte Armen und Ausgeschlossenen. Sie haben Auf den jährlichen Versammlungen der von selbstlosen sozialen Aktivisten schuf- jedoch, wo sie an der Macht waren, Par- CPI(M) sind immer vier Porträts auf dem ten in den Bereichen Bildung, Gesundheit, teigenossen energisch in der Verwaltung, Podium zu sehen: Marx, Engels, Lenin und Umwelt, Frauenrechte, und Verbraucher- der Polizei und, was am schlimmsten ist, Stalin – also zwei deutsche Denker des 19. schutz, um nur einige zu nennen. an den Universitäten gefördert. An der Jahrhunderts und zwei russische Diktato- In der Privatwirtschaft gibt es Visionäre Universität von Kalkutta, einst eine aus- ren des 20. Jahrhunderts. Ich hoffe, dass ich ebenso wie diejenigen, die sich nur be- gezeichnete akademische Adresse, sank es noch erleben darf, bei Versammlungen reichern wollen. Vor zehn Jahren waren das Niveau der Lehre erheblich dadurch, der CPI(M) dereinst Porträts von reprä- es die Philanthropen, die die Trends vor- dass Professorenstellen zuerst mit Partei- sentativen indischen Demokraten wie z.B. gaben, jetzt sind es die Gauner und ihre ideologen besetzt wurden. Gandhi und Ambedkar zu sehen. Handlanger, die immer mehr an Macht Es ist eine erstaunlich archaische Ideo- Um einigermaßen gut zu funktionieren, und Einfluss gewinnen. logie, der diese Kommunisten anhängen. braucht eine Demokratie drei Bereiche, meine welt 2/2011 11
i I d e e v o n I n di e n i Um den Glauben an die Idee von Indien letzte Randbemerkung anbieten: Am Un- hatte, wie z.B. bei den Kanälen des Kaveri, wieder herzustellen, brauchen wir eine fä- abhängigkeitstag fuhr ich einmal von Ban- die die Felder ihrer Väter bewässern, und higere ehrliche Klasse von Politikern. Bis galore nach Melkote, eine Tempelstadt im Gandhi kannten sie als denjenigen, der es soweit ist, können wir uns auf die mas- südlichen Karnataka, wo es zufällig auch sich für ein Miteinander der Religionen sive Unterstützung der Bürger verlassen, einen berühmten Gandhi- Ashram gibt. ausgesprochen hatte und gewaltlos den die trotz der Provokationen durch Extre- Der erste Teil der Fahrt, der uns durch das Freiheitskampf des Landes angeführt misten Demokratie und Vielfalt kontinu- ständig wachsende Ballungsgebiet Banga- hatte. ierlich hochhalten. Außerhalb von Gujarat lores führte, war eintönig. Dann fuhren wir Die Vision der Jungen war umfassend. wurden die Hindutva-Hardliner von den auf die Autobahn Richtung Mysore und die Ideologen mögen einwenden, dass Ambed- Wählern wiederholt energisch abgewie- Landschaft wurde vielseitiger. Irgendwo kars und Gandhis Ideen nicht miteinander sen (wie unlängst in Bihar bewiesen, wo zwischen Mandya und Melkote fuhren wir vereinbar seien; Historiker werden wissen, die NDA (National Democratic Alliance) an einem Ochsenkarren vorbei, auf dem dass Gandhi und Visvesvaraya sich bezüg- einen spektakulären Sieg bei den Wahlen drei Jungen saßen. Einer von ihnen trug lich der Wichtigkeit der Industrialisierung auf Landesebene verbuchen konnte, indem einen Anzug und eine Brille, der zweite und des Wirtschaftswachstums nicht ei- sie Narendra Modi von ihrer Kampagne eine Bandgala mit einem typischen Mys- nig waren. Die Jungen verstanden aber, ausschloss). Den islamistischen Terrorak- orer Peta-Hut auf seinem Köpfchen und was Parteianhänger und Wissenschaftler ten in Bombay, Delhi und anderswo sind der dritte war in ein schlichtes Tuch gehüllt. nicht verstehen: dass unser Land dieser keine Krawalle oder religiösen Racheakte Diese Jungen waren offensichtlich gerade Tage alle drei braucht, da alle diese drei gefolgt. von einer Schulveranstaltung zurückge- Persönlichkeiten Inder waren, die mit Das Gespür der Bürger zeigte sich auch, als kehrt, bei der sie jeweils als B.R. Ambed- ehrlichen und rechtschaffenen Mitteln die Kampagne gegen Sonia Gandhi, die vor kar, M. Visvesvaraya und M.K. Gandhi versucht haben, das menschliche Leiden den Wahlen im Jahr 2004 gestartet wurde aufgetreten waren. Das Bemerkenswerte zu lindern, da alle drei ein Vermächtnis und sie als eine Fremde darstellen sollte, war, dass keiner ihrer Helden, die sie ver- verkörpern, das es verdient, auch heut- zurückgewiesen wurde. Die Fremdenfeind- körperten, ein Kannada-Muttersprachler zutage gepflegt zu werden. Was ich an je- lichen hofften, die niederen Gefühle der war. Jedoch betraf die Botschaft, für die nem Tag sah, war ein großartiges Bild der Inder im Allgemeinen und der Hindus diese drei historischen Figuren standen, Idee von Indien. Diese Idee vollständig im Besonderen anzuregen, indem sie die die gegenwärtige und zukünftige Lebens- wiederaufzunehmen, würde unter ande- Gefahren, die ein möglicher ‚Rome Raj’ realität dieser jungen Kannada-Sprecher. rem bedeuten, den Pluralismus, den jene auslösen könnte, herauf beschworen. Au- Die Jungen kannten Ambedkar als den- Schuljungen verständlich machten, an die ßerhalb der Kreise der Hindu-Fundamen- jenigen, der den Unterdrückten Würde Vorstellung von Demokratie anzupassen, talisten stieß diese Kampagne allerdings und Hoffnung gegeben hatte, Visvesvaraya die jener erwähnte Muria-Lehrer in Dan- auf keinerlei Resonanz. Der Wähler stellte kannten sie als denjenigen, der moderne tewada so klar verteidigt hatte. klar, dass sie Mrs. Gandhi anhand von an- Technologie für soziale Zwecke eingesetzt deren Kriterien beurteilen würden. Ihre italienische Herkunft und die katholische Erziehung waren nicht relevant. Sie hatte Wachstum und Nachhaltigkeit sich das Recht, eine Inderin zu sein, durch vier Jahrzehnte Aufenthalt auf indischem Wachstum und Nachhaltigkeit gehen Brasilien wollen und werden wachsen. Sie Boden erworben. Zwar gibt es viele Inder, zusammen. Gerade in den Regionen, wo verweisen zu Recht darauf, dass der Wohl- die mit dem Familienkult unzufrieden sind, es wenig Fortschritt und Wachstum gibt, stand des Westens über einen Industria- der in der Kongresspartei gepflegt wird, haben wir den gravierendsten Verlust an lisierungspfad erreicht wurde, der zu den und viele andere, die mit der Wirtschafts- Biodiversität. Denn es sind gerade die Men- Problemen wie dem Klimawandel geführt und Sozialpolitik der Partei nicht glücklich schen in den wirtschaftlichen schwächsten hat. Und dieser Wohlstand solle ihnen nun sind. Aber das europäische Erbe Sonia Regionen, die zu unzeitgemäßen, dest- verwehrt werden? Deshalb müssen die Gandhis spielt dabei keine Rolle. ruktiven Methoden gezwungen werden, entwickelten Industriestaaten zeigen, dass Die Idee von Indien, die auf Werten wie um ihr Leben zu sichern. Das Abholzen Wachstum und Nachhaltigkeit vereinbar Dialog- und Kompromissbereitschaft, von Bäumen zu Heizzwecken oder die sind. So werden die Schwellenländer statt Gegenseitigkeit und Anpassung aufbaut, Zerstörung von Mangrovenwäldern durch zu Konkurrenten um die knapper werden- ist nichts für diejenigen, die schnelle und Dynamitfischerei im Meer sind Beispiele den Ressourcen zu unseren Partnern. endgültige Lösungen für Probleme suchen. hierfür. Ein intelligentes Fortschrittsmodell M athias M aching Diese Idee scheint deshalb Ideologen der ist Voraussetzung für Nachhaltigkeit. Im Rechten oder der Linken ebenso wenig Übrigen: Was immer wir in Deutschland (Quelle: „Grünes Wachstum ist drin“. DIE ZEIT; 4.11.2010) zu gefallen wie Populisten. auch tun, Länder wie China, Indien oder Lassen Sie mich diesen Skeptikern eine 12 meine welt 2/2011
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