100 Jahre bwv München e.G.
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100 Jahre bwv München e.G. Impressum Autorin/Autor: Katharina Roth und Lukas Wollscheid Projektleitung: Matthias Georgi Neumann & Kamp Historische Projekte, München www.historische-projekte.de © 2021 August Dreesbach Verlag, Gollierstraße 70, 80339 München Alle Rechte vorbehalten. Projektleitung: Christina Wehrl Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Papier: Lessebo Design Smooth White Gesetzt aus der Vista Sans OT. Printed in Germany. ISBN 978-3-96395-024-7 Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Inhalt Grußworte 7 1 Gegen die Wohnungsnot Vorgeschichte und Gründung 1921 12 2 Von den Goldenen Zwanzigern in eine dunkle Zeit Die erste Bauphase und die großen Anfangsprojekte 34 (1921 – 1939) 3 Krieg, Wiederaufbau und neue Wohnanlagen in der zweiten Bauphase 66 (1939 – 1971) 4 Bestandserhalt, Einzelobjekte und ein neues Selbstverständnis 92 (1971 – 2000) 5 100 Jahre bwv Konzepte für Gegenwart und Zukunft 116 (2000 – 2021) Anhang 146
Liebe Mitglieder des Beamtenwohnungsvereins, sehr geehrte Leserinnen und Leser, es ist ein besonderes Jubiläum, das der Beamtenwohnungsverein München heuer feiert: Wir blicken zurück auf 100 Jahre Genossenschaft! Zu diesem Jubiläum möchte ich sehr herzlich gra- tulieren, denn der Verein leistet einen wichtigen Beitrag zur Wohnraumver- sorgung in München. Vielen Dank, dass Sie sich schon so lange Zeit für kosten- nossenschaft bietet die ideale Wohn- günstigen Wohnraum stark machen. form für die Bevölkerungsgruppe, die Die Wohnungsfrage ist die soziale zwar keinen Anspruch auf Sozialleis- Frage unserer Zeit. Mir ist wichtig, dass tungen hat, sich aber auch nicht Mie- alle Bürgerinnen und Bürger, ungeach- ten von 15 Euro oder mehr pro Quad- tet von Lebensphase, Einkommen oder ratmeter leisten kann. Beruf, überall in Bayern angemessen Ich danke allen Verantwortli- leben und wohnen können! In vielen chen des Beamtenwohnungsvereins bayerischen Großstädten, und ganz München herzlich für ihren unermüd- besonders in der Landeshauptstadt lichen Einsatz. Danke, dass Sie sich München, wird es immer schwieriger, trotz dieser herausfordernden Zeit für kostengünstigen Wohnraum zu finden. die Wohnraumversorgung in München Der Beamtenwohnungsverein bie- und Bayern stark machen. Insbesonde- tet seinen Mitgliedern dagegen attrak- re danke ich Ihnen für das vorbildliche tiven und zeitgemäßen Wohnraum zu Engagement im Rahmen unseres Expe- fairen Preisen. Er leistet damit einen rimentellen Wohnungsbaus beim Mo- wichtigen Beitrag, damit so viele Men- dellvorhaben „effizient bauen, leistbar schen wie möglich in bezahlbaren Woh- wohnen – mehr bezahlbare Wohnun- nungen leben können. Der Freistaat gen für Bayern“. Bayern fördert daher mit hohen Sum- Dieses Jubiläum ist ein schönes men den Bau neuer Miet- und Genossen- Beispiel für den Einklang von Tradition schaftswohnungen. und Zukunft. Ich möchte Ihnen mei- Der Beamtenwohnungsverein Mün- ne besten Glückwünsche übermitteln chen erfüllt das Ideal des genossen- und freue mich, wenn die Mieterinnen schaftlichen Wohnens. Wohnungen und Mieter noch lange von diesem ge- werden bei einem Mieterwechsel um- nossenschaftlichen Modell profitieren fangreich saniert, bis sie wieder Neu- können. baustandard haben. Danach werden sie aber trotzdem zu einheitlichen, niedri- gen Unternehmensmieten angeboten. Das belegt eindrucksvoll, dass die genossenschaftlichen Ideale Soli- darität und Selbsthilfe beim Beam- Kerstin Schreyer tenwohnungsverein München auch Staatsministerin, MdL tatsächlich gelebte Werte sind! Die Ge- 7
Liebe Mitglieder des Liebe Mitglieder des Beamtenwohnungsvereins, Beamtenwohnungsvereins, sehr geehrte Leserinnen und Leser, sehr geehrte Leserinnen und Leser, die Schaffung von gesunden und „Gut und sicher wohnen“ so lautet das zweckmäßig eingerichteten Wohnun- Motto des VdW Bayern und seiner Mit- gen für seine Mitglieder in eigens er- gliedsunternehmen. Diesen Leitspruch bauten oder erworbenen Häusern war beachtet der bwv München eG seit schon im Gründungsjahr 1921 Zweck 100 Jahren sehr erfolgreich. des Beamtenwohnungsvereins Mün- Ein angespannter Wohnungs- chen. Inzwischen ist der Bestand der markt ist in der bayerischen Landes- gemeinnützigen Genossenschaft auf hauptstadt München kein neues Phä- 187 Häuser mit mehr als 1.700 Wohn- oder die Bekämpfung von Zweckent- nomen. Die Situation war zu Beginn ein bezahlbares Zuhause zu finden ist einheiten angewachsen. Damit hat der fremdung. des 20. Jahrhunderts noch wesentlich mancherorts sehr schwierig. Und das Beamtenwohnungsverein in den ver- Einen Schwerpunkt der städti- schlimmer als heute. Besonders in den Zuhause hat in Pandemiezeiten noch- gangenen 100 Jahren nicht nur einen schen Wohnungspolitik bildet vor al- Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wur- mals erheblich an Bedeutung gewon- wertvollen Beitrag zur sozialgerechten lem auch die verstärkte Förderung des den viele Wohnungsgenossenschaften nen. Im Freistaat Bayern gibt es derzeit Wohnungsversorgung und zur Lebens- genossenschaftlichen Wohnungsbaus. gegründet. Engagierte Persönlichkei- eine Renaissance der Wohnungsge- qualität in unserer Stadt geleistet. Er Denn Wohnungsbaugenossenschaften ten übernahmen Verantwortung und nossenschaften. Der anhaltende Grün- gibt auch selbst ein hervorragendes leisten einen wichtigen Beitrag für mehr gründeten Genossenschaften, um für dungsboom zeigt, dass wieder mehr Beispiel, wie unverzichtbar die Leistun- bezahlbaren Wohnraum und tragen zu bezahlbare und gute Wohnungen zu engagierte Menschen selbst das Ruder gen von Wohnungsbaugenossenschaf- einer nachhaltigen Siedlungsentwick- sorgen. Diesen Schritt wagten im Jahr in die Hand nehmen möchten. ten sind und wie aktuell ihr Konzept lung bei. Gerade auf dem Münchner 1921 auch die Münchner Beamtenver- Die 491 Wohnungsgenossenschaf- bis heute geblieben ist. Wohnungsmarkt kommt ihnen auch in bände auf Initiative des späteren In- ten und Wohnungsgesellschaften im Die Stadt München hat das En- Zukunft eine ganz besondere Bedeu- nenministers Karl Stützel. VdW Bayern – Verband bayerischer gagement des Beamtenwohnungs- tung zu. Dem Beamtenwohnungsverein Den Verantwortlichen und Mit- Wohnungsunternehmen e.V. – gratulie- vereins schon deshalb immer gerne München und allen seinen Mitgliedern gliedern ist es getreu den genossen- ren dem bwv München zum Jubiläum unterstützt, weil dadurch speziell auch gratuliere ich daher sehr herzlich zum schaftlichen Grundprinzipien Selbst- und zu dem in den vergangenen 100 für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 100-jährigen Genossenschaftsjubiläum, verwaltung, Selbstverantwortung und Jahren Erreichten. der Stadt attraktiver und dennoch er- sage herzlichen Dank für das große En- Selbsthilfe gelungen, in wirtschaftlich Machen Sie weiter so! Sie werden schwinglicher Wohnraum geschaffen gagement und wünsche weiterhin alles schwierigen Zeiten große Leistungen gebraucht – heute genauso wie vor 100 wurde. Aber auch insgesamt ist die- Gute und viel Erfolg. zu vollbringen. Die Zahlen sprechen für Jahren. ses Engagement ganz im Sinne der sich. Die Genossenschaft ist mit ihren Münchner Stadtpolitik. Schließlich rund 1.700 Wohnungen ein wichtiger werden die Einwohnerzahl und damit Baustein für Ihre Mitglieder. Das ist der Wohnungsbedarf in München al- auch den verantwortlichen Gremien- len Prognosen nach weiter steigen. mitglieder bewusst. Mit erheblichen Für die Stadt hat es daher höchste Investitionen in Neubauprojekte und Hans Maier Priorität, bezahlbaren Wohnraum zu Modernisierungsmaßnahmen tragen Verbandsdirektor des VdW Bayern erhalten und neu zu schaffen. Dazu Dieter Reiter sie dazu bei, den Wohnungsbestand Verband bayerischer Wohnungs- haben wir beispielsweise das finanziell Oberbürgermeister für zukünftige Generationen von Ge- unternehmen e.V. größte kommunale Wohnungsbaupro- nossenschaftsmitgliedern zu bewah- gramm in Deutschland aufgelegt und ren. unseren eigenen Wohnungsbestand Das Thema bezahlbares Wohnen kontinuierlich erhöht. Und darüber ist heute genauso aktuell wie im Jahr hinaus setzen wir auf viele weitere 1921. Der Wohnungsmarkt ist in vie- Instrumente wie Erhaltungssatzungen len bayerischen Städten angespannt, 8 9
Liebe Mitglieder, langjährigen Wirken einer Reihe wich- Auch gegenwärtig und künftig sehr geehrte Leserinnen und Leser, tiger Persönlichkeiten, die die Geschi- kommen neue Herausforderungen auf cke unserer Genossenschaft maßgeb- den bwv zu, sowohl beim Erhalt, der der Beamtenwohnungsverein Mün- lich positiv geprägt haben. Besonders Modernisierung und der potentiellen chen - bwv - wurde vor 100 Jahren am darf an dieser Stelle der Mitbegründer Erweiterung des Wohnungsbestandes, 19. Februar 1921 gegründet. Vorstand des bwv Karl Konrad Stützel genannt aber auch durch gesellschaftliche Ent- und Aufsichtsrat haben dieses Jubi- werden, dessen soziales Engagement wicklungen, etwa beim Klimaschutz. läum zum Anlass genommen, die Ge- und politischer Mut in einem spezifi- Auf diese Themen wird im Schlusskapi- schichte unserer Genossenschaft von schen Exkurs dargestellt wird. In die- tel der Chronik eingegangen. fachkundigen Historikern recherchie- sem Kontext sei darauf hingewiesen, Vorstand und Aufsichtsrat bedan- ren und zusammen tragen zu lassen. dass den Entwicklungen im bwv wäh- ken sich bei allen ehrenamtlich und ne- Die vorliegende Chronik ist das Ergeb- rend der Zeit des Nationalsozialismus benamtlich tätigen Personen wie auch nis dieser akribischen Spurensuche. Bauprojekten bereits in den Anfangs- ein eigenes Kapitel gewidmet ist. den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen Grundlagen hierfür sind die Sichtung jahren, den Zerstörungen im Zweiten Die Chronik gibt weiterhin Ein- und Mitarbeitern, die durch ihren Ein- und Auswertung von umfangreichem Weltkrieg, dem anschließenden Wie- blick in die Entwicklung unserer Wohn- satz dazu beigetragen haben, dass der Archivmaterial, historischen Quellen deraufbau und Ausbau bis in die frü- anlagen und in die Wohnverhältnisse bwv in den letzten 100 Jahren eine sehr sowie von Interviews mit Zeitzeugen hen 1970er Jahre sowie umfangreichen der jeweiligen Zeitepochen, womit positive Entwicklung genommen hat. aus den Reihen der Mitglieder und der Maßnahmen zum Erhalt und der quali- ein Teil der jüngeren Zeitgeschichte Dadurch konnten wir einen wichtigen Organe des bwv. Es war uns ein Anlie- tativen Verbesserung des Bestandes in lebendig wird. Ähnliches gilt für ge- Beitrag zur sozialen Wohnungsver- gen mit dieser Chronik einen Bogen zu den darauf folgenden Jahrzehnten bis sellschaftliche, gesetzliche und organi- sorgung unserer Stadt leisten, getreu spannen von den Wurzeln des bwv bis hin zur Schaffung neuen Wohnraumes satorische Entwicklungen, die im Lauf unserem Motto: bezahlbarem wohnen zur Gegenwart verbunden mit einem in den letzten Jahren etwa durch den der Jahrzehnte immer wieder auch Ver- verpflichtet – bwv. Ausblick auf die Zukunft. Neubau in der Parkstadt Schwabing änderungen und Neuausrichtungen er- Die Darstellung der Geschichte oder durch Dachgeschoßausbauten. forderlich gemacht haben. unserer Genossenschaft reicht von der Die Geschichte des bwv ist un- Gründungsphase, den ersten großen trennbar auch verbunden mit dem Josef Bauer Christian Berg Vorsitzender des Aufsichtsrates Vorstand Klaus Hofmeister Axel Wirner Vorstand Vorstand 10 11
1 Gegen die Wohnungsnot Vorgeschichte und Gründung 1921 Die Häuser Ecke Lothstraße 32 und Kreittmayrstraße 33 und 35 Anfang der 1920er-Jahre.
Die Wohnungsnot und ihre Genossenschaften auf. Die Grund- Bekämpfung durch den idee der Genossenschaft stammte Genossenschaftsgedanken aus Großbritannien.5 In den zunächst entstehenden Konsum- und Produk- tionsgenossenschaften verteilten sich „Die Verbesserung der Wohnungsver- Oberschicht entstanden. Der Bau von die finanziellen Belastungen und die hältnisse im allgemeinen […] ist eine Kleinwohnungen erschien den meis- Risiken auf mehrere Personen, die die- der wichtigsten sozialen Aufgaben der ten Bauunternehmern unrentabel. Der selben Interessen vertraten. Die Genos- Gegenwart.“1 Diese Aussage könnte finanzielle Aufwand für den Bau vieler senschaften funktionierten auf Basis aus der aktuellen Münchner Stadtpoli- kleiner Wohneinheiten pro Etage war von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und tik stammen. Tatsächlich beschrieb aufwendiger und gleichzeitig war die Selbstverantwortung. jedoch der königlich bayerische Innen- Gefahr von Mietausfällen höher als bei Der Gedanke hielt bald auch in minister Friedrich von Brettreich be- großen Wohnungen für die Wohlha- Deutschland Einzug und fand zeitnah reits im Jahr 1909 die Wohnungssituati- benden. Wenn dennoch Neubauten für Anwendung auf den Wohnungsbau. on in München mit diesen Worten. Das die Ärmeren entstanden, galt hier das Am 15. November 1847 wurde mit der Bevölkerungswachstum und die sich Renditeprinzip: Möglichst viele Men- „Berliner gemeinnützigen Baugesell- daraus ergebende Wohnungsnot sind schen mussten auf möglichst engem schaft“ die erste dieser Art auf deut- also keine neuen Themen. Sie beschäf- Raum leben. schem Boden gegründet.6 Im Gegen- tigen die bayerische Landeshauptstadt Arbeiterinnen und Arbeiter, klei- satz zu privaten Bauherren waren bereits seit dem ausgehenden 18. Jahr- ne Angestellte und Menschen in ein- und sind Baugenossenschaften bis hundert. Auch im Verlauf des 19. und fachen Dienstleistungsberufen lebten heute nicht auf Gewinn ausgerichtet, 20. Jahrhunderts stellten beide Aspek- zur Untermiete oder im äußersten Fall sondern betreiben Wohnungsbau aus te große Herausforderungen in der Ent- als Schlafgängerin und Schlafgänger sozialer Verantwortung. In München wicklung der Residenzstadt dar.2 – teilten sich also das Bett im Schicht- entstand 1871 mit der Genossenschaft betrieb mit anderen. Andere mussten „Arbeiterheim“ die erste Bau- und Spar- Hinterhof am Münchner sich mit mehr oder minder bewohn- genossenschaft, die bis heute als Bau- Städtewachstum und Wohnungsnot baren Behelfsbauten, Schuppen oder genossenschaft München von 1871 e.G. Oberanger um 1900. provisorisch überdachten Winkeln in aktiv ist. In ganz Europa wuchs ab dem Ende des Innenhöfen begnügen. Die Lebensum- Mittlerweile war die Wohnungs- 18. Jahrhunderts die Bevölkerung stark stände in diesen Elendsquartieren wa- not auch in den Fokus der kommu- an. Die zunehmende Industrialisierung ren geprägt von winzigen, überbeleg- nalen Politik gerückt. Zudem wurde veränderte die Wirtschafts- und Sozial- ten Zimmern und mangelhaften oder die Idee des sozialen Wohnungsbaus struktur der vormals hauptsächlich nicht vorhandenen Sanitäranlagen. nun von bürgerlichen Kreisen unter- agrarisch geprägten Staaten deutlich. Die untragbaren hygienischen Zustän- stützt.7 Dabei spielte die Vorstellung, Technische Erfindungen, neue Pro- de begünstigten Krankheiten wie Tu- die Arbeiterschicht nach bürgerlichen duktionsabläufe und Transportwege berkulose oder Ruhr. war von der sich selbst regulierenden Gesellschaftsvorstellungen zu formen, wie die Eisenbahn führten zur Entste- Bald war auch die Mittelschicht Entwicklung des Wohnungsmarkts eine große Rolle. Denn die Wohnung hung von Industriezentren, meist im von der Wohnungsnot betroffen – der überzeugt.4 galt als „die wesentliche Grundlage für Umfeld bereits existierender Städte. Handwerkerstand, Angestellte in Ver- die gesundheitliche und sittliche Ent- Die verarmte Landbevölkerung hoff- waltungsberufen und Beamte3 der wicklung der Familie und der Kinder te auf Arbeit in der Stadt. In der Folge mittleren Laufbahn. Der soziale Frie- Die Genossenschaft – und [war] damit auch sehr wichtig für drängten immer mehr Menschen in den in der Stadt geriet in Gefahr, zu- Selbsthilfe, Selbstverwaltung, die soziale Entwicklung der Gesamt- diese Industriegebiete. Bald herrschte mal die städtischen Behörden kaum Selbstverantwortung heit“8. Durch eine Verbesserung der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, reagierten und sich für den sozialen Wohnsituation sollten darüber hinaus da im Zuge des privatwirtschaftlichen Wohnungsbau (noch) nicht verant- Mitte des 19. Jahrhunderts kamen Entwicklungen innerhalb der Arbeiter- Wohnungsbaus in erster Linie Groß- wortlich fühlten. Die politische und unter den Betroffenen erstmals Ini- schaft Richtung Sozialismus unterbun- raumwohnungen für die Mittel- und wirtschaftliche Oberschicht wiederum tiativen zur Selbsthilfe in Form von den werden. 14 15
als gemeinsame Dachorganisation den gar nicht leisten konnten. Dennoch gegründet. Immer mehr kommunale war am Vorabend des Ersten Weltkriegs und staatliche Beamte entwickelten ein Ende der Krise auf dem Wohnungs- sich zu Unterstützern eines von der markt in Sicht. Mit Beginn des Krieges Öffentlichkeit geförderten sozialen wurden sogar weitere Wohnungen frei. Wohnungsbaus. Davon profitierten Ge- Viele Männer, die nun einrückten, konn- nossenschaften wie der BWV, die zum ten sich die Wohnungen und Zimmer Teil beeindruckende Netzwerke in Re- nicht mehr leisten und mussten kündi- gierungs- und Verwaltungskreisen auf- gen.16 Frauen und Kinder zogen dann zu bauen konnten. den Eltern zurück. Diese Episode dauer- In den folgenden Jahren wuchs te jedoch nicht lange an. der soziale Wohnungsbau stark an – ein regelrechter Bauboom setzte ein. Einige Genossenschaften bauten Krieg und Krise mehr Wohnungen als sie Mitglieder Karikatur auf die Wohnungsnot in München, 1918. hatten, so zum Beispiel die Münchner Das bayerische Innenministerium Baugenossenschaft Familienheim, die stellte bereits 1916 fest, dass nach für ihre 68 Mitglieder 300 Wohnungen Ende des Krieges für München ein bereithielt.15 Diese Wohnungen stan- Fehlbestand von mindestens 5.000 bis den dann oft längere Zeit leer und die 6.000 Wohnungen drohen werde.17 Zu- Finanzierung der Genossenschaften dem gerieten während des Krieges geriet in Schieflage. Teilweise ging das viele der noch jungen Baugenossen- Kommunale und staatliche Stel- Die Wohnungsnot in München – erste Bauen aber auch am Bedarf vorbei, bei- schaften durch Mietausfälle und die len erkannten den Wert der Genossen- Ansätze zur Lösung spielsweise wenn in einem Arbeitervier- Voranstellung der kriegswichtigen schaften für den Zusammenhalt und tel Großraumwohnungen entstanden, Produktion in finanzielle Bedrängnis.18 die Stabilität in der Gesellschaft. Neue München war im 19. Jahrhundert von die sich die dortigen Wohnungssuchen- Somit waren kaum noch Investitionen gesetzliche Rahmenbedingungen, ins- rund 40.000 Einwohnerinnen und Ein- 16. Februar 1919, Kurt Eisner mit besondere das preußische Genossen- wohner im Jahr 1800 auf 500.000 im Jahr schaftsgesetz (als Vorbild für das ab 1900 angewachsen und 10 Jahre später Demonstration in München, 1871 im ganzen Deutschen Reich gül- lebten bereits knapp 600.000 Men- tige Genossenschaftsgesetz), schufen schen in der Stadt.12 Zeitgleich wurden Hut im Wagen sitzend. Rechtssicherheit für die Gründung von zwischen 1900 und 1909 jedoch ledig- Genossenschaften. Das Gesetz ermög- lich 6.000 Wohnungen gebaut. Das war lichte ab 1889 auch die Beschränkung nicht annähernd ausreichend für den der Haftpflicht für Mitglieder, die an- tatsächlichen Bedarf, obwohl dieser fänglich im Konkursfall noch mit ih- auf nur drei Quadratmeter pro Erwach- rem gesamten Privatvermögen haften senem und anderthalb Quadratmeter mussten.9 Außerdem entstanden erst- pro Kind festgelegt worden war.13 mals staatliche Förderungs- und Finan- Mit der 1903 erstmals erschiene- zierungskonzepte. In der Folge stieg die nen Zeitschrift für Wohnungswesen Zahl der Neugründungen im gesamten in Bayern traten die bayerischen Bau- Deutschen Reich stark an. Gab es 1888 genossenschaften an den Staat und gerade einmal 28 eingetragene Genos- die Öffentlichkeit heran und forderten senschaften, waren es um 1908 bereits eine Neuorientierung hin zum sozialen 84810 und 1914, kurz vor Ausbruch des Wohnungsbau.14 1909 wurde der Ver- Ersten Weltkrieges, schon 1.402.11 band der bayerischen Baugenossen- schaften, -gesellschaften und -vereine 16 17
in Neubauten möglich. Bei Kriegsende ten jungen Beamten des unteren und Exkurs: Karl Konrad Stützel war die Situation dramatisch. Für die mittleren Dienstes oft zur Untermiete (1872 – 1944) Masse an Kriegsheimkehrern und -ge- mit einem möblierten Zimmer Vorlieb schädigten, für die Witwen und Waisen nehmen – beide Situationen waren auf der Gefallenen und für die jungen Ehe- Dauer belastend.20 Eine christlich-soziale Grundhaltung paare, die nach der Rückkehr der Sol- Die Idee einer Wohnungsbauge- daten eine Familie gegründet hatten, nossenschaft, die sich spezifisch auf Karl Konrad Stützel wurde 1872 in der bestand die dringende Notwendigkeit, die Bedürfnisse dieser Beamten kon- bayerischen Pfalz, in Speyer, in eine alt- Stützel (1872 – 1944). bezahlbaren Wohnraum zu finden. Vor zentrieren sollte, gewann schnell auf eingesessene, katholische Handwer- Dr. Karl Konrad allem Kleinwohnungen fehlten, sodass allen Verwaltungsebenen an Unter- kerfamilie geboren. Er bewies bereits in der Stadt 12.000 Einquartierungen stützung. Da jedoch die finanziellen in früher Jugend ausgeprägten Ehrgeiz der Wohnungssuchenden behördlich Mittel für derartige Projekte nach dem und Zielstrebigkeit. Nach einem Abitur durchgesetzt werden mussten.19 Ersten Weltkrieg und der anschließen- mit Bestnoten begann er 1891 ein Jura- den Wirtschaftskrise nicht ohne Wei- studium, das ihn an die Universitäten teres zu beschaffen waren, traten die von München, Berlin, Erlangen und Die Wohnbaugenossenschaft für Betroffenen an staatliche und kom- Heidelberg führte. 1895 schloss Stützel Beamte munale Stellen heran. Für die Münch- sein Studium mit dem ersten Staats- tiz- und Verwaltungsdienst befähigt. ner Beamten wurde schon bald das examen ab. Dabei engagierte er sich 1901 trat Stützel das Amt des Bezirks- Zunehmend waren auch Beamte von Bayerische Staatsministerium für So- besonders bei der Katholischen Deut- amtsassessors im oberfränkischen der Wohnungsnot betroffen. Neue ziale Fürsorge mit seinem Referat für schen Studentenverbindung (KDStV). Ebermannstadt an, wodurch er auf staatliche und kommunale Aufgaben- Wohnungswesen zur zentralen Anlauf- Stützel bekannte sich damit offen zu Lebenszeit verbeamtet wurde.23 Bis bereiche, wie zum Beispiel die Kriegs- stelle. Mit Regierungsrat Karl Stützel dem katholisch-konservativen Milieu, zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs fürsorge, erforderten die Ausbildung wurde dieses Ressort von einem Mann aus dem er stammte und das ihn zeit sammelte er Erfahrungen und Ver- und Einstellung neuer sowie die Ver- geführt, der für die Gründung und die seines Lebens sowohl gegenüber völ- dienste in verschiedenen Ämtern. Da- setzung erfahrener Beamter. Während Anfangsjahre des Beamtenwohnungs- kisch-nationalen wie auch marxisti- bei blieb ihm auch die Sozialpolitik ein eine Versetzung oft zu einer langwie- vereins München wichtig werden soll- schen oder sozialistischen Ideen eine wichtiges Anliegen. So schloss Stützel rigen Trennung von der Familie führ- te. distanzierte bis konträre Haltung ein- 1911 eine Zusatzausbildung in den Be- te, mussten viele der neu eingestell- nehmen ließ.21 Darüber hinaus prägte reichen Armenpflege, soziale Fürsorge ihn seine katholische Herkunft auch im und Wohltätigkeit erfolgreich ab.24 Hinblick auf sein späteres Wirken als Beamter und Staatsmann. Hier vertrat er die Überzeugung, „dass eine Preisga- Der „unpolitische“ Beamte be der Sozialpolitik gleichbedeutend […] mit der Preisgabe des christlichen Karl Stützel verstand sich – trotz seiner Staatsgedankens [sei]“.22 Stützel posi- christlich-sozialen Haltung – als dezi- tionierte sich stets als Verfechter einer diert „unpolitischer“ Verwaltungsbe- christlichen Sozialpolitik. amter. Schon während seiner Zeit als Ausgesprochenen Ehrgeiz entwi- Bezirksamtsassessor im pfälzischen ckelte Stützel bei der Planung seiner Neustadt an der Haardt stellte er bei im Hof des Münchner Polizei- Beamte bei Aufräumarbeiten zukünftigen Beamtenlaufbahn. Zwi- der Bewerbung um eines der Bürger- präsidiums nach dem Ende schen 1895 und 1899 absolvierte er meisterämter in seiner Geburtsstadt der Revolution, Mai 1919. seinen Wehrdienst und anschließend Speyer heraus, dass er sich „aus Rück- parallel zu seiner Verwaltungstätigkeit sicht auf [seine] Stellung als Verwal- eine Ausbildung zum Reserveoffizier. tungsbeamter […] niemals politisch 1899 legte er als einer der besten seines betätigt und auch keinem politischen Jahrgangs die zweite Staatsprüfung Verein angehört [habe]“ und er es ab. Damit war er für den höheren Jus- auch weiterhin „als selbstverständli- 18 19
che Pflicht erachte […] [,] sich jeglicher Der unentbehrliche Experte obwohl er Ende des Jahres 1918 in die dach bot. Bis Juli 1924 entstanden hier politischer Betätigung zu enthalten“.25 Bayerische Volkspartei (BVP) eintrat, 558 Häuser für 2.860 Menschen.31 Auch Dass seine Leistungen seinen Vorge- Am 7. November 1918, vier Tage vor weiterhin als (im Sinne einer Parteipo- die Bereitschaft, andere vergleichbare setzten auffielen und so bis in höhere dem endgültigen Waffenstillstand litik) „unpolitischer“ Beamter verstand, Projekte zu fördern, war unter Stützels Dienststellen bekannt wurden, belegt und dem Ende der Kämpfe, stürzte der arbeitete unter der neuen Regierung Federführung groß, obwohl eine rapide der Bericht anlässlich einer Inspek- Sozialdemokrat Kurt Eisner mit einer mit gleicher Kompetenz und Pflicht- steigende Inflationsrate die Investitio- tion im Bezirk Neustadt. So gab der kleinen Gruppe sozialdemokratischer erfüllung wie bisher. Trotz seiner per- nen erschwerte. Amtsvorstand zu Protokoll, dass Stüt- und linker Politiker den bayerischen sönlichen Prägung arbeitete Stützel zel „der beste Assessor [sei], den er je König Ludwig III. vom Thron. Darauf- auf fachlicher Ebene problemlos mit gehabt [habe]. [...] Stützel zeig[e] sich hin führte Eisner als Ministerpräsident seinem neuen Vorgesetzten Hans Un- Stützel und der BWV entschieden befähigt, den schon höher eine provisorische Regierung an. Die terleitner, Mitglied der USPD und Ra- gehenden Anforderungen […] vollkom- bisher bestehenden Ministerien beka- dikalsozialist, zusammen. Dabei war Die politischen Wirren der Jahre men gerecht zu werden, und zwar nach men neue Strukturen und es entstand ihm die Bekämpfung der Wohnungsnot 1918/19 begannen mit der Absetzung der fachwissenschaftlichen wie nach bereits Mitte November das Ministeri- nicht nur ein berufliches, sondern auch des bayerischen Königs im Novem- der praktischen, rein geschäftlichen um für Soziale Fürsorge, Stützels neue ein persönliches Anliegen. ber 1918. Die Ermordung Kurt Eisners Seite. […] Auch als Redner in der Öffent- Wirkungsstätte. Im zweiten Gesetz- im Februar 1919 führte daraufhin zur lichkeit versteh[e] es Stützel […] aufzu- und Verordnungsblatt des Volksstaa- kurzlebigen, bald niedergeschlagenen treten.“26 tes Bayern wurde „die oberste Leitung Im Kampf gegen die Wohnungsnot Räterepublik Bayern, was schließlich Nach Beginn des Ersten Welt- der sozialen Angelegenheiten und die in das zweite Kabinett von Minister- kriegs wechselte der Reserveoffizier oberste Aufsicht auf die der sozialen Unmittelbar nachdem die Behörde ihre präsident Johannes Hoffmann mün- Stützel in den aktiven Dienst. Im No- Fürsorge dienenden Einrichtungen“ Tätigkeit aufgenommen hatte, trat am dete. All das überstand Stützel ohne vember 1914 kam er als Kompanie- als Kompetenz der neuen Behörde 28. November 1918 ein von Stützel er- größere Schwierigkeiten. Er verblieb führer im Rang eines Hauptmanns proklamiert.30 Neben der „Behandlung arbeiteter Entwurf als „Verordnung be- weiterhin im Ministerium für Sozia- an die Westfront. Bis zum September der rechtlichen und wirtschaftlichen treffend der Maßnahmen gegen Woh- le Fürsorge und wurde bis 1920 vom 1916 blieb er, ausgezeichnet mit dem Angelegenheiten der Arbeiter und nungsmangel und Obdachlosigkeit“ in Regierungsrat zum Oberregierungs- Eisernen Kreuz II. Klasse, im aktiven Angestellten“, der „Leitung der Ge- Kraft. Die Verordnung sollte vor allem rat und schließlich zum Ministerialrat Dienst. Dann gelang es dem Innen- werbeaufsicht“, der „Überwachung Arbeiterinnen und Arbeitern sowie befördert. Auch weiterhin blieb die ministerium, ihn wieder in den Zivil- des Arbeitsmarktes“ und der „Durch- Kriegsheimkehrern zugutekommen, Beseitigung der Wohnungsnot eines dienst zu überführen – Brigade- und führung der Sozialversicherungen“ wohingegen Arbeitgeber und Gemein- seiner zentralen Anliegen. Er trug in Divisionskommando protestierten, sie galt als weitere zentrale Aufgabe „die den stärker zur Kasse gebeten wurden. München selbst im entscheidenden wollten auf Stützel nicht verzichten.27 Regelung des Wohnungswesens“. Um Auch ordnungspolitische Maßnahmen Maße zur Gründung des Beamtenwoh- Schließlich versetzte ihn der Staatsmi- dies aber möglichst rasch und wirksam wie die zwangsweise Unterbringung nungsvereins (BWV) bei. Die Anregung nister von Brettreich zum Mai 1918 als durchführen zu können, wurde es als von Wohnungslosen in ungenutzten für die Gründung ging vom Staatsmi- Regierungsrat ins Innenministerium, absolut notwendig angesehen, „dem Wohnungen, in saisonal freien Frem- nisterium für Soziale Fürsorge aus. Un- wo er das Referat für Wohnungswesen Ministerium für Soziale Fürsorge […] denzimmern oder in Fabrik-, Lager-, ter der Führung Stützels traten am 19. leiten sollte.28 Wie wichtig er auf die- die erforderliche Anzahl von Beamten“ Geschäfts- und Werkstatträumen wur- Februar 1921 Vertreter der Beamten- sem Posten war, wird aus den Reaktio- zuzuteilen. den angeordnet. Neben diesen kurz- organisationen zusammen und grün- nen des Ministeriums darauf deutlich, Das bedeutete, dass der neue Freie fristigen Lösungsversuchen gab es deten den Beamtenwohnungsverein dass Stützel als erfahrener Offizier im Volksstaat Bayern im Wesentlichen auf auch längerfristige Wohnbauprojekte. München als Genossenschaft. Aus den Rahmen der Offensiven im August 1918 die Staatsverwaltung des Königreichs Als solches kann beispielsweise das Sitzungsprotokollen geht hervor, dass noch einmal für den Kriegseinsatz vor- zurückgreifen musste. So wurde das im Mai 1919 gegründete Siedlungs- Stützel vor allem als Vermittler zwi- gesehen war. Unter Verweis auf die Referat für Wohnungswesen unter werk Nürnberg gelten, dessen Verwal- schen dem Beamtenwohnungsverein „gegenwärtig herrschende Wohnungs- Stützel dem Innenministerium aus- tungsratsvorsitz Stützel übernahm und dem Ministerium für Soziale Für- not“ erklärte das Innenministerium und dem neuen Ministerium für Sozia- und das durch die Urbarmachung und sorge in Erscheinung trat, bzw. Bitten ihn sofort für „unentbehrlich“ – Stützel le Fürsorge eingegliedert, in Arbeits- Bebauung der nahe der Stadt gelege- und Forderungen der Genossenschaft wurde dementsprechend nicht mehr weise und Personal blieb es allerdings nen Reichswälder Arbeits- und Woh- an das Ministerium herantrug. Von der reaktiviert.29 unverändert. Stützel selbst, der sich, nungslosen Beschäftigung und Ob- Gründung bis ins Jahr 1924 fungierte 20 21
er darüber hinaus als Vorsitzender des Innenminister des Freistaats Bayern der, der dem Volke dienen will, auch Demütigung und Tod Aufsichtsrates. Die 10-Jahres-Chronik dem Staate dienen und den Staat und des BWV spricht von ihm als „eigent- 1924 wurde Stützel zum bayerischen die Staatsgewalt respektieren muss.“34 Als die Nationalsozialisten 1933 an die lichem Vater des Vereins“, dem es zu Innenminister unter der Regierung Insbesondere das Einvernehmen und Macht kamen, dauerte es nur wenige verdanken gewesen sei, dass der BWV Heinrich Held berufen. Die Position gegenseitige Vertrauen zwischen der Wochen, bis die neue Reichsregierung trotz der schwierigen Phase der Infla- behielt er bis 1933. Es zeichnete sich staatlichen Beamtenschaft und der die bayerische Staatsregierung abge- tion zum Zeitpunkt seiner Gründung bereits früh ab, dass er trotz seines Polizei war ihm wichtig. Die Polizeige- setzt hatte. Nach dem Wahlsieg der eine „gesunde und widerstandsfähige bemerkenswerten Arbeitspotenzials walt war dabei für ihn nicht als Selbst- NSDAP in Berlin wuchs auch in Bayern Natur“ entwickelt habe.32 die Aufgaben als Vorsitzender des Auf- zweck gedacht. Als erster und wichtigs- der Druck auf die Staatsregierung, mit Besonderes Engagement bewies sichtsrates des BWV nicht mehr weiter ter Repräsentant des Staates sollte der den neuen Machthabern zusammenzu- Stützel auch im Rahmen seiner Tätig- wahrnehmen konnte. Daher bat er im Polizist genauestens die Vorschriften arbeiten. Am Mittag des 9. März 1933 keit als Staatskommissar im Zuge der September 1924 um eine Entbindung einhalten und vor jedem Eingriff eine wollte die NSDAP die bayerische Regie- Explosion des Oppauer Stickstoff- vom Amt des Aufsichtsratsvorsitzen- kluge und umsichtige Einschätzung rung zum Rücktritt bewegen, das baye- werks der BASF im September 1921. Die den. Mit dem Ausdruck des Bedauerns des jeweiligen Falles treffen. In diesem rische Kabinett lehnte aber ab. Stützel Explosion gehörte zu den schlimmsten und unter Danksagungen für die bis- Geiste reformierte Stützel in seiner versuchte, die „Gleichschaltung“ Bay- Chemieunfällen des 20. Jahrhunderts. herige „großartige umsichtige Leitung Amtszeit das bayerische Polizeiwesen. erns mit einem Polizeiaufgebot zu ver- Selbst im noch 25 Kilometer entfern- des Vereins“ verabschiedete sich der hindern. Am Abend des gleichen Tages ten Heidelberg richtete sie Schäden an. Aufsichtsrat des BWV von Stützel und wurde schließlich Franz Ritter von Epp Oppau befindet sich in der Pfalz, die da- schlug vor, ihn zum Ehrenmitglied zu Im Kampf gegen den Extremismus auf Basis der Notstandsgesetze zum mals noch zu Bayern gehörte. Somit fiel erheben.33 Der neu ernannte Innenmi- Reichskommissar für Bayern ernannt. die Explosion in den Zuständigkeits- nister nahm weiterhin Anteil an den Besonders hervorzuheben in Stüt- Die Regierung war damit entmachtet. bereich der Münchner Ministerien. Belangen der Genossenschaft und zels Zeit als Innenminister ist auch Auch Stützel bekam das zu spüren. Stützel leistete nicht nur rasche und stand mit Rat und Förderung zur Ver- sein Engagement gegen politisch ex- Eine Gruppe von SA- und SS-Leuten wirksame Soforthilfe, sondern förder- fügung. tremistische Strömungen, besonders brachte ihn noch in derselben Nacht te eine mittel- und langfristige Organi- Stützels Amtsverständnis war ge- gegen KPD und NSDAP. 1925 verhäng- ins „Braune Haus“. Dort demütigten sationsstruktur in Form des Hilfswerks prägt von der Idee, dass „der Verwal- te Stützel ein Redeverbot gegen Adolf und misshandelten sie Stützel schwer. Oppau, dessen allein verantwortlicher tungsbeamte mithelfen [müsse], das Hitler und bemühte sich um dessen Bald nach seiner Freilassung floh er Leiter er war. Diese Tätigkeit hatte er Volk zum Staatsgedanken zu erziehen. Ausweisung. Auch stoppte er 1929 den zunächst nach Österreich und dann parallel zu seiner Stellung im Wohn- Das wird er am besten tun, wenn er Versuch der Einbürgerung Hitlers in nach Italien. Später kehrte er mora- baureferat inne. das Gefühl wecken und pflegen hilft, Bayern. 1930/31 erließ Stützel ein Uni- lisch gebrochen nach München zurück, dass der Staat nichts anderes als das formverbot, welches sich vor allem an wo er schließlich nach zermürbenden geeinigte Volk selbst ist und dass je- extremistische Verbände richtete. Mit gerichtlichen Auseinandersetzungen dem Uniformverbot sowie dem Ver- mit den neuen Machthabern eine Pen- bot der SA und der SS schöpfte Stüt- sion als ehemaliger Staatsbeamter be- zel alle polizeilichen und rechtlichen zog. Er starb 1944 an den Folgen einer Möglichkeiten aus, konnte aber den Darmoperation, seiner Beerdigung Aufstieg der NSDAP nicht verhindern. durften nur die engsten Familienange- Außerdem dachten nicht alle Mitglie- hörigen beiwohnen. Heute erinnert ein der des Regierungskabinetts so wie er. zentraler Platz am Alten Botanischen Während Stützel sich bei seinem Amts- Garten an Stützel, dessen Leben und antritt selbst zu einem Kämpfer gegen politisches Handeln von zwei Prämis- Explosion des Oppauer die nationalsozialistische Ideologie er- sen geprägt war: der Durchsetzung der Stickstoffwerks 1921. klärte, sympathisierte der bayerische staatlichen Autorität und dem christli- Justizminister Franz Gürtner (von 1932 chen Sozialgedanken. Die Folgen der bis 1941 Reichsjustizminister) mit den Zielen der Nationalsozialisten. 22 23
Die Gründungsphase des bzw. -geschädigte bevorzugt werden.43 und erschwinglichen Mietsatz sorgen Beamtenwohnungsvereins München Um Zuschüsse und Spenden möglich zu können, lag die Dividende entspre- zu machen, ließ die Satzung auch ge- chend der gesetzlichen Vorgaben bei meinnützige Gesellschaften, Vereine, maximal vier Prozent. Gleichzeitig haf- Zu Beginn des Jahres 1921 war Karl Stüt- 17.255 Wohnungsgesuche als dringlich Stiftungen und Körperschaften des öf- tete jede Genossin und jeder Genosse zel der führende Mann im Ministerium oder sogar vordringlich klassifiziert, fentlichen Rechts als Mitglieder zu. mit einem Anteil von bis zu 500 M für für Soziale Fürsorge und ausgewiese- darunter 4.362 Wohnungsgesuche von ausstehende Verbindlichkeiten des ner Experte in den Belangen des sozia- Reichs-, Staats-, Kommunal- oder sons- BWV, nicht jedoch über diese Summe hi- len Wohnungsbaus. Stolz verkündete tigen öffentlichen Beamten.40 Die Leistungen der Mitglieder naus.46 Die Genossenschaft warb inten- das Ministerium, dass bereits zwei Jah- siv unter den in Betracht kommenden re nach der wesentlich von Stützel ge- Mitglieder mussten ein Beitrittsgeld Beamten in München für das Projekt, prägten „Verordnung betreffend Maß- Die Konstitution des von 20 M entrichten und mindestens um möglichst schnell genügend nahmen gegen Wohnungsmangel und Beamtenwohnungsvereins einen Geschäftsanteil zu 500 M zeich- Kapital für die ersten Bauvorhaben Obdachlosigkeit“ 16.000 neue Wohnun- nen.44 Aufgrund der Höhe des Anteils zu beschaffen. Die Neubauten waren gen geschaffen werden konnten bzw. Am 19. Februar 1921 trafen sich Vertre- war auch die Möglichkeit vorgesehen, nicht als geschlossene „Beamtenstadt“ sich im Bau befanden.35 Der Minister ter der Münchner Beamtenverbände diesen in Raten zu mindestens 20 M an einer zentralen Stelle gedacht, son- für Soziale Fürsorge Heinrich Oswald im Sitzungsaal des Ministeriums für pro Monat einzuzahlen.45 Als Obergren- dern die einzelnen Wohnhäuser und führte aus, dass der Boom an Neu- Soziale Fürsorge in der Brienner Stra- ze wurden 50 Anteile je Mitglied festge- Wohnhausgruppen sollten sich viel- gründungen gemeinnütziger Bauge- ße 20. Die Gründungsversammlung legt. Diese Geschäftsanteile bildeten mehr so in der Stadt verteilen, dass sie nossenschaften für diese Entwicklung des Beamtenwohnungsvereins Mün- das Eigenkapital der Genossenschaft. den unterschiedlichen Bedürfnissen von großer Bedeutung sei, während chen verstand sich – ganz in genossen- Im Sinne der auf Gemeinnützig- der Mitglieder, speziell der Nähe zu die private Bautätigkeit beinahe ganz schaftlicher Tradition – in erster Linie keit ausgelegten Ausrichtung und um den jeweiligen Arbeitsplätzen, genü- zum Erliegen gekommen sei.36 Andere als Selbsthilfeorganisation.41 In Anbe- präventiv dauerhaft für einen festen gen würden.47 Experten sahen das kritischer: Viele tracht der auf Solidarität innerhalb der Sitzung am 14. März 1921. der geradezu inflationär entstehenden Beamtenschaft ausgelegten Zwecke Neugründungen galten wirtschaftlich wählte die Versammlung dann auch Protokoll der ersten und organisatorisch als kaum überle- die Rechtsform der Genossenschaft. bensfähig. Dennoch blieb das Ziel, den Ziel sollte es sein, „den Mitgliedern ge- „gemeinnützige[n] Wohnungsbau […] sunde und zweckmäßig eingerichtete auf jede nur mögliche Weise“ zu för- Wohnungen in eigens erbauten oder dern, wobei man vor allem der Beschaf- erworbenen Häusern zu verschaffen.“42 fung von Geldmitteln und Baustoffen Dabei sollten die Wohnungen sowohl hohe Priorität einräumte.37 an einzelne Mitglieder vermietet als Eine Sonderrolle nahm die Woh- auch diesen als Eigentum überlassen nungsfürsorge für Beamte ein, hier werden können. Unter der Vorausset- engagierte sich die öffentliche Hand zung, dass die Mieterinnen und Mieter noch stärker. Bereits am 2. Juli 1920 be- die in der Satzung und im Mietvertrag willigte der Bayerische Landtag 12 Mil- festgelegten Bedingungen erfüllten, lionen Mark38 an Zuschüssen für die sollten die Wohnungen vonseiten Beamtenwohnungsfürsorge, wovon der Genossenschaft unkündbar sein. allein 3 Millionen M als verzinsliche Mitglied konnten alle Beamten auf Baukostendarlehen für gemeinnützi- Reichs-, Landes- und Gemeindeebene ge Beamten- und Arbeiterbauvereine werden, die ihren Dienst- oder Wohn- dienen sollten.39 Der Neubau von Woh- sitz in München hatten. Dies galt auch nungen war nach wie vor dringend für Beamte im Ruhestand. Dabei soll- notwendig: Allein in München wurden ten besonders Beamtenfamilien mit zum 31. Dezember 1920 insgesamt vielen Kindern und Kriegsheimkehrer 24 25
Der erste Aufsichtsrat und Vorstand übernahmen. Die Wahl für den ersten Anteilen und dem Zuschuss besaß die Die Wohnungsbedürfnisse der Vorstand fiel auf Oberregierungsrat Genossenschaft zu diesem Zeitpunkt Mitglieder Der erstmals gewählte Aufsichtsrat be- Otto Edelmann, den Geheimen Minis- ein Kapital von 150.520 M.52 stand laut Satzung aus 12 Mitgliedern. terialsekretär Luitpold Saur und Ober- Die Mitgliederzahlen wuchsen in Eine damalige Befragung der Mitglie- Den ersten Vorsitz übernahm Ministe- sekretär Jakob Egger. Edelmann hielt den ersten Monaten nicht nur durch der ergab, dass 76 Prozent eine Miet- rialrat Stützel, der diese Position bis seine Position durchgehend bis 1956 einzelne Beamte, die der Genossen- wohnung und 17 Prozent ein eigenes 1924 innehatte. Der Aufsichtsrat war und prägte so die Ausrichtung der Ge- schaft beitraten. Auch bereits be- Haus bevorzugten, wobei vor allem die ein Abbild der Zusammensetzung der nossenschaft.49 stehende Genossenschaften, die sich Lage zum Zentrum (circa zwei bis zwei- Genossenschaft. Er bestand aus Ver- für die Beschäftigten verschiedener einhalb Kilometer vom Marienplatz) tretern der Regierung von Oberbayern, Behörden gebildet hatten, traten der ein wichtiges Kriterium für den Kauf der verschiedenen bayerischen Minis- Die ersten Beitritte Organisation geschlossen bei, so wie von Bauplätzen sein sollte.56 In Bezug terien (insbesondere des Ministeriums zum Beispiel die Baugenossenschaft auf die Größe der Wohnungen sprach für Soziale Fürsorge), verschiedener Im Anschluss an die Gründungsver- des Landesfinanzamts München.53 Dies sich der Hauptteil der Mitglieder für Reichsministerien und -institutionen sammlung bestand die Tätigkeit des führte einerseits zur Steigerung des Zwei- (30 Prozent) und Dreizimmerwoh- wie der Post oder der Eisenbahn bis hin Vorstands in erster Linie in der aktiven Kapitals, andererseits kamen damit nungen (50 Prozent) aus.57 Dementspre- zu Beamten des Schuldiensts. Für den Anwerbung von Mitgliedern.50 Neben auch Bauplätze, die von diesen Genos- chend gestalteten Aufsichtsrat und Vollzug der Geschäfte richteten der Veröffentlichungen in Tages- und Wo- senschaften bereits erworben worden Vorstand das Bauprogramm für 1921. Aufsichtsrat und der Vorstand drei Aus- chenzeitungen wie der Bayerischen waren, in den Besitz des Beamtenwoh- Als erstes Bauprojekt begann der BWV schüsse ein. Dies geschah in ihrer ers- Staatszeitung wurden Werbeschrei- nungsvereins.54 Der baldige Beginn ers- mit 39 Wohnungen in der Schwabin- ten gemeinsamen Sitzung am 14. März ben in Behörden und Institutionen ter Bauprojekte wurde dadurch sehr ger Herzogstraße 16 und 18, von denen 1921 und in der dritten Sitzung vom ausgelegt. Bereits zum 14. März 1921 erleichtert. Dazu trugen auch Spen- 19 auf zwei Zimmer und zehn auf drei 2. Juli 1921. Die Ausschüsse kümmerten waren der Genossenschaft 201 Mit- den von Baustoffen bei, zum Beispiel Zimmer ausgelegt waren.58 Der Voran- sich speziell um die Finanzen, den Bau glieder beigetreten, die Anteile zu ins- von 1.000 Kubikmetern Holz durch die schlag für diese 3.030 Quadratmeter und die Verwaltung und waren jeweils gesamt 143.500 M gezeichnet hatten. staatliche Forstabteilung.55 Bauplätze Wohnraum belief sich auf 2.770.000 M, mit drei Vertretern des Aufsichtsrats Unter ihnen war auch der Minister für und Rohstoffe waren in der beginnen- der Bau begann im Juli.59 Im Oktober besetzt.48 Den Vorstand bildeten drei Soziale Fürsorge Oswald, der neben ei- den Inflation schon deutlich teurer ge- 1921 startete das zweite Projekt: zwei gewählte Mitglieder der Genossen- nem Zuschuss von 3.000 M noch weite- worden. Häuser in der Kreittmayrstraße 33 und schaft, die die Leitung nach innen und re 50 Geschäftsanteile aufnahm.51 Mit 35, mit jeweils acht Wohnungen auf die gesetzliche Vertretung nach außen den Beitrittsgeldern, den gezeichneten insgesamt 1.312,3 Quadratmetern.60 Lothstraße 30/32 Lothstraße 30/32 in den Der Garten der im Jahr 2020. Der Hinterhof der 1920er-Jahren. 26 27
Solidarität als Prinzip Wohnungsvergabe in Punktesystem für die den 1930er-Jahren.69 Familien mit 3 im Familienverbund a. 3 Punkte Um eine gerechte und auf Solidari- lebenden Kindern tät beruhende Wohnungsverteilung unter den Mitgliedern zu gewährleis- b. Kriegsgeschädigte, Flüchtlinge 2 Punkte ten, führten der Vorstand und der Auf- sichtsrat ein Punktesystem ein. Ziel Familien mit getrennten Haushalten c. 2 Punkte war es, nicht die Genossinnen und Ge- und Kindern nossen zu bevorzugen, die viele Anteile Verheiratete, welche sich mit Kin- gezeichnet hatten. Vielmehr sollte die d. 2 Punkte dern in einer Notwohnung befinden Dringlichkeit der Wohnungsnot jedes einzelnen Mitglieds berücksichtigt Verheiratete, welche sich ohne Kin- e. 1 Punkt werden. So wurden die Wohnungen der in einer Notwohnung befinden in der Kreittmayrstraße 33 und 1. Obergeschoss des Gebäudes Hierfür beliefen sich die Kosten auf Förderungen, Zuschüsse und vor ihrer Bezugsfertigkeit frühzeitig Bewerbungen, denen besonders 2.700.000 M. Darlehen in einem Rundbrief an die Mitglieder dringende Verhältnisse zugrunde Die ersten Projekte verzögerten ausgeschrieben und hinsichtlich ihrer f. liegen, die nicht unter die Regelun- 2 Punkte sich aufgrund eines Streiks der Bau- Der finanzielle Vorschub und die Sach- Lage, Raumzahl und -größe, Ausstat- gen a – d fallen, können bewertet arbeiter und durch das baupolizeili- spenden in Form von Grundstücken tung und Miete beschrieben. Anschlie- werden mit bis zu che Verfahren. Insbesondere bei der und Baustoffen reichten nicht lange ßend konnte sich bewerben, wer Inte- Bei gleicher Punktzahl wird der Zeit- 35 (Grundriss). Kreittmayrstraße gab es längere Aus- aus. Bald musste der BWV neue Geld- resse hatte. Der Vorstand prüfte dann g. punkt des Eintritts und die Höhe der 1 Punkt gezeichneten Anteile mitbewertet. einandersetzungen mit dem Stadtrat. quellen erschließen, um weiter bauen die Bewerbungen auf ihre Dringlich- Das führte dazu, dass die Genossen- zu können. Neben den Förderungen keit, wobei er sie nach verschiedenen h. Im Übrigen entscheidet das Los. schaft die für das Baujahr 1921 be- durch Reich, Land und Kommune in Kriterien punktemäßig gestaffelt ein- reitgestellten Mittel bereits vorzeitig Form von Zuschüssen und der Zeich- stufte. verbrauchen und die Gelder für das nung von Geschäftsanteilen machten Der Vorstand leitete seine sich nächste Jahr früher als geplant an- die Arbeitgeberzuschüsse der Behör- daraus ergebenden Vorschläge für notwendig sei, da nach Stand zum Ende brechen musste.61 Erst im Laufe des den an ihre Beamten einen wichtigen die Wohnungszuweisungen an den des Jahres höchstens für 50 Genossin- Jahres 1922 konnten die Herzogstraße Teil der Finanzierung aus. Dennoch riet Verwaltungsausschuss. Dessen Ent- nen und Genossen pro Jahr überhaupt 16 und 18 sowie die Kreittmayrstraße der Aufsichtsratsvorsitzende Stützel scheidungen waren dann endgültig. die Chance auf eine Wohnungszuwei- 33 und 35 fertiggestellt und bezogen zur Aufnahme von Darlehen zu mög- Bis zum zehnjährigen Bestehen 1931 sung gegeben sei und theoretisch auch werden. lichst günstigen Konditionen.62 Gleich- musste das Kriterium der Anteilshöhe eine Wartezeit von bis zu zehn Jahren Für beide Wohnanlagen hatte die zeitig müsse darauf geachtet werden, bei keiner Entscheidung herangezogen möglich sei.66 Trotz einiger Teilerfolge Genossenschaft den Münchner Archi- die Voranschläge für die Bauten nicht werden – ein deutlicher Hinweis auf schilderte der Vorstand die Situation tekten Franz Deininger (1878 – 1926) zu überschreiten, damit von Anfang an die soziale Ausrichtung der Genossen- im ersten Geschäftsbericht als „trost- verpflichtet. Deininger war bereits vor ein trotz der Inflation einigermaßen schaft und die Wirksamkeit des Punk- los“.67 Insbesondere die „lawinenarti- dem Krieg ausführender Architekt bei stabiler Mietpreis festgesetzt werden tesystems.64 ge“ Verteuerung für den Kubikmeter einigen Wohnhäusern in der Stadt ge- könne. Auch merkten mehrere Mit- umbauten Wohnraum von 180 M im wesen. Dazu gehörten unter anderem glieder des Aufsichtsrats an, dass, bei Januar bis hin zu 447 M im Oktober und Mehrfamilienhäuser in der Leopold-, 12.000 Beamten in München, die bis- Die Bilanz des ersten Jahres der weiter erwartbare rapide Kosten- Prinzregenten- und Widenmayerstra- herige Zahl an Beitritten noch ausbau- anstieg infolge der Inflation machten ße. Nach dem Ersten Weltkrieg baute fähig sei und die Genossenschaft ent- Bis zum Ende des Jahres 1921 waren deutlich, dass der Beamtenwohnungs- er hauptsächlich für den Beamtenwoh- sprechend wesentlich aktiver Werbung der Genossenschaft 652 Mitglieder bei- verein bereits in seinen Anfangsjahren nungsverein. 1922 errichtete er für Erz- für ihre Zwecke betreiben müsse. Erst getreten. Die Zahl der gezeichneten äußerst schwer auf die Probe gestellt herzogin Franziska von Österreich (die dadurch könne die Genossenschaft für Anteile belief sich auf insgesamt 872.65 wurde.68 Schwägerin des letzten Kaisers von Ös- größere zukünftige Investitionen eine Kurzfristig diskutierten Aufsichtsrat terreich, Karl I.) das Wernbergschlöss- Basis erhalten.63 und Vorstand darüber, ob nicht eine chen in Starnberg. Mitgliedersperre für Neubewerbende 28 29
Die erste Wohnanlage, Die Herzogstraße 16 und 18, das erste Bauprojekt Herzogstraße 16 und 18 des BWV, 1921. Das erste Haus des Beamtenwoh- Bezugsfertig waren die zwei Mehr- nungsvereins konnte erst nach der familienhäuser mit insgesamt 39 Woh- Überwindung von diversen Hinder- nungen dann im Mai des folgenden nissen gebaut werden. Dabei war die Jahres.72 Die Wohnanlage wurde von Ausgangslage günstig: Schon in der einem Hausmeister betreut, der dort gemeinsamen Sitzung von Aufsichts- eine Dienstwohnung zur Verfügung ge- rat und Vorstand im März 1921 wurde stellt bekam.73 berichtet, dass ein Gespräch beim Bür- Zur Sanierung und Instandhaltung germeister der Stadt München bezüg- der Anlage: Von den Bombenangriffen Grundriss 1. Obergeschoss lich der „Überlassung von geeigneten des Zweiten Weltkriegs blieben die des Gebäudes Herzog- gemeindlichen Grundstücken“ ein Häuser verschont. Im Jahr 1969 wurden „befriedigendes Ergebnis“ gebracht den Unterlagen des BWV zufolge 21 straße 16 und 18. hatte.70 In derselben Sitzung wurde be- neue Bäder in der Herzogstraße 16 und reits konkret ein „Bauangebot“ in der 18 eingebaut und 14 bestehende Bä- Herzogstraße diskutiert, das allerdings der modernisiert.74 Fast zwanzig Jahre vom Aufsichtsrat zunächst abgelehnt später gestaltete die Genossenschaft wurde. den Innenhof neu. Laut Prüfungsbe- Offensichtlich beschloss der BWV richt beliefen sich die Kosten für die in den folgenden Wochen doch noch, Begrünung und Neugestaltung der An- das Angebot des Architekten Dei- lage des Jahres 1987 auf 121.300,00 DM, ninger anzunehmen. Der Baubeginn beantragt wurde dafür ein Zuschuss verzögerte sich jedoch durch den Ge- von der Stadt München in Höhe von nehmigungsprozess. Im Protokoll der 25.600,00 DM.75 Für die „vorbildliche Aufsichtsratssitzung vom 2. Juli 1921 Gestaltung der Hofräume“ wurde der heißt es dazu: „Ausdrücklich wird fest- Hof 1990 von der Stadt ausgezeich- gestellt, daß die Verzögerung der Inan- net.76 Bei der Sanierung von Dach und griffnahme des Baus auf den Stadtrat Fassaden in den Jahren 2003 und 2004 zurückzuführen ist, der der Genehmi- wurden auch die Speicher isoliert. 2020 gung die unglaublichsten Schwierig- restaurierte man die historischen Fens- keiten entgegensetzte. Nur auf das um- ter fachgemäß. Die Neugestaltung des sichtige Handeln des Vorstandes mit Hofes wird im Jahr 2021 abgeschlossen. Architekt Deininger, der vom Vorstand als tatkräftiger für alle Sachen als ver- ständnisvoller Architekt geschildert wird, ist die endliche Genehmigung des Plans zurückzuführen.“ Nun konnte also mit dem Bauen begonnen werden. Einen Monat später, Mitte August, kam die Baustelle wieder zum Stillstand: Wegen eines Streiks tat sich fünf Wochen lang nichts. Nur die Schreiner- und Schlosserarbeiten wur- den fertiggestellt.71 30 31
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