550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
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550 Jahre U N I N OVA W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I TÄT B A S E L 114 – A p r i l 2 010 Universität Basel Erfolgreiche Gründung, internationale Bedeutung Die frühe Basler Anatomie Frauenstudium Der grosse Umbau Von Jubiläen und Feiern Das Universitätsarchiv Fragen nach dem Minarettverbot Robert Walser digital Eine Forscherin mit Bodenhaftung
Editorial Inhalt Die Schweizerische Post gratuliert zum Jubiläum In eigener Sache Sie ist mit grossem Abstand die älteste der Schweiz: Schwerpunkt 550 Jahre Universität Basel Daten zur Universitätsgeschichte 6 Die Universität Basel kann auf stolze fünfeinhalb Jahrhun- 1460–1560: Von der erfolgreichen Gründung 8 derte wissenschaftlicher Lehre und Forschung zurück- zu internationaler Bedeutung blicken. Waren es nach der Eröffnung nur 227 Studenten Die ersten 100 Jahre und Dozenten an vier Fakultäten, sind es heute rund 12’000 Die Basler Anatomie in der Frühen Neuzeit 12 Studierende, über 300 Professorinnen und Professoren Vesal, Platter, Bauhin sowie rund 1600 weitere Dozierende an sieben Fakultäten. Präzedenzen, Promotionen und Patrone 16 Die Geschichte verlief dabei nicht immer geradlinig: Frühe Gelehrtenkultur Neben Zeiten des Aufschwungs und der Stagnation kam es Langer Schatten der Historischen Schule 20 mehrmals zu existenziellen Krisen, so etwa in der Zeit der Wirtschaftswissenschaften in Basel Reformation im 16. Jahrhundert oder nach der Kantons- Schon früh verspätet 24 teilung der beiden Basel 1833. Spitzenleistungen in vielen Frauenstudium in Basel Forschungsgebieten trugen über Jahrhunderte immer Der grosse Umbau 28 www.post.ch/philashop wieder zum hervorragenden Ruf der Universität Basel bei Autonomie und weitere Trägerschaft Telefon 0848 66 55 44 – sie gehört heute je nach Ranking zu den 100 besten Jubiläen und andere Feiern 31 Hochschulen der Welt. Als schweizerisches Unikum wird Feste als geschichtsbezogene Wir-Anlässe sie von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft Das Universitätsarchiv 34 gemeinsam getragen. Vom Szepter bis zu Computerdateien Das 550-Jahr-Jubiläum der Universität Basel bildet denn Eine Website zur Universitätsgeschichte 37 auch den Schwerpunkt dieses Hefts. Nach einem chronolo- gischen Überblick werden ein paar der zahlreichen Facet- 175 Jahre Freiwillige Akademische Gesellschaft 38 ten der langen Geschichte herausgegriffen und eingehen- der beleuchtet. Bei einigen Beiträgen handelt es sich um Forschung gekürzte Fassungen von Artikeln, die in der neuen Online- Zoologie Geschichte der Universität (www.unigeschichte.unibas.ch) Für wen die Nachtigall singt 40 erscheinen. Dort findet sich eine Fülle von weiteren In- Wissenschaftliche Fotografie Mehr formationen und Materialien von den Anfängen um 1460 Arbeit mit digitalen Manuskripten: 42 Kultur bis zur jüngsten Zeitgeschichte der Basler «Alma mater». Beispiel Robert Walser pro Gramm Mit dieser Ausgabe präsentiert sich das Wissenschaftsma- gazin ausserdem in veränderter Gestaltung: Nach fast Christine Alewell Eine Forscherin mit Bodenhaftung 44 programmzeitung.ch zehn Jahren hat UNI NOVA ein neues Layout bekommen. Wir setzen damit die Anliegen der Leserinnen und Leser Rubriken Wissen, was kulturell läuft um, die an der Umfrage vom März 2009 teilgenommen Editorial In eigener Sache 3 Lassen Sie sich monatlich auf rund haben. Weit über die Hälfte äusserten sich dabei insgesamt In Kürze Springkraut, Auswahl, Infektionen 4 80 Seiten vom vielfältigen zwar zufrieden mit der Zeitschrift, es gab aber auch ver- Im Interview Idris Kiwirra zum Minarettverbot 5 Kulturangebot im Raum Basel verführen einzelte Kritik an der Gestaltung. Aus der Stichprobe der Kolumne von Helma Wennemers Lechts und rinks 39 Leserinnen und Leser wurde im Ganzen deutlich, dass Bücher Neuerscheinungen zum Jubiläum 47 das Wissenschaftsmagazin inner- und ausserhalb der Uni- Uni Basel im Web Wetter, Histologie, Bibliotheken 48 versität von einem sehr interessierten, aber auch kriti- Webtipp Thomas Lambrecht, Zahnmediziner 49 schen Publikum gelesen wird. In diesem Sinn sind wir ge- Termine, Impressum 50 spannt auf Ihre Reaktionen auf das neue Heft! Christoph Dieffenbacher, Redaktion UNI NOVA Abobestellung Jahresabo, 11 Ausgaben, CHF 69.— 2 UNI NOVA 114 / 2010 Ausbildungsabo, 11 Ausgaben, CHF 39.— UNI NOVA 114 / 2010 3 Schnupperabo, 3 Ausgaben, CHF 10.— Film | Musik | Kunst | Theater | Literatur | Tanz … abo@programmzeitung.ch
In Kürze Idris Kiwirra im Interview «Kaum differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam» Springkraut hindert Buchenwachstum Ist zu viel Auswahl schlecht? Wundinfektionen nach Operationen Wie steht die Schweiz nach dem Ja zum Minarettverbot den Angehörigen des Islam gegenüber? Antworten von Idris Kiwirra, Islamwissenschaftler. Interview: Christoph Dieffenbacher Das eingewanderte Drüsige Spring- Sind wir bei Entscheidungen mit zahl- Wundinfektionen nach Operationen kraut unterdrückt das Wachstum reichen Möglichkeiten überfordert und gehören zu den häufigsten Infektionen Wie sieht es mit der Bedeutung des Islam in der Schweiz deutet werden. Es ist vielmehr ein Beweis dafür, wie mani- von Jungbuchen, wie Forschende des können uns allzu viele Optionen läh- in Spitälern, verdoppeln im Durch- heute aus? Etwa 5% der Schweizer Bevölkerung ist musli- pulierbar Menschen sind, sogar in einer Gesellschaft, in der Instituts für Natur-, Landschafts- und men? Der Hypothese des sogenannten schnitt die Aufenthaltsdauer der Pati- misch. Die Mehrheit der Muslime in diesem Land kommt sie ausreichend Zugang zu Informationen und durchaus die Umweltschutz (NLU) der Universität «Choice overload» ist der Wirtschafts- enten und können zu Todesfällen aus Europa, etwa aus Staaten wie der Türkei, Albanien, Bos- Möglichkeit haben, ja sogar fähig sind, rational und kritisch Basel zeigen konnten. Die Pflanze war psychologe Dr. Benjamin Scheibehenne führen. Eine Studie von Prof. Andreas nien oder dem Kosovo. Die Muslime in der Schweiz bilden zu denken. Bei dieser Abstimmung ging es meiner Meinung als Zierpflanze aus Asien nach England von der Universität Basel mit Kollegen F. Widmer von der Klinik für Infek- keine Einheit. Der Bezug zum jeweiligen Herkunftsland ist in nach nicht um das Minarett, sondern darum, einem Gefühl und darauf in europäische Gärten aus Deutschland und den USA nachge- tiologie & Spitalhygiene am Universi- der Regel stärker als jener zu einer Religionsgemeinschaft. In der Angst, der Unsicherheit, des Misstrauens gegenüber dem gelangt. An Bach- und Flussufern und gangen. Dazu wurde eine Metaanalyse tätsspital Basel sowie der Chirurg PD keinem Kanton ist die islamische Gemeinschaft als Körper- Islam und den Muslimen Ausdruck zu verleihen. Radikale is- in Wäldern breitet sie sich stark aus. von 50 Experimenten mit über 5000 Dr. Walter Weber haben Erkenntnisse schaft, mit dem Status einer Landeskirche, anerkannt. lamische Gruppierungen verfolgen eigene Interessen, agieren NLU-Forschende richteten ein Feldex- Teilnehmenden durchgeführt. Resultat: zusammengetragen, die das Risiko Der Islam wird in unserer Gesellschaft häufig mit dem Isla- nicht im Namen der Muslime und schon gar nicht im Namen periment mit drei Gruppen von Un- Der mittlere Effekt eines «Choice dieser Infektionen vermeiden helfen. mismus, mit Intoleranz, (Frauen-)Unterdrückung und gar mit des Islam. tersuchungsflächen in einem Wald ein: overload» über alle Studien war gleich So können eine gut organisierte Terrorismus in Verbindung gebracht – wie ist es zu dieser Soll der Islam in westlichen Gesellschaften stärker integriert Flächen mit Springkraut, Flächen, in null. Zwar fanden einige einen starken Überwachung (Surveillance) und ein Entwicklung gekommen? Das aktuelle «Feindbild Islam» im werden – wie am idealsten? Im Artikel 8 der schweizerischen denen es regelmässig entfernt wurde, Effekt, meist gab es aber keine empi- konstruktives Feedback an die Ope- Westen ist hauptsächlich ein Produkt der Medien und der Bundesverfassung heisst es, dass niemand diskriminiert wer- und Flächen, die nicht davon besiedelt rischen Belege für eine Überforderung. rierenden eine Reduktion dieser populären Literatur von sogenannten Experten. Eine wirk- den darf, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, waren. Beobachtet wurde das Auf- Dass eine zu grosse Auswahl demo- Komplikation um 30% bewirken. lich differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam, mit des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stel- kommen von einjährigen Buchen, die tivierend wirkt, liess sich nicht klar Als Risiken gelten neben den Grund- seiner Geschichte und Kultur findet leider nur in kleinen lung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder überall in gleicher Dichte angepflanzt nachweisen. Bei Nahrungsmitteln rea- leiden der Patienten, darunter vor Kreisen statt. Der Fundamentalismus hat seine Ursache in politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, wurden. Buchen, die von Spring- gieren Konsumenten dagegen oft allem Übergewicht, auch vermeidbare den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Erfahrungen geistigen oder psychischen Behinderung. Immigrantinnen kraut umgeben waren, hatten nach positiv, wenn sie aus vielen Möglich- Faktoren, so etwa eine ungenügende der Menschen in der islamischen Welt. Wir dürfen die Reli- und Immigranten sollen unabhängig von ihrer Religions- einem halben Jahr 60% weniger Wur- keiten wählen können. Vor allem wer Antibiotika-Prophylaxe, zu wenig gion nicht zu seiner Ursache deklarieren und ein stereotypes zugehörigkeit die Möglichkeit erhalten, Teil der neuen Ge- zelpilze als jene ohne die invasiven bereits klar weiss, was er will, profitiert Vorbereitung der Patienten und – vor Feindbild über alles aufbauen, was islamisch oder islamisch sellschaft zu werden, in der sie leben. Sie sollen Zugang zu Pflanzen. Das Springkraut reduzierte ebenfalls von einer grösseren Auswahl. allem bei Implantatoperationen – geprägt ist. Bildung und Arbeit erhalten und sich entfalten können. Dass damit das Wachstum sowie die Die Forscher konnten keine Bedin- eine fehlende Dekolonisation von Kann das Schweizer Ja zur Minarettverbots-Initiative als sie dabei die Gesetze, Bräuche und Kultur ihres Gastlandes Überlebensrate der Bäumchen, die gungen finden, bei denen sich der Trägern mit Staphylokokken. Am meis- eine Antwort auf den politisch radikalen Islamismus mit kennen, befolgen und respektieren, sollte selbstverständ- rund 15% leichter waren und weniger «Choice overload» verlässlich einstellt, ten für Infektionen nach Operationen seinem «Hass auf den Westen» inter- lich sein. Islamische Religionsgemein- Lic. phil. Idris Kiwirra (*1970 in Wad Meda- häufig überlebten. Die ökonomi- wann also eine Angebotserhöhung verantwortlich ist eine Kontamina- pretiert werden? Minarette sind keine schaften sollen als Körperschaften ge- ni, Sudan) ist Lektor für Arabisch am Orien- schen Verluste für Forstbetriebe dürf- mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weni- tion der Wunde durch Mikroben; nur Zeichen eines solchen radikalen Isla- talischen Seminar der Universität Basel. Nach setzlich anerkannt werden. Auf diese ten beträchtlich sein, folgern die ger Wahlmotivation führt. 10% sind durch äussere Quellen wie mismus, und deshalb kann die Befür- dem Grundstudium der Naturwissenschaften Weise kann der Staat die Einhaltung Forschenden. etwa durch das Spitalpersonal bedingt. wortung der Initiative auch nicht als in Khartoum studierte er Islamwissenschaft und der gesetzlichen Bestimmungen besser Antwort auf radikale Strömungen ge- Geschichte in Basel und Bern. überwachen und durchsetzen. 4 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 5
Daten zur Universitätsgeschichte 1718 Einführung des Loses bei Professorenwahlen. 1757 1890 Einführung des Frauenstudiums. Emilie Frey beginnt ihr Medizinstudium, das sie 1896 mit dem Doktorexamen abschliesst. 1976 13. Juni: Volksabstimmung im Kanton Basel- Landschaft, Mehrheit für eine Universitäts- beteiligung. Isaak Iselin verfasst die Schrift «Unvorgreifliche Gedanken über die Verbesserung der B…schen 1910 1978 hohen Schule», nachdem immer wieder 23. bis 25. Juni: Die Universität begeht die Der Mikrobiologe Werner Arber erhält den Diskussionen um die Reform der Universität 450-Jahr-Feier. Nobelpreis. geführt worden sind. 1918 1979 1760 Gründung der Studentenschaft als offizielles Eröffnung der Senioren-Universität. 15. April: Die Universität begeht die dritte Vertretungsorgan. Säkularfeier. 1980 1919 17. April: Der Entwurf für ein neues Universi- Gründung der Volkshochschule. tätsgesetz findet nach achtjähriger Kommis- sionsberatung im Grossen Rat keine Mehrheit. 1928 Erste Habilitation einer Frau: Elsa Mahler wird 1989 Privatdozentin in Slawistik, ihre Nachfolgerin Gründungsmitglied des Oberrheinischen Hildegard Schroeder wird 1964 erste Ordinaria. Universitätsverbunds Eucor. 1937 1991 1798 14. Januar: Das neue Universitätsgesetz schafft Strukturanalyse als Bedingung für eine weitere 1431 bis 1459 1529 1588 Die Universität wird dem Erziehungsrat unterstellt. 51 gesetzliche Lehrstühle. Neu entsteht die Beteiligung des Kantons Basel-Landschaft, Während des Basler Konzils wird eine eigene Juni: Der reformierte Rat suspendiert die Ein anatomisches Theater und ein hortus Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät. Einführung von Departementsstrukturen. Konzils- und Kurienuniversität organisiert. Universität und beschlagnahmt Szepter, medicus (späterer Botanischer Garten) werden 1813 Siegel, Statutenbücher, Privilegienurkunden eingerichtet. Der Grosse Rat hebt die bisherigen Statuten und 1939 1993 1459 und Barvermögen der Universität. Privilegien auf und beschliesst eine durchgrei- Neues Kollegienhaus. Leitbild der Universität, Gründung des Basel- 12. November: Papst Pius II. stellt in Mantua fende Reorganisation. bieter Fördervereins. den Stiftungsbrief für die Universität aus. 1529 bis 1532 Interregnum: Mehrere Professoren setzen den 1818 1996 1460 Unterricht fort. 17. Juni: Mit dem neuen Universitätsgesetz ver- 1. Januar: Das neue Universitätsgesetz tritt in 4. April: Eröffnungsfeier der Universität mit liert die Universität ihre letzten Privilegien und Kraft: Ausgliederung aus der kantonalen einem Gottesdienst im Basler Münster. 1531 wird ganz dem Staat unterstellt. Verwaltung, Einführung der Autonomie, Rektor Oswald Bär führt die erste öffentliche neue Beitragsleistung von Basel-Landschaft. 1460 anatomische Sektion durch. 1822 28. Mai: Der Rat stellt für die Universität den 1590 Das Vorlesungsverzeichnis erscheint nicht mehr 1997 Freiheitsbrief aus. 1532 Erweiterung der Universitätsbibliothek durch in lateinischer, sondern in deutscher Sprache. 1950 Gründung der Wirtschaftswissenschaftlichen September: Mit dem Erlass neuer Statuten wird die Integration von 2700 Büchern aus den ehe- Der Chemiker Tadeus Reichstein erhält den Fakultät. 1460 die Universität dem Rat unterstellt. maligen Klosterbibliotheken. 1833 Nobelpreis. 6. September: Die Universität verpflichtet sich, Die mit der Kantonstrennung nötig gewordene 2000 die von der Stadt gewährten Privilegien nicht 1532 1658 Vermögensteilung bedroht die Universität 1960 Eröffnung des Pharmazentrums. zu missbrauchen. November: Wiedereröffnung der reformierten Bei Reformen werden der erste Lehrstuhl für existenziell. 29. Juni bis 2. August: Die Universität begeht Universität. Geschichte geschaffen und der Logikunterricht die 500-Jahr-Feier. 2000 reorganisiert. 1835 Das 1999 im Rahmen der EU beschlossene 1539 9. April: Neues Universitätsgesetz. Bologna-Studiensystem wird schrittweise Der Rat erweitert die Selbstverwaltungs- 1660 eingeführt. Als erste Volluniversität der Schweiz rechte der Universität wieder und 4. April: Die Universität begeht erstmals zum 1835 setzt die Universität Basel die Reform auf gliedert die Geistliche der Theologischen 200. Gründungstag ein Jubiläum. Gründung der Freiwilligen Akademischen Ge- Wintersemester 2006/07 um. Fakultät ein. sellschaft zur Unterstützung der Universität. 1661 2003 16. Jh., 2. Hälfte Die Stadt kauft zuhanden der Universität das 1835 Gründung der Fakultät für Psychologie. 1477 Die Universität wird zur «Modeuniversität» Amerbachkabinett und schafft damit die 1. Oktober: Einweihung der wieder eingerichte- Gesamtrevision der Statuten. für Mediziner und Juristen mit internationaler Voraussetzung für das erste öffentlich-städtische ten Universität. 1969 2004 Ausstrahlung. Museum. Nach der Ablehnung der Wiedervereinigung Gründung der Kinder-Uni. 1494 1836 der beiden Halbkantone müssen neue Die Universität gerät in eine mehrjährige Krise, 1558 1671 Gründung der Akademischen Zunft. Formen der Mitträgerschaft und Kofinanzie- die Reformdiskussionen führen 1507 zur Die Bücherzensur wird vom Rat dem Rektor Der jahrzehntelange Streit um universitäre rung für die Universität gefunden werden. finanziellen Neuregelung des städtischen und den vier Dekanen übertragen. Privilegien und Rechtsprechung endet 1851 Beitrags. mit der Einführung eines neuen Treueids für Der Grosse Rat lehnt Antrag auf Aufhebung der 1971 1560 die akademischen Bürger gegenüber dem Universität zugunsten einer Gewerbeschule ab. Die Regenz (vormals reines Ordinariengremi- 1523 Die Bibliothek wird neu eingerichtet. Rat. um) wird zum Universitätsrat mit Vertretungen Der Rat entzieht vier Professoren wegen An- 1860 aller Gruppierungen. griffen auf Anhänger der Reformation die 1681 6./7. September: Die Universität begeht die Besoldung und ernennt Oekolampad und Pelli- Regelmässig erscheinendes Vorlesungsverzeich- 400-Jahr-Feier. 1971 2007 kan zu Theologieprofessoren. nis. Eröffnung des Biozentrums. 11. März: In einer Volksabstimmung stimmt 1866 der Kanton Basel-Landschaft der paritätischen 1529 1688 30. Januar: Neues Universitätsgesetz mit 1974 Universitätsträgerschaft zu. Wegen der Einführung der Reformation Auszug Die Professorenwahl durch geheime Wahl mit Erhöhung der Zahl der Lehrstühle und der Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft der von Dozenten und Professoren nach Freiburg / Br. Kugeln (Ballotage) wird Gesetz. Besoldung. Studierendenschaft. (Quelle: www.unigeschichte.unibas.ch) 6 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 7
1460–1560: Am 3. April 1460 überreichten Vertreter des Basler Rats dem Bischof Johannes von Venningen die Stiftungsurkunde der Universität, und schon am nächsten Morgen zelebrierte Von der erfolgreichen Gründung dieser im Münster unter aktiver Teilnahme des gesamten Klerus und der politischen Elite die Gründungsmesse. Am nächsten Tag wurde der Vorlesungsbetrieb in allen vier zu internationaler Bedeutung Fakultäten (Theologen, Juristen, Mediziner und Artisten) aufgenommen. Und bereits am 7. April 1460 gab der Rektor Georg von Andlau die Eröffnung der Universität bekannt und rief alle, die «die Perle der Wissenschaft erwerben» und Nach längerer Vorgeschichte wurde die Universität Basel in nur wenigen Monaten gegründet. Trotz Konflikten und finanzi- «vom Borne der Gelehrsamkeit» trinken wollten, zu ihrem ellen Problemen konnte sie sich in den ersten 100 Jahren etablieren. Susanna Burghartz Besuch auf. Damit kam ein auch für damalige Verhältnisse unge- wöhnlich zügig organisierter Gründungsvorgang nur gut fünf Monate nach der päpstlichen Privilegienerteilung zu einem vorläufigen Abschluss. Bereits Ende Mai erliess der Rat mit dem Freiheitsbrief Statuten für die Universität, die ihren Angehörigen besondere Privilegien zusicherten: freies und sicheres Geleit, Schutz und Schirm, rechtliche Gleichstellung mit andern Universitäten, Befreiung von Zöllen, Steuern und Abgaben, eigenes Mietrecht und eigene Gerichtsbarkeit. Am 6. September versicherten schliesslich Rektor und Universität im Gegenzug, diese Privilegien nicht zu missbrauchen. Gründungswelle nach Konzil Der kurzen Gründungsphase war eine längere Latenzzeit vo- rausgegangen: Schon während des Basler Konzils hatte sich zwischen 1432 und 1448 eine temporäre Universität etabliert, deren Mitglieder in der Folge die Universitätsgründung vo- rantrieben, zunächst allerdings ihre Anstrengungen vor allem auf Freiburg und Herzog Albrecht VI. richteten. Obwohl dort entsprechende Vorstösse schon zu Beginn der 1450er-Jahre erfolgten und der Stiftungsbrief des Herzogs bereits 1458 feierlich im Freiburger Münster verlesen wurde, konnte die Nachbarstadt die eigentliche Eröffnung ihrer Universität erst drei Wochen nach Basel realisieren. Damit gehörten beide zu einer eigentlichen Universitätsgründungswelle, die zwischen 1456 und 1477 insbesondere den süddeutschen Raum erfasste und in den 1450er-Jahren mit Greifswald, Freiburg, Basel und Ingolstadt besonders dicht war. Darüber hinaus gab es durchaus auch gescheiterte Versuche, etwa in Regensburg, Lüneburg, Breslau und Pforzheim. Unmittelbar mit der Stiftung und Gründung verbunden waren intensive Anstrengungen zur Finanzierung der neuen Universität. Noch Ende 1459 kam es in Basel zu kontrover- sen Diskussionen, ob eine Universitätsgründung finanziell tragbar und wünschenswert sei: Immerhin wurden der Uni- versität am zweiten Weihnachtstag fünf Pfründen aus den Diözesen Konstanz, Lausanne und Basel mit einem Gesamt- einkommen von 290 Gulden zugewiesen; die Umsetzung dieser Inkorporation sollte sich jedoch – wie andernorts – als schwierig erweisen. So hatte etwa auch Freiburg zunächst grosse Mühe, die gestifteten Pfründen wirklich zu realisieren, war aber mittelfristig erfolgreicher in der Sicherung seiner finanziellen Mittel als Basel. Hier beliefen sich die Einnah- men um 1500 schliesslich auf durchschnittlich fast hundert 8 UNI NOVA 114 / 2010 Bewilligung von Papst Pius II.: Gulden und deckten damit knapp ein Drittel der städtischen UNI NOVA 114 / 2010 9 Siegel der päpstlichen Stiftungsurkunde Ausgaben für die Universität. der Universität Basel von 1459 (Bild: StaBS, Städtische Urkunde 1658).
Anfangs hatte man trotz aller Bedenken eine grosszügigere mation 1529 und dem ersten nach der «Wiedereröffnung» der materielle Ausstattung der Hohen Schule vorgesehen und in Universität 1532. Sie sollte am Anfang einer langen Erfolgsge- den ersten Jahren vor allem für die Anstellung italienischer schichte der Basler Anatomie stehen. Juristen erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet. Offen- Vor allem in organisatorisch-verfassungsmässiger Hinsicht sichtlich hoffte man so, vor allem auch wohlhabende Stu- erwies sich die Reformation als grundlegender Einschnitt in denten anziehen zu können. Mit 226 und 228 Immatrikula- der Geschichte der Universität. Noch kurz vor dem Tod Oe- tionen, von denen noch heute die prächtigen Matrikelbücher kolampads entstand mit dem «Judicium in schola» ein um- zeugen, startete man in den ersten beiden Jahren durchaus fangreicher Entwurf für einen Ratserlass. Und im September erfolgreich, auch wenn sich die Neuimmatrikulationen schon 1532 erliess der Rat dann tatsächlich neue Statuten zur Reor- bald auf einem deutlich tieferen Niveau einpendelten. ganisation der Universität. Mit ihnen verlor die Hohe Schule Mit ihren vier Fakultäten folgte die Universität Basel dem ihre bisherige rechtliche Selbstständigkeit und wurde in den nördlich der Alpen üblichen Organisationsmodell von Paris. christlichen Staat integriert, der so die neue Lehre auch im Doch kam es bereits 1462 zu Konflikten um die Rektoren- Bereich der (Aus-)Bildung sicherstellen wollte. Konflikte wahl, weil die Juristen, dem Vorbild von Bologna folgend, gab es insbesondere wegen des neu geregelten Verhältnisses einen eigenen Rektor aus der Gruppe der Studierenden wäh- der reformierten Geistlichkeit zur Universität. 1539 gelang es len wollten. Mit der Forderung nach einem eigenen Rektor dieser, den obrigkeitlichen Einfluss ein Stück weit zurück- konnten sie sich nicht durchsetzen. Künftig konnten aber aus zudrängen und einen Teil der früheren Selbstverwaltung den Reihen der Juristischen Fakultät auch Studenten zum zurückzugewinnen. Für die Berufung der Professoren setzte Rektor gewählt werden, der damals noch halbjährlich wech- der Rat allerdings sein Mitbestimmungsrecht durch, wonach selte. nur Anhänger der vom Basler Rat vertretenen reformierten Der sogenannte Wegestreit, ein Richtungsstreit zwischen Richtung berufbar waren. der via moderna der Nominalisten und der via antiqua der … und Wiederaufstieg Realisten, der von Paris ausging und damals die Artistenfa- In den folgenden Jahrzehnten kam die Universität dennoch kultäten der Universitäten in Aufruhr versetzte, beschäftigte zu internationalem Ansehen, sodass Petrus Ramus 1570 in bald auch die Universität Basel. 1464/65 wurden beide Wege einer Lobrede auf Basel die Universität rühmte, die durch gleichberechtigt nebeneinander in der Artistenfakultät zuge- die verschiedenen Sprachen und Wissenschaften den Namen lassen, nicht zuletzt wohl, um mehr Studenten anzuziehen. der Stadt in ganz Europa verbreite. Eine wichtige Rolle dafür, Entsprechend wurden die Kommissionen paritätisch zusam- dass Basel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer mengesetzt und sogar je ein Schlüssel zur Fakultätskasse an Drehscheibe im europäischen Geistesleben wurde, spielten beide Richtungen vergeben; eine Trennung, die sich, nach- nicht zuletzt Migranten, die wegen ihres Glaubens in Basel, dem die Konflikte 1487 eskaliert waren, selbst überlebte und das sich durch eine vergleichsweise grosse konfessionelle 1492 aufgehoben wurde. Toleranz auszeichnete, zumindest vorübergehend lehrten. Existenzkrisen, Unruhen … Ebenso wichtig war das Interesse ausländischer Studierender, Etwa zur gleichen Zeit setzte auch die erste grundsätzliche die sich hier aus den gleichen Gründen immatrikulierten und Diskussion über den Fortbestand der Universität ein. In von den Stipendien einer Stiftung profitieren konnten, die den 1480er- und zu Beginn der 1490er-Jahre waren die Im- Bonifacius Amerbach als Testamentsvollstrecker des Eras- matrikulationen so deutlich zurückgegangen, dass sich der mus von Rotterdam aus seinem Nachlass eingerichtet hatte. Rat mit der Frage nach der Weiterführung der Hohen Schule 100 Jahre nach ihrer Gründung konnte die Universität 1560 zu beschäftigen begann und schliesslich 1501 – im Jahr, als endlich im Unteren Kollegium am Rheinsprung eine neue Bi- Basel der Eidgenossenschaft beitrat – beschloss, «dz man die bliothek einweihen, zu deren Eröffnung zehn repräsentative Universitet nit verlossen soll». 1504 wurde sie auf eine neue, Wappenscheiben angefertigt wurden, die unter anderem die deutlich bescheidenere finanzielle Grundlage gestellt und die vier Fakultäten symbolisierten. Solche Stiftungen anlässlich Befreiung der Universitätsangehörigen von den indirekten von Einweihungen waren damals sehr beliebt. Auch wenn Steuern, dem sogenannten «Umgeld», weitgehend aufgeho- 1560 noch keine Jubiläumsfeier ausgerichtet wurde, lassen ben. sich diese Glasscheiben doch als Ausdruck für das Selbstbe- Im Zug der reformatorischen Auseinandersetzungen ent- wusstsein einer florierenden Institution lesen, die sich trotz zog der Rat 1523 vier Professoren die Besoldung und setzte zahlreicher Krisen in ihrer ferneren und näheren Vergangen- den späteren Basler Reformator Johannes Oekolampad als heit erfolgreich und nachhaltig hatte etablieren können. Theologieprofessor ein. Auf dem Höhepunkt der Unruhen verliessen 1529 mit dem Domkapitel verschiedene Professoren und Studenten die Stadt und zogen nach Freiburg. Allerdings scheint in den nächsten Jahren, entgegen der in der älteren Forschung verbreiteten Auffassung, der Universitätsbetrieb nie ganz eingestellt worden zu sein. So fand 1531, während des sogenannten Interregnums, die erste öffentliche anato- 10 UNI NOVA 114 / 2010 mische Sektion an der Medizinischen Fakultät unter Oswald Prof. Susanna Burghartz ist Ordinaria für Allgemeine Geschichte des 14. UNI NOVA 114 / 2010 11 Bär statt, dem letzten Rektor vor dem Durchbruch der Refor- bis 16. Jahrhunderts an der Universität Basel.
Die Basler Anatomie in der Frühen Neuzeit Im 15. und 16. Jahrhundert gewann die Anatomie an Europas Universitäten zunehmend an Bedeutung. Als eine der ersten Universitäten nördlich der Alpen lehrte Basel das Fach – und zog damit zahlreiche Medizinstudenten an. Michael Stolberg Für die Entwicklung der frühneuzeitlichen Medizin und Na- Die Anfänge im frühen 16. Jahrhundert ähneln jenen anderer turwissenschaft ist die Anatomie von überragender Bedeu- medizinischer Fakultäten nördlich der Alpen. Die Anatomie tung. Zusammen mit der Botanik wertete sie die empirische spielte anfangs – wie die Medizin insgesamt – eine eher be- Beobachtung zum vorherrschenden erkenntnistheoretischen scheidene Rolle. Lange war die Medizin nach der Gründung Ideal auf. Dabei half sie, so manchen «Irrtum» der überlie- der Universität 1460 nur durch eine Professur vertreten. Doch ferten, vielfach auf Tiersektionen gegründeten Anatomie zu fand 1531 eine der frühesten öffentlichen Anatomien nördlich korrigieren. Doch diese Korrekturen betrafen mit wenigen der Alpen in Basel statt. Ein Jahr später forderten die neuen Ausnahmen Details: Das Wissen um die einzelnen anato- Statuten der Fakultät ausdrücklich regelmässige anatomische mischen Strukturen des Menschen veränderte und differen- Demonstrationen und botanische Exkursionen. zierte sich zunächst nur geringfügig. 1543 erschienen in Basel die «De humani corporis fabrica Für die medizinische Praxis war das neue Wissen zunächst libri septem» von Andreas Vesal (1514–1564), dem Begründer wenig bedeutsam. Die zahlreichen inneren Krankheiten, mit der neuzeitlichen Anatomie. In dem opulent aufgemachten denen sich die akademisch gebildeten Ärzte befassten, wurden und illustrierten Werk zeigte der Autor anhand von zahl- vor allem auf krankhaft veränderte bewegliche Säfte und reichen eigenen Sektionen diverse frühere «Irrtümer» auf. Dünste im Körper zurückgeführt, nicht auf Veränderungen Vesal wurde zur Ikone der neuen Anatomie. Er kam 1542 der einzelnen Organe, Gewebe oder Zellen. Für die grobe nach Basel und schrieb sich an der Universität ein. Es ist nicht Lokalisierung und gegebenenfalls gezielte Entleerung solcher sicher, ob er aktiv am universitären Leben teilnahm und Vor- Säfte und Dünste reichte ein ungefähres Wissen über die Lage lesungen hielt, verbürgt ist aber, dass er im Mai 1543 die Lei- der einzelnen Organe im menschlichen Körper völlig aus. che des hingerichteten Jacob Karrer aus dem Elsass sezierte Selbstdarstellung der Ärzte und das präparierte Skelett der Universität schenkte. Dieses Die neue, auf persönliche «Autopsie» gestützte Anato- war hier lange aufgestellt und ist bis heute im Anatomischen mie zeigte jedoch die Möglichkeit und Notwendigkeit, die Museum erhalten. überkommenen Lehren der Autoritäten kritisch zu hinter- Das Skelett in der Stube fragen und zu korrigieren. Die Anatomie eröffnete für die Entscheidend für den Aufstieg der Basler Medizinischen Fa- Ärzte zudem ganz neue Möglichkeiten der professionellen kultät seit den 1570er-Jahren waren zwei führende Anatomen: Selbstdarstellung. Lange hatten sie ihren Anspruch, die ge- Felix Platter (1536–1614) und Caspar Bauhin (1560–1624). Sie heimnisvollen Vorgänge im Körperinneren ihrer Patienten hatten im Süden Europas studiert, wo sich schon seit Län- ergründen zu können, vor allem auf ihre Fähigkeiten in der gerem das Bemühen um eine mehr empirische, auf persön- sogenannten Harnschau gegründet, dem überragenden Dia- liche Erfahrung gestützte Ausbildung durchgesetzt hatte, in gnoseverfahren der mittelalterlichen Medizin. Doch hier wa- der Anatomie wie auch am Krankenbett. Dies war damals ren sie zunehmend gegenüber den ungelernten Heilern ins Hauptmotiv für viele Medizinstudenten von nördlich der Hintertreffen geraten. Die öffentlichkeitswirksame Inszenie- Alpen, zumindest einen Teil ihres Studiums an den grossen rung anatomischer Kenntnisse war dagegen weitgehend den Universitäten des Südens zu absolvieren. studierten Ärzten vorbehalten. So hatte Platter in Montpellier vielfach Gelegenheit, an Die Anatomie an der Universität Basel steht stellvertre- Sektionen teilzunehmen, an offiziellen wie auch an verbote- tend für diese Entwicklungen und trieb sie ihrerseits voran. nen, die an heimlich ausgegrabenen Leichen vorgenommen 12 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 13 Neue Sicht auf den Körper: Aus einem Werk von Andreas Vesal (Bild: Rare Books and Special Collections, University of Sydney Library).
wurden. Nach der Rückkehr nach Basel als 21-Jähriger betä- und führte einen anatomischen Demonstrationskurs durch. Befunde systematisch mit der praktischen Medizin. Das neue tigte er sich erfolgreich als Harnschauer und belegte so seine 1589 wurde ihm die neu geschaffene Professur für Anatomie anatomische Wissen hatte vorerst nur geringe Relevanz für Fähigkeit, das Geschehen im Körperinneren zu entschlüsseln. und Botanik verliehen, und im selben Jahr richtete man im die ärztliche Praxis am Krankenbett. Wenn ein Arzt einen Doch vor allem mit der Anatomie konnte er sich, wie zuvor Unteren Collegium ein ständiges «anatomisches Theater» scharfen, galligen Saft oder einen trüben, aus dem Bauch- Vesal, als Kenner des menschlichen Körpers auch öffentlich ein. Die Anatomie war damit in Basel fest institutionalisiert. raum aufsteigenden Dampf als Ursache einer Krankheit aus- in Szene setzen. Als 1559 ein Dieb hingerichtet werden sollte, Basel war eine der ersten Universitäten nördlich der Al- gemacht hatte, genügte für die Behandlung die grobe Kennt- erwirkte er die Erlaubnis, die Leiche öffentlich zu sezieren. pen, die einen umfassenden anatomischen Unterricht bot. nis der wichtigsten Organe und ihrer Lage. Sie wurde in die Elisabethenkirche gebracht, in der eine drei- Allerdings wurde er nicht immer regelmässig durchgeführt Platter und Bauhin erhoben anatomische Befunde nicht tägige öffentliche Sektion folgte, vor Ärzten, Chirurgen und, – ob wegen Bauhins ausgedehnter ärztlicher Praxis oder dem nur am gesunden Menschen, sondern gerade auch bei Kran- wie Platter schrieb, «vil volck». Mangel an Leichen, lässt sich nicht mehr entscheiden. Später ken, und fanden immer wieder Veränderungen an Organen Nach der Sektion präparierte Platter das Skelett, das später verpflichtete man das Spital, jährlich ein bis zwei Leichen an und festen Teilen. Platters Werk ist reich an Fällen, in denen jahrzehntelang in einem Kasten in seiner Stube stand, offen- die Anatomie abzugeben; im Gegenzug sollten die Profes- er auch den pathologisch-anatomischen Befund post mortem bar dort also, wo er auch Patienten, Angehörige und Boten soren im Turnus das Spital kostenlos versorgen. Doch dies beschreibt. Die Bedeutung dieser Verbindung von Anatomie, empfing. Diese Selbstinszenierung verhalf dem jungen Arzt hatte nur begrenzten Erfolg, und Bauhin lehrte die Anatomie Pathologie und Klinik scheint auch Zeitgenossen bewusst ge- nach eigenen Worten zu grossem Ruhm. Weitere öffentliche meist anhand von Tiersektionen. wesen zu sein. So erscheint Platter als erfolgreicher Praktiker, Sektionen Platters sind später nur vereinzelt überliefert, doch Als anatomischer Schriftsteller trat Bauhin sehr ausge- der etwa das ganze Spektrum der Frauenkrankheiten kannte führte er nach eigenen Angaben vor einem kleinen Kreis über dehnt in Erscheinung. Schon seine «Anatomica corporis und es auch verstand, die Ursache eines Leidens an der Leiche 50 Sektionen durch. 1583 veröffentlichte er sein einziges ana- virilis et muliebris historia» erlebte mehrere Auflagen. Am aufzuzeigen. Möglicherweise ist Bauhins nachdrückliches tomisches Überblickswerk, die «De corporis humani struc- bekanntesten wurde er durch sein umfangreiches «Theatrum Bekenntnis zu Galen auch vor diesem Hintergrund zu sehen. tura et usu libri III». Damit inszenierte er sich auch hier als anatomicum» von 1605. Mit über 1300 Seiten, weit über 100 Als Grundlage für eine theoretisch ambitionierte ärztliche Nachfolger Vesals. Abbildungen, zahllosen Belegstellen aus der älteren und jün- Praxis war dessen Werk noch immer ungleich wertvoller als Platter veröffentlichte 1583 die älteste bekannte Abbil- geren Literatur, einem ausführlichen Index und Erklärungs- jenes Vesals, der sich kaum mit all den Krankheiten und ih- dung eines weiblichen Skeletts, um die Unterschiede zum tafeln bot es, in Albrecht Burckhardts Worten, «das erste rer Behandlung befasst hatte, mit denen es die Ärzte täglich männlichen darzustellen. Manche davon waren bereits von handliche und doch vollständige Lehrbuch der Anatomie». zu tun hatten. älteren Autoren erwähnt worden, etwa das breitere weibliche Die Bedeutung der stark von Vesal beeinflussten Abbil- Nicht ihre Entdeckungen, sondern ihre erfolgreichen Be- Becken. Doch Platter fügte aus eigener Beobachtung weitere dungen für den Erfolg seines «Theatrum» steht in bemer- mühungen, die Anatomie für den gewöhnlichen praktischen Unterschiede hinzu. So sei die vordere Verbindung der bei- kenswertem Kontrast zu den kritischen Äusserungen Bau- Arzt zu vermitteln, bilden wohl das entscheidende Charakte- den Schambeinäste bei der Frau kürzer und mit einem di- hins über Vesal. Er wollte die Anatomie wieder verstärkt auf ristikum und das wirkmächtige Erbe der Basler Anatomie. cken Knorpel gefüllt, der eine gewisse Dehnung erlaube, was die antiken Autoritäten, allen voran auf den griechischen die Geburt erleichtern sollte. Weiter schrieb er, die Rippen Arzt und Anatomen Galen, gründen. Diesen verdanke Vesal verknöcherten bei der Frau viel früher als beim Mann, um die meisten wahren Erkenntnisse, monierte Bauhin. die Last der weiblichen Brüste tragen zu können. Neues Körperbild Viele der von Platter «entdeckten» Merkmale des weib- Der Ruhm von Platter und Bauhin trug entscheidend zur lichen Skeletts halten heute einer empirischen Überprüfung Anziehungskraft der Basler Medizinischen Fakultät im aus- nicht stand. Das damalige ärztliche Interesse an dessen be- gehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert bei. Später verlor sie sonderen Merkmalen und jenen der weiblichen Geschlechts- ihre Führungsstellung, sicher auch bedingt durch die verhee- organe ist jedoch bemerkenswert, in einer Zeit, in der die renden Seuchenzüge und den Dreissigjährigen Krieg. Platters Frau vielen Gebildeten noch als eine minderwertige, unvoll- und Bauhins Einfluss wirkte allerdings noch lange weiter. kommene Spielart des Mannes galt. Ein wesentliches Motiv Zwar hatten sie sich nur beschränkt durch anatomische Ent- dafür scheint die wachsende Erkenntnis der damaligen Ärzte deckungen hervorgetan: Die Strukturen, die sie nach eigener gewesen zu sein, dass Frauen nicht nur als (potenzielle) Pa- Darstellung als Erste gefunden hatten, waren schon zuvor be- tientinnen, sondern auch durch ihre innerfamiliäre Torhü- schrieben worden oder hielten einer späteren Prüfung nicht terfunktion in Gesundheitsdingen entscheidende Bedeutung stand. Aber sie gaben mit ihren Werken dem anatomischen für den Erfolg ihrer Praxen hatten. Wenn ihr Körper sich von Unterricht eine solide Grundlage. Bauhin spielte zudem eine dem des Mannes unterschied, waren auch besondere Kennt- Schlüsselrolle in der Vereinheitlichung der anatomischen nisse für ihre Behandlung nötig, wie Platter sie auch mit ent- Nomenklatur. sprechenden Fallgeschichten unter Beweis stellte. Platter und Bauhin sahen wie andere zeitgenössische For- Fest institutionalisiert scher die Anatomie als einen Weg, die Weisheit und Vorse- Auch der Platter-Schüler Caspar Bauhin studierte im Aus- hung des Schöpfers am komplizierten und zielgerichteten land, so in Padua, wo er bei öffentlichen Sektionen zusah Bau des menschlichen Körpers aufzuzeigen. Dieses Element und selbst dabei mitwirkte. Nach seiner Rückkehr nach Basel spielt jedoch in ihren Werken eine vergleichsweise beschei- übernahm er 1582 zunächst die Professur für Griechische dene Rolle. Die zentrale Bedeutung, die sie der Anatomie Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg ist Professor am Institut für Ge- Sprache, begann aber bald öffentliche Sektionen abzuhalten zuwiesen, lag woanders: Sie verknüpften die anatomischen schichte der Medizin der Universität Würzburg. 14 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 15
Präzedenzen, Promotionen und Patrone: Frühe Gelehrtenkultur Die akademische Welt der Frühen Neuzeit mit ihren Ritualen und ihrer Sozialstruktur mag uns heute fremd erscheinen. Gewisse Elemente davon konnten sich an der Universität Basel besonders lange behaupten. Marian Füssel Die alteuropäischen Universitäten unterschieden sich in ihren Die Bewertung der Familienuniversität war lange mit Vor- sozialen Reproduktionsmechanismen kaum von ihrer Um- behalten verknüpft, die bei der Kritik am akademischen Filz welt: Verwandtschaft, Patronage und Klientelbeziehungen dessen Funktionalität leicht übersahen. Wenn auch wieder- regulierten auch hier weitgehend die Selbstergänzung. Man holt intellektuell minderbemittelte Söhne ihren Vätern auf spricht von Familien-, Netzwerk- oder Landeskinderuniver- die Lehrstühle folgen konnten, so wurde doch gleichzeitig sitäten, je nachdem, welche soziale Konfiguration dominierte. auch die Weitergabe von kulturellem Kapital, etwa in Form In Basel dominierte der Typus der «Familienuniversität», ja, von Buchbesitz, enorm erleichtert und die Kommunikation die Universität gilt in Mitteleuropa als eines der eindrucks- wissenschaftlicher Lehren und Ideen zum Teil befördert. vollsten Beispiele dafür. So gab es hier um 1666 angeblich nur Ebenso wurden die familiären Formen der sozialen Repro- einen Professor, der nicht mit allen andern verwandt war. duktion des Gelehrtenstands in der Moderne lediglich von Familien wie die Amerbach, Bernoulli, Burckhardt, Buxtorf, andern Formen der Lehrer-Schüler-Beziehungen und der Iselin, Merian oder Zwinger kontrollierten über Jahrhun- Schulbildung, Zugehörigkeit zu Assoziationen usw. abgelöst derte die Lehrstühle. Die Linien dieser Familien kreuzten und überformt. sich immer wieder mit jenen anderer Gelehrtengeschlechter. Hörner abschlagen Bestechung, Verwandtschaft und Klientelismus waren dabei Ein anderes soziales Organisationsprinzip der Universität so ausgeprägt, dass sich dies Ende des 17. Jahrhunderts auch als Korporation bildete die Rangordnung. Angefangen vom auf eine Reform des Berufungsverfahrens auswirkte. Bei der Rektor an der Spitze, gliederte sich die Universität streng Berufung bzw. Wahl eines Professors hatte der Rat der Stadt hierarchisch über die vier Fakultäten von Theologie, Ju- ein wichtiges Mitspracherecht, zusätzlich zum 14-köpfigen risprudenz, Medizin und Philosophie bis zu den einzelnen Senat der Universität waren vier sogenannte Deputaten des Ämtern der sogenannten Universitätsverwandten wie Reit-, Rats beteiligt, und jede Entscheidung musste noch durch den Fecht- und Tanzlehrern, Schullehrern oder Pfarrern. Die kleinen Rat bewilligt werden. Präzedenz, also die Frage, wer vor oder neben wem ging, Familiäre Strukturen stand oder sass, führte dabei über Jahrhunderte immer Um die allgegenwärtige Vetternwirtschaft ein wenig zu redu- wieder zu Streitigkeiten, vor allem etwa wegen der Hierar- zieren, wurde 1688 das sogenannte Ballotage-Verfahren ein- chie der Fakultäten. Eine dezidierte Kritik daran übte der geführt, eine geheime Wahl mittels Kugeln. Doch auch damit Mathematiker Jakob Bernoulli in einem 1691 der Univer- konnte der Übermacht der familiären Strukturen kaum ent- sität anonym vorgelegten Memorial. Dabei reflektierte er gegengewirkt werden: Erst als man im 18. und vor allem im auch das System des sogenannten «Aufrückens»: An einer 19. Jahrhundert dazu überging, Professoren aus dem Ausland vormodernen Universität war es nämlich üblich, bei Bedarf zu berufen, transformierte sich die Struktur der Familien- und Qualifikation die Karriereleiter von der untersten phi- zur Netzwerkuniversität und zu Formen der Schulpatrona- losophischen bis zur obersten theologischen Fakultät bei ge. Angesichts des Nepotismus wundert es wenig, dass die Freiwerden einer Position «aufzurücken», auch über die Professuren im 18. Jahrhundert wiederholt zum Gegenstand Fakultätsgrenzen hinweg. Erst im 18. Jahrhundert kam es zu der Universitätssatire wurden. So veröffentlichte etwa Karl einer stärkeren disziplinären Verfestigung und Ausdifferen- Heinrich Heydenreich 1798 den «Vorschlag eines Patrioten, zierung bei gleichzeitiger Formalisierung der Rangverhält- die Professuren auf Universitäten erblich zu machen». nisse. Akteure der Universität im 17. Jh. (Bilder aus: Alfred R. Weber, Was man trug anno 1634. Die Basler Kostümfolge von Hans Heinrich Glaser, Basel 1993). 16 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 17
Wer in Basel Student werden und das akademische Bürger- Promotio und dem Essen. Über den komplexen Ablauf eines ihren Platz hinter dem kleinen Rat und vor den Sechsern der immer wieder in Konflikten niederschlagen. Dass die zere- recht erlangen wollte, musste neben der Immatrikulation ein solchen Graduierungsrituals in Basel sind wir durch die Au- Zünfte einnehmen durften, doch als der Rat anlässlich des moniellen Rangkonflikte in Basel gerade im ausgehenden klassisches Initiationsritual durchlaufen: die sogenannte De- tobiografie des Arztes Felix Platter detailliert informiert, der Begräbnisses eines Deputaten beschloss, die Zunft, der die- 17. Jahrhundert immer wieder eskalierten, deckt sich auch position. Der an mitteleuropäischen Universitäten seit dem 1557 promoviert wurde. Vor allem der Doktorschmaus gestal- ser angehört hatte, vor der Universität gehen zu lassen, legte mit Befunden aus andern Universitäten. Anders aber als an Spätmittelalter übliche Brauch diente dazu, die künftigen tete sich als enormer Kostenfaktor, unter anderem wegen der diese 1691 ein umfangreiches Memorial vor, um ihren Rang einer Landesuniversität, ergab sich in Basel kein Dreiecksver- Studenten auf die Normen der Korporation einzuschwören. vielen Pflichteinladungen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts einzuklagen. Als die Universität 1760 ihre dritte Säkularfei- hältnis zwischen Landesherrn, Stadt und Universität, son- Ursprünglich aus einer Gebühr für die Bursen entstanden, weitete sich der Umfang der Festmähler weiter aus, bis im er zelebrierte, waren der Bürgermeister Samuel Merian und dern der Rat als Entscheidungsinstanz des Konflikts war hier entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert ein komplexes 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Sparsamkeit und auf- der Dreizehnerrat Balthasar Burckhardt nicht bereit, hinter gleichzeitig Partei. Die Universität bildete einen privilegier- symbolisches Verfahren. Im Zentrum stand das Abschlagen geklärter Schlichtheit, der Brauch in Basel offensichtlich all- dem Rektor zu gehen, was dazu führte, dass die Häupter der ten Personenverband, der über seine soziale Statuswahrung von zuvor aufgesetzten künstlichen Hörnern («depositio cor- mählich ausser Gebrauch kam. Feierlichkeit fernblieben. Die Stadt wurde allein durch den nach aussen ebenso wachte wie über den ordo differentiae nuum»). In Basel vollzog man die Prozedur unter Anwesen- Das zentrale Einsetzungsritual, mit dem sich die ganze greisen Oberzunftmeister Johann Rudolf Faesch (geb. 1680) im Inneren. Der Zugang zum Kreis der akademischen Bürger heit des Dekans und weiterer Mitglieder der Philosophischen Korporation der Öffentlichkeit präsentierte, war der Wechsel repräsentiert. war dabei weniger an intellektuelle Kompetenz als an öko- Fakultät sowie Pedell und Depositor, den der Senior des des Rektorats, der meist halbjährlich erfolgte. Auch in Basel Zu den im Alltag sichtbarsten Standeszeichen der Aka- nomische Potenz und einen standesgerechten Lebenswandel Alumneums stellte. Die angehenden Studenten hatten neben war der Rektor der oberste Repräsentant der Universität und demiker gehörte die Kleidung. Mit dem Dienstantritt ver- geknüpft. Trotzdem zählen zahlreiche Professoren der Uni- den Hörnern bestimmte Kleidungsstücke wie etwa Ochsen- wurde aus der Mitte des akademischen Senats, Regenz ge- pflichtete sich ein Professor, die akademische Amtstracht zu versität Basel in der Wissenschaftsgeschichte noch heute zu häute und allerlei symbolische Accessoires zu tragen, etwa nannt, gewählt. Wichtiger Bestandteil der Rektoratswechsel tragen: «Habit und Krös», ein schwarzes Gewand mit Mühl- den Gelehrten von Weltruhm. überdimensionierte Zähne. Diese Gegenstände wurden dann waren die Essen, die sich zwar immer wieder der Kritik der steinkragen. Auf dem Kopf trugen die Professoren ähnlich vom Depositor in grober Manier, die bis zu physischer Ge- reformierten Geistlichkeit ausgesetzt sahen, aber im 16. Jahr- wie die Ratsherren den hohen, spitzen Baselhut. Ab der zwei- waltanwendung reichen konnte, mithilfe übergrosser höl- hundert auch ein zentrales Ereignis zur Verhältnisbestim- ten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheint dieser zunehmend von zerner Sägen, Beile, Hobel und Bohrer entfernt. mung von Universität und Bürgerschaft bildeten. einem «Biret» genannten Doktorhut abgelöst worden zu sein. Die begleitende Rede des Dekans sollte den Kandidaten Der Festtag begann mit einem feierlichen Umzug durch Zuweilen bedienten sich die Professoren dennoch auch mo- den Sinn des Rituals und seiner Symbole erläutern. Die die Stadt, gefolgt von einem Theaterspiel und dem mittäg- discher Kleidung. Die akademischen Insignien im engeren Studenten wurden zu Gehorsam, Fleiss und tugendhaftem lichen Festmahl. Mit einer universitären Festrede des neuen Sinn von Rechtssymbolen unterteilten sich in die «insignia Lebenswandel ermahnt. Das Abschlagen der Hörner wur- Rektors wurde einige Tage später das neue akademische Jahr rectoralia» – Szepter, Siegel, Matrikel und Becher – und die de als symbolisches Ablegen schlechter Sitten und schlech- begonnen. Unter den Gästen der Rektoratsessen befanden «insignia doctoralia». Keine Insignien waren die sogenann- ten Lebenswandels gedeutet, die Werkzeuge als Symbole sich neben den Universitätsangehörigen als soziale Grup- ten «Bulgen», grosse Zinnkannen, mit denen bis zu 50 Liter für die alleinige Wirksamkeit ihres Gebrauchs, welche die pen auch die Buchdrucker, Angehörige des für Kirchen- und Wein zu den akademischen Gastmählern gereicht werden Studierenden daran gemahnte, sich nicht wie rohe Klötze Schulangelegenheiten zuständigen Ministeriums sowie Ver- konnten. Die Zeichen der Doktorwürde bestanden aus einem und Steine zu verhalten, sondern ihren Verstand aktiv mit treter der städtischen Obrigkeit. Das Mahl stiftete Gemein- geschlossenen und einem offenen Buch, einem Ring, einem Wissen und Künsten zur Ehre Gottes und zum Wohle der schaft, erlaubte der Universität, sich in der städtischen Öf- Gürtel und einem Hut. Menschen zu bilden. Erst dann erfolgte durch den Dekan die fentlichkeit zu repräsentieren, und bot die Möglichkeit zum Soziale Abschliessung Einschreibung in die Matrikel der Philosophischen Fakultät informellen Austausch zwischen unterschiedlichen gesell- Rituale, Rangordnungen und soziale Reproduktion an der und die Vereidigung. Das Verfahren kostete den Studenten schaftlichen Gruppen. Die Amtsübergabe vollzog sich dann Basler Universität der Frühen Neuzeit lassen sowohl Gemein- ein Pfund. Schon früh regte sich nicht zuletzt wegen der wenige Tage später als feierliche Investitur mit Szepterüber- samkeiten als auch Besonderheiten im Vergleich zu andern Kosten Widerstand gegen das Ritual, aber erst zu Beginn des gabe. Nach einer Rechnungsprüfung und der Entlastung des Universitäten deutlich werden. Einzelne Elemente haben sich 18. Jahrhunderts gingen die Universitäten flächendeckend scheidenden Rektors übergab dieser seinem Nachfolger das hier länger gehalten und waren intensiver ausgeprägt. Ritu- dazu über, den Brauch abzuschaffen und wieder auf die Ge- Szepter, die Matrikel und die anderen Handschriften, die der ale wie die Deposition retteten sich über die Zeit, und auch bühr zu reduzieren. In Basel hielt sich die Deposition noch jeweilige Rektor bei sich zu Hause hatte, ferner die Kasse und der soziale Habitus der Professoren wie die internen akade- vergleichsweise am längsten – erst 1798 schaffte man sie hier andere Gegenstände. Am folgenden Sonntag kündigte der mischen Berechtigungssysteme weisen deutliche Kontinui- endgültig ab. Die Gründe für das Überdauern waren offen- neue Rektor seine öffentliche Antrittsrede an. Am Dienstag täten auf. Im Hinblick auf ihre interne Sozialstruktur kann sichtlich vor allem ökonomischer Natur, verlor die Philoso- darauf versammelten sich die Professoren und zogen, ange- die Universität Basel als besonders markantes Beispiel für phische Fakultät doch damit die Gebühreneinnahmen. führt vom Pedellen mit dem Szepter, in den Doktorsaal des den sozialen Abschliessungsprozess des Akademikerstandes Ritterschlag des Geistes Münsters, um dort vor den versammelten Universitätsbür- gelten. Über Ehen vernetzte sich die Professorenschaft der Einen der Höhepunkte der akademischen Festkultur bildete gern die Verlesung der Universitätsstatuten vorzunehmen, Basler Familienuniversität ebenso mit der städtischen Füh- die Promotion zum Magister oder Doktor. Mit dem Doktor- auf die dann die Rektoratsrede folgte. rungsschicht wie vor allem untereinander. Dazu mag auch titel erwarb der Kandidat nicht nur das Recht, an einer Uni- Alle Bediensteten und verheirateten akademischen Bürger die Isolation in einem protestantischen Stadtstaat wie Basel versität zu lehren, sondern erhielt auch einen Titel, der ihm hatten analog zu den Zünften der Stadt und der Universität beigetragen haben, der über eine begrenzte soziale Fluktuati- einen hervorgehobenen ständischen Rang verlieh und selbst- jedes Jahr einen Treueeid zu leisten. Angesichts der Abhän- on verfügte und das Fernhalten Fremder begünstigte. verständlich nicht umsonst zu erlangen war. Basel bildete im gigkeit der Universität und ihrer Angehörigen von der Stadt Gerade im Verhältnis zur Stadt lag dabei jedoch auch Gebiet der heutigen Schweiz die einzige Hochschule mit Pro- nimmt es wenig wunder, dass sich diese Asymmetrie auch eine gewisse Besonderheit, denn es gab im deutschspra- motions- und Graduierungsrecht. Eine Graduierung vollzog im Zeremoniell manifestierte. So stritt die Universität lange chigen Raum nur wenige Universitäten, die als städtische Prof. Marian Füssel ist Heyne-Juniorprofessor für Geschichte der Frühen sich hier idealtypisch in sieben Schritten: der Censura, dem mit der städtischen Obrigkeit um ihren Rang. Der Rat ge- Gründungen dem kommunalen Gemeinwesen so eindeutig Neuzeit mit Schwerpunkt Aussereuropäische Geschichte an der Universität Tentamen, dem Examen, der Professio, der Disputatio, der währte ihr zwar, dass Professoren, Pfarrherren und Diakone unterstellt waren. Dieses Gefälle musste sich zwangsläufig Göttingen. 18 UNI NOVA 114 / 2010 UNI NOVA 114 / 2010 19
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