550 Jahre Universität Basel - Universität Basel

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550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
550 Jahre
U N I N OVA   W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I TÄT B A S E L   114 – A p r i l 2 010

Universität
Basel
Erfolgreiche Gründung,
internationale Bedeutung
Die frühe Basler Anatomie
Frauenstudium
Der grosse Umbau
Von Jubiläen und Feiern
Das Universitätsarchiv

Fragen nach dem Minarettverbot
Robert Walser digital
Eine Forscherin mit Bodenhaftung
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Editorial                                                        Inhalt
Die Schweizerische Post
gratuliert
zum Jubiläum                                                                                                               In eigener Sache
                                                                                                                           Sie ist mit grossem Abstand die älteste der Schweiz:
                                                                                                                                                                                        Schwerpunkt 550 Jahre Universität Basel
                                                                                                                                                                                        Daten zur Universitätsgeschichte                                   6
                                                                                                                           Die Universität Basel kann auf stolze fünfeinhalb Jahrhun-
                                                                                                                                                                                        1460–1560: Von der erfolgreichen Gründung                          8
                                                                                                                           derte wissenschaftlicher Lehre und Forschung zurück-
                                                                                                                                                                                        zu internationaler Bedeutung
                                                                                                                           blicken. Waren es nach der Eröffnung nur 227 Studenten       Die ersten 100 Jahre
                                                                                                                           und Dozenten an vier Fakultäten, sind es heute rund 12’000
                                                                                                                                                                                        Die Basler Anatomie in der Frühen Neuzeit                          12
                                                                                                                           Studierende, über 300 Professorinnen und Professoren         Vesal, Platter, Bauhin
                                                                                                                           sowie rund 1600 weitere Dozierende an sieben Fakultäten.
                                                                                                                                                                                        Präzedenzen, Promotionen und Patrone                           16
                                                                                                                           Die Geschichte verlief dabei nicht immer geradlinig:         Frühe Gelehrtenkultur
                                                                                                                           Neben Zeiten des Aufschwungs und der Stagnation kam es
                                                                                                                                                                                        Langer Schatten der Historischen Schule                        20
                                                                                                                           mehrmals zu existenziellen Krisen, so etwa in der Zeit der   Wirtschaftswissenschaften in Basel
                                                                                                                           Reformation im 16. Jahrhundert oder nach der Kantons-
                                                                                                                                                                                        Schon früh verspätet                                           24
                                                                                                                           teilung der beiden Basel 1833. Spitzenleistungen in vielen   Frauenstudium in Basel
                                                                                                                           Forschungsgebieten trugen über Jahrhunderte immer
                                                                                                                                                                                        Der grosse Umbau                                               28
www.post.ch/philashop                                                                                                      wieder zum hervorragenden Ruf der Universität Basel bei      Autonomie und weitere Trägerschaft
Telefon 0848 66 55 44                                                                                                      – sie gehört heute je nach Ranking zu den 100 besten
                                                                                                                                                                                        Jubiläen und andere Feiern                                     31
                                                                                                                           Hochschulen der Welt. Als schweizerisches Unikum wird        Feste als geschichtsbezogene Wir-Anlässe
                                                                                                                           sie von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft
                                                                                                                                                                                        Das Universitätsarchiv                                         34
                                                                                                                           gemeinsam getragen.                                          Vom Szepter bis zu Computerdateien
                                                                                                                              Das 550-Jahr-Jubiläum der Universität Basel bildet denn
                                                                                                                                                                                        Eine Website zur Universitätsgeschichte                        37
                                                                                                                           auch den Schwerpunkt dieses Hefts. Nach einem chronolo-
                                                                                                                           gischen Überblick werden ein paar der zahlreichen Facet-     175 Jahre Freiwillige Akademische Gesellschaft                 38
                                                                                                                           ten der langen Geschichte herausgegriffen und eingehen-
                                                                                                                           der beleuchtet. Bei einigen Beiträgen handelt es sich um     Forschung
                                                                                                                           gekürzte Fassungen von Artikeln, die in der neuen Online-    Zoologie
                                                                                                                           Geschichte der Universität (www.unigeschichte.unibas.ch)     Für wen die Nachtigall singt                                   40
                                                                                                                           erscheinen. Dort findet sich eine Fülle von weiteren In-     Wissenschaftliche Fotografie
                                                                                   Mehr                                    formationen und Materialien von den Anfängen um 1460         Arbeit mit digitalen Manuskripten:                             42
                                                                                   Kultur                                  bis zur jüngsten Zeitgeschichte der Basler «Alma mater».     Beispiel Robert Walser

                                                                                   pro Gramm                               Mit dieser Ausgabe präsentiert sich das Wissenschaftsma-
                                                                                                                           gazin ausserdem in veränderter Gestaltung: Nach fast
                                                                                                                                                                                        Christine Alewell
                                                                                                                                                                                        Eine Forscherin mit Bodenhaftung                               44
                                                                                   programmzeitung.ch
                                                                                                                           zehn Jahren hat UNI NOVA ein neues Layout bekommen.
                                                                                                                           Wir setzen damit die Anliegen der Leserinnen und Leser       Rubriken
                                                                                   Wissen, was kulturell läuft             um, die an der Umfrage vom März 2009 teilgenommen            Editorial In eigener Sache                                         3
                                                                                   Lassen Sie sich monatlich auf rund      haben. Weit über die Hälfte äusserten sich dabei insgesamt   In Kürze Springkraut, Auswahl, Infektionen                         4
                                                                                   80 Seiten vom vielfältigen
                                                                                                                           zwar zufrieden mit der Zeitschrift, es gab aber auch ver-    Im Interview Idris Kiwirra zum Minarettverbot                      5
                                                                                   Kulturangebot im Raum Basel verführen
                                                                                                                           einzelte Kritik an der Gestaltung. Aus der Stichprobe der    Kolumne von Helma Wennemers Lechts und rinks                   39
                                                                                                                           Leserinnen und Leser wurde im Ganzen deutlich, dass          Bücher Neuerscheinungen zum Jubiläum                           47
                                                                                                                           das Wissenschaftsmagazin inner- und ausserhalb der Uni-      Uni Basel im Web Wetter, Histologie, Bibliotheken              48
                                                                                                                           versität von einem sehr interessierten, aber auch kriti-     Webtipp Thomas Lambrecht, Zahnmediziner                        49
                                                                                                                           schen Publikum gelesen wird. In diesem Sinn sind wir ge-     Termine, Impressum                                             50
                                                                                                                           spannt auf Ihre Reaktionen auf das neue Heft!

                                                                                                                           Christoph Dieffenbacher, Redaktion UNI NOVA
                                                                                   Abobestellung
                                                                                   Jahresabo, 11 Ausgaben, CHF 69.—
   2   UNI NOVA 114 / 2010                                                         Ausbildungsabo, 11 Ausgaben, CHF 39.—                                                                                                             UNI NOVA 114 / 2010   3
                                                                                   Schnupperabo, 3 Ausgaben, CHF 10.—

                             Film | Musik | Kunst | Theater | Literatur | Tanz …   abo@programmzeitung.ch
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
In Kürze                                                                                                                     Idris Kiwirra im Interview

                                                                                                                                «Kaum differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam»

Springkraut hindert Buchenwachstum       Ist zu viel Auswahl schlecht?                 Wundinfektionen nach Operationen           Wie steht die Schweiz nach dem Ja zum Minarettverbot den Angehörigen des Islam gegenüber? Antworten von Idris
                                                                                                                                  Kiwirra, Islamwissenschaftler. Interview: Christoph Dieffenbacher
Das eingewanderte Drüsige Spring-        Sind wir bei Entscheidungen mit zahl-         Wundinfektionen nach Operationen
kraut unterdrückt das Wachstum           reichen Möglichkeiten überfordert und         gehören zu den häufigsten Infektionen      Wie sieht es mit der Bedeutung des Islam in der Schweiz             deutet werden. Es ist vielmehr ein Beweis dafür, wie mani-
von Jungbuchen, wie Forschende des       können uns allzu viele Optionen läh-          in Spitälern, verdoppeln im Durch-         heute aus? Etwa 5% der Schweizer Bevölkerung ist musli-             pulierbar Menschen sind, sogar in einer Gesellschaft, in der
Instituts für Natur-, Landschafts- und   men? Der Hypothese des sogenannten            schnitt die Aufenthaltsdauer der Pati-     misch. Die Mehrheit der Muslime in diesem Land kommt                sie ausreichend Zugang zu Informationen und durchaus die
Umweltschutz (NLU) der Universität       «Choice overload» ist der Wirtschafts-        enten und können zu Todesfällen            aus Europa, etwa aus Staaten wie der Türkei, Albanien, Bos-         Möglichkeit haben, ja sogar fähig sind, rational und kritisch
Basel zeigen konnten. Die Pflanze war    psychologe Dr. Benjamin Scheibehenne          führen. Eine Studie von Prof. Andreas      nien oder dem Kosovo. Die Muslime in der Schweiz bilden             zu denken. Bei dieser Abstimmung ging es meiner Meinung
als Zierpflanze aus Asien nach England   von der Universität Basel mit Kollegen        F. Widmer von der Klinik für Infek-        keine Einheit. Der Bezug zum jeweiligen Herkunftsland ist in        nach nicht um das Minarett, sondern darum, einem Gefühl
und darauf in europäische Gärten         aus Deutschland und den USA nachge-           tiologie & Spitalhygiene am Universi-      der Regel stärker als jener zu einer Religionsgemeinschaft. In      der Angst, der Unsicherheit, des Misstrauens gegenüber dem
gelangt. An Bach- und Flussufern und     gangen. Dazu wurde eine Metaanalyse           tätsspital Basel sowie der Chirurg PD      keinem Kanton ist die islamische Gemeinschaft als Körper-           Islam und den Muslimen Ausdruck zu verleihen. Radikale is-
in Wäldern breitet sie sich stark aus.   von 50 Experimenten mit über 5000             Dr. Walter Weber haben Erkenntnisse        schaft, mit dem Status einer Landeskirche, anerkannt.               lamische Gruppierungen verfolgen eigene Interessen, agieren
NLU-Forschende richteten ein Feldex-     Teilnehmenden durchgeführt. Resultat:         zusammengetragen, die das Risiko           Der Islam wird in unserer Gesellschaft häufig mit dem Isla-         nicht im Namen der Muslime und schon gar nicht im Namen
periment mit drei Gruppen von Un-        Der mittlere Effekt eines «Choice             dieser Infektionen vermeiden helfen.       mismus, mit Intoleranz, (Frauen-)Unterdrückung und gar mit          des Islam.
tersuchungsflächen in einem Wald ein:    overload» über alle Studien war gleich        So können eine gut organisierte            Terrorismus in Verbindung gebracht – wie ist es zu dieser           Soll der Islam in westlichen Gesellschaften stärker integriert
Flächen mit Springkraut, Flächen, in     null. Zwar fanden einige einen starken        Überwachung (Surveillance) und ein         Entwicklung gekommen? Das aktuelle «Feindbild Islam» im             werden – wie am idealsten? Im Artikel 8 der schweizerischen
denen es regelmässig entfernt wurde,     Effekt, meist gab es aber keine empi-         konstruktives Feedback an die Ope-         Westen ist hauptsächlich ein Produkt der Medien und der          Bundesverfassung heisst es, dass niemand diskriminiert wer-
und Flächen, die nicht davon besiedelt   rischen Belege für eine Überforderung.        rierenden eine Reduktion dieser            populären Literatur von sogenannten Experten. Eine wirk-         den darf, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse,
waren. Beobachtet wurde das Auf-         Dass eine zu grosse Auswahl demo-             Komplikation um 30% bewirken.              lich differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam, mit        des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stel-
kommen von einjährigen Buchen, die       tivierend wirkt, liess sich nicht klar        Als Risiken gelten neben den Grund-        seiner Geschichte und Kultur findet leider nur in kleinen        lung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder
überall in gleicher Dichte angepflanzt   nachweisen. Bei Nahrungsmitteln rea-          leiden der Patienten, darunter vor         Kreisen statt. Der Fundamentalismus hat seine Ursache in         politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen,
wurden. Buchen, die von Spring-          gieren Konsumenten dagegen oft                allem Übergewicht, auch vermeidbare        den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Erfahrungen       geistigen oder psychischen Behinderung. Immigrantinnen
kraut umgeben waren, hatten nach         positiv, wenn sie aus vielen Möglich-         Faktoren, so etwa eine ungenügende         der Menschen in der islamischen Welt. Wir dürfen die Reli-       und Immigranten sollen unabhängig von ihrer Religions-
einem halben Jahr 60% weniger Wur-       keiten wählen können. Vor allem wer           Antibiotika-Prophylaxe, zu wenig           gion nicht zu seiner Ursache deklarieren und ein stereotypes     zugehörigkeit die Möglichkeit erhalten, Teil der neuen Ge-
zelpilze als jene ohne die invasiven     bereits klar weiss, was er will, profitiert   Vorbereitung der Patienten und – vor       Feindbild über alles aufbauen, was islamisch oder islamisch      sellschaft zu werden, in der sie leben. Sie sollen Zugang zu
Pflanzen. Das Springkraut reduzierte     ebenfalls von einer grösseren Auswahl.        allem bei Implantatoperationen –           geprägt ist.                                                     Bildung und Arbeit erhalten und sich entfalten können. Dass
damit das Wachstum sowie die             Die Forscher konnten keine Bedin-             eine fehlende Dekolonisation von           Kann das Schweizer Ja zur Minarettverbots-Initiative als         sie dabei die Gesetze, Bräuche und Kultur ihres Gastlandes
Überlebensrate der Bäumchen, die         gungen finden, bei denen sich der             Trägern mit Staphylokokken. Am meis-       eine Antwort auf den politisch radikalen Islamismus mit          kennen, befolgen und respektieren, sollte selbstverständ-
rund 15% leichter waren und weniger      «Choice overload» verlässlich einstellt,      ten für Infektionen nach Operationen       seinem «Hass auf den Westen» inter-                                                   lich sein. Islamische Religionsgemein-
                                                                                                                                                                         Lic. phil. Idris Kiwirra (*1970 in Wad Meda-
häufig überlebten. Die ökonomi-          wann also eine Angebotserhöhung               verantwortlich ist eine Kontamina-         pretiert werden? Minarette sind keine                                                 schaften sollen als Körperschaften ge-
                                                                                                                                                                         ni, Sudan) ist Lektor für Arabisch am Orien-
schen Verluste für Forstbetriebe dürf-   mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weni-         tion der Wunde durch Mikroben; nur         Zeichen eines solchen radikalen Isla- talischen Seminar der Universität Basel. Nach setzlich anerkannt werden. Auf diese
ten beträchtlich sein, folgern die       ger Wahlmotivation führt.                     10% sind durch äussere Quellen wie         mismus, und deshalb kann die Befür- dem Grundstudium der Naturwissenschaften Weise kann der Staat die Einhaltung
Forschenden.                                                                           etwa durch das Spitalpersonal bedingt.     wortung der Initiative auch nicht als in Khartoum studierte er Islamwissenschaft und der gesetzlichen Bestimmungen besser
                                                                                                                                  Antwort auf radikale Strömungen ge- Geschichte in Basel und Bern.                     überwachen und durchsetzen.

4   UNI NOVA 114 / 2010                                                                                                                                                                                                                           UNI NOVA 114 / 2010   5
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Daten zur Universitätsgeschichte                                                                                                                        1718
                                                                                                                                                        Einführung des Loses bei Professorenwahlen.

                                                                                                                                                        1757
                                                                                                                                                                                                              1890
                                                                                                                                                                                                              Einführung des Frauenstudiums. Emilie Frey
                                                                                                                                                                                                              beginnt ihr Medizinstudium, das sie 1896
                                                                                                                                                                                                              mit dem Doktorexamen abschliesst.
                                                                                                                                                                                                                                                                1976
                                                                                                                                                                                                                                                                13. Juni: Volksabstimmung im Kanton Basel-
                                                                                                                                                                                                                                                                Landschaft, Mehrheit für eine Universitäts-
                                                                                                                                                                                                                                                                beteiligung.
                                                                                                                                                        Isaak Iselin verfasst die Schrift «Unvorgreifliche
                                                                                                                                                        Gedanken über die Verbesserung der B…schen            1910                                              1978
                                                                                                                                                        hohen Schule», nachdem immer wieder                   23. bis 25. Juni: Die Universität begeht die      Der Mikrobiologe Werner Arber erhält den
                                                                                                                                                        Diskussionen um die Reform der Universität            450-Jahr-Feier.                                   Nobelpreis.
                                                                                                                                                        geführt worden sind.
                                                                                                                                                                                                              1918                                              1979
                                                                                                                                                        1760                                                  Gründung der Studentenschaft als offizielles      Eröffnung der Senioren-Universität.
                                                                                                                                                        15. April: Die Universität begeht die dritte          Vertretungsorgan.
                                                                                                                                                        Säkularfeier.                                                                                           1980
                                                                                                                                                                                                              1919                                              17. April: Der Entwurf für ein neues Universi-
                                                                                                                                                                                                              Gründung der Volkshochschule.                     tätsgesetz findet nach achtjähriger Kommis-
                                                                                                                                                                                                                                                                sionsberatung im Grossen Rat keine Mehrheit.
                                                                                                                                                                                                              1928
                                                                                                                                                                                                              Erste Habilitation einer Frau: Elsa Mahler wird   1989
                                                                                                                                                                                                              Privatdozentin in Slawistik, ihre Nachfolgerin    Gründungsmitglied des Oberrheinischen
                                                                                                                                                                                                              Hildegard Schroeder wird 1964 erste Ordinaria.    Universitätsverbunds Eucor.

                                                                                                                                                                                                              1937                                              1991
                                                                                                                                                        1798                                                  14. Januar: Das neue Universitätsgesetz schafft   Strukturanalyse als Bedingung für eine weitere
1431 bis 1459                                      1529                                             1588                                                Die Universität wird dem Erziehungsrat unterstellt.   51 gesetzliche Lehrstühle. Neu entsteht die       Beteiligung des Kantons Basel-Landschaft,
Während des Basler Konzils wird eine eigene        Juni: Der reformierte Rat suspendiert die        Ein anatomisches Theater und ein hortus                                                                   Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät.    Einführung von Departementsstrukturen.
Konzils- und Kurienuniversität organisiert.        Universität und beschlagnahmt Szepter,           medicus (späterer Botanischer Garten) werden        1813
                                                   Siegel, Statutenbücher, Privilegienurkunden      eingerichtet.                                       Der Grosse Rat hebt die bisherigen Statuten und       1939                                              1993
1459                                               und Barvermögen der Universität.                                                                     Privilegien auf und beschliesst eine durchgrei-       Neues Kollegienhaus.                              Leitbild der Universität, Gründung des Basel-
12. November: Papst Pius II. stellt in Mantua                                                                                                           fende Reorganisation.                                                                                   bieter Fördervereins.
den Stiftungsbrief für die Universität aus.        1529 bis 1532
                                                   Interregnum: Mehrere Professoren setzen den                                                          1818                                                                                                    1996
1460                                               Unterricht fort.                                                                                     17. Juni: Mit dem neuen Universitätsgesetz ver-                                                         1. Januar: Das neue Universitätsgesetz tritt in
4. April: Eröffnungsfeier der Universität mit                                                                                                           liert die Universität ihre letzten Privilegien und                                                      Kraft: Ausgliederung aus der kantonalen
einem Gottesdienst im Basler Münster.              1531                                                                                                 wird ganz dem Staat unterstellt.                                                                        Verwaltung, Einführung der Autonomie,
                                                   Rektor Oswald Bär führt die erste öffentliche                                                                                                                                                                neue Beitragsleistung von Basel-Landschaft.
1460                                               anatomische Sektion durch.                                                                           1822
28. Mai: Der Rat stellt für die Universität den                                                     1590                                                Das Vorlesungsverzeichnis erscheint nicht mehr                                                          1997
Freiheitsbrief aus.                                1532                                             Erweiterung der Universitätsbibliothek durch        in lateinischer, sondern in deutscher Sprache.        1950                                              Gründung der Wirtschaftswissenschaftlichen
                                                   September: Mit dem Erlass neuer Statuten wird    die Integration von 2700 Büchern aus den ehe-                                                             Der Chemiker Tadeus Reichstein erhält den         Fakultät.
1460                                               die Universität dem Rat unterstellt.             maligen Klosterbibliotheken.                        1833                                                  Nobelpreis.
6. September: Die Universität verpflichtet sich,                                                                                                        Die mit der Kantonstrennung nötig gewordene                                                             2000
die von der Stadt gewährten Privilegien nicht      1532                                             1658                                                Vermögensteilung bedroht die Universität              1960                                              Eröffnung des Pharmazentrums.
zu missbrauchen.                                   November: Wiedereröffnung der reformierten       Bei Reformen werden der erste Lehrstuhl für         existenziell.                                         29. Juni bis 2. August: Die Universität begeht
                                                   Universität.                                     Geschichte geschaffen und der Logikunterricht                                                             die 500-Jahr-Feier.                               2000
                                                                                                    reorganisiert.                                      1835                                                                                                    Das 1999 im Rahmen der EU beschlossene
                                                   1539                                                                                                 9. April: Neues Universitätsgesetz.                                                                     Bologna-Studiensystem wird schrittweise
                                                   Der Rat erweitert die Selbstverwaltungs-         1660                                                                                                                                                        eingeführt. Als erste Volluniversität der Schweiz
                                                   rechte der Universität wieder und                4. April: Die Universität begeht erstmals zum       1835                                                                                                    setzt die Universität Basel die Reform auf
                                                   gliedert die Geistliche der Theologischen        200. Gründungstag ein Jubiläum.                     Gründung der Freiwilligen Akademischen Ge-                                                              Wintersemester 2006/07 um.
                                                   Fakultät ein.                                                                                        sellschaft zur Unterstützung der Universität.
                                                                                                    1661                                                                                                                                                        2003
                                                   16. Jh., 2. Hälfte                               Die Stadt kauft zuhanden der Universität das        1835                                                                                                    Gründung der Fakultät für Psychologie.
1477                                               Die Universität wird zur «Modeuniversität»       Amerbachkabinett und schafft damit die              1. Oktober: Einweihung der wieder eingerichte-
Gesamtrevision der Statuten.                       für Mediziner und Juristen mit internationaler   Voraussetzung für das erste öffentlich-städtische   ten Universität.                                      1969                                              2004
                                                   Ausstrahlung.                                    Museum.                                                                                                   Nach der Ablehnung der Wiedervereinigung          Gründung der Kinder-Uni.
1494                                                                                                                                                    1836                                                  der beiden Halbkantone müssen neue
Die Universität gerät in eine mehrjährige Krise,   1558                                             1671                                                Gründung der Akademischen Zunft.                      Formen der Mitträgerschaft und Kofinanzie-
die Reformdiskussionen führen 1507 zur             Die Bücherzensur wird vom Rat dem Rektor         Der jahrzehntelange Streit um universitäre                                                                rung für die Universität gefunden werden.
finanziellen Neuregelung des städtischen           und den vier Dekanen übertragen.                 Privilegien und Rechtsprechung endet                1851
Beitrags.                                                                                           mit der Einführung eines neuen Treueids für         Der Grosse Rat lehnt Antrag auf Aufhebung der         1971
                                                   1560                                             die akademischen Bürger gegenüber dem               Universität zugunsten einer Gewerbeschule ab.         Die Regenz (vormals reines Ordinariengremi-
1523                                               Die Bibliothek wird neu eingerichtet.            Rat.                                                                                                      um) wird zum Universitätsrat mit Vertretungen
Der Rat entzieht vier Professoren wegen An-                                                                                                             1860                                                  aller Gruppierungen.
griffen auf Anhänger der Reformation die                                                            1681                                                6./7. September: Die Universität begeht die
Besoldung und ernennt Oekolampad und Pelli-                                                         Regelmässig erscheinendes Vorlesungsverzeich-       400-Jahr-Feier.                                       1971                                              2007
kan zu Theologieprofessoren.                                                                        nis.                                                                                                      Eröffnung des Biozentrums.                        11. März: In einer Volksabstimmung stimmt
                                                                                                                                                        1866                                                                                                    der Kanton Basel-Landschaft der paritätischen
1529                                                                                                1688                                                30. Januar: Neues Universitätsgesetz mit              1974                                              Universitätsträgerschaft zu.
Wegen der Einführung der Reformation Auszug                                                         Die Professorenwahl durch geheime Wahl mit          Erhöhung der Zahl der Lehrstühle und der              Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft der
von Dozenten und Professoren nach Freiburg / Br.                                                    Kugeln (Ballotage) wird Gesetz.                     Besoldung.                                            Studierendenschaft.                               (Quelle: www.unigeschichte.unibas.ch)

6   UNI NOVA 114 / 2010                                                                                                                                                                                                                                                                      UNI NOVA 114 / 2010   7
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
1460–1560:                                                                                                                    Am 3. April 1460 überreichten Vertreter des Basler Rats
                                                                                                                              dem Bischof Johannes von Venningen die Stiftungsurkunde
                                                                                                                              der Universität, und schon am nächsten Morgen zelebrierte

Von der erfolgreichen Gründung                                                                                                dieser im Münster unter aktiver Teilnahme des gesamten
                                                                                                                              Klerus und der politischen Elite die Gründungsmesse. Am
                                                                                                                              nächsten Tag wurde der Vorlesungsbetrieb in allen vier

zu internationaler Bedeutung                                                                                                  Fakultäten (Theologen, Juristen, Mediziner und Artisten)
                                                                                                                              aufgenommen. Und bereits am 7. April 1460 gab der Rektor
                                                                                                                              Georg von Andlau die Eröffnung der Universität bekannt
                                                                                                                              und rief alle, die «die Perle der Wissenschaft erwerben» und
Nach längerer Vorgeschichte wurde die Universität Basel in nur wenigen Monaten gegründet. Trotz Konflikten und finanzi-
                                                                                                                              «vom Borne der Gelehrsamkeit» trinken wollten, zu ihrem
ellen Problemen konnte sie sich in den ersten 100 Jahren etablieren. Susanna Burghartz
                                                                                                                              Besuch auf.
                                                                                                                                 Damit kam ein auch für damalige Verhältnisse unge-
                                                                                                                              wöhnlich zügig organisierter Gründungsvorgang nur gut
                                                                                                                              fünf Monate nach der päpstlichen Privilegienerteilung zu
                                                                                                                              einem vorläufigen Abschluss. Bereits Ende Mai erliess der Rat
                                                                                                                              mit dem Freiheitsbrief Statuten für die Universität, die ihren
                                                                                                                              Angehörigen besondere Privilegien zusicherten: freies und
                                                                                                                              sicheres Geleit, Schutz und Schirm, rechtliche Gleichstellung
                                                                                                                              mit andern Universitäten, Befreiung von Zöllen, Steuern und
                                                                                                                              Abgaben, eigenes Mietrecht und eigene Gerichtsbarkeit. Am
                                                                                                                              6. September versicherten schliesslich Rektor und Universität
                                                                                                                              im Gegenzug, diese Privilegien nicht zu missbrauchen.
                                                                                                                              Gründungswelle nach Konzil
                                                                                                                              Der kurzen Gründungsphase war eine längere Latenzzeit vo-
                                                                                                                              rausgegangen: Schon während des Basler Konzils hatte sich
                                                                                                                              zwischen 1432 und 1448 eine temporäre Universität etabliert,
                                                                                                                              deren Mitglieder in der Folge die Universitätsgründung vo-
                                                                                                                              rantrieben, zunächst allerdings ihre Anstrengungen vor allem
                                                                                                                              auf Freiburg und Herzog Albrecht VI. richteten. Obwohl dort
                                                                                                                              entsprechende Vorstösse schon zu Beginn der 1450er-Jahre
                                                                                                                              erfolgten und der Stiftungsbrief des Herzogs bereits 1458
                                                                                                                              feierlich im Freiburger Münster verlesen wurde, konnte die
                                                                                                                              Nachbarstadt die eigentliche Eröffnung ihrer Universität erst
                                                                                                                              drei Wochen nach Basel realisieren. Damit gehörten beide zu
                                                                                                                              einer eigentlichen Universitätsgründungswelle, die zwischen
                                                                                                                              1456 und 1477 insbesondere den süddeutschen Raum erfasste
                                                                                                                              und in den 1450er-Jahren mit Greifswald, Freiburg, Basel
                                                                                                                              und Ingolstadt besonders dicht war. Darüber hinaus gab es
                                                                                                                              durchaus auch gescheiterte Versuche, etwa in Regensburg,
                                                                                                                              Lüneburg, Breslau und Pforzheim.
                                                                                                                                 Unmittelbar mit der Stiftung und Gründung verbunden
                                                                                                                              waren intensive Anstrengungen zur Finanzierung der neuen
                                                                                                                              Universität. Noch Ende 1459 kam es in Basel zu kontrover-
                                                                                                                              sen Diskussionen, ob eine Universitätsgründung finanziell
                                                                                                                              tragbar und wünschenswert sei: Immerhin wurden der Uni-
                                                                                                                              versität am zweiten Weihnachtstag fünf Pfründen aus den
                                                                                                                              Diözesen Konstanz, Lausanne und Basel mit einem Gesamt-
                                                                                                                              einkommen von 290 Gulden zugewiesen; die Umsetzung
                                                                                                                              dieser Inkorporation sollte sich jedoch – wie andernorts – als
                                                                                                                              schwierig erweisen. So hatte etwa auch Freiburg zunächst
                                                                                                                              grosse Mühe, die gestifteten Pfründen wirklich zu realisieren,
                                                                                                                              war aber mittelfristig erfolgreicher in der Sicherung seiner
                                                                                                                              finanziellen Mittel als Basel. Hier beliefen sich die Einnah-
                                                                                                                              men um 1500 schliesslich auf durchschnittlich fast hundert
8   UNI NOVA 114 / 2010                                                             Bewilligung von Papst Pius II.:           Gulden und deckten damit knapp ein Drittel der städtischen       UNI NOVA 114 / 2010   9
                                                                                    Siegel der päpstlichen Stiftungsurkunde   Ausgaben für die Universität.
                                                                                    der Universität Basel von 1459
                                                                                    (Bild: StaBS, Städtische Urkunde 1658).
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Anfangs hatte man trotz aller Bedenken eine grosszügigere        mation 1529 und dem ersten nach der «Wiedereröffnung» der
                           materielle Ausstattung der Hohen Schule vorgesehen und in        Universität 1532. Sie sollte am Anfang einer langen Erfolgsge-
                           den ersten Jahren vor allem für die Anstellung italienischer     schichte der Basler Anatomie stehen.
                           Juristen erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet. Offen-          Vor allem in organisatorisch-verfassungsmässiger Hinsicht
                           sichtlich hoffte man so, vor allem auch wohlhabende Stu-         erwies sich die Reformation als grundlegender Einschnitt in
                           denten anziehen zu können. Mit 226 und 228 Immatrikula-          der Geschichte der Universität. Noch kurz vor dem Tod Oe-
                           tionen, von denen noch heute die prächtigen Matrikelbücher       kolampads entstand mit dem «Judicium in schola» ein um-
                           zeugen, startete man in den ersten beiden Jahren durchaus        fangreicher Entwurf für einen Ratserlass. Und im September
                           erfolgreich, auch wenn sich die Neuimmatrikulationen schon       1532 erliess der Rat dann tatsächlich neue Statuten zur Reor-
                           bald auf einem deutlich tieferen Niveau einpendelten.            ganisation der Universität. Mit ihnen verlor die Hohe Schule
                              Mit ihren vier Fakultäten folgte die Universität Basel dem    ihre bisherige rechtliche Selbstständigkeit und wurde in den
                           nördlich der Alpen üblichen Organisationsmodell von Paris.       christlichen Staat integriert, der so die neue Lehre auch im
                           Doch kam es bereits 1462 zu Konflikten um die Rektoren-          Bereich der (Aus-)Bildung sicherstellen wollte. Konflikte
                           wahl, weil die Juristen, dem Vorbild von Bologna folgend,        gab es insbesondere wegen des neu geregelten Verhältnisses
                           einen eigenen Rektor aus der Gruppe der Studierenden wäh-        der reformierten Geistlichkeit zur Universität. 1539 gelang es
                           len wollten. Mit der Forderung nach einem eigenen Rektor         dieser, den obrigkeitlichen Einfluss ein Stück weit zurück-
                           konnten sie sich nicht durchsetzen. Künftig konnten aber aus     zudrängen und einen Teil der früheren Selbstverwaltung
                           den Reihen der Juristischen Fakultät auch Studenten zum          zurückzugewinnen. Für die Berufung der Professoren setzte
                           Rektor gewählt werden, der damals noch halbjährlich wech-        der Rat allerdings sein Mitbestimmungsrecht durch, wonach
                           selte.                                                           nur Anhänger der vom Basler Rat vertretenen reformierten
                              Der sogenannte Wegestreit, ein Richtungsstreit zwischen       Richtung berufbar waren.
                           der via moderna der Nominalisten und der via antiqua der         … und Wiederaufstieg
                           Realisten, der von Paris ausging und damals die Artistenfa-      In den folgenden Jahrzehnten kam die Universität dennoch
                           kultäten der Universitäten in Aufruhr versetzte, beschäftigte    zu internationalem Ansehen, sodass Petrus Ramus 1570 in
                           bald auch die Universität Basel. 1464/65 wurden beide Wege       einer Lobrede auf Basel die Universität rühmte, die durch
                           gleichberechtigt nebeneinander in der Artistenfakultät zuge-     die verschiedenen Sprachen und Wissenschaften den Namen
                           lassen, nicht zuletzt wohl, um mehr Studenten anzuziehen.        der Stadt in ganz Europa verbreite. Eine wichtige Rolle dafür,
                           Entsprechend wurden die Kommissionen paritätisch zusam-          dass Basel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer
                           mengesetzt und sogar je ein Schlüssel zur Fakultätskasse an      Drehscheibe im europäischen Geistesleben wurde, spielten
                           beide Richtungen vergeben; eine Trennung, die sich, nach-        nicht zuletzt Migranten, die wegen ihres Glaubens in Basel,
                           dem die Konflikte 1487 eskaliert waren, selbst überlebte und     das sich durch eine vergleichsweise grosse konfessionelle
                           1492 aufgehoben wurde.                                           Toleranz auszeichnete, zumindest vorübergehend lehrten.
                           Existenzkrisen, Unruhen …                                        Ebenso wichtig war das Interesse ausländischer Studierender,
                           Etwa zur gleichen Zeit setzte auch die erste grundsätzliche      die sich hier aus den gleichen Gründen immatrikulierten und
                           Diskussion über den Fortbestand der Universität ein. In          von den Stipendien einer Stiftung profitieren konnten, die
                           den 1480er- und zu Beginn der 1490er-Jahre waren die Im-         Bonifacius Amerbach als Testamentsvollstrecker des Eras-
                           matrikulationen so deutlich zurückgegangen, dass sich der        mus von Rotterdam aus seinem Nachlass eingerichtet hatte.
                           Rat mit der Frage nach der Weiterführung der Hohen Schule           100 Jahre nach ihrer Gründung konnte die Universität 1560
                           zu beschäftigen begann und schliesslich 1501 – im Jahr, als      endlich im Unteren Kollegium am Rheinsprung eine neue Bi-
                           Basel der Eidgenossenschaft beitrat – beschloss, «dz man die     bliothek einweihen, zu deren Eröffnung zehn repräsentative
                           Universitet nit verlossen soll». 1504 wurde sie auf eine neue,   Wappenscheiben angefertigt wurden, die unter anderem die
                           deutlich bescheidenere finanzielle Grundlage gestellt und die    vier Fakultäten symbolisierten. Solche Stiftungen anlässlich
                           Befreiung der Universitätsangehörigen von den indirekten         von Einweihungen waren damals sehr beliebt. Auch wenn
                           Steuern, dem sogenannten «Umgeld», weitgehend aufgeho-           1560 noch keine Jubiläumsfeier ausgerichtet wurde, lassen
                           ben.                                                             sich diese Glasscheiben doch als Ausdruck für das Selbstbe-
                              Im Zug der reformatorischen Auseinandersetzungen ent-         wusstsein einer florierenden Institution lesen, die sich trotz
                           zog der Rat 1523 vier Professoren die Besoldung und setzte       zahlreicher Krisen in ihrer ferneren und näheren Vergangen-
                           den späteren Basler Reformator Johannes Oekolampad als           heit erfolgreich und nachhaltig hatte etablieren können.
                           Theologieprofessor ein. Auf dem Höhepunkt der Unruhen
                           verliessen 1529 mit dem Domkapitel verschiedene Professoren
                           und Studenten die Stadt und zogen nach Freiburg. Allerdings
                           scheint in den nächsten Jahren, entgegen der in der älteren
                           Forschung verbreiteten Auffassung, der Universitätsbetrieb
                           nie ganz eingestellt worden zu sein. So fand 1531, während
                           des sogenannten Interregnums, die erste öffentliche anato-
10   UNI NOVA 114 / 2010   mische Sektion an der Medizinischen Fakultät unter Oswald        Prof. Susanna Burghartz ist Ordinaria für Allgemeine Geschichte des 14.   UNI NOVA 114 / 2010   11
                           Bär statt, dem letzten Rektor vor dem Durchbruch der Refor-      bis 16. Jahrhunderts an der Universität Basel.
550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Die Basler Anatomie
in der Frühen Neuzeit
Im 15. und 16. Jahrhundert gewann die Anatomie an Europas Universitäten zunehmend an Bedeutung. Als eine der ersten
Universitäten nördlich der Alpen lehrte Basel das Fach – und zog damit zahlreiche Medizinstudenten an. Michael Stolberg

Für die Entwicklung der frühneuzeitlichen Medizin und Na-       Die Anfänge im frühen 16. Jahrhundert ähneln jenen anderer
turwissenschaft ist die Anatomie von überragender Bedeu-        medizinischer Fakultäten nördlich der Alpen. Die Anatomie
tung. Zusammen mit der Botanik wertete sie die empirische       spielte anfangs – wie die Medizin insgesamt – eine eher be-
Beobachtung zum vorherrschenden erkenntnistheoretischen         scheidene Rolle. Lange war die Medizin nach der Gründung
Ideal auf. Dabei half sie, so manchen «Irrtum» der überlie-     der Universität 1460 nur durch eine Professur vertreten. Doch
ferten, vielfach auf Tiersektionen gegründeten Anatomie zu      fand 1531 eine der frühesten öffentlichen Anatomien nördlich
korrigieren. Doch diese Korrekturen betrafen mit wenigen        der Alpen in Basel statt. Ein Jahr später forderten die neuen
Ausnahmen Details: Das Wissen um die einzelnen anato-           Statuten der Fakultät ausdrücklich regelmässige anatomische
mischen Strukturen des Menschen veränderte und differen-        Demonstrationen und botanische Exkursionen.
zierte sich zunächst nur geringfügig.                              1543 erschienen in Basel die «De humani corporis fabrica
   Für die medizinische Praxis war das neue Wissen zunächst     libri septem» von Andreas Vesal (1514–1564), dem Begründer
wenig bedeutsam. Die zahlreichen inneren Krankheiten, mit       der neuzeitlichen Anatomie. In dem opulent aufgemachten
denen sich die akademisch gebildeten Ärzte befassten, wurden    und illustrierten Werk zeigte der Autor anhand von zahl-
vor allem auf krankhaft veränderte bewegliche Säfte und         reichen eigenen Sektionen diverse frühere «Irrtümer» auf.
Dünste im Körper zurückgeführt, nicht auf Veränderungen         Vesal wurde zur Ikone der neuen Anatomie. Er kam 1542
der einzelnen Organe, Gewebe oder Zellen. Für die grobe         nach Basel und schrieb sich an der Universität ein. Es ist nicht
Lokalisierung und gegebenenfalls gezielte Entleerung solcher    sicher, ob er aktiv am universitären Leben teilnahm und Vor-
Säfte und Dünste reichte ein ungefähres Wissen über die Lage    lesungen hielt, verbürgt ist aber, dass er im Mai 1543 die Lei-
der einzelnen Organe im menschlichen Körper völlig aus.         che des hingerichteten Jacob Karrer aus dem Elsass sezierte
Selbstdarstellung der Ärzte                                     und das präparierte Skelett der Universität schenkte. Dieses
Die neue, auf persönliche «Autopsie» gestützte Anato-           war hier lange aufgestellt und ist bis heute im Anatomischen
mie zeigte jedoch die Möglichkeit und Notwendigkeit, die        Museum erhalten.
überkommenen Lehren der Autoritäten kritisch zu hinter-         Das Skelett in der Stube
fragen und zu korrigieren. Die Anatomie eröffnete für die       Entscheidend für den Aufstieg der Basler Medizinischen Fa-
Ärzte zudem ganz neue Möglichkeiten der professionellen         kultät seit den 1570er-Jahren waren zwei führende Anatomen:
Selbstdarstellung. Lange hatten sie ihren Anspruch, die ge-     Felix Platter (1536–1614) und Caspar Bauhin (1560–1624). Sie
heimnisvollen Vorgänge im Körperinneren ihrer Patienten         hatten im Süden Europas studiert, wo sich schon seit Län-
ergründen zu können, vor allem auf ihre Fähigkeiten in der      gerem das Bemühen um eine mehr empirische, auf persön-
sogenannten Harnschau gegründet, dem überragenden Dia-          liche Erfahrung gestützte Ausbildung durchgesetzt hatte, in
gnoseverfahren der mittelalterlichen Medizin. Doch hier wa-     der Anatomie wie auch am Krankenbett. Dies war damals
ren sie zunehmend gegenüber den ungelernten Heilern ins         Hauptmotiv für viele Medizinstudenten von nördlich der
Hintertreffen geraten. Die öffentlichkeitswirksame Inszenie-    Alpen, zumindest einen Teil ihres Studiums an den grossen
rung anatomischer Kenntnisse war dagegen weitgehend den         Universitäten des Südens zu absolvieren.
studierten Ärzten vorbehalten.                                     So hatte Platter in Montpellier vielfach Gelegenheit, an
   Die Anatomie an der Universität Basel steht stellvertre-     Sektionen teilzunehmen, an offiziellen wie auch an verbote-
tend für diese Entwicklungen und trieb sie ihrerseits voran.    nen, die an heimlich ausgegrabenen Leichen vorgenommen

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550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
wurden. Nach der Rückkehr nach Basel als 21-Jähriger betä-        und führte einen anatomischen Demonstrationskurs durch.          Befunde systematisch mit der praktischen Medizin. Das neue
tigte er sich erfolgreich als Harnschauer und belegte so seine    1589 wurde ihm die neu geschaffene Professur für Anatomie        anatomische Wissen hatte vorerst nur geringe Relevanz für
Fähigkeit, das Geschehen im Körperinneren zu entschlüsseln.       und Botanik verliehen, und im selben Jahr richtete man im        die ärztliche Praxis am Krankenbett. Wenn ein Arzt einen
Doch vor allem mit der Anatomie konnte er sich, wie zuvor         Unteren Collegium ein ständiges «anatomisches Theater»           scharfen, galligen Saft oder einen trüben, aus dem Bauch-
Vesal, als Kenner des menschlichen Körpers auch öffentlich        ein. Die Anatomie war damit in Basel fest institutionalisiert.   raum aufsteigenden Dampf als Ursache einer Krankheit aus-
in Szene setzen. Als 1559 ein Dieb hingerichtet werden sollte,       Basel war eine der ersten Universitäten nördlich der Al-      gemacht hatte, genügte für die Behandlung die grobe Kennt-
erwirkte er die Erlaubnis, die Leiche öffentlich zu sezieren.     pen, die einen umfassenden anatomischen Unterricht bot.          nis der wichtigsten Organe und ihrer Lage.
Sie wurde in die Elisabethenkirche gebracht, in der eine drei-    Allerdings wurde er nicht immer regelmässig durchgeführt            Platter und Bauhin erhoben anatomische Befunde nicht
tägige öffentliche Sektion folgte, vor Ärzten, Chirurgen und,     – ob wegen Bauhins ausgedehnter ärztlicher Praxis oder dem       nur am gesunden Menschen, sondern gerade auch bei Kran-
wie Platter schrieb, «vil volck».                                 Mangel an Leichen, lässt sich nicht mehr entscheiden. Später     ken, und fanden immer wieder Veränderungen an Organen
   Nach der Sektion präparierte Platter das Skelett, das später   verpflichtete man das Spital, jährlich ein bis zwei Leichen an   und festen Teilen. Platters Werk ist reich an Fällen, in denen
jahrzehntelang in einem Kasten in seiner Stube stand, offen-      die Anatomie abzugeben; im Gegenzug sollten die Profes-          er auch den pathologisch-anatomischen Befund post mortem
bar dort also, wo er auch Patienten, Angehörige und Boten         soren im Turnus das Spital kostenlos versorgen. Doch dies        beschreibt. Die Bedeutung dieser Verbindung von Anatomie,
empfing. Diese Selbstinszenierung verhalf dem jungen Arzt         hatte nur begrenzten Erfolg, und Bauhin lehrte die Anatomie      Pathologie und Klinik scheint auch Zeitgenossen bewusst ge-
nach eigenen Worten zu grossem Ruhm. Weitere öffentliche          meist anhand von Tiersektionen.                                  wesen zu sein. So erscheint Platter als erfolgreicher Praktiker,
Sektionen Platters sind später nur vereinzelt überliefert, doch      Als anatomischer Schriftsteller trat Bauhin sehr ausge-       der etwa das ganze Spektrum der Frauenkrankheiten kannte
führte er nach eigenen Angaben vor einem kleinen Kreis über       dehnt in Erscheinung. Schon seine «Anatomica corporis            und es auch verstand, die Ursache eines Leidens an der Leiche
50 Sektionen durch. 1583 veröffentlichte er sein einziges ana-    virilis et muliebris historia» erlebte mehrere Auflagen. Am      aufzuzeigen. Möglicherweise ist Bauhins nachdrückliches
tomisches Überblickswerk, die «De corporis humani struc-          bekanntesten wurde er durch sein umfangreiches «Theatrum         Bekenntnis zu Galen auch vor diesem Hintergrund zu sehen.
tura et usu libri III». Damit inszenierte er sich auch hier als   anatomicum» von 1605. Mit über 1300 Seiten, weit über 100        Als Grundlage für eine theoretisch ambitionierte ärztliche
Nachfolger Vesals.                                                Abbildungen, zahllosen Belegstellen aus der älteren und jün-     Praxis war dessen Werk noch immer ungleich wertvoller als
   Platter veröffentlichte 1583 die älteste bekannte Abbil-       geren Literatur, einem ausführlichen Index und Erklärungs-       jenes Vesals, der sich kaum mit all den Krankheiten und ih-
dung eines weiblichen Skeletts, um die Unterschiede zum           tafeln bot es, in Albrecht Burckhardts Worten, «das erste        rer Behandlung befasst hatte, mit denen es die Ärzte täglich
männlichen darzustellen. Manche davon waren bereits von           handliche und doch vollständige Lehrbuch der Anatomie».          zu tun hatten.
älteren Autoren erwähnt worden, etwa das breitere weibliche          Die Bedeutung der stark von Vesal beeinflussten Abbil-           Nicht ihre Entdeckungen, sondern ihre erfolgreichen Be-
Becken. Doch Platter fügte aus eigener Beobachtung weitere        dungen für den Erfolg seines «Theatrum» steht in bemer-          mühungen, die Anatomie für den gewöhnlichen praktischen
Unterschiede hinzu. So sei die vordere Verbindung der bei-        kenswertem Kontrast zu den kritischen Äusserungen Bau-           Arzt zu vermitteln, bilden wohl das entscheidende Charakte-
den Schambeinäste bei der Frau kürzer und mit einem di-           hins über Vesal. Er wollte die Anatomie wieder verstärkt auf     ristikum und das wirkmächtige Erbe der Basler Anatomie.
cken Knorpel gefüllt, der eine gewisse Dehnung erlaube, was       die antiken Autoritäten, allen voran auf den griechischen
die Geburt erleichtern sollte. Weiter schrieb er, die Rippen      Arzt und Anatomen Galen, gründen. Diesen verdanke Vesal
verknöcherten bei der Frau viel früher als beim Mann, um          die meisten wahren Erkenntnisse, monierte Bauhin.
die Last der weiblichen Brüste tragen zu können.                  Neues Körperbild
   Viele der von Platter «entdeckten» Merkmale des weib-          Der Ruhm von Platter und Bauhin trug entscheidend zur
lichen Skeletts halten heute einer empirischen Überprüfung        Anziehungskraft der Basler Medizinischen Fakultät im aus-
nicht stand. Das damalige ärztliche Interesse an dessen be-       gehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert bei. Später verlor sie
sonderen Merkmalen und jenen der weiblichen Geschlechts-          ihre Führungsstellung, sicher auch bedingt durch die verhee-
organe ist jedoch bemerkenswert, in einer Zeit, in der die        renden Seuchenzüge und den Dreissigjährigen Krieg. Platters
Frau vielen Gebildeten noch als eine minderwertige, unvoll-       und Bauhins Einfluss wirkte allerdings noch lange weiter.
kommene Spielart des Mannes galt. Ein wesentliches Motiv          Zwar hatten sie sich nur beschränkt durch anatomische Ent-
dafür scheint die wachsende Erkenntnis der damaligen Ärzte        deckungen hervorgetan: Die Strukturen, die sie nach eigener
gewesen zu sein, dass Frauen nicht nur als (potenzielle) Pa-      Darstellung als Erste gefunden hatten, waren schon zuvor be-
tientinnen, sondern auch durch ihre innerfamiliäre Torhü-         schrieben worden oder hielten einer späteren Prüfung nicht
terfunktion in Gesundheitsdingen entscheidende Bedeutung          stand. Aber sie gaben mit ihren Werken dem anatomischen
für den Erfolg ihrer Praxen hatten. Wenn ihr Körper sich von      Unterricht eine solide Grundlage. Bauhin spielte zudem eine
dem des Mannes unterschied, waren auch besondere Kennt-           Schlüsselrolle in der Vereinheitlichung der anatomischen
nisse für ihre Behandlung nötig, wie Platter sie auch mit ent-    Nomenklatur.
sprechenden Fallgeschichten unter Beweis stellte.                    Platter und Bauhin sahen wie andere zeitgenössische For-
Fest institutionalisiert                                          scher die Anatomie als einen Weg, die Weisheit und Vorse-
Auch der Platter-Schüler Caspar Bauhin studierte im Aus-          hung des Schöpfers am komplizierten und zielgerichteten
land, so in Padua, wo er bei öffentlichen Sektionen zusah         Bau des menschlichen Körpers aufzuzeigen. Dieses Element
und selbst dabei mitwirkte. Nach seiner Rückkehr nach Basel       spielt jedoch in ihren Werken eine vergleichsweise beschei-
übernahm er 1582 zunächst die Professur für Griechische           dene Rolle. Die zentrale Bedeutung, die sie der Anatomie         Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg ist Professor am Institut für Ge-
Sprache, begann aber bald öffentliche Sektionen abzuhalten        zuwiesen, lag woanders: Sie verknüpften die anatomischen         schichte der Medizin der Universität Würzburg.

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550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Präzedenzen, Promotionen
und Patrone: Frühe Gelehrtenkultur
Die akademische Welt der Frühen Neuzeit mit ihren Ritualen und ihrer Sozialstruktur mag uns heute fremd erscheinen.
Gewisse Elemente davon konnten sich an der Universität Basel besonders lange behaupten. Marian Füssel

Die alteuropäischen Universitäten unterschieden sich in ihren    Die Bewertung der Familienuniversität war lange mit Vor-
sozialen Reproduktionsmechanismen kaum von ihrer Um-             behalten verknüpft, die bei der Kritik am akademischen Filz
welt: Verwandtschaft, Patronage und Klientelbeziehungen          dessen Funktionalität leicht übersahen. Wenn auch wieder-
regulierten auch hier weitgehend die Selbstergänzung. Man        holt intellektuell minderbemittelte Söhne ihren Vätern auf
spricht von Familien-, Netzwerk- oder Landeskinderuniver-        die Lehrstühle folgen konnten, so wurde doch gleichzeitig
sitäten, je nachdem, welche soziale Konfiguration dominierte.    auch die Weitergabe von kulturellem Kapital, etwa in Form
In Basel dominierte der Typus der «Familienuniversität», ja,     von Buchbesitz, enorm erleichtert und die Kommunikation
die Universität gilt in Mitteleuropa als eines der eindrucks-    wissenschaftlicher Lehren und Ideen zum Teil befördert.
vollsten Beispiele dafür. So gab es hier um 1666 angeblich nur   Ebenso wurden die familiären Formen der sozialen Repro-
einen Professor, der nicht mit allen andern verwandt war.        duktion des Gelehrtenstands in der Moderne lediglich von
Familien wie die Amerbach, Bernoulli, Burckhardt, Buxtorf,       andern Formen der Lehrer-Schüler-Beziehungen und der
Iselin, Merian oder Zwinger kontrollierten über Jahrhun-         Schulbildung, Zugehörigkeit zu Assoziationen usw. abgelöst
derte die Lehrstühle. Die Linien dieser Familien kreuzten        und überformt.
sich immer wieder mit jenen anderer Gelehrtengeschlechter.       Hörner abschlagen
Bestechung, Verwandtschaft und Klientelismus waren dabei         Ein anderes soziales Organisationsprinzip der Universität
so ausgeprägt, dass sich dies Ende des 17. Jahrhunderts auch     als Korporation bildete die Rangordnung. Angefangen vom
auf eine Reform des Berufungsverfahrens auswirkte. Bei der       Rektor an der Spitze, gliederte sich die Universität streng
Berufung bzw. Wahl eines Professors hatte der Rat der Stadt      hierarchisch über die vier Fakultäten von Theologie, Ju-
ein wichtiges Mitspracherecht, zusätzlich zum 14-köpfigen        risprudenz, Medizin und Philosophie bis zu den einzelnen
Senat der Universität waren vier sogenannte Deputaten des        Ämtern der sogenannten Universitätsverwandten wie Reit-,
Rats beteiligt, und jede Entscheidung musste noch durch den      Fecht- und Tanzlehrern, Schullehrern oder Pfarrern. Die
kleinen Rat bewilligt werden.                                    Präzedenz, also die Frage, wer vor oder neben wem ging,
Familiäre Strukturen                                             stand oder sass, führte dabei über Jahrhunderte immer
Um die allgegenwärtige Vetternwirtschaft ein wenig zu redu-      wieder zu Streitigkeiten, vor allem etwa wegen der Hierar-
zieren, wurde 1688 das sogenannte Ballotage-Verfahren ein-       chie der Fakultäten. Eine dezidierte Kritik daran übte der
geführt, eine geheime Wahl mittels Kugeln. Doch auch damit       Mathematiker Jakob Bernoulli in einem 1691 der Univer-
konnte der Übermacht der familiären Strukturen kaum ent-         sität anonym vorgelegten Memorial. Dabei reflektierte er
gegengewirkt werden: Erst als man im 18. und vor allem im        auch das System des sogenannten «Aufrückens»: An einer
19. Jahrhundert dazu überging, Professoren aus dem Ausland       vormodernen Universität war es nämlich üblich, bei Bedarf
zu berufen, transformierte sich die Struktur der Familien-       und Qualifikation die Karriereleiter von der untersten phi-
zur Netzwerkuniversität und zu Formen der Schulpatrona-          losophischen bis zur obersten theologischen Fakultät bei
ge. Angesichts des Nepotismus wundert es wenig, dass die         Freiwerden einer Position «aufzurücken», auch über die
Professuren im 18. Jahrhundert wiederholt zum Gegenstand         Fakultätsgrenzen hinweg. Erst im 18. Jahrhundert kam es zu
der Universitätssatire wurden. So veröffentlichte etwa Karl      einer stärkeren disziplinären Verfestigung und Ausdifferen-
Heinrich Heydenreich 1798 den «Vorschlag eines Patrioten,        zierung bei gleichzeitiger Formalisierung der Rangverhält-
die Professuren auf Universitäten erblich zu machen».            nisse.
                                                                                                                               Akteure der Universität im 17. Jh. (Bilder aus: Alfred R. Weber, Was man trug anno 1634. Die Basler Kostümfolge von Hans Heinrich Glaser, Basel 1993).

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550 Jahre Universität Basel - Universität Basel
Wer in Basel Student werden und das akademische Bürger-         Promotio und dem Essen. Über den komplexen Ablauf eines            ihren Platz hinter dem kleinen Rat und vor den Sechsern der      immer wieder in Konflikten niederschlagen. Dass die zere-
recht erlangen wollte, musste neben der Immatrikulation ein     solchen Graduierungsrituals in Basel sind wir durch die Au-        Zünfte einnehmen durften, doch als der Rat anlässlich des        moniellen Rangkonflikte in Basel gerade im ausgehenden
klassisches Initiationsritual durchlaufen: die sogenannte De-   tobiografie des Arztes Felix Platter detailliert informiert, der   Begräbnisses eines Deputaten beschloss, die Zunft, der die-      17. Jahrhundert immer wieder eskalierten, deckt sich auch
position. Der an mitteleuropäischen Universitäten seit dem      1557 promoviert wurde. Vor allem der Doktorschmaus gestal-         ser angehört hatte, vor der Universität gehen zu lassen, legte   mit Befunden aus andern Universitäten. Anders aber als an
Spätmittelalter übliche Brauch diente dazu, die künftigen       tete sich als enormer Kostenfaktor, unter anderem wegen der        diese 1691 ein umfangreiches Memorial vor, um ihren Rang         einer Landesuniversität, ergab sich in Basel kein Dreiecksver-
Studenten auf die Normen der Korporation einzuschwören.         vielen Pflichteinladungen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts       einzuklagen. Als die Universität 1760 ihre dritte Säkularfei-    hältnis zwischen Landesherrn, Stadt und Universität, son-
Ursprünglich aus einer Gebühr für die Bursen entstanden,        weitete sich der Umfang der Festmähler weiter aus, bis im          er zelebrierte, waren der Bürgermeister Samuel Merian und        dern der Rat als Entscheidungsinstanz des Konflikts war hier
entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert ein komplexes       18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Sparsamkeit und auf-          der Dreizehnerrat Balthasar Burckhardt nicht bereit, hinter      gleichzeitig Partei. Die Universität bildete einen privilegier-
symbolisches Verfahren. Im Zentrum stand das Abschlagen         geklärter Schlichtheit, der Brauch in Basel offensichtlich all-    dem Rektor zu gehen, was dazu führte, dass die Häupter der       ten Personenverband, der über seine soziale Statuswahrung
von zuvor aufgesetzten künstlichen Hörnern («depositio cor-     mählich ausser Gebrauch kam.                                       Feierlichkeit fernblieben. Die Stadt wurde allein durch den      nach aussen ebenso wachte wie über den ordo differentiae
nuum»). In Basel vollzog man die Prozedur unter Anwesen-           Das zentrale Einsetzungsritual, mit dem sich die ganze          greisen Oberzunftmeister Johann Rudolf Faesch (geb. 1680)        im Inneren. Der Zugang zum Kreis der akademischen Bürger
heit des Dekans und weiterer Mitglieder der Philosophischen     Korporation der Öffentlichkeit präsentierte, war der Wechsel       repräsentiert.                                                   war dabei weniger an intellektuelle Kompetenz als an öko-
Fakultät sowie Pedell und Depositor, den der Senior des         des Rektorats, der meist halbjährlich erfolgte. Auch in Basel         Zu den im Alltag sichtbarsten Standeszeichen der Aka-         nomische Potenz und einen standesgerechten Lebenswandel
Alumneums stellte. Die angehenden Studenten hatten neben        war der Rektor der oberste Repräsentant der Universität und        demiker gehörte die Kleidung. Mit dem Dienstantritt ver-         geknüpft. Trotzdem zählen zahlreiche Professoren der Uni-
den Hörnern bestimmte Kleidungsstücke wie etwa Ochsen-          wurde aus der Mitte des akademischen Senats, Regenz ge-            pflichtete sich ein Professor, die akademische Amtstracht zu     versität Basel in der Wissenschaftsgeschichte noch heute zu
häute und allerlei symbolische Accessoires zu tragen, etwa      nannt, gewählt. Wichtiger Bestandteil der Rektoratswechsel         tragen: «Habit und Krös», ein schwarzes Gewand mit Mühl-         den Gelehrten von Weltruhm.
überdimensionierte Zähne. Diese Gegenstände wurden dann         waren die Essen, die sich zwar immer wieder der Kritik der         steinkragen. Auf dem Kopf trugen die Professoren ähnlich
vom Depositor in grober Manier, die bis zu physischer Ge-       reformierten Geistlichkeit ausgesetzt sahen, aber im 16. Jahr-     wie die Ratsherren den hohen, spitzen Baselhut. Ab der zwei-
waltanwendung reichen konnte, mithilfe übergrosser höl-         hundert auch ein zentrales Ereignis zur Verhältnisbestim-          ten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheint dieser zunehmend von
zerner Sägen, Beile, Hobel und Bohrer entfernt.                 mung von Universität und Bürgerschaft bildeten.                    einem «Biret» genannten Doktorhut abgelöst worden zu sein.
   Die begleitende Rede des Dekans sollte den Kandidaten           Der Festtag begann mit einem feierlichen Umzug durch            Zuweilen bedienten sich die Professoren dennoch auch mo-
den Sinn des Rituals und seiner Symbole erläutern. Die          die Stadt, gefolgt von einem Theaterspiel und dem mittäg-          discher Kleidung. Die akademischen Insignien im engeren
Studenten wurden zu Gehorsam, Fleiss und tugendhaftem           lichen Festmahl. Mit einer universitären Festrede des neuen        Sinn von Rechtssymbolen unterteilten sich in die «insignia
Lebenswandel ermahnt. Das Abschlagen der Hörner wur-            Rektors wurde einige Tage später das neue akademische Jahr         rectoralia» – Szepter, Siegel, Matrikel und Becher – und die
de als symbolisches Ablegen schlechter Sitten und schlech-      begonnen. Unter den Gästen der Rektoratsessen befanden             «insignia doctoralia». Keine Insignien waren die sogenann-
ten Lebenswandels gedeutet, die Werkzeuge als Symbole           sich neben den Universitätsangehörigen als soziale Grup-           ten «Bulgen», grosse Zinnkannen, mit denen bis zu 50 Liter
für die alleinige Wirksamkeit ihres Gebrauchs, welche die       pen auch die Buchdrucker, Angehörige des für Kirchen- und          Wein zu den akademischen Gastmählern gereicht werden
Studierenden daran gemahnte, sich nicht wie rohe Klötze         Schulangelegenheiten zuständigen Ministeriums sowie Ver-           konnten. Die Zeichen der Doktorwürde bestanden aus einem
und Steine zu verhalten, sondern ihren Verstand aktiv mit       treter der städtischen Obrigkeit. Das Mahl stiftete Gemein-        geschlossenen und einem offenen Buch, einem Ring, einem
Wissen und Künsten zur Ehre Gottes und zum Wohle der            schaft, erlaubte der Universität, sich in der städtischen Öf-      Gürtel und einem Hut.
Menschen zu bilden. Erst dann erfolgte durch den Dekan die      fentlichkeit zu repräsentieren, und bot die Möglichkeit zum        Soziale Abschliessung
Einschreibung in die Matrikel der Philosophischen Fakultät      informellen Austausch zwischen unterschiedlichen gesell-           Rituale, Rangordnungen und soziale Reproduktion an der
und die Vereidigung. Das Verfahren kostete den Studenten        schaftlichen Gruppen. Die Amtsübergabe vollzog sich dann           Basler Universität der Frühen Neuzeit lassen sowohl Gemein-
ein Pfund. Schon früh regte sich nicht zuletzt wegen der        wenige Tage später als feierliche Investitur mit Szepterüber-      samkeiten als auch Besonderheiten im Vergleich zu andern
Kosten Widerstand gegen das Ritual, aber erst zu Beginn des     gabe. Nach einer Rechnungsprüfung und der Entlastung des           Universitäten deutlich werden. Einzelne Elemente haben sich
18. Jahrhunderts gingen die Universitäten flächendeckend        scheidenden Rektors übergab dieser seinem Nachfolger das           hier länger gehalten und waren intensiver ausgeprägt. Ritu-
dazu über, den Brauch abzuschaffen und wieder auf die Ge-       Szepter, die Matrikel und die anderen Handschriften, die der       ale wie die Deposition retteten sich über die Zeit, und auch
bühr zu reduzieren. In Basel hielt sich die Deposition noch     jeweilige Rektor bei sich zu Hause hatte, ferner die Kasse und     der soziale Habitus der Professoren wie die internen akade-
vergleichsweise am längsten – erst 1798 schaffte man sie hier   andere Gegenstände. Am folgenden Sonntag kündigte der              mischen Berechtigungssysteme weisen deutliche Kontinui-
endgültig ab. Die Gründe für das Überdauern waren offen-        neue Rektor seine öffentliche Antrittsrede an. Am Dienstag         täten auf. Im Hinblick auf ihre interne Sozialstruktur kann
sichtlich vor allem ökonomischer Natur, verlor die Philoso-     darauf versammelten sich die Professoren und zogen, ange-          die Universität Basel als besonders markantes Beispiel für
phische Fakultät doch damit die Gebühreneinnahmen.              führt vom Pedellen mit dem Szepter, in den Doktorsaal des          den sozialen Abschliessungsprozess des Akademikerstandes
Ritterschlag des Geistes                                        Münsters, um dort vor den versammelten Universitätsbür-            gelten. Über Ehen vernetzte sich die Professorenschaft der
Einen der Höhepunkte der akademischen Festkultur bildete        gern die Verlesung der Universitätsstatuten vorzunehmen,           Basler Familienuniversität ebenso mit der städtischen Füh-
die Promotion zum Magister oder Doktor. Mit dem Doktor-         auf die dann die Rektoratsrede folgte.                             rungsschicht wie vor allem untereinander. Dazu mag auch
titel erwarb der Kandidat nicht nur das Recht, an einer Uni-       Alle Bediensteten und verheirateten akademischen Bürger         die Isolation in einem protestantischen Stadtstaat wie Basel
versität zu lehren, sondern erhielt auch einen Titel, der ihm   hatten analog zu den Zünften der Stadt und der Universität         beigetragen haben, der über eine begrenzte soziale Fluktuati-
einen hervorgehobenen ständischen Rang verlieh und selbst-      jedes Jahr einen Treueeid zu leisten. Angesichts der Abhän-        on verfügte und das Fernhalten Fremder begünstigte.
verständlich nicht umsonst zu erlangen war. Basel bildete im    gigkeit der Universität und ihrer Angehörigen von der Stadt           Gerade im Verhältnis zur Stadt lag dabei jedoch auch
Gebiet der heutigen Schweiz die einzige Hochschule mit Pro-     nimmt es wenig wunder, dass sich diese Asymmetrie auch             eine gewisse Besonderheit, denn es gab im deutschspra-
motions- und Graduierungsrecht. Eine Graduierung vollzog        im Zeremoniell manifestierte. So stritt die Universität lange      chigen Raum nur wenige Universitäten, die als städtische
                                                                                                                                                                                                    Prof. Marian Füssel ist Heyne-Juniorprofessor für Geschichte der Frühen
sich hier idealtypisch in sieben Schritten: der Censura, dem    mit der städtischen Obrigkeit um ihren Rang. Der Rat ge-           Gründungen dem kommunalen Gemeinwesen so eindeutig               Neuzeit mit Schwerpunkt Aussereuropäische Geschichte an der Universität
Tentamen, dem Examen, der Professio, der Disputatio, der        währte ihr zwar, dass Professoren, Pfarrherren und Diakone         unterstellt waren. Dieses Gefälle musste sich zwangsläufig       Göttingen.

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