Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
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Oec. Magazin der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der UZH und deren Alumni 07/2017 Juni Auf Tauchgang in Zürich Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden S. 18 Alumni-Vorstand auf brisanter U-Boot-Mission S. 22 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
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EDITORIAL Züri im Wandel «Der Wandel ist das Gesetz des Lebens. Wer nur auf die Vergangenheit blickt, verpasst mit Sicherheit die Zukunft.» John F. Kennedy Tiefgreifende Veränderungen sind Programm in der Finanzstadt an der Limmat; jüngstes Beispiel ist das erstaunlich schnelle Dahinscheiden des Bankge- heimnisses. Noch 2008 war man sich sicher, dass sich das Ausland daran die «Zähne ausbeissen» würde. Wer hätte gedacht, dass diese Aussage so schnell zur Makulatur wird. Aber wie heisst es so schön: Grosse Veränderungen lassen erst länger auf sich warten als erwartet und passieren dann schneller als erwartet. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Überlegung in- teressant, wie Zürich und auch die Schweiz wohl in 20 Jahren aussehen werden. Wird die Schweiz nach Als ich vor über 20 Jahren nach Zürich zog, wurde in wie vor zu den grossen Gewinnern der Globalisierung den Medien gerade die grosse Transformation von gehören? Werden die Touristen nach wie vor die der lustfeindlichen Zwingli-Stadt zur mediterran Bahnhofstrasse entlang flanieren und Schweizer geprägten Stadt von Welt gefeiert. Teilweise mögen Uhren kaufen (S. 11)? Werden sich die Chancen für die Formulierungen etwas hoch gegriffen gewesen Kinder aus bildungsfernen Schichten verbessern sein, aber einige der gesellschaftlichen Verände- (S. 16)? Wie wird sich die Digitalisierung auf den rungen waren in der Tat prägend für die Stadt. Finanzsektor auswirken (S. 18)? Man stelle sich vor: Bis in die 1980er Jahre war das sogenannte wilde Baden im See ausserhalb der Ansätze zu diesen Diskussionen finden Sie in der Seebäder verboten. Es gab kaum Bars und Clubs vorliegenden Ausgabe. Die definitive Auflösung ausserhalb des Rotlichtmilieus, die bis spät abends liefern wir Ihnen dann 2037 in der Ausgabe 47 des geöffnet hatten. Bis im Januar 1995 existierte am «Oec. Magazins». oberen Letten eine grosse offene Drogenszene. Heute tummeln sich im Sommer vom Hipster bis zu Familien alle auf den Wiesen rund um das See- becken. Und es heisst, Zürich habe heute eine der grössten Clubdichten weltweit. Werner Broennimann Präsident OEC ALUMNI UZH Oec. Juni 2017 3
INHALT 22 11 10 F OKUS : S TANDPUNKT F OKUS : AUF TAUCHGANG Mit Zwingli zum wirtschaftlichen Erfolg? IN ZÜRICH 11 F OKUS : B EGEHRTE B AHNHOFSTRASSE Hohe Mieten und viel Luxus: Alumni Wir wollen es wissen: Verliert die Bahnhof- Jan Bärthel und Scilla Huang Sun zum Wert der Einkaufsmeile strasse ob stagnierender Mieten und gerin- 15 F OKUS : «M IS Z ÜRI » gerer Nachfrage nach Luxusuhren ihren Fünf Alumni und ihr Bezug zur Limmatstadt Glanz? Wie schafft es die SIX seit Jahrzehn- 16 F OKUS : W IE DER V ATER , SO DER S OHN Interview mit Prof. Ulrich Woitek zur sozia- ten immer wieder, mit innovativen Neue- len Mobilität in Zürich rungen zu den besten Börsen der Welt zu 18 F OKUS : I NNOVATION MADE IN Z URICH Wie Alumnus Robert Bornträger, Chef der gehören? Und was hat ein U-Boot in Zürich globalen IT bei SIX, Ideen fördert verloren? Kommen Sie mit auf einen Streif- zug durch die Stadt. 4 Oec. Juni 2017
6 F ORSCHUNG AM I NSTITUT FÜR B ANKING UND F INANCE Superhirn am Supercomputer 8 I M G ESPRÄCH Fördern und vernetzen Markus Assfalg, Leiter Standortförderung 16 des Kantons Zürich, im Gespräch mit Prof. Harald Gall, Dekan der Wirtschaftswissen- Impressum schaftlichen Fakultät Herausgeber Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich 20 A LUMNI P ORTRAIT Rämistrasse 71, 8006 Zürich «Ein Semester VWL schadet niemandem» OEC ALUMNI UZH / Alumni Informatik UZH Alumnus und Schriftsteller Philipp Tingler Universität Zürich Schönberggasse 15a, 8001 Zürich 22 A LUMNI L IFE Projektverantwortung Start-up: Alumni-Vorstand auf brisanter Dekanat der Wirtschaftswissen- schaftlichen Fakultät der U-Boot-Mission Universität Zürich Priska Feichter, Kommunikation & Marketing 24 T AKE -O FF 18 Franziska Haller, Leitung Geschäfts- Von Karrieren, Taschen und Zusammen- stelle Alumni schlüssen Katharina Korsunsky, Co-Geschäfts- führung 26 L OKALTERMIN Gestaltung / Fotos iMAG Visual Communication Studio Mit Dieter Pfaff in der Giesserei Rodolfo Sacchi SGD Druck 28 C AMPUS L IFE Staffel Medien AG MOOCs: Accessible Education for Everyone Inserate magazin@oec.uzh.ch 30 U PDATE UND A GENDA Auflage 6‘200, erscheint zweimal jährlich Kontakt 20 Universität Zürich, Dekanat der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Rämistrasse 71, 8006 Zürich magazin@oec.uzh.ch Abonnentinnen und Abonnenten Das Oec. Magazin kann gratis abonniert werden: magazin@oec.uzh.ch Sprachregelung Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text teilweise die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter. 28 www.oec.uzh.ch/oec Oec. Juni 2017 5
FO RSC H U NG A M I N STIT UT FÜ R BAN K I N G U N D FI N A N C E Superhirn am S Finanzprofessor Felix Kübler braucht für seine Forschung den schnellsten Computer Europas. Aufbauend auf neuen Methoden aus der numerischen Mathematik, berech- net er Gleichgewichte in dynamischen Volkswirtschaften mit heterogenen Akteuren. Langfristig könnten die Modelle dazu beitragen, unsere Renten- und Steuersysteme unabhängig von politischen Ideologien zu optimieren. Priska Feichter «Ein Gleichgewicht Der schnellste Computer Europas ist nicht schnell MeteoSchweiz berechnet, sondern auch Rechen- ist weder gut noch genug für ihn: Felix Kübler stösst in seiner kapazitäten für Forschungsprojekte zur Verfügung Forschung immer wieder an die Grenzen der gestellt. Und die benötigt Felix Kübler. Er berech- schlecht. Es ist ein- heute verfügbaren Rechenleistung. Der Professor net Gleichgewichte in dynamischen Modellen fach ein Zustand für Financial Economics am Institut für Bank- der Volkswirtschaft mit einer Vielzahl von hetero- momentaner Stabi- ing und Finance interessiert sich für grundleg- genen Akteuren, verschiedenen Produkten und lität, in dem keiner ende Zusammenhänge in unserem Finanz- und unvollkommenen Finanzmärkten. 2016 hat er zum der Akteure ange- Wirtschaftssystem: So geht er zum Beispiel der ersten Mal formal nachweisen können, dass diese sichts der gegebe- Frage nach, wie die Umverteilung von Vermögen Gleichgewichte existieren. nen Umstände etwas zwischen den Generationen berechnet werden ändern würde.» kann und was dies für unsere Rentenversicherungs- Dieser Nachweis leistet einen wichtigen Beitrag Prof. Felix Kübler modelle oder unser Steuersystem bedeutet. Eine zur Grundlagenforschung: «Es ist extrem komplexe Frage mit vielen Dimensionen und Va- schwierig, die Existenz von Gleichgewichten zu riablen, die sich bis heute auch mit einem Super- beweisen. Es gibt zum Beispiel immer wieder computer nicht lösen lassen. zufällige Schocks, die man mitberücksichtigen muss», erklärt der Finanzökonom. «Wir haben Berechnung von Gleichgewichten die Existenz nicht nur nachgewiesen, sondern Der schnellste seiner Art in Europa steht im Tessin auch berechnet.» Ihm ist dabei wichtig, dass der im Swiss National Supercomputing Centre. Piz Begriff Gleichgewicht nicht normativ interpre- Daint, wie der Rechner heisst, kann bis zu mehr- tiert wird. «Ein Gleichgewicht ist weder gut noch eren Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde schlecht. Es ist einfach ein Zustand momentaner durchführen – das ist eine eins mit sage und Stabilität, in dem keiner der Akteure angesichts schreibe fünfzehn Nullen. In diesem Rechenzen- der gegebenen Umstände etwas ändern würde.» trum werden nicht nur die Wetterprognosen für Abweichungen von diesem Gleichgewicht wird 6 Oec. Juni Dezember 2017 2016
Felix Kübler ist seit 2008 Professor für Financial Economics am Institut für Ban- king und Finance der Universität Zürich sowie Senior Chair am Swiss Finance Institute. Er arbeitet an mathemati- schen Modellen der Nationalökonomie, um zu verstehen, wie Finanzmärkte und die Realwirtschaft interagieren. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Computational Economics, General Equilibrium Theory und Portfo- lio Choice. upercomputer es immer wieder geben, denn wie in der Realität In China ist zurzeit ein Supercomputer in Bau, der bildet das Modell eine dynamische Welt ab, die in dies und noch viel mehr wird leisten können. Mit Bewegung ist. einer geplanten Rechenleistung von einem Exaflop kann eine Trillion Rechenoperationen pro Sekunde Entscheidungsgrundlagen liefern durchgeführt werden. Könnte er auf diese Rechen- Felix Kübler sieht das neu entwickelte Modell kraft zurückgreifen, würde Felix Kübler wohl zwei der als eine erste Generation dieser Art an. «In der grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen The- zweiten Generation können wir nun die Annahme, men angehen – unsere Rentenversicherungen und dass sich alle Akteure rational verhalten, durch das Steuersystem. Heute basieren diese Systeme realistischere Verhaltensannahmen ersetzen. So auf politischen Prozessen und werden nach dem kommen wir der Realität schrittweise näher.» Trial-and-Error-Prinzip immer wieder angepasst. Aus Was einfach klingt, ist mathematisch höchst ökonomischer Sicht ist das nicht ideal: «Wenn un- anspruchsvoll. Es braucht spezialisierte Compu- sere Sozial- und Steuersysteme aufgrund von ideolo- terexperten – oder im Fall von Küblers Team einen gisch geprägten politischen Entscheidungen immer theoretischen Physiker –, um die ökonomischen wieder geändert werden, schafft das Unsicherheit. Modelle so zu programmieren, dass der Super- Unsicherheit ist für jede Ökonomie schlecht.» Mit computer die Berechnungen optimal durchführt. seiner Forschung will er einen Beitrag dazu leisten, Das Schöne an ökonomischen Fragestellungen verlässliche mathematische Modelle zu entwick- ist, dass sich die komplexen Probleme in kleinere eln, die es erlauben, mit Daten die bestmögliche unabhängig voneinander lösbare Unterprob- Entscheidungsgrundlage zu liefern. Damit könnte leme unterteilen lassen, die der Supercomputer beispielsweise langfristig eine qualifizierte Aussage parallel berechnen kann. Ein solches Unter- dazu gemacht werden, wie gross der staatliche problem besteht aus bis zu 60 Gleichungen mit Beitrag an die AHV idealerweise sein sollte, welchen 60 Unbekannten und muss etwa 50’000 Mal Effekt Steuern auf Kapitaleinkünfte haben oder wie gleichzeitig gelöst werden; viel mehr vermag die hoch die Unternehmensbesteuerung sein sollte. in Europa verfügbare Rechenkraft derzeit nicht Auch im Bereich der Finanzmärkte gibt es nach wie zu leisten. «Und man muss bedenken: Würden vor viele offene Fragen, etwa, wie hoch die Kapital- wir uns auf grössere Modelle mit 61 Gleichungen decke von Banken sein sollte oder ob Finanzmarkt- steigern wollen, würde das fast doppelt so viel regulierung sinnvoll ist. «Dazu gibt es bis heute Rechenleistung benötigen. Wir sprechen hier von keine quantitativen Modelle. Ich hoffe, meine Arbeit fast exponentiellem Wachstum.» trägt dazu bei, diese zu entwickeln.» Oec. Juni 2017 7
I M GE S P R ÄC H Fördern und vernetzen Alumnus Markus Assfalg, Leiter Standortförderung des Kantons Zürich, im Gespräch mit Harald Gall, Professor für Informatik und Dekan der Wirtschafts- wissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Franziska Haller 8 Oec. Juni 2017
HG: Ähnlich wie Unternehmen oder begründeten Stärken weiter zu pflegen für Entscheidungen eingesetzt von Hochschulen stehen Standorte heute und gleichzeitig für die anderen Branchen Menschen. ebenfalls im Wettbewerb. Was ist Ihr gute Voraussetzungen zu schaffen, damit Erfolgsrezept bei der Standortförderung sie bei Schwächen des Finanzsektors kom- MA: Wann sollte denn in der Ausbildung des Kantons Zürich? pensierend auf den Konjunkturverlauf sinnvollerweise mit Informatikgrundla- MA: Wir leisten einen Beitrag, um die wirken können. gen begonnen werden? Unternehmen und ihre Zulieferfirmen HG: Die heutige Generation von Digital in tragenden und zukunftsträchtigen MA: Mich würde Ihre Prognose in Bezug Natives kennt keine Berührungsängste Branchen untereinander zu vernetzen auf die Digitalisierung interessieren – mit Informatik; Technologien und Soft- und dadurch ihre Innovationskraft zu werden uns künftig Roboter und künst- ware sind fixer Bestandteil ihres Lebens. erhöhen. Unser Filetstück ist der Cluster- liche Intelligenz die Arbeit ganz abneh- Dies müssen wir in der Ausbildung auf Ansatz: Dies heisst, die Akteure entlang men? allen Stufen nutzen und uns loslösen von der Wertschöpfungskette miteinander zu HG: Algorithmen und Roboter werden alten Denk- und Ausbildungsmustern. verknüpfen, den Wissenstransfer zu be- zu Dienstleistern im Beruf und im Alltag. Der spielerische Umgang schon in der schleunigen, Synergien zu erzeugen und Darauf müssen wir uns einstellen und Primarschule hilft wesentlich. Ich denke schliesslich die Rahmenbedingungen diese Chancen auch nutzen. Informatio- hier an Beispiele wie Scratch oder Alice via Politik gezielt zu verbessern. Dabei nen sind schnell und überall verfügbar, als Lernsoftware, die Kindern auf einfa- hilft, dass Zürich im Vergleich zu anderen sie werden Teil unseres Wissens und chem Weg über Games das Programmie- Weltwirtschaftsstandorten kleinräumig unserer Entscheidungen. Die Digitalisie- ren beibringen. ist. Kurze Wege und viele Gelegenheiten rung hat die Arbeitswelt bereits stark fördern den spontanen Austausch, die verändert – heute konkurrieren wir ja An Mittelschulen hat in den letzten Kreativität und so auch die wirtschaft- schon fast rund um die Uhr nicht nur mit Jahren eine Aufwertung des Fachs liche Prosperität. anderen Menschen, sondern zunehmend Informatik stattgefunden. Das ist für die auch mit Algorithmen. Der Mensch wird spätere Ausbildungs- und Berufswahl HG: Worin sehen Sie die grössten zu- aber auch in Zukunft nach wie vor eine entscheidend. Hier würde ich mir weitere künftigen Herausforderungen? tragende, wenn auch veränderte Rolle Bestrebungen in diese Richtung wün- MA: Mit Blick auf die Finanzwelt gehört in der Arbeitswelt spielen. Auf der einen schen, damit junge Menschen erkennen, die Digitalisierung zu den zentralen Seite mögen Berufsfelder verschwinden, welches Zukunftspotenzial in der Infor- Themen. Wir wollen die Kompetenzen in auf der anderen entstehen dafür neue, matikausbildung auch auf Hochschulebe- der Finanz- und Informationstechnologie der digitalisierten Welt entsprungene ne liegt. An unserer Fakultät versuchen verknüpfen und suchen dazu auch die Jobs. Beispiel Big Data: Die technischen wir, die Stärken der Wirtschaftswissen- Zusammenarbeit mit erstklassigen Bil- Möglichkeiten allein bringen noch keinen schaften und der Informatik innovativ zu dungsinstituten. Zürich hat Potenzial, sich Mehrwert für ein Unternehmen. Diesen verbinden und so die Grundlage für den international als führender Wissens- und bringen erst die Analyse und die Inter- zukünftigen Arbeitsmarkt zu schaffen. Wirtschaftsstandort zu positionieren. Der pretation von Daten, zugreifbar über Spagat besteht darin, die im Finanzsektor Software, aufbereitet von Algorithmen, HG: Wo sehen Sie hier Anknüpfungs- punkte zur Standortförderung? MA: Besonders im Wirtschaftsraum Harald Gall (HG) Markus Assfalg (MA) Zürich besteht eine enge Verbindung Ist seit 2012 Dekan der Wirt- Ist Leiter Standortmanagement zwischen Informations- und Kommunika- schaftswissenschaftlichen Kanton Zürich und leitet seit tionstechnologien (IKT) und der Finanz- Fakultät der Universität Zürich. Anfang 2009 die Standortförde- In dieser Funktion leitet er alle rung beim Amt für Wirtschaft industrie. Im Kanton gibt es eine hohe fakultären Geschäfte und ist und Arbeit (www.standort. Konzentration innovativer Unternehmen. Teil der erweiterten Univer- zh.ch). Nach einer Berufslehre Zahlreiche erfolgreiche IKT-Spinn-offs sitätsleitung. Seit 2004 lehrt als Elektromechaniker bildete er sind aus der ETH und der UZH hervor- und forscht er als Professor für sich auf dem zweiten Bildungs- Software Engineering am Insti- weg zum Anwalt weiter und gegangen – das ist für den Standort tut für Informatik. Daneben ist absolvierte 1999 den Executive höchst attraktiv. Zusätzliche Impulse aus er unter anderem als Experte MBA an der UZH. Ausgewählte der UZH bestärken diesen Trend noch für EQUIS- und AACSB-akkre- Stationen sind: Musiker, ditierte Hochschulen tätig. Der Engagements im Sozialbereich, mehr. Die Zahl der Fintech-Start-ups gebürtige Österreicher hat an Anwaltstätigkeit, SBB AG (Leiter wächst schnell und liegt bei circa 200 der TU Wien promoviert. Rechtsdienst), Universität St. schweizweit. Wir schätzen, dass etwa die Gallen (Generalsekretär), Aufbau einer eigenen Firma (erneuer- Hälfte davon in Zürich ansässig ist. bare Energien), Swissmem (Res- sortleiter Arbeitgeberpolitik). Oec. Juni 2017 9
STANDPUNKT Mit Zwingli zum wirtschaftlichen Erfolg? «Trifft man bei Reisen auf ein elendes Dorf, auf schlecht bearbeitete Felder, auf einen Bettlerschwall, so kann man zehn gegen eins wetten, dass Katholiken dort wohnen. Sieht man hingegen reinliche Behau- sungen, in denen man nichts als Wohlhabenheit und Fleiss antrifft, einen wohlverstandenen Anbau, so wird man höchst wahrscheinlich sich unter Protestanten befinden. Nirgends fällt das mehr ins Auge als in den begrenzten Gebieten Helvetiens.» So sah der Katholik Charles de Villers 1805 in seiner Untersuchung über den «Geist und Einfluss» der Reformation auf den «Fortschritt der Menschheit» die Schweiz. Bei aller Überzeichnung: Die unter- schiedliche wirtschaftliche Entwicklung von reformierten und katho- lischen Gebieten war bis ins 19. Jahrhundert hinein unübersehbar. Dass der Mensch dann besonders Gottes Abbild ist, wenn er arbei- tet, hatte schon Zwingli formuliert. Die Zürcher Reformation hat die etwa 80 katholischen Wochenfeiertage im Jahr abgeschafft und mit den Klöstern auch die Vorstellung, Meditation und Gebet sei- en «christlicher» als schlichte Arbeit. Derweil war der katholische Fromme damit beschäftigt, sich durch religiöse Werke in den Himmel hochzuarbeiten: An Wallfahrten und Prozessionen teilnehmen, Mes- sen und Heiligenbilder stiften und das erwirtschaftete Kapital am Lebensende der Kirche vermachen anstatt in den Betrieb zu stecken – alles in allem eine zeit- und kapitalraubende Angelegenheit. Auch der reformierte Christenmensch betet. Aber er hat Gottes gnädige Zuwendung für sein Leben als Geschenk gleichsam im Rücken und Peter Opitz ist Professor für Kirchen- muss sie nicht erst verdienen. Für ihn bedeutet Gottesdienst in der und Dogmengeschichte von der Welt: Fleiss, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Fairness – Eigenschaf- Reformationszeit bis zur Gegenwart an der Theologischen Fakultät der ten, die sich jeder Arbeitgeber und Geschäftspartner wünscht. Universität Zürich. Er leitet das Ins- Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein fühlte man sich in «katholi- titut für Schweizerische Reformati- onsgeschichte. schen Milieus» in mehrfacher Hinsicht rückständig, besonders auch wirtschaftlich. Seither haben Katholiken allerdings zünftig aufgeholt – und damit also das «zwinglianische» Wirtschaftsethos in sich auf- genommen. War Zwingli in Kappel noch am erbitterten katholischen Widerstand gescheitert, kann dies als später Sieg verbucht werden, zumindest auf einem Gebiet. Zum vollkommenen Glück fehlt nur noch, dass katholische und reformierte Wirtschaftsleute gemeinsam auch das Grundprinzip von Zwinglis Wirtschaftsethik verinnerli- chen: Gemeinnutz vor Eigennutz! 10 Oec. Juni 2017
FO KUS AUF TAUCHGANG IN ZÜRICH Begehrte «Es ist emotional ein anderes Erleb- Bahnhofstrasse nis, ob ich eine Lange verlief hier nur ein Wassergraben: In den 1860er Jahren gebaut, ist die Bahnhof- Schweizer Uhr strasse heute von Flagship Stores der grossen Marken und von Luxusgeschäften ge- in China oder in säumt. Alumnus und Immobilienexperte Jan Bärthel und Scilla Huang Sun, ebenfalls Zürich kaufe. Das Alumna und auf den Luxusgütersektor spezialisierte Fondsmanagerin, zeigen auf, wieso ist einfach etwas die 1,4 Kilometer so wertvoll für Zürich sind. Priska Feichter Besonderes.» Scilla Huang Sun Eine Zeitreise um 200 Jahre zurück würde uns allen Sie sollten das Gesicht von Zürich komplett verän- ein Zürich zeigen, das heute kaum mehr vorstellbar dern. Der Fröschengraben wurde eingeebnet, und ist. Bis ins 19. Jahrhundert lag zwischen dem heu- auf ihm sollte nach dem Vorbild französischer Boule- tigen Paradeplatz und dem See das Kratzquartier, vards eine Vorzeigestrasse mit weltstädtischem Flair ein Armenviertel, geprägt von einfachen Häusern. entstehen. Bei der Eröffnung des ersten Abschnitts Entlang des unteren und mittleren Teils der heute 1865 noch ungepflastert, dauerte es jedoch noch bekanntesten Strasse Zürichs lag der Fröschen- etwa bis zur Jahrhundertwende, bis die Bahnhof- graben, ein Wassergraben, der die Befestigung der strasse ihren heutigen Glanz erreichte, der bald in Stadt entlang der Stadtmauern verstärken sollte. die ganze Welt hinausstrahlte. Einer, der schon früh Erst ab 1860 begann die grosse Bauperiode dank das richtige Gespür für den zukünftigen Erfolg der Visionären wie Alfred Escher, Arnold Bürkli und Jakob Strasse hatte, war David Sprüngli. Der Zuckerbäcker Friedrich Wanner, der den heutigen Bahnhof und das verlegte sein Geschäft bereits 1859 an den Parade- Gebäude der damaligen Kreditanstalt plante. platz, wo die Confiserie noch heute ist. Oec. Juni 2017 11
FO KU S AUF TAUCHGANG Nicht die wertvollste, aber eine der teuersten Strassen den Paradeplatz und gegen das untere Ende dank IN ZÜRICH Der Ruhm der Bahnhofstrasse ist angesichts der dem Frequenzbringer Bahnhof an. Grösse der Stadt erstaunlich. «Obwohl Zürich eine kleine Metropole ist, hat die Bahnhofstrasse Ihren jahrelangen Höhenflug haben die Mietpreise eine enorme und weltweite Ausstrahlungskraft», der Verkaufsflächen aber bis auf Weiteres beendet. bekräftigt Jan Bärthel, CUREM-Alumnus und Partner Es sind neben dem starken Franken vor allem die bei Wüest Partner. Er schätzt, dass die Strasse einen Online-Händler Amazon, Zalando und Co., die viele Wert von mehreren Milliarden Franken hat. Damit Marken, insbesondere aus der Bekleidungs- und gehört sie nicht zu den wertvollsten der Welt – dafür Schuhbranche, zunehmender Konkurrenz aussetzen ist sie im Vergleich zur 5th Avenue in New York oder und die Flächenumsätze sinken lassen. Das wirkt sich zur Champs-Élysées in Paris schlicht zu kurz, und die auch auf die Mietpreise aus. Allerdings hält Bärthel Gebäude sind nicht hoch genug. Bei den Mieten sieht fest, dass die Zahlungsbereitschaft an der Bahnhof- das anders aus: Hier spielt Zürich in der Topliga mit. strasse nach wie vor deutlich höher ist als an anderen Die Spitzenmieten liegen bei bis zu 9000 Franken pro städtischen Lagen in Zürich. Die repräsentative Lage Quadratmeter für Detailhandelsflächen. Die Flächen hat eine starke Schaufensterfunktion, für die im im Erdgeschoss mit hohem Schaufensteranteil sind Zweifelsfall auch tiefer in die Tasche gegriffen wird. dabei am wertvollsten. «Im Ober- oder Unterge- schoss nimmt die Miete einer Fläche schnell um die Spannungsfeld Rendite versus Vielfalt Hälfte ab», so Immobilienprofi Bärthel. Im Vergleich Die hohen Preise verändern sowohl die Besitzstruk- dazu liegen die Spitzenmieten für Büroflächen bei turen als auch die Mieterschaft an der Bahn- etwa 850 Franken pro Quadratmeter. Der Nutzungs- hofstrasse. Die Eigennutzer sind tendenziell auf mix ist also ein wichtiger Faktor, um den Wert eines dem Rückzug. An ihre Stelle treten immer mehr Gebäudes zu berechnen, ebenso wie die Lage. Eigentümer, die die Immobilien besitzen, um sie Während die Mieten in der Mitte der Bahnhof- gewinnbringend zu vermieten. Gerade bei institu- strasse etwas niedriger sind, steigen sie rund um tionellen Investoren wie Immobiliengesellschaften, Scilla Huang Sun ist Fonds- managerin beim Vermögens- verwalter GAM und spezialisi- ert auf den Luxusgütersektor. Zuvor war sie als Analystin und Investmentmanagerin bei Julius Bär und Clariden Leu tätig. Sie hat 1992 in Wirtschaftswis- senschaften an der Universität Zürich doktoriert. 12 Oec. Juni 2017
Spitzenmieten an der Zürcher Bahnhofstrasse in CHF pro m2 und p.a. Jan Bärthel ist Partner bei Wüest Partner und unter anderem auf die Bewertung von Immobilien und Immobilienport- folios spezialisiert. Er schloss 2007 den Masterlehrgang in Real Estate am Quelle: Wüest Partner CUREM UZH ab und hält einen Lehrauf- trag der Universität Zürich (CUREM) im Fach Immobilienbewertung. Versicherungen und Pensionskassen sind Immobi- Das Erlebnis zählt lien beliebte Anlageobjekte. Ihnen gehören etwa drei Das bestätigt die Anlagespezialistin Scilla Huang Sun. Viertel der Gebäude entlang der Strasse. Der Rest ist Sie ist Fondsmanagerin eines Luxusgüterfonds bei vornehmlich in der Hand von Erbengemeinschaften. GAM und spricht regelmässig mit Unternehmens- Die Professionalisierung in der Eigentümerschaft vertretern aus der Branche, die insbesondere am «Jeder einzelne führt dazu, dass Renditeoptimierungen in den Vor- oberen Ende der Bahnhofstrasse zahlreich vertreten Laden und jede dergrund rücken und die Mieten auf Marktniveau ist. Der Sektor hat in den letzten zwei bis drei Jahren Marke vor Ort profi- angehoben werden. Das kann zu einem Spannungs- gelitten, allen voran die Uhrenhersteller. Die tradi- tiert von der Vielfalt feld führen, weil sich nicht mehr alle Branchen die tionell hohe Nachfrage aus Ländern wie Russland an der Bahnhof- Mieten leisten können. Gleichzeitig will niemand und Brasilien brach aufgrund von deren schwachen eine Bahnhofstrasse, die nur noch aus Juwelieren Währungen ein und jene aus China nicht zuletzt strasse.» Jan Bärthel besteht. «Jeder einzelne Laden und jede Marke wegen der Korruptionsbekämpfungsmassnahmen vor Ort profitieren von der Vielfalt», unterstreicht der Regierung. Nun ist laut Huang Sun langsam Bärthel. «Sie ist einer der Faktoren, der die Bahn- eine Normalisierung spürbar. Aber auch in zyklisch hofstrasse zu einer starken Marke macht.» Trotz schwierigen Zeiten sind Cartier, Omega und Tissot der hohen Preise sieht er durchaus auch Trends, die – allesamt Marken, die zu den Schweizer Häusern diese Vielfalt am Leben erhalten. Dazu gehört unter Richemont und Swatch gehören – an der Bahnhof- anderem die steigende Nachfrage nach kleineren strasse präsent. In den genannten Fällen sogar mit Mietflächen. Wo beispielsweise früher Franz-Carl- eigenen Geschäften. Ein Grund ist die Emotionalität Weber eine Fläche von rund 2500 Quadratmetern von Luxusgütern. «Wer ein Luxusgut kauft, kauft kein alleine belegt hat, sind neu zwei bis drei Teilflächen Produkt, sondern ein Erlebnis», erklärt die promo- geplant. Damit entsteht Platz für mehr Vielfalt auf vierte Ökonomin. Es geht darum, den Kunden ein gleichem Raum. Einkaufs- und Markenerlebnis mit auf den Weg zu geben. «Viele Menschen wollen eine Uhr nach wie Überhaupt ist vieles in Bewegung: Wer heute durch vor am Handgelenk sehen, bevor sie sie kaufen.» die Bahnhofstrasse geht, hat das Gefühl, dass jedes Repräsentative Flagship Stores an exklusiver Lage zweite Gebäude hinter einem Gerüst steht. Was fürs sind deshalb zentral. So haben in den letzten Jahren Auge nicht sehr schön ist, wertet der Immobilien- beispielsweise Audemars Piguet, Jaeger-LeCoultre kenner durchaus positiv. Investiert wird nur dort, und Prada ihre Präsenz an der Bahnhofstrasse um wo es sich lohnt. Bärthel betont, dass es wichtig eigene Ladenlokale erweitert. und notwendig ist, dass sich eine Strasse, die im internationalen Wettbewerb steht, ständig weiter- Eine Uhr aus der Schweiz entwickelt, um ihre Position nicht zu verlieren. «Die Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor Umbautätigkeiten an der Bahnhofstrasse halte ich sind die Touristen. Pro Jahr übernachten etwa 5,4 für ein gutes Zeichen. Sie sind ein Indiz dafür, dass Millionen Touristen in Zürich, hinzu kommen jährlich die Bahnhofstrasse weiterhin eine ungebrochene etwa 15 Millionen Tagestouristen. Gerade für den Attraktivität aufweist.» Luxusgütersektor spielen sie eine grosse Rolle: Oec. Juni 2017 13
FO KU S AUF TAUCHGANG IN ZÜRICH Allein Chinesinnen und Chinesen stützen mit ihren Käufen im In- und Ausland 20 bis 25 Prozent der weltweiten Luxusgüternachfrage. Die Schweiz ist ein beliebtes Reiseland, das bei dieser Klientel nach wie vor für Stabilität und Qualität steht. «Wenn sie in der Schweiz einkaufen, können sie sicher sein, dass sie ein Original und keine Fälschung bekommen», so die Luxusexpertin. «Und was mindestens genauso wichtig ist: Es ist emotional ein anderes Erlebnis, ob ich eine Schweizer Uhr in China oder in Zürich kaufe. Das ist einfach etwas Besonderes.» Nachgefragt werden laut Scilla Huang Sun neben Uhren auch immer mehr Güter aus dem Bereich des «erschwinglichen Luxus». Dazu gehören Marken wie Adidas und Nike oder Kosmetik der angesagten Brands Urban Decay, MAC und Too Faced. Sie ziehen zum einen die neue Mittelschicht aus den Schwellen- ländern an, die dem westlichen Lifestyle nacheifert, und zum anderen die Millenials, die noch nicht über die gleich hohe Kaufkraft wie ihre Eltern verfügen. Ebenfalls sehr beständig sind die etablierten Brands im Luxus-Topsegment. Sie haben auch in Zürich nach «Die Umbautätig- wie vor Zulauf. «Die Wartezeit für eine Birkin Bag von keiten an der Bahn- Hermès kann Monate bis Jahre betragen, und etabli- hofstrasse sind ein erte Marken wie Louis Vuitton und Cartier ziehen im- Indiz dafür, dass mer.» Die Nachfrage nach schönen Dingen im Leben die Bahnhofstrasse scheint ungebrochen – und dürfte den Glamour der weiterhin eine unge- Bahnhofstrasse noch lange befeuern. brochene Attraktivi- tät aufweist.» Jan Bärthel Paradeplatz, 1895 Historischer Rückblick Wo heute die Bahnhofstrasse steht, lagen bis ins 19. Jahrhun- dert ein Armenviertel und ein Wassergraben. Erst 1860, als Zü- rich gerade mal 20’000 Einwohner zählte, fiel der Spatenstich für die heute weltbekannte Einkaufsmeile Bahnhofstrasse. Das war nicht unumstritten: Ganze Zeughäuser mussten ver- legt, zahlreiche andere Gebäude abgerissen werden. Auch war man sich lange uneins darüber, wie gross die Bahnhofstrasse angelegt werden sollte – am Ende obsiegte jenes visionäre Lager, das der Bahnhofstrasse eine prunkvolle Zukunft ähnlich den französischen Boulevards voraussagte. Verkehrstechnisch erschlossen wurde die Strasse ab 1881 mit dem Bau einer Stra- ssenbahnlinie, ursprünglich noch Pferdetrams. 14 Oec. Juni 2017
«Mis Züri» Fünf Alumni und ihr Bezug zur Limmatstadt Herbert Bolliger, Migros-Chef «Ich bin zwar nicht der grosse Abenteurer, aber wenn ich im Hochsommer aus meinem Bürofenster auf den Zürichsee schaue, habe ich manchmal richtig Lust, eine Nacht am Ufer zu campieren. Nun habe ich mir vorgenommen, im Juli oder August auf dem Campingplatz vom Restaurant Fischers Fritz eines der Safari-Zelte zu buchen. Und falls mir das Zelt dann doch zu wild ist, nehme ich den Wohnwagen – einen original Airstream Overlander 27.» Patrizia Laeri, Wirtschaftsjournalistin SRF Fernsehen und Radio «Ich liebe diese Stadt. Und am nächsten fühl ich mich ihr auf den Flössen. Ausgestreckt auf Holz, lullt sie mich wogend ein, im Sonnen-Gegenglitzerlicht, was für eine Schönheit, verführerisch duftend, nach Seegras, Vespas und einem Hauch Alpenluft.» Uli Forte, Chef-Trainer FC Zürich «Ich verbinde mit Zürich meine Heimat … dorthin, wo ich nach meinen Reisen immer wieder am liebsten zurückkomme! Dort, wo meine Familie und alle meine Jugendfreunde zu Hause sind!» Filippo Leutenegger, Stadtrat Zürich «Als internationaler Wirtschafts- und Hochschul- standort an schönster Lage ist Zürich eine Weltstadt im Taschenformat. Und dank einer Prise Italianità in der Gastronomie sowie im gesellschaftlichen Leben, das in der warmen Jahreszeit immer mehr draussen stattfindet, ist Zürich eine Trendstadt mit grosser . wwwuzh.ch/ Lebensqualität.» l u m ni. nt Regula Pfister, VR-Präsidentin der oeca gageme ZFV-Unternehmungen en «Zürich ist meine Heimatstadt. Hier fühle ich mich aufgehoben und geborgen. Stille, Einkehr und Inspiration finde ich in der Innenstadt bei der Kirche St. Peter – vielleicht, weil mein Urgrossvater der letzte Turmwart war? Für Weitblick und zukunftsweisende Ideen ist das hoch über der Stadt gelegene Sorell Hotel Zürichberg – das Flaggschiff der ZFV-Unterneh- mungen – der geeignete Ort.» Oec. Juni 2017 15
FO KU S Wie der Vater AUF TAUCHGANG IN ZÜRICH Ungleichheit und soziale Mobilität: Um die dahinterliegenden Mechanismen besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. VWL-Professor Ulrich Woitek und sein Team tun dies am Beispiel von Zürich. Maura Wyler Herr Woitek, Sie beschäftigen sich in mehreren For- stellung, dass soziale Mobilität über den Unter- schungsprojekten mit der Geschichte der Stadt Zürich suchungszeitraum hinweg nicht wesentlich zunimmt. und konzentrieren sich dabei auf das 19. Jahrhundert. Was bedeutet das genau? Warum gerade Zürich und warum diese Epoche? Giacomin Favre: Wir stellen fest, dass soziale Mobi- Ulrich Woitek: Es ist überhaupt interessant, über lität zu dieser Zeit alles andere als perfekt war. Stel- die Schweiz zu forschen, da es ein sehr heteroge- len wir uns einen Zürcher Bäckerssohn vor, der aus nes Land ist, zum Beispiel in Bezug auf Kultur und einer tieferen sozialen Schicht stammte. Nicht nur Geografie. Gleichzeitig ist die Schweiz politisch sehr war die Wahrscheinlichkeit, sein Leben lang in der- stabil, wodurch die Analyse von Determinanten selben Schicht zu bleiben, mit 60 % sehr hoch, auch langfristigen Wachstums einfacher wird. Zürich die Berufswahl wurde stark durch das Elternhaus spielt in der Geschichte der Schweiz eine wichtige determiniert. Bei den vor 1850 Geborenen lag die Rolle. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt zu einem Wahrscheinlichkeit, selbst auch Bäcker zu werden, wichtigen Finanz-, Verkehrs- und Bildungszentrum. bei 32 %. Man stelle sich das vor – bei über 2000 Die Schweiz wurde wirtschaftlich immer erfolgrei- verschiedenen Berufen! Erstaunlich ist auch, dass cher und wandelte sich von einem Nettoauswande- sich dieser Zusammenhang über das Jahrhundert rungsland zu einem Nettoeinwanderungsland. Die hinweg nicht gross veränderte, trotz des Struktur- Epoche war gekennzeichnet durch einen enormen wandels. So galt auch für die nach 1850 Geborenen, gesellschaftlichen Wandel sowie durch die erste und dass 27 % der Bäckerssöhne selber Bäcker wurden. zweite industrielle Revolution. Woitek: Die Daten zeigen, dass der Status des Va- Uns interessieren die Determinanten wirtschaftli- ters und jener des Grossvaters wesentliche Einfluss- chen Wachstums in dieser Zeit und auch die Konse- grössen waren. Es spielte auch eine Rolle, ob der quenzen des Wachstums. In diesem Zusammenhang Vater beim Militär war und welchen Rang er dort «Die Daten zeigen, analysieren wir in unseren Projekten die Verände- ausübte, ob er einer Zunft angehörte und ob er ein dass der Status des rung des Lebensstandards sowie die Entwicklung politisches Amt ausübte. Diese Faktoren begünstig- Vaters und jener des sozialer Mobilität und des Bildungsniveaus. ten den Aufstieg der Söhne in eine höhere Schicht. Grossvaters wesent- Weshalb die soziale Mobilität über das 19. Jahrhun- liche Einfluss- Herr Favre, ein Hauptergebnis aus Ihrer Studie zu dert nicht zunahm, können wir uns bis jetzt noch grössen waren.» sozialer Mobilität im 19. Jahrhundert ist die Fest- nicht erklären. Prof. Ulrich Woitek mit den Dokto- rierenden Giacomin Favre und Gabi Wüthrich 16 Oec. Juni 2017
er, so der Sohn Ungleichheit ist auch heute ein zentrales Thema. sich erkennen, dass es lange Zeit keine merkli- Würde der Bäckerssohn heute leben, was wäre chen Veränderungen bezüglich der regionalen anders? Bildungsunterschiede gab. Erst gegen die Jahrhun- Ulrich Woitek ist seit 2004 Professor für dertwende hin lassen sich wesentliche Verände- Wirtschaftsgeschichte an der Universi- Woitek: Aktuelle Studien zeigen, dass die sozi- rungen erkennen. tät Zürich. Er interessiert sich insbe- ale Mobilität in der Schweiz immer noch nicht sondere für anthropometrische Daten, Konjunkturzyklen und Humankapital aus besonders hoch ist, auch im Vergleich mit anderen Woitek: Dafür gibt es zwei verschiedene Erklä- historischer Perspektive. Die Doktorieren- europäischen Ländern. Noch heute ist die Wahr- rungsansätze: Zum einen hat sich aufgrund der den, Giacomin Favre und Gabi Wüthrich, scheinlichkeit, eine Maturitätsschule zu besuchen, zweiten industriellen Revolution die Nachfrage arbeiten zusammen mit Prof. Woitek an für jene aus einem bildungsnahen und einkom- verändert. Man brauchte eine bessere Ausbildung mehreren Projekten. mensstarken Elternhaus deutlich höher. für die neu entstandenen Berufe, etwa Ingenieure oder Mechaniker. Zum anderen muss man sehen, Welche Auswirkungen hatte die Gründung der Uni- dass die Ergebnisse der pädagogischen Rekru- versität Zürich im Jahr 1833 in Bezug auf die soziale tenprüfung veröffentlicht wurden. So entstand «Die soziale Mo- Mobilität? regionale Konkurrenz auf allen Ebenen, da man bilität ist in der natürlich möglichst gut abschneiden wollte. Po- Schweiz immer Woitek: Die Gründung hat wohl im Durchschnitt litischer Druck kam auf, die Qualität der Schulbil- noch nicht beson- nicht viel bezüglich der sozialen Mobilität bewegt, dung zu erhöhen. Das sieht man auch anhand der ders hoch, auch aber in bestimmten Bereichen war sie weichen- Entwicklung der Schulausgaben pro Kind, die am im Vergleich mit stellend für die Zukunft. Die ersten Ordinarien in Ende des 19. Jahrhunderts gestiegen sind. anderen europäi- Zürich waren alles Deutsche, die aus politischen schen Ländern.» Gründen in die Schweiz kamen. Aber ungefähr ab Wir haben nun viel über Söhne und deren Väter Prof. Ulrich Woitek 1880 stammte die Mehrheit der Professoren aus und Grossväter gehört. Können Sie auch etwas zu der Schweiz. Hier entstanden also neue Berufs- den Frauen sagen? möglichkeiten. Woitek: Leider gibt es kaum Daten zu den Frauen Frau Wüthrich, in Ihrem Projekt widmen Sie sich der im 19. Jahrhundert. Das hat mit der damaligen historischen Entwicklung des Bildungsniveaus. Wie Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu tun. stand es im 19. Jahrhundert um das Humankapital In den Bürgerbüchern der Stadt Zürich tauchen in Zürich? sie nur am Rande auf. In den Steuerregistern wurden zwar Frauen erfasst, die ein Einkommen Gabi Wüthrich: Wir haben die Daten einer helveti- oder Vermögen aufwiesen, das war aber selten schen Schulumfrage von 1799 mit den Ergebnis- der Fall. sen der pädagogischen Rekrutenprüfung im 19. Jahrhundert verglichen. Aus den Daten lässt Bahnhofplatz um 1906 Oec. Juni 2017 17
FO KU S AUF TAUCHGANG IN ZÜRICH Zürcher Börsengebäude ab 1880 Innovation ma Historischer Rückblick Die erste Börse der Schweiz wurde 1850 in Genf gegründet, der Zürcher Börsenverein folgte 1855. Mit dem ersten Börsenticker und dem ersten Börsenfernsehen der Welt positio- Warum es entscheidend ist, zu den schnellsten Börsen der Welt zu gehören, nierte sich die Börse bereits in den 1930er beziehungsweise den 1960er wie die SIX aus Ideen Start-ups formt und wohin uns Blockchain und die Jahren als innovativer Taktgeber. 1993 Digitalisierung führen könnten: Alumnus Robert Bornträger, Chef der globalen IT schlossen sich die Börsen Genf, Basel bei SIX, erzählt, wie in Zürich neue Ideen vorangetrieben werden. Priska Feichter und Zürich zusammen und führten zwei Jahre später als neue Schweizer Börse zum ersten Mal den vollelekt- «Innovativ zu sein, ist anstrengend. Es ist ein täglicher der Welt, 1996 war sie die erste Börse weltweit mit ronischen Handel ein. Am 16. August Kampf, der immer wieder von vorne anfängt.» Robert vollelektronischem Handel. Wieso kommt diese Inno- 1996 wurde der klassische Ringhan- Bornträger weiss, wie viel Arbeit, Hartnäckigkeit vationskraft gerade aus Zürich? «Wir haben sehr gute del an der Schweizer Börse endgültig eingestellt. Die SIX gehört heute zu und Kreativität dazu gehören, Neues zu schaffen. Universitäten und ein weltweit einzigartiges duales den schnellsten Börsen der Welt und Als CEO der Division Global IT leitet er einen Kernbe- Bildungssystem. Innovation hat Tradition in der führte 2012 die Weltrangliste gar an. reich der SIX, der Betreiberin der Schweizer Börse SIX Schweiz», so die Einschätzung von Robert Bornträger. Swiss Exchange, und damit jenen Bereich, der unter «Bei der Vermarktung dieser Innovationsleistungen anderem dafür sorgt, dass die Schweizer Börse zu sind wir hingegen nach wie vor zu bescheiden, da «Wenn aus Ideen den schnellsten der Welt gehört. 2012 war sie gar die sind uns die Kollegen aus dem Silicon Valley weit Realität werden soll, schnellste der Welt. Gibt ein Händler einen Auftrag voraus.» Eine weitere Schwäche ortet er beim Thema auf, dauert es gerade mal 35 Mikrosekunden, bis der Risikokapital. «In der Schweiz fehlen Financiers, die ist es wichtig, dass Trade ausgeführt wird. So sind über 10’000 Trades bereit sind, im Frühstadium eines Start-ups Unter- man strukturiert pro Sekunde möglich. «Die Technologie unterscheidet stützung zu bieten und nicht erst dann, wenn schon vorgeht.» uns von anderen Börsen und ist ein entscheidender ein Produkt vorhanden ist.» Robert Bornträger Wettbewerbsvorteil», erklärt der IT-Chef. «Geschwin- digkeit bringt Volumen, und Volumen bringt Liquidi- Kreativität in der Luft tät. Das ist das Wichtigste für einen Händler und für Einen Beitrag, um diese Lücke zu schliessen, leistet die Unternehmen selber.» der Verein F10, ein Start-up-Inkubator und Accele- rator, der von der SIX gegründet wurde und sich Weltweit zu den Besten gehören auf Fintech-Themen spezialisiert hat. Sobald man Der Antrieb, immer noch besser zu werden, liegt die Räumlichkeiten an der Förrlibuckstrasse betritt, in der DNA des Unternehmens. 2012 war nicht das spürt man die Kreativität, die in der Luft liegt. Offene erste Mal, dass die Börse weltweit eine Pionierrolle Räume, bunte Sofas aus Paletten, eine Tischtennis- einnahm. 1961 bot die SIX das erste Börsenfernsehen platte. Ein Tischfussballkasten darf natürlich auch 18 Oec. Juni 2017
Robert Bornträger ist CEO der Division Global IT der SIX Group und damit ver- antwortlich für die Entwicklung und den Betrieb der gesamten IT. Davor hielt er verschiedene Führungspositionen inne, unter anderem als CEO der Telekurs Ser- vices AG, Geschäftsführer der Integralis Schweiz AG und Chief Information Officer der Swiss International Air Lines. Sein Studium mit Schwerpunkt Wirtschaftsin- formatik an der Universität Zürich schloss er 1992 ab. ade in Zurich «Ungefähr eine aus 100 bis 200 Ideen kommt zur Umset- nicht fehlen. Hier werden Ideen zu lebensfähigen wieder vor Senior Executives der Mitgliedsfirmen SIX, zung. Die grosse Start-ups geformt und Investoren vorgestellt. Die Julius Bär, PWC, Generali oder Baloise geübt. Am Ende Kunst ist, die Ideen- mobile Bezahllösung Paymit ist beispielsweise hier der sechs Monate bekommen die Teilnehmerinnen pipeline gefüllt zu entstanden. und Teilnehmer die Chance, ihr Start-up am Demo halten.» Day vor Investoren vorzustellen. Robert Bornträger Der Verein F10 ist aus einem ursprünglich SIX-inter- nen Ideenförderungsprozess entstanden. «Wenn Sich auf Veränderung einstellen aus Ideen Realität werden soll, ist es wichtig, dass Nun stellt sich noch die Frage, was die nächste man strukturiert vorgeht», betont der Wirtschafts- grosse Innovation von SIX sein könnte. Hier nennt der informatiker. Deshalb hat die SIX für die interne IT-Chef zwei grosse Trends. Zum einen sieht er viel Innovation einen fünfstufigen Innovationsprozess Potenzial in der Blockchain-Technologie. Statt wie bis mit klar definierten Zwischenschritten eingeführt. anhin Daten zentral zu speichern und zu verarbeiten, Mit jeder Stufe, die eine Idee überlebt, erhält die werden Transaktionsinformationen bei Blockchain Ideengeberin oder der Ideengeber mehr Ressourcen auf viele verschiedene Rechner im Netz verteilt. für die Weiterentwicklung. «Die Erfahrung zeigt, dass «Wenn sich Blockchain durchsetzt, würde das bedeu- ungefähr eine aus 100 bis 200 Ideen zur Umsetzung ten, dass sich unser Geschäftsmodell in einigen Berei- kommt. Die grosse Kunst ist, die Ideenpipeline gefüllt chen komplett verändern würde. Die Funktion einer zu halten», erklärt Bornträger. zentralen Verarbeitungsplattform braucht es dann in der heutigen Form nicht mehr. Hier gibt es Platz für Die Pipeline für externe Innovation wird heute dank innovative Ideen, den wir natürlich füllen wollen.» Ein der Gründung von F10 systematisch alimentiert. Ein zweiter grosser Trend ist die Digitalisierung der Iden- Highlight im Angebot von F10 ist das Accelerator-Pro- tität. Sollte es möglich werden, alle Kunden digital gramm, an dem zweimal im Jahr die zehn bis fünf- zu identifizieren, würden die Eröffnung eines Kontos zehn besten FinTech-, InsurTech- oder RegTech-Teams oder der Wechsel von Bank A zu Bank B viel einfa- teilnehmen können. Sie erhalten Mentoren zur Seite cher über das Internet möglich. Die SIX könnte diese gestellt, die die Gründerteams beraten, hinterfragen Daten beispielsweise als neutrale Instanz zentral und das nötige Business-Know-how vermitteln. Teil verwalten. Welche neuen Technologien sich am Ende des Coachings ist zum Beispiel, die eigene Idee in durchsetzen, wird der Markt entscheiden, aber die SIX einer Minute auf den Punkt bringen zu können. Das wird sicherlich weiterhin dazu beitragen, Innovation klingt leichter, als es ist, und wird deshalb wieder und made in Zurich zu fördern. Oec. Juni 2017 19
ALUM N I P O RTR AIT «Ein Semester VWL schadet niemandem» «Auf meine eigene kleine Art bin ich ja nun Manager, und zwar der meiner eigenen kleinen Ein VWL-Abschluss und ein Doktortitel in Philosophie: keine unbedingt übliche Kombi- Firma. Ich bin jetzt nation. Der Schriftsteller und Alumnus Philipp Tingler erläutert, warum sie eine nahe- einfach auch das liegende ist und welches Buch man jedem CEO in die Hand geben kann. Mauro Werlen Produkt und schaue immer, wie diese Philipp Tingler spricht leise und zügig, wählt seine auf die Welt und machte sich Ende der Achtziger- Marke positioniert Worte trotzdem mit Bedacht und formuliert Sätze jahre auf den Weg in die Schweiz, um an der HSG zu ist.» aus dem Stegreif, wie mancher sie nur nach reifli- studieren und danach «Industriekapitän» zu werden. Philipp Tingler cher Überlegung niederschreiben würde. Als Kulisse Der Anfang lief nach Plan, er zog fürs Studium nach für das Gespräch bietet die Museumsgesellschaft St. Gallen, wechselte nach einem Auslandaufenthalt Zürich das Literaturhaus an; für ein Treffen mit an der LSE aber nach Zürich, wo er «ohnehin schon einem Schriftsteller der richtige Ort. Doch wer ist jedes Wochenende war». Der Grund für den akade- dieser Schriftsteller eigentlich? An der Universität mischen Wechsel fusste aber auch auf einer Werte- Zürich schloss Philipp Tingler sein VWL-Studium ab, veränderung: «Nach dem Aufenthalt an der LSE war danach doktorierte er im Fach Philosophie. Er tritt es für mich klar, dass ich die Sache nicht in St. Gallen regelmässig im SRF Literaturclub auf, hat zahlreiche beenden konnte.» In Zürich durfte Tingler auch Ne- Bücher verfasst, wurde mehrfach ausgezeichnet und benfächer belegen, er wählte die Philosophie, quasi schreibt regelmässig Essays und Glossen in Tageszei- als Kompensation, da er sich zu jenem Zeitpunkt tungen sowie Magazinen. 1970 kam er in Westberlin schon etwas von der Ökonomie entfernt hatte. Trotz- 20 Oec. Juni 2017
Hedge-Fonds maximale Kohle zu machen», fährt Tingler fort, es handle sich aber um ein veraltetes Vorurteil, alle Manager und Unternehmensführer in diesen einen Topf zu werfen. Als Entscheidungsträger sei es wichtig, sich über Werthierarchien und den Sinn oder höheren Zweck einer ökonomischen Unter- Philipp Tingler ist Schweizer (aus Nei- nehmung Gedanken zu machen: «Das Bewusstsein gung) und Berliner (von Geburt). Er stu- für die Wichtigkeit dieser Faktoren ist schon da. Eine dierte Wirtschaftswissenschaften und besondere Rolle kommt darum den wirtschaftswis- Philosophie in St. Gallen, London und Zü- rich und verfasste eine Dissertation über senschaftlichen Fakultäten zu, damit diese den kom- den transzendentalen Idealismus. Als menden Entscheidungsträgern dieses Bewusstsein Schriftsteller und Essayist mehrfach aus- und die dazugehörigen Werte vermitteln können. gezeichnet, schreibt er neben Romanen, Denn diese Fakultäten sind die global vernetzten Kurzprosa und Sachbüchern regelmässig Think-Tanks der Zukunft». für Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen. Derzeit ist er im SRF Li- teraturclub zu sehen und moderiert die «Es gab nicht mal einen Plan B» Berner Reden. Tinglers nächstes Buch ist bereits in Planung, er schreibt regelmässig für verschiedene Publikatio- nen oder tritt im Fernsehen auf. Kurz: Das Geschäft läuft. Ist der Traum vom Industriekapitän doch wahr geworden? «Auf meine eigene kleine Art bin ich ja nun Manager, und zwar der meiner eigenen kleinen Firma. Ich bin jetzt einfach auch das Produkt und schaue immer, wie diese Marke positioniert ist», stellt er zufrieden fest. Das Schreiben sei zwar immer schon dagewesen, es habe aber nie einen Masterplan gegeben: «Es gab nicht mal einen Plan B.» War so viel Selbstbewusstsein vorhanden? «Entweder das, dem ist er heute als Schriftsteller froh, dass er über oder es fand einfach keine Reflexion statt über mein ein fundiertes wirtschaftliches Wissen verfügt, denn Tun», erzählt er lachend und fügt hinzu: «Wissen seiner Meinung nach gehört die ökonomische Sphäre Sie, manchmal muss man dem Leben ein bisschen zu den leitenden unserer Zeit: «Die Menschen richten vertrauen, man muss ein bisschen Freundlichkeit sich danach aus, und jeder äussert sich irgendwie investieren. Dann kommt das Leben einem auch dazu, gerade auch Künstler oder Schriftsteller. Und bei entgegen.» Er ist sich durchaus bewusst, dass er als einigen Äusserungen denke ich dann jeweils, dass es erfolgreicher Autor aus einer privilegierten Warte nicht geschadet hätte, zuvor mal ein Semester VWL spricht. Als Teil des Literaturbetriebs – dem manche belegt zu haben.» bereits schwere Zeiten prophezeit haben – ist er sich aber auch sicher, dass es immer einen Absatz geben Philosophische Antworten auf ökonomische Fragen wird für Literatur: «Wenn ich mir so überlege, wie Die Gebiete der Ökonomie und der Philosophie viele Titel jedes Halbjahr erscheinen, müssen wir uns «Natürlich gibt überschneiden sich häufig, in der gesamtgesell- nicht darum sorgen, zu wenig Auswahl zu haben. Bü- es immer noch schaftlichen Diskussion komme das aber leider cher werden weiterhin gekauft, trotz der E-Reader.» solche London City zu wenig zur Geltung, meint Tingler, der auch das Auf die Frage, welches Buch er den Entscheidungs- Boys, denen es nur Zürcher Bürgerrecht hat. Dabei würde es aber genau trägern dieser Welt empfehlen würde, antwortet darum geht, mit da erst richtig interessant: «Fragen wie ‹Was ist eine er nach einer kurzen Pause mit «Herr der Fliegen» ihren Hedge-Fonds gerechte Einkommensverteilung?› oder ‹Kann ich von William Golding. Bei der letzten Lektüre sei er maximale Kohle zu in Kauf nehmen, dass es einigen Leuten schlechter fast konsterniert gewesen von der Zeitlosigkeit der machen.» geht, wenn es einer quantitativ grösseren Zahl von Botschaften im Buch und davon, wie schnell es gehen Philipp Tingler Menschen besser geht?› werden immer auch philo- kann, bis zivilisatorische Errungenschaften sich auflö- sophisch beantwortet.» Die Beantwortung solcher sen: «Der Erste, der immer dran glauben muss, ist der und ähnlicher Fragen bedinge gerade als CEO eine dicke Junge mit der Brille, der eigentlich die klugen grosse Reflexion, die weit über reines Profitdenken Sachen sagt. Und ich glaube, wir sind auch wieder an hinausgehe: «Natürlich gibt es immer noch solche einer Schwelle, an der wir schauen müssen, dass dem London City Boys, denen es nur darum geht, mit ihren dicken Jungen mit der Brille nichts passiert.» Oec. Juni 2017 21
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