Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

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Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Oec. Magazin der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der UZH und deren Alumni

  07/2017 Juni

  Auf Tauchgang
  in Zürich

  Fintech in Zürich:
  Wie aus Ideen Start-
  ups werden
  S. 18

  Alumni-Vorstand
  auf brisanter
  U-Boot-Mission
  S. 22

Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Finance Weiterbildung
Berufsbegleitend. Praxisnah. Flexibel.

Die Finance Weiterbildung bietet Abschlüsse
und Kurse in den Bereichen:

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                                              +41 44 634 40 57
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
EDITORIAL

                                  Züri im Wandel
                           «Der Wandel ist das Gesetz des Lebens. Wer nur auf die Vergangenheit blickt,
                                     verpasst mit Sicherheit die Zukunft.» John F. Kennedy

                                                                   Tiefgreifende Veränderungen sind Programm in der
                                                                   Finanzstadt an der Limmat; jüngstes Beispiel ist das
                                                                   erstaunlich schnelle Dahinscheiden des Bankge-
                                                                   heimnisses. Noch 2008 war man sich sicher, dass
                                                                   sich das Ausland daran die «Zähne ausbeissen»
                                                                   würde. Wer hätte gedacht, dass diese Aussage so
                                                                   schnell zur Makulatur wird. Aber wie heisst es so
                                                                   schön: Grosse Veränderungen lassen erst länger
                                                                   auf sich warten als erwartet und passieren dann
                                                                   schneller als erwartet.

                                                                   Unter diesem Gesichtspunkt ist die Überlegung in-
                                                                   teressant, wie Zürich und auch die Schweiz wohl in
                                                                   20 Jahren aussehen werden. Wird die Schweiz nach
            Als ich vor über 20 Jahren nach Zürich zog, wurde in   wie vor zu den grossen Gewinnern der Globalisierung
            den Medien gerade die grosse Transformation von        gehören? Werden die Touristen nach wie vor die
            der lustfeindlichen Zwingli-Stadt zur mediterran       Bahnhofstrasse entlang flanieren und Schweizer
            geprägten Stadt von Welt gefeiert. Teilweise mögen     Uhren kaufen (S. 11)? Werden sich die Chancen für
            die Formulierungen etwas hoch gegriffen gewesen        Kinder aus bildungsfernen Schichten verbessern
            sein, aber einige der gesellschaftlichen Verände-      (S. 16)? Wie wird sich die Digitalisierung auf den
            rungen waren in der Tat prägend für die Stadt.         Finanzsektor auswirken (S. 18)?
            Man stelle sich vor: Bis in die 1980er Jahre war das
            sogenannte wilde Baden im See ausserhalb der           Ansätze zu diesen Diskussionen finden Sie in der
            Seebäder verboten. Es gab kaum Bars und Clubs          vorliegenden Ausgabe. Die definitive Auflösung
            ausserhalb des Rotlichtmilieus, die bis spät abends    liefern wir Ihnen dann 2037 in der Ausgabe 47 des
            geöffnet hatten. Bis im Januar 1995 existierte am      «Oec. Magazins».
            oberen Letten eine grosse offene Drogenszene.
            Heute tummeln sich im Sommer vom Hipster bis
            zu Familien alle auf den Wiesen rund um das See-
            becken. Und es heisst, Zürich habe heute eine der
            grössten Clubdichten weltweit.                         Werner Broennimann
                                                                   Präsident OEC ALUMNI UZH

                                                                                                     Oec. Juni 2017       3
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INHALT

                                       22                                                          11
                                               10      F OKUS : S TANDPUNKT
        F OKUS : AUF TAUCHGANG                      Mit Zwingli zum wirtschaftlichen Erfolg?

        IN ZÜRICH                              11      F OKUS : B EGEHRTE B AHNHOFSTRASSE
                                                    Hohe Mieten und viel Luxus: Alumni
Wir wollen es wissen: Verliert die Bahnhof-         Jan Bärthel und Scilla Huang Sun zum Wert
                                                    der Einkaufsmeile
strasse ob stagnierender Mieten und gerin-
                                               15      F OKUS : «M IS Z ÜRI »
gerer Nachfrage nach Luxusuhren ihren               Fünf Alumni und ihr Bezug zur Limmatstadt

Glanz? Wie schafft es die SIX seit Jahrzehn-   16      F OKUS : W IE DER V ATER , SO DER S OHN
                                                    Interview mit Prof. Ulrich Woitek zur sozia-
ten immer wieder, mit innovativen Neue-             len Mobilität in Zürich

rungen zu den besten Börsen der Welt zu        18      F OKUS : I NNOVATION MADE IN Z URICH
                                                    Wie Alumnus Robert Bornträger, Chef der
gehören? Und was hat ein U-Boot in Zürich           globalen IT bei SIX, Ideen fördert

verloren? Kommen Sie mit auf einen Streif-
zug durch die Stadt.

4   Oec. Juni 2017
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
6       F ORSCHUNG AM I NSTITUT FÜR
             B ANKING UND F INANCE
          Superhirn am Supercomputer

     8       I M G ESPRÄCH
          Fördern und vernetzen
          Markus Assfalg, Leiter Standortförderung
16        des Kantons Zürich, im Gespräch mit Prof.
          Harald Gall, Dekan der Wirtschaftswissen-
                                                       Impressum

          schaftlichen Fakultät                        Herausgeber
                                                       Wirtschaftswissenschaftliche
                                                       Fakultät der Universität Zürich
     20      A LUMNI P ORTRAIT                         Rämistrasse 71, 8006 Zürich

          «Ein Semester VWL schadet niemandem»         OEC ALUMNI UZH / Alumni
                                                       Informatik UZH
          Alumnus und Schriftsteller Philipp Tingler   Universität Zürich
                                                       Schönberggasse 15a, 8001 Zürich

     22      A LUMNI L IFE                             Projektverantwortung
          Start-up: Alumni-Vorstand auf brisanter      Dekanat der Wirtschaftswissen-
                                                       schaftlichen Fakultät der
          U-Boot-Mission                               Universität Zürich
                                                       Priska Feichter, Kommunikation &
                                                       Marketing
     24      T AKE -O FF

18
                                                       Franziska Haller, Leitung Geschäfts-
          Von Karrieren, Taschen und Zusammen-         stelle Alumni

          schlüssen                                    Katharina Korsunsky, Co-Geschäfts-
                                                       führung

     26      L OKALTERMIN                              Gestaltung / Fotos
                                                       iMAG Visual Communication Studio
          Mit Dieter Pfaff in der Giesserei            Rodolfo Sacchi SGD

                                                       Druck
     28     C AMPUS L IFE                              Staffel Medien AG
          MOOCs: Accessible Education for Everyone
                                                       Inserate
                                                       magazin@oec.uzh.ch
     30      U PDATE   UND   A GENDA
                                                       Auflage
                                                       6‘200, erscheint zweimal jährlich

                                                       Kontakt

20
                                                       Universität Zürich, Dekanat der
                                                       Wirtschaftswissenschaftlichen
                                                       Fakultät
                                                       Rämistrasse 71, 8006 Zürich
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                                                       im Text teilweise die männliche
                                                       Form gewählt, nichtsdestoweniger
                                                       beziehen sich die Angaben auf
                                                       Angehörige beider Geschlechter.

28
                                                       www.oec.uzh.ch/oec

                                                                Oec. Juni 2017             5
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
FO RSC H U NG A M I N STIT UT
      FÜ R BAN K I N G U N D FI N A N C E

                                                                                          Superhirn am S
                                    Finanzprofessor Felix Kübler braucht für seine Forschung den schnellsten Computer
                                    Europas. Aufbauend auf neuen Methoden aus der numerischen Mathematik, berech-
                                    net er Gleichgewichte in dynamischen Volkswirtschaften mit heterogenen Akteuren.
                                    Langfristig könnten die Modelle dazu beitragen, unsere Renten- und Steuersysteme
                                    unabhängig von politischen Ideologien zu optimieren. Priska Feichter

«Ein Gleichgewicht                  Der schnellste Computer Europas ist nicht schnell     MeteoSchweiz berechnet, sondern auch Rechen-
ist weder gut noch                  genug für ihn: Felix Kübler stösst in seiner          kapazitäten für Forschungsprojekte zur Verfügung
                                    Forschung immer wieder an die Grenzen der             gestellt. Und die benötigt Felix Kübler. Er berech-
schlecht. Es ist ein-
                                    heute verfügbaren Rechenleistung. Der Professor       net Gleichgewichte in dynamischen Modellen
fach ein Zustand
                                    für Financial Economics am Institut für Bank-         der Volkswirtschaft mit einer Vielzahl von hetero-
momentaner Stabi-                   ing und Finance interessiert sich für grundleg-       genen Akteuren, verschiedenen Produkten und
lität, in dem keiner                ende Zusammenhänge in unserem Finanz- und             unvollkommenen Finanzmärkten. 2016 hat er zum
der Akteure ange-                   Wirtschaftssystem: So geht er zum Beispiel der        ersten Mal formal nachweisen können, dass diese
sichts der gegebe-                  Frage nach, wie die Umverteilung von Vermögen         Gleichgewichte existieren.
nen Umstände etwas                  zwischen den Generationen berechnet werden
ändern würde.»                      kann und was dies für unsere Rentenversicherungs-     Dieser Nachweis leistet einen wichtigen Beitrag
Prof. Felix Kübler                  modelle oder unser Steuersystem bedeutet. Eine        zur Grundlagenforschung: «Es ist extrem
                                    komplexe Frage mit vielen Dimensionen und Va-         schwierig, die Existenz von Gleichgewichten zu
                                    riablen, die sich bis heute auch mit einem Super-     beweisen. Es gibt zum Beispiel immer wieder
                                    computer nicht lösen lassen.                          zufällige Schocks, die man mitberücksichtigen
                                                                                          muss», erklärt der Finanzökonom. «Wir haben
                                    Berechnung von Gleichgewichten                        die Existenz nicht nur nachgewiesen, sondern
                                    Der schnellste seiner Art in Europa steht im Tessin   auch berechnet.» Ihm ist dabei wichtig, dass der
                                    im Swiss National Supercomputing Centre. Piz          Begriff Gleichgewicht nicht normativ interpre-
                                    Daint, wie der Rechner heisst, kann bis zu mehr-      tiert wird. «Ein Gleichgewicht ist weder gut noch
                                    eren Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde         schlecht. Es ist einfach ein Zustand momentaner
                                    durchführen – das ist eine eins mit sage und          Stabilität, in dem keiner der Akteure angesichts
                                    schreibe fünfzehn Nullen. In diesem Rechenzen-        der gegebenen Umstände etwas ändern würde.»
                                    trum werden nicht nur die Wetterprognosen für         Abweichungen von diesem Gleichgewicht wird

      6       Oec. Juni
                   Dezember
                        2017 2016
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Felix Kübler ist seit 2008 Professor für
                                                                                                             Financial Economics am Institut für Ban-
                                                                                                             king und Finance der Universität Zürich
                                                                                                             sowie Senior Chair am Swiss Finance
                                                                                                             Institute. Er arbeitet an mathemati-
                                                                                                             schen Modellen der Nationalökonomie,
                                                                                                             um zu verstehen, wie Finanzmärkte und
                                                                                                             die Realwirtschaft interagieren. Seine
                                                                                                             Forschungsschwerpunkte liegen in den
                                                                                                             Bereichen Computational Economics,
                                                                                                             General Equilibrium Theory und Portfo-
                                                                                                             lio Choice.

upercomputer
 es immer wieder geben, denn wie in der Realität     In China ist zurzeit ein Supercomputer in Bau, der
 bildet das Modell eine dynamische Welt ab, die in   dies und noch viel mehr wird leisten können. Mit
 Bewegung ist.                                       einer geplanten Rechenleistung von einem Exaflop
                                                     kann eine Trillion Rechenoperationen pro Sekunde
 Entscheidungsgrundlagen liefern                     durchgeführt werden. Könnte er auf diese Rechen-
 Felix Kübler sieht das neu entwickelte Modell       kraft zurückgreifen, würde Felix Kübler wohl zwei der
 als eine erste Generation dieser Art an. «In der    grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen The-
 zweiten Generation können wir nun die Annahme,      men angehen – unsere Rentenversicherungen und
 dass sich alle Akteure rational verhalten, durch    das Steuersystem. Heute basieren diese Systeme
 realistischere Verhaltensannahmen ersetzen. So      auf politischen Prozessen und werden nach dem
 kommen wir der Realität schrittweise näher.»        Trial-and-Error-Prinzip immer wieder angepasst. Aus
 Was einfach klingt, ist mathematisch höchst         ökonomischer Sicht ist das nicht ideal: «Wenn un-
 anspruchsvoll. Es braucht spezialisierte Compu-     sere Sozial- und Steuersysteme aufgrund von ideolo-
 terexperten – oder im Fall von Küblers Team einen   gisch geprägten politischen Entscheidungen immer
 theoretischen Physiker –, um die ökonomischen       wieder geändert werden, schafft das Unsicherheit.
 Modelle so zu programmieren, dass der Super-        Unsicherheit ist für jede Ökonomie schlecht.» Mit
 computer die Berechnungen optimal durchführt.       seiner Forschung will er einen Beitrag dazu leisten,
 Das Schöne an ökonomischen Fragestellungen          verlässliche mathematische Modelle zu entwick-
 ist, dass sich die komplexen Probleme in kleinere   eln, die es erlauben, mit Daten die bestmögliche
 unabhängig voneinander lösbare Unterprob-           Entscheidungsgrundlage zu liefern. Damit könnte
 leme unterteilen lassen, die der Supercomputer      beispielsweise langfristig eine qualifizierte Aussage
 parallel berechnen kann. Ein solches Unter-         dazu gemacht werden, wie gross der staatliche
 problem besteht aus bis zu 60 Gleichungen mit       Beitrag an die AHV idealerweise sein sollte, welchen
 60 Unbekannten und muss etwa 50’000 Mal             Effekt Steuern auf Kapitaleinkünfte haben oder wie
 gleichzeitig gelöst werden; viel mehr vermag die    hoch die Unternehmensbesteuerung sein sollte.
 in Europa verfügbare Rechenkraft derzeit nicht      Auch im Bereich der Finanzmärkte gibt es nach wie
 zu leisten. «Und man muss bedenken: Würden          vor viele offene Fragen, etwa, wie hoch die Kapital-
 wir uns auf grössere Modelle mit 61 Gleichungen     decke von Banken sein sollte oder ob Finanzmarkt-
 steigern wollen, würde das fast doppelt so viel     regulierung sinnvoll ist. «Dazu gibt es bis heute
 Rechenleistung benötigen. Wir sprechen hier von     keine quantitativen Modelle. Ich hoffe, meine Arbeit
 fast exponentiellem Wachstum.»                      trägt dazu bei, diese zu entwickeln.»

                                                                                                                   Oec. Juni 2017          7
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
I M GE S P R ÄC H

                      Fördern und vernetzen
             Alumnus Markus Assfalg, Leiter Standortförderung des Kantons Zürich, im Gespräch
                   mit Harald Gall, Professor für Informatik und Dekan der Wirtschafts-
                       wissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Franziska Haller

8    Oec. Juni 2017
Auf Tauchgang in Zürich - Fintech in Zürich: Wie aus Ideen Start- ups werden - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
HG: Ähnlich wie Unternehmen oder                   begründeten Stärken weiter zu pflegen       für Entscheidungen eingesetzt von
Hochschulen stehen Standorte heute                 und gleichzeitig für die anderen Branchen   Menschen.
ebenfalls im Wettbewerb. Was ist Ihr               gute Voraussetzungen zu schaffen, damit
Erfolgsrezept bei der Standortförderung            sie bei Schwächen des Finanzsektors kom-    MA: Wann sollte denn in der Ausbildung
des Kantons Zürich?                                pensierend auf den Konjunkturverlauf        sinnvollerweise mit Informatikgrundla-
MA: Wir leisten einen Beitrag, um die              wirken können.                              gen begonnen werden?
Unternehmen und ihre Zulieferfirmen                                                            HG: Die heutige Generation von Digital
in tragenden und zukunftsträchtigen                MA: Mich würde Ihre Prognose in Bezug       Natives kennt keine Berührungsängste
Branchen untereinander zu vernetzen                auf die Digitalisierung interessieren –     mit Informatik; Technologien und Soft-
und dadurch ihre Innovationskraft zu               werden uns künftig Roboter und künst-       ware sind fixer Bestandteil ihres Lebens.
erhöhen. Unser Filetstück ist der Cluster-         liche Intelligenz die Arbeit ganz abneh-    Dies müssen wir in der Ausbildung auf
Ansatz: Dies heisst, die Akteure entlang           men?                                        allen Stufen nutzen und uns loslösen von
der Wertschöpfungskette miteinander zu             HG: Algorithmen und Roboter werden          alten Denk- und Ausbildungsmustern.
verknüpfen, den Wissenstransfer zu be-             zu Dienstleistern im Beruf und im Alltag.   Der spielerische Umgang schon in der
schleunigen, Synergien zu erzeugen und             Darauf müssen wir uns einstellen und        Primarschule hilft wesentlich. Ich denke
schliesslich die Rahmenbedingungen                 diese Chancen auch nutzen. Informatio-      hier an Beispiele wie Scratch oder Alice
via Politik gezielt zu verbessern. Dabei           nen sind schnell und überall verfügbar,     als Lernsoftware, die Kindern auf einfa-
hilft, dass Zürich im Vergleich zu anderen         sie werden Teil unseres Wissens und         chem Weg über Games das Programmie-
Weltwirtschaftsstandorten kleinräumig              unserer Entscheidungen. Die Digitalisie-    ren beibringen.
ist. Kurze Wege und viele Gelegenheiten            rung hat die Arbeitswelt bereits stark
fördern den spontanen Austausch, die               verändert – heute konkurrieren wir ja       An Mittelschulen hat in den letzten
Kreativität und so auch die wirtschaft-            schon fast rund um die Uhr nicht nur mit    Jahren eine Aufwertung des Fachs
liche Prosperität.                                 anderen Menschen, sondern zunehmend         Informatik stattgefunden. Das ist für die
                                                   auch mit Algorithmen. Der Mensch wird       spätere Ausbildungs- und Berufswahl
HG: Worin sehen Sie die grössten zu-               aber auch in Zukunft nach wie vor eine      entscheidend. Hier würde ich mir weitere
künftigen Herausforderungen?                       tragende, wenn auch veränderte Rolle        Bestrebungen in diese Richtung wün-
MA: Mit Blick auf die Finanzwelt gehört            in der Arbeitswelt spielen. Auf der einen   schen, damit junge Menschen erkennen,
die Digitalisierung zu den zentralen               Seite mögen Berufsfelder verschwinden,      welches Zukunftspotenzial in der Infor-
Themen. Wir wollen die Kompetenzen in              auf der anderen entstehen dafür neue,       matikausbildung auch auf Hochschulebe-
der Finanz- und Informationstechnologie            der digitalisierten Welt entsprungene       ne liegt. An unserer Fakultät versuchen
verknüpfen und suchen dazu auch die                Jobs. Beispiel Big Data: Die technischen    wir, die Stärken der Wirtschaftswissen-
Zusammenarbeit mit erstklassigen Bil-              Möglichkeiten allein bringen noch keinen    schaften und der Informatik innovativ zu
dungsinstituten. Zürich hat Potenzial, sich        Mehrwert für ein Unternehmen. Diesen        verbinden und so die Grundlage für den
international als führender Wissens- und           bringen erst die Analyse und die Inter-     zukünftigen Arbeitsmarkt zu schaffen.
Wirtschaftsstandort zu positionieren. Der          pretation von Daten, zugreifbar über
Spagat besteht darin, die im Finanzsektor          Software, aufbereitet von Algorithmen,      HG: Wo sehen Sie hier Anknüpfungs-
                                                                                               punkte zur Standortförderung?
                                                                                               MA: Besonders im Wirtschaftsraum
Harald Gall (HG)                    Markus Assfalg (MA)                                        Zürich besteht eine enge Verbindung
Ist seit 2012 Dekan der Wirt-       Ist Leiter Standortmanagement                              zwischen Informations- und Kommunika-
schaftswissenschaftlichen           Kanton Zürich und leitet seit                              tionstechnologien (IKT) und der Finanz-
Fakultät der Universität Zürich.    Anfang 2009 die Standortförde-
In dieser Funktion leitet er alle   rung beim Amt für Wirtschaft
                                                                                               industrie. Im Kanton gibt es eine hohe
fakultären Geschäfte und ist        und Arbeit (www.standort.                                  Konzentration innovativer Unternehmen.
Teil der erweiterten Univer-        zh.ch). Nach einer Berufslehre                             Zahlreiche erfolgreiche IKT-Spinn-offs
sitätsleitung. Seit 2004 lehrt      als Elektromechaniker bildete er
                                                                                               sind aus der ETH und der UZH hervor-
und forscht er als Professor für    sich auf dem zweiten Bildungs-
Software Engineering am Insti-      weg zum Anwalt weiter und                                  gegangen – das ist für den Standort
tut für Informatik. Daneben ist     absolvierte 1999 den Executive                             höchst attraktiv. Zusätzliche Impulse aus
er unter anderem als Experte        MBA an der UZH. Ausgewählte                                der UZH bestärken diesen Trend noch
für EQUIS- und AACSB-akkre-         Stationen sind: Musiker,
ditierte Hochschulen tätig. Der     Engagements im Sozialbereich,                              mehr. Die Zahl der Fintech-Start-ups
gebürtige Österreicher hat an       Anwaltstätigkeit, SBB AG (Leiter                           wächst schnell und liegt bei circa 200
der TU Wien promoviert.             Rechtsdienst), Universität St.                             schweizweit. Wir schätzen, dass etwa die
                                    Gallen (Generalsekretär), Aufbau
                                    einer eigenen Firma (erneuer-
                                                                                               Hälfte davon in Zürich ansässig ist.
                                    bare Energien), Swissmem (Res-
                                    sortleiter Arbeitgeberpolitik).

                                                                                                                      Oec. Juni 2017   9
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STANDPUNKT
                                         Mit Zwingli zum wirtschaftlichen Erfolg?

                                         «Trifft man bei Reisen auf ein elendes Dorf, auf schlecht bearbeitete
                                         Felder, auf einen Bettlerschwall, so kann man zehn gegen eins wetten,
                                         dass Katholiken dort wohnen. Sieht man hingegen reinliche Behau-
                                         sungen, in denen man nichts als Wohlhabenheit und Fleiss antrifft,
                                         einen wohlverstandenen Anbau, so wird man höchst wahrscheinlich
                                         sich unter Protestanten befinden. Nirgends fällt das mehr ins Auge
                                         als in den begrenzten Gebieten Helvetiens.»

                                         So sah der Katholik Charles de Villers 1805 in seiner Untersuchung
                                         über den «Geist und Einfluss» der Reformation auf den «Fortschritt
                                         der Menschheit» die Schweiz. Bei aller Überzeichnung: Die unter-
                                         schiedliche wirtschaftliche Entwicklung von reformierten und katho-
                                         lischen Gebieten war bis ins 19. Jahrhundert hinein unübersehbar.
                                         Dass der Mensch dann besonders Gottes Abbild ist, wenn er arbei-
                                         tet, hatte schon Zwingli formuliert. Die Zürcher Reformation hat
                                         die etwa 80 katholischen Wochenfeiertage im Jahr abgeschafft und
                                         mit den Klöstern auch die Vorstellung, Meditation und Gebet sei-
                                         en «christlicher» als schlichte Arbeit. Derweil war der katholische
                                         Fromme damit beschäftigt, sich durch religiöse Werke in den Himmel
                                         hochzuarbeiten: An Wallfahrten und Prozessionen teilnehmen, Mes-
                                         sen und Heiligenbilder stiften und das erwirtschaftete Kapital am
                                         Lebensende der Kirche vermachen anstatt in den Betrieb zu stecken
                                         – alles in allem eine zeit- und kapitalraubende Angelegenheit. Auch
                                         der reformierte Christenmensch betet. Aber er hat Gottes gnädige
                                         Zuwendung für sein Leben als Geschenk gleichsam im Rücken und
Peter Opitz ist Professor für Kirchen-   muss sie nicht erst verdienen. Für ihn bedeutet Gottesdienst in der
und Dogmengeschichte von der             Welt: Fleiss, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Fairness – Eigenschaf-
Reformationszeit bis zur Gegenwart
an der Theologischen Fakultät der
                                         ten, die sich jeder Arbeitgeber und Geschäftspartner wünscht.
Universität Zürich. Er leitet das Ins-
                                         Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein fühlte man sich in «katholi-
titut für Schweizerische Reformati-
onsgeschichte.
                                         schen Milieus» in mehrfacher Hinsicht rückständig, besonders auch
                                         wirtschaftlich. Seither haben Katholiken allerdings zünftig aufgeholt
                                         – und damit also das «zwinglianische» Wirtschaftsethos in sich auf-
                                         genommen. War Zwingli in Kappel noch am erbitterten katholischen
                                         Widerstand gescheitert, kann dies als später Sieg verbucht werden,
                                         zumindest auf einem Gebiet. Zum vollkommenen Glück fehlt nur
                                         noch, dass katholische und reformierte Wirtschaftsleute gemeinsam
                                         auch das Grundprinzip von Zwinglis Wirtschaftsethik verinnerli-
                                         chen: Gemeinnutz vor Eigennutz!

      10       Oec. Juni 2017
FO KUS
  AUF TAUCHGANG
  IN ZÜRICH

                                              Begehrte
«Es ist emotional
ein anderes Erleb-
                                            Bahnhofstrasse
nis, ob ich eine     Lange verlief hier nur ein Wassergraben: In den 1860er Jahren gebaut, ist die Bahnhof-
Schweizer Uhr        strasse heute von Flagship Stores der grossen Marken und von Luxusgeschäften ge-
in China oder in     säumt. Alumnus und Immobilienexperte Jan Bärthel und Scilla Huang Sun, ebenfalls
Zürich kaufe. Das    Alumna und auf den Luxusgütersektor spezialisierte Fondsmanagerin, zeigen auf, wieso
ist einfach etwas    die 1,4 Kilometer so wertvoll für Zürich sind. Priska Feichter
Besonderes.»
Scilla Huang Sun     Eine Zeitreise um 200 Jahre zurück würde uns allen      Sie sollten das Gesicht von Zürich komplett verän-
                     ein Zürich zeigen, das heute kaum mehr vorstellbar      dern. Der Fröschengraben wurde eingeebnet, und
                     ist. Bis ins 19. Jahrhundert lag zwischen dem heu-      auf ihm sollte nach dem Vorbild französischer Boule-
                     tigen Paradeplatz und dem See das Kratzquartier,        vards eine Vorzeigestrasse mit weltstädtischem Flair
                     ein Armenviertel, geprägt von einfachen Häusern.        entstehen. Bei der Eröffnung des ersten Abschnitts
                     Entlang des unteren und mittleren Teils der heute       1865 noch ungepflastert, dauerte es jedoch noch
                     bekanntesten Strasse Zürichs lag der Fröschen-          etwa bis zur Jahrhundertwende, bis die Bahnhof-
                     graben, ein Wassergraben, der die Befestigung der       strasse ihren heutigen Glanz erreichte, der bald in
                     Stadt entlang der Stadtmauern verstärken sollte.        die ganze Welt hinausstrahlte. Einer, der schon früh
                     Erst ab 1860 begann die grosse Bauperiode dank          das richtige Gespür für den zukünftigen Erfolg der
                     Visionären wie Alfred Escher, Arnold Bürkli und Jakob   Strasse hatte, war David Sprüngli. Der Zuckerbäcker
                     Friedrich Wanner, der den heutigen Bahnhof und das      verlegte sein Geschäft bereits 1859 an den Parade-
                     Gebäude der damaligen Kreditanstalt plante.             platz, wo die Confiserie noch heute ist.

                                                                                                              Oec. Juni 2017   11
FO KU S
      AUF TAUCHGANG               Nicht die wertvollste, aber eine der teuersten Strassen   den Paradeplatz und gegen das untere Ende dank
      IN ZÜRICH                   Der Ruhm der Bahnhofstrasse ist angesichts der            dem Frequenzbringer Bahnhof an.
                                  Grösse der Stadt erstaunlich. «Obwohl Zürich
                                  eine kleine Metropole ist, hat die Bahnhofstrasse         Ihren jahrelangen Höhenflug haben die Mietpreise
                                  eine enorme und weltweite Ausstrahlungskraft»,            der Verkaufsflächen aber bis auf Weiteres beendet.
                                  bekräftigt Jan Bärthel, CUREM-Alumnus und Partner         Es sind neben dem starken Franken vor allem die
                                  bei Wüest Partner. Er schätzt, dass die Strasse einen     Online-Händler Amazon, Zalando und Co., die viele
                                  Wert von mehreren Milliarden Franken hat. Damit           Marken, insbesondere aus der Bekleidungs- und
                                  gehört sie nicht zu den wertvollsten der Welt – dafür     Schuhbranche, zunehmender Konkurrenz aussetzen
                                  ist sie im Vergleich zur 5th Avenue in New York oder      und die Flächenumsätze sinken lassen. Das wirkt sich
                                  zur Champs-Élysées in Paris schlicht zu kurz, und die     auch auf die Mietpreise aus. Allerdings hält Bärthel
                                  Gebäude sind nicht hoch genug. Bei den Mieten sieht       fest, dass die Zahlungsbereitschaft an der Bahnhof-
                                  das anders aus: Hier spielt Zürich in der Topliga mit.    strasse nach wie vor deutlich höher ist als an anderen
                                  Die Spitzenmieten liegen bei bis zu 9000 Franken pro      städtischen Lagen in Zürich. Die repräsentative Lage
                                  Quadratmeter für Detailhandelsflächen. Die Flächen        hat eine starke Schaufensterfunktion, für die im
                                  im Erdgeschoss mit hohem Schaufensteranteil sind          Zweifelsfall auch tiefer in die Tasche gegriffen wird.
                                  dabei am wertvollsten. «Im Ober- oder Unterge-
                                  schoss nimmt die Miete einer Fläche schnell um die        Spannungsfeld Rendite versus Vielfalt
                                  Hälfte ab», so Immobilienprofi Bärthel. Im Vergleich      Die hohen Preise verändern sowohl die Besitzstruk-
                                  dazu liegen die Spitzenmieten für Büroflächen bei         turen als auch die Mieterschaft an der Bahn-
                                  etwa 850 Franken pro Quadratmeter. Der Nutzungs-          hofstrasse. Die Eigennutzer sind tendenziell auf
                                  mix ist also ein wichtiger Faktor, um den Wert eines      dem Rückzug. An ihre Stelle treten immer mehr
                                  Gebäudes zu berechnen, ebenso wie die Lage.               Eigentümer, die die Immobilien besitzen, um sie
                                  Während die Mieten in der Mitte der Bahnhof-              gewinnbringend zu vermieten. Gerade bei institu-
                                  strasse etwas niedriger sind, steigen sie rund um         tionellen Investoren wie Immobiliengesellschaften,

Scilla Huang Sun ist Fonds-
managerin beim Vermögens-
verwalter GAM und spezialisi-
ert auf den Luxusgütersektor.
Zuvor war sie als Analystin und
Investmentmanagerin bei Julius
Bär und Clariden Leu tätig. Sie
hat 1992 in Wirtschaftswis-
senschaften an der Universität
Zürich doktoriert.

      12      Oec. Juni 2017
Spitzenmieten an der Zürcher Bahnhofstrasse
                                           in CHF pro m2 und p.a.

                                                                                                                      Jan Bärthel ist Partner bei Wüest Partner
                                                                                                                      und unter anderem auf die Bewertung
                                                                                                                      von Immobilien und Immobilienport-
                                                                                                                      folios spezialisiert. Er schloss 2007
                                                                                                                      den Masterlehrgang in Real Estate am
                                                                                             Quelle: Wüest Partner    CUREM UZH ab und hält einen Lehrauf-
                                                                                                                      trag der Universität Zürich (CUREM) im
                                                                                                                      Fach Immobilienbewertung.
Versicherungen und Pensionskassen sind Immobi-           Das Erlebnis zählt
lien beliebte Anlageobjekte. Ihnen gehören etwa drei     Das bestätigt die Anlagespezialistin Scilla Huang Sun.
Viertel der Gebäude entlang der Strasse. Der Rest ist    Sie ist Fondsmanagerin eines Luxusgüterfonds bei
vornehmlich in der Hand von Erbengemeinschaften.         GAM und spricht regelmässig mit Unternehmens-
Die Professionalisierung in der Eigentümerschaft         vertretern aus der Branche, die insbesondere am             «Jeder einzelne
führt dazu, dass Renditeoptimierungen in den Vor-        oberen Ende der Bahnhofstrasse zahlreich vertreten          Laden und jede
dergrund rücken und die Mieten auf Marktniveau           ist. Der Sektor hat in den letzten zwei bis drei Jahren     Marke vor Ort profi-
angehoben werden. Das kann zu einem Spannungs-           gelitten, allen voran die Uhrenhersteller. Die tradi-
                                                                                                                     tiert von der Vielfalt
feld führen, weil sich nicht mehr alle Branchen die      tionell hohe Nachfrage aus Ländern wie Russland
                                                                                                                     an der Bahnhof-
Mieten leisten können. Gleichzeitig will niemand         und Brasilien brach aufgrund von deren schwachen
eine Bahnhofstrasse, die nur noch aus Juwelieren         Währungen ein und jene aus China nicht zuletzt
                                                                                                                     strasse.»
                                                                                                                     Jan Bärthel
besteht. «Jeder einzelne Laden und jede Marke            wegen der Korruptionsbekämpfungsmassnahmen
vor Ort profitieren von der Vielfalt», unterstreicht     der Regierung. Nun ist laut Huang Sun langsam
Bärthel. «Sie ist einer der Faktoren, der die Bahn-      eine Normalisierung spürbar. Aber auch in zyklisch
hofstrasse zu einer starken Marke macht.» Trotz          schwierigen Zeiten sind Cartier, Omega und Tissot
der hohen Preise sieht er durchaus auch Trends, die      – allesamt Marken, die zu den Schweizer Häusern
diese Vielfalt am Leben erhalten. Dazu gehört unter      Richemont und Swatch gehören – an der Bahnhof-
anderem die steigende Nachfrage nach kleineren           strasse präsent. In den genannten Fällen sogar mit
Mietflächen. Wo beispielsweise früher Franz-Carl-        eigenen Geschäften. Ein Grund ist die Emotionalität
Weber eine Fläche von rund 2500 Quadratmetern            von Luxusgütern. «Wer ein Luxusgut kauft, kauft kein
alleine belegt hat, sind neu zwei bis drei Teilflächen   Produkt, sondern ein Erlebnis», erklärt die promo-
geplant. Damit entsteht Platz für mehr Vielfalt auf      vierte Ökonomin. Es geht darum, den Kunden ein
gleichem Raum.                                           Einkaufs- und Markenerlebnis mit auf den Weg zu
                                                         geben. «Viele Menschen wollen eine Uhr nach wie
Überhaupt ist vieles in Bewegung: Wer heute durch        vor am Handgelenk sehen, bevor sie sie kaufen.»
die Bahnhofstrasse geht, hat das Gefühl, dass jedes      Repräsentative Flagship Stores an exklusiver Lage
zweite Gebäude hinter einem Gerüst steht. Was fürs       sind deshalb zentral. So haben in den letzten Jahren
Auge nicht sehr schön ist, wertet der Immobilien-        beispielsweise Audemars Piguet, Jaeger-LeCoultre
kenner durchaus positiv. Investiert wird nur dort,       und Prada ihre Präsenz an der Bahnhofstrasse um
wo es sich lohnt. Bärthel betont, dass es wichtig        eigene Ladenlokale erweitert.
und notwendig ist, dass sich eine Strasse, die im
internationalen Wettbewerb steht, ständig weiter-        Eine Uhr aus der Schweiz
entwickelt, um ihre Position nicht zu verlieren. «Die    Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor
Umbautätigkeiten an der Bahnhofstrasse halte ich         sind die Touristen. Pro Jahr übernachten etwa 5,4
für ein gutes Zeichen. Sie sind ein Indiz dafür, dass    Millionen Touristen in Zürich, hinzu kommen jährlich
die Bahnhofstrasse weiterhin eine ungebrochene           etwa 15 Millionen Tagestouristen. Gerade für den
Attraktivität aufweist.»                                 Luxusgütersektor spielen sie eine grosse Rolle:

                                                                                                                           Oec. Juni 2017          13
FO KU S
      AUF TAUCHGANG
      IN ZÜRICH                Allein Chinesinnen und Chinesen stützen mit ihren
                               Käufen im In- und Ausland 20 bis 25 Prozent der
                               weltweiten Luxusgüternachfrage. Die Schweiz ist
                               ein beliebtes Reiseland, das bei dieser Klientel nach
                               wie vor für Stabilität und Qualität steht. «Wenn sie
                               in der Schweiz einkaufen, können sie sicher sein, dass
                               sie ein Original und keine Fälschung bekommen», so
                               die Luxusexpertin. «Und was mindestens genauso
                               wichtig ist: Es ist emotional ein anderes Erlebnis, ob
                               ich eine Schweizer Uhr in China oder in Zürich kaufe.
                               Das ist einfach etwas Besonderes.»

                               Nachgefragt werden laut Scilla Huang Sun neben
                               Uhren auch immer mehr Güter aus dem Bereich des
                               «erschwinglichen Luxus». Dazu gehören Marken
                               wie Adidas und Nike oder Kosmetik der angesagten
                               Brands Urban Decay, MAC und Too Faced. Sie ziehen
                               zum einen die neue Mittelschicht aus den Schwellen-
                               ländern an, die dem westlichen Lifestyle nacheifert,
                               und zum anderen die Millenials, die noch nicht über
                               die gleich hohe Kaufkraft wie ihre Eltern verfügen.
                               Ebenfalls sehr beständig sind die etablierten Brands
                               im Luxus-Topsegment. Sie haben auch in Zürich nach
«Die Umbautätig-               wie vor Zulauf. «Die Wartezeit für eine Birkin Bag von
keiten an der Bahn-            Hermès kann Monate bis Jahre betragen, und etabli-
hofstrasse sind ein            erte Marken wie Louis Vuitton und Cartier ziehen im-
Indiz dafür, dass              mer.» Die Nachfrage nach schönen Dingen im Leben
die Bahnhofstrasse             scheint ungebrochen – und dürfte den Glamour der
weiterhin eine unge-           Bahnhofstrasse noch lange befeuern.
brochene Attraktivi-
tät aufweist.»
Jan Bärthel

                                                                                 Paradeplatz, 1895

                                 Historischer Rückblick
                                 Wo heute die Bahnhofstrasse steht, lagen bis ins 19. Jahrhun-
                                 dert ein Armenviertel und ein Wassergraben. Erst 1860, als Zü-
                                 rich gerade mal 20’000 Einwohner zählte, fiel der Spatenstich
                                 für die heute weltbekannte Einkaufsmeile Bahnhofstrasse.
                                 Das war nicht unumstritten: Ganze Zeughäuser mussten ver-
                                 legt, zahlreiche andere Gebäude abgerissen werden. Auch war
                                 man sich lange uneins darüber, wie gross die Bahnhofstrasse
                                 angelegt werden sollte – am Ende obsiegte jenes visionäre
                                 Lager, das der Bahnhofstrasse eine prunkvolle Zukunft ähnlich
                                 den französischen Boulevards voraussagte. Verkehrstechnisch
                                 erschlossen wurde die Strasse ab 1881 mit dem Bau einer Stra-
                                 ssenbahnlinie, ursprünglich noch Pferdetrams.

     14       Oec. Juni 2017
«Mis Züri»
                   Fünf Alumni und ihr Bezug zur
                   Limmatstadt

                   Herbert Bolliger, Migros-Chef
                   «Ich bin zwar nicht der grosse Abenteurer, aber wenn
                   ich im Hochsommer aus meinem Bürofenster auf
                   den Zürichsee schaue, habe ich manchmal richtig
                   Lust, eine Nacht am Ufer zu campieren. Nun habe
                   ich mir vorgenommen, im Juli oder August auf dem
                   Campingplatz vom Restaurant Fischers Fritz eines der
                   Safari-Zelte zu buchen. Und falls mir das Zelt dann
                   doch zu wild ist, nehme ich den Wohnwagen – einen
                   original Airstream Overlander 27.»

                   Patrizia Laeri, Wirtschaftsjournalistin
                   SRF Fernsehen und Radio
                   «Ich liebe diese Stadt. Und am nächsten fühl ich
                   mich ihr auf den Flössen. Ausgestreckt auf Holz, lullt
                   sie mich wogend ein, im Sonnen-Gegenglitzerlicht,
                   was für eine Schönheit, verführerisch duftend, nach
                   Seegras, Vespas und einem Hauch Alpenluft.»

                   Uli Forte, Chef-Trainer FC Zürich
                   «Ich verbinde mit Zürich meine Heimat … dorthin, wo
                   ich nach meinen Reisen immer wieder am liebsten
                   zurückkomme! Dort, wo meine Familie und alle
                   meine Jugendfreunde zu Hause sind!»

                   Filippo Leutenegger, Stadtrat Zürich
                   «Als internationaler Wirtschafts- und Hochschul-
                   standort an schönster Lage ist Zürich eine Weltstadt
                   im Taschenformat. Und dank einer Prise Italianità in
                   der Gastronomie sowie im gesellschaftlichen Leben,
                   das in der warmen Jahreszeit immer mehr draussen
                   stattfindet, ist Zürich eine Trendstadt mit grosser
             .
      wwwuzh.ch/
                   Lebensqualität.»

    l u m ni. nt     Regula Pfister, VR-Präsidentin der

oeca gageme
                     ZFV-Unternehmungen

   en
                     «Zürich ist meine Heimatstadt. Hier fühle ich
                   mich aufgehoben und geborgen. Stille, Einkehr und
                   Inspiration finde ich in der Innenstadt bei der Kirche
                   St. Peter – vielleicht, weil mein Urgrossvater der letzte
                   Turmwart war? Für Weitblick und zukunftsweisende
                   Ideen ist das hoch über der Stadt gelegene Sorell
                   Hotel Zürichberg – das Flaggschiff der ZFV-Unterneh-
                   mungen – der geeignete Ort.»

                                                       Oec. Juni 2017    15
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                                                                                                      Wie der Vater
      AUF TAUCHGANG
      IN ZÜRICH

                                         Ungleichheit und soziale Mobilität: Um die dahinterliegenden Mechanismen
                                         besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. VWL-Professor
                                           Ulrich Woitek und sein Team tun dies am Beispiel von Zürich. Maura Wyler

                                     Herr Woitek, Sie beschäftigen sich in mehreren For-      stellung, dass soziale Mobilität über den Unter-
                                     schungsprojekten mit der Geschichte der Stadt Zürich     suchungszeitraum hinweg nicht wesentlich zunimmt.
                                     und konzentrieren sich dabei auf das 19. Jahrhundert.    Was bedeutet das genau?
                                     Warum gerade Zürich und warum diese Epoche?
                                                                                              Giacomin Favre: Wir stellen fest, dass soziale Mobi-
                                     Ulrich Woitek: Es ist überhaupt interessant, über        lität zu dieser Zeit alles andere als perfekt war. Stel-
                                     die Schweiz zu forschen, da es ein sehr heteroge-        len wir uns einen Zürcher Bäckerssohn vor, der aus
                                     nes Land ist, zum Beispiel in Bezug auf Kultur und       einer tieferen sozialen Schicht stammte. Nicht nur
                                     Geografie. Gleichzeitig ist die Schweiz politisch sehr   war die Wahrscheinlichkeit, sein Leben lang in der-
                                     stabil, wodurch die Analyse von Determinanten            selben Schicht zu bleiben, mit 60 % sehr hoch, auch
                                     langfristigen Wachstums einfacher wird. Zürich           die Berufswahl wurde stark durch das Elternhaus
                                     spielt in der Geschichte der Schweiz eine wichtige       determiniert. Bei den vor 1850 Geborenen lag die
                                     Rolle. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt zu einem       Wahrscheinlichkeit, selbst auch Bäcker zu werden,
                                     wichtigen Finanz-, Verkehrs- und Bildungszentrum.        bei 32 %. Man stelle sich das vor – bei über 2000
                                     Die Schweiz wurde wirtschaftlich immer erfolgrei-        verschiedenen Berufen! Erstaunlich ist auch, dass
                                     cher und wandelte sich von einem Nettoauswande-          sich dieser Zusammenhang über das Jahrhundert
                                     rungsland zu einem Nettoeinwanderungsland. Die           hinweg nicht gross veränderte, trotz des Struktur-
                                     Epoche war gekennzeichnet durch einen enormen            wandels. So galt auch für die nach 1850 Geborenen,
                                     gesellschaftlichen Wandel sowie durch die erste und      dass 27 % der Bäckerssöhne selber Bäcker wurden.
                                     zweite industrielle Revolution.
                                                                                              Woitek: Die Daten zeigen, dass der Status des Va-
                                     Uns interessieren die Determinanten wirtschaftli-        ters und jener des Grossvaters wesentliche Einfluss-
                                     chen Wachstums in dieser Zeit und auch die Konse-        grössen waren. Es spielte auch eine Rolle, ob der
                                     quenzen des Wachstums. In diesem Zusammenhang            Vater beim Militär war und welchen Rang er dort
«Die Daten zeigen,                   analysieren wir in unseren Projekten die Verände-        ausübte, ob er einer Zunft angehörte und ob er ein
dass der Status des                  rung des Lebensstandards sowie die Entwicklung           politisches Amt ausübte. Diese Faktoren begünstig-
Vaters und jener des                 sozialer Mobilität und des Bildungsniveaus.              ten den Aufstieg der Söhne in eine höhere Schicht.
Grossvaters wesent-                                                                           Weshalb die soziale Mobilität über das 19. Jahrhun-
liche Einfluss-                      Herr Favre, ein Hauptergebnis aus Ihrer Studie zu        dert nicht zunahm, können wir uns bis jetzt noch
grössen waren.»                      sozialer Mobilität im 19. Jahrhundert ist die Fest-      nicht erklären.
Prof. Ulrich Woitek mit den Dokto-
rierenden Giacomin Favre und Gabi
Wüthrich

     16       Oec. Juni 2017
er, so der Sohn
   Ungleichheit ist auch heute ein zentrales Thema.        sich erkennen, dass es lange Zeit keine merkli-
   Würde der Bäckerssohn heute leben, was wäre             chen Veränderungen bezüglich der regionalen
   anders?                                                 Bildungsunterschiede gab. Erst gegen die Jahrhun-      Ulrich Woitek ist seit 2004 Professor für
                                                           dertwende hin lassen sich wesentliche Verände-         Wirtschaftsgeschichte an der Universi-
   Woitek: Aktuelle Studien zeigen, dass die sozi-         rungen erkennen.                                       tät Zürich. Er interessiert sich insbe-
   ale Mobilität in der Schweiz immer noch nicht                                                                  sondere für anthropometrische Daten,
                                                                                                                  Konjunkturzyklen und Humankapital aus
   besonders hoch ist, auch im Vergleich mit anderen       Woitek: Dafür gibt es zwei verschiedene Erklä-
                                                                                                                  historischer Perspektive. Die Doktorieren-
   europäischen Ländern. Noch heute ist die Wahr-          rungsansätze: Zum einen hat sich aufgrund der
                                                                                                                  den, Giacomin Favre und Gabi Wüthrich,
   scheinlichkeit, eine Maturitätsschule zu besuchen,      zweiten industriellen Revolution die Nachfrage         arbeiten zusammen mit Prof. Woitek an
   für jene aus einem bildungsnahen und einkom-            verändert. Man brauchte eine bessere Ausbildung        mehreren Projekten.
   mensstarken Elternhaus deutlich höher.                  für die neu entstandenen Berufe, etwa Ingenieure
                                                           oder Mechaniker. Zum anderen muss man sehen,
   Welche Auswirkungen hatte die Gründung der Uni-         dass die Ergebnisse der pädagogischen Rekru-
   versität Zürich im Jahr 1833 in Bezug auf die soziale   tenprüfung veröffentlicht wurden. So entstand         «Die soziale Mo-
   Mobilität?                                              regionale Konkurrenz auf allen Ebenen, da man         bilität ist in der
                                                           natürlich möglichst gut abschneiden wollte. Po-       Schweiz immer
   Woitek: Die Gründung hat wohl im Durchschnitt           litischer Druck kam auf, die Qualität der Schulbil-   noch nicht beson-
   nicht viel bezüglich der sozialen Mobilität bewegt,     dung zu erhöhen. Das sieht man auch anhand der        ders hoch, auch
   aber in bestimmten Bereichen war sie weichen-           Entwicklung der Schulausgaben pro Kind, die am        im Vergleich mit
   stellend für die Zukunft. Die ersten Ordinarien in      Ende des 19. Jahrhunderts gestiegen sind.             anderen europäi-
   Zürich waren alles Deutsche, die aus politischen                                                              schen Ländern.»
   Gründen in die Schweiz kamen. Aber ungefähr ab          Wir haben nun viel über Söhne und deren Väter         Prof. Ulrich Woitek
   1880 stammte die Mehrheit der Professoren aus           und Grossväter gehört. Können Sie auch etwas zu
   der Schweiz. Hier entstanden also neue Berufs-          den Frauen sagen?
   möglichkeiten.
                                                           Woitek: Leider gibt es kaum Daten zu den Frauen
   Frau Wüthrich, in Ihrem Projekt widmen Sie sich der     im 19. Jahrhundert. Das hat mit der damaligen
   historischen Entwicklung des Bildungsniveaus. Wie       Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu tun.
   stand es im 19. Jahrhundert um das Humankapital         In den Bürgerbüchern der Stadt Zürich tauchen
   in Zürich?                                              sie nur am Rande auf. In den Steuerregistern
                                                           wurden zwar Frauen erfasst, die ein Einkommen
   Gabi Wüthrich: Wir haben die Daten einer helveti-       oder Vermögen aufwiesen, das war aber selten
   schen Schulumfrage von 1799 mit den Ergebnis-           der Fall.
   sen der pädagogischen Rekrutenprüfung im
   19. Jahrhundert verglichen. Aus den Daten lässt

                                                                                          Bahnhofplatz um 1906          Oec. Juni 2017          17
FO KU S
           AUF TAUCHGANG
           IN ZÜRICH

                                  Zürcher
                           Börsengebäude
                                  ab 1880

                                                                                                            Innovation ma
Historischer Rückblick
Die erste Börse der Schweiz wurde
1850 in Genf gegründet, der Zürcher
Börsenverein folgte 1855. Mit dem
ersten Börsenticker und dem ersten
Börsenfernsehen der Welt positio-              Warum es entscheidend ist, zu den schnellsten Börsen der Welt zu gehören,
nierte sich die Börse bereits in den
1930er beziehungsweise den 1960er
                                                 wie die SIX aus Ideen Start-ups formt und wohin uns Blockchain und die
Jahren als innovativer Taktgeber. 1993       Digitalisierung führen könnten: Alumnus Robert Bornträger, Chef der globalen IT
schlossen sich die Börsen Genf, Basel
                                                bei SIX, erzählt, wie in Zürich neue Ideen vorangetrieben werden. Priska Feichter
und Zürich zusammen und führten
zwei Jahre später als neue Schweizer
Börse zum ersten Mal den vollelekt-         «Innovativ zu sein, ist anstrengend. Es ist ein täglicher   der Welt, 1996 war sie die erste Börse weltweit mit
ronischen Handel ein. Am 16. August
                                            Kampf, der immer wieder von vorne anfängt.» Robert          vollelektronischem Handel. Wieso kommt diese Inno-
1996 wurde der klassische Ringhan-
                                            Bornträger weiss, wie viel Arbeit, Hartnäckigkeit           vationskraft gerade aus Zürich? «Wir haben sehr gute
del an der Schweizer Börse endgültig
eingestellt. Die SIX gehört heute zu        und Kreativität dazu gehören, Neues zu schaffen.            Universitäten und ein weltweit einzigartiges duales
den schnellsten Börsen der Welt und         Als CEO der Division Global IT leitet er einen Kernbe-      Bildungssystem. Innovation hat Tradition in der
führte 2012 die Weltrangliste gar an.       reich der SIX, der Betreiberin der Schweizer Börse SIX      Schweiz», so die Einschätzung von Robert Bornträger.
                                            Swiss Exchange, und damit jenen Bereich, der unter          «Bei der Vermarktung dieser Innovationsleistungen
                                            anderem dafür sorgt, dass die Schweizer Börse zu            sind wir hingegen nach wie vor zu bescheiden, da
    «Wenn aus Ideen                         den schnellsten der Welt gehört. 2012 war sie gar die       sind uns die Kollegen aus dem Silicon Valley weit
    Realität werden soll,                   schnellste der Welt. Gibt ein Händler einen Auftrag         voraus.» Eine weitere Schwäche ortet er beim Thema
                                            auf, dauert es gerade mal 35 Mikrosekunden, bis der         Risikokapital. «In der Schweiz fehlen Financiers, die
    ist es wichtig, dass
                                            Trade ausgeführt wird. So sind über 10’000 Trades           bereit sind, im Frühstadium eines Start-ups Unter-
    man strukturiert
                                            pro Sekunde möglich. «Die Technologie unterscheidet         stützung zu bieten und nicht erst dann, wenn schon
    vorgeht.»                               uns von anderen Börsen und ist ein entscheidender           ein Produkt vorhanden ist.»
    Robert Bornträger
                                            Wettbewerbsvorteil», erklärt der IT-Chef. «Geschwin-
                                            digkeit bringt Volumen, und Volumen bringt Liquidi-         Kreativität in der Luft
                                            tät. Das ist das Wichtigste für einen Händler und für       Einen Beitrag, um diese Lücke zu schliessen, leistet
                                            die Unternehmen selber.»                                    der Verein F10, ein Start-up-Inkubator und Accele-
                                                                                                        rator, der von der SIX gegründet wurde und sich
                                            Weltweit zu den Besten gehören                              auf Fintech-Themen spezialisiert hat. Sobald man
                                            Der Antrieb, immer noch besser zu werden, liegt             die Räumlichkeiten an der Förrlibuckstrasse betritt,
                                            in der DNA des Unternehmens. 2012 war nicht das             spürt man die Kreativität, die in der Luft liegt. Offene
                                            erste Mal, dass die Börse weltweit eine Pionierrolle        Räume, bunte Sofas aus Paletten, eine Tischtennis-
                                            einnahm. 1961 bot die SIX das erste Börsenfernsehen         platte. Ein Tischfussballkasten darf natürlich auch

          18       Oec. Juni 2017
Robert Bornträger ist CEO der Division
                                                                                                                       Global IT der SIX Group und damit ver-
                                                                                                                       antwortlich für die Entwicklung und den
                                                                                                                       Betrieb der gesamten IT. Davor hielt er
                                                                                                                       verschiedene Führungspositionen inne,
                                                                                                                       unter anderem als CEO der Telekurs Ser-
                                                                                                                       vices AG, Geschäftsführer der Integralis
                                                                                                                       Schweiz AG und Chief Information Officer
                                                                                                                       der Swiss International Air Lines. Sein
                                                                                                                       Studium mit Schwerpunkt Wirtschaftsin-
                                                                                                                       formatik an der Universität Zürich schloss
                                                                                                                       er 1992 ab.

ade in Zurich
                                                                                                                      «Ungefähr eine aus
                                                                                                                      100 bis 200 Ideen
                                                                                                                      kommt zur Umset-
 nicht fehlen. Hier werden Ideen zu lebensfähigen           wieder vor Senior Executives der Mitgliedsfirmen SIX,
                                                                                                                      zung. Die grosse
 Start-ups geformt und Investoren vorgestellt. Die          Julius Bär, PWC, Generali oder Baloise geübt. Am Ende     Kunst ist, die Ideen-
 mobile Bezahllösung Paymit ist beispielsweise hier         der sechs Monate bekommen die Teilnehmerinnen             pipeline gefüllt zu
 entstanden.                                                und Teilnehmer die Chance, ihr Start-up am Demo           halten.»
                                                            Day vor Investoren vorzustellen.                          Robert Bornträger

 Der Verein F10 ist aus einem ursprünglich SIX-inter-
 nen Ideenförderungsprozess entstanden. «Wenn               Sich auf Veränderung einstellen
 aus Ideen Realität werden soll, ist es wichtig, dass       Nun stellt sich noch die Frage, was die nächste
 man strukturiert vorgeht», betont der Wirtschafts-         grosse Innovation von SIX sein könnte. Hier nennt der
 informatiker. Deshalb hat die SIX für die interne          IT-Chef zwei grosse Trends. Zum einen sieht er viel
 Innovation einen fünfstufigen Innovationsprozess           Potenzial in der Blockchain-Technologie. Statt wie bis
 mit klar definierten Zwischenschritten eingeführt.         anhin Daten zentral zu speichern und zu verarbeiten,
 Mit jeder Stufe, die eine Idee überlebt, erhält die        werden Transaktionsinformationen bei Blockchain
 Ideengeberin oder der Ideengeber mehr Ressourcen           auf viele verschiedene Rechner im Netz verteilt.
 für die Weiterentwicklung. «Die Erfahrung zeigt, dass      «Wenn sich Blockchain durchsetzt, würde das bedeu-
 ungefähr eine aus 100 bis 200 Ideen zur Umsetzung          ten, dass sich unser Geschäftsmodell in einigen Berei-
 kommt. Die grosse Kunst ist, die Ideenpipeline gefüllt     chen komplett verändern würde. Die Funktion einer
 zu halten», erklärt Bornträger.                            zentralen Verarbeitungsplattform braucht es dann in
                                                            der heutigen Form nicht mehr. Hier gibt es Platz für
 Die Pipeline für externe Innovation wird heute dank        innovative Ideen, den wir natürlich füllen wollen.» Ein
 der Gründung von F10 systematisch alimentiert. Ein         zweiter grosser Trend ist die Digitalisierung der Iden-
 Highlight im Angebot von F10 ist das Accelerator-Pro-      tität. Sollte es möglich werden, alle Kunden digital
 gramm, an dem zweimal im Jahr die zehn bis fünf-           zu identifizieren, würden die Eröffnung eines Kontos
 zehn besten FinTech-, InsurTech- oder RegTech-Teams        oder der Wechsel von Bank A zu Bank B viel einfa-
 teilnehmen können. Sie erhalten Mentoren zur Seite         cher über das Internet möglich. Die SIX könnte diese
 gestellt, die die Gründerteams beraten, hinterfragen       Daten beispielsweise als neutrale Instanz zentral
 und das nötige Business-Know-how vermitteln. Teil          verwalten. Welche neuen Technologien sich am Ende
 des Coachings ist zum Beispiel, die eigene Idee in         durchsetzen, wird der Markt entscheiden, aber die SIX
 einer Minute auf den Punkt bringen zu können. Das          wird sicherlich weiterhin dazu beitragen, Innovation
 klingt leichter, als es ist, und wird deshalb wieder und   made in Zurich zu fördern.

                                                                                                                           Oec. Juni 2017          19
ALUM N I P O RTR AIT

                                             «Ein Semester VWL
                                            schadet niemandem»
«Auf meine eigene
kleine Art bin ich ja
nun Manager, und
zwar der meiner
eigenen kleinen                    Ein VWL-Abschluss und ein Doktortitel in Philosophie: keine unbedingt übliche Kombi-
Firma. Ich bin jetzt               nation. Der Schriftsteller und Alumnus Philipp Tingler erläutert, warum sie eine nahe-
einfach auch das                   liegende ist und welches Buch man jedem CEO in die Hand geben kann. Mauro Werlen
Produkt und schaue
immer, wie diese                   Philipp Tingler spricht leise und zügig, wählt seine   auf die Welt und machte sich Ende der Achtziger-
Marke positioniert                 Worte trotzdem mit Bedacht und formuliert Sätze        jahre auf den Weg in die Schweiz, um an der HSG zu
ist.»                              aus dem Stegreif, wie mancher sie nur nach reifli-     studieren und danach «Industriekapitän» zu werden.
Philipp Tingler                    cher Überlegung niederschreiben würde. Als Kulisse     Der Anfang lief nach Plan, er zog fürs Studium nach
                                   für das Gespräch bietet die Museumsgesellschaft        St. Gallen, wechselte nach einem Auslandaufenthalt
                                   Zürich das Literaturhaus an; für ein Treffen mit       an der LSE aber nach Zürich, wo er «ohnehin schon
                                   einem Schriftsteller der richtige Ort. Doch wer ist    jedes Wochenende war». Der Grund für den akade-
                                   dieser Schriftsteller eigentlich? An der Universität   mischen Wechsel fusste aber auch auf einer Werte-
                                   Zürich schloss Philipp Tingler sein VWL-Studium ab,    veränderung: «Nach dem Aufenthalt an der LSE war
                                   danach doktorierte er im Fach Philosophie. Er tritt    es für mich klar, dass ich die Sache nicht in St. Gallen
                                   regelmässig im SRF Literaturclub auf, hat zahlreiche   beenden konnte.» In Zürich durfte Tingler auch Ne-
                                   Bücher verfasst, wurde mehrfach ausgezeichnet und      benfächer belegen, er wählte die Philosophie, quasi
                                   schreibt regelmässig Essays und Glossen in Tageszei-   als Kompensation, da er sich zu jenem Zeitpunkt
                                   tungen sowie Magazinen. 1970 kam er in Westberlin      schon etwas von der Ökonomie entfernt hatte. Trotz-

      20          Oec. Juni 2017
Hedge-Fonds maximale Kohle zu machen», fährt
                                                          Tingler fort, es handle sich aber um ein veraltetes
                                                          Vorurteil, alle Manager und Unternehmensführer in
                                                          diesen einen Topf zu werfen. Als Entscheidungsträger
                                                          sei es wichtig, sich über Werthierarchien und den
                                                          Sinn oder höheren Zweck einer ökonomischen Unter-          Philipp Tingler ist Schweizer (aus Nei-
                                                          nehmung Gedanken zu machen: «Das Bewusstsein               gung) und Berliner (von Geburt). Er stu-
                                                          für die Wichtigkeit dieser Faktoren ist schon da. Eine     dierte Wirtschaftswissenschaften und
                                                          besondere Rolle kommt darum den wirtschaftswis-            Philosophie in St. Gallen, London und Zü-
                                                                                                                     rich und verfasste eine Dissertation über
                                                          senschaftlichen Fakultäten zu, damit diese den kom-
                                                                                                                     den transzendentalen Idealismus. Als
                                                          menden Entscheidungsträgern dieses Bewusstsein
                                                                                                                     Schriftsteller und Essayist mehrfach aus-
                                                          und die dazugehörigen Werte vermitteln können.             gezeichnet, schreibt er neben Romanen,
                                                          Denn diese Fakultäten sind die global vernetzten           Kurzprosa und Sachbüchern regelmässig
                                                          Think-Tanks der Zukunft».                                  für Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk
                                                                                                                     und Fernsehen. Derzeit ist er im SRF Li-
                                                                                                                     teraturclub zu sehen und moderiert die
                                                          «Es gab nicht mal einen Plan B»
                                                                                                                     Berner Reden.
                                                          Tinglers nächstes Buch ist bereits in Planung, er
                                                          schreibt regelmässig für verschiedene Publikatio-
                                                          nen oder tritt im Fernsehen auf. Kurz: Das Geschäft
                                                          läuft. Ist der Traum vom Industriekapitän doch wahr
                                                          geworden? «Auf meine eigene kleine Art bin ich ja
                                                          nun Manager, und zwar der meiner eigenen kleinen
                                                          Firma. Ich bin jetzt einfach auch das Produkt und
                                                          schaue immer, wie diese Marke positioniert ist»,
                                                          stellt er zufrieden fest. Das Schreiben sei zwar immer
                                                          schon dagewesen, es habe aber nie einen Masterplan
                                                          gegeben: «Es gab nicht mal einen Plan B.» War so
                                                          viel Selbstbewusstsein vorhanden? «Entweder das,
dem ist er heute als Schriftsteller froh, dass er über    oder es fand einfach keine Reflexion statt über mein
ein fundiertes wirtschaftliches Wissen verfügt, denn      Tun», erzählt er lachend und fügt hinzu: «Wissen
seiner Meinung nach gehört die ökonomische Sphäre         Sie, manchmal muss man dem Leben ein bisschen
zu den leitenden unserer Zeit: «Die Menschen richten      vertrauen, man muss ein bisschen Freundlichkeit
sich danach aus, und jeder äussert sich irgendwie         investieren. Dann kommt das Leben einem auch
dazu, gerade auch Künstler oder Schriftsteller. Und bei   entgegen.» Er ist sich durchaus bewusst, dass er als
einigen Äusserungen denke ich dann jeweils, dass es       erfolgreicher Autor aus einer privilegierten Warte
nicht geschadet hätte, zuvor mal ein Semester VWL         spricht. Als Teil des Literaturbetriebs – dem manche
belegt zu haben.»                                         bereits schwere Zeiten prophezeit haben – ist er sich
                                                          aber auch sicher, dass es immer einen Absatz geben
Philosophische Antworten auf ökonomische Fragen           wird für Literatur: «Wenn ich mir so überlege, wie
Die Gebiete der Ökonomie und der Philosophie              viele Titel jedes Halbjahr erscheinen, müssen wir uns      «Natürlich gibt
überschneiden sich häufig, in der gesamtgesell-           nicht darum sorgen, zu wenig Auswahl zu haben. Bü-        es immer noch
schaftlichen Diskussion komme das aber leider             cher werden weiterhin gekauft, trotz der E-Reader.»       solche London City
zu wenig zur Geltung, meint Tingler, der auch das         Auf die Frage, welches Buch er den Entscheidungs-         Boys, denen es nur
Zürcher Bürgerrecht hat. Dabei würde es aber genau        trägern dieser Welt empfehlen würde, antwortet            darum geht, mit
da erst richtig interessant: «Fragen wie ‹Was ist eine    er nach einer kurzen Pause mit «Herr der Fliegen»         ihren Hedge-Fonds
gerechte Einkommensverteilung?› oder ‹Kann ich            von William Golding. Bei der letzten Lektüre sei er       maximale Kohle zu
in Kauf nehmen, dass es einigen Leuten schlechter         fast konsterniert gewesen von der Zeitlosigkeit der       machen.»
geht, wenn es einer quantitativ grösseren Zahl von        Botschaften im Buch und davon, wie schnell es gehen       Philipp Tingler
Menschen besser geht?› werden immer auch philo-           kann, bis zivilisatorische Errungenschaften sich auflö-
sophisch beantwortet.» Die Beantwortung solcher           sen: «Der Erste, der immer dran glauben muss, ist der
und ähnlicher Fragen bedinge gerade als CEO eine          dicke Junge mit der Brille, der eigentlich die klugen
grosse Reflexion, die weit über reines Profitdenken       Sachen sagt. Und ich glaube, wir sind auch wieder an
hinausgehe: «Natürlich gibt es immer noch solche          einer Schwelle, an der wir schauen müssen, dass dem
London City Boys, denen es nur darum geht, mit ihren      dicken Jungen mit der Brille nichts passiert.»

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