APUZAUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 61. Jahrgang · 48/2011 · 28. November 2011 Wehrpflicht und Zivildienst Harald Kujat Das Ende der Wehrpflicht Peter Steinbach Zur Geschichte der Wehrpflicht Berthold Meyer Bundeswehrreform und Parteiendemokratie Wenke Apt Herausforderungen für die Personalgewinnung der Bundeswehr Heiko Biehl · Bastian Giegerich · Alexandra Jonas Aussetzung der Wehrpflicht. Lehren westlicher Partnerstaaten Ines-Jacqueline Werkner Wehrpflicht und Zivildienst – Bestandteile der politischen Kultur? Holger Backhaus-Maul · Stefan Nährlich · Rudolf Speth Der diskrete Charme des neuen Bundesfreiwilligendienstes Jörn Fischer Freiwilligendienste – vom Nutzen des Engagements
Editorial Mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wurde die Bundeswehr nach 55 Jahren zur Freiwilligenarmee. Voran gegangen war eine jahrelange, emotional geführte Debatte. Be fürworter der Wehrpflicht hatten wiederholt darauf hingewie sen, dass es die Wehrpflicht sei, die dafür gesorgt habe, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft verankert geblieben und nicht wie die Reichswehr der Weimarer Republik zum Staat im Staate geworden sei. Kritiker hatten dagegen bemängelt, dass von Wehrgerechtigkeit aufgrund der hohen Ausmusterungs quote keine Rede mehr sein könne. Letzten Endes ermöglich ten Sparzwänge und die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Bundeswehr die rasche und relativ einvernehmliche Aussetzung der Wehrpflicht. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist zur Zeit im vollen Gange. Im Oktober wurden die Pläne für Standortschließungen und -verkleinerungen vorgestellt. Eine große Herausforderung liegt in der Rekrutierung von quantitativ und qualitativ ausrei chendem Personal. Die Gefahr, dass aus der Bundeswehr eine „Unterschichtenarmee“ werde, wird oft beschworen. Mit Blick auf die Armeen westlicher Partnerstaaten, die zum Teil schon vor Jahrzehnten die Wehrpflicht abgeschafft haben, lassen sich die pessimistischen Vorhersagen aber nur bedingt bestätigen. Die Bundeswehr als Freiwilligenarmee muss nun – wie jeder an dere Arbeitgeber auch – Rahmenbedingungen bieten, die es at traktiv machen, den Soldatenberuf zu ergreifen. Das Ende des Wehrdienstes zog auch das Ende des Zivildiens tes nach sich. Hatten Ersatzdienstleistende in den ersten Jahr zehnten nach Einführung der Wehrpflicht häufig noch als „Drü ckeberger“ gegolten, so wandelte sich das Bild allmählich zum sympathischen „Zivi“, auf den zahlreiche soziale Einrichtungen kaum mehr verzichten wollten oder konnten. Mit der Einfüh rung des Bundesfreiwilligendienstes versucht die Bundesregie rung, die entstandene Lücke zu schließen. Dabei gilt es, die un terschiedlichen Logiken eines staatlichen Pflichtdienstes, wie es der Zivildienst war, und des freiwilligen zivilgesellschaftlichen Engagements, das durch den Bundesfreiwilligendienst erschlos sen werden soll, zu beachten. Anne Seibring
Harald Kujat Transformation der NATO war diese Reform auf Kontinuität angelegt. Aus finanziellen Das Ende der Gründen ist sie nach 2002 nicht fortgeführt worden. Ein Reformstau war die Folge. Nun steht die Bundeswehr zum dritten Mal in Wehrpflicht zwanzig Jahren vor einer Reform, die als völ lige Neuausrichtung konzipiert ist. Es geht um höhere Leistungsfähigkeit, mehr Effizi Essay enz und größere Einsatzrealität. Die Bundes wehr soll professioneller, schlagkräftiger, mo derner und attraktiver werden. Es geht aber auch um die Frage: Was können wir uns an S treitkräfte müssen sich fortlaufend den veränderten außen- und sicherheitspoliti schen Verhältnissen anpassen, damit sie auf Sicherheitsvorsorge leisten, was müssen wir uns leisten? Das Bundesministerium der Ver teidigung erklärte, Ziel der Neuausrichtung neue Herausforderun sei es, „die Bundeswehr so aufzustellen, zu Harald Kujat gen und Risiken ange finanzieren und auszustatten, dass Deutsch Geb. 1942; General a. D. der messen reagieren kön land nachhaltig befähigt ist, gemeinsam mit Luftwaffe; 2000 bis 2002 Gene- nen. Dies gilt ins seinen Partnern einen gewichtigen militäri ralinspekteur der Bundeswehr; besondere seit dem schen Beitrag zur Sicherheit des Landes und 2002 bis 2005 Vorsitzender des Ende des Ost-West- des Bündnisses sowie zur Sicherung von Frie Militärausschusses der NATO. Konflikts, seit sich die den und Stabilität in der Welt zu leisten“.❙1 gegnerischen Blöcke mit ihren erstarrten Fronten aufgelöst haben. In der Folge hat die Erweiterung der Nordat Historischer und lantischen Allianz (NATO), die strategische gesellschaftlicher Bruch Partnerschaft der NATO mit Russland und die Schaffung eines euro-atlantischen Stabili Anders als bisher wird diesmal mit der Ausset tätsraums durch den Euro-Atlantischen Part zung der Wehrpflicht ein historischer und ge nerschaftsrat die geopolitische Lage Deutsch sellschaftlicher Bruch vollzogen. Wenngleich lands positiv verändert. Wie andere euro die Konsolidierung des Bundeshaushalts, zu päische Staaten hat auch Deutschland seine der auch die Bundeswehr einen Beitrag leisten Friedensdividende eingelöst und eine selbst muss, den Anstoß gab, ist das Ende der Wehr im historischen Maßstab bemerkenswerte pflicht der eigentlich bestimmende Faktor für Abrüstung vollzogen. die Neuausrichtung der Bundeswehr. Dabei stand als politischer Schachzug die Entschei Als größter und wirtschaftlich stärkster dung zur Aussetzung der Wehrpflicht am An Staat der Europäischen Union (EU) und als fang des Reformprozesses und ist nicht – wie zweitgrößter Mitgliedsstaat der NATO ist es bei einer aufgaben- und fähigkeitsorientier Deutschland jedoch größere außen- und si ten Planung eigentlich geboten wäre – dessen cherheitspolitische Gestaltungsmacht zu Ergebnis. Die Konsequenzen dieser Vorge gewachsen. Unsere Verbündeten erwarten hensweise werden entscheidend dafür sein, daher, dass Deutschland deutlich mehr Ver ob die Bundeswehr künftig in der Lage sein antwortung für die Sicherheit Europas und wird, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. die Stabilität weltweit übernimmt. Deutsch land wird ein größerer Beitrag als bisher zur Nachdem seit Jahren von den Gegnern der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge der NATO Wehrpflicht argumentiert wurde, sie sei si und zur politischen und militärischen Durch cherheitspolitisch und gesellschaftlich über setzung der gemeinsamen Außen- und Si holt, bedeutete bereits die Verkürzung des cherheitspolitik der EU abverlangt. Wehrdienstes auf sechs Monate – 2009 bei Im Jahr 2000 begann eine grundlegende ❙1 Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.), Sach Reform der Bundeswehr, nachdem sie einige stand zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Nationale Jahre zuvor die Auflösung und die Integra Interessen wahren – Internationale Verantwortung tion eines Teils der Nationalen Volksarmee übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin, der DDR erfolgreich bewältigt hatte. Wie die 21. 9. 2011. APuZ 48/2011 3
der Regierungsbildung beschlossen – prak wären, einen substantiellen Beitrag zum Fä tisch den Einstieg in den Ausstieg. Der frü higkeitsspektrum der Streitkräfte zu leisten. here Verteidigungsminister Karl-Theodor Offensichtlich haben die militärischen Fä zu Guttenberg verschärfte den politischen higkeiten der Bundeswehr in den vergange Druck zur Aufgabe der Wehrpflicht mit sei nen Jahren immer weniger mit den sicher ner Argumentation, dass Wehrgerechtigkeit heitspolitischen Herausforderungen Schritt nicht mehr gegeben sei, wenn nur 17 Pro gehalten. Eine genauere Betrachtung zeigt zent eines Jahrgangs Wehrdienst leiste allerdings, dass dafür nicht die Wehrpflicht, ten. Schließlich wurde die Wehrpflicht nach sondern die jahrelange Unterfinanzierung 55 Jahren zum 1. Juli 2011 ohne eine vertief der Streitkräfte verantwortlich ist. te sicherheitspolitische Diskussion der Rah menbedingungen sowie der Konsequenzen ausgesetzt. Das Grundgesetz wurde jedoch Neuausrichtung der Bundeswehr: nicht geändert, sodass wohl für den einen Fähigkeitsprofil und Personalbedarf oder anderen Politiker die theoretische Op tion einer späteren Reaktivierung, wenn sich Grundsätzlich hat die Neuausrichtung der dies als notwendig erweisen sollte, ausschlag Bundeswehr wie jede Streitkräftereform zum gebend für seine Entscheidung war. Ziel, Aufgaben, Fähigkeiten und Mittel mit einander in Einklang zu bringen. Die Kern Das Argument der Wehrgerechtigkeit wird aufgaben der Bundeswehr leiten sich unmit auch weiterhin herangezogen, wenn es gilt, telbar aus dem Grundgesetz ab und umfassen das Ende der Wehrpflicht zu rechtfertigen. den Schutz Deutschlands, die Sicherung von Dass in den Jahren 2000 bis 2010 immer we Frieden, Freiheit und Wohlergehen des deut niger Wehrpflichtige ihren Dienst ableis schen Volkes sowie die Verpflichtungen, die ten mussten, war jedoch keine unabänderli sich aus der Mitgliedschaft in einem Bündnis che Entwicklung. Bis zur Bundeswehrreform kollektiver Sicherheit, der NATO, ergeben. des Jahres 2000 sind noch etwa 135 000 junge Alle anderen nationalen und multinationalen Männer eingezogen worden. Mit dem dama Aufgaben sind Ableitungen aus diesen beiden ligen Reformkonzept wurde die Möglichkeit Kernaufgaben. der flexiblen Ableistung des Wehrdienstes, einschließlich des freiwilligen zusätzlichen Dem entspricht das Strategische Kon Wehrdienstes, geschaffen. Bei durchschnitt zept der NATO vom November 2010, das lichen Jahrgangsstärken von 400 000 Wehr der Kollektiven Verteidigung höchste Prio pflichtigen konnten jährlich etwa 100 000 rität einräumt, noch vor den beiden anderen Wehrpflichtige eingezogen werde. 33 Pro Kernaufgaben, Krisenmanagement und Ko zent eines Jahrgangs wurden nicht gemustert, operative Sicherheit. Zudem haben die Staats- waren nicht wehrdienstfähig oder galten als und Regierungschefs mit der Verabschiedung Wehrdienstausnahmen, leisteten anderweitig des Strategischen Konzeptes die Bindungs Dienst oder verpflichteten sich als Soldaten wirkung des Artikels 5 des Nordatlantikver auf Zeit. Bei durchschnittlich etwa 40 Pro trags durch die Festlegung verstärkt, dass sie zent Wehrdienstverweigerern konnte also „einander immer gegen einen Angriff unter durchaus von Wehrgerechtigkeit gesprochen stützen“ werden und dass „diese Verpflich werden. In den Folgejahren wurde jedoch die tung fest und bindend“ sei. Sie wollen daher Zahl derjenigen, die tatsächlich ihren Dienst sicherstellen, dass die NATO über das ge ableisteten, aus finanziellen Erwägungen samte Spektrum von Fähigkeiten verfügt, die kontinuierlich nach unten korrigiert. notwendig sind, um jede Art von Bedrohung der eigenen Bevölkerung abzuschrecken und Die Feststellung des ehemaligen Bundes abzuwehren, und sie haben sich verpflichtet, präsidenten Roman Herzog, dass die Not die dazu notwendigen robusten, mobilen und wendigkeit des Wehrdienstes sicherheitspoli verlegbaren konventionellen Kräfte aufzu tisch begründet sein müsse, ist unbestritten. bauen und zu unterhalten.❙2 Da die Aufgaben der Streitkräfte seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vielfältiger, ❙2 Vgl. Strategic Concept, adopted by the Heads of differenzierter und komplexer geworden State and Government in Lisbon, 20. 11. 2010, online: sind, ist die Frage durchaus legitim, ob Wehr www.nato.int/lisbon2010/strategic-concept-2010- pflichtige künftig überhaupt noch in der Lage eng.pdf (18. 10. 2011). 4 APuZ 48/2011
In diesem Zusammenhang wurde ein Fä sonal in den aktiven und teilaktiven Verbän higkeitsprofil beschlossen, das gleichzeitig den zur Verfügung stehen. Wehrübungsplät die Durchführung von zwei großen Opera ze sind in ausreichender Zahl vorzuhalten, tionen hoher Intensität und mehreren klei um genügend Reservisten in ihren Stamm neren Operationen im Rahmen der Kollek verbänden in Übung zu halten. tiven Verteidigung und als Krisenreaktion auch über strategische Entfernungen ermög Nun könnte man meinen, dass die Wehr licht. Entsprechend gilt für die Bundeswehr pflicht im Falle der Landes- und Bündnisver als „konkrete nationale Zielvorgabe (…) die teidigung jederzeit reaktiviert werden könn Befähigung zum gleichzeitigen durchhaltefä te. Die Wiedereinführung der allgemeinen higen Einsatz von bis zu 10 000 Soldatinnen Wehrpflicht ist jedoch keine realistische Op und Soldaten bei Übernahme der Verantwor tion, da zunächst aufnahmefähige Struktu tung einer Rahmennation für landgestütz ren geschaffen werden müssten, die Ausbil te Einsätze in bis zu zwei Einsatzgebieten dung viel Zeit in Anspruch nehmen würde und zusätzlich zu einem maritimen Ein und diese Schritte, ähnlich wie eine Mobil satz“.❙3 Diese bündnispolitischen und natio machung, sicherheitspolitisch unerwünschte nalen Vorgaben sind für das Fähigkeitsprofil, eskalatorische Folgen hätten. Hinzu kommt, den Umfang und die personelle Struktur der dass viele Fähigkeiten, die für die Landesver Bundeswehr maßgeblich. teidigung unverzichtbar sind, auch bei Kata strophen und Notlagen im Innern benötigt Bei der Ausplanung des nationalen Fähig werden, für Auslandseinsätze jedoch nicht keitsprofils sind darüber hinaus weitere Fak erforderlich sind. In beiden Fällen sind vor al toren wie beispielsweise die Eintrittswahr lem Spezialisten für kurzfristige Einberufun scheinlichkeit eines Konfliktes, die Art des gen gefragt. Dank der Wehrpflicht konnten in Einsatzes, die Konfliktintensität, die wahr der Vergangenheit immer genügend geeigne scheinliche Dauer sowie die geografischen te Spezialisten mit regionalen Bindungen für und sonstigen Rahmenbedingungen zu be diese Aufgabe gewonnen werden. Wie wichtig rücksichtigen. dieser Teil des Aufgabenspektrums ist, zeigt die geplante Aufstellung eines Kommandos Ob Umfang und Leistungsfähigkeit der Territoriale Aufgaben und von Regionalen Si Bundeswehr nach der Neuausrichtung an cherungs- und Unterstützungskräften. gemessen sein werden, hängt daher zum ei nen davon ab, ob sie in der Lage sein wird, Für Krisenreaktionen ist neben einer hohen den von der Verfassung vorgegebenen Auf Einsatzbereitschaft vor allem Durchhaltefä trag der Landesverteidigung zu erfüllen. higkeit erforderlich, also ein großer Personal Zum anderen davon, ob der außen- und si umfang. Der Personalbedarf für Krisenope cherheitspolitische Gestaltungsanspruch der rationen wird durch die Einsatzdauer und die Bundesregierung – vor allem in NATO und Regenerationszeit zwischen zwei Einsätzen EU – militärisch hinreichend abgesichert ist. bestimmt. Um bei einem viermonatigen Ein satzzyklus mit zusätzlicher Ausbildungs- und Die Landesverteidigung Deutschlands und Vorbereitungszeit sowie einem 20-monatigen die Beistandsverpflichtung im Rahmen der Aufenthalt im Heimatstandort die Durch Kollektiven Verteidigung der NATO sind haltefähigkeit über Jahre zu gewährleisten, auf Aufwuchs- beziehungsweise Rekonsti muss hinter dem jeweiligen Einsatzkontin tutionsfähigkeit angewiesen. Dafür ist eine gent mindestens das Fünffache an verfügba auf Erweiterung und Verdichtung angelegte ren, einsatzbereiten Kräften stehen. Wegen Personal- und Streitkräftestruktur erforder des reduzierten Personalumfangs sollen des lich. Neben präsenten und jederzeit einsatz halb die „Fähigkeiten mit hochtechnisierter bereiten Verbänden sind teilaktive Verbän Unterstützung“ gestärkt werden, um die Ein de und Ergänzungsstrukturen vorzuhalten, satzkontingente personell zu begrenzen und die kurzfristig mit ausgebildeten Reservisten so die Durchhaltefähigkeit zu verbessern.❙4 aufgefüllt werden können, deren Ausrüstung und Waffensysteme bereitstehen. Darüber Bisher hat der Wehrdienst für einen großen hinaus muss überproportional Führungsper Personalumfang gesorgt und damit insbeson ❙3 Bundesministerium der Verteidigung (Anm. 1). ❙4 Vgl. ebd. APuZ 48/2011 5
dere durch länger dienende Wehrpflichtige die Nimmt man optimistisch an, dass sich Durchhaltefähigkeit erhöht. Die schon über 50 Prozent der freiwillig Wehrdienstleisten ein Jahrzehnt andauernden Balkaneinsät den als Soldat auf Zeit verpflichten, so kann ze und der deutsche Beitrag zum Einsatz der damit der Bedarf an Zeitsoldaten bei weitem Internationalen Sicherheitsunterstützungs nicht gedeckt werden. Die ersten Erfahrungen truppe (ISAF) in Afghanistan belegen dies. mit dem Modell der freiwillig Wehrdienst Zugleich haben die Wehrdienstleistenden ein leistenden sind zudem nicht ermutigend. Bei hohes Aufkommen von Reservisten ermög einem Bewerberaufkommen von 3459 im licht und auf diese Weise die Aufwuchsfähig dritten Quartal 2011 haben 22,5 Prozent die keit der Bundeswehr für die Landesverteidi Bundeswehr bereits nach kurzer Zeit wieder gung gesichert. verlassen.❙7 Wie viele sich als Freiwillige wei ter verpflichten, bleibt abzuwarten. Durch die Neuausrichtung sollen mehr Soldaten als bisher gleichzeitig für Einsätze Die Jahrgangsstärken von Frauen und verfügbar sein, obwohl die Bundeswehr mit Männern werden voraussichtlich zwischen wesentlich weniger Zeit- und Berufssoldaten 2011 und 2027 von knapp 800 000 auf etwa und ohne die Wehrpflicht auskommen muss. 600 000 absinken.❙8 Bei einem Regenerati Dabei soll „insgesamt ein breites Fähigkeits onsbedarf von 17 000 bis 18 000 Freiwilligen profil erhalten werden“, während „durch die müssten davon jedes Jahr etwa drei Prozent Priorisierung der Fähigkeiten (…) die Durch für den Dienst in den Streitkräften gewonnen haltefähigkeit für den Einsatz abgestuft ge werden, die sich als Zeitsoldaten verpflich stärkt“ wird. Die Formulierungen „diffe ten. Erfahrungsgemäß ist der qualitative Be renziertes Durchhaltevermögen“ (Heer) und darf nur dann zu decken, wenn mindestens „abgestuftes Durchhaltevermögen“ (Marine) drei Bewerber auf eine zu besetzende Stelle deuten jedoch an, dass die Personalkürzun kommen. Das bedeutet, dass sich jedes Jahr gen und die Aussetzung der Wehrpflicht die mehr als 50 000 junge Männer und Frauen Durchhaltefähigkeit in Einsätzen insgesamt bei der Bundeswehr bewerben müssten. Jede deutlich begrenzen werden.❙5 Abweichung von der Norm bedeutet, dass an der Eignung Abstriche notwendig werden. Der Umfang der Streitkräfte wird laut Bun Der Anteil der Frauen wird auch in Zukunft desverteidigungsministerium „einschließlich deutlich geringer sein (von 4589 Freiwilligen, bis zu 2500 Reservisten bei bis zu 185 000 Sol die am 1. Oktober 2011 ihren Dienst antra datinnen und Soldaten liegen. Diese bestehen ten, waren nur 152 Frauen❙9). Man kann da aus bis zu 170 000 Zeit- und Berufssoldaten her durchaus prognostizieren, dass die Bun sowie 5000 Freiwillig Wehrdienstleistenden. deswehr trotz erheblicher Anstrengungen, Dazu kommen bis zu 10 000 weitere Freiwil die Attraktivität des Dienstes zu steigern, so lig Wehrdienstleistende.“❙6 Für Einsätze wer wohl quantitative als auch qualitative Abstri den etwa 100 000 Soldatinnen und Soldaten che vornehmen muss. zur Verfügung stehen. Um bei einer insge samt geringeren Durchhaltefähigkeit gleich Es entstehen zwar finanzielle Einsparun zeitig bis zu 10 000 Soldatinnen und Solda gen durch die Reduzierung der Zeit- und ten in Einsätze schicken zu können, muss die Berufssoldaten und der zivilen Mitarbeiter. bisherige Kategorisierung in Eingreif-, Sta Diese fallen jedoch erst nach einer längeren bilisierungs- und Unterstützungskräfte auf Übergangszeit ins Gewicht. Der finanzielle gegeben werden. Schließlich diente sie eben so wie die Ausrüstungskategorien (Anfangs-, ❙7 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.), Grund- und Zielbefähigung) lediglich dazu, Freiwillige treten ihren Dienst in der Bundeswehr an, die mangelhafte Ausrüstung der Streitkräf Pressemitteilung vom 25. 9. 2011. te als Folge einer dramatischen Unterfinan ❙8 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung/Der zierung zu verschleiern. Das angestrebte Bundesminister, Eckpunkte für die Neuausrichtung Einsatzniveau lässt sich nur über eine hoch der Bundeswehr. Nationale Interessen wahren – In wertige Ausbildung und Ausrüstung aller ternationale Verantwortung übernehmen – Sicher heit gemeinsam gestalten, Berlin, 18. 5. 2011, Anlage Einsatzkräfte erreichen. „Entwicklung der Jahrgangsstärken“. ❙9 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.), ❙5 Vgl. ebd. Ziel von 5.000 Freiwilligen mehr als erreicht, Presse ❙6 Ebd. mitteilung vom 3. 10. 2011. 6 APuZ 48/2011
Aufwand für die Anwerbung und für sozia rungsphilosophie des Führens nach Auftrag, le Maßnahmen im Sinne einer Steigerung der setzt den intelligenten, eigenverantwortlich Attraktivität des Soldatenberufs wird jedoch und selbstständig handelnden Soldaten vo von Anfang an deutlich ansteigen. Schließlich raus. Die Bundeswehr wird daher auch in der muss in einer mehrjährigen Übergangsphase Erziehung und Ausbildung große Anstren Personal abgebaut werden, ohne die Regene gungen unternehmen müssen, wenn sie die ration einer unausgewogenen Personalstruk sen Anspruch aufrechterhalten will. tur zu unterbrechen. Finanzielle Einsparef fekte stellen sich erst relativ spät ein. Die vielen Generationen von Wehrdienst leistenden und Reservisten sind immer auch für die Integration der Streitkräfte in die Ge Die Bundeswehr sellschaft wichtig gewesen. Das war insbe wird eine andere werden sondere in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der Bundeswehr vor dem Hinter Seit ihrer Gründung vor 56 Jahren gehört die grund unserer geschichtlichen Erfahrung ein Innere Führung mit dem Leitbild des Staats Wesensmerkmal der Streitkräfte. Hinzu ka bürgers in Uniform und dem Führen nach men noch vor zehn Jahren über 600 Stand Auftrag zum Wesenskern der Bundeswehr. orte, in denen die Bundeswehrangehörigen Im Zusammenhang mit dem Ende der Wehr mit ihren Familien soziale Kontakte in allen pflicht wurde daher auch die Besorgnis geäu Lebensbereichen unterhielten. Nicht zuletzt ßert, die Bundeswehr könnte ihren Platz in waren es jedoch die vielen Millionen Wehr der Mitte der Gesellschaft verlieren und zu dienstleistenden, die einer engen Verzahnung einer „Unterschichtenarmee“ werden. Unbe von Bundeswehr und Gesellschaft „dienten“. stritten hat die Wehrpflicht die Bundeswehr ganz entscheidend geprägt. Viele Offizie Nun bedeutet das Ende der Wehrpflicht re haben ihren Dienst als Wehrpflichtige be nicht, dass die Bundeswehr ein Staat im Staa gonnen, andere haben sich nur deshalb zum te wird, an den Rand der Gesellschaft rückt Dienst in den Streitkräften verpflichtet, weil und sich von ihr abschottet und isoliert. Die die Wehrpflicht so entscheidend das inne Innere Führung und das Leitbild des Staats re Gefüge geprägt hat. Und nicht zuletzt hat bürgers in Uniform sind nicht gefährdet. sich die große Zahl von Reservisten als eine Aber die Bundeswehr wird eine andere wer lebendige Klammer zwischen den Streitkräf den. Sie wird nicht mehr das ganze Spektrum ten und der Gesellschaft bewährt. Dass so der Gesellschaft repräsentieren, sondern nur viele junge Männer ihren Wehrdienst ableis einen Ausschnitt davon. Die Zahl derjeni teten und eine große Zahl später noch als Re gen, die ihre in der Bundeswehr gesammel servisten mit ihren Einheiten in Verbindung ten Lebenserfahrungen in die zivile Gesell blieb, bedeutete auch eine Form der demo schaft mit zurücknehmen, wird sehr gering kratischen Kontrolle von innen. Die Bundes sein. Damit wird auch das Verständnis des wehr war durch die Wehrpflicht eine offene sen schwinden, was den Beruf des Soldaten Armee in einer offenen Gesellschaft. ausmacht: die vorbehaltlose Bereitschaft, Verantwortung und Risiken für die Gemein Das positive Klima in der Bundeswehr schaft zu übernehmen und die damit verbun hat dazu beigetragen, dass sie zeitweise über denen Härten und Gefahren zu ertragen. 50 Prozent ihres Regenerationsbedarfs aus Wehrdienstleistenden rekrutieren konnte. Sie Die Bundeswehr wird sich daher noch war in der vorteilhaften Lage, aus einem gro mehr als bisher um Interesse und Verständ ßen Potential die am besten Geeigneten aus nis der Gesellschaft bemühen müssen. Wenn zuwählen. Und dies, nachdem sich die Be ihr allerdings die Politik die ideelle und ma werber bereits in der Truppe bewährt hatten. terielle Unterstützung zukommen lässt, die Dabei konnten die Streitkräfte auf ein breites Voraussetzung für die Erfüllung ihres Auf Spektrum nach Herkunft, Bildung und Aus trages ist, wird sie auch nach dem Ende der bildung zurückgreifen. Die Wehrpflicht war Wehrpflicht eine offene Armee in einer offe somit ein wichtiger Garant für die Qualität nen Gesellschaft sein. der Zeit- und Berufssoldaten. Mehr noch: Was die deutschen Streitkräfte gegenüber unseren Verbündeten auszeichnet, die Füh APuZ 48/2011 7
Peter Steinbach tigenden europäischen Teilung, die Deutsch land mit dem in Sektoren aufgeteilten Ber Zur Geschichte lin besonders berührte, verstärkte sich bei der deutschen Regierung das Gefühl, an der Schwelle neuer gewaltsamer Konflikte zu ste der Wehrpflicht hen, die anscheinend nur durch die globale atomare Bedrohung eingedämmt wurden. Die Sicherheit Westdeutschlands wurde von den Essay westlichen Alliierten garantiert, die bald einen eigenen Verteidigungsbeitrag von der Bundes republik verlangten. Die Bundesrepublik sah sich als Teil der „freien Welt“ und sollte einen D ie Wehrpflicht war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Öf fentlichkeit ebenso diskreditiert wie die ge Beitrag zu ihrer Verteidigung leisten. Zugleich wirkte sich die Vorstellung aus, mit der Auf stellung einer neuen bewaffneten Macht poli samte Wehrmacht und tische Souveränität erlangen zu können. Peter Steinbach der „deutsche Mili Dr. phil., geb. 1948; tarismus“. Nach zwei Konsequenz des sicherheits- und außen Wissenschaftlicher Leiter Weltkriegen war mit politischen Wandels war die Einführung der der Gedenkstätte Deutscher Millionen von To Wehrpflicht. Mehr als fünf Jahrzehnte hatte Widerstand Berlin; ten und zwei bedin sie Bestand und wurde vor ihrer Aussetzung Professor für Neuere und Neu- gungslosen Niederla oftmals gerechtfertigt, ja verteidigt. Inzwi este Geschichte, Historisches gen, nach den Leiden schen sind die Kontroversen weitgehend be Institut, Universität Mannheim, der Bevölkerung und endet. Nun geht es vor allem um die Frage, Schloss, 68131 Mannheim. territorialen Verlusten ob die Umwandlung der Bundeswehr in eine peter.steinbach@ keine Rechtfertigung Freiwilligenarmee angesichts knapper Perso uni-mannheim.de des Militärischen mehr nalressourcen gelingen kann. möglich. Nicht nur die Siegermächte hatten sich mit ihren politischen Im vorliegenden Beitrag wird der Blick Versprechen – Denazifizierung, Dezentrali auf die Geschichte der Wehrpflicht gelenkt, sierung, Demilitarisierung und Demokrati um deutlich zu machen, wie zeittypisch viele sierung – versichert, Deutschland nicht mehr der Argumente waren, die sich zunächst ge zu gestatten, in der Mitte Europas eine Armee gen und schließlich für die Wehrpflicht aus aufzustellen. Gewalt sollte niemals wieder sprachen. Dabei zeigt sich, dass sich erfah von Deutschland ausgehen. Dieses Ziel ent rungsgeschichtlich geprägte Argumente mit sprach durchaus deutscher Stimmungs- und anderen überlagerten, die Wandlungen der Gefühlslage. Systemkonfrontation spiegelten. Bereits wenige Jahre nach der Kapitulation vom 8. Mai 1945 war nicht zu übersehen, dass „Nie wieder Krieg, nie wieder Barras“ politische Kräfte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik anstrebten. Motor dieser Be Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik im strebung war das sogenannte Amt Blank, die Jahre 1955 hatte mehrere Herausforderungen Dienststelle des Bevollmächtigten des Bun zu bewältigen. Zum einen lehnte nicht nur die deskanzlers für die mit der Vermehrung der deutsche, sondern auch die europäische Öffent alliierten Truppen zusammenhängenden Fra lichkeit eine Wiederbelebung des „deutschen gen unter Leitung von Theodor Blank, wo Militarismus“ ab. Sicherheitspolitische Pläne sich ehemalige Militärs um die Aufstellung ei konnten nur dann auf Unterstützung hoffen, ner neuen Armee bemühten – in Abstimmung wenn die neu aufgestellten deutschen Truppen mit den westlichen Alliierten. Zum einen verbände in europäische Verteidigungs- und spiegelte sich darin die veränderte Weltlage: Befehlsstrukturen integriert werden würden. Mit der sich zuspitzenden Blockkonfronta Dieses Ziel ließ sich mit der NATO vergleichs tion zwischen den neuen Weltmächten und weise leicht verwirklichen. der Gründung des nordatlantischen Vertei digungsbündnisses (NATO), mit Koreakrieg Innenpolitisch stellte sich die Bemühung (1950–1953) und der sich immer mehr verfes politischer Kreise Westdeutschlands um die 8 APuZ 48/2011
Wiederbewaffnung der Bundesrepublik als eine ungleich größere Herausforderung dar. Als in der ersten Hälfte der 1950er Jahre über die Wehrpflicht gestritten und zugleich ins geheim durch das Amt Blank die Wieder bewaffnung der Bundesrepublik vorberei tet wurde, befanden sich noch zehntausende deutscher Soldaten in sowjetischer Kriegsge fangenschaft. Zerbombte Städte, vertriebene Landsleute aus den Ostgebieten, die Teilung Deutschlands in zwei deutsche Staaten – das waren die äußeren Folgen von „Hitlers Krieg“, wie man sagte. An einem neuen Krieg woll te sich keiner beteiligen. Stattdessen bekann ten sich viele gegen Atombewaffnung und „Atomtod“ oder zum radikalen Pazifismus, der wenig später die Ostermärsche prägte. „Nie wieder Krieg, nie wieder Barras❙1, nie wieder Wehrmacht, nie wieder auf Men schen schießen zu müssen!“, das war An fang der 1950er Jahre zunächst eine der Kon sequenzen, die die weitaus größte Mehrheit der Bevölkerung aus den Weltkriegen zog, von denen der Erste Weltkrieg als europä ische Urkatastrophe, als europäischer Bür gerkrieg, als Ausdruck einer Todessehnsucht „in Stahlgewittern“ empfunden worden war, und die schließlich zum Vernichtungskrieg, zum Zivilisationsbruch, zur Katastrophe der „Endlösung der Judenfrage“ als Ausdruck ei nes rassenideologisch gerechtfertigten Ab grenzungswahns geführt hatte. Diese Stimmungen waren aber nur eine Seite der Debatte. Viel tiefer rührte vermutlich die moralische Diskreditierung der Wehrmachts soldaten nach 1945. Sie waren als Geschlagene in völlig veränderte Lebensverhältnisse heim gekehrt. Das Ansehen, das sie in der Zeit des Nationalsozialismus genossen hatten, war ver spielt. Bald hieß es, die deutsche Wehrmacht habe die Voraussetzungen für den Völkermord geschaffen: Mitwirkung der obersten Wehr machtsführung an der Vorbereitung eines An griffskrieges, an der Versklavung und Aus plünderung der besiegten Staaten, schließlich an der Realisierung des Völkermords in Ver nichtungslagern, solange die Fronten stand hielten. Die Debatte über die Wehrmacht als „verbrecherische Organisation“ hatte die Ver handlungen des Nürnberger Militärtribunals gegen hohe Offiziere wie Wilhelm Keitel und ❙1 Barras bezeichnet die Armee, „zum Barras müs sen“ die Wehrpflicht. APuZ 48/2011 9
ränität erlangte. Der Bonner Regierung ging gen waren dabei zu erfüllen. Die Bundeswehr es niemals allein um die Integration der ehe musste erstens eine Parlamentsarmee sein – maligen drei westlichen Besatzungszonen kein Generalstab, kein Staat im Staate, keine in ein westliches Verteidigungs- und Wirt Absonderung des Offizierskorps, das ebenso schaftsbündnis, sondern ihr Ziel richtete sich durch die Reichswehr- wie durch die Wehr auf die Erlangung voller staatlicher Souverä machttradition geprägt war; der vom Parla nität. Das verbreitete Verständnis von staatli ment kontrollierte Verteidigungsminister cher Souveränität verlangte nach „bewaffne sollte den Oberbefehl über die Bundeswehr ter Macht“ und einer neuen Armee. ausüben. Die neuen Soldaten sollten zweitens „Staatsbürger in Uniform“ sein, mit allen Dies hatte die Überwindung von Vorbehal staatsbürgerlichen Rechten. Die Bundeswehr ten zur Voraussetzung, die sich in der öffent sollte Aufgaben in der politischen Bildung lichen und veröffentlichten Meinung in den übernehmen und mit dem Konzept der Inne nach 1938/39 von den Nationalsozialisten ren Führung ein neues Modell militärischer besetzten Staaten Europas niederschlugen. Führung überhaupt verwirklichen. Eine ei Nicht vergessen waren in den Benelux-Staa gens dafür geschaffene Akademie, die Füh ten, in Frankreich, in Skandinavien, Italien, rungsoffiziere zu absolvieren hatten, sollte in Griechenland und anderswo die Opfer der den Geist des neuen deutschen Parlaments deutschen Besatzungsherrschaft. In Groß heeres prägen. Dritte Grundbedingung war britannien und in den USA nährten Kriegs die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht: filme alte Feindbilder. Dabei war der rasche Sie wurde nicht nur als Ausdruck eines Ge Aufbau einer neuen „Bundeswehr“ nur mit meinschaftsgefühls, sondern als Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht zu erreichen. gesellschaftlicher Verankerung und Zivilisie Nur mit ihr konnte unverzüglich eine Armee rung der bewaffneten Macht im neuen Ver mit mehreren hunderttausend Soldaten auf fassungsstaat gedeutet. Sie galt als Symbol gebaut werden. Also musste der Wehrdienst der Einsatzbereitschaft für den freiheitlichen als Dienst für ein demokratisch legitimiertes Verfassungsstaat, als den sich die Bundesre Gemeinwesen gedeutet werden, das verteidi publik verstand. Und weil alle Männer eines gungswert war, weil es als – aus dem Osten – bestimmten Jahrgangs damit rechnen muss bedrohte und deshalb stets gefährdete frei ten, „gezogen zu werden“, galt die allgemeine heitliche politische Lebensform galt. Wehrpflicht als Ausdruck völliger Gleichheit. Dabei wurde sie nicht nur als Verpflichtung, Die westdeutsche Regierung unter Konrad sondern auch als Recht des – zunächst nur Adenauer machte in den 1950er Jahren au männlichen – Staatsbürgers gedeutet. ßenpolitisch schnelle Fortschritte und leitete nicht nur die Integration des westdeutschen Manche Politiker sprachen sogar von der Teilstaates in das atlantische Verteidigungs Bundeswehr als einer „Schule der Nation“. bündnis der NATO ein, sondere bereitete Erst wenn alle als „tauglich“ befundenen auch die Einbindung der Bundesrepublik in Männer zum „Dienst mit der Waffe“ gezo die sich herausbildenden neuen Strukturen ei gen wurden und ohne Ansehen ihrer Person, nes politisch geeinten Westeuropas, mit Mon ihrer Herkunft, Bildung und beruflicher Fä tanunion, Euratom und Europäischer Wirt higkeit 18 Monate den Grundwehrdienst ab schaftsgemeinschaft, vor. Die Korrektur des leisten müssten, dann, so sagte man, sei die Gefühls, nie wieder Waffen tragen zu wollen, Bundeswehr fest in der Gesellschaft veran das in der westdeutschen Gesellschaft verbrei kert. Durch den allgemeinen Wehrdienst tet war, stellte die Verantwortlichen innenpo würde jede Gefahr politischer und sozialer litisch vor eine ernsthafte Herausforderung. Separierung der bewaffneten Macht von der Bevölkerung verhindert. Man könne schließ lich durch einen „Staatsbürgerkundeunter Gründung der Bundeswehr richt“, der Teil der militärischen Grundaus und Einführung der Wehrpflicht bildung sein müsse, Defizite der politischen Bildung ausgleichen und einen neuen Ge Wie sollte dieses Ziel bei der verbreiteten meinschaftsgeist schaffen, der – das darf nicht Ablehnung des Krieges und der Wehrmacht vergessen werden – durch die politisch-religi durch die deutsche Bevölkerungsmehrheit öse Überhöhung einer sogenannten Volksge durchgesetzt werden? Drei Grundbedingun meinschaft diskreditiert war. 10 APuZ 48/2011
So überlagerte sich das Konzept der Inneren Bereichen: In wirtschaftlich unsicheren Zei Führung mit dem Konzept der Wehrpflicht. ten boten sich Überbrückungsmöglichkeiten, Flankiert wurde diese gesellschaftliche Er Führerscheine für LKW oder Boote konnten dung durch die Einrichtung des Wehrbeauf erworben, Sprachen erlernt, Fertigkeiten er tragten, dessen Aufgabe vor allem die Wah worben werden. Zusätzliche Chancen boten rung der Grundrechte des Soldaten und die die Bundeswehrhochschulen, die nicht zuletzt Durchsetzung der Inneren Führung war. Es auch die Voraussetzungen für die berufliche war also nicht nur die Wehrpflicht, die die Integration der Soldaten nach ihrer Entlas gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr sung aus der Bundeswehr verbesserten. erhöhte, sondern es war die gelungene neue militärische Führungsdoktrin, die nicht sel Die Wehrpflicht blieb für einen Zeitraum ten gegen sarkastische Kritik der Altgedien von mehr als fünf Jahrzehnten ein wichtiger ten an den angeblichen „Moden“ innerer Bestandteil der freiheitlichen Verfassungs Führung durchgesetzt und durch die Grün ordnung des Grundgesetzes der Bundesre dung der Bundeswehrhochschulen noch ein publik. Sie war Ausdruck einer individuellen mal stabilisiert wurde. Verpflichtung und Bekenntnis zu einer ge sellschaftlich verankerten Bundeswehr. Wenn die neue Bundeswehr als eine demo kratisch legitimierte Armee im freiheitlichen Verfassungsstaat akzeptiert werden sollte, kam Recht auf Kriegsdienstverweigerung es aber nicht nur auf eine gesellschaftlich breite und Ersatzdienst Verankerung in der deutschen Gesellschaft an, sondern auch auf die Akzeptanz in den euro Ebenso wichtig wie die Verpflichtung zum päischen Nachbarstaaten. Wichtig war deshalb Wehrdienst war das Recht zur Verweigerung die Einbindung der neuen Bundeswehr in das des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen, zu westliche Bündnis und die Unterstellung ihrer nächst in der Gesellschaft heftig umstritten Bataillone und Divisionen unter übernationale und als Ausdruck einer „Ohne-mich-Gesin Kommandostrukturen. Ebenso entscheidend nung“ abgelehnt. Ersatzdienstleistende wur war der dauerhafte Verzicht auf Atomwaffen. den keineswegs immer respektiert. Manche Aber auch die Hoffnung, dass die Bundeswehr Firmen stellten keine Bewerber ein, die sich politisch kontrolliert und dem Bundestag un nicht hatten „ziehen“ lassen oder ihr Recht auf terstellt werden würde, verringerte die Be „Ersatzdienst“ wahrgenommen hatten. „Wehr fürchtungen im westlichen Ausland. Schließ dienstverweigerer“ galten als „Drückeberger“. lich verstand man auch, dass es sich nicht um „Ersatzdienstleistende“ wurden als „Verweige eine Neuauflage der Wehrmacht, sondern um rer“, nicht als „Zivildienstleistende“ bezeich eine parlamentarisch kontrollierte Bürgerar net, die sich für eine andere Art des Dienstes mee handelte, die gut in gemeinsame Verteidi für die Gemeinschaft entschlossen hatten. gungsstrukturen einzufassen war. In der DDR, die 1962 die Wehrpflicht ein Wie das Ringen um eine Wiederbewaff führte, hingen Studien-, Ausbildungs- und nung der Bundesrepublik und die Wehrpflicht Berufschancen von einem mehrjährigen na ausging, ist bekannt: Die Bundeswehr wurde tionalen „Ehrendienst“ ab. Kriegsdienstver 1955 gegründet; ein Jahr später trat das Wehr weigerer in der DDR konnten seit 1964 dem pflichtgesetz in Kraft.❙2 In überraschend kur Dienst mit der Waffe als „Bausoldaten“ ent zer Zeit wurde der Wehrdienst mehrheitlich gehen und wurden dennoch uniformiert. Das akzeptiert. Der Kalte Krieg verstärkte die Verhalten von Totalverweigerern, die auch politische Unsicherheit und rechtfertigte die den Ersatzdienst ablehnten, galt als „strafbe Wehrpflicht. Die Bundeswehr wuchs rasch an, wehrt“, das heißt, sie wurden wie Verbrecher ihre Einheiten wurden permanent geteilt und behandelt und nicht selten inhaftiert – auch mutierten zu Keimzellen neuer Einheiten. Das im westlichen Teil Deutschlands. größte Problem war der Mangel an Offizieren, die gut ausgebildet waren. Die Wehrpflicht Das Ansehen der „Zivis“ in der Bundesre galt bald als Erfolgsmodell auch in anderen publik änderte sich in den 1970er und vollends in den 1980er Jahren, als der Ersatzdienst in ❙2 Vgl. APuZ, (2005) 21, mit dem Themenschwer der Bundesrepublik dem Wehrdienst gleich punkt „50 Jahre Bundeswehr“. gesetzt und gesellschaftlich anerkannt wurde. APuZ 48/2011 11
Denn mit dem Zivildienst wurden die Sozi weise auf veränderte Sicherheitslagen Konse aletats entlastet, er erschien sogar als Voraus quenzen hatten. Die Kosten der Einheit muss setzung dafür, dass viele Sozial- und Pflege ten aufgebracht, das Sozialsystem finanziert dienste überhaupt finanziert wurden. Dass werden. Staat ist immer klamm, gewiss. Aber schließlich der Zivildienst wichtiger zu sein irgendwie war eine Grenze spürbar. Reform schien als der Wehrdienst, wurde spätestens diskussionen setzten immer wieder ein, Kom dann deutlich, als die Beibehaltung der Wehr missionen tagten, legten Berichte vor, ohne pflicht mit der Notwendigkeit des Zivildiens aber realistische Konsequenzen anzustoßen. tes begründet werden sollte und die Sozial Das änderte sich erst in unseren Tagen. verbände, die Zivildienstleistende einsetzten, auf die Folgen der Aussetzung für die Finan In den 1990er Jahren schien die verteidi zierung von Versorgungs- und Pflegediensten gungspolitische Debatte an einem Punkt an hinwiesen. Der Ersatzdienst entlastete das gekommen zu sein, an dem nicht mehr Kon Sozialsystem, das Ansehen der „Dienstleis zeptionen, sondern Haushaltszwänge den ter“ und der Dienstverweigerer war mittler Rahmen für grundlegende Entscheidungen weile etwa gleich hoch und entsprach der Sta und Neuorientierungen absteckten. Finan tistik. Denn von jedem Jahrgang wurde etwa zielle Zwangslagen engten Spielräume ver ein Drittel gezogen, ein Drittel ausgemustert, antwortlicher Entscheidung ein. Das spürten ein Drittel absolvierte den Ersatzdienst. auch andere Gesellschaften, die sich von dem Konzept der Wehrpflicht verabschiedeten und sich dennoch zum Prinzip politischer Freiheit Nach dem Kalten Krieg bekennen. Deshalb kam es darauf an, die Ar gumente, die für und gegen die Wehrpflicht Mit dem Ende des Kalten Krieges veränder angeführt wurden, immer wieder zu prüfen. te sich die strategische Bedeutung der Bun deswehr. Deutschland war seit 1989 nicht Zum einen hieß es, die Wehrpflicht diene der mehr an den Grenzen bedroht. Die Krise der Verankerung der bewaffneten Macht in der NATO wurde nicht recht wahrgenommen, Gesellschaft und verhindere, dass mit der Ar denn globale Krisen, der Zerfall ganzer Staa mee ein Staat im Staat entstehe. Die Abschaf ten und Blöcke, ethnisch-konfessionelle Kon fung der Wehrpflicht würde diese Verbindung flikte und Bürgerkriege verlangten eine neue lösen und deshalb die demokratische Legiti Art der Intervention. Aus der Bundeswehr mation der Bundeswehr beeinträchtigen. wurde eine Interventionsarmee, die im Bünd nis militärische Aufgaben übernahm und zu In vielen gefestigten westlichen Demo gleich in ihrem Selbstverständnis Friedens- kratien wie den USA, in Frankreich, Spa und Aufbauleistungen zu erbringen hatte. nien, Schweden und Großbritannien wur Immer mehr rückten Bündnisverpflichtun de die Wehrpflicht abgeschafft – zuweilen gen, aber auch Versuche in den Mittelpunkt, vor vielen Jahren, ohne Gefährdung des po Deutschland als Machtfaktor in weltpoliti litischen Systems. Darin spiegelte sich nicht schen Konflikten sichtbar zu machen. nur eine veränderte Sicherheitslage, sondern auch politisches Selbstbewusstsein. Eine Ge Dabei ging es auch um die Demonstra sellschaft muss so stark sein, dass sie die Iso tion von Souveränität. Im Kosovo, am Horn lierung der Armee verhindert. Mit dem Ende von Afrika, im Kongo und in Afghanistan – der Blockkonfrontation des Kalten Krieges immer ging es auch darum zu zeigen, dass hatten Armeen überdies andere Funktionen Deutschland nicht nur als zivile Macht, son zu übernehmen als die Landesverteidigung. dern auch militärisch Einfluss nehmen konn Sie wurden zu Interventions- und Einsatzar te. Dass diese Einsätze die Kräfte der Bundes meen umgebildet und mussten polizeiliche, wehr überstrapazierten, viel Geld kosteten friedenstiftende oder auf die Versorgung der und ganz neue Fertigkeiten der Einsatzkräf Zivilbevölkerung in Krisengebieten gerichte te verlangten, das rückte viel langsamer in das te Anstrengungen übernehmen. Alle Beispie Bewusstsein. Soldaten kamen im Einsatz um, le zeigen, dass gefestigte Demokratien durch klagten über mangelnde Ausrüstung, waren aus ohne Wehrpflicht stabil sein können. irritiert über die geringe Unterstützung und Anerkennung in politischer und moralischer In Deutschland schien man viel zu lange Hinsicht. Nun zeigte sich, dass frühe Hin und viel zu weit von dieser Einstellung ent 12 APuZ 48/2011
fernt zu sein. Hier galt die Wehrpflicht häufig zeigte sich nach der „Großen“ Französischen als Ausdruck besonderer Verantwortung des Revolution, als mit der „Levée en masse“ die wehrpflichtigen Bürgers für seinen Staat. Die entscheidende Wende erreicht und Europa von Frage war, ob dieses Argument noch trug an nationalbewussten und von der Notwendigkeit gesichts der nicht einmal von den Anhängern der Revolution überzeugten Franzosen grund der Wehrpflicht bezweifelten faktischen Wehr legend verändert werden konnte. ungerechtigkeit. Die Zahl der Wehrpflichti gen schwankte und befand sich seit etwa 1995 Die französischen Soldaten der Revoluti auf Talfahrt. Heirateten Wehrpflichtige vor onszeit identifizierten sich mit ihrer Nation, 30 Jahren noch in jungen Jahren, um Tren sie verteidigten die Revolution gegen die Al nungsgeld zu beziehen und ihren Sold aufzu ten Mächte. Sie waren beseelt von ihrer welt bessern, so konnten sie später durch ein Jawort umstürzenden Mission und gehorchten kei dem Wehrdienst entkommen. Von Wehrge nem Zwang mehr, sondern unterwarfen sich rechtigkeit sprach bald niemand mehr. freiwillig dem militärischen Drill, um sich in Disziplin einzuüben und die Schlagkraft zu erhöhen. Wie eine Walze fegte die französi Wehrpflicht als Dienst sche Armee nach der Revolution über Eu an der Gemeinschaft? ropa hinweg – sie verteidigte Frankreich und verstand sich zugleich als Propagandist und Häufig wurde behauptet, der Wehrdienst Verbreiter französischer Ideale von Freiheit, stärke den Gemeinsinn. Aber trifft hier nicht Gleichheit und Brüderlichkeit. zu, was so oft in der Politik gilt? Denn Ar gumente haben nicht nur zwei Seiten, son Bekämpft wurden sie in den napoleoni dern spiegeln ihre Entstehungszeit. In der schen Kriegen von glühenden Verteidigern Tat galt seit dem 19. Jahrhundert auch in Mit der von Frankreich angegriffenen Länder ge teleuropa, dass die übernommene Verpflich gen französische Despotie. In Spanien und in tung des Bürgers, seinen Staat zu verteidigen, Tirol stießen französische Truppen erstmals Ausdruck einer engen Verbindung zwischen auf Gegner, die vor allem der Wille beseel dem Bürger und seinem Gemeinwesen war. te, ihr Land gegen Eindringlinge zu verteidi Im Zuge der Reformen des 19. Jahrhunderts gen. Freiheitskriege ergreifen die Herzen und lernte der Staatsbürger, politische Verant machen deutlich: Wehrwille kann ungeahnte wortung zu empfinden. Er wurde vom Un Kräfte entfalten, wenn er durch Patriotismus tertanen zum Bürger. Im Absolutismus waren gespeist wird. Kleine Völker konnten große Soldaten in die Heere gepresst, war jede Ent Armeen besiegen. Dies hatten bereits Jahr fernung aus den Reihen der Soldaten schwer hunderte früher die Verteidigungsanstren bestraft worden, sollten Offiziere nicht nur gungen der Schweizer gezeigt, die im Kampf befehlen, sondern „ihre Leute“ oft mit dra gegen angebliche Feinde ihrer Freiheit immer konischen Strafen zusammenhalten. zum Volkskampf geblasen hatten. In der Amerikanischen Revolution wurde Einen Durchbruch bedeutete für den Ge erstmals spürbar, welche Kraft in der Bewaff danken der Wehrpflicht der Befreiungskrieg nung einer Bevölkerung steckte, die sich zur in Deutschland, zumindest schien es im Volkssouveränität bekannte und diese gera Rückblick so. Tatsächlich konnte von einer de im bewaffneten Konflikt praktizierte. „Ich allgemeinen Volksbewaffnung keine Rede wollte, ich hätte zwei Leben“, sagte der junge sein, denn es waren einzelne Soldaten und amerikanische Revolutionär Paul Revere, als Verbände, die sich aus tiefer Bindung an den er vor den britischen Gegnern stand, „dann entstehenden, vor allem in den Vorstellungen könnte ich meinem Land zwei Leben geben.“ der „Befreiungskämpfe“ existierenden deut Er starb übrigens eines natürlichen Todes und schen Nationalstaat dazu bekannten, ihr Le wurde in amerikanischen Lesebuchgeschichten ben einzusetzen. Sie fanden sich in Schillers zum Helden. Allerdings macht Revere deutlich, Appell wieder: „Und setzet ihr nicht das Le wie weit die Opferbereitschaft des Einzelnen ben ein“ und wollten mit dem eigenen Leben für ein Gemeinwesen ging, dessen Verfassungs die Zukunft ihrer Nation sichern. ordnung der Bürger akzeptierte. Nationalbe wusstsein und Verfassungspatriotismus über Mit der Revolution von 1848 setzte sich erst lagerten und steigerten sich gegenseitig. Dies mals das Prinzip der Volkssouveränität gegen APuZ 48/2011 13
das monarchische Prinzip durch, aber es sieg dass allein die Reichswehr seiner Herrschaft te nicht. Denn mit dem Scheitern der Badi gefährlich werden konnte. Deshalb versuch schen Aufstände triumphierte das königliche te er wenige Tage nach seiner Machtübernah Heer über demokratisch gesonnene Aufstän me, die Reichswehrführung zu lähmen. Ge dische. Mit der Reichsgründung von 1871, ei gen Pazifismus, für Revision des Versailler ner „Revolution von oben“, wurde die allge Vertrages, schließlich für die Eroberung von meine Wehrpflicht in der Reichsverfassung „Lebensraum“ wollte er seine Wehrmacht ein festgeschrieben, allerdings mit entscheiden setzen. Er rüstete auf, schuf eine schlagkräfti den Einschränkungen. Soldaten, die unter der ge Kriegsmarine, ließ eine Luftwaffe aufbau Fahne standen, besaßen kein Wahlrecht. So en und führte 1935 die allgemeine Wehrpflicht sollte die bewaffnete Macht davor geschützt ein. Die Wehrmacht wurde allmählich zu einer werden, in politische Konflikte der demokra Stütze seiner Herrschaft und seiner Expansi tischen Massengesellschaft hineingezogen zu onsbestrebungen. Sie machte die Ausdehnung werden. Das passive Wahlrecht der Uniform des Reiches erst möglich: Sudetenkrise, „An träger war nicht eingeschränkt worden. Deut schluss“ Österreichs, Überfall auf Polen, die lich wird auf diese Weise, dass der Obrigkeits Kriege im Westen und im Osten hatten eine staat dem Gedanken der Volksbewaffnung wichtige Voraussetzung: die allgemeine Wehr misstraute, vielleicht sogar mit Berechtigung, pflicht. Verweigerung des Dienstes mit der denn ein Revolutionstheoretiker wie Friedrich Waffe bedeutete oft den Tod. Es waren nur Engels vertrat die Meinung, die deutschen Ar wenige Regimegegner, die durch militärischen beitermassen hätten in der Armee Disziplin, Widerstand zeigten, dass sich das Militär dem gleichsam revolutionäre „Manneszucht“, ge Primat des Politischen unterwarf. lernt. Und weil Engels die großen sozialdemo kratischen Wahlerfolge des endenden 19. Jahr Mit dem 20. Juli 1944, dem Tag des Attentats hunderts hochrechnete, träumte er schließlich der Widerstandskämpfer um Graf von Stauf von einer revolutionären Volksarmee. fenberg auf Hitler, begann eine entscheidende Phase der Zivilisierung des Militärs, seine kon In der Weimarer Republik kam es dann sequente Unterordnung unter Politik und Par ganz anders. Im Versailler Friedensvertrag lament. Gerade im Handeln der Regimegegner war die bewaffnete Macht des Deutschen Rei aus der Wehrmacht wird das Spannungsver ches zu einer Schrumpfgröße mutiert: Ein hältnis zwischen Gehorsam und Widerspruch, 100 000-Mann-Heer, keine Luftwaffe und Gefolgschaft und Widerstand sichtbar. Dies eine Reichsmarine, deren größte Schiffseinhei sollte bedenken, wer sich zur Wehrpflicht als ten man „Westentaschenpanzerschiffe“ nann Ausdruck demokratischer Ordnung bekennt. te, waren die Folge. Im Kapp-Putsch von 1920, Die längste Zeit lag die Wehrpflicht im Inte der ersten großen Krise der Weimarer Repu resse des Obrigkeitsstaates und der Diktatur. blik, hatte sich die Reichswehr geweigert, in die Gerade das Kaiserreich, der Nationalsozialis innenpolitischen Kämpfe einzugreifen. Frei mus und die DDR machen deutlich, dass die korps prägten das Bild. Sie verstanden sich als Wehrpflicht keineswegs eine Garantie bietet, Träger eines demokratischen Verteidigungs die bewaffnete Macht zu einem Bestandteil willens, hassten aber die demokratisch ge der zivilen Gesellschaft werden zu lassen. Die wählte Reichsregierung. Sie wollten an die Zeit Zivilität der bewaffneten Macht hängt allein der sogenannten Befreiungskriege anknüpfen, vom Selbstverständnis der militärischen Füh ohne deren Orientierung an den Grundsätzen rung, vom Bekenntnis zur Menschenwür einer Bürgergesellschaft zu teilen. „Truppe de als Verpflichtung aller staatlichen Gewalt schießt nicht auf Truppe“, erklärte Hans von und von einer politischen Führung ab, die sich Seeckt, der wenig später zum Chef der Hee die letzte Verantwortung für das Militär nicht resleitung der Reichswehr ernannt wurde, und streitig machen lässt, sondern auf dem Primat verstärkte so die Tendenz der Abkapselung der des Politischen besteht. bewaffneten Macht. Staat im Staate sollte und wollte sie sein und wurde doch nur Spielball Die Bundeswehr gilt heute als eine bewaff im Kampf um die Republik. nete Macht, die fest in verfassungsstaatliche Strukturen eingebunden ist – vielleicht erst Sieger waren 1920 letztlich die entschiedenen mals in der deutschen Geschichte. Soldaten Gegner der Republik, deren Republikfeind sind als Bürger in Uniform anerkannt, und da schaft später Hitler artikulierte. Er wusste, bei unterscheidet man nicht nach Freiwilligen, 14 APuZ 48/2011
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