Aus Politik und Zeitgeschichte - 29 30/2007 16. Juli 2007 - BPB
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 29 ± 30/2007 ´ 16. Juli 2007 Verkehrspolitik Michael Schreckenberg Stau und Panik Weert Canzler ´ Andreas Knie Demographie und Verkehrspolitik Susanne Bæhler ´ Daniel Bongardt Sorgenkind Verkehr ± Maûnahmen zum Klimaschutz Christian Holz-Rau ´ Ute Jansen Nachhaltige Raum- und Verkehrsplanung Bernhard Schlag ´ Jens Schade Psychologie des Mobilitåtsverhaltens Claus J. Tully Leben in mobilen Welten Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial Die Mobilitåtsgesellschaft scheint an ihre Grenzen zu stoûen. Verstopfte Straûen und çberfçllte Flughåfen gehæren heute zum Alltag ± nicht nur zur Urlaubszeit. Die Stadtzentren drohen am motorisierten Individualverkehr zu ersticken. Citymautsysteme werden installiert, wåhrend manche Landstriche aufgrund des demographischen und wirtschaftsstrukturellen Wandels vom æf- fentlichen Nahverkehr abgekoppelt sind. Der energieintensive Straûengçterverkehr hat sich vervielfacht. Die Verkehrspolitik steht angesichts der Erfordernisse des glo- balen Klimaschutzes am Scheideweg. Der Flugverkehr, insbe- sondere auf Kurzstrecken, nimmt weiter sprunghaft zu. Mittler- weile ist es preiswerter, von Hamburg nach Mailand zu fliegen als mit der Bahn nach Berlin zu reisen. Doch Flugbenzin wird weiterhin nicht besteuert, was der wesentlich klimafreundliche- ren Bahn angesichts steigender Energiepreise einen zusåtzlichen, entscheidenden Wettbewerbsnachteil zufçgt und zu ihrer Un- attraktivitåt beitrågt. Nach wie vor ist Deutschland das einzige Land Europas ohne Tempolimit auf allen Autobahnen. Zugleich hat die Automobilindustrie ihre Selbstverpflichtungen zur Redu- zierung des Schadstoffausstoûes von Neuwagen nicht erfçllt. Inwieweit kann Politik das Verkehrsverhalten beeinflussen oder gar veråndern? Verkehrspolitik muss Anstæûe zu einem ef- fektiveren Mobilitåtsmanagement geben und den Rahmen fçr eine zeitgemåûe, nachhaltige Raum- und Siedlungspolitik setzen. Auch wenn individuelle Verhaltensånderungen schwer fallen: Niemand hindert die mobilen Bçrgerinnen und Bçrger daran, der Verkehrspolitik ¹von untenª neue, auch global wirksame Im- pulse zu verleihen. Phantasie und Intelligenz sind gefragt. Hans-Georg Golz
Michael Schreckenberg Phånomen Stau Stau und Panik Das Wort Stau kommt nicht vom passiven Sich-nicht-(vorwårts)-bewegen-Kænnen, son- dern vom aktiven Verb ¹stauenª: ¹(Wasser) im Lauf hemmenª und ¹(Waren) fest schich- tenª. Daraus wurde Stau als ¹Stillstand des Alles Unglçck der Menschen rçhrt daher, Wassersª. Das verwandte Verstauen (¹fest dass sie nicht in Ruhe allein in ihrem Zimmer einpackenª) stammt aus der Seemannssprache bleiben kænnen. des 19. Jahrhunderts, wobei der ¹Stauerª die Blaise Pascal (1623±1662) Schiffsladungen ¹stautª. Stau und Panik ± die beiden Worte erzeugen Heute stellt sich das Thema Stau deutlich Unbehagen, wenn nicht Furcht. Fçr sich al- anders, ja genau umgekehrt dar. Nicht wir lein genommen werden sie ståndig verwen- stauen oder verstauen etwas, sondern wir det, obwohl sie auch als Paar in Erscheinung werden ¹gestautª. So sind wir vom Tåter treten. In einem Fahrzeug im Stau auf der zum Opfer geworden. Und das årgert uns: Autobahn ist man gefangen, man kann es Mit allen technischen und wissenschaftlichen nicht einfach verlassen und sich entfer- Mitteln versuchen wir, Herr çber den Stau zu nen. Und eine gewisse Perspektivlosigkeit werden, håufig mit zweifelhaften Erfolgsaus- schwingt auch mit, denn man weiû nicht, wie sichten. Doch Stau ist etwas ganz Natçrli- lange der Zustand ches, çberall in der Natur ist er pråsent. Ob noch andauern wird. Kieselsteine, Kærner oder Sand, ob Ameisen, Michael Schreckenberg Mikroben oder Tiere auf dem Weg zur Was- Dies sind die wesent- Dr. rer. nat., geb. 1956; Profes- serstelle, çberall behindert eins das andere. lichen Ingredienzen sor für die Physik von Transport Ohne die anderen gåbe es keine Probleme, fçr das Auftreten und Verkehr, Universität Duis- und so årgern wir uns hauptsåchlich çber die eines psychologischen burg-Essen, Campus Duisburg, anderen, die uns am Fortkommen hindern. Zustands, den man Lotharstraûe 1, Doch am Ende sind wir alle der Stau, auch gemeinhin und eher 47057 Duisburg. wir selbst. salopp als ¹panischª schreckenberg@traffic.uni- bezeichnet. duisburg.de Zu den ganz groûen Erfindungen der Menschheit zåhlt zweifellos das Rad. Doch Doch auch umge- ohne die dazu gehærige Straûe (via strata, ge- kehrt betrachtet ergibt sich ein Zusammen- hang. Menschen in Panik, zumal in einer gro- 1 Fçr diesen Text wurde folgende Literatur verwendet: ûen Masse, handeln egoistisch, ohne Rçck- Hermann Engl/Frank Låmmel, Highway Deutsch- sicht auf andere. Das Gedrånge an Engstellen land, Holzkirchen 1996; Sigmund Freud, Massen- vermindert den Durchsatz enorm und er- psychologie und Ich-Analyse, Leipzig 1924; Clauss- zeugt schlieûlich: Stau. Håufig mit unabseh- Siegfried Grommek (Hrsg.), Panik ± Ein vernach- baren Folgen, denn am Ende wird ¹panischª låssigtes Phånomen?, Rothenburg/Oberlausitz 2005; gedrçckt, geleitet von der irrigen physikali- Hans Hitzer, Die Straûe. Vom Trampelpfad zur Auto- bahn, Mçnchen 1971; Dietmar Klenke, ¹Freier Stau fçr schen Annahme, mehr Druck erzeuge mehr freie Bçrgerª ± Die Geschichte der bundesdeutschen Durchfluss. Menschen sind transporttech- Verkehrspolitik, Darmstadt 1995; Tobias Kretz, nisch aber eher als ¹sperrigª einzustufen, so Pedestrian Traffic ± Simulation and Experiments, Diss., dass das Gegenteil eintritt: Verstopfung, und Universitåt Duisburg-Essen 2006; Maxwell G. Lay, damit Stau. Die Geschichte der Straûe, Frankfurt/M.±New York 1994; Michael Schreckenberg/Som Deo Sharma, Pedestrian and Evacuation Dynamics, Heidelberg 2002; Von beidem soll hier die Rede sein, von Rainer Stommer (Hrsg.), C.G. Philipp, Reichsautobahn Stau und von Panik, von Menschen in Fahr- ± Pyramiden des Dritten Reiches, Marburg 1982; Walter zeugen und als Fuûgånger. Stau und Panik Tiedemann, Panik ± Erkennen-verhçten-abwehren, haben miteinander zu tun. Sie kænnen allei- Lçbeck 1968; Nathalie Waldau, Massenpanik in Gebåuden, Diplomarbeit, TU Wien 2002; dies./Peter ne auftreten, aber auch gemeinsam. Fakten Gattermann/Hermann Knoflacher/Michael Schre- und Zusammenhånge legen die Verbindun- ckenberg, Pedestrian and Evacuation Dynamics 2005, gen des Systems Verkehr mit Stau und Heidelberg 2007. Vgl. auch www.rimea.de; www.ped- Panik nahe. 1 net.org und www.autobahn.nrw.de. APuZ 29 ± 30/2007 3
pflasterter Weg) håtte es gar nicht zu seiner straûen und mit getrennten Richtungsfahr- heutigen Bedeutung gelangen kænnen. Das bahnen ausgeweitet. Dieses Konzept trug be- Problem der frçhen Straûen bestand darin, reits wesentliche Merkmale der spåteren dass auf ihnen alle Verkehre gleichzeitig abge- Autobahn, wie sie in Anlehnung an die wickelt wurden, ja sogar Kinder spielten. Die Reichsbahn genannt wurde. Dieser Begriff Oberflåche der Straûen war, hauptsåchlich wurde 1929 erstmals von dem Hannoveraner durch Pferdefuhrwerke, in einem bedauerns- Professor fçr Statik und Eisenbau Robert werten Zustand. Wåhrend des Ersten Welt- Otzen offiziell benutzt. Die Bauarbeiten be- kriegs vernachlåssigt, konnten die Verkehrs- gannen 1912 auf einem Gelånde zwischen wege mit der rasanten technischen Entwick- Charlottenburg und Wannsee. Aufgrund des lung des Automobils danach nicht mithalten, Weltkrieges wurde die fast zehn Kilometer waren sie doch noch auf dem Niveau von Last- lange Strecke jedoch erst 1921 fertig gestellt. karren und napoleonischen Kriegsfahrzeugen. Am 24. September 1921 fand das erste offi- Unçbersichtlichkeit, Unebenheit und Staub- zielle AVUS-Rennen statt. entwicklung lieûen fçr die in den 1920er Jahren immer håufiger anzutreffenden Automobile Das Vorbild fçr den Bau von Autobahnen nur niedrige Geschwindigkeiten und wenig hatte der Italiener Piero Puricelli entworfen. Komfort zu. So ist es verståndlich, dass der 1922 grçndete er mit staatlicher Unterstçt- Ruf nach hochwertigen ¹Nur-Autostraûenª zung eine Autobahn-Gesellschaft, um ein gan- immer lauter wurde. Auf diesen sollten keine zes Netz von Nur-Kraftwagen-Straûen (auto- Pferdefuhrwerke mehr verkehren dçrfen. strade) zu realisieren: lange Geraden, weite Kurven, groûe Spurbreiten, glatte, feste und In diese Zeit fållt die Installation der ersten staubfreie Oberflåchen, keine Kreuzungen, deutschen Ampel, die am 20. Oktober 1924 geringe Steigungen und Tankstellen direkt am Potsdamer Platz in Berlin in Betrieb ging. neben der Fahrbahn. Allerdings gab es, im Deutschland hinkte damit mehr als 55 Jahre Unterschied zu den spåteren Reichsautobah- hinter der Inbetriebnahme der weltweit ers- nen, noch keine Trennung der Richtungsfahr- ten Ampel in London vor dem Parlamentsge- bahnen. Nach reiflicher Ûberlegung entschied båude (1868) hinterher. Dort war der Grund man sich fçr die Verbindung zwischen Mai- fçr die neue Technik in den sich håufenden land und den oberitalienischen Seen, insbe- Unfållen insbesondere mit Polizisten zu sondere zwischen Mailand und Como sowie sehen, die eigentlich den Verkehr regeln soll- zwischen Mailand und Varese. Die letztge- ten. Zwei Jahre spåter gab es auf der Leipzi- nannte, 49,2 Kilometer lange Verbindung ger Straûe Richtung Potsdamer Platz die erste wurde am 21. September 1924 von Kænig Vit- Grçne Welle, um den Verkehr zu verflçssi- torio Emanuele eræffnet. In den europåischen gen. Bemerkenswerterweise haben Ampeln Nachbarlåndern (und darçber hinaus) wurde nach çber achtzig Jahren ihre Form und An- der Autobahngedanke nach der Realisierung mutung mit den drei Farben Rot-Gelb-Grçn in Italien von ¹Autobahnverfechternª leiden- trotz aller technischen Weiterentwicklungen schaftlich aufgegriffen, so auch in Deutsch- fast unveråndert behalten und sind weltweit land. Dort gab es inzwischen zahlreiche Inte- vorzufinden. Heute werden an vielen Orten ressenverbånde und Gesellschaften, die sich Ampelkreuzungen durch Kreisverkehre er- mit der Planung von Nur-Autostraûen befass- setzt, die als sicherer und in der Wartung als ten. Nach vielen Anlåufen und Rçckschlågen deutlich gçnstiger gelten. wurde am 6. August 1932 vom damaligen Kæl- ner Oberbçrgermeister und spåteren Bundes- Die eindrucksvollste Entwicklung auf dem kanzler Konrad Adenauer die erste ¹kreu- Weg zum Stau war indes die der Autobahnen, zungsfreie Straûe nur fçr Kraftfahrzeugeª die als Straûen ohne Kreuzungen und nur fçr zwischen Kæln und Bonn (die heutige A 555) Automobile geplant waren. So wurde schon eræffnet. Heute umfasst das deutsche Auto- 1909 in Berlin die Gesellschaft ¹Automobil- bahnnetz rund 12 000 Kilometer, und es wird Verkehrs- und Uebungsstraûeª (AVUS) mit immer weiter ausgebaut. dem Ziel gegrçndet, eine Automobilrenn- strecke zu bauen. Die Plåne beschrånkten Die ¹kreuzungsfreienª Fernstraûen sind als sich zunåchst auf eine reine Rennstrecke, sie einzige Straûen in der Lage, Stauentstehung wurden spåter aber zu einer æffentlichen Au- in seiner reinsten Form zu ermæglichen: tomobilstraûe ohne Kreuzungen und Quer- Ohne åuûere Einflçsse wie Ampeln, Kreu- 4 APuZ 29 ± 30/2007
zungen, Baustellen oder widrige Wetterbe- Damit aber noch nicht genug. Zåhflieûen- dingungen bilden sich dort Staus; man spricht der Verkehr erzeugt nicht nur eine Stauwelle, håufig gar vom ¹Stau aus dem Nichtsª. Dies sondern wirkt wie eine Pumpe: Ein Stau nach ist aber eine Tåuschung: Versuchen zu viele dem anderen wird ¹ausgesandtª. Man kennt Fahrzeuge zur selben Zeit in derselben Rich- das Phånomen, ¹nach dem Stau ist vor dem tung dieselbe Strecke zu benutzen, so erreicht Stauª, etwas freier interpretiert. Das ist nicht sie ihre Kapazitåtsgrenze, und eine spezielle das, was man unter ¹Stop-and-Goª-Verkehr Dynamik setzt ein. An Stellen, an denen sich versteht, damit ist die Dynamik innerhalb die Dichte lokal erhæht, etwa an Auffahrten, eines Staus gemeint. ¹Normaleª Staus (ausge- Steigungen oder in unçbersichtlichen Kurven, nommen totaler Stillstand wie bei einer Voll- geht der freie in den so genannten synchroni- sperrung) haben eine interne Geschwindig- sierten Verkehr mit 10 bis 30 km/h çber. Die- keit von ca. 10 km/h, so dass es schon ab und ser ¹zåhflieûendeª Verkehr bildet sich von zu Bewegung gibt, aber eben keine konstan- der Engstelle an flussaufwårts und læst sich te. Heute gibt es an immer mehr Auffahr- nicht von ihr. Flussabwårts geht es mit freiem ten Ampeln, so genannte Zuflussregelungen. Verkehr weiter. Diese sollen verhindern, dass ganze Pulks von Fahrzeugen gleichzeitig versuchen aufzu- Interessant ist, dass die Geschwindigkeit in fahren. Dazu sind die Grçnphasen maximal dieser zåhflieûenden Zone zwar gering ist, zwei Sekunden lang, so dass nur ein Fahrzeug der Durchsatz, gemessen in Fahrzeugen fahren kann. Dies verhindert die Entstehung (Fhz) pro Spur und Stunde (h), aber fast un- von Stauwellen, der Verkehr bleibt ¹nurª veråndert bleibt: Erst bei 1 500 bis 1 800 Fhz/ zåhflieûend. Die in der Fahrschule gelernte h und Spur wird der Verkehr instabil; in Son- Regel ¹halber Tachoª in Bezug auf den Si- dersituationen gibt es allerdings auch Flçsse cherheitsabstand bedeutet unabhångig von deutlich çber 2 000 Fhz/h. Schlimmer wird der Geschwindigkeit einen Zeitabstand von es, wenn Fahrzeuge zum Stillstand kommen: 1,8 Sekunden. Leider vertrauen Autofahrer Geschwindigkeit Null. Warum auch immer zu sehr ihrer Reaktionsfåhigkeit bzw. der dies geschieht, sei es als Ûberreaktion oder Technik, denn sie kænnen nichts daran ån- aus Unaufmerksamkeit ± wenn der nachfol- dern, dass die Reaktionszeit mindestens eine gende Wagen stehen bleiben muss, entsteht Sekunde betrågt, ein Zeitraum also, in dem ein Ministau, der dramatische Auswirkungen sich das Fahrzeug mit der aktuellen Ge- haben kann. Ein Fahrzeug, das zum Stehen schwindigkeit weiterbewegt, bis der Brems- gekommen ist, benætigt ca. zwei Sekunden vorgang einsetzt. zum Anfahren (Capacity-Drop-Phånomen). Wenn dann aber mit einer Zeitlçcke deutlich Ûberhaupt wird der Verkehr zunehmend darunter Fahrzeuge heranfahren, wåchst die- von psychologischen Aspekten dominiert. ser Ministau blitzschnell an und entwickelt Man fçhlt sich als Autofahrer sehr schnell sich zu einer ausgewachsenen Stauwelle. benachteiligt, zumal, wenn man im Stau Diese bewegt sich mit einer Geschwindigkeit steht und Zeit hat zu beobachten. Auf der von ca. 15 km/h flussaufwårts, kommt dem anderen Spur geht es schon wieder weiter, nachfolgenden Verkehr also ¹entgegengefah- auf der eigenen nicht: Also schnell wechseln! renª. Dies ist deshalb so gefåhrlich, weil die Untersuchungen haben ergeben, dass man Relativgeschwindigkeit der in den Stau hin- immer das Gefçhl hat, von mehr Fahrzeugen einfahrenden Fahrzeuge genau um diesen çberholt zu werden als man selber çberholt Wert græûer ist als ihre eigene Geschwindig- ± ein Grund fçr die dauernden Spurwechsel, keit, die der Tacho anzeigt: ein Grund fçr die die am Ende den Gesamtverkehrsfluss nach- Gefåhrlichkeit von Stauenden. Da die Stau- haltig schådigen, allerdings nur hinter einem, welle sich erst wieder auflæst, wenn der Zu- doch Autofahrer denken (wie çbrigens auch fluss von hinten nachlåsst, fåhrt sie mit ihren Fuûgånger) nur nach vorne. (Das Gleiche 15 km/h vielleicht eine Stunde oder sogar lån- trifft auf parallele Warteschlangen zu, bei ger durch das Netz, wechselt vielleicht (rçck- denen man durch ståndiges Wechseln einen wårts fahrend!) die Autobahn und begegnet Vorteil zu erhaschen sucht. An Flughåfen einem dann irgendwo auf der Strecke, ohne und Bahnhæfen gibt es aus diesem Grunde erkennbaren Anlass. Daraus hat sich dann der jeweils nur noch eine Schlange, und erst am ¹Stau aus dem Nichtsª entwickelt; wie gese- Ende wird der Schalter gewåhlt, der gerade hen, hat er sehr wohl einen Grund. frei wird.) APuZ 29 ± 30/2007 5
Besteigt jemand sein Auto, åndert er sein aktivitåten bei Pendlern vorzufinden sind. Das Verhalten gegençber dem im privaten Leben erstaunliche Ergebnis war, dass das Groûhirn, praktizierten deutlich. Egoismus pur ist jetzt das fçr vorausschauendes Handeln verant- unter dem Deckmantel der Anonymitåt im wortlich zeichnet, bei Beifahrern deutlich akti- Fahrzeug angesagt. Dies schådigt die Effektivi- ver ist als das des Fahrers. Sie haben eher Angst tåt des Verkehrssystems deutlich. Die Strate- als der Fahrer, der ja eigentlich alles in der gien der Verkehrsteilnehmer gehen noch einen Hand hat. Der Pendler ist mit seinen Gedan- Schritt weiter. Wie wird eigentlich eine Route ken schon oder noch ganz woanders. Das er- auf der Grundlage von Verkehrsinformationen hæht die Reaktionszeit erheblich ± ein Zu- tatsåchlich ausgewåhlt? Welches sind die Stra- stand, der vermieden werden sollte. tegien, und åndern sich diese? Welches sind die Ziele? In Untersuchungen mit Studenten ist in einem Forschungsprojekt an der Universitåt Phånomen Panik Duisburg-Essen zusammen mit der Gruppe von Reinhard Selten (Nobelpreis fçr Wirt- Der Begriff ¹Panikª ist ein sehr ungenauer. schaftswissenschaften 1994) von der Universi- Wissenschaftlich ist er schwer zu fassen. In tåt Bonn herausgefunden worden, dass es im der Presse taucht er dennoch fast ståndig auf. Prinzip nur drei Typen von Verkehrsteilneh- Aber was ist damit gemeint? Wann tritt Panik mern gibt: erstens die Sensiblen (die ¹Direk- auf? Wie ist ihr zu begegnen? Was sind ihre tenª, 44 %), die sofort ihre Entscheidung ån- Ursachen? dern, sobald die Situation sich zu verschlech- tern (ein Stau) droht, und die Strecke verlassen. Ursprçnglich geht der Begriff auf den Zweitens gibt es die Taktierer (die ¹Gegenlåu- bocksgestaltigen Wald- und Hirtengott Pan figenª, 14 %), die gezielt das nicht tun, was ge- aus der griechischen Mythologie zurçck, des- meinhin erwartet wird, die also in einen gemel- sen plætzliche und unsichtbare Nåhe enor- deten Stau hineinfahren in der Erwartung, dass men Schrecken erzeugte. Er spielte auf der die anderen, insbesondere die Sensiblen, diesen bekannten ¹Panflæteª (so wird er jedenfalls in zu umfahren versuchen. Schlieûlich bleiben Gemålden dargestellt), die heute eher als ge- drittens die Konservativen mit 42 %, die alle måûigtes Instrument gilt. Mit Bocksfçûen Informationen ignorieren und nur ihrer eige- und Hærnern verkærperte er ein Zwitterwe- nen Vorstellung folgen. Eine kleine Unter- sen. Er erschreckte die Menschen plætzlich gruppe, die der Stoisch-Konservativen (die und unvermittelt mit einem schrillen Klang, ¹Stoikerª, 1,5 %), wåhlt sogar immer exakt die verstårkt durch die nicht erwiderte Liebe der gleiche Route, egal was passiert. Das verblçf- von ihm angebeteten Nymphe Echo, die fende Ergebnis: Die Stoiker sind die Erfolg- damit das ihre dazu tat. Heute çberlebt sein reichsten. Daraus den Schluss zu ziehen, alle Wirken z. B. in dem Ausdruck ¹ins Bocks- sollten Stoiker werden, wåre fatal, denn dann horn jagenª. wçrde sich ihr Vorteil verflçchtigen. Die Sensi- blen machen ihnen ja gerade die Strecke frei. In Panik heiût etymologisch soviel wie ¹plætz- der Zukunft wird es Informationssysteme liches Erschrecken oder Massenangstª. Dies geben, die im Nachhinein eine Ûberprçfung zeigt die zwei wesentlichen Facetten auf: Ent- der einmal getroffenen Entscheidung ermægli- weder bin ich als Einzelperson betroffen chen. Dies ist heute normalerweise nicht mæg- (etwa als Autofahrer im Stau), oder es handelt lich, und man freut sich çber den Hinweis des sich um ein Massenphånomen, zwei vollkom- Navigationssystems, den (vielleicht gar nicht men unterschiedliche Ansåtze. Das Wirken mehr existierenden) Stau umfahren zu kæn- von Pan hatte eher Einfluss auf Individuen, nen. Der Preis ist vielleicht viel zu hoch, man mit der Folge von Panikattacken. Diese fçhren weiû es aber im Nachhinein nicht. plætzlich zu unerklårbaren und qualvollen Angstzustånden, die keinen åuûerlich fassba- Mittels Kernspintomographie, heute als ren Anlass haben. Am Ende fçhrt dies sogar funktionale Magnetische-Resonanz-Tomogra- zur ¹Angst vor der Angstª. Doch davon soll phie (fMRT) bezeichnet, kann man Gehirnre- hier nicht die Rede sein. Hier geht es um die gionen ausfindig machen, die bei bestimmten vom Bewusstsein nicht mehr kontrollierbare Handlungs- und Entscheidungsprozessen ak- Angst vor einer gefçhlten Gefahr, ob wirklich tiv sind. Am Klinikum der Universitåt Duis- oder vermeintlich. Dieses Gefçhl hat verschie- burg-Essen wurde untersucht, welche Gehirn- dene Voraussetzungen: råumliche Enge, die 6 APuZ 29 ± 30/2007
eine Flucht erschwert, wenn nicht verhindert; gibt es kaum. Das Schema ist vorgegeben und Fçhrungslosigkeit in dem Sinne, dass keine hat das Ûberleben in vielen Jahrtausenden ge- Person des ¹Vertrauensª sagt, was zu tun ist; sichert. Der menschliche Geist ist zu tråge, um und natçrlich das Gefçhl der Gefahr. in Paniksituationen ¹rationalª zu entscheiden, die Zeit ist zu kurz, um eine Analyse der Situa- Bekannte Fålle aus der Geschichte werden tion vorzunehmen. Verhaltenscharakteristi- immer wieder zitiert. Bei Massenveranstal- ken als ¹Kurzschlussreaktionenª zu bezeich- tungen ist das Risiko sehr hoch, wie Katastro- nen, ist sehr vereinfachend. Einige wichtige phen immer wieder gezeigt haben: Ob bei Merkmale lassen sich festhalten: Als erstes ist Sportveranstaltungen (Heysel-Stadion 1985, der Herdentrieb zu nennen. Gerne schlieût Berg Isel 1999), Konzerten (Cincinnati 1979, man sich einer Masse an, geht man doch davon Roskilde 2000) oder Pilgerfahrten (Mekka aus, dass diese einen Plan und damit eine per- 2004, 2006) ± die Dynamik von Menschen- sænliche Perspektive hat, das heiût, man låuft massen ist schwer berechen- und kontrollier- dahin, wohin die meisten anderen auch laufen. bar. Oft reichen geringste Anlåsse, um Tau- Das birgt automatisch das Problem in sich, sende wie durch eine Infektion in einen dass gerade dort gar nichts mehr geht, man Angstzustand zu versetzen. Glaubte man frç- also besser nach Alternativen suchen wçrde. her, ein angstvoller Gesichtsausdruck sei fçr Menschen in Panik versuchen dahin zu gelan- diese ¹Infektionª entscheidend, so zeigen gen, wo sie hergekommen sind, denn das ken- neuere Untersuchungen mittels Kernspinto- nen sie. Notausgånge sind håufig wenig at- mographie, dass entsprechende Kærperbewe- traktiv, da schlecht beleuchtet und unbekannt. gungen ausreichen, um Angst zu transportie- Man muss schnell Vertrauen gewinnen in die ren. Man geht davon aus, dass zehn Prozent Entscheidung, die zu fållen ist. Dunkle Trep- der Menschen einer Gefahrensituation zu- penabgånge mit eventuell verschlossenen nåchst ruhig begegnen, weitere zehn Prozent Tçren am Ende sind keine akzeptable Læsung. reagieren hoch sensibel; der Rest wird als Bei Dunkelheit vertrauen Menschen am ehe- labil und beeinflussbar eingestuft. Die Situati- sten ihrer rechten Hand und versuchen damit on entscheidet darçber, ob es zu einer Eskala- festen Halt zu finden. Neue akustische Sys- tion kommt. Ein wichtiger Aspekt ist, dass es teme setzen Tæne (directional sound) çber den nicht darauf ankommt, ob eine wirkliche Ausgången ein, um dieses Problem zu umge- oder nur eine gefçhlte Gefahr als Auslæser hen und eine direkte Bewegung zum Ausgang existiert; in vielen Fållen entwickeln sich viel ohne Sicht zu erleichtern. zu hohe Dichten aus dem Wunsch der Men- schen, sich wegzubewegen, aus welchem Der entscheidende Faktor bei Massenpani- Grund auch immer. Moderat sind Dichten ken ist der Tunnelblick. Das Blickfeld engt unterhalb von zwei Personen pro Quadrat- sich markant ein, man konzentriert sich nur meter, darçber wird es eng, in einer Disco noch auf eine Alternative, das aber ganz und etwa bei drei bis vier, bei besonderen Anlås- gar. Die Geschichte des Menschen scheint ihr sen sogar bei fçnf Personen pro Quadratme- Ûbriges zu tun: Hånde und Fçûe werden ter. Es gibt Situationen, die noch deutlich da- feucht. Das war frçher zum Erklettern der rçber hinausgehen; bis zu 12 Personen pro Båume von Nutzen, heute ist dies eher nicht Quadratmeter sind schon gemessen worden. mehr als produktiv einzuschåtzen. Das Blut wird aus Bauch und Kopf in die Bewegungs- Wird dann, weil es nicht schnell genug vor- muskulatur gepumpt, um das Weglaufen zu wårts geht, von hinten gedrçckt, çben 50 erleichtern. Weiterhin verdickt sich das Blut, Menschen vorne schon einen Druck von eine Vorsichtsmaûnahme der Natur bei der einer Tonne aus; das çberlebt niemand. Kom- Flucht. So håtten dabei erlittene Wunden men Menschen zu Fall, ist das alleine noch keine so groûe Auswirkung. Zudem setzt Un- nicht entscheidend. Aber der Druck von hin- geduld ein: Geht es çber einen Zeitraum von ten låsst weitere çber sie stçrzen, bis mehrere mehr als 15 Sekunden nicht weiter, wird ge- Menschen çbereinander liegen und die un- drçckt oder eine andere Richtung eingeschla- tersten ersticken. gen. Aber es passiert noch mehr. Die sozialen Bindungen verlieren sich, andere sind uns ¹Unkontrollierbare Reaktionenª panischer egal, nur Verwandte, insbesondere aber Kin- Menschenmassen sind in Wirklichkeit von der der werden geschçtzt. Zehn Prozent der Be- Evolution festgelegt, Handlungsspielråume vælkerung, so schåtzt man, neigen zur Apathie APuZ 29 ± 30/2007 7
in solchen Situationen, ein auf das Individuum Quellen, da es sich um real durchlebte Situa- bezogenes Relikt des ¹Sich-tot-Stellensª, aus tionen handelt und keine zusåtzlichen An- dem Tierreich weidlich bekannt. Wie auch nahmen eingehen. In den vergangenen Jahren immer die Reaktion ausfållt, es ist schwer, eine sind ± hauptsåchlich zu akademischen Zwe- Verånderung herbeizufçhren. Die Menschen cken ± verstårkt Experimente mit (Klein-) sind nicht ansprechbar. Es gibt nur wenige Tieren (Ameisen, Måuse) in råumlich be- Beispiele, wo eine Rçckfçhrung in den ¹Nor- schrånkten Umgebungen durchgefçhrt wor- malzustandª funktioniert hat. den. Die Ergebnisse lassen sich naturbedingt nur begrenzt auf menschliches Verhalten Das Hauptaugenmerk muss auf der Prå- çbertragen. Allerdings nåhert sich menschli- vention liegen, damit der Zustand der Panik ches Verhalten, das weniger auf rationalen gar nicht erst entsteht. Es gibt eine Reihe von Entscheidungen und mehr auf Instinkt ba- Untersuchungsmæglichkeiten, die zur Ver- siert, in dieser Situation dem tierischen deut- besserung der Sicherheitsstandards genutzt lich an. Dies bezieht sich insbesondere auf werden kænnen. Dazu gehæren Evakuie- Extremsituationen mit groûer ¹gefçhlterª rungstests: Die Einbeziehung des schwer ab- Gefahr. Ein wesentlicher Vorteil dieser Me- zuschåtzenden menschlichen Faktors bei thodik ist, dass man die Randbedingungen einer Evakuierung ist durch einen Test oder fast ohne Skrupel (Gefåhrdung von Men- eine Ûbung zumindest teilweise mæglich. schen) weitgehend frei wåhlen kann. Doch hier muss man die Grenzen der zu er- wartenden Ergebnisse aufzeigen; dies ist zum Eine immer wichtiger werdende Methode einen die Verfçgbarkeit einer Menschenmen- ist die der Simulation. Hier besteht kein Ri- ge in der entsprechenden Græûenordnung. Es siko fçr beteiligte Personen wie in Realexpe- ist schwer vorstellbar, mit vielen Tausend Per- rimenten, und es ist noch nicht einmal das sonen im Freizeitbereich (Stadien, Vergnç- Gebåude oder die Einrichtung notwendig. In gungsparks) nur testweise eine Evakuierungs- Simulationen werden alle Menschen mikro- çbung sinnvoll durchzufçhren. Zum anderen skopisch mit ihrer Bewegung und ihrem Ver- mangelt es an der Ernsthaftigkeit, die in halten im Computer abgebildet. Man kann einem ¹echtenª Fall gegeben wåre. So sind so jede Geometrie im Vorhinein prçfen und Betreiber glçcklich, wenn sie aus geringfçgi- entsprechend veråndern. Die Maûnahmen gem Anlass (der bekannte ¹Mçlleimerbrandª) kænnen getestet werden, bevor sie ergriffen eine reale Evakuierung durchfçhren kænnen. worden sind. Heutige Simulationsmodelle Allerdings ist hier auch das Risiko der Evaku- sind in der Lage, çber eine Million Men- ierung selbst mit einzubeziehen. Hat man es schen mit ihrer Dynamik zu berechnen. Die dagegen mit Personen zu tun, die sich berufs- Entwicklung immer besserer und effiziente- bedingt in einem Gebåude aufhalten, das sie rer Modelle ist ein intensives Feld der For- zwangslåufig gut kennen, ist ein solcher Test schung. Allerdings muss man die Relevanz durchfçhrbar. Aber auch hier ist nicht immer der Ergebnisse realistisch einschåtzen. Sehr mit der gewçnschten Ernsthaftigkeit zu rech- viel hångt von der Qualitåt des eingesetzten nen. Gerade die håufige Wiederholung fçhrt Modells ab. Håufig enthalten die Modelle zu einem Abstumpfungseffekt, der sich auf mehrere Parameter, die erst an Situationen eine Verlångerung der Reaktionszeit aus- und Szenarien angepasst werden mçssen. Fçr wirkt. Diese Ûbungen, gerade auf Schiffen, den Nutzer (z. B. Betreiber oder Behærden) haben oft Happeningcharakter und stellen ist es jedoch kaum mæglich, den Wert der Er- bisweilen auch eine willkommene Unterbre- gebnisse richtig einzuschåtzen. chung der Arbeitszeit dar. Ein besseres Verståndnis der Phånomene Eine Reihe von Unglçcken mit einer gro- Stau und Panik und ihres Verhåltnisses zuein- ûen Anzahl Beteiligter ist sehr gut dokumen- ander ist unabdingbar, um fçr die Herausfor- tiert. Anhand einer Analyse der Aufnahmen derungen an die Verkehrspolitik im 21. Jahr- kænnen Rçckschlçsse auf Fehlverhalten und/ hundert gerçstet zu sein. oder mangelnde Sicherheitsmaûnahmen ge- zogen werden. Dies bleiben aber immer Spe- zialfålle, deren Ûbertragbarkeit auf andere Umgebungen und Anlåsse håufig nur schwer mæglich ist. Trotzdem sind dies wichtige 8 APuZ 29 ± 30/2007
Weert Canzler ´ Andreas Knie Netzindustrien Wasser, Energie, Telekommu- nikation sowie den ¹Punktinfrastrukturenª Demographie Schulen, Krankenhåuser und andere soziale Einrichtungen auch den æffentlichen Verkehr betrifft. So ist beispielsweise das Verkehrsauf- und kommen, also die Zahl der befærderten Per- sonen, im æffentlichen Straûenpersonenver- Verkehrspolitik kehr im Osten (einschlieûlich Berlin) von 1993 bis 2003 um mehr als 13 Prozent, nåm- lich von rund 2,2 auf 1,9 Millionen Fahrgåste pro Tag, gesunken. 2 Bis 2030 werden die Ver- kehrsleistungen weiter zurçckgehen und zwi- I n diesem Jahrhundert wird die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland sinken, deren Durchschnittsalter schen 20 Prozent (Brandenburg) und 34 Pro- zent (Sachsen-Anhalt) gegençber dem Basis- jahr 2002 absinken. 3 indes deutlich steigen. Parallel zum demogra- phischen Wandel muss mit erheblichen råum- Parallel zu diesen Schrumpfungstendenzen lichen Verschiebungen gerechnet werden, finden wir in Deutschland aber auch klassi- weil die Unterschiede in der ækonomischen sche Wachstumszonen, vor allem im Sçden Leistungsfåhigkeit der Regionen immer græ- sowie in Ballungsråumen entlang des Rheins, ûer ausfallen werden. Problematisch ist die des Mains und in und um Hamburg. Dort Koinzidenz von de- wåchst die Wirtschaft çberdurchschnittlich, mographischen Um- und die Erwerbsquote ist hoch. Bei weiter Weert Canzler zunehmender Bevælkerung durch Zuwande- brçchen und wirt- Dr. phil., Dipl.-Politologe, geb. rung aus dem In- und Ausland und somit schafts- sowie regio- 1960; wissenschaftlicher Mitar- abgemilderter Alterung kann hier von einer nalstrukturellen Ver- beiter der Abteilung ¹Innovation Unterauslastung der Infrastruktur nicht werfungen besonders und Organisationª, Wissen- die Rede sein. In den Wachstumszonen steigt in den æstlichen Bun- schaftszentrum Berlin für die Verkehrsleistung, und zwar sowohl im deslåndern. Sozialforschung (WZB), Reich- Motorisierten Individualverkehr (MIV) als pietschufer 50, 10785 Berlin. auch im Úffentlichen Personennahverkehr Eine unterdurch- Canzler@wzb.eu (ÚPNV). 4 schnittliche Erwerbs- quote und mangelnde Andreas Knie Die Folgen der sich abzeichnenden demo- ækonomische Dyna- Dr. phil., geb. 1960; apl. Profes- graphischen und wirtschaftsstrukturellen Dy- mik fallen in Ost- sor für Soziologie an der Techni- namiken in den nåchsten Jahrzehnten ± als deutschland mit al- schen Universität Berlin, Gleichzeitigkeit von Entleerungs- und Boom- tersselektiver Abwan- wissenschaftlicher Mitarbeiter prozessen ± sind fçr die Verkehrspolitik gra- derung (ohne kom- der Abteilung ¹Innovation und vierend. Das bisher gçltige ¹Grundgesetzª pensatorische Zuwan- Organisationª am WZB (s. o.). der Verkehrspolitik ± nåmlich als Infrastruk- derung) und einer Knie@wzb.eu turversorgung zu einer gleichmåûigen Er- dadurch beschleunig- ten Alterung der Ge- schlieûung der Råume beizutragen, um dem sellschaft zusammen. Die Abwanderung in Gedanken der staatlichen Daseinsvorsorge den Westen hat ihre Hauptursache in den un- gçnstigen wirtschaftlichen Aussichten. Die endogenen Potenziale werden durch die Weg- 1 Vgl. www.destatis.de (22. 5. 2007); vgl. auch Statis- zçge gut ausgebildeter und hoch motivierter tisches Bundesamt, Bevælkerung Deutschlands bis Arbeitskråfte zusåtzlich geschwåcht. Zwi- 2050. 11. koordinierte Bevælkerungsvorausberech- schen 1990 und 2002 hat sich die Bevælkerung nung, Wiesbaden 2006. auf dem ehemaligen Territorium der DDR 2 Eigene Berechnung nach: Bundesministerium fçr von 18,2 auf 17 Millionen vermindert; das Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW), Ver- Statistische Bundesamt prognostiziert einen kehr in Zahlen 2005, Hamburg 2005, S. 232 f. 3 Vgl. InnoZ ± Innovationszentrum fçr Mobilitåt und Bevælkerungsrçckgang bis 2050 um weitere gesellschaftlichen Wandel, Der Verkehrsmarkt 2030, 31 Prozent. 1 Dieser Bevælkerungsschwund Berlin 2007, S. 3. schlågt sich in einer abnehmenden Nutzung 4 Vgl. DIW/Infas, Mobilitåt in Deutschland 2002, von Infrastrukturen nieder, die neben den Berlin 2003, S. 7. APuZ 29 ± 30/2007 9
gerecht zu werden ± kann kaum mehr auf- Alterung: Das Durchschnittsalter der Ein- recht erhalten werden. 5 wohner in Deutschland nimmt zu. So sinkt zum Beispiel der Anteil der unter 40-Jåhri- gen, also der Berufsanfånger, die zugleich ein Demographische Tendenzen wichtiger Teil der Leistungstråger sind, von 1999 bis 2020 um 17 Prozent. Gleichzeitig Die wesentlichen Trends des demographi- wåchst der Anteil der çber 60-Jåhrigen um 24 schen Wandels in den nåchsten Jahrzehnten Prozent. Noch dramatischer nimmt die Zahl in Deutschland sind die Alterung und der çber 75-Jåhrigen zu: Sie steigt sogar um Schrumpfung der Bevælkerung, die Binnen- 50 Prozent. 9 Auûerdem ist davon auszuge- wanderung und ihre Auswirkungen sowie die hen, dass die Lebenserwartung aufgrund bes- sozialråumlichen Unterschiede der Bevælke- serer Ernåhrung und guter medizinischer rungsentwicklung. Jeder dieser Aspekte er- Versorgung weiter steigen wird. Schon heute zeugt erheblichen Anpassungsbedarf. Zusam- ist die am schnellsten wachsende Altersgrup- mengenommen fçhren sie zu hohem Reform- pe die der çber 80-Jåhrigen. Gegençber 2000 druck. Die kaum mehr zu beeinflussenden wird sich ihr Anteil im Jahr 2020 voraussicht- demographischen Verschiebungen bis 2020 lich verdoppelt haben. werden unter anderem zu einem weiteren Einbruch der Schçlerzahlen fçhren; diese Im Gegensatz zur Alterung setzt die sind zwischen 1999 und 2004 bereits um 2,9 Schrumpfung der Gesamtbevælkerung in Prozent zurçckgegangen. Es wird erwartet, Deutschland etwas spåter ein. Ab 2010 ist bei dass im Zeitraum zwischen 2004 und 2020 die einer unterstellten Nettozuwanderung von Zahl der Schçlerinnen und Schçler um weite- 100 000 Personen pro Jahr und bei einer etwa re 6,6 Prozent sinken wird. Der Bundes- konstanten Geburtenrate mit einem stetigen durchschnitt verdeckt auch hier die enormen Bevælkerungsrçckgang auf unter 68 Millio- Disparitåten zwischen einzelnen Låndern. nen im Jahre 2050 zu rechnen. 10 Die Zwischen 1999 und 2004 ist die Zahl der Schrumpfung tritt nach 2020 beschleunigt Schçler im Osten im Schnitt um fast ein Drit- auf. Demographen sprechen vom ¹Echoef- tel zurçckgegangen, wåhrend in den meisten fektª temporår niedriger Geburtenraten, der westlichen Låndern eine leichte Zunahme zu selbst durch ein deutlich hæheres Reprodukti- verzeichnen war. 6 onsniveau nicht mehr ausgeglichen werden kann. 11 Die Bevælkerungsentwicklung çber 2020 hinaus wird mæglicherweise mit noch weit Zuwanderung: Unterstellt wird bei allen gravierenderen Konsequenzen fçr beinahe demographischen Modellrechnungen eine alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nettozuwanderung. Bei den optimistischen Bereiche verbunden sein. 7 Doch solche Varianten des Statistischen Bundesamtes wur- Voraussagen sind naturgemåû sehr unsicher, den bis vor zwei Jahren noch jåhrliche Migra- denn weder sind kçnftige Geburtenraten tionsgewinne von 200 000, ab 2010 sogar von noch das Migrationsverhalten çber einen 300 000 Personen angenommen. 12 Angesichts Zeitraum von mehr als 15 Jahren seriæs zu be- erheblicher Ab- bzw. Rçckwanderung wçrde rechnen. Die absehbaren Haupttrends der de- dies eine Bruttozuwanderung von bis zu mographischen Entwicklung in den verschie- einer Million Personen pro Jahr voraussetzen. denen Dimensionen bis zum Jahr 2020 sind In den 1980er und 1990er Jahren wurde ledig- die folgenden. 8 lich zeitweilig eine solche Nettozuwanderung erreicht; in der zweiten Hålfte der 1990er 5 Vgl. Udo E. Simonis (Hrsg.), Infrastruktur. Theorie Jahre lag die Zahl der Immigranten nur noch und Politik, Kæln 1977. knapp çber der Zahl der Emigranten. Der 6 Vgl. InnoZ (Anm. 3), S. 4. 7 Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Schrumpfende Gesell- 9 Vgl. Bundesamt fçr Bauwesen und Raumordnung schaft. Vom Bevælkerungsrçckgang und seinen Folgen, (BBR), Herausforderungen des demografischen Wan- Frankfurt/M. 2005. dels fçr die Raumentwicklung in Deutschland, Bonn 8 Vgl. ausfçhrlich Weert Canzler, Verkehrsinfrastruk- 2004. turpolitik in der schrumpfenden Gesellschaft, in: Oli- 10 Vgl. BBR, Raumordnungsprognose 2020/2050, ver Schæller/Weert Canzler/Andreas Knie (Hrsg.), Bonn 2006. Handbuch Verkehrspolitik, Wiesbaden 2007, S. 510± 11 Vgl. F.-X. Kaufmann (Anm. 7), S. 52 ff. 532. 12 Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 1). 10 APuZ 29 ± 30/2007
Rçckgang der Zahlen deutschståmmiger Aus- Die Schere zwischen armen und reichen siedler, die verschlechterten Beschåftigungs- Regionen æffnet sich weiter. Es findet nicht mæglichkeiten fçr neu zugezogene Arbeits- nur kein wirksamer Ausgleich zwischen den kråfte sowie die verschårfte Asylpolitik sind sich hæchst unterschiedlich entwickelnden die Hauptgrçnde fçr eine seither deutlich sin- Landesteilen mehr statt, 17 sondern auch die kende Zuwanderung einerseits und eine signi- Divergenz wird durch das ungebrochene fikant gestiegene Rçck- bzw. Auswanderung Wanderungsverhalten verschårft. So hat sich anderseits. Kçnftig dçrfte es einen verstårk- die regional hæchst unterschiedliche Arbeits- ten Wettbewerb zwischen den OECD-Lån- losigkeit verfestigt, und auch andere Indika- dern um gut qualifizierte Zuwanderer geben, toren der Standortbeschreibung deuten auf Nettozuwanderungsgewinne von deutlich eine fortschreitend auseinander strebende çber 100 000 Menschen kænnen daher als un- Entwicklung hin. Damit wachsen auch die wahrscheinlich gelten. Pendlerverflechtungen weiter. Im Jahr 2003 pendelten 56 Prozent der sozialversiche- Sozialråumliche Verteilung: Ûberlagert wer- rungspflichtig Beschåftigten, d. h., sie çber- den die demographischen Trends der Alte- schritten beim Weg von der Wohnung zum rung, Schrumpfung und Zuwanderung durch Arbeitsplatz die Gemeindegrenze. 18 Vor eine hæchst ungleiche råumliche Verteilung allem in den strukturschwachen Gebieten von Bewohnern, von Alten und Jungen sowie Ostdeutschlands sind die Pendeldistanzen von armen und wohlhabenden Haushalten. stark gestiegen. Neben dem schon klassischen Nord-Sçd-Ge- fålle hat sich seit den 1990er Jahren ein demo- Kçnftige Verkehrsinfrastrukturpolitik graphischer Ost-West-Gegensatz herausge- bildet. 13 Massive Geburtenrçckgånge und Die Alterung und Schrumpfung sowie die massenhafte Abwanderung fielen zusammen, fortschreitende Individualisierung der Gesell- umgekehrt siedelten sich kaum Menschen aus schaft haben Konsequenzen fçr die Infra- dem Ausland im Osten an. Besonders junge strukturpolitik. Denn in historischer Pers- Frauen und qualifizierte Erwerbståtige mit pektive galt insbesondere die Verkehrsinfra- Karriereambitionen verlieûen ± und verlassen struktur als Wechsel auf eine bessere bis heute ± die ostdeutschen Bundeslånder Zukunft. Nationale Motive fçr den Infra- und gingen in den Westen der Bundesrepu- strukturausbau vermischten sich Ende des 19. blik und auch ins Ausland. Als ¹altersselekti- Jahrhunderts in Deutschland mit regionalen ve Wanderungª wird dieses Phånomen in der und kommunalen Interessen reformpoliti- demographischen Forschung bezeichnet. 14 scher Ansprçche. Das dynamische Wachstum Alle Prognosen gehen davon aus, dass sich der frçhen Industrialisierung hatte zu bis dieser Trend fortsetzt. 15 Die regional unter- dahin nicht gekannter Verstådterung gefçhrt. schiedliche Entwicklung ist aber nicht allein Wasserver- und -entsorgung, Energie fçr die ein Problem der æstlichen Bundeslånder. Laut Bevælkerung und Fabriken, aber auch logis- dem jçngsten Raumordnungsbericht des tische Erfordernisse und Wohnraum fçr die Bundesamtes fçr Bauwesen und Raumord- zustræmenden Arbeiter und ihre Familien nung (BBR) hat ein Drittel der deutschen Ge- wurden als neue kommunale Aufgaben defi- meinden seit Beginn der 1990er Jahre Ein- wohner verloren, darunter auch viele Kom- 17 Um dem entgegenzuwirken, wurde im Rahmen der munen im Westen: ¹Die Zahl der Gemeinden Aufbauhilfe Ost verstårkt in die Modernisierung und mit schrumpfender Bevælkerung steigt lau- den Neuaufbau der Infrastruktur investiert. Hinter fend. Ihr Anteil an der Gesamtbevælkerung dieser Strategie stand die Hypothese, dass staatliche Vorleistungen gewerbliche Aktivitåten nach sich zægen wåchst. Die Diskrepanz in der Dynamik von und private Investoren anlockten. Das war bis auf we- wachsenden und schrumpfenden Gemeinden nige Ausnahmen aber nicht der Fall. In vielen Regio- wird ebenfalls græûer.ª 16 nen in Ostdeutschland gibt es keine sich selbst tra- gende Wirtschaftsstruktur, die Arbeitslosigkeit liegt 13 Vgl. Josef Ehmer, Bevælkerungsgeschichte und vielerorts bei 20 Prozent und mehr, die Zahl der Historische Demographie 1800±2000, Mçnchen 2004, Transferempfånger çbertrifft nicht selten die Zahl de- S. 16 f. rer, die von eigenem Einkommen leben. Vgl. Ge- 14 Vgl. Ralf Mai, Abwanderung aus Ostdeutschland, språchskreis Ost der Bundesregierung, Kurskorrektur Frankfurt/M. 2004. des Aufbau Ost (Red.: Klaus von Dohnanyi/Edgar 15 Vgl. BBR (Anm. 10). Most), 28. 6. 2004, Hamburg±Berlin. 16 BBR, Raumordnungsbericht 2005, Bonn 2005, S. 30. 18 Vgl. BBR (Anm. 16), S. 78. APuZ 29 ± 30/2007 11
niert. Die Mobilisierung und Bereitstellung Arbeitsplåtzen in Industrie und Landwirt- erheblicher investiver Mittel war dabei an schaft fertig werden mussten. Die wirtschaft- eine dirigistische Durchgriffspolitik gebun- liche Basis zerbræselte innerhalb weniger den. Die neuen Versorgungsnetze boten die Jahre. 21 Gewåhr fçr eine prosperierende Wirtschaft und sollten der breiten Bevælkerung zu ¹be- Im Verkehr kommt im Vergleich zu ande- zahlbarenª Preisen angeboten werden, im ren Netzinfrastrukturen als Besonderheit Gegenzug herrschte ein Zwang zum An- hinzu, dass der ÚPNV gegençber dem MIV schluss an die staatliche Netzplanung. Es ist dramatisch an Bedeutung verloren hat. Wåh- kein Zufall, dass wichtige Infrastrukturgeset- rend zum Zeitpunkt des Erlasses des PBefG ze zu Beginn des ¹Dritten Reichesª erlassen der private Automobilverkehr erst in Ansåt- wurden. So atmet auch das geltende Perso- zen zu erkennen war, nimmt mittlerweile der nenbefærderungsgesetz (PBefG) noch immer Anteil des MIV ± nicht zuletzt dank jahr- den Geist der Zwangsbewirtschaftung. Bis zehntelanger staatlicher Unterstçtzung ± heute wird der gewerbliche Transport von einen Marktanteil von gut 85 Prozent ein. In Personen nicht dem Markt çberlassen, son- låndlichen Regionen steigt die Bedeutung des dern als æffentliche Aufgabe begriffen und Autos noch weiter und erreicht im Schnitt entsprechend streng reglementiert. Dafçr gut 90 Prozent der Verkehrsleistung. Umge- sind die Genehmigungsinhaber wie Lizenz- kehrt wird in diesen Regionen der ÚPNV nehmer vor Konkurrenz geschçtzt. Analog praktisch nur noch von Schçlern und Auszu- waren die Gesetze fçr die Strom- und Was- bildenden genutzt, deren Anteil in West- serversorgung gestaltet. 19 deutschland rund 90 Prozent und in Ost- deutschland mehr als 95 Prozent ausmacht. 22 Stçrmisches Stådtewachstum und Land- Das Auto bedarf zwar des Straûennetzes und flucht gehæren der Vergangenheit an. Eine einer polizeilich çberwachten Straûenver- Grundversorgung mit kollektiven Gçtern kehrsordnung, seine Benutzung liegt jedoch wie Strom, Wasser, Mçllentsorgung und im Belieben jedes Privatbesitzers. Es bietet Heizenergie ist gegeben; ihre Bereitstellung mehr Handlungsoptionen als jedes noch so ist in private oder privatisierte Unternehmen gut ausgebaute æffentliche Bus- und Bahnan- çberfçhrt worden. Die Netzinfrastrukturen gebot und stellt fçr seine Nutzer einen selbst- sind flåchendeckend vorhanden. Insbesonde- bestimmten Raum dar. 23 Es ist das ideale ver- re das Verkehrsnetz konnte in Deutschland kehrstechnische Unterpfand einer zu Indivi- mit einem international beachteten Leistungs- dualisierung und Flexibilisierung treibenden stand ausgebaut werden, wobei inzwischen Gesellschaft. 24 Darin liegt nicht zuletzt der allerdings mehr und mehr Probleme hinsicht- entscheidende Vorteil dieses Transportmittels lich der Finanzierung drohen. 20 Unter ver- gegençber dem ÚPNV. 25 stårkten Druck geraten die Infrastrukturen und ihre Finanzierung nicht nur, weil sie sich 21 Vgl. Gespråchskreis Ost (Anm. 17). oftmals am Ende ihrer Lebensdauer befinden 22 Vgl. InnoZ (Anm. 3), S. 8. 23 Vgl. die Ergebnisse der jçngeren sozialwissen- und damit der Wartungs- und Reparaturauf- schaftlichen Mobilitåtsforschung: Hartmut Heine/ wand steigt. Zusåtzlich werden sie durch sin- Rçdiger Mautz/Wolf Rosenbaum, Mobilitåt im All- kende Nachfrage belastet. Eine abnehmende tag, Frankfurt/M. 2001; Andreas Knie, Ergebnisse und Nutzung von Infrastrukturen ist eines der Probleme sozialwissenschaftlicher Mobilitåts- und sichtbarsten Merkmale von Schrumpfungsre- Verkehrsforschung, in: O. Schæller u. a. (Anm. 8), gionen. Das gilt fçr altindustrielle und låndli- S. 43 ±60. 24 Vgl. ebenso Weert Canzler/Andreas Knie, Mæg- che Regionen in den ostdeutschen Bundeslån- lichkeitsråume. Grundrisse einer modernen Mobili- dern, die nach dem Zusammenbruch der tåts- und Verkehrspolitik, Wien±Kæln±Weimar 1998; DDR mit dramatischen Einschnitten bei den Projektgruppe Mobilitåt, Die Mobilitåtsmaschine, Berlin 2004. 19 Vgl. Weert Canzler/Andreas Knie, Demografische 25 Der Siegeszug des Automobils hat in Deutschland und wirtschaftsstrukturelle Auswirkungen auf die seit den 1970er Jahren zur Massenmotorisierung ge- kçnftige Mobilitåt (WZB discussion paper SP III fçhrt. Im Jahre 2004 konnten 77 Prozent der west- 2005± 106), Berlin 2005, S. 12 ff. deutschen Haushalte çber mindestens ein Auto ver- 20 Vgl. Uwe Kunert/Heike Link, Prognose des Er- fçgen, in çber einem Fçnftel der Haushalte standen satzinvestitionsbedarfs fçr die Bundesverkehrswege sogar zwei und mehr Autos zur Verfçgung; vgl. Statis- bis zum Jahre 2020 (DIW-Beitråge zur Struk- tisches Bundesamt, Datenreport 2005, Bonn 2005. Zu turforschung 187), Berlin 2001. berçcksichtigen ist bei diesen aggregierten Zahlen, dass 12 APuZ 29 ± 30/2007
In der Verfçgbarkeit und in den Zahlen der Wandel der Staatlichkeit? Fahrerlaubnisse spiegeln sich die demogra- phischen Phånomene der Gesellschaft wider. In der Stadt- und Raumplanung werden die Wåhrend die Gruppe der Fçhrerscheinlosen, Probleme hinsichtlich der Anpassungsleis- also beinahe ausschlieûlich die der Schçler tungen in den Infrastrukturen insbesondere und Auszubildenden, signifikant kleiner in den Schrumpfungsregionen ausfçhrlich wird, werden die Alten absolut und relativ diskutiert. 27 Die akuten Aufgaben beim zur Gesamtbevælkerung mehr und mehr. Die Stadtumbau Ost stehen im Vordergrund. Ei- zukçnftigen Kohorten Ølterer werden im nigkeit besteht darin, dass die Kosten fçr die Gegensatz zu den bisherigen in ihrer groûen Nutzer von Infrastrukturen steigen werden. Mehrheit sowohl mit einem Fçhrerschein Wachsende Finanzierungslasten fçr æffentli- ausgestattet sein als auch çber Fahrpraxis und che Infrastrukturen zwingen vielerorts zum einen eigenen Pkw verfçgen. Die spezifischen Abbau æffentlicher Dienstleistungen und zur (Auto-)Mobilitåtsraten der çber 65-Jåhrigen Installierung neuer privater Betreibermo- von morgen werden aller Voraussicht nach delle. 28 Der Verkauf kommunalen Eigentums steigen. und public private partnerships sind in vielen Stådten und Gemeinden der Hoffnungsanker, Als neue Randbedingung schålt sich wenn sie auch oft nicht strategisch angegan- schlieûlich eine zunehmende Stadt-Land- gen werden, sondern aus der Not prekårer Spaltung heraus: Die verdichtete Stadt Haushaltslagen geboren sind. braucht selbst dort, wo sie Einwohner ver- liert, auch kçnftig æffentlichen Verkehr. Das Die Anpassungen der Verkehrspolitik an gilt umso mehr fçr prosperierende Stådte und die demographisch und wirtschafts- sowie re- Ballungsråume. Schon aus Platzgrçnden wåre gionalstrukturell verstårkten Verschiebungen eine weitere Zunahme des Autoverkehrs væl- in der Nachfrage in den verschiedenen Trans- lig dysfunktional. Anders sieht es in weniger portmårkten zum einen und an die Gleichzei- verdichteten, insbesondere in låndlichen Re- tigkeit von Schrumpfen und Wachsen zum gionen aus. Dort, wo es gençgend Verkehrs- anderen stehen dagegen erst am Anfang. Als flåchen und beinahe Vollmotorisierung gibt, offizielles Dokument der Zielplanung gilt der ist die Finanzierung des ÚPNV aus Steuer- Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der Infra- mitteln nur mit sozial- und umweltpoliti- strukturinvestitionen bis 2015 fixiert, dessen schen ± oder im Fall des Schçlerverkehrs mit Grundpråmissen aber auf einem Wirtschafts- bildungspolitischen ± Argumenten zu be- wachstum von mehr als 2,5 Prozent pro Jahr, grçnden. Die ækonomische Voraussetzung einer kontinuierlich steigenden Bevælkerung fçr einen effizienten Bus- und Bahnverkehr, sowie einem ståndig steigenden Einkommen die Bçndelung von Nachfrage, droht auûer- beruhen ± Annahmen, die praktisch von kei- halb der verdichteten Stådte zu entfallen. An nem wissenschaftlichen Institut mehr geteilt die Stelle der ¹Groûraumgefåûeª kænnte werden. 29 Der Neuauflage des BVWP steht daher ein innovatives, flexibles Angebot tre- daher noch bevor, was in den Verkehrswis- ten, das mit Kleinfahrzeugen, Taxis, Vans senschaften als Paradigmenwechsel mittler- oder Kleinbussen realisiert wird. 26 weile vollzogen wurde: ¹In the future, the es ein erhebliches Gefålle in der Fahrzeugverfçgbarkeit Lisa Ruhrort, Zu den Auswirkungen mentaler und zwischen Stadt und Land gibt: je dichter die Besied- struktureller Innovationsblockaden im Kontext aktu- lung, desto geringer ist die Fahrzeugausstattung der eller Reformversuche, in: Oliver Schæller (Hrsg.), Úf- privaten Haushalte. Lediglich bei den çber 60-Jåh- fentliche Mobilitåt. Perspektiven fçr eine nachhaltige rigen, vor allem bei den ålteren Frauen auf dem Lande, Verkehrsentwicklung, Wiesbaden 2005, S. 128±154. gibt es noch einen nennenswerten Anteil von Fçhrer- 27 Vgl. im Ûberblick: Christian Holz-Rau/Joachim scheinlosen. Bei allen anderen Altersgruppen liegt die Scheiner, Verkehrsplanung und Mobilitåt im Kontext Fçhrerscheinquote bei 80 bis 90 Prozent, bei den 21- der demografischen Entwicklung. in: Straûenver- bis 29-Jåhrigen sogar bei çber 95 Prozent. kehrstechnik, (2004) 7, S. 341±348; Georg Schiller/ 26 Schrumpfende låndliche Regionen bieten sich ge- Stefan Siedentop, Infrastrukturfolgekosten der Sied- radezu an fçr ¹neue Gemeinschaftsverkehreª. Einzel- lungsentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen, beispiele sowohl fçr Anruf- als auch fçr Bçrgerbusse in: DISP, 160 (2005) 1, S. 83±93. machen positive Schlagzeilen. Doch liegen die Hçrden 28 Vgl. Deutsche Bank Research, Demografische Ent- fçr die Realisierung und fçr die Finanzierung im Re- wicklung verschont æffentliche Infrastruktur nicht. gelbetrieb hoch. Dafçr mçssen elastische Angebote in Aktuelle Themen, Nr. 294 (2004), Autor: Tobias Just. das rechtliche Korsett des PBefG gepresst werden; vgl. 29 Vgl. InnoZ (Anm. 3), S 2. APuZ 29 ± 30/2007 13
Sie können auch lesen