Dossier: Wiederaufbau in Ruanda - dreizehn Jahre nach dem Genozid
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Dossier: Wiederaufbau in Ruanda – dreizehn Jahre nach dem Genozid © Detlef Pietz Akrobaten für den Frieden beim Festival im Jugendzentrum Kimisagara, Kigali D er Genozid 1994 in Ruanda bleibt auch heute im Zentrum der Bilder und Informationen über dieses kleine zentralafrikanische Land. Einerseits verzeichnet Ruanda einen eindrucksvollen und raschen Wiederaufbau sowie hohe wirtschaftliche Wachstumsraten. Andererseits ist der Prozess der Wahrheitsfindung und Versöhnung noch längst nicht beendet und das Ziel einer demokratischen und langfristig stabilen politischen Ordnung erreicht. Ruanda darf nicht im Abseits stehen. Redaktion e1ns I 5-2007
II © H. Schürings Boomendes Kigali Editorial Als dem Völkermord in Ruanda rund eine Million schritte im Wiederaufbau des Landes. Eine zentrale Menschen zum Opfer fielen – etwa jeder achte Bür- Frage ist, wie politisch stabil Ruanda geworden ist. Co- ger –, hat die Weltöffentlichkeit weggesehen. lette Braeckman erkennt eine Wendung von einer Schlimmer noch: Zu Beginn des Mordens verrin- interventionistischen Politik Ruandas in der Demo- gerten die Vereinten Nationen ihre Friedenstruppe, kratischen Republik Kongo zu einer heute vorbild- Impressum die eine politische Übergangslösung absichern soll- lichen regionalen Integration. André Guichaoua hin- te, anstatt sie zu verstärken. Für die internationalegegen diagnostiziert, ähnlich wie beim vorherigen Re- Dieses Dossier erscheint zusam- men mit der Ausgabe 5-2007 von Gemeinschaft ist der Genozid nicht nur ein weite- gime, starke Tendenzen zu einer autokratischen Herr- eins Entwicklungspolitik. Koopera- rer Fall der Unfähigkeit, solches Massenmorden zu schaft. Bei den Menschenrechten sieht Sebastian tionspartner ist die Bundeszentrale verhindern. Sie trägt ein hohes Maß an Mitverant- Günther einen steilen Abwärtstrend. Die junge Gene- für Politische Bildung, Bonn. wortung. Davon sind besonders die Beiträge von ration ist jedoch voller Hoffnung, mit Unterstützung Herausgeber: Uschi Eid und Harald Ganns geprägt. internationaler Geber gibt es überall Aktivitäten zur Verein zur Förderung der entwick- Friedensförderung: Festivals, Friedenskarawanen, Er- lungspolitischen Publizistik e.V. Den Ursachen der Katastrophe versucht dieses Dos- ziehung zum Respekt der Menschenrechte und Grup- Redaktion: Konrad Melchers (Chefredakteur), sier allerdings nicht in erster Linie nachzugehen, pen, die sich für Versöhnung engagieren. Charlotte Schmitz, Klaus Seitz sondern der Frage, ob und wie weit der Wiederauf- Anschrift: bau des Landes und vor allem der Versöhnungs- Einig dürften sich alle sein: Es darf nie wieder ein Postfach 50 05 50, prozess geglückt sind, oder wenigstens Versöhnung 1994 geben und Ruanda darf nicht wieder im Stich D-60394 Frankfurt/Main, eine Chance hat. Schon allein diese Frage zu beant- gelassen werden. Tel. 069/58098-138. worten, ist fast unmöglich. Denn allgemein aner- Hildegard Schürings hat das kannte Sachverständige dafür gibt es nicht. Die Po- Dossier redaktionell betreut. litik Ruandas ist so polarisiert, dass auch nichtru- Übersetzung der Beiträge von andische Experten davon betroffen sind und oft Braeckman, Guichaoua, Mujawayo, Ngarambe aus dem Französischen: dem einen oder anderen Lager zugeordnet werden. Hildegard Schürings Claudia Helfer und Hildegard Schürings. Entgegen dieser Polarisierung der ruandischen Poli- Gestaltung: tik versucht dieses Dossier, unterschiedliche Sicht- Silke Jarick, Angelika Fritsch. weisen zu Wort kommen zu lassen. Der ruandische Botschafter Eugène-Richard Gasana zeigt große Fort- Konrad Melchers 5-2007 I e1ns
III Ruandas erfolgreicher Eugène-Richard Gasana Wiederaufbau Sicherheit, starke Regierung, internationale Anerkennung Eine positive Bilanz des Wiederaufbaus zieht der ner Flut von Fällen gegenüber, deren Bearbeitung ruandische Botschafter in Berlin nach dem Geno- auf normalem Wege nicht zu bewältigen war. So zid von 1994 in Ruanda. Redaktion werden lediglich Hauptschuldige und Planer des Genozids vor dem UN- Kriegsverbrechertribunal D ie meisten Menschen verbinden mit Ruan- für Ruanda mit Sitz in Arusha, Tansania, angeklagt. da den Völkermord im Jahre 1994. Innerhalb Für die unzähligen übrigen Fälle wurden die so ge- von 100 Tagen kamen über 1 Million Men- nannten Gacaca-Gerichte eingerichtet. schen ums Leben. Damit ging dieser Genozid in die Geschichte ein als der brutalste und der schnellste al- Die Gacaca-Justiz hat in der Rechtstradition Ruandas ler Zeiten. Die RPF (Ruandische Patriotische Front) hat- einen festen Platz und ist benannt nach dem Ort der te damals den Genozid beendet und bildete danach Verhandlung: dem Rasen. Der Streitschlichter ist je- die Regierung der Nationalen Einheit in Koalition mit mand, der von der Gemeinschaft dazu berufen wur- anderen politischen Parteien, um die Grundlage für de. Ein Rechtsbruch wird genau wie bei einem an- eine neue Zukunft für Ruanda zu schaffen. Es galt ein deren Gericht bestraft und/oder wieder gutgemacht. Land aufzubauen, in dem Frieden, Freiheit und Ge- rechtigkeit herrschen. Wir haben deshalb neue Wege Dank der Gacaca-Justiz und der Versöhnungskom- der Versöhnung, der Demokratisierung und Dezen- mission sind wir dabei, als Volk wieder zusam- tralisierung eingeschlagen, wobei die aktive Beteili- menzuwachsen. Aber auch in vielen anderen Be- gung der Bevölkerung im Mittelpunkt steht. reichen fassen wir wieder Fuß. Versöhnungskommission Positive Bilanz Das Parlament hat die Kommission für Einheit und Besonders in den letzten vier, fünf Jahren haben Nationale Versöhnung eingerichtet. Die Aufgaben wir viel erreicht: der Kommission bestehen darin, Debatten auf natio- naler Ebene zu leiten, deren Ziel die Förderung des • Die G8-Finanzminister haben im Jahre 2005 für Friedens im Herzen des ruandischen Volkes und die Ruanda einen 100-prozentigen Schuldenerlass in Förderung der Einheit und Versöhnung ist. Außer- Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar vereinbart. Vor- dem sollen alle Ruander über die Menschenrechte aussetzung dafür waren eine gute Regierungs- und deren Achtung aufgeklärt werden. Die ruandi- führung, Wirtschaftsreformen und die Achtung schen Gemeinschaften bilden die Basis der Kommis- der Menschenrechte. Da Ruanda all diese Voraus- sion, alle Schichten der Bevölkerung nehmen bei der setzungen erfüllt, ist der Schuldenerlass sofort in Alle Schichten der Suche nach Möglichkeiten für die Einheit und Ver- Kraft getreten. Das bedeutet nun rund 48 Millio- söhnung teil. Die Kommission dient somit als Forum, nen Dollar pro Jahr, die Ruanda in den nächsten Bevölkerung nehmen in dem die Ruander über die Ursachen ihrer Spaltung zehn bis 20 Jahren nicht mehr für die Schulden bei der Suche nach und Zerrissenheit und über Möglichkeiten zur Festi- abzahlen muss. Dieses Geld wird für unser Pro- Wegen und Möglich- gung der dauerhaften Einheit und Versöhnung des gramm zur Reduzierung der Armut eingesetzt, be- ruandischen Volkes diskutieren können. sonders für die Bereiche Bildung und Gesundheit. keiten für die Einheit und Versöhnung teil. Die Bilanz der Arbeit der Einheits- und Versöhnungs- • Die ärztliche Versorgung wird zusehends verbes- kommission ist positiv, auch wenn das Problem noch sert. Im Gesundheitswesen wurden große An- lange nicht endgültig geregelt ist. Der Versöhnungs- strengungen unternommen, um die Qualität des prozess wird lang und leidvoll, aber für uns Ruander Gesundheitsdienstes zu verbessern. ist er keine Option sondern eine Pflicht. Wir wissen, dass wir Opfer bringen müssen, damit es die nach- • Wir haben das erste Fiberoptikkabel in Ruanda folgenden Generationen einmal besser haben. verlegt und mit dem Luftverkehrs-Sicherheits- projekt angefangen – dem Kalisimbi-Projekt. Gacaca-Justiz • Die Einschulungsquote bei den Erstklässlern ist als Neben der Nationalen Kommission gibt es in Ru- Ergebnis der neuen Politik gebührenfreier anda die so genannte Gacaca-Justiz. Sie kam Ende Grundschulerziehung auf einem Rekordstand. Es der 90er Jahre erstmals in die Diskussion. Die nach gibt neue Klassenräume, qualifizierte Lehrer und dem Genozid stark geschwächte Justiz sah sich ei- mehr Schulmaterial sind zur Verfügung gestellt. e1ns I 5-2007
IV Dossier Ruanda • Dank großer Anstrengungen in der Privatisierung sein und Handel fördern. Investitionen müssen vor und Liberalisierung der Märkte in Ruanda ist die allem in infrastrukturellen Projekten getätigt werden Wirtschaft seit 2000 stark gewachsen (2000: wie zum Beispiel im Bereich der Energieerzeugung, sechs Prozent; 2001: sieben Prozent, 2003: 1-3,5 Pro- im Straßenbau, in der Informations- und Kommuni- zent, 2004: vier Prozent, 2005: 5,5 Prozent). kationstechnologie, in der Wasserversorgung. Diese Fortschritte müssen weiterausgebaut werden. Im Bereich der Bildung darf sich Hilfe nicht nur auf die Was wir brauchen, sind Investitionen in unsere Ent- Finanzierung der primären und sekundären Schuler- wicklung, um unsere VISION 2020 zu realisieren. Das ziehung richten. Ebenfalls wichtig sind unsere weiter- Ziel ist, dass Ruanda im Jahre 2020 ein Land mit mitt- führenden Schulen sowie die Berufsausbildung und lerem Einkommen wird. Wir reden dabei von einem damit die Unterstützung der Bildung auf breiter Front. Bruttosozialprodukt pro Kopf zwischen 785 und 965 US-Dollar pro Jahr. Aufschwung Ruanda ist mittlerweile ein sicheres Land mit einer starken Regierung. Auch wirtschaftlich gesehen hat Ruanda in Zahlen sich Ruanda gut platziert, der Absatzmarkt ist fast einmalig. Mit den Nachbarländern eröffnet sich ein Millionenpublikum. Fläche: 26.338 km2 Demokratische Republik Kongo, Uganda Einwohner:8,128.533 mio., Ländliche Bevölkerung: 85%, davon 95% von der Subsistenzwirtschaft lebend Das ermöglicht der größte Wirtschaftsverband Afri- 67% jünger als 25 Jahre kas: Comesa (Common Market for Eastern and Sou- Hauptstadt: Kigali, 7% des Bruttosozialprodukts: Industrie thern Africa), dem Länder mit einer Bevölkerung von ca. 600.000 Einwohner Hauptexportprodukte: Kaffee, Tee 374 Millionen Menschen als potenzielle Konsumen- Durchschnittseinkommen (2002): Alphabetisierungsrate: 64% ten angehören. Das Hauptziel der Comesa-Organisa- 220 US-Dollar Bildungsrate: ca. 2/3 Abschluss der Pri- tion ist die Gründung einer Freihandelszone mit Präsident: Paul Kagame marschule,davon 3,5 % nach 6 Jahren freiem Fluss von Kapital, Investitionen, Waren und Premierminister: Bernard Makuza Primarschule in Sekundarschule, an Dienstleistungen in einer Zollunion. hochschulische Einrichtungen: 0,4 %. Zwei-Kammerparlament: 80 Abgeord- Arbeitslosenrate der Ruanda hat sich in der internationalen Gemeinschaft nete: 48% Frauen, 26 Senatoren Primarschulabgänger:61% einen guten Namen gemacht: als aktiver Mitgestal- Verwaltung: 4 Provinzen plus die ter von NEPAD, der Neuen Partnerschaft für Afrikas Hauptstadt Kigali, 30 Distrikte, Unter- Hoher Anteil an ausländischen Beschäf- tigten in Klein- und Mittelbetrieben: Entwicklung. Dabei handelt es sich um ein Entwick- teilung in Sektoren und Zellen 80%, in Hotel und Restaurant: 50%, in lungsprogramm, das 2001 von den afrikanischen Amtsprachen: Kinyarwanda, Franzö- Bildungsinstitutionen: 30-40% Staats- und Regierungschefs beschlossen wurde. NE- sisch, Englisch Zusammengestellt von H.Schürings PAD ist heute das wichtigste Reformprogramm der Nachbarländer: Tansania, Burundi, im Juli 2002 gegründeten Afrikanischen Union (AU), es soll Afrika politisch und wirtschaftlich voranbrin- gen. Ein wichtiger Bestandteil des Programms ist der African Peer Review Mechanism (APRM), ein Verfah- ren, mit dem die Fortschritte regelmäßig überprüft Budgethilfe werden. Dabei beurteilen die an NEPAD beteiligten Wir realisieren unsere Vision nur, wenn wir um- Länder sich gegenseitig, um Erfolge, Schwachstellen denken. Auch die Geberländer müssen umdenken. und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Entwicklungshilfe darf nicht weiter eingesetzt wer- den wie in den letzten 40, 50 Jahren. Gelder, die ins Die ersten Staaten, die sich 2003 bereit erklärt haben, Land reinkommen, müssen eingesetzt werden als den anderen afrikanischen Ländern Einblick zu ge- direkte Budgethilfe, ergebnisorientiert. Die Gelder ben und sich beurteilen zu lassen, waren Kenia, Gha- sollten gezielt für die ruandische Regierungs- und na, Mauritius und Ruanda. Entwicklungsstrategie verwendet werden, die 2006 verabschiedet wurde. Dort sind Strategien und Vor- Weiterhin muss betont werden, dass Ruanda stets be- schläge für eine effektive und effiziente Entwick- reit ist,einen Beitrag zu Frieden und Stabilität auf dem lungshilfe aufgeführt. In ihr wird deutlich, dass die ganzen Kontinent zu leisten. Insbesondere in Darfur. ruandische Regierung eine zweckgebundene Bud- Dort hat Ruanda unter der Schirmherrschaft der Afri- gethilfe bevorzugt bzw. eine Sektoren-Budgethilfe kanischen Union einige Truppen, die hervorragende im Bereich Bildung und Gesundheit. Wenn das Friedensarbeit leisten. Auch die NATO ist beeindruckt Land selbst entscheiden kann, wie es das Geld am von dem Einsatz ruandischer Truppen in Darfur und Eugène-Richard Gasana ist seit 2004 Botschafter Ruandas in effektivsten einsetzt, wird Entwicklungshilfe sehr wünscht sich dort eine stärkere Zusammenarbeit. Deutschland und zuständig für erfolgreich sein. Natürlich muss transparent sein, Österreich, Bulgarien, Russland, Ungarn, wohin die Gelder gehen, und was damit geschieht. Ruanda ist auf einem guten Weg: Die Demokratisie- Polen, Rumänien und die Tschechische rung schreitet mit großen Schritten voran, aber sie ist Republik. Er studierte Wirtschaft und Ein guter Weg, Ruanda sowie die anderen Entwick- ein Prozess und kein Ereignis, das sich von heute auf internationale Beziehungen und war bis 2002 Gesandter Ruandas bei der UNO in lungsländer aus der Armut zu führen, sind vor allem morgen vollzieht. So haben wir in den letzten 13 Jahren Genf sowie weiteren internationalen Handel und ausländische Direktinvestitionen. Hilfe, viel erreicht, aber es gibt noch jede Menge zu tun. Wir Organisationen, darunter auch der WTO. wenn sie gut sein will, muss wachstumsorientiert sind zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen. 5-2007 I e1ns
Dossier Ruanda V Dem Leben neuen Sinn geben Esther Mujawayo AVEGA – der Clan der Witwen D irekt nach dem Völkermord dachte jede Überlebende, dass sie die einzige ist, die Ein Sprichwort in Kinyarwanda sagt: „Ntabapfira gushira“, was bedeutet, man rot- überlebt hat. Und dann, welch ein Wunder, tet kein Volk aus. Ja, selbst bei den schlimmsten Völkermorden gibt es Überleben- triffst Du eine Freundin, die auch überlebt hat. Und de. Es gibt Witwen und Waisen. Wer sind sie? Wo und wie leben sie? Dieser Beitrag Ihr beginnt zu sprechen und endlos zu reden. Jede beschreibt die Herausforderungen einer Witwenorganisation des Völkermordes an wähnte ihre Geschichte als die schlimmste, doch den Tutsi, die sich nach dem Genozid zusammengefunden haben, um nach dem dann entdeckst Du, dass es noch schlimmere Schick- Grauen nicht wahnsinnig zu werden, um LEBEN zu können und wieder einer Fami- sale gibt. Wir haben alle ein schreckliches Gefühl der lie anzugehören: dem Clan der Witwen. Leere. Ehemann, Kinder, Eltern, Brüder und Schwes- tern, Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten leben nicht mehr. Du stehst plötzlich wie ein Baum da, der gemordet haben. Es sind unsere Nachbarn, Bauern, keine Äste mehr hat. Die erste Reaktion ist nicht: Oh Lehrer, Ärzte, Männer, Frauen und Kinder. Es ist äu- welch ein Glück, dass wir überlebt haben, sondern ßerst schwierig, irgendjemandem trauen zu kön- vielmehr, wir sind dazu verdammt zu leben, ohne sie nen. Auf den Hügeln Ruandas regiert das totale zu leben, trotz allem zu leben. Aber wer bin ich jetzt?Misstrauen. Es muss Gerechtigkeit geschaffen Wer ist da, um mir zuzuhören, mich zu unterstützen, werden. Ohne Gerech- mich zu trösten? Niemand! Oder doch, da ist Deine tigkeit gibt es kein Ver- © Detlef Pietz Freundin, die auch Witwe ist. Sie kann Dich trösten. gessen, keine Trauer Sie kann Dir zuhören und Du hörst ihr zu. So ent- und keine Vergebung. stand der Witwenverband AVEGA. Seit 1959, seit dem Be- ginn der zyklischen Aber wir haben nicht nur Tränen zu trocknen. Mit Massaker sind die Mör- der Ermordung unserer Familien wurden auch un- der immer unbestraft sere Häuser zerstört. Alles wurde geplündert. Die Kü- geblieben. he wurden geschlachtet und aufgegessen. Du bist wirtschaftlich völlig mittellos. Du hast keinen Ort, Trotz der schier unlösba- kein Zimmer, keine Tür, die Du schließen kannst, kein ren Probleme ist AVEGA Bett zum Ausstrecken und Beweinen Deines Elends. aktiv geworden. Wir be- Das ist die große Herausforderung, die AVEGA in An- ginnen mit dem Wich- griff nimmt, alles wieder aufbauen, fast aus dem tigsten: Dazu gehören, Nichts heraus. noch jemand zu sein, dem Leben einen neuen Die meisten Überlebenden sind entkommen, weil ih- Sinn geben. Wir besu- Strafgefangene nehmen an einem re Peiniger sie als Totgeglaubte inmitten der Leichen chen viele, wir treffen uns mit Witwen im ganzen Musikwettbewerb der Menschen- zurückgelassen haben. Sie haben schreckliche Land. Und die größte Herausforderung ist schließ- rechtskommission teil. Schnittwunden am Hals, am Kopf, an den Gliedern lich, uns zu sagen, wir leben, leben und nicht nur etc. Nach und nach entdecken wir eine andere Tra- überleben. Heute hat AVEGA mehr als 35.000 Mit- gödie: Dass mehr Frauen als Männer überlebt haben, glieder im ganzen Land. Wir sind eine große Fami- liegt daran, dass man sie am Leben erhielt, um sie als lie geworden. Wir stützen uns in Freud und Leid. Ge- sexuelle Sklavinnen zu benutzen. Drei Monate lang meinsam sind wir stark. AVEGA ist zu einer bedeu- wurden mehr als 80 Prozent der überlebenden Frau- tenden Organisation für Frauenfragen geworden. en täglich von Tötungskommandos vergewaltigt. Wir haben erreicht, dass wir als Witwen etwas wert Und dann stellen sie fest, dass sie HIV-positiv sind. sind. Das hat einen größeren Einfluss als wir glaub- Wir sind wütend. Wir sagen uns: Warum haben wir ten und hat dazu beigetragen, die Rolle und das Bild den Genozid überlebt, wenn wir später an Aids ster- der Frau in Ruanda zu verändern. Mittlerweile gibt ben? Doch nicht nur die physische auch die psychi- es überall, in der Politik wie auch in der Wirtschaft, Esther Mujawayo sche Gesundheit ist wichtig. Die Überlebenden ha- Frauen. Das Familiengesetz wurde geändert. Frau- ist Soziologin, Traumatherapeutin und ben etwas erlitten, gesehen, gefühlt und gehört, was en haben nun das gleiche Recht wie ihre Brüder am Mitbegründerin der Witwenorganisation. jegliche menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Erbe. www.avega-ruanda.de.vu; Zudem, die letzten Bilder, die wir von unserer Fami- www.avega.org.rw lie haben, sind schrecklich. Wir haben sie nicht beer- Mit dieser neuen Kraft, wieder dazuzugehören und digen können. Der Wahnsinn lauert uns auf. Dieses Recht auf Leben zu haben, haben wir mehrere Pro- Veröffentlichungen Gefühl muss aus unserem Bauch und unseren Köp- gramme ins Leben gerufen: Das psychosoziale Pro- Esther Mujawayo, Auf der Suche nach fen raus. Maßnahmen, um innerlich heilen zu kön- gramm für die mentale und körperliche Gesundheit Stéphanie. Peter Hammer-Verlag, Wuppertal 2007, 240 Seiten nen, sind dringend notwendig. derer, denen es am schlechtesten geht, das Ent- Esther Mujawayo, Souad Belhaddad, Ein wicklungsprogramm sowie das Justiz- und Advoca- Leben mehr. Zehn Jahre nach dem Völ- Doch die soziale Umgebung ist kaum hilfreich. Die cyprogramm, das in Ruanda und international über kermord in Ruanda. Peter Hammer-Ver- Mörder sind unter uns. Wir kennen diejenigen, die die Folgen des Genozids informiert. lag, Wuppertal 2005, 337 Seiten e1ns I 5-2007
VI Dossier Ruanda Uschi Eid Unfassbares Versagen Die Rolle der internationalen Gemeinschaft beim Völkermord © Detlef Pietz Die internationale Gemeinschaft trägt eine schwere Mitverant- wortung an dem Völkermord in Ruanda, dem von April bis Juli 1994 zwischen 800.000 und einer Million Tutsi zum Opfer fielen. Während täglich zehntau- sende Menschen starben, haben internationale Akteure nicht nur weggeschaut und die Massen- morde verharmlost, sondern sich aus dem Land zurückgezogen und die Opfer wehrlos ihren Pei- nigern und Mördern überlassen. Gedenktafeln des Völkermords, der für die internationale B Gemeinschaft keiner sein durfte. ereits 1993 waren Umfang und Mandat der ten die UN ihre Präsenz drastisch von 2500 auf 270 UN-Mission UNAMIR völlig unzureichend, Mann, nachdem der große Truppensteller Belgien am um das von der internationalen Geberge- 12. April nach der Ermordung von zehn seiner Solda- meinschaft im August 1993 erwirkte Machttei- ten in Kigali entschieden hatte, sich aus UNAMIR zu- lungsabkommen von Arusha zwischen der Regie- rückzuziehen. Einzig zur schnellen Evakuierung der rung und der Exil-Rebellenarmee „Ruandische Pa- Ausländer, nicht aber zum Schutz der gefährdeten ru- triotische Front“ (RPF) abzusichern. Während die Si- andischen Zivilbevölkerung, legten die UN das UN- tuation immer explosiver wurde, die Regierung auf- AMIR-Mandat großzügig aus. Westliche Staaten bo- rüstete, Milizen ausbildete und Hasspropaganda ver- ten bereits drei Tage nach dem Flugzeugabschuss breitete, unterrichtete Missionsleiter Dallaire das hunderte Soldaten dafür auf. Frankreich brachte sei- UN-Hauptquartier in seinem berühmten Telegramm ne Verbundenheit mit dem Habyarimana-Regime da- vom 15. Januar 1994 über geheime Waffenlager so- durch zum Ausdruck, dass es blitzartig einige Wür- wie die Registrierung aller Tutsi, mit der der Völker- denträger außer Landes brachte. mord vorbereitet wurde. Doch der damalige Leiter der UN-Abteilung für Friedensmission, Kofi Annan, Völkermord, der keiner sein durfte untersagte jedes Eingreifen. Zum Auslöser für das staatlich organisierte, systematische Abschlachten Wochenlang bezeichnete die internationale Presse der Tutsi und „gemäßigter“ Hutu, wurde der Flug- den Völkermord verharmlosend als „interethnische zeugabschuss am 6. April 1994 durch unbekannte At- Massaker“ oder gar „Stammeskämpfe“. Dass dies nicht tentäter, bei dem neben dem burundischen Präsi- der Wahrheit entsprach, war den unter dem Eindruck denten Ntaryamira auch der ruandische Präsident des Somalia-Debakels stehenden USA, sowie Frank- Dr. Uschi Eid, Habyarimana ums Leben kam. reich und Großbritannien bekannt, doch sie drückten MdB, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, war von sich darum, den Völkermord als solchen zu bezeich- 1998-2005 Parlamentarische Anstatt den Massakern energisch entgegenzutreten, nen, um entsprechend der UN-Völkermordkonvention Staatssekretärin im Bundes- traf der UN-Sicherheitsrat eine Entscheidung, die den von 1948 nicht zum Eingreifen verpflichtet zu sein. Erst ministerium für wirtschaftliche Schutz der Tutsi durch die Blauhelme unmöglich nach wochenlangen Massakern entschied der Sicher- Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie machte, ja mehr noch von den Hutu-Extremisten als heitsrat am 17. Mai, UNAMIR auf 5500 Soldaten auf- G8-Beauftragte des „grünes Licht“ für ihr völkermörderisches Treiben zustocken und mit mehr Kompetenzen auszustatten. Bundeskanzlers. interpretiert werden konnte: Am 21. April verringer- Doch die ersten Blauhelme trafen mit zweimonatiger 5-2007 I e1ns
Dossier Ruanda VII Verzögerung ein, als die RPF bereits gesiegt und den Untersuchungsberichte Völkermord beendet hatte. Diese Fehlleistung und ab- surde administrative Hürden bei der Entsendung der Es steht außer Frage, dass die Weltgemeinschaft Mission waren eine zweite moralische Bankrotter- den Genozid hätte verhindern können – hätte sie klärung der Weltgemeinschaft. den notwendigen Willen dazu aufgebracht. Inter- nationale und nationale Kommissionen haben Einzig zur schnellen Anstatt zu einem beschleunigten Eingreifen von dieses Versagen untersucht und dabei unter- UNAMIR beizutragen, legte Frankreich mit der schiedliche Aspekte beleuchtet. Während der UN- Evakuierung der Auslän- „Operation Türkis“ im Juni eine eigene, 2800 Sol- Bericht der Carlsson-Kommission von 1999 ein be- der, nicht aber zum daten starke Mission auf. Deren Hauptaufgabe war sonderes Augenmerk auf die Rolle der UN legte Schutz der gefährdeten es, in Südwestruanda eine „humanitäre Schutzzo- und Kofi Annan eine schwere Verantwortung zu- ne“ einzurichten, durch die dann auch Verantwort- wies, indem er ihn beschuldigte, den Sicherheits- ruandischen Zivilbevölke- liche des Völkermords, Regierungsmitglieder, Ar- rat nicht angemessen informiert zu haben, hebt rung, legten die UN das meeangehörige und Milizionäre vor der heranrü- der Masire-Bericht der OAU aus dem Jahr 2000 ckenden RPF in den Ostkongo fliehen konnten. Vie- stärker die Verantwortung der katholischen und UNAMIR-Mandat groß- le Pressebilder dieser Operation erweckten fälsch- anglikanischen Kirche sowie einzelner Staaten zügig aus. licherweise den Eindruck, für die Katastrophe sei hervor. So habe Frankreich seinen Einfluss und die die RPF verantwortlich. In den ostkongolesischen engen Verbindungen zum Regime nicht genutzt, Flüchtlingslagern versagte die Weltgemeinschaft um den Völkermord zu verhindern, und die USA ein drittes Mal. Hier wurde versäumt, die Täter zu haben innerhalb des Sicherheitsrats ein energi- entwaffnen, die dadurch – unter den Augen der sches Vorgehen blockiert. Doch auch afrikanische Hilfsorganisationen – neue Angriffe auf das trau- Staaten hätten sich angesichts des Völkermords matisierte Land organisieren konnten. Wieder blie- auf ihrem Kontinent stärker engagieren müssen. ben Appelle – auch der neuen ruandischen Regie- Leider herrschte innerhalb der OAU damals noch rung – zu einem internationalen Eingreifen und zur das Prinzip der Nichteinmischung, das die Nach- Sicherung der ruandischen Grenze vor dem ständi- folgeorganisation Afrikanische Union abschaffte. gen Eindringen der vom Nachbarland aus operie- renden Ex-Regierungssoldaten und Interahamwe- © Detlef Pietz Milizen unbeantwortet, so dass Ruanda 1996 schließlich zur Selbsthilfe griff und im Ostkongo einmarschierte. Formal gesehen stellte dies ein völ- kerrechtswidriges Vorgehen dar, das jedoch auf Grund des unmittelbar zurückliegenden Traumas für viele verständlich war. Wende in der Entwicklungspolitik Das offensichtliche Versagen der Weltgemeinschaft während des Völkermords an den Tutsi, aber auch beim blutigen Zerfall Jugoslawiens, führte zu einer Wende in der Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Reformen wurden angestoßen, etwa die Einrichtung von Frühwarnmechanismen oder konfliktpräventi- ver Instrumentarien. Wichtige Marksteine wurden die vom Brahimi-Bericht aus dem Jahr 2000 ausge- hende Weiterentwicklung des Verständnisses von Friedensmissionen und ihrer institutionellen Archi- tektur sowie der Fünf-Punkte Aktionsplan, den der UN-Generalsekretär auf dem Stockholmer Forum zur Genozidprävention im Januar 2004 vorstellte. Präsidentschaftswahlen 2003, Schließlich bekannte sich die Staatengemeinschaft Stattdessen verabschiedete sie eine neue, völker- Paul Kagame wird mit großer im Abschlussdokument des UN-Weltgipfels vom rechtswirksame Friedens- und Sicherheitsarchi- Mehrheit gewählt. September 2005 zu ihrer Pflicht, Menschen vor Völ- tektur, dank derer Militärinterventionen ange- kermord zu schützen. Auch die Entwicklungskoope- sichts eines Genozid heute zulässig sind. ration stand vor neuen Herausforderungen und sah sich auf Grund der langen und intensiven Unter- Afrikanische Staaten versuchten im Sicherheitsrat stützung des Habyarimana-Regimes mit kritischen damals, ein entschlossenes Eingreifen zu fördern. Fragen konfrontiert, die ihre gängige Selbstsicht als Die Friedensmissionen UNAMIR und „Operation unpolitisch-technischer Akteur erschütterten. Als Türkis“ unterstützten 18, beziehungsweise sieben Folge davon wandte man sich verstärkt politische- afrikanische Staaten, indem sie Soldaten und zivi- ren Themen wie „guter Regierungsführung“ oder les Personal zur Verfügung stellten. Bemerkenswert „Menschenrechten“ zu. Auch etablierten sich in der ist, dass sich der südafrikanische Präsident Mbeki zweiten Hälfte der 90er Jahre Konfliktprävention bei seinem Besuch in Kigali anlässlich des zehnten und Postkonfliktarbeit als neue spezialisierte Hand- Jahrestags des Völkermords bei den Ruandern für lungsfelder und Querschnittsaufgaben. das Nichteingreifen seines Landes entschuldigte, es e1ns I 5-2007
VIII Dossier Ruanda aber damit erklärte, dass sich Südafrika 1994 im und bleiben sehr allgemein gehalten. Die Tatsa- Übergang vom Apartheidregime zur Demokratie chen, dass bereits 1995 der Internationale Strafge- befand, der seiner außenpolitischen Handlungs- richtshof für Ruanda eingerichtet wurde, dass Ru- fähigkeit enge Grenzen setzte. anda nach dem Genozid starke entwicklungspoli- tische Unterstützung erhielt, oder dass der 6. April, Trotz zahlreicher Untersuchungen bleibt das an dem 1994 der Völkermord begann, 2003 zum schwere Versagen der Weltgemeinschaft beim ru- internationalen Gedenktag ausgerufen wurde, andischen Völkermord letztlich unfassbar. Auch können nicht darüber hinwegtäuschen, das die Entschuldigungen internationaler Akteure wie die Weltgemeinschaft ihr Versagen immer noch nicht Kofi Annans im Namen der Vereinten Nationen, ausreichend aufgearbeitet hat. der USA oder Belgiens erklären letztlich wenig Gelebtes Millenniumsziel: 25 Jahre Graswurzelpartnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda © H. Schürings von Hanne Hall 2007 feiert die Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und der Re- publik Ruanda ihr 25-jähriges Jubiläum. Sie gilt national und inter- national als Erfolgsmodell der Entwicklungszusammenarbeit. Grund- gedanke war von Anfang an eine Graswurzelpartnerschaft, die de- zentral und bürgernah organisiert ist. Mit diesem Ansatz konnte das Land Rheinland-Pfalz gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern bis heute nahezu 1400 Projekte in Ruanda verwirklichen und wichtige Bildungsarbeit leisten. Die Konzeption der Partnerschaft beruht darauf, dass sie von Kom- munen und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aktiv getra- gen wird. Die beiden Regierungen bieten lediglich den Rahmen, um die Zusammenarbeit der Partner vor Ort zu ermöglichen. Die ruan- dischen Partner schlagen eigenverantwortlich vor, welche Projekte ihnen am dringlichsten und notwendigsten erscheinen, die rhein- Gesundheitszentrum Ruheru: land-pfälzischen Partner bemühen sich dann darum, die finanzielle Durch die Partnerschaft Rheinland-Pfalz und und materielle Unterstützung bereitzustellen. Die Partner legten von Ruanda wurden 1.400 Basisprojekte gefördert. Anfang an Wert darauf, dass eine Zusammenarbeit ‘auf Augenhöhe’ angestrebt wurde und keine einseitige Partnerschaft entsteht. Die- ser dezentrale und partizipative Ansatz der Entwicklungszusam- Projekte und kontrollieren den Einsatz der Mittel. So wird gewähr- menarbeit trägt bis heute wesentlich zur Stärkung der lokalen Struk- leistet, dass die Projektgelder, die von der rheinland-pfälzischen Be- turen in der ruandischen Zivilgesellschaft bei. Darüber hinaus lebt völkerung und der Landesregierung aufgebracht werden, bestim- die 25-jährige Partnerschaft das achte Milleniumentwicklungsziel mungsgemäß verwendet werden. der Vereinten Nationen vor, welches die Gründung internationaler Partnerschaften vorsieht. Es sind aber vor allem die vielen im Laufe der Jahre entstandenen persönlichen Kontakte und Freundschaften, die die Partnerschaft mit Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit liegen vor allem in den Berei- Leben erfüllen und ihren Erfolg ausmachen. Selbst über die schreck- chen Erziehungs- und Gesundheitswesen, Trinkwasser, Sozial-, Jugend-, lichen Ereignisse des Bürgerkriegs und Völkermords 1994 hinweg hat Frauenarbeit und Infrastruktur. Außerdem konnten Projekte in den Be- sich die Partnerschaft bewährt. Eine wichtige Säule der Beziehungen reichen Handwerks- und Gewerbeförderung, Landwirtschaft und sind die Partnerschaften zwischen rheinland-pfälzischen und ruan- Hochschulzusammenarbeit verwirklicht werden. Bis heute flossen fast dischen Kommunen. Heute unterhalten, neben zwölf Vereinen und 60 Millionen Euro in die nahezu 1400 Projekte, ein Fünftel der Geld- Stiftungen, 15 Pfarreien, 243 Schulen sowie vier Hochschulen und 50 mittel haben die Bürgerinnen und Bürger durch Spenden aufgebracht. Kommunen Beziehungen zu ihren ruandischen Partnern. Das uner- müdliche Engagement von Bürgerinnen und Bürger unterstützen sie Zur reibungslosen und effizienten Durchführung der vielen Partner- auf administrativer, infrastruktureller und politischer Ebene. schaftsprojekte wurde 1983 der Verein Partnerschaft Rheinland-Pfalz / Ruanda e.V. gegründet, der Aufgaben wahrnimmt, die das Ministe- Die Partnerschaft hat in den letzten 25 Jahren nicht nur die Lebens- rium alleine nicht bewältigen kann. Dazu gehören die Auszahlung bedingungen vieler Menschen in Ruanda nachhaltig verbessert und der finanziellen Hilfen in Ruanda, Begleitung der Projektplanung, vor Ort lokale Strukturen gestärkt. Auch entwicklungspolitische Bil- Überwachung der Projektdurchführung und Projektabrechnung vor dungsarbeit wurde geleistet, und viele Menschen konnten für die Si- Ort, der Transport von Hilfsgütern nach Ruanda sowie die Beantra- tuation in Ruanda sensibilisiert werden. Die Partnerschaft zwischen gung von Zuschüssen aus Landesmitteln. Die direkte Betreuung der Rheinland-Pfalz und Ruanda ist mittlerweile Teil der politischen Kul- Partnerschaftsprojekte in Ruanda erfolgt durch ein Koordinations- tur beider Länder geworden. büro in der Hauptstadt Kigali, das in der Trägerschaft des Vereins steht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Büros stehen in Kon- Hanne Hall ist die Leiterin des Referats Entwicklungszusammenarbeit mit dem Part- takt mit den ruandischen Partnern, sie betreuen den Fortgang der nerland Ruanda im Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz. 5-2007 I e1ns
Dossier Ruanda IX Deutsche Doppelstrategie Harald Ganns Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren nach 1994 J uli 1994. Ruanda scheint nach dem Völkermord schaft einer Minderheitsgruppe durch Unterdrü- erstarrt, die Hauptstadt Kigali wie ausgestorben. ckung und Überwachung? Wie lange wollte man In der schwierigen und kriti- Die neue Regierung richtet sich mühsam ein, in auf die Wahlen warten? Nahmen Menschenrechts- schen Phase nach dem Geno- leeren Gebäuden, in denen Plünderer kaum einen verletzungen zu oder ab? Was war los in den Ge- zid 1994 in Ruanda übernahm Tisch oder Stuhl zurückgelassen haben. Als einer der fängnissen, in der Justiz? Deutschland eine führende ersten ausländischen Abgesandten kam der deut- Rolle und verfolgte eine er- sche Botschafter aus Uganda, um die rasche Wieder- Die Kritik an der deutschen Unterstützungspolitik in folgreiche Unterstützungspo- aufnahme der Arbeit der deutschen Botschaft und Ruanda nach 1994 musste ernst genommen werden. litik mit intensivem deutsch- der deutschen Hilfsorganisationen vorzubereiten. Daher verfolgte die Bundesregierung eine Doppel- ruandischen Dialog. Knapp zwei Jahre später konstatiert der Afrika-Be- strategie: Sie gab umfangreiche Hilfe zum Wieder- auftragte der Bundesregierung: „Deutschland ist aufbau mit dem Ziel einer Stabilisierung der Lage, vor heute der wohl wichtigste Partner des neuen Ruan- allem um die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermög- da. Es ist der Geber mit dem umfangreichsten Ange- lichen, ohne die ein dauerhafter Friede in der gesam- bot an bilateraler Hilfe. Die Bundesregierung verfügt ten Region kaum möglich erschien. Zugleich führte in Kigali über erheblichen politischen Einfluss.“ die Bundesregierung eine ständige kritische Ausein- andersetzung mit der Regierung in Kigali in einem offenen und teilweise sehr harten Dialog. Nur so lässt Vorreiterrolle sich die für ein afrikanisches Land ungewöhnliche Was waren die Gründe dieses umfangreichen En- Dichte der politischen Kontakte in den Jahren 1994 gagements für ein kleines zentralafrikanisches bis 1996 erklären: Präsident, Vizepräsident, Minis- Land? Historische Überlegungen spielten eine Rol- terpräsident, mehrere Minister Ruandas führten po- le: Ruanda war eine Zeit lang Teil Deutsch-Ostafri- litische Gespräche in Deutschland, Außenminister Die deutsche Vorreiter- kas; und die Bundesrepublik hatte sich in ihrer Afri- Kinkel besuchte im Juli 1995 Ruanda, ich selbst habe ka-Politik zu einer besonderen Verantwortung, ei- als Afrika-Beauftragter in dieser Zeit Ruanda zehn- rolle bei der Unter- ner Art verspäteter Wiedergutmachung gegenüber mal besucht, 15 Begegnungen mit dem Präsidenten, stützung der neuen ihren früheren Schutzgebieten bekannt. Die Ge- ein Dutzend mit dem Vizepräsidenten, weitere mit ruandischen Regierung schichte seit der Unabhängigkeit Ruandas 1962 war vielen Ministern gehabt. daher von umfangreicher deutsch-ruandischer Zu- war nicht unumstritten. sammenarbeit geprägt. Gerade bei der einfachen Die Stimme der Bundes- Energisches Zupacken Bevölkerung war dadurch ein hohes Maß an Ver- trauen entstanden, das sich über den Regierungs- Die Stimme der Bundesrepublik fand in Kigali Ge- republik fand in Kigali wechsel von 1994 hinaus als tragfähig erwies. hör wie keine andere. Es gibt eindrucksvolle Bele- Gehör wie keine andere. ge dafür, dass der intensive deutsch-ruandische Wohl ausschlaggebend für die Entwicklung be- Dialog konkrete Erfolge brachte. Zwei Beispiele: sonders enger Beziehungen war aber ein ge- Dass Ruanda im Juni 1995 der Verlängerung des schichtlicher Zufall: Deutschland hatte in der Zeit Mandats der UNAMIR-Mission zustimmt, wurde der neuen Weichenstellungen die Präsidentschaft in Direktgesprächen zwischen der deutschen und in der EU inne und fand sich damit in einer Füh- der ruandischen Regierung erreicht; und 1996 sagt rungsrolle. Diese Rolle nahm die deutsche Außen- Kigali zu, die noch nicht strafmündigen Kinder un- politik engagiert an und setzte in der EU gegen zum ter 14 Jahren, die wegen des Verdachts der Beteili- Teil erhebliche Widerstände einen „gemeinsamen gung am Völkermord inhaftiert waren, in ein Er- Standpunkt“ durch, der die Grundlage für die Neu- ziehungsheim zu verlegen. gestaltung der Beziehungen bildete. Bestätigt fühl- te sich die Bundesregierung durch die überwälti- Die deutsche Afrika-Politik hat sich nach 1994 für ener- gende Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung gisches Zupacken und gegen zauderndes Zuwarten bei der Linderung menschlicher Not und dem entschieden. Sie war sich der damit verbundenen Risi- Wiederaufbau des Landes sowie der breiten Zu- ken bewusst,aber auch der Tatsache,dass sich Ruanda stimmung bei allen Fraktionen des Deutschen nach einem schrecklichen Völkermord in einem trau- Bundestages, nachzulesen in der Ruanda-Ent- matischen Zustand befand. Trotz vieler zwischenzeit- schließung vom Juni 1995. licher Zweifel und Enttäuschungen bin ich heute noch überzeugt,dass die grundsätzlichen und richtungwei- senden Entscheidungen damals richtig waren, man Hilfe und kritischer Dialog Ruanda nach dem schrecklichen Versagen der inter- Die deutsche Vorreiterrolle bei der Unterstützung nationalen Gemeinschaft, die das Land in seiner der neuen ruandischen Regierung war nicht un- schwersten Stunde allein gelassen hatte, zu Recht ei- Harald Ganns war Botschafter in mehreren umstritten. Auf viele bohrende Fragen konnte es in nen Vertrauensvorschuss einräumte. Aus meiner afrikanischen Ländern und von den ersten Jahren der neuen Ära keine befriedi- Sicht hat es diesen Vorschuss häufig kräftig strapa- 1993 bis 1998 Afrikabeauftrag- genden Antworten geben. Drohte Ruanda die Herr- ziert, aber nie gänzlich verspielt. ter des Auswärtigen Amts. e1ns I 5-2007
X Dossier Ruanda André Guichaoua Von einem Totalitarismus zum nächsten Politische Transition auf ruandische Art © H. Schürings Ruandische Passion auf dem Land – dörfliche Szene mit Plakat von einem traditionellen Gacaca-Tribunal Vorgeschichte des Konflikts Dreizehn Jahre nach dem Genozid an der Tutsi-Bevölkerung bleibt dieses Ereignis im Zentrum der Bilder und Informationen, die man mit diesem kleinen zentral- 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, erklärte die afrikanischen Land verbindet. In Ruanda bestimmen die durch diese Tragödie aus- belgische Kolonialmacht ihre Bereitschaft, Ruanda in gelösten Traumata wie auch das Handeln aller Akteure und ausländischen Partner, die Unabhängigkeit zu entlassen, gekoppelt an den die „internationale Gemeinschaft“, beständig das Leben und Handeln der Bevöl- Aufbau demokratischer Institutionen. Die ersten kerung. 1994 hatte die internationale Gemeinschaft sich geweigert, die Massaker Wahlen fanden statt und ermöglichten den „entwi- zu beenden. ckelten“ Hutu den Groll weiter Bevölkerungsschich- ten gegen die politische Unterdrückung und die wirt- schaftliche Ausbeutung durch die Tutsi-Elite des Kö- nigreichs Ruanda zu artikulieren. Ihrer Partei „De- mokratisch republikanische Bewegung“ MDR-Par- mehutu ging es nicht nur darum, die politischen und D as heutige Paradoxon Ruandas besteht in wirtschaftlichen Privilegien der Tutsi abzuschaffen, einem Kontrast zwischen dem einerseits sondern das Land seinen legitimen Eigentümern, den schnellen Wiederaufbau sowie umfang- Bahutu, zurückzugeben. Dieses hochsensible Thema, reichen Investitionen, die das Bild der Hauptstadt das die Kolonialbehörden angeheizt hatten, erklärt Kigali und anderer Städte völlig verändert haben, die Gewalt, welche die „soziale Revolution“ von 1959 und andererseits einer besonders autoritären sozio- und den Unabhängigkeitsprozess 1962 begleitet hat. politischen Ordnung. Diese „ruandischen Passio- Während der ersten Jahre der Republik gab es wieder- nen“ sind kaum von der weitreichenden wirt- holt Versuche bewaffneter Tutsigruppen, aus den schaftlichen und politischen Transformation be- Nachbarländern die Macht zurückzuerobern. In der troffen, die die neuen regierenden Tutsi-Eliten ein- Folge begann landesweit eine Jagd auf Tutsi. Jeder geführt haben. Bevor dieses Paradoxon näher be- Angriff trug zur Verschlechterung des gesellschaft- leuchtet wird, ist ein Blick auf die Vorgeschichte des lichen Klimas bei und führte dazu, dass Tausende Konflikts angebracht. Tutsi ins Exil flüchteten. 5-2007 I e1ns
Dossier Ruanda XI Trotz etlicher Proteste führten die „soziale Revolu- sche Lage sehr schnell. Der drastische Einbruch der tion“ von 1959 sowie die Wahlen von Juni 1960 und Weltmarktpreise für Kaffee (mehr als drei Viertel der September 1961 zur Konsolidierung der Macht der Exporteinnahmen) und mehrere witterungsbeding- neuen Eliten. Die Mehrheit der Bevölkerung hielt die te Missernten führten zu einer Umdrehung der posi- dabei entstandene soziale Hierarchie für gerechter tiven Entwicklung. Verstärkt wurde dies durch den als zuvor. Während der folgenden drei Jahrzehnte er- Abbruch großer ländlicher Entwicklungsprojekte, die hielt die neue politische Ordnung durch verschiede- von internationalen Organisationen finanziert wur- ne Wahlen eine unbestreitbare Legitimität, obwohl den. Sie hatten bisher zum Geldeinkommen der bäu- das Regime mit politischer Willkür die neue ethni- erlichen Familien beigetragen. Und schließlich er- sche Vormachtstellung des „legitimen Mehrheits- zwang der Internationale Währungsfonds den Rück- volkes“ durchsetzte. Diese Ideologie erklärte die Tut- zug des Staates aus vielen Bereichen. Der auf die länd- si zu Bürgern zweiter Klasse. liche Bevölkerung zielende Populismus, der ideolo- gisch die Regierung mit „seiner“ Bauernschaft ver- band, war bis auf die Grundfesten erschüttert. Militärputsch und Einpartei-Staat Durch einen Staatsstreich übernahm am 5. Juli 1973 Als die mangelnde Sensibilität der Regierung gegen- Juvénal Habyarimana, Oberbefehlshaber der Armee, über den Problemen einer verarmten Bevölkerung Die Beziehungen die Macht. Dies führte zu einer Verlagerung des und die Privilegien sowie die Korruption aller wich- zwischen der bäuerlichen Machtzentrums zu Gunsten der Militärs aus dem tigen Regierungsmitglieder öffentlich wurden, kün- Norden des Landes, die die Armee kontrollierten. Der digte Habyarimana im Juli 1990 eine baldige politi- Bevölkerung und ihren neue Staatschef bemühte sich um eine breite natio- sche Öffnung an: die Revision der Verfassung und des zahlreichen Vormund- nale Legitimität. Verschiedene Maßnahmen sollten Manifests der MRND sowie die Erarbeitung einer na- dazu dienen, die ethnischen Ausgrenzungen zu über- tionalen Charta. Diesen Moment wählte die „Ruan- schaften waren immer winden. Dazu zählte die Einführung einer Quotenre- dische Patriotische Front“ (RPF), um eine militärische von Gewalt geprägt. gelung, die den ordnungsgemäß identifizierten Tut- Offensive zu beginnen, die das Land in einen lang- si eine bestimmte Anzahl von Plätzen und Posten ga- jährigen Bürgerkrieg stürzen sollte. Zu diesem Zeit- rantieren sollte. Dies wurde als Anerkennung von punkt wurde weniger die Politik der MRND kritisiert Minderheitenrechten und als endgültige Veranke- als die Korruption der Mitglieder des Präsidenten- rung der „Demokratie“ dargestellt, der objektive eth- clans und seines klientelistischen Netzwerks, die sich nische und regionale Kriterien von „Disparitäten“ zu die Staatspfründe angeeignet hatten. Grunde lagen. Ziel war es, die nationale Spaltung be- sonders durch die Entwicklung, der die Bevölkerung Der MRND fehlte jegliche Basis in der Bevölkerung. alle Energien widmen sollte, zu überwinden. Die „mo- Kein Politiker hatte es für nötig gehalten, die Bevöl- ralische Revolution“ von 1973 sollte die nun vereinte kerung auf lokaler Ebene zu mobilisieren, um als Kan- Bevölkerung, Bauern, Beamte und Regierung mobili- didat vorgeschlagen und gewählt zu werden, ebenso sieren. Besondere symbolische Bedeutung hatte die wenig schafften sie sich innerhalb der Partei eine Ba- Wiedereinführung der „Gemeinschaftsarbeiten“ sis, die sie persönlich unterstützen würde. Präsident (Umuganda), ehemals koloniale Zwangsarbeiten, die Habyarimana, der einzige Kandidat für die Präsi- die körperliche Arbeit bei den Städtern rehabilitieren dentschaft der Republik, erhielt bei jedem Wahlgang und auf dem Lande die Solidarität fördern sollte. mindestens 99 Prozent der Stimmen. Mit der Gründung der „Nationalrevolutionären Be- Eine weitere Besonderheit dieses totalitären Systems wegung für Entwicklung“ (MRND) am 5.7.1975 stat- war die Beziehung zwischen der Landbevölkerung tete sich Juvénal Habyarimana mit einem ihm nütz- und dem Staatsapparat, den Emporkömmlinge der lichen politischen Werkzeug aus. Die obligatorische ländlichen Bevölkerung bildeten. Für die einfachen und ausschließliche Zugehörigkeit zum neuen Ein- Bürger gab es weder eine Alternative zur Unterord- parteien-System sah die nationale Integration aller nung gegenüber den Autoritäten noch die Möglich- Ruander vor, ohne Unterscheidung nach Ethnien, Re- keit, sich vor Willkür zu schützen. Die Beziehungen gion oder Konfession. Die ruandische Regierung stell- zwischen der bäuerlichen Bevölkerung und ihren te sich somit rein funktional und fast unpolitisch dar. zahlreichen Vormundschaften waren immer von Ge- Eine auf ländliche Entwicklung und sehr sparsame walt geprägt. In den Reden der gebildeten Eliten wur- Nutzung der lokalen Ressourcen gründende Ideolo- den die Bauern als Masse bezeichnet, der beigebracht gie und die unbestreitbaren Erfolge erklären das her- werden musste, wie man vernünftig arbeitet, die vorragende Ansehen des Landes bei bilateralen Part- man unaufhörlich „sensibilisieren“ und somit maß- nern, den internationalen Geldgebern und Nichtre- regeln musste, da ihnen jedes Verständnis dafür fehl- gierungsorganisationen (NRO). Als Erfolge zählten te, was für sie gut war. die geringe Verschuldung, die Sicherung des wirt- schaftlichen Gleichgewichts, die WährungsstabilitätIm Rückblick spielten während dieser sozio-politi- sowie eine relativ ausreichende Selbstversorgung schen Krise, die Ende der 1980er Jahre entstand, eth- der Bevölkerung. nische Aspekte kaum eine Rolle. Zu den wirtschaft- lich benachteiligten Gruppen gehörten sowohl Hutu wieTutsi: landlose Bauern, Jugendliche auf dem Land, Sozialökonomische Krise der 80er Jahre die die Schule abgebrochen hatten, und Frauen. Poli- Während der zweiten Hälfte der 80er Jahre ver- tische Kritik an den Verhältnissen bezog sich auf den schlechterte sich die sozioökonomische und politi- Reichtum und die einträglichen Posten, die vorran- e1ns I 5-2007
XII Dossier Ruanda gig den Regionen im Norden vorbehalten waren. Zu- der Glanzpunkt einer starken Volksbewegung und dem kritisierten Ruander aller anderen Regionen des der Versuch einer Gewaltenteilung, die Habyarimana Landes die dortigen Hutu sowie die Tatsache, dass der im Namen der Demokratie aufgezwungen wurde. Da Die Apokalypse war nicht „Vater der Nation“ sich mit Tutsi verbündet hatte. die RPF von diesen innenpolitischen Ereignissen aus- geschlossen war, begann sie umgehend mit der Des- unvermeidbar, sie wurde tabilisierung der neuen Regierung und lancierte ei- willentlich durch das Dem Angriff der RPF folgte die ne Serie von Attentaten und Morden an wichtigen „Geiselnahme“ der Tutsi Politikern. Handeln der Akteure Der Angriff der RPF am 1. Oktober 1990 erschütterte beider Lager verursacht, die Grundfesten der Herrschaft des Präsidenten Ha- Sowohl der Präsident und seine Umgebung als auch die sich seit langem auf byarimana. Nach massiven Verhaftungen Tausender die RPF waren sich einig, demokratische Wahlen zu oppositioneller Tutsi und Hutu, die als „Komplizen der verhindern, da sie selbst glaubten, diese nicht ge- die entscheidende Inkotanyi“ (RPF-Soldaten) angesehen wurden, griff winnen zu können. Deshalb provozierten sie eine po- Schlacht vorbereitet der politische Machtzirkel um den Präsidenten wie- litische Polarisierung um zwei politisch-militärische der einmal zum Mittel der „Geiselnahme“ der Tutsi Blöcke, was unausweichlich zu einer ethnischen Ra- hatten. im Landesinneren: Pogrome, Verhaftungen und Ver- dikalisierung führte. Dauernde Zielscheibe der schwindenlassen nahmen zu. Von innen und außen Kriegsparteien war die Mehrparteienregierung, die heftig kritisiert, versuchte Habyarimana die Strate- immer noch die republikanische Legitimation ver- körperte. Deren Verwaltung leistete sehr viel, um den Fortbestand des Staates zu sichern. Das war die Situ- ation im Land, als im April 1994 der Krieg wieder auf- © H. Schürings genommen wurde. Indem die Spitze des Staates ge- köpft wurde, tragen die Organisatoren des Attentats auf das Flugzeug des Präsidenten am 6. April 1994 die Verantwortung für die Wiederaufnahme des Krieges der beiden militärischen Gegner. Vermeidbare Apokalypse Die Apokalypse, die folgte, war nicht unvermeidbar, sie wurde willentlich durch das Handeln der Akteu- re beider Lager verursacht, die sich seit langem auf die entscheidende Schlacht vorbereitet hatten. Die RPF begann sofort eine Generaloffensive. Die vom Kern des Präsidentschaftsklans organisierten Morde an Tutsi und Hutu der demokratischen Opposition und die Neutralisierung aller gemäßigter Elemente innerhalb der Armee, des Justizapparats, der Territo- rialverwaltung und der Medien ebneten den genozi- dären Kräften den Weg. Vor dem 6. April war der ru- Gedenkstätte „Erinnere Dich“ andische Staat nicht in Händen einer faschistoiden in Nyanza, Kigali gien von 1973 zu nutzen und das „Volk der Hutu“ um Macht: Keine Institution wollte den Völkermord, we- seine Person zu mobilisieren. Dem Ausland bemühte der die Regierung noch der Generalstab der Armee, er sich zu vermitteln, er sei als einziger in der Lage, ei- noch das Parlament oder die Territorialverwaltung. ne politische Öffnung kontrolliert zu sichern. Wiede- Die Machtergreifung der extremistischen Hutu wur- rum führte eine auf ethnischen Argumenten beru- de Mitte April 1994 mit der Ernennung neuer Präfek- hende Mobilisierung der Bevölkerung zu wirtschaft- ten und der Nominierung eines ihnen ergebenen Ge- lichen, sozialen und politischen Spannungen. neralstabs perfektioniert. Dies ermöglichte der neu gebildeten „Regierung“ in den folgenden drei Mona- Wichtigstes Ergebnis des Krieges von Oktober 1990 ten, alle Mittel des Staates zu nutzen, um den ethni- war die Beschleunigung der bereits eingeleiteten po- schen „Feind“ im Inneren zu vernichten. Die RPF ih- litischen Reformen. Auf die Forderungen der ver- rerseits war zu keinen Verhandlungen bereit und ih- schiedenen Oppositionsgruppen im Inneren des Lan- re Armee übernahm im Juli 1994 die Kontrolle über des reagierte der Präsident mit einer Amnestie und das ganze Land. der Befreiung politischer Gegner sowie der Anerken- nung des Mehrparteiensystems. Im Juni 1991 wurden Dieser ungeteilte Sieg war vieldeutig. Seitdem sich eine neue Verfassung verabschiedet und neue politi-die RPF in Kigali etabliert hatte, kontrollierte sie alle sche Parteien zugelassen. Zahlreiche große Ver- Ebenen der Macht, und die neue Form des Regierens sammlungen der Oppositionsparteien fanden statt. spricht für sich. Militärisch, politisch und ideologisch durfte niemand, weder im In- noch im Ausland, Zwei- Zeitungen gab es reichlich, und die Journalisten ge- wöhnten sich an die neue „Informationsfreiheit“. fel an ihrer Rolle als „Befreier“ äußern. Die siegreichen Anführer der Tutsi-Rebellion hatten die Absicht, das Im April 1992 wurde eine Mehrparteienregierung Land so zu verwalten, wie sie den Krieg geführt hat- mit einem Premierminister aus der Opposition, Dis- ten. Am 19.Juli 1994 bildete die RPF in einem voll- mas Nsengiyaremye, gebildet. Diese Regierung war kommen zerstörten Land eine Regierung, die auf dem 5-2007 I e1ns
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