Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...

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Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
24. September
26. November 2021
              2021 || 75.
                      75. Jahrgang
                          Jahrgang || 44 Euro
                                         Euro                                               Ausgabe 09
                                                                                                    11 / 2021

bildung und wissenschaft –
Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg

Lehren und Lernen
Wertschätzung stärkt und motiviert

Landeshaushalt 2022                             Inklusion            OECD-Bericht Bildung
Kein grünes Licht                               Ohne Personal kann   Deutschland
für die Bildung                                 das nicht gelingen   hat Nachholbedarf
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Aus der Praxis. Für die Praxis.
                    Das GEW-Jahrbuch 2022
                                                                                           2022 erscheint das GEW-Jahrbuch zum 41. Mal. Neu ist
                                                  Inge Goerlich / Michael Rux
                                                                                           bei dieser Ausgabe die E-Book Version - CD-ROM wird

                                       JAHR
                                                  Inge Goerlich / Michael Rux

                                       JAHR
                                                                                           es ab 2022 keine mehr geben. Bitte beachten Sie: das
                                                                                           E-Book ist nur in Verbindung mit der gedruckten

                                       BUCH
                                                                                           Version erhältlich. Es enthält alle wichtigen Gesetze und

                                       BUCH
                                                                                           Verordnungen sowie alle Veränderungen, die während
                                                                                           des Jahres in Kraft getreten sind, zum Beispiel alle
                                                                                           Neuregelungen im Bereich des Schul- und Beamtenrechts.
                                                  für Lehrerinnen
                                                    und Lehrer                             So bestellen Sie Ihr aktuelles Jahrbuch
                                                    Schul- und
                                                   Dienstrecht                             Per Onlineshop unter www.spv-s.de
                                                    in Baden-                              Dort fi nden Sie auch weitere Informationen zum Bestell-
                                                   Württemberg                             verfahren für GEW-Vertrauensleute und Schulleitungen.

                                                                                2022
                    Inge Goerlich / Michael Rux
                                                                                           Per Fax oder Post

     JAHR
                                                      STANDARDAUSGABE

                                                    ISBN 978-3-944970-31-8
                                                                                           Wir schicken Bestellformulare an alle Schulen bzw. an
                                                                                           alle GEW-Vertrauensleute. Bestellen Sie mit diesen

    BUCH
             Inge Goerlich / Michael Rux

    JAHR
                                                                                           Formularen per Post oder Fax.

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    BUCH
      GEfür
            für Lehrerinnen
              und Lehrer
         W Lehrerinnen
             ch plus
                                                                                           Ein weiteres Bestellformular für Einzelbestellungen finden
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    Jahrbu
     E-Boo
          k    und Schul-
                    Lehrer und
               Schul- und                                                                  Erscheinungstermin und Auslieferung
                    Dienstrecht
              Dienstrecht
                     in Baden-
                in Baden-                                                                  Das GEW-Jahrbuch 2022 erscheint am 10. Januar 2022.
              Württemberg
                   Württemberg
        ✔ Standardausgabe                                                                  Die Auslieferung erfolgt ebenso ab 10. Januar 2022.
                                           20212022
        ✔ Sonderausgabe für
              Berufliche Schulen
                          STANDARDAUSGABE
               ISBN 978-3-944970-29-5

                       ISBN 978-3-944970-31-8

Preise und Versandkosten
Der Preis für das Jahrbuch bleibt 2022 stabil: 13 € für GEW-Mitglieder. Der Buchhandelspreis beträgt 25 €.
Der Preis für das Jahrbuch mit E-Book beträgt: 18 € für GEW-Mitglieder. Der Buchhandelspreis 30 €.
(alle Preise inkl. MwSt. zzgl. Versandkostenpauschale).
Ab sofort finden Sie alle Informationen zum GEW-Jahrbuch 2022 auch in unserem neuen Onlineshop
unter www.spv-s.de.

                                                                                                   Zu bestellen unter:                     Fax: 0711 21030799
                                                                                   Süddeutscher Pädagogischer Verlag      Per Mail: bestellservice@spv-s.de
                                                                                      Silcherstraße 7a, 70176 Stuttgart         Onlineshop: www.spv-s.de

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Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
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                                                                                                                                                Editorial   K R I SDEU S
                                                                                                                                                            MO

                                                                       Monika Stein,
                                                                       Landesvorsitzende

                   Foto: Felix Groteloh

                                          Die Blätter fallen,
                                          die Inzidenz steigt. Schon wieder.
                                          Liebe Kolleg*innen, liebe Leser*innen,

                                          die Tage sind kürzer, das Wetter kühler, die       Es ist kaum auszuhalten, wie wenig für die
                                          Inzidenzen sind in schreckenerregenden Höhen,      sichere Präsenz in Kitas und Schulen getan
                                          das Laub färbt sich und die Koalitionsverhand-     wurde. Wir sind mitten in der vierten Welle.
                                          lungen in Berlin schreiten voran – der Herbst      Der Handlungs- und Zeitdruck, unter dem
                                          ist da.                                            die Politik während der ersten und zwei-
                                          Wir sind an den Hochschulen in das erste           ten Welle stand, ist der Tatsache gewichen,
                                          Präsenzsemester seit der Corona-Pandemie           dass die aktuelle Lage lange absehbar war.
                                          gestartet, und die Landesregierung bereitet        In einem reichen Land wie Baden-Württem-
                                          sich auf die Ausrufung der Alarmstufe vor. Impf-   berg muss es möglich sein, dass sich Kinder
                                          bzw. boosterbereite Menschen haben größte          und Jugendliche auch in einer Pandemie in
                                          Schwierigkeiten, einen Impftermin zu bekom-        Bildungseinrichtungen sicher aufhalten kön-
                                          men. In den Schulen ist zwei Wochen vor den        nen. Schul- und Kitaleitungen, Lehrkräfte und
                                          Herbstferien die Maskenpflicht gefallen. Leider    Erzieher*innen und alle Beschäftigten in den
                                          haben sich die Befürchtungen bewahrheitet,         Bildungseinrichtungen haben in den letz-
                                          dass steigende Inzidenzen diese Entscheidung       ten Monaten, vielfach gemeinsam mit Eltern,
                                          voreilig erscheinen lassen. Als GEW hatten wir     alles dafür getan, die Kitas und Schulen für die
                                          diese Maßnahme kritisiert. Nicht weil wir die      Kinder und Jugendlichen sicher zu gestalten.
                                          Maskenpflicht im Unterricht befürworten. Aber      Jetzt muss die Politik Verantwortung dafür
                                          ich muss leider erneut darauf hinweisen, dass      übernehmen, dass die Kitas und Schulen bei
                                          immer noch versäumt wurde, Schulen und             steigenden Inzidenzen nicht wieder um Prä-
                                          Kitas sicher zu machen. Es sind nicht genug        senz fürchten müssen. Im Zweifelsfall müssen
                                          Luftreinigungsgeräte angeschafft worden.           andere Bereiche des öffentlichen Lebens ein-
                                          Bereits im Sommer letzten Jahres hat meine         geschränkt werden. Vermutlich werden auch
                                          Vorgängerin Doro Moritz darauf hingewiesen,        die Arbeitgeber*innen verpflichtet, ihre Ange-
                                          dass Luftreinigungsgeräte notwendig sind, um       stellten ins mobile Arbeiten zu schicken. So
                                          Kitas und Schulen pandemiesicher zu gestalten.     können Kontakte außerhalb der Bereiche, die
                                          Seit Oktober 2020 habe ich kaum ein Interview      Kinder und Jugendliche, Studierende und Aus-
                                          oder Gespräch mit politisch Verantwortlichen       zubildende betreffen, deutlich eingeschränkt
                                          auf kommunaler, Landes- und Bundesebene            werden.
                                          geführt, in dem ich nicht angesprochen habe,       Ich wünsche Ihnen trotz aller Sorgen und
                                          wie wichtig Luftreinigungsgeräte sind. Unsere      Belastungen einen guten Start in die Vorweih-
                                          Mindestforderung: Für Kinder unter 12 Jahren       nachtszeit. Bleiben Sie so gesund und zuver-
                                          müssen in Kitas und Schulen in allen Räumen        sichtlich wie möglich!
                                          Luftreinigungsgeräte stehen. Einige kommu-
                                          nale Schulträger haben vorbildlich reagiert. Sie
                                          haben das notwendige Geld für die Sicherheit       Herzliche Grüße
                                          unserer Kinder in die Hand genommen. In wei-       Ihre
                                          ten Teilen Baden-Württembergs wurde aber
                                          noch nicht oder zu wenig gehandelt.

bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                                                       3
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30       Mehr Unterstützung
                                                                                            für junge Lehrer*innen

                                     10   Corona:
                                          Die 4. Welle rollt, die Politik zögert   34    Erasmus in Lissabon
                                                                                         statt Corona in Konstanz

S.12 Titelthema
Lehren und Lernen
Wertschätzung stärkt und motiviert

4                                                                                  bildung & wissenschaft 11 / 2021
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Inhalt

                                                     In dieser Ausgabe

                                                     Titelthema                               Gesellschaft

                                                     Wertschätzung stärkt und motiviert       10 Corona:
                                                     12 Eine zeitgemäße pädagogische Kunst       Die 4. Welle rollt, die Politik zögert
                                                     19 Kommunikation ist das A und O
                                                     21 „Ich möchte wahrgenommen werden.“
                                                     22 Summe vieler kleiner Gesten           Hochschule
                                                     23 Jeder möchte gesehen werden
                                                                                              34 Im Ausland studieren:
                                                                                                 Erasmus in Lissabon
                                                     Arbeitsplatz Schule /                       statt Corona in Konstanz
                                                     Kindertageseinrichtung

                                                      7 Kommentar: Landeshaushalt 2022        Rubriken
                                                        Kein grünes Licht für die Bildung
                                                     24 Gemeinschaftsschulen:                  3   Editorial
                                                        Beförderungen für                      6   Aktuell
                                                        Gymnasiallehrkräfte möglich            8   Glosse
                                                     25 Inklusion in Baden-Württemberg:       36   Kurz berichtet
                                                        Ohne Personal kann Inklusion          40   Vor Ort
                                                        nicht gelingen                        42   Totentafel
                                                     28 OECD-Bericht Bildung:                 41   Impressum
                                                        Deutschland hat Nachholbedarf         44   Leserbriefe
                                                     30 Vorbereitungsdienst unter Pandemie-   45   Termine
                                                        bedingungen: Mehr Unterstützung       46   Jubilare
                                                        für junge Lehrer*innen
                                                     32 Jobsharing in schulischen
                                                        Funktionsstellen: Teamarbeit
                                                        statt Einzelkämpfer*innen

                                                     Aus der Arbeit der GEW

                                                      9 Tarifrunde der Länder:
                                                        Ein heißer Kampf im kühlen Herbst
Foto: ozgurcankaya / iStock

                                                                                              Titelbild: ozgurcankaya / iStock

                                                                                              Redaktionsschluss für die nächste b&w-Ausgabe:
                                                                                              22. November 2021

                              bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                     5
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Aktuell

            MEHR FR AUEN INS PARL AMENT
                                                                                                            GEW lädt ein
            Bündnis fordert Reform des Landtagswahlrechts
                                                                                                            Schulleitungstag 2022

                                                                                                            Mangel verwalten – Schule
                                                                                                            gestalten?
                                                                                                            Freitag, 18. März 2022,
                                                                                                            10:15 –14:30 Uhr
                                                                                                            CVJM-Haus Stuttgart
                                                                                                            (S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte)

                                                                                                            mit Kultusministerin Theresa
                                                                                                            Schopper und Prof. Dr. Marcel Helbig

                                                                                                            Wie können Bildungspolitik und Schu-
Foto: DGB

                                                                                                            len sich auf die Postcoronazeit vor-
                                                                                                            bereiten, wie Schule und Unterricht
            Gewerkschaftsfrauen und ihre Bündnispartnerinnen demonstrieren vor dem Parlament in Stuttgart   weiterentwickelt werden auf dem
                                                                                                            Hintergrund eines enormen Personal-
                                                                                                            mangels und ungenügender finanzi-
            Am 21. Oktober haben Gewerkschafts-             ihm und seiner Fraktion bewusst sei,            eller und zeitlicher Ressourcen?
            frauen gemeinsam mit ihren Bündnispart-         dass durch ein Listenwahlrecht die Pari-
            nerinnen vor dem Landtag in Stuttgart           tät nicht erreicht sei und dass daher noch               Infos und Anmeldung unter:
            demonstriert. Sie fordern einen gerechten       weitere Schritte folgend müssten. Der                    www.gew-bw.de/schulleitungstag2022
            Frauenanteil im Parlament. Das Wahlrecht        stellvertretende Fraktionsvorsitzende der
            werde geändert, beteuert Andreas Schwarz,       SPD, Nicolas Fink, hat für seine Frakti-
            Fraktionsvorsitzender der Grünen.               on Zustimmung garantiert. Die DGB-
            Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)            Jugend bekräftigte ihre Forderung, das
            Baden-Württemberg hatte gemeinsam               Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken.              GEW lädt ein
            mit dem Landesfrauenrat und weiteren
            Bündnispartnerinnen für den 21. Okto-           Politiker müssen jetzt                          Qualitätskonzept
            ber 2021 zu einer Protestveranstaltung          zu ihrem Wort stehen
            vor dem Landtag aufgerufen. An Ort und          Die Reform des Landtagswahlrechts               Das richtige Konzept für Qualität?
            Stelle machten die Partner gemeinsam            droht wieder einmal auf die lange Bank          Wie müssen die Akteure
            Druck für ihre Forderung nach „Mehr             geschoben zu werden – das will auch die         zusammenarbeiten?
            Frauen ins Parlament“.                          GEW nicht einfach so hinnehmen. Wir             Freitag, 4. Februar 2022, 10 – 16 Uhr
            „Wir haben lange genug gewartet“, sagte         wissen, dass der Weg zu einem gerech-           Haus der Wirtschaft, Stuttgart
            DGB-Bezirksfrauensekretärin        Jessica      ten Frauenanteil im Parlament über ein          (10 Min. Fußweg vom Hbf. Stuttgart)
            Messinger. Der Landtag müsse endlich            Zwei-Stimmen-Wahlrecht mit einer
            Baden-Württemberg in seiner ganzen              geschlossenen Landesliste führt, und            mit Dr. Martina Diedrich, Direktorin
            Vielfalt abbilden: Frauen und Männer,           streiten seit Jahren für diese Forderung        des Instituts für Bildungsmonitoring
            Menschen mit und ohne Migrationshin-            und für weitergehend Schritte.                  und Qualitätsentwicklung (IfBQ)
            tergrund, junge Menschen und ältere.            Bereits zum dritten Mal ist die Ände-
            „Wir brauchen ein geschlechtergerech-           rung des Landtagswahlrechts im Koa-             Was muss bei Qualitätsentwicklung
            tes Wahlrecht. Mit knapp 30 Prozent ist         litionsvertrag verankert und von den            in Baden-Württemberg beachtet wer-
            der Anteil von Frauen im Landtag von            Fraktionen wurde Bereitschaft signali-          den? Wie können Schulen Erkenntnis-
            Baden-Württemberg beschämend gering.            siert, dies nun wirklich auch zu Beginn         se umsetzen und ihre Arbeit verän-
            Andere Bundesländer haben schon längst          der Legislaturperiode umzusetzen.               dern? Was brauchen sie dafür? Wie
            ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht. Das ist ein         Bislang: Fehlanzeige.                           müssen Bildungsforschung, Bildungs-
            wichtiger Schritt hin zu mehr Repräsen-         Zuletzt brachte die FDP Einwände vor.           politik, Bildungsverwaltung und Bil-
            tanz von Frauen in der Landespolitik.“          Die Gewerkschaften wollen mit ihrer             dungspraxis zusammenarbeiten?
            Andreas Schwarz hat versprochen, dass           Aktion daran erinnern, dass die Reform
            in dieser Legislatur ein Listenwahlrecht        längst überfällig ist und dass sie erwar-
                                                                                                                    Infos und Anmeldung unter:
            komme und die Grünen an der Weiter-             ten, dass sie dieses Jahr noch durchge-                 www.gew-bw.de/qualitaetskonzept2022
            entwicklung Richtung gesellschaftlicher         führt wird – wenn nötig ohne die Stim-
            Repräsentanz im Landtag dran seien.             men der FDP.
            „Wir machen jetzt einen Knopf dran“,                 Manuela Reichle und Marco Stritzinger
            so Schwarz. Gleichzeitig betonte er, dass

            6                                                                                                              bildung & wissenschaft 11 / 2021
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Kommentar

  Kommentar               Landeshaushalt 2022: Kein grünes Licht für die Bildung

  Die Landesregierung hat die Eckpunkte für      Neue Stellen für den Landeshaushalt 2022
  den Landeshaushalt 2021 vorgelegt. Kul­
  tusministerin Theresa Schopper bekommt                                                         Bedarf laut KM    Im Haushalt geplant
  nur einen Bruchteil der geforderten Stel­
  len. So wenig hat eine Kultusministerin        Inklusion                                            158                    75
  bei den Haushaltsverhandlungen lange
  nicht erreicht. So wird der Landeshaus­        Entlastung der Schulleitungen                        160                   160
  halts 2022 ein Rückschlag für die Qualität
  der Bildung an den Schulen des Landes          Mehr Vertretungslehrkräfte                           105                    50
  und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräf­
  te. Ein grüner Ministerpräsident, ein grüner   Steigende Schüler*innenzahlen                        254                    25
  Finanzminister und eine grüne Kultusmi­
  nisterin können sich nicht auf die Stellen     Islamischer Religionsunterricht                       10                    10
  einigen, die die Schulen für ihre Aufgaben
  brauchen. Die Folge: Die Unterrichtsver­       Pflegeschulen                                         11                    11
  sorgung verschlechtert sich weiter. Das
  ist kein guter Start in die neue Legislatur­   Praxisintegrierte Erzieher*innenausbildung            6,5                   6,5
  periode. Und die schön klingenden Vor­
  sätze aus dem Koalitionsvertrag wird die       Bezahlung Vertretungslehrkräfte in Ferien              ?          kein Geld vorgesehen
  ­Landesregierung so nicht erreichen.
   Noch sind die Haushaltsberatungen             Vorbereitung Ausbau Ganztagesgrundschulen             60                    25
   nicht vorbei. Und Schopper setzt auf den
   Herbst. Finanzminister Danyal Bayaz           Ethik/ Bugwelle Berufliche Schulen                    60                     0
   (Grüne) hat angekündigt, nach der Steu­
   erschätzung könne es womöglich noch­          Verwaltungspersonal Schulpsychologie                 15,5                    0
   mal Spielräume für Investitionen geben.
   Offensichtlich nicht genug für gute Bil­      Summe                                                840                  362,5
   dung: Die Haushaltskommission hat im
   November nur 150 weitere Stellen für
   die Schulen beschlossen: Das Kultus­          und in der Inklusion von Jahr zu Jahr.       z­ usätzliche Angebote gibt es noch weni­
   ministerium bekommt von 254 Stellen,          Der Lehrkräftemangel führt inzwischen         ger Zeit.
   die für steigende Schüler*innenzahlen         zu unhaltbaren Zuständen und massiven         Peinlich ist auch, dass Schopper nicht mal
   benötigt werden, nur 25. Außerdem             Unterrichtsausfällen, überlasteten Lehr­      das Geld bekommt, um befristet beschäf­
   soll das Kultusministerium weitere            kräften und der Benachteiligung von Kin­      tigte Lehrkräfte in den Sommerferien zu
   50 Stellen für die Inklusion, 50 für mehr     der und Jugendlichen mit Behinderung.         bezahlen. Diese Zusage hatte sie dieses
   Vertretungslehrer*innen und 25 für den        In Erklärungsnot kommt das Kultus­            Jahr im Sommer für die Sommerferien
   Ausbau der Ganztagesschulen bekom­            minis­terium bei den steigenden Schüler*­     2022 gemacht und berechtigte Erwartun­
   men. Es bleibt eine Lücke von 480 Stellen     innenzahlen und was es bedeutet, dass         gen geweckt. Da nützt auch der Koaliti­
   zum Bedarf, den das Kultusministerium         dafür kaum neue Stellen geschaffen wer­       onsvertrag nichts in dem steht „Wir wer­
   gemeldet hat. Und der war schon niedrig       den. „Die fest installierte Vertretungs­      den zielorientiert prüfen, wie Lehrkräfte
   angesetzt. Die Bezahlung der Lehrkräfte       reserve muss im Vergleich zum Vorjahr         mit einem befristeten Vertrag […] in den
   mit einem befristeten Vertrag während         verstärkt gleich zu Schuljahresbeginn         folgenden Sommerferien weiterbezahlt
   der Sommerferien ist der Landesregie­         zur Sicherung des Pflichtunterrichts ein­     werden können…“ Von ähnlichen Zielen
   rung kein Geld wert – auch wenn sie für       gesetzt werden.“ Klingt erstmal gut…          aus dem Koalitionsvertrag bei der Unter­
   das Kultusministerium ein wichtiges poli­     Aber: Die fest installierte Vertretungsre­    richtsversorgung, den Ganztagesschulen,
   tisches Ziel ist.                             serve ist an den meisten Schulen bereits      der Inklusion oder dem Ausbau von Ethik
   Die eigenen Ziele erreicht das Kultusminis­   zu Beginn des Schuljahrs für Pflichtunter­    hat sich die Landesregierung nur fünf
   terium mit den vorgesehen Stellen nicht.      richt verplant. Es können dann nur noch       Monate nach ihrem Amtsantritt offen­
   Besonders enttäuschend ist, dass nicht        befristete Verträge geschlossen werden,       sichtlich schon verabschiedet. Auch ihr
   einmal die bereits 2015 festgelegten          für die meistens keine voll qualifizierten    großes Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit zu
   158 Stellen für den Ausbau der Inklusion      Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Also         ermöglichen, wird sie so nicht erreichen.
   geschaffen werden. Dabei verschlechtert       wird an vielen Schulen noch mehr Pflicht­                                   Michael Hirn
   sich das strukturelle Defizit an den SBBZ     unterricht ausfallen, für Förderung und               stellvertretender Landesvorsitzender

bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                                              7
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                                                                                         Bezirken über eine Hotline:

                                                                                         • Südbaden
                                                                                         Hotline-Telefonnummer:
                                                                                         0800 439 0000
                                                    „Manche Erfahrungen                  Gymnasien: 09.12.2021
                                                     muss man einfach                    Berufliche Schulen: 08.12.2021
                                                                                         GHWRGS: 06. / 07.12.2021
                                                     selber machen.“                     jeweils 16 – 18 Uhr
                                                                                         siehe auch:
                                                                                         www.gew-bw.de/SB-Hotline

                                                                                         • Südwürttemberg
                                                                                         verschiedene Telefonnummern
                                                                                         Infos unter:
                                                                                         www.gew-bw.de/SW-Hotline
Mit 13 wurde mir eines Nachmittages         Diese Geschichte ist heute in meiner
plötzlich klar, dass ich alles weiß. Ich    Familie ein Running Gag. Ich musste an       • Nordwürttemberg
hatte an meinem Schreibtisch gesessen       sie denken, weil heute ein Achtklässler      Hotline Telefonnummer:
und eine Erleuchtung gehabt. Ich konnte     zu mir gesagt hat, er fände es unnötig,      0800 439 0000
schreiben. Rechtschreibung und Kom-         dass er noch in die Schule gehen müsse,      GHWRGS: 30.11.2021 und 01.12.2021
masetzung waren okay. Ich konnte rech-      er wisse ja eigentlich alles. Der Rest sei   jeweils 15 – 17 Uhr
nen. Geometrie, Prozent, alles. Ich kann-   doch Quatsch. Da war ich ein bisschen        Hotline Telefonnummer:
te mich in der deutschen Geschichte und     ratlos. Und leider hatte ich keine Wäsche    0800 6547800
in der Weltgeschichte aus. Auch über die    da, die ich ihn hätte aufräumen lassen       Berufliche Schulen: 29.11.2021
Welt- und Bundespolitik war ich infor-      können. Also überging ich pädagogisch        Gymnasien: 30.11.2021
miert. In Bio hatte ich alles über Buchen   holprig seine Bemerkung. Was soll man        jeweils 15 – 17 Uhr
und Lärchen und Lerchen gelernt. Über       dazu schon sagen? Irgendwas mit Bil-
Kobel und Eichhörnchen. Über den Bie-       dung? Wissen? Horizont?                      • Nordbaden
nentanz und Schwanzlurche. Nur beim         Das ist, als würde man sagen: „Билим         verschiedene Telefonnummern:
Aufklärungsunterricht war ich leider im     берүү маанилүү. Бул сиздин көз               22. – 26.11.2021 alle Schularten
Krankenhaus gewesen. Aber das war ja        карашыңызды кеңейтет.“ Das ist kir-          Infos unter:
auch nicht so wichtig. Ich öffnete meine    gisisch und heißt: „Bildung ist wichtig.     www.gew-bw.de/NB-Hotline
Zimmertüre. Da saß meine Mutter an          Sie erweitert deinen Horizont.“ Aber es
der Bügelmaschine. Virtuos wie Udo          ist egal, ob man es auf Kirgisisch oder
Jürgens am durchsichtigen Flügel ließ sie   Deutsch sagen würde. Manche Erfahrun-
Leintücher durch die Maschine gleiten.      gen muss man einfach selber machen.
Es roch nach warmer Wäsche. Um sich         Zuhause saß mein Kind an seinem
herum hatte sie ein Stonehenge aus glatt    Schreibtisch und machte irgendwas für
gebügelten Laken aufgebaut. „Wieso          Kunst. Es sah nicht glücklich aus. Kunst,
muss ich eigentlich immer noch in die       sagte es, sei unnötig. Genau wie Chemie,
Schule gehen“, fragte ich sie, „ich weiß    Bio, Musik und Technik. Und das meis-
doch jetzt schon alles?“                    te andere. Eigentlich könnte man, sagte
„Kerle“, lachte meine Mutter verblüfft      es, nach der 8. Klasse mit der Schule auf-
auf, „du håsch doch koi Ahnung!“ Dann       hören und dann machen, was man will.
bat sie mich die Wäsche in die Schränke     Tja, dachte ich. Und da war ich froh,
zu räumen. Da ich alles wisse, würde ich    dass man zu Hause immer Wäsche auf-
ja auch wissen, wo sie hingehöre.           zuräumen hat. Meine Mutter hatte recht.
Ich fühlte mich gedemütigt. Einen gro-      Man hat einfach keine Ahnung, bevor
ßen Geist wie mich eine solch erniedri-     man sich nicht um die Wäsche küm-
gende Arbeit ausführen zu lassen.           mern muss.
                                                                        Jens Buchholz

8                                                                                                    bildung & wissenschaft 11 / 2021
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Aus der Arbeit der GEW

   TARIFRUNDE 2021

TARIFRUNDE DER L ÄNDER

Ein heißer Kampf im kühlen Herbst
Der November war geprägt durch Protest und Streiks der Beschäftigten, provoziert durch die starre
Haltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Die Beschäftigten in Baden-Württemberg
haben dabei kräftig mitgemischt.

                                                                                                      os
                                                                                              lle Inf
                                                                                     A k t u e r u n d e:
                                                                                              r if
                                                                                     zur Ta w- bw.de/
                                                                                            .ge
                                                                                    w w w i frunde
                                                                                          tar

                  TARIFRUNDE 2021             Bildung ist MehrWert!

                 WIR ZEIGEN GESICHT
                 Gemeinsam mit der GEW kämpfen wir für 5 Prozent mehr Gehalt!

Spätestens nach der zweiten Verhand-                                   Tabellensystem des Gehaltstarifvertra-      mit Kundgebungen u. a. in Karlsruhe
lungsrunde Anfang November, in der                                     ges einsortiert werden. Die Arbeitge-       (Montag), Ulm (Dienstag), Freiburg (Mitt-
die TdL praktisch zu allen gewerkschaft-                               ber wollen durch die Zerstückelung von      woch), Heidelberg (Donnerstag) und Stutt-
lichen Forderungen ein klares „Nein“                                   Arbeitsabläufen („Arbeitsvorgängen“)        gart (Freitag) haben die tarifbeschäftigten
formuliert hat, war klar: die Arbeitgeber                              eine schlechtere Eingruppierung von         Kolleg*innen an den Schulen gemeinsam
halten eine Stärkung des öffentlichen                                  Beschäftigten durchsetzen und damit         mit vielen Beschäftigten aus anderen Tei-
Dienstes nicht für nötig. Angesichts der                               Geld sparen. Es bleibt zu hoffen, dass      len des Landesdienst die Forderungen der
großen gesellschaftlichen Aufgaben,                                    dieser Unsinn der TdL in der dritten Ver-   Gewerkschaften unterstützt.
zu deren Lösung ein funktionierender                                   handlungsrunde am 27. / 28. November        Das Engagement der Beschäftigten ging
Öffentlicher Dienst unentbehrlich ist,                                 in Potsdam ausgeredet werden konnte.        weit über die Warnstreiks hinaus. Nach
muss diese Haltung erschrecken.                                        Die b&w ging davor bereits in Druck.        den Herbstferien fanden in vielen Schulen
Mehr noch – anstatt ernsthaft über eine                                Die aktuellsten Entwicklungen stehen        kleine Soliaktionen in den Mittagspausen
Gehaltssteigerung, über weitere Ver-                                   daher auf der Internetseite der GEW.        statt. Mehr noch als in den vorherigen
besserungen bei den tarifbeschäftigten                                 Uneingeschränkt erfreulich dagegen war      Tarifrunden waren die GEW und ihre
Lehrkräften und in den Gesundheits-                                    die Beteiligung der Beschäftigten an den    Mitglieder auf den Social Media Kanä-
berufen, die Eindämmung der Befris-                                    Protesten und Streiks. Das gilt bundes-     len aktiv. Auch bei der Plakataktion „Wir
tungen und eine bessere Regelung der                                   weit aber auch für Baden-Württemberg.       zeigen Gesicht für fünf Prozent mehr
Höhergruppierungen und einen Tarif-                                    Im Südwesten streikten schon nach           Gehalt“ haben viele Kolleg*innen mitge-
vertrag für die studentischen Beschäf-                                 den Herbstferien die Uni-Beschäftigten      macht. Sie haben damit auch gezeigt, dass
tigten zu verhandeln, beharrte die TdL                                 bspw. in Freiburg und Stuttgart. Der        sie um die Bedeutung der Tarifverhand-
zwei Verhandlungsrunden lang auf einer                                 Streikschwerpunkt der GEW lag dann          lungen wissen und sie einen aktiven und
grundlegenden Reform der Mechanis-                                     auf der letzten Woche vor der dritten       wirksamen Einfluss ausüben können.
men, nach denen Beschäftigte in das                                    Verhandlungsrunde. In einer Streikwelle                              Martin Schommer

bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                                                               9
Lehren und Lernen Wertschätzung stärkt und motiviert - GEW Baden ...
Gesellschaft

CORONA

Die 4. Welle rollt, die Politik zögert
Die vierte Corona-Welle rollt über Deutschland hinweg. Noch sind die Schulen und Kitas offen – und
das soll nach Meinung der GEW auch so bleiben. Die Landesregierung kann und muss mehr für
mehr Impfungen und einen möglichst sicheren Betrieb an den Kitas und Schulen tun.

Wie schon bei den vorherigen Wellen die von der Landesregierung, den Kom- anderen haben Menschen, die impfbe-
liegt die Inzidenz in Baden-Württem- munen und den Kita- und Schulträgern reit sind, große Schwierigkeiten, an eine
berg über dem Bundesdurchschnitt. Am nicht erledigt wurden. Hilfreich für den Impfung zu kommen.
11. November liegt sie im Südwesten Arbeits- und Gesundheitsschutz an Bil- Die Impfquote in der Schülerschaft liegt
bei 316,0, im Bund bei 249,1, Tendenz dungseinrichtungen ist die Diskussion bei rund 40 Prozent. Die Kinder unter
steigend. Der Maßstab für die Politik ist um die Impfpflicht für Pädagog*innen zwölf Jahren haben noch keine Möglich-
mittlerweile die Auslastung der Inten- auf keinen Fall.                             keit, sich impfen zu lassen. Sie sind auf
sivstationen. Am 3. November wurde Die GEW wirbt seit Monaten dafür, dass den Schutz der Erwachsenen und derer,
im Land der kritische Wert von 250 mit sich Beschäftigte in Bildungseinrichtun- für die ein Impfstoff bereits zugelassen
COVID-19-Patienten belegten Intensiv- gen impfen lassen. Landesvorsitzende ist und empfohlen wird, angewiesen. Die
betten überschritten. Seit-                                                                       GEW hält angesichts der
dem gilt für Baden-Würt-                                                                          hohen     Impfbereitschaft
temberg die Warnstufe. „Wir haben weit über 300.000 Schüler*innen an                              eine Impfpflicht für Päda-
Angesichts der rasant stei-   Beruflichen Schulen, die fast alle volljährig sind. gog*innen derzeit nicht
genden Zahlen gilt voraus-                                                                        für notwendig. Andere
sichtlich sehr bald schon     Ich weiß, dass es dort viele gibt, die                              Maßnahmen zur Erhö-
die Alarmstufe, nämlich       niederschwellige Impfangebote brauchen.“                            hung der Sicherheit an
sobald 390 Betten belegt                                     Monika Stein, GEW-Landesvorsitzende Kitas und Schulen sind
sind. Am 11. November                                                                             wichtiger. „Jetzt ist es am
sind es 348.                                                                                      wichtigsten, dass die Poli-
Obwohl die Infektionszahlen so hoch Monika Stein appelliert auch an alle bis- tik nicht wochenlang über das Thema
sind wie noch nie seit Beginn der Pan- her ungeimpften Erwachsenen, sich imp- Impfpflicht diskutiert, sondern ihre
demie, muss die GEW immer noch die fen zu lassen und unterstützt freiwillige Hausaufgaben erledigt. Landesregierung
gleichen Diskussionen wie im vergan- Impfangebote an weiterführenden und und Schulträger können noch viel mehr
genen Herbst mit der Kultusministerin Beruflichen Schulen. „Ich weiß aus Klas- tun, zum Beispiel für mehr Luftreini-
und der Landesregierung führen. Die sen an Berufsschulen, in denen erst die gungsgeräte zu sorgen und mit mehr
Themen Luftfilter, Maskenpflicht und Hälfte der Schüler*innen geimpft ist. Wir Engagement für das Impfen zu werben“,
seit Kurzem – vom Ministerpräsiden- haben weit über 300.000 Schüler*innen findet Stein.
ten grundlos befeuert – mal wieder eine an Beruflichen Schulen, die fast alle voll-
mögliche Impfpflicht für Lehrkräfte und jährig sind. Ich weiß, dass es dort viele Hin und Her schadet
Erzieher*innen bestimmen die öffentli- gibt, die niederschwellige Impfange- Corona-Zahlen auf Rekordhöhe berei-
che Debatte.                              bote brauchen. Warum steht nicht vor ten den pädagogischen Profis große Sor-
Die Impfquote von Lehrkräften lag laut jeder beruflichen Schule ein Impfmobil? gen. Deshalb setzt sich die GEW weiter
Deutschem Schulbarometer bereits im Die Landesregierung und die Schulträ- für Luftreinigungsgeräte für alle Klas-
September bei 95 Prozent. Zu einem ger können hier noch mehr tun. Jede senräume ein, in denen Kinder unter
ähnlichen Ergebnis kommen auch die geimpfte Person ist ein wichtiger Schritt zwölf Jahren unterrichtet oder betreut
Erhebungen der GEW. Demnach lag für Unterricht in Präsenz in unseren werden. Regelmäßiges Lüften kann vor
die Impfquote der Lehrer*innen Anfang Klassenzimmern“, sagt Stein. Es braucht allem in der kalten Jahreszeit nicht kon-
September zwischen 80 und 95 Prozent. dringend niederschwellige Impfange- sequent umgesetzt werden, ohne dass es
Kretschmann heizt eine Scheindebatte bote im ganzen Land. In manchen in den Klassenzimmern sehr ungemüt-
an, um von den Dingen abzulenken, Regionen gibt es mobile Impfteams. In lich wird. „Die Kriterien des Landes,

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Foto: imago

              dass nur schlecht belüftbare Räume zum        schwer erkranken, wir wissen noch viel zu     sei der sozial-emotionale Bedarf der
              Zuge kommen, haben Schulträgern zum           wenig über Langzeitfolgen einer Covid-        Schüler*innen deutlich unterschätzt wor-
              Teil willkommene Ausreden geliefert,          Infektion. Vor einem Jahr haben wir es        den und werde mit Blick auf die derzeiti-
              um nicht oder kaum in die Anschaffung         im Dezember bereut, dass wir im Herbst        gen Planungen des Landes und die weni-
              zu gehen. Luftreinigungsgeräte sind eine      nicht vorsichtiger waren“, begründet          ger gut ausgebildeten Freiwilligen kaum
              notwendige und lohnende Investition“,         Monika Stein die Position der Bildungsge-     zu fördern sein. „Wir brauchen mehr Stel-
              mahnt die GEW-Landeschefin. Die               werkschaft. Auch das Robert Koch-Insti-       len für Schulsozialarbeiter*innen, Schul-
              schleppende Beschaffung bezeichnet            tut empfiehlt eine Maskenpflicht bis zum      psycholog*innen und Expert*innen. Wir
              sie als enttäuschend. In Stuttgart sind       Februar 2022 als Vorsichtsmaßnahme.           brauchen Ansprechpartner*innen direkt
              beispielsweise 250 angekündigte Geräte                                                      an den Schulen“, moniert die GEW-Lan-
              noch immer nicht ausgeliefert.                Präsenzunterricht steht an erster Stelle      desvorsitzende.
              Für den Schulbetrieb bedeutet die             Erklärtes Ziel der GEW ist weiterhin,         Das Kultusministerium hat bei den Rah-
              bevorstehende Alarmstufe des Landes,          dass die Bildungseinrichtungen im Prä-        menbedingungen gebremst. Das Enga-
              dass die Maskenpflicht in allen Schulen       senzbetrieb geöffnet bleiben. Die Politik     gement der Schulleitungen, Lehrkräfte
              auch in den Unterrichts- und Betreu-          darf die Kinder, Jugendlichen und jungen      und Freiwilligen wird nicht ausreichend
              ungsräumen wieder gelten wird. Weitere        Erwachsenen an den Kitas, Schulen und         finanziell gewürdigt. An der Stelle lässt
              Einschränkungen sind mit dem Eintritt         Hochschulen des Landes nicht noch ein-        sich auch kurzfristig noch nachbessern.
              in die Alarmstufe nicht verbunden. Das        mal nach Hause schicken, um die vierte        Außerdem hätte das Land den Lehrplan
              Kultusministerium hatte die Masken-           Welle zu brechen. Jetzt sind die Erwach-      entschlacken müssen, um Kapazitäten
              pflicht im Unterricht erst am 18. Okto-       senen an der Reihe. Sie sind es, die ihre     zu gewinnen. „Wenn man die Stunden
              ber aufgehoben. Vor einem Hin und             Hausaufgaben nicht gemacht haben.             gewinnen will, dann muss man den Mut
              Her hatte die GEW frühzeitig gewarnt.         Das zeigt sich auch am enttäuschen-           und die Ehrlichkeit besitzen, die Notlage
              Inkonsequente Maßnahmen haben                 den Start des Corona-Aufholprogramms          anzuerkennen und an die Inhalte und an
              keine hohe Akzeptanz und stellen ein          Rückenwind. Am Montag nach den                die Stundentafel zu gehen“, sagt Stein.
              unnötiges Risiko dar.                         Herbstferien haben angeblich einige                                   Marco Stritzinger
              „Jede Stunde im Klassenzimmer oder            Schulen damit begonnen, Lerndefizite bei                           GEW-Online-Redakteur
              in der Kita mit Maske ist eine Belastung      Schülerinnen und Schülern aufzuholen.
              für die Kinder und Jugendlichen sowie         In der Praxis bleibt das Programm jedoch
              ihre Lehrkräfte und die pädagogischen         hinter den Erwartungen zurück. Bisher
              Fachkräfte. Mit Blick auf die zu niedrige     können die Regierungspräsidien noch
              Impfquote in der Gesamtbevölkerung und        keine Arbeitsverträge ausgeben und die
              immer noch fehlende Sicherheitsmaßnah-        zusätzlichen Kräfte nicht arbeiten. Über-
              men wie Luftreinigungsgeräte bleibt uns       all fehlen zusätzliche Lehrkräfte. „Es gibt
              derzeit nichts anderes übrig, als weiterhin   einen starken Personal- und Fachkräfte-
              Masken zu tragen, wenn wir die Präsenz in     mangel. Da kann man die Freiwilligen
              Kitas und Schulen nicht gefährden wollen.     nicht aus dem Hut zaubern“, erklärt
              Auch wenn kaum Kinder und Jugendliche         Stein die schlechte Resonanz. Außerdem

              bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                                  11
Titelthema

             „   Nur durch die ERFAHRUNG
                       bedingungsloser
                   positiver ANNAHME
               kann ein Mensch das entwickeln,
             was in ihm angelegt ist – und seine
             vielfältigen POTENZIALE
               zur ENTFALTUNG bringen.
                                                              “

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Titelthema

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                                                                                        schätzung“, wie er heute meist verwendet wird, aus dem Umfeld
                                                                                        der Humanistischen Psychologie und Pädagogik in der zweiten
                                                                                        Hälfte des 20. Jahrhunderts stammt. Der Begriff wurde wesent-
                                                                                        lich von Abraham Maslow geprägt, der Wertschätzung als ein
                                                                                        Grundbedürfnis charakterisiert, dem in der menschlichen Ent-
                                                                                        wicklung eine zentrale Bedeutung zukommt. Erlebt ein Kind
                                                                                        von Anfang an, dass es in seinem einmaligen „Wert“ gesehen,
                                                                                        anerkannt und „geschätzt“ wird, so hat es gute Chancen, später
                                                                                        selbst zu einem wertschätzenden Erwachsenen zu werden.
                                                                                        Fehlt jedoch die Wertschätzung durch pädagogische Bezugs-
                                                                                        personen in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen,
                                                                                        so kann dies zu folgenschweren Störungen der Persönlichkeits-
                                                                                        und auch der Lernentwicklung führen. Carl Rogers erweitert

                                                                   EINE ZEITGEMÄSSE PÄDAGOGISCHE KUNST

                       Wertschätzung stärkt und motiviert
                             Wertschätzung ist ein Begriff, der im Kontext von Erziehung und Bildung wenig geklärt ist.
                            Obgleich er als pädagogische Idee in aktuellen Schulprofilen und in Selbstbeschreibungen
                            vorschulischer Bildungseinrichtungen häufig auftaucht, bleibt er inhaltlich oft unbestimmt.
                                  Was ist also gemeint, wenn von Wertschätzung in der Pädagogik die Rede ist?

                                                                                        die humanistische Sicht auf Wertschätzung, indem er letztere
                                                                                        als eine förderliche Einstellung nicht nur von Therapeut*innen,
                                                                                        sondern auch von Lehr- und Erziehungspersonen kenn-
                                                                                        zeichnet. Nur durch die Erfahrung bedingungsloser positi-
                                                                                        ver Annahme kann ein Mensch das entwickeln, was in ihm
                                                                                        angelegt ist – und seine vielfältigen Potenziale zur Entfaltung
                                                                                        bringen. Hierzu bedarf es seitens der Erziehungs- und Lehr-
                                                                                        personen eines hohen Maßes an Achtsamkeit und Präsenz im
                                                                 „Erlebt ein Kind von   „Hier und Jetzt“ der pädagogischen Situation, wie Fritz Perls
                                                                  Anfang an, dass es    zu Recht konstatiert. Pädagog*innen brauchen demnach die
                                                                                        Fähigkeit des Gewahrseins und des In-Kontakt-Seins nicht
                                                               in seinem einmaligen     nur mit den ihnen anvertrauten Kindern, sondern auch mit
                                                          Wert gesehen, anerkannt       sich selbst, wenn sie wertschätzend kommunizieren und inter-
                                                                 und geschätzt wird,    agieren möchten. Ruth Cohn schließlich weist darauf hin, dass
                                                                                        es bei der Wertschätzung von Menschen immer um ein empa-
                                                            so hat es gute Chancen,     thisches Anteilnehmen am Leben des anderen geht – und das
                                                              später selbst zu einem    bedeutet im pädagogischen Bereich: ein ganzheitliches Anteil-
                                                                    wertschätzenden     nehmen am lebendigen Sein des jeweils individuellen Kindes
                                                                                        bzw. Jugendlichen.
                                                          Erwachsenen zu werden.“       Bei der Wertschätzung handelt es sich also um ein vielschich-
                                                                                        tiges Phänomen, das einer differenzierten Betrachtung bedarf.
                                                                                        Im pädagogischen Kontext kann Wertschätzung als eine positi-
                                                                                        ve erzieherische Grundhaltung verstanden werden, die sich in
                                                                                        anerkennenden, ermutigenden, achtungsvollen, förderlichen
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                                                                                        und gewaltfreien Handlungen von Lehr- und Erziehungsper-
                                                                                        sonen gegenüber jungen Menschen zeigt (Pfisterer 2019).
                                                                                        Mit respektlosen, diffamierenden oder gewaltsamen Erziehungs-
                                                                                        praktiken aus dem Repertoire der „Schwarzen Pädagogik“, wie

                       bildung & wissenschaft 11 / 2021                                                                                             13
Titelthema

                                                                                                                          „Wertschätzung wird
                                                                                                                           somit zu einer zentralen
                                                                                                                           und grundlegenden
                                                                                                                           pädagogischen Leitidee,
                                                                                                                           die der täglichen Arbeit
                                                                                                                           mit jungen Menschen
                                                                                                                           Maß und Richtung, Sinn
                                                                                                                           und Ziel geben kann.“
Foto: davidpereiras / photocase

                                  sie etwa Katharina Rutschky oder Alice Miller beschrieben            thematisieren und zu praktizieren. Angesichts der weltweiten
                                  haben, hat eine wertschätzende Pädagogik nichts gemein.              „Klimakrise“, die nicht nur durch die neuerlichen Umweltka-
                                  Wertschätzungspädagogik ist vielmehr geprägt von einer lie-          tastrophen, sondern auch durch die „Fridays for Future“-Bewe-
                                  bevollen und warmherzigen pädagogischen Atmosphäre, die              gung in den aktuellen Fokus des gesellschaftlichen Diskurses
                                  auf Vertrauen statt auf Strafe setzt. Sie ist gekennzeichnet durch   gerückt ist, liegen hier nicht unerhebliche Potenziale einer im
                                  einen sozial-integrativen Erziehungsstil, im Rahmen dessen alle      weitesten Sinne wertschätzenden Pädagogik.
                                  Kinder und Jugendlichen aktiv am Gemeinschaftsleben partizi-         Eine von Wertschätzung getragene Pädagogik ist gekennzeich-
                                  pieren können, wobei die Stimme jedes Einzelnen gehört wird.         net durch die unbedingte Achtung des Kindes, die nicht an
                                  Die Kinder lernen frühzeitig Möglichkeiten kennen, Streitig-         Voraussetzungen geknüpft ist. Als bedingungslose Wertschät-
                                  keiten und Konflikte gewaltfrei, fair und konstruktiv zu lösen.      zung der Person gilt sie allen Kindern und Jugendlichen in
                                  Demokratische Verhaltensweisen werden von Anfang an einge-           gleicher Weise – unabhängig von deren schulischer Leistung,
                                  übt – und somit in der pädagogischen Gemeinschaft erlebbar.          sozialer oder ethnischer Herkunft, kultureller oder religiöser
                                  Der Lehr- und Erziehungsperson kommt hierbei eine besonde-           Zugehörigkeit, geschlechtlicher Identität oder individueller
                                  re Verantwortung und Vorbildfunktion zu, denn Kinder lernen          Lebensform. Die Wertschätzung junger Menschen ist somit
                                  in hohem Maße am Modell.                                             nicht dem Belieben des einzelnen Erziehers oder der jewei-
                                  In einem weiteren Sinne ist Wertschätzung nicht nur eine             ligen Lehrerin anheimgestellt; sie kann vielmehr als eine zeit-
                                  erwünschte Haltung von Pädagog*innen, sondern auch ein Ziel          gemäße Grundhaltung verantwortungsvoller Pädagog*innen
                                  der Erziehung. So können Kinder und Jugendliche – angelei-           charakterisiert werden, die nicht zur Disposition steht.
                                  tet und begleitet von wertschätzenden Erwachsenen – wert-            Wertschätzung liegt in der unantastbaren Würde des Kindes
                                  schätzendes Verhalten im Schulalltag einüben und es in unter-        begründet; sie ist somit nicht verhandelbar. Der Pädagoge
                                  schiedlichen gesellschaftlichen Kontexten reflektieren. Hierbei      Janusz Korczak spricht bereits am Anfang des 20. Jahrhun-
                                  spielt nicht nur die soziale Dimension der Wertschätzung des         derts vom „Recht des Kindes auf Achtung“, das jedem jungen
                                  „Nächsten“ in der Lerngruppe eine wichtige Rolle, sondern            Menschen als das wichtigste und grundlegendste „Kinder-
                                  auch die globale Dimension der Wertschätzung gegenüber allen         recht“ unbedingt zusteht.
                                  Menschen der Weltgemeinschaft in ihrer sozialen, ethnischen          In diesem Sinne kann die Forderung nach Achtung und Wert-
                                  und kulturellen Vielfalt. Schließlich umfasst eine zeitgemäße        schätzung von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen
                                  Pädagogik der Wertschätzung auch die ökologische Dimension,          Handlungsfeldern umfassende Gültigkeit beanspruchen.
                                  wobei Kinder und Jugendliche aktiv unterstützt und ermutigt          Wertschätzung wird somit zu einer zentralen und grundlegen-
                                  werden, einen achtsamen und wertschätzenden Umgang mit               den pädagogischen Leitidee, die der täglichen Arbeit mit jun-
                                  den natürlichen Ressourcen der Erde in altergemäßer Weise zu         gen Menschen Maß und Richtung, Sinn und Ziel geben kann.

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Titelthema

Was zeichnet eine
wertschätzende Lehr- und Erziehungsperson aus?
Wenn man nun fragt, welche Kompetenzen es im Einzelnen
                                                                    …des pädagogischen Taktes
                                                                                                               5
                                                                    Der etwas antiquiert wirkende Begriff des „pädagogischen
sind, die wertschätzende Lehrer*innen und Erzieher*innen            Taktes“ hat bis heute nichts an Aktualität verloren, wenn es
auszeichnen, so lassen sich – auf der Basis einer gründlichen       darum geht, Kompetenzen wertschätzender Lehrpersonen
historischen und systematischen Analyse zum Thema „Päd-             zu beschreiben. Das situative Feingefühl von Pädagog*innen,
agogik der Wertschätzung“ (Pfisterer 2019) – 12 zentrale            das sich nur im jeweils einmaligen und nicht planbaren päd-
Aspekte eruieren, die in ihrem „Zusammenklang“ gleichsam            agogischen Augenblick entfalten kann, ist eine unverzichtbare
die „Kunst der pädagogischen Wertschätzung“ ausmachen:              Voraussetzung für gelebte Wertschätzung im Gruppen- oder

                                                                                                                   6
                                                                    Klassenraum.
DIE KUNST
…des Verstehens
                                   1
Ein ganzheitliches Verstehen von Kindern und Jugendlichen
                                                                    …der dialogischen Begegnung
                                                                    Die Begegnung zwischen einem „Ich“ und einem „Du“ kann
                                                                    – auch im pädagogischen Kontext – nur dann in wertschät-
mit allen Facetten ihres Seins ist ein wichtiger Aspekt einer von   zender Weise gelingen, wenn sie „auf Augenhöhe“ stattfin-
Wertschätzung getragenen Pädagogik. Nur Pädagog*innen,              det und den Charakter eines echten „Zwiegesprächs“ trägt.
die junge Menschen in ihrem biographischen Gewordensein,            Lehr- und Erziehungspersonen, die bereit sind, auch von Kin-
in ihrer individuellen Entwicklung und in ihren vielfältigen        dern etwas zu lernen, werden von diesen als wertschätzende
Lebenswelten gleichsam „mit Kopf und Herz“ verstehend               Pädagog*innen erlebt. Nur in einer gleichwertigen und dialo-
begleiten können, sind in der Lage, ihnen mit echter Wert-          gischen Begegnung mit jungen Menschen kann eine Pädago-

                                   2                                                                                    7
schätzung zu begegnen.                                              gik der Wertschätzung sich entfalten.

…der Einfühlung                                                     …der vertrauensvollen Beziehung
Die Fähigkeit, sich in junge Menschen einzufühlen und ihre          Es ist allseits bekannt und vielfach erforscht, dass das Vertrau-
Denk-, Verhaltens- und Empfindungsweisen angemessen                 ensverhältnis zwischen Lehr- bzw. Erziehungspersonen und
wahrzunehmen, zu antizipieren und zu reflektieren, ist eine         Kindern bzw. Jugendlichen eine wesentliche, ja unverzichtbare
wichtige Voraussetzung für eine wertschätzende Pädago-              Grundlage jeglichen pädagogischen Handelns bildet. Für eine
gik. Nur empathisch mitfühlende Pädagog*innen sind der              von Wertschätzung geprägte Pädagogik gilt dies in besonde-
anspruchsvollen Aufgabe gewachsen, Kinder und Jugendliche           rer Weise, da nur auf der Basis des wechselseitigen Vertrau-
wertschätzend auf ihrem Weg ins Leben zu begleiten. Rein            ens positive Lern- und Entwicklungsprozesse bei jungen Men-

                                                                                                                              8
kognitive „Wissensvermittler*innen“ ohne Empathie werden            schen angeregt und gefördert werden können.
kaum imstande sein, jungen Menschen diejenige Wertschät-
zung entgegenzubringen, die sie für ihre ganzheitliche Ent-         …der wertschätzenden Kommunikation

                                   3
wicklung so dringend benötigen.
                                                                    Lehr- und Erziehungspersonen, die ihren Schüler*innen gegen-
…der Authentizität                                                  über ein bewusstes, reflektiertes, klares und nicht von Abwer-
                                                                    tung geprägtes Kommunikationsverhalten zeigen, haben gute
Kinder und Jugendliche spüren sehr genau, ob eine Lehr- und         Chancen, als wertschätzende Pädagog*innen wahrgenommen
Erziehungsperson authentisch ist – oder ob sie eine „professio-     zu werden. Darüber hinaus dienen sie Kindern und Jugendli-
nelle“ Maske vor sich herträgt. Kinder wollen echten, lebendigen    chen als Modell für ein kommunikativ wertschätzendes Mitei-
und aufrichtigen Menschen begegnen – keinen unnahbaren oder         nander. Insofern kann wertschätzende Kommunikation als ein
unbeteiligten „Stoffvermittler*innen“. Im Sinne der Vertrauens-     wesentlicher Bestandteil pädagogischer Wertschätzungskunst

                                                                                                     9
bildung und der Vorbildwirkung ist es unerlässlich, dass junge      betrachtet werden.
Menschen in ihren Bildungseinrichtungen wahrhaftige, offene
und authentische Erwachsene erleben. So können Kinder Wert-         …des Anteilnehmens

                                   4
schätzung empfinden – und diese Haltung selbst entwickeln.
                                                                    Das Anteilnehmen am Leben von Kindern und Jugendlichen
…der Achtsamkeit                                                    ist ein wesentliches Merkmal einer wertschätzenden Pädago-
                                                                    gik. Dies setzt seitens der Lehr- und Erziehungsperson voraus,
Achtsamkeit ist eine pädagogische Tugend, die in unserer von        dass sie ein echtes Interesse an den Lebenswelten, aber auch
Unruhe, Lärm, Stress und Hektik geprägten Zeit geradezu             an den Denk- und Empfindungsweisen der jungen Menschen
eine dringende Notwendigkeit darstellt. Eine wertschätzende         entwickelt. Allen Selbstmitteilungen von Kindern und Jugend-
Lehr- und Erziehungsperson, die sich darin übt, in allem Tru-       lichen begegnet eine wertschätzende Pädagog*in mit grund-
bel des pädagogischen Alltags die innere Ruhe zu bewahren           sätzlicher Offenheit und ganzheitlichem Anteilnehmen.
und achtsam zu handeln, ist zweifellos für heutige Kinder und
Jugendliche ein positives Modell, an dem sie sich nachhaltig
orientieren können.

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Titelthema

…des Wohlwollens           10
Mit dem Terminus des pädagogischen Wohlwollens ist eine
                                                                   Wenn man sich diese Liste pädagogischer Tugenden anschaut,
                                                                   die zentrale Aspekte von „Wertschätzungskompetenz“ beschrei-
                                                                   ben, kann einen unter Umständen das Gefühl beschleichen,
Qualität der Herzensgüte und der Großzügigkeit Kindern             dass man einem solch hohen Anspruch als Lehrer*in bzw. als
und Jugendlichen gegenüber gemeint, die eine wertschätzende        Erzieher*in doch niemals gerecht werden kann. Hierzu ist
Lehr- und Erziehungsperson in sich entwickeln kann. Pedan-         zunächst anzumerken, dass wohl die allermeisten professionel-
terie und Rechthaberei von Erwachsenen haben im Rahmen             len Pädagog*innen die o. g. „Künste“ bereits bei der täglichen
einer wertschätzenden Pädagogik keinen Raum. Vielmehr              Arbeit mit jungen Menschen in einem nicht unerheblichen
muss es stets darum gehen, junge Menschen nicht für ihre           Maße praktizieren. Wäre dem nicht so, so wären viele in dieser
Fehler zu tadeln, sondern sie in ihren Stärken anzuerkennen        anspruchsvollen Profession vermutlich längst gescheitert.

                                     11
und in ihren Potenzialen zu fördern.                               Es gilt also zunächst, auch sich selbst gegenüber in wertschät-
                                                                   zender Weise anzuerkennen, was man bereits im täglichen
…des Humors                                                        Miteinander mit den Kindern und Jugendlichen an „pädago-
                                                                   gischer Wertschätzungskompetenz“ erworben hat. Eine kri-
Es gibt wohl kaum eine unpädagogischere Eigenschaft von            tisch-wertschätzende Selbstreflexion, im Idealfall unterstützt
Lehr- und Erziehungspersonen als fehlender Humor. Schon            durch das offen-wertschätzende Feedback einer vertrauten
die „Klassiker“ der Pädagogik haben darauf hingewiesen,            Kollegin oder eines geschätzten Kollegen, könnte darüber hin-
dass überstrenge, verbissene, allzu trockene oder gar humor-       aus helfen, die „blinden Flecken“ der eigenen Persönlichkeit
lose Pädagog*innen nicht nur die Motivation, sondern auch          auszuloten und achtsam anzuschauen, bei denen noch ein
die Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Kindern und           gewisser Entwicklungsbedarf in puncto Wertschätzungskom-
Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigen können. Wer nicht          petenz vorhanden ist.
ab und zu herzhaft mit seiner Klasse oder mit seiner Kinder-       Außerdem besteht die Möglichkeit, an personenzentrierten
gruppe lachen kann – nicht zuletzt über sich selbst – der sollte   Fortbildungsangeboten teilzunehmen, die nicht nur den „Kopf “

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ernsthaft überlegen, ob er den richtigen Beruf gewählt hat.        bilden, sondern Räume einer ganzheitlichen Persönlichkeits-
                                                                   entwicklung eröffnen. Dabei können positive und noch unbe-
…der Gelassenheit                                                  leuchtete Aspekte der eigenen Lehr- bzw. Erzieherpersönlichkeit
                                                                   entdeckt und in geschütztem Rahmen weiterentwickelt werden.
In früheren Zeiten wurde die Kunst der Gelassenheit vor            Hier leisten Weiterbildungen, z. B. aus dem Bereich der „The-
allem älteren Pädagog*innen zugeschrieben, die ausreichend         menzentrierten Interaktion“ oder der „Gestaltpädagogik“, ver-
Erfahrung und Weisheit gesammelt hatten, um sich nicht von         mutlich gute Dienste; aber auch regelmäßige Lehrer*innen-
den Wogen des pädagogischen Alltags aus der inneren Balan-         Coachinggruppen, etwa nach dem „Freiburger Modell“, können
ce bringen zu lassen. Es bleibt wohl eine lebenslange Aufga-       dabei zweifellos hilfreich und unterstützend sein.
be, sich diese pädagogische Gelassenheit zum Wohle jun-
ger Menschen immer wieder neu anzueignen, damit Kinder             Warum wird Wertschätzung
und Jugendliche nicht von unkontrollierten „Gefühlstiraden“        als eine pädagogische Kunst bezeichnet?
Erwachsener überrollt werden, sondern echte Wertschätzung          Vielleicht mag sich der eine oder die andere Leser*in fragen, wes-
in allen Lebenslagen erfahren können.                              halb im Kontext pädagogischer Wertschätzung von einer „Kunst
                                                                   der Wertschätzung“ gesprochen wird. Die Frage, ob Erziehung
                                                                   eher dem Bereich der „Kunst“ oder vornehmlich demjenigen
                                                                   der „Wissenschaft“ zuzuordnen ist, kann hier nicht erschöpfend
                                                                   erörtert werden. Es sei den-
                                                                   noch daran erinnert, dass „Die Aneignung der
                                                                   insbesondere zur Zeit der          ‚Wertschätzungskunst‘
                                                                   Reformpädagogik im frühen          ist eine lebenslange
                                                                   20. Jahrhundert dem Topos
                                                                   vom „Lehrer als Künst-
                                                                                                      Aufgabe und Heraus-
                                                                   ler“ eine zentrale Bedeu-          forderung für Lehr- und
                                                                   tung zugesprochen wurde.           Erziehungspersonen,
                                                                   So stellt etwa Georg Ker-          die das Recht des Kindes
                                                                   schensteiner fest, dass ein        auf Achtung und sein
                                                                   guter Lehrer in der Gestal-        existentielles Bedürfnis
                                                                   tung seines Unterrichts etwas
                                                                   vom „gestaltenden Künstler“
                                                                                                      nach Wertschätzung
                                                                   an sich hat, der gleichsam         ernst nehmen.“
                                                                   aus dem Lebendigen schöpft
                                                                   und die jungen Menschen in diesen kreativen Prozess mit ein-
                                                                   bezieht. Dieses reformpädagogische Ideal wurde in der histo-
                                                                   rischen Realität von Erziehung und Bildung bei weitem nicht
                                                                   erreicht, wovon die seit Jahrhunderten nicht verstummende

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Titelthema

                                                                                            Joseph Beuys zu Recht konstatiert,
                                                                                            dass „jeder Mensch ein Künstler“
                                                                                            ist. Die Einübung in eine Kunst
                                                                                            fordert nicht nur den Einsatz
                                                                                            der intellektuellen Kräfte, son-
                                                                                            dern den ganzen Menschen mit
                                                                                            allen seinen seelisch-geistigen,
                                                                                            intuitiv-kreativen und praktisch-
                                                                                            sozialen Fähigkeiten. Insofern ist
                                                                                            auch die „Kunst der Wertschät-
                                                                                            zung“ nichts, das etwa in einem
                                                                                            pädagogischen „Schnellkurs“ zu
                                                                                            erlernen wäre. Die Aneignung der
                                                                                            „Wertschätzungskunst“ ist viel-
                                                                                            mehr eine lebenslange Aufgabe
                                                                                            und Herausforderung für Lehr-
                                                                                            und Erziehungspersonen, die das
                                                                                            Recht des Kindes auf Achtung
                                                                                            und sein existentielles Bedürfnis
                                                                                            nach Wertschätzung ernst neh-
                                                                                            men – und es ins Zentrum ihrer
                                                                                            pädagogischen Bemühungen stel-
                                                                                            len. So bedarf die Kunst der päda-
                                                                                            gogischen Wertschätzung der täg-
Foto: master1305 / iStcok

                                                                                            lichen Einübung und Ausübung,
                                                                                            wenn sie wirksam werden soll.

                                                                                             Wie kann eine wertschätzende
                                                                                             pädagogische Institution
                                                                                             gestaltet werden?
                                                                                             Es liegt auf der Hand, dass nicht
                            „Schulkritik“ ein beredtes         nur einzelne Lehr- und Erziehungspersonen in der Lage sind,
                            Zeugnis ablegt (Pfisterer 2003).   Wertschätzung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu
                            Dass pädagogische Wertschät-       praktizieren. Vielmehr können sich auch ganze pädagogische
                            zung keinesfalls selbstver-        Institutionen auf den Weg machen, sich zu einer „wertschät-
                            ständlich ist und ihr Fehlen       zenden Organisation“ weiterzuentwickeln. Dass dieser Prozess
                            in der Geschichte der Päd-         langfristige Planungen und Zielsetzungen erfordert, ist unmit-
                            agogik vielfach zu Recht           telbar einleuchtend. Es ist hier nicht der Raum, diese organisa-
                            beklagt wurde, ist eine Tatsa-     tionsbezogenen Entwicklungsprozesse ausführlich darzustel-
                            che, die in neueren empiri-        len; es sei jedoch darauf hingewiesen, dass konkrete Schritte
                            schen Studien – auch mit Blick     und Möglichkeiten hierzu in dem Buch „Pädagogik der Wert-
                            auf die Schulen der Gegen-         schätzung“ detailliert und umfassend erläutert werden (Pfis-
                            wart – ihre Bestätigung gefun-     terer 2019).
                            den hat. Insofern besteht die      Wertschätzung kann somit – etwa im Rahmen von Schulent-
                            zeitgemäße Kunst der pädago-       wicklungsprozessen – auch zu einer übergeordneten Leitidee
                            gischen Wertschätzung auch         werden, welche die gesamte Schulkultur prägt. So wird Wert-
                            darin, tradierte Praktiken von     schätzung nicht nur in vielfältiger Weise im Unterricht thema-
                            „Nicht-Wertschätzung“ in pä-       tisiert und im Schulalltag erlebt, sondern kann auch zu einem
                            dagogischen       Institutionen    sozialen Gestaltungsprinzip in der Kommunikation aller am
                            bewusst zu überwinden – und        Schulleben beteiligten Personen und Gruppen werden, die
                            als Lehrkraft des 21. Jahrhun-     der Institution angehören. Bei institutionellen Entwicklungs-
                            derts wertschätzendes Verhal-      prozessen in Richtung auf eine „wertschätzende Organisation“
                            ten bestmöglich zu realisieren.    ist es unbedingt erforderlich, die Betroffenen zu Beteiligten zu
                            Eine Kunst – auch die „Kunst       machen – und das heißt: jede Stimme zu hören und sie wert-
                            der Wertschätzung“ – ist etwas,    schätzend einzubeziehen. Hierbei spielt die gemeinsam entwi-
                            das jeder Mensch prinzipiell       ckelte pädagogische „Vision“ aller Mitarbeiter*innen der jewei-
                            erlernen und einüben kann.         ligen Institution eine entscheidende Rolle für das Gelingen.
                            Schon Kinder können Küns-          Die Realisierung einer „wertschätzenden pädagogischen Orga-
                            tler*innen sein – und so hat       nisation“ ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die das Engagement

                                                                                                                            17
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