Lernen Individuell zum Erfolg Apprendre Une démarche complexe
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Lernen Individuell zum Erfolg Apprendre Une démarche complexe Weiterbildungssystem Vision und Ziele Formation postgrade Missions et buts www.psychologie.ch Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP Fédération Suisse des Psychologues FSP Federazione Svizzera delle Psicologhe e degli Psicologi FSP 1-2/2012 vol. 33 Titel.indd 1 26.01.12 21:02
Impressum Inhalt/Sommaire Psychoscope 1-2/2012 Psychoscope ist die Zeitschrift der Föderation Dossier der Schweizer Psychologinnen und Psycholo- gen (FSP). Lebenslanges Lernen Psychoscope est le magazine de la Von Egon Werlen und Per Bergamin 4 Fédération Suisse des Psychologues (FSP). Förderung mal anders Psychoscope è la rivista della Von Karin Thalmann 8 Federazione Svizzera delle Psicologhe e degli Psicologi (FSP). Compétences numériques et dyscalculie Redaktion/Rédaction/Redazione Par Pierre Zwicky 12 Vadim Frosio, redaction@fsp.psychologie.ch Meglio prima... Simone Eberhart, redaktion@fsp.psychologie.ch Da Dieter Schürch 16 Redaktionskommission/Commission de rédaction/Comitato di redazione Carla Lanini-Jauch, lic. phil. (Präsidentin/ Les articles signés reflètent l’opinion de leurs auteur(e)s Présidente/Presidente) Die Artikel stellen die Meinung der Autoren/Autorinnen dar Michela Elzi Silberschmidt, lic. phil. Rafael Millan, Dr psych. Susy Signer-Fischer, lic. phil. Hans Menning, Dipl.-Psych., Dr. rer. medic. Redaktionsadresse/Adresse de la rédaction/ Vorstand / Comité / Comitato 20 Indirizzo della redazione Choisystrasse 11, Postfach, 3000 Bern 14 Tel. 031 388 88 28, Fax 031 388 88 01 PsyG praktisch / La LPsy en pratique Tel. 031 388 88 00 (FSP-Sekretariat) E-Mail: psychoscope@fsp.psychologie.ch PsyG und Praxisbewilligung 22 Internet: www.psychologie.ch LPsy et autorisation de pratiquer 24 Abonnemente/Abonnements/Abbonamenti Christian Wyniger Choisystrasse 11, Postfach, 3000 Bern 14, FSP aktuell / Actu FSP Tel. 031 388 88 28, Fax 031 88 88 01 Qualitative Konturen der Weiterbildung 26 Inserate/annonces/annunci Stämpfli Publikationen AG, Postfach 8326, Vision für ein neues Weiterbildungssystem 27 3001 Bern, Tel. 031 300 63 83, Meilensteine der Psychotherapie 28 Fax 031 300 63 90, inserate@staempfli.com Kurzmeldungen 29 Auflage/Tirage/Tiratura Psychothérapie: les grands chantiers 31 6863 (WEMF beglaubigt) Erscheinungsweise/Mode de parution/ Nouveau cursus FSP 31 Pubblicazione La formation postgrade et ses contours qualitatifs 32 10 mal jährlich/10 fois par année/10 volte l’anno Les lignes directrices du nouveau système 33 Insertionsschluss/Délai pour les annonces/ En bref 34 Termine d’inserzione der 10. des vorangehenden Monats/le 10 du mois précédent/il 10 del mese precedente Grafisches Konzept/Conception graphique/ Concezione grafica Panorama 35 PLURIAL VISION (www.plurialvision.ch) graphic design & communication, Fribourg Layout/Mise en page/Impaginazione Vadim Frosio Simone Eberhart Agenda 37 Druck/Impression/Stampa Stämpfli Publikationen AG, 3001 Bern Jahresabonnement/Abonnement annuel/ Abbonamento annuale Fr. 85.– (Studierende/Etudiants/Studenti Fr. 48.–) Der Abonnementspreis ist im Jahresbeitrag der FSP-Mitglieder eingeschlossen. L’abonnement est inclus dans la cotisation annuelle des membres FSP. Il prezzo dell’abbonamento é incluso nella quota annuale dei membri FSP Insertionspreise/Tarif des annonces/Inserzioni 1 Seite/page/pagina Fr. 2100.– 1/2 Seite/page/pagina Fr. 1150.– 1/3 Seite/page/pagina Fr. 830.– 1/4 Seite/page/pagina Fr. 670.– Copyright: FSP ISSN-Nr.: 1420-620X Titelbild/Photo de coutverture: © Andrey Kiselev – Fotolia.com Editorial_neu.indd 2 26.01.12 20:42
Editorial Simone Eberhart Deutschsprachige Redaktion Was Hänschen nicht lernt... Ce que Zazie n’apprend pas… Ob jung oder alt, normal- oder hochintelligent: Neue Qu’on soit jeune ou vieux, normalement ou exception- Kommunikationstechniken und die zunehmende nellement intelligent, les nouvelles techniques de com- Globalisierung erfordern viel Informationsmanagement munication et la globalisation croissante exigent de tou- – eine Herausforderung, die nur durch permanentes jours mieux gérer l’information, condition qui ne sera Dazulernen bewältigt werden kann. Doch was heisst remplie que si l’on ne cesse jamais d’apprendre. Mais que das eigentlich genau, «lernen»? Welche Faktoren signifie vraiment «apprendre» ? Quels facteurs jouent spielen in diesem Prozess eine Rolle? Und: Gelten für un rôle dans ce processus ? Et les règles sont-elles les alle dieselben Regeln? mêmes pour tout le monde ? Vier Fachpersonen versuchen Ihnen unterschiedliche Quatre spécialistes tentent d’aborder ce sujet sous dif- Aspekte zu diesem Thema näherzubringen. férents angles. Egon Werlen, Psychologe FSP, und Per Bergamin, Egon Werlen, psychologue FSP, et Per Bergamin, spé- Fernstudien- und E-Learning-Didaktiker, beleuchten cialiste de l’enseignement à distance, apportent leur eine wichtige Voraussetzung für die Lernentwicklung: éclairage sur une démarche importante pour qui veut selbstreguliertes Lernen. Entscheidend hierbei ist, dass apprendre et développer ses facultés cognitives: l’ap- die Grundlagen dazu schon im Kindes- und Jugendal- prentissage autorégulé. Le meilleur gage de succès est ter gelegt werden. Karin Thalmann-Hereth, Psycholo- d’en poser les bases dès l’enfance et l’adolescence. gin FSP, fokussiert in ihrem Artikel auf hochintelligen- Karin Thalmann-Hereth, psychologue FSP, s’intéresse te Kinder, indem sie das Zusammenspiel von dans son article aux enfants surdoués en décrivant l’in- Hochbegabung, Hochleistung und leistungsbezogenen teraction entre haut potentiel, haute performance et Kognitionen beschreibt und die Bedeutung von sozial- rendement cognitif et en soulignant l’importance de la emotionaler Förderung deutlich macht. Zudem berich- stimulation socio-émotionnelle. Elle présente en outre tet sie von ihrem eigenen Förderungskonzept, das sie in son propre concept de stimulation, qu’elle a déjà mis en Kursen mit Fünf- bis Neunjährigen bereits anwandte. œuvre dans des cours avec enfants de 5 à 9 ans. Pierre Zwicky, Psychologe FSP, stellt in seinem Beitrag Pierre Zwicky, psychologue FSP, aborde de son côté un einen florierenden Forschungsbereich vor, der Rechnen domaine de recherche florissant, qui envisage le calcul als neurokognitive Funktion sieht. Denken und Ge- en tant que fonction neurocognitive, jetant une lumière hirnfunktion rücken so in ein neues Licht. Weiter zeigt nouvelle sur l’élaboration de la pensée et le fonctionne- der Verfasser, dass die Intuition auch beim Umgang mit ment du cerveau. L’auteur montre aussi l’importance de Zahlen wichtig sein kann. l’intuition dans le rapport que nous entretenons avec Der FSP-Psychologe Dieter Schürch erläutert anhand les nombres. in der Schweiz durchgeführter Studien, dass es der Enfin, s’appuyant sur des études menées en Suisse, le Schule nicht gelingt, allen Schülern die gleichen psychologue FSP Dieter Schürch se demande pourquoi Lernmöglichkeiten zu bieten, und wovon es abhängt, l’école peine tant à offrir à tous les élèves les mêmes ob Bildung erfolgreich ist. possibilités d’apprendre et il s’interroge sur les raisons qui font le succès, ou l’échec, d’un enseignement. Editorial_neu.indd 3 26.01.12 20:42
Dossier 4 Lernen PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Lernen Lebens- ??? langes X-X/200X Lernen Die Rolle der Selbstregulation Für den Psychologen FSP Egon Werlen und den Fernstudien- und E-Learning- Didaktiker Per Bergamin bildet selbstre- guliertes Lernen eine wichtige Voraus- setzung, um die eigene Lernentwicklung in den verschiedenen Lebensphasen gestalten zu können. Die Basis dazu wird schon im Kindes- und Jugendalter gelegt. Die soziale, schulische und berufliche Welt entwickelt sich in unserer Informations- und Wissensgesellschaft rasant weiter. Besonders soziale und technische Verän- derungen schreiten in einem immer schneller werden- den Rhythmus fort. Daher wird stetig von uns verlangt, Neues zu lernen, umzulernen und sich selbst weiterzu- entwickeln. Das hat zur Folge, dass wir während unse- res ganzen Lebens immer wieder «die Schulbank drü- cken müssen». In den letzten Jahrzehnten hat sich ein riesiger, immer noch wachsender Aus- und Weiterbil- dungsmarkt entwickelt. Gemäss dem Bericht von Gae- tan Bernier und Mitarbeitern aus dem Jahr 2010 mit den neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik be- teiligten sich 2009 in der Schweiz zirka 80 Prozent der 25- bis 64-Jährigen an diesem Markt. Allerdings ist die Art und Weise dieses Mitwirkens sehr unterschiedlich. Sie reicht von rein informellen Lernangeboten über eintägige Seminare bis hin zu längeren Kursen. Zu- dem besteht weiterhin ein gesellschaftlicher Bildungs- graben. So haben im selben Erhebungszeitraum fast 01_Dossier_Werlen.indd 4 26.01.12 20:46
Foto: © Woodapple – Fotolia.com 5 70 Prozent der Personen, die über eine Ausbildung der den, auf die Handlungen folgen können. Im Kontext Tertiärstufe verfügen, an einer nichtformalen Weiter- des Lernens spricht man heute von selbstreguliertem bildungsaktivität teilgenommen, während die Quote Lernen (SRL). Der Philosoph Malcolm Knowles bei den Personen ohne nachobligatorische Ausbildung (1913–1997) schrieb bereits 1975, die selbstständige unter 20 Prozent liegt. Zieht man lebenslanges Lernen Regulation des Lernens liege darin, dass die Lernenden als sämtliche im Verlaufe des Lebens unternommene a) die Initiative übernehmen, b) mit oder ohne Hilfe Bildungsaktivitäten einer Person zur Verbesserung von anderer ihre eigenen Lernbedürfnisse und -ziele analy- Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen – Zahlen sieren und c) entsprechende Lernmöglichkeiten mit eines erläuternden Berichts des Eidgenössischen Volks- anderen Menschen oder Materialien identifizieren. wirtschaftsdepartements – in diese Betrachtung mit Das sei nötig, um angemessene Lernstrategien anzu- ein, lässt sich eine Verstärkung der Differenz zwischen wenden sowie die eigenen Lernresultate zu evaluieren. diesen gesellschaftlichen Bildungsgruppen leicht vor- stellen. Ein überwiegender Teil des lebenslangen Ler- Zusammenspiel verschiedener Faktoren nens besteht zudem aus nichtformaler Bildung, die im- Dieses komplexe Lernverhaltensmuster kann durchaus mer mehr über die Nutzung neuer Informations- und als eine Schlüsselkompetenz zum lebenslangen Ler- Kommunikationstechnologien erfolgt. Hier sind Stich- nen betrachtet werden. Je nach Altersphase hat die- worte wie «E-Learning», «blended Learning» oder «mo- se Form der Selbstregulation einen mehr oder weni- biles Lernen» zu nennen. Gerade der Einsatz dieser ger wichtigen Einfluss auf die Aus- und Weiterbildung. neuen Medienträger verlangt bestimmte Lernkompe- Eine weitere wichtige Perspektive bringt das sozial-ko- tenzen, die sich von den ursprünglichen traditionellen gnitive Modell des Psychologen Barry Zimmerman von Lernformen unterscheiden. Der Psychologe Matthew der City University of New York aus dem Jahr 1990 ein. Bernacki von der University of Pittsburgh und Kolle- Es lenkt den Blick auf die Interaktionen zwischen der gen untersuchten 2010 zum Beispiel Lernen im Um- Person (zum Beispiel Glaube an den Erfolg), deren Ver- feld von E-Learning. Sie folgerten aus ihren Arbeiten halten (etwa Einsatz für eine Aufgabe) und deren Um- unter anderem: Um in einer entsprechenden Lernum- welt (beispielsweise Rückmeldungen von einer Lehr- gebung gute Lernleistungen zu erhalten, sei es sinnvoll, person). Im Sinne der drei Verhaltenskomponenten den Lernenden zuvor beizubringen, wie man E-Lear- Selbstbeobachtung, Selbstbeurteilung und Selbstreak- ning betreibt. Die Autoren fordern ausserdem, ver- tion zielt effizientes selbstreguliertes Lernen darauf ab, mehrt auch in den unteren Schulstufen und in allen dass die lernende Person ihren Fortschritt im Hinblick Fächern den Umgang mit diesen neuen Lernformen auf ein Lernziel reflektiert und ihre Lernhandlungen und die dazu notwendigen Fähigkeiten für selbstregu- anpasst. Das ist Voraussetzung, damit eine möglichst liertes Lernen zu fördern. Im bereits erwähnten erläu- gute Leistung erreicht werden kann. Allerdings ist fest- ternden Bericht über das geplante «Bundesgesetz über zuhalten, dass persönliche oder Umgebungscharakte- die Weiterbildung» wird zudem gewünscht, dass zu- ristiken keinen direkt nachweisbaren beziehungswei- nehmend auch bei «bildungsfernen» Gruppen die Kom- se starken Einfluss auf die Lernleistung haben. Dieser petenz und Motivation entwickelt wird, ihr eigenes wird gemäss dem 2005 erschienenen Artikel der Psy- Lernen zu regulieren. chologinnen Monique Boekaerts von der Leiden Uni- versity (Niederlande) und Lyn Corno von der Colum- Selbstregulation und Lernen bia University (New York) über die Selbstregulation Der kanadische Psychologe Albert Bandura entwickel- vermittelt. Versucht man eine zeitliche Komponente in te 1991 innerhalb seiner bekannten sozial-kognitiven die Betrachtungen des selbstregulierten Lernens ein- Lerntheorie im Grundsatz ein Konzept der Selbstregu- zubeziehen, lässt sich das allgemeine Rahmenkonzept lation: Eine Person setzt sich Ziele, die zu Motiven wer- des amerikanischen Psychologen Paul Pintrich (1953– 01_Dossier_Werlen.indd 5 26.01.12 20:46
2003) aus dem Jahr 2000 übernehmen. Er beruft sich ner von der Goethe-Universität in Frankfurt publizier- 6 auf Arbeiten von Zimmerman und unterscheidet vier ten 2008 in einer interessanten Metaanalyse Resultate nacheinander ablaufende, sich aber auch wiederholen- zu Studien aus 49 Primarschulen und 35 Sekundar- PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Lernen de Phasen: 1. Voraussicht, Planung und Aktivierung, schulen, in denen Schüler und Schülerinnen in selbst- 2. Überwachung, 3. Kontrolle und 4. Reaktionen und reguliertem Lernen (kognitive, metakognitive und mo- Reflexionen. Obwohl diese vier Phasen eine zeitli- tivationale Lernstrategien) trainiert wurden. Es zeigte che Abfolge einer Aktivität, zum Beispiel eines Lern- sich, dass Schüler und Schülerinnen der Primarschu- vorgangs, darstellen, bedeutet das nicht, dass sie hi- le mehr von Anleitungen zu kognitiven Lernstrategien, erarchisch geordnet sind oder immer in derselben in der Sekundarschule mehr von Anleitungen zu mo- Reihenfolge ablaufen müssen. Bei der konkreten tivationalen und metakognitiven Lernstrategien profi- Selbstregulation verlaufen die drei letztgenannten Pha- tierten. Alle drei Strategiearten liefern einen massgeb- sen Überwachung, Kontrolle und Reaktionen dyna- lichen Beitrag zur erfolgreichen Selbstregulation. Der misch und zyklisch, das heisst, sie beeinflussen sich Psychologe Scott Paris, heute am National Institute gegenseitig. So können beispielsweise die Ziele und Plä- of Education (Singapur), und seine Arbeitsgruppe ar- ne der Planungsphase in Abhängigkeit der drei letzten gumentierten 2001, dass das selbstregulierte Lernen Phasen überarbeitet oder geändert werden. Zudem un- Teil der Entwicklung des Individuums in einer Grup- terscheidet dieses Rahmenkonzept vier Regulationsbe- pe ist. Das heisst, es gibt Einflüsse von anderen wie reiche: Kognition, Motivation/Emotion, Verhalten und auch von der Person selbst. Sie zitieren in ihrer Unter- Kontext. Die drei erstgenannten bilden die traditionel- suchung Forschungsergebnisse, wonach Kinder in den len Bereiche des Funktionierens des Menschen in vie- ersten Schuljahren sehr positive Überzeugungen über len psychologischen Ansätzen. Aus theoretischer Sicht, ihre Kompetenzen haben. Diese werden ab dem dritten aber auch aus der praktischen Erfahrung heraus sollten Schuljahr schwächer. Viele Schülerinnen und Schü- diese Funktionen reguliert werden, damit eine nachhal- ler beginnen dann ihre Fähigkeiten zu unterschätzen. tige Änderung von Lernstrategien eintritt. Der vierte Allgemein haben Selbsteinschätzungen bis zum dritten Bereich – Kontext – repräsentiert verschiedene Aspekte oder vierten Schuljahr keinen Zusammenhang mit dem der Lernumgebung, wie den Klassenraum, Lehrende, Alter und bis zum fünften Schuljahr keinen Zusam- Lernmaterialien, Lerngeräte, Aufgabentypen und so menhang mit den Schulnoten. weiter. In einigen Ansätzen des selbstregulierten Ler- nens wird der gegenseitige Einfluss von Lernumgebung Die Macht des Kontrollgefühls und lernender Person nicht genügend berücksichtigt. Zusammengefasst lässt sich postulieren: Kinder neh- So ermöglicht etwa eine technologisch erweiterte Lern- men in den ersten Schuljahren eher an, sie würden al- umgebung – indem sie neben dem klassischen Unter- lein durch Anstrengung ihre Fähigkeiten verbessern. richt Lernmaterialien zum Üben und Testen auf einem Das schützt sie unter anderem vor negativen Selbstbe- Server bereitstellt – schon einiges mehr an zeitlicher wertungen, die selbstreguliertes Lernen negativ beein- Flexibilität als reiner Unterricht im Schulzimmer. flussen. Mit zunehmenden normativen und öffentli- Der emeritierte deutsche Professor für Schulpädago- chen Bewertungen mehren sich die Gelegenheiten zu gik Hilbert Meyer fasste selbstreguliertes Lernen 2007 sozialen Vergleichen und ersetzen die Anstrengung als kurz als «die Fähigkeit und Bereitschaft [zusammen], Grundlage der wahrgenommenen Fähigkeiten. Zu ei- die eigene Lernarbeit selbstständig vorzubereiten, ge- nem späteren Zeitpunkt wird das Urteil situationsab- eignete Lernstrategien zu aktivieren, die Arbeit zu kon- hängiger, persönlicher und heterogener, je nachdem, trollieren und zu bewerten». wie Fähigkeiten und Anstrengung differenziert werden. Paris und Kollegen gehen davon aus, dass Kinder im Metakognitive Strategien Laufe ihrer Sozialisation über ihre Umwelt Überzeu- Auf seiner Internetseite schreibt Pintrich, selbstregu- gungen über die Kontrolle konstruieren. Damit Schü- liertes Lernen sei ein komplexer Vorgang. Die sozial-ko- ler und Schülerinnen unabhängig Ziele auswählen gnitive kindliche Entwicklung lässt einige der wichtigs- können und die Motivation besitzen, diese zu verfol- ten Strategien der Selbstregulation erst zwischen dem gen, braucht es eine starke Überzeugung, dass sie ihre dritten und sechsten Schuljahr zu. Aufgrund der allge- Handlungen kontrollieren können. Das Wissen um die meinen Veränderungen in der kognitiven Entwicklung Möglichkeit der eigenen selbstständigen Kontrolle und kann davon ausgegangen werden, dass ein grosser Teil die Gewissheit der Selbstwirksamkeit sind unabdingba- der Entwicklung der Selbstregulation erst in der Ado- re Voraussetzungen für den Einsatz von selbstregulier- leszenz stattfindet. tem Verhalten. Zimmerman führte 2001 drei grund- Die Psychologin Charlotte Dignath von der Gutenberg sätzliche Gründe für das spätere «Nichtfunktionieren» Universität Mainz und der Psychologe Gerhard Bütt- der Selbstregulation des Lernens im Erwachsenenalter 01_Dossier_Werlen.indd 6 26.01.12 20:46
auf: a) Die Schüler glauben nicht, dass ein Prozess der Literatur Selbstregulation funktioniert, notwendig oder sinnvoll Bandura, A. (1991). Social-Cognitive Theory of Self-Regu- 7 lation. Organizational Behavior and Human Decision Pro- ist, b) sie glauben nicht, dass sie die Selbstregulation cesses, 50(2), 248–287. erfolgreich anwenden können, oder c) sie finden ein be- stimmtes Lernziel zu wenig erstrebenswert. In unserem Bernacki, M. L., Aguilar, A. C., & Byrnes, J. P. (2010). Self- Kontext ist das einer der Gründe für die Absenz der Regulated Learning and Technology-Enhanced Learning Selbstregulation in einem lebenslangen Lernprozess. Environments: An Opportunity-Propensity Analysis. In G. Dettori & D. Persico (Hrsg.), Fostering Self-Regulated Learning through ICT. Hershey: IGI Global. Bedingungen für selbstreguliertes Lernen Damit selbstreguliertes Lernen stattfindet, müssen so- Boekaerts, M., & Corno, L. (2005). Self-Regulation in the wohl Voraussetzungen in der Lernumgebung als auch Classroom: A Perspective on Assessment and Interventi- persönliche Voraussetzungen gegeben sein. Diesen on. Applied Psychology, 54, 199–231. grundlegenden Gedanken vertreten Bernacki und Kol- Pintrich, P. R. (2000). The Role of Goal Orientation in Self- legen in ihrem Kapitel aus dem Jahr 2010. Auf der Um- Regulated Learning. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich & M. gebungsseite ist wichtig, dass überhaupt eine Gelegen- Zeidner (Hrsg.), Handbook of Self-Regulation. Burlington: heit zum selbstregulierten Lernen und die Möglichkeit, Academic Press. entsprechende Verhaltensweisen auszuüben, vorhan- den sind. Auf der Personenseite ist es notwendig, dass Zimmerman, B. J. (2001). Theories of Self-Regulated Lear- ning and Academic Achievement: An Overview and Ana- die Chancen erkannt werden. Das heisst, dass die Be- lysis. In B. J. Zimmerman & D. H. Schunk (Hrsg.), Self Re- reitschaft beziehungsweise die Motivation vorhanden gulated Learning and Academic Achievement. Theoretical ist, entsprechende Lernstrategien auszuüben, das Wis- Perspectives (Revised, pp. 1–36). Mallory International. sen und die Fähigkeit adäquater Lernstrategien einzu- setzen, zu kontrollieren und anzupassen. Dies gilt in Die Autoren vermehrtem Ausmass für die immer wichtiger werden- Dr. Egon Werlen, Fachpsychologe für Gesundheitspsy- chologie FSP, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbei- den Formen des E-Learnings. Bernacki und Mitarbei- ter am Institut für Fernstudien- und eLearningforschung ter empfehlen, bereits sehr früh (mit vier bis fünf Jah- (IFeL) an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) in Brig. ren) entsprechende Lernerfahrungen in Kombination Seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten liegen in mit klassischen Lernformen zu ermöglichen. Das hilft, den Bereichen selbstreguliertes Lernen und Medienkom- dass Kinder und Jugendliche die neuen Medien ebenso petenz. zum Lernen richtig einsetzen können. Damit geht auch Prof. Dr. Per Bergamin ist Leiter des Instituts für Fernstu- das Üben selbstregulativer Verhaltensformen einher. dien- und eLearningforschung (IFeL) an der Fernfach- hochschule Schweiz (FFHS) in Brig. Seit 2011 hält er eine Erhalten die Lernenden während der vor- oder der ob- Professur in Fernstudiendidaktik und E-Learning inne. ligatorischen Schulzeit regelmässig die Möglichkeit, Seine Forschungsaktivitäten liegen in den Bereichen selbstreguliertes Lernen zu üben und sich zu bewäh- selbstreguliertes Lernen, Qualität und Usability virtueller Lernumgebungen. ren, so werden zwar nicht die einzigen, aber unabding- bare Grundlagen gelegt, um lebenslanges Lernen er- Kontakt folgreich gestalten zu können. Dr. Egon Werlen oder Prof. Per Bergamin, Fernfachhochschule Schweiz, Egon Werlen IFeL – Institut für Fernstudien- und eLearningforschung, Überlandstrasse 12, Postfach, 3900 Brig. Per Bergamin egon.werlen@ffhs.ch, per.bergamin@ffhs.ch www.ifel.ch Résumé Selon Egon Werlen, psychologue spécialiste en psycho- logie de la santé FSP, et Per Bergamin, spécialiste de l’enseignement à distance, apprendre sa vie durant est une priorité absolue dans la société moderne de la con- naissance. Un apprentissage autorégulé représente une condition fondamentale pour organiser son propre déve- loppement cognitif dans les différentes phases de la vie. Les bases en sont posées dès l’enfance et l’adolescence. Une méthode qui a fait ses preuves consiste à exercer ré- gulièrement avec les apprenants, dans le cadre de l’école maternelle ou de l’école obligatoire, l’apprentissage auto- régulé. 01_Dossier_Werlen.indd 7 26.01.12 20:46
8 Förderung mal anders PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Lernen Leistungsmotivation bei sehr klugen Kindern Hochbegabte Kinder sind primär Kin- Dann fällt es einfach nicht besonders auf, dass auch hier eine Minderleistung stattfindet. Trotzdem sind sie der – mit dem Wunsch nach spieleri- sogenannte Underachiever. scher Entfaltung und sozialer Geborgen- heit. Die Psychologin FSP Karin Erschöpfungsgefahr Thalmann-Hereth legt dar, warum eine Minderleister oder Leistungsverweigerer – darf das sein? Und auf der anderen Seite: Muss überhaupt Förderung der kleinen Denker ganzheit- jegliches Potenzial voll und ganz ausgeschöpft werden? lich Einfluss nehmen und neben kogni- Persönlich meine ich, dass man seine Leistungsfähig- tiven Fähigkeiten auch positive soziale keit auch zu intensiv beanspruchen kann. Maximale und emotionale Überzeugungen unter- Ausnutzung führt zu Leistungsstress. Umgekehrt stützen sollte. kann eine zu geringe Ausschöpfung eine Negativspirale in Gang setzen: Das hochbegabte Kind wird immer Kinder möchten angenommen werden, wie sie sind. lustloser, lernt nicht die Freude kennen, sich zu enga- Das bedeutet für hochbegabte Kinder, dass sie auf gieren, stolz auf einen Erfolg zu sein und daraus selbstverständliche Weise intelligent sein dürfen und weitere Energie zu schöpfen. Dies kann zu depressiven ihre Selbstdefinition nicht auf «hochbegabtes Kind» Verstimmungen führen. Leistungswille ist also etwas, reduziert wird. Woran denken wir aber beim Begriff das auch bei Hochbegabten zu fördern ist, ohne sie des- «Hochbegabung»? An Hochbegabte oder vielleicht eher halb gleich zu Hochleistenden machen zu wollen. an Hochleistende? Um dies unterscheiden zu können, müssen wir uns über die Lernmotivation und das Überzeugungen Lernverhalten solcher Kinder Gedanken machen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die leis- Sollen hochintelligente Kinder anders als normale tungsbezogenen Kognitionen Hochbegabter. Die motiviert werden – und wenn ja: wie und mit welchem Psychologin Corinna Schütz untersuchte diese im Jahr Ziel? 2004 im Rahmen des Marburger Hochbegabtenpro- jekts, einer prospektiven Studie, welche die Entwick- Leistungsfähigkeit ist nicht gleich Leistung lung von Hochbegabten und Hochleistenden nicht nur Von Hochbegabung spricht man, wenn der IQ über hinsichtlich kognitiver, sondern auch bezüglich motiva- 130 Punkten liegt, also zwei Standardabweichungen tionaler und sozialer Variablen verglich. Insgesamt lässt über der Normmitte. Ab drei Standardabweichungen, sich festhalten, dass die meisten Hochbegabten ihre also ab 145 Punkten, spricht man von Höchstbega- Schulzeit problemlos durchlaufen und auch nicht bung. Hochbegabte Kinder können leicht sehr gute demotiviert werden. Allerdings fallen die Selbstwirk- Leistungen erbringen. Ob sie diese Kompetenz aller- samkeitserwartungen der durchschnittlich leistenden dings auch in Performanz umsetzen, steht auf einem Hochbegabten zwar nicht auffällig, aber doch verhält- anderen Blatt. Verschiedene motivationale Einflussfak- nismässig niedrig aus, und sie schliessen bei Erfolgen toren spielen hier eine wesentliche Rolle. Man muss häufiger als erwartet auf äussere Bedingungen. Gegen- dabei nicht gleich an schlechte Noten denken. Minder- über dem Fähigkeitskonzept der durchschnittlich leistung zeigt sich bei Hochbegabten nicht erst dann, leistenden Hochbegabten ist dasjenige der Hochleisten- wenn sie unterdurchschnittliche Leistungen aufweisen. den – egal ob hochbegabt oder nicht – besser. Dies, Auch hochbegabte Durchschnittsleistende oder sogar weil sie Erfolge eher internal attribuieren. Es gilt also, Hochbegabte, deren Leistungen sich im oberen Leis- «die Kontrollüberzeugungen und Attributionen der tungsbereich der Klasse bewegen, können an einer durchschnittlich leistenden Hochbegabten zu verän- Umsetzung ihrer Kompetenzen desinteressiert sein. dern», schlussfolgerte Schütz. 02_Dossier_Thalmann.indd 8 26.01.12 20:48
Anstrengung führt zu Anerkennung schlechten Ergebnisse irgendwann internal zu attribu- Sowohl die Selbstwirksamkeitserwartung als auch der ieren – also den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben. So 9 Attributionsstil werden durch Lob und Tadel beein- kann ein ursprünglich als Selbsthilfemechanismus flusst. Nach der 1971 formulierten Attributionstheorie gedachtes Verhalten (das Underachievement) in ein des Psychologen Bernard Weiner von der University of stabiles negatives Fähigkeitskonzept umschlagen. California, Los Angeles, gilt: Erfolgsorientierte Men- schen neigen dazu, Erfolge internalen Faktoren wie Fördermassnahmen eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zuzuschrei- Aus der Marburger Studie konnte ausserdem ge- ben und Misserfolge externalen wie Pech oder Aufga- schlussfolgert werden, dass sich die schlechtesten der benschwierigkeit. Wer Erfolg erwartet, bevorzugt hochbegabten Primarschulkinder in leistungsbezoge- dieses selbstwertdienliche Attributionsmuster, während nen Variablen wenig von durchschnittlich begabten misserfolgsorientierte Menschen gerade umgekehrt Kindern mit gleicher Schulleistung abhoben, umso denken. In Anlehnung an Weiner stellte Schütz fest, mehr aber in Variablen wie Beliebtheit, Glück und dass Lob beziehungsweise Belohnung und Abwesen- Zufriedenheit, Selbstaufwertung und psychische Sta- heit von Tadel als indirekte Hinweise auf niedrige bilität. Ihre Befindlichkeit ist also schlechter. Schütz Fähigkeiten empfunden werden können, vor allem bei betont, dass entsprechende Massnahmen im sozialen leichten Aufgaben. Dies gilt zwar insbesondere für beziehungsweise emotionalen Bereich nicht erst im ältere Schüler und Schülerinnen – möglicherweise aber Jugendalter einsetzen, sondern schon früh auf Reak- auch für Hochbegabte. So kann ein hochbegabtes Kind tions- beziehungsweise Attribuierungstendenzen von Motivationshilfen links liegen lassen, die es als «lächer- Schülern geachtet werden sollte. Dies deckt sich mit lich» ansieht. (Ein neunjähriger Junge aus einem meinen Beobachtungen in von mir durchgeführten meiner Kurse weigerte sich etwa, eine Lesewettbe- Kursen, dass intellektuelle Förderung nie der Haupt- werbskarte auszufüllen, auf der er drei gelesene Bücher wunsch der Kinder war, sondern stets mehr oder innerhalb eines halben Jahres hätte eintragen müssen weniger deutlich der Wunsch nach sozialer und emo- – dazu hätte auch eine Woche gereicht. Der Anreiz tionaler Förderung sowie nach Anerkennung mit- wurde dadurch zu klein.) Trotzdem – oder vielleicht schwang. Daraus ergab sich für mich die These, dass auch deswegen – werden erfolgreiche Schülerinnen Hochbegabung in einem multifaktoriellen Gefüge zur und Schüler, die sich angestrengt haben, mehr gelobt Ressource oder zum Vulnerabilitätsfaktor werden kann als solche, die für das Gelingen scheinbar weniger und bei der Förderung von hochbegabten Kindern ein Aufwand betreiben mussten. Loben von hochbegabten multimodales Konzept nötig ist, um die kognitiven Kindern kann also für Lehrpersonen eine schwierige Fähigkeiten (wieder) zur Ressource werden zu lassen – Gratwanderung sein: Wie oft soll ein Kind für seine nämlich in gutem Kontakt zu den eigenen Emotionen guten Leistungen gelobt werden, wenn diese erstens und sozialen Fähigkeiten. Förderung bedeutet: die quasi selbstverständlich und ausserdem mit weniger Volition (Wille) locken, die Emotionen stärken und die Anstrengung verbunden sind, das Kind aber zweitens Kognitionen unterstützen. beachtet und wertgeschätzt werden will und drittens zu Schulische Fördermassnahmen sind Akzelerations- viel Lob bei leichten Anforderungen (und das sind sie massnahmen (Überspringen einer Klasse, Frühein- fast immer) als Geringschätzung wahrnehmen könnte? schulung) sowie Enrichment-Massnahmen, die den regulären Unterricht ergänzen, sei es durch vertiefte Kein Streber sein oder umfangreichere Themenbearbeitung oder unter- Hinzu kommt das Dilemma des hochbegabten Kindes richtsfremde Themen. gegenüber den Mitschülern und Mitschülerinnen: Es erhält wie alle anderen eher dann Lob von der Lehrper- Enrichment son, wenn es sich für etwas anstrengt. Wenn es trotz- Dazu gehören aber nicht Aufgaben, bei denen es um dem sehr fleissig ist (obwohl es dies gar nicht nötig pure Beschäftigung der Kinder mit Routineaufgaben hätte aus Sicht der Klassenkameraden) oder dies verbal geht, weil diese schneller als die übrige Klasse fertig betont, wird es als Streber abgestempelt. Dies macht wurden und noch Zeit übrig ist. Zu den Enrichment- deutlich, warum sich für sehr begabte Kinder eine Massnahmen zählen sogenannte Pull-out-Programme, gewisse Minderleistung lohnt: Dann unterscheiden sie bei denen die Kinder für Stunden oder Tage spezielle sich nicht so sehr von ihren Klassenkameraden und Förderkurse ausserhalb des Klassenverbandes besuchen. erhalten von den Lehrern ebenso Lob und Anerken- Enrichment-Angebote können sehr motivierend wirken, nung bei guten Leistungen, ohne bei den anderen weil sich Interessen und Fähigkeiten gegenseitig positiv gleich als Streber zu gelten. Allerdings laufen Undera- verstärken. Allerdings ist bewusst darauf zu achten, chiever wie bereits angedeutet Gefahr, die ständig zu neben den Stärken auch (relative) Schwächen auszuglei- 02_Dossier_Thalmann.indd 9 26.01.12 20:48
chen und diese Massnahmen nicht auf Kosten der sozial unauffällige Hochbegabte in eine Aussenseiter- 10 Turn- oder Handarbeitsstunde zu wählen. Schliesslich Situation gebracht werden. Einige hochbegabte Kinder sind die Kinder nicht im Turnen unterfordert, ist doch verzichten daher auf eine Förderung durch ein Pull- PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Lernen die motorische Entwicklung heute angesichts der out-Programm, um nicht von der Klasse getrennt zu zunehmenden Verstädterung (oft mit lärmempfindlichen werden. Mietsituationen und mangelndem Bewegungsspielraum in der freien Natur) eher gefährdet. Gerade da bräuchte Fünf Dimensionen es oft ebenfalls etwas «Enrichment». Als Beispiel für ein Enrichment-Konzept sei der eigene Ansatz erwähnt, den ich im Rahmen von Mathematik- Wer profitiert und Sprachförderkursen (jeweils in Verbindung mit In Enrichment-Kursen wird im Grunde nichts anderes Musik) entwickelt habe. Die Kurse, die ich durchge- gefördert, als was für alle Schüler und Schülerinnen führt habe, richteten sich an Kindergarten- und Pri- relevant ist: ein bewussterer Erwerb von Lerntechni- marschulkinder. Das Förderungsmodell geht davon ken, Motivation inklusive der Selbsterkenntnis, was aus, dass hochbegabte Kinder – wie Rennautos mit einem wichtig ist, individuelle Bedürfnisse, selbststän- ihren breiten Reifen – eine Extraportion Bodenhaftung digeres Arbeiten, soziale und Kommunikationsfähigkei- und einen extratiefen Schwerpunkt brauchen, um gut ten. Vor diesem Hintergrund scheint ein Zusatzangebot durchstarten zu können. Fünf «Säulen» sind hier für Hochbegabte zunächst nicht angebracht, ja sogar wichtig, um die sozial-emotionale Entwicklung und unfair gegenüber den anderen Kindern, bei denen sich die intellektuelle Herausforderung bei den jungen solche Fähigkeiten noch essenzieller auswirken. Hin- Schülerinnen und Schülern gleichermassen zu inte- zu kommt, dass Enrichment-Massnahmen das Gefühl grieren. auslösen können, eine Förderung «wert zu sein». Sie Erstens ein hoher fachlicher Anspruch: Die Schüler sind daher meines Erachtens idealerweise als schul- sollen mit Spass gefördert und gefordert werden. Ein hausbezogene Förderkonzepte für alle Schüler zu hohes fachliches Niveau muss nicht unbedingt das konzipieren. Rechnen mit hohen Zahlen oder Ähnliches bedeuten. Der grosse Vorteil von speziell für Hochbegabte zuge- Komplexe Fragen und Tüfteleien sind schon mit den schnittenen Förderangeboten liegt meiner Ansicht Zahlen 1 und 2 möglich. Zweitens ist die Säule der nach in erster Linie in der Möglichkeit für diese sozialen Interaktion und Selbstwahrnehmung zu Kinder, ein wenig Ruhe zu finden, weil sie einmal auf nennen: Beide Themen bedingen einander. Das Erle- ihrem Niveau und unter ihresgleichen denken und ben von Bezogenheit und Abgrenzung wird durch fühlen dürfen. Das kann gut tun und erholsam sowie entsprechende Spiele und Aufgaben, die zum Thema motivierend zugleich wirken. Allerdings sollten die passen, bewusst gefördert: beispielsweise Gruppentrom- Eintrittsbedingungen zu den Kursen in einem klaren meln zu bestimmten Rhythmen entsprechend der Konzept definiert sein. besprochenen Zahlen (inklusive bewusst gespielter Störrhythmen, um soziale Effekte auszuprobieren), in Durch Pull-out zum Outsider den sprachlich orientierten Kursen auch gemeinsames Die Anbieter von Enrichment sind zwar von ihren Geschichtenerfinden oder das Spielen von halb vorge- Massnahmen meist sehr überzeugt, doch sind diese gebenen Theaterszenen. Erdung/Zentrierung ist der weniger gut untersucht als Akzelerationsmassnahmen. dritte Baustein. Hochbegabte Kinder scheinen manch- Häufig liegt den Enrichment-Massnahmen kein klares mal «unter Strom» zu stehen. Deshalb wird hier das Förderkonzept zugrunde. Wie die Arbeitsgruppe um Lernen in neue Zusammenhänge gerückt, beispiels- die Psychologin Miriam Vock von der Universität weise, indem die jungen Hochbegabten im Kreis auf Potsdam in einem 2007 erschienenen Buch erläutert, einem Kissen sitzen. Oder indem die zentrierende ist die Auswirkung von Pull-out-Programmen auf Balance und die durchblutungsfördernde Wirkung schulische Leistungen positiv, vor allem wenn die eines Kopfstandes ausprobiert und besprochen wird, Inhalte des Programms eine Verbindung zum regulä- wenn man sich nicht mehr konzentrieren mag. ren Schulstoff haben und intellektuell anspruchsvoll vermittelt werden. Oft befürchten Lehrpersonen und Das Miteinander als wichtiger Faktor Eltern aber eine soziale Stigmatisierung. Dies konnte Als Viertes kommt das emotionale Abholen dazu: Wenn Vock in einigen Studien tatsächlich bestätigen. Nega- ein Kind sehr empfindsam ist – und dies wird hochbe- tive soziale Folgen sind vermeidbar, wenn zusätzlich gabten Kindern nachgesagt – muss dem deutlich Themen wie soziale Beziehungen in die Programme Rechnung getragen werden. Die Kinder geben oft von einbezogen werden. Es ist meines Erachtens nicht zu sich aus Hinweise: Ein Junge aus einem meiner Kurse unterschätzen, dass durch Pull-out-Programme selbst fragte, ob es erlaubt sei, eines der Stofftiere, die in dem 02_Dossier_Thalmann.indd 10 26.01.12 20:48
Raum an der Wand aufgestellt waren, mit an den Literatur Platz zu nehmen. Es war rührend zu erleben, wie viele Rost, D. H. (2000): Hochbegabte und hochleistende 11 Jugendliche: neue Ergebnisse aus dem Marburger Kinder daraufhin ebenfalls ein Stofftier neben sich Hochbegabtenprojekt. Münster: Waxmann. platzierten – und dies über mehrere Wochen aus eigener Initiative. So sassen die kleinen Hochbegabten Schütz, C. (2004): Leistungsbezogenes Denken hochbe- gemütlich mit Stofftieren im Kreis am Boden und gabter Jugendlicher. «Die Schule mach’ ich doch mit rechneten gleichzeitig eifrig und besprachen Potenz- links!» Münster: Waxmann. zahlen und Fraktale. Und zu guter Letzt ist ein ent- Thalmann-Hereth, K. (2009): Hochbegabung und Musika- wicklungslogischer fachlicher Ablauf von Belang: Bei lität. Integrativ-musiktherapeutische Ansätze zur Förde- der Planung der Stunden werden neben dem passenden rung hochbegabter Kinder. Wiesbaden: VS Verlag für kognitiven Niveau im Hintergrund auch die themati- Sozialwissenschaften. sche Entwicklung vom Ich zum sozialen Miteinander und zur Entfaltung im sozialen Raum berücksichtigt. Thalmann-Hereth, K. (2009): Musik als Basis für Boden- haftung. Was Hochbegabte mit Rennautos gemeinsam Das Ziel ist, allfällige Unsicherheiten aufzufangen. haben. Ph-akzente, 3, 12–14. Die Leiter haben entsprechend die Gruppenspiele und die thematischen Angebote abzustimmen. Vock, M., Preckel, F., & Holling, H. (2007): Förderung Natürlich ist dieses Konzept, welches die sozial-emo- Hochbegabter in der Schule. Evaluationsbefunde und tionale Ebene sehr stark beachtet, nicht für alle Kurse Wirksamkeit von Massnahmen. Göttingen: Hogrefe. notwendig. Der bewusste Einbezug «bodengebender» Die Autorin Elemente schien mir wichtig, da es sich in meinen Dr. phil. Karin Thalmann-Hereth ist Psychologin FSP und Kursen um junge Kinder zwischen fünf und neun unterrichtet Psychologie und Deutsch an der Berufsmatu- Jahren handelte. ritätsschule Winterthur. Ausserdem arbeitet sie an einer Didaktik-Studie zur Persönlichkeitsentwicklung durch Hochbegabte Kinder haben denselben Bedarf an Psychologie- und Pädagogikunterricht mit (PEPP-Projekt, Leitung Dr. Nadja Badr). Karin Thalmann beschäftigt sich Geborgenheit, Wertschätzung, spielerischer Entfaltung seit Jahren mit dem Thema «Hochbegabung» und schrieb und individuell angepasster Förderung wie andere. dazu ihre musiktherapeutische Abschlussarbeit. Wenn wir sie stärken und motivieren wollen, gilt es, neben den kognitiven Anregungen deshalb zugleich Kontakt den spielerischen und emotionalen Bedürfnissen Karin Thalmann-Hereth, Stapferstrasse 25, 8006 Zürich. karin.thalmann-hereth@psychologie.ch gerecht zu werden und so positive Kognitionen zu unterstützen. Karin Thalmann-Hereth Résumé Karin Thalmann-Hereth, psychologue FSP, décrit dans son article l’interaction entre haut potentiel, haute perfor- mance et rendement cognitif en soulignant l’importance de la stimulation socioémotionnelle. Les surdoués dont le rendement se situe dans la moyenne présentent vis-à-vis de leur efficacité personnelle des attentes inutilement basses et peu d’attributions en termes d’estime de soi. Aussi l’auteure défend-elle l’idée que les enfants surdoués doivent pouvoir s’épanouir dans le jeu et qu’il faut les solliciter sur le plan émotionnel. Pour terminer, elle décrit le concept qu’elle a employé avec des enfants de 5 à 9 ans dans des cours d’enrichissement. 02_Dossier_Thalmann.indd 11 26.01.12 20:48
Dossier 12 Apprendre PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Apprendre Compétences ??? numériques X-X/200X et dyscalculie Un état de la recherche et des connaissances actuelles Dans son article, Pierre Zwicky présente différents travaux dans le domaine du calcul en tant que fonction neurocogni- tive. Il montre également l’importance d’un sens intuitif du nombre, même pour réaliser des calculs «exacts», et que ce sens se construit parallèlement à d’autres fonctions cognitives proches que sont la perception de l’espace, des quantités, toutes ces fonctions étant lar- gement gérées et prises en charge par une même zone cérébrale au sein d’un réseau plus vaste. Dans sa formation de calculateur, l’enfant doit acquérir beaucoup de notions différentes qui lui permettront, à partir d’un bagage numérique hérité de l’évolution phy- logénétique, d’assimiler petit à petit des notions cultu- rellement construites permettant une symbolisation et une maîtrise toujours plus grande du nombre. Deux grandes classes principales de compétences sont né- cessaires pour maîtriser le calcul, à savoir des aptitudes langagières, le monde numérique étant sous-tendu par des codes linguistiques spécifiques, et des compétences qui dépendent du domaine visuo-spatial au sens large. Dans ce bref survol des connaissances actuelles sur le domaine numérique d’un point de vue neurocognitif, nous nous attacherons plus particulièrement au deu- xième domaine de compétences, qui a fait l’objet ces 10 03_Dossier_Zwicky.indd 12 26.01.12 20:59
Photo: © Eléonore H – Fotolia.com 13 ou 15 dernières années de nombreuses recherches et vités numériques. Ce «number sense» permet de réa- permis des avancées non négligeables dans notre com- liser des comparaisons, de nombres ou de quantités, préhension des mécanismes sous-jacents aux aptitudes mais sous-tendrait également, parmi d’autres compé- arithmétiques et à leurs aléas. tences, la réalisation d’opérations arithmétiques comme la soustraction (les additions et multiplications seraient L’apprentissage de l’arithmétique plutôt codées sous un format linguistique). C’est dans A l’instar du langage, le monde numérique suppose de ce domaine qu’ont été réalisées des avancées impor- pouvoir maîtriser un lexique, une syntaxe et une sé- tantes ces 10 ou 15 dernières années, grâce à l’apport mantique des nombres. Le lexique fait référence à la fa- de l’imagerie cérébrale entre autres, qui ont permis au çon de nommer les entités numériques: dans notre lan- domaine du calcul, longtemps parent pauvre de la neu- gue, une trentaine de termes permettent d’exprimer ropsychologie, «de devenir un modèle de compréhen- l’ensemble des chiffres et des nombres à l’infini. Ce sion des liens entre cerveau et fonctions cognitives» sont le zéro, les nombres de un à seize, les dizaines (Habib, 2011). C’est également dans ce domaine que (vingt, trente, etc.), les multiplicateurs comme mille ou nous disposons, dès la naissance et à l’instar des ani- million. La syntaxe concerne les règles d’utilisation de maux, des compétences précoces qui viennent de notre ce lexique pour exprimer les quantités et les nombres héritage phylogénétique. Ces connaissances protonu- et tient compte d’un élément fondamental qui est la va- mériques permettent à des bébés de quelques mois de leur de la position. Un même chiffre (2 par exemple), réagir au changement de cardinal d’une collection, de suivant sa position dans un nombre, peut exprimer une discriminer des larges quantités d’objets, voire, pour unité («2»), une dizaine («21»), une centaine («234»). des enfants plus âgés, de réaliser correctement à 4 ans Ce domaine est plus difficile à acquérir pour un enfant, déjà des opérations arithmétiques approximatives à et une erreur fréquente consiste à ne pas tenir compte deux chiffres (Gilmore, 2007). Bien d’autres compé- de la relation additive du nombre (120 écrit 10020 tences doivent être acquises par l’enfant en appren- par exemple) ou multiplicative (300 écrit 3100 par tissage, et notamment le dénombrement, sous-tendu exemple). Lexique et syntaxe peuvent être exprimés et notamment par le principe de correspondance terme-à- manipulés sous différents formats (codes) possibles, terme, la compréhension du système en base 10, la maî- principalement le code alphabétique (oral et écrit) et trise des procédures à la base des opérations arithmé- le code arabe (ou digital), et l’enfant doit savoir réaliser tiques élémentaires. des transferts d’un code à l’autre, ce que l’on appelle le transcodage. L’effet SNARC Des compétences linguistiques sont donc nécessaires Cet acronyme (pour «Spatial Numerical Association of pour maîtriser ces informations lexicales et syntaxiques. Response Codes») renvoie à un effet très robuste, dé- Les mots du monde numérique ont un statut particu- couvert fortuitement en 1993 par Dehaene et ses col- lier et leur assimilation contribue, en spirale, à l’élabora- laborateurs. Dans une expérience, le sujet devait com- tion progressive du concept de nombre par l’enfant. Les parer un nombre (par exemple 44 ou 82) à un nombre connaissances numériques (ce que l’on appelle les faits de référence (65). Pour contrôler la variable de latéra- arithmétiques, comme les tables de multiplication ou lité, une partie des sujets devait répondre avec la main d’addition), seraient codés sous un format linguistique droite lorsque le chiffre était plus grand que 65, tandis en mémoire à long terme. La sémantique du nombre fait que, pour une autre partie, c’était avec la main gauche. référence à la représentation de la quantité associée à En analysant les résultats, les chercheurs ont découvert celui-ci. Nous ne manipulons pas des nombres de ma- que cette variable était très importante et qu’il avait été nière désincarnée et abstraite, les nombres ont pour beaucoup plus facile pour les sujets, ce qui se traduisait nous un sens et une valeur qui étayent toutes les acti- par des temps de réponse plus rapides, de répondre 03_Dossier_Zwicky.indd 13 26.01.12 20:59
avec la main gauche pour les nombres plus petits (que pation d’un mouvement (Andres, 2004) ou même mo- 14 65) et avec la main droite pour les plus grands nombres. duler l’appréciation et l’amplitude d’un mouvement à De nombreuses autres expériences ont été depuis réa- réaliser. Comme l’exprime Dehaene (2010), «c’est ainsi PSYCHOSCOPE 1-2/2012 DOSSIER: Apprendre lisées, entraînant une véritable «chasse au SNARC» que, dès que nous pensons à un nombre, notre percep- (Bull, 2005), qui ont permis de vérifier cet effet dans tion de l’espace et même nos mouvements de la main et différentes conditions expérimentales. Cet effet existe des yeux s’en trouvent subtilement affectés». tant chez l’adulte que chez l’enfant (à partir de 9 ans) et il a été confirmé auprès de populations amazoniennes, L’imagerie cérébrale de personnes aveugles, ou pour d’autres types de suites La zone du cerveau qui prendrait en charge ce codage apprises (alphabétique par exemple). des quantités selon des cartes spatiales se situerait dans On interprète cet effet comme l’expression d’un codage les profondeurs du cortex pariétal inférieur, proche du spatial de la magnitude du nombre, selon une ligne nu- gyrus angulaire que l’on appelle le hIPS (horizontal in- mérique mentale allant de droite à gauche, les plus petits tra-parietal sulcus). Cette zone s’active en effet spécifi- nombres étant localisés à droite de cette ligne et les quement lors de tâches numériques, de comparaisons plus grands à gauche, suggérant un lien intime entre de quantités. Cette zone permettrait l’association des nombre et espace. Plus récemment, la découverte d’un symboles numériques à une quantité ou une magni- effet SNARC sur le plan de l’organisation temporelle tude spécifique, permettant cette capacité que nous (STEARC effect) ou des quantités (SQARC effect) tend avons de «sentir» les nombres que nous manipulons. à montrer le caractère amodal de cet effet et que diffé- Dans l’équivalent de cette zone chez le singe, des cher- rentes modalités cognitives (quantités, espace, nombre) cheurs ont trouvé des populations de neurones de deux seraient à un métaniveau organisées selon des prin- types, à savoir des neurones qui codent les quantités se- cipes généraux similaires. lon des coordonnées spatiales indépendamment de la taille ou de la forme des objets qui constituent la collec- Gnosies digitales, motricité et perception tion et une autre zone, la VIP, dont les neurones réagis- Il est bien connu que les doigts de la main jouent un sent spécifiquement à une quantité précise, à 2, 3, 4 ou rôle important dans le développement et l’acquisition 5 par exemple. Ces «numerones» réagissent également, du calcul chez l’enfant, car ils permettent de créer un mais de manière moindre, à des nombres proches (le pont, le chaînon manquant selon Seron (2005), entre neurone qui «code» pour 3 réagit également pour 2 ou des représentations prénumériques et les symboles lin- 4). Des recherches récentes et convergentes, enfin, ont guistiques des nombres. Ceci permet à l’enfant en ap- montré chez des enfants dyscalculiques une activation prentissage de développer une connaissance plus fine ou une modulation moindre de la zone hIPS lors de et précise du nombre. Dans une recherche réalisée en tâches de comparaisons de nombres (Price, 2007) ou 2005, Marie-Pascal Noël a ainsi montré que les per- d’additions exactes ou approximatives (Kucian, 2007). formances à une tâche évaluant les gnosies digitales étaient un meilleur prédicteur des capacités numé- La dyscalculie riques et du niveau d’arithmétique à l’école que des Bien que nettement moins diagnostiquée que la dys- tests de développement cognitif général, 1 an et même lexie, la dyscalculie est un trouble considéré comme 3 ans plus tard, suggérant un lien étroit entre représen- aussi fréquent que la dyslexie et concernerait environ tation du mouvement des mains (et des doigts) et nu- 6% des enfants. Selon le DSM-IV, la dyscalculie se dé- mérosité. Certains auteurs (cf. par exemple Penner-Wil- finit par: 1) des aptitudes mathématiques évaluées par ger, 2008) pensent d’ailleurs que les réseaux neuronaux des tests standardisés nettement en dessous du niveau en charge des nombres et du calcul étaient à la base escompté compte tenu de l’âge du sujet, de son niveau dédiés à la motricité manuelle ou digitale, puis ont été intellectuel et d’un enseignement approprié à son âge; partiellement recyclés au cours de l’évolution pour la 2) cette perturbation interfère de manière significative représentation de la numérosité. On parle de «Groun- avec la réussite scolaire de l’enfant ou les activités de la ded cognition» pour exprimer ces liens intimes entre vie courante; 3) les difficultés mathématiques ne sont compétences symboliques pour exprimer les nombres pas la résultante d’un déficit sensoriel. Le clinicien est et compétences motrices (il faut aussi inclure les sac- aidé dans la démarche d’évaluation du calcul par dif- cades oculaires) ou perceptives, elles aussi codées selon férents modèles issus de la neuropsychologie cogni- des cartes spatiales applicables à l’ensemble des apti- tive (Deloche & Seron, 1987, McCloskey, 1987 ou tudes visuo-spatiales au sens large. Dehaene, 1992), qui rendent compte des diverses fonc- Des recherches récentes par exemple tendraient à mon- tions et compétences impliquées dans le traitement des trer que la taille d’un nombre présenté au sujet peut nombres et de la manière dont ces fonctions s’articulent modifier le degré d’ouverture de la main dans l’antici- entre elles. 03_Dossier_Zwicky.indd 14 26.01.12 20:59
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