MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU

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MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
MAGAZIN
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 3 · 2006

„Weiße Biotechnologie“
Düsseldorfer Forscher
in Jülich
MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
Editorial
                                                                                         MAGAZIN
                                                                                         der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 3 · 2006

                                            Ausbildung werden? Schöne Beispiele
                                            der Zusammenarbeit mit der Prager
                                            Partneruniversität sind zwei Magister-
                                            arbeiten, die wir ebenfalls vorstellen.
                                            Und dann berichten wir noch von einer
                                            Doktorarbeit, die, alpin, zwischen Kur-
                                            gästen und Skiläufern entstand.

                                                                                                                                              Foto: Forschungszentrum Jülich
                                               In der Medizin geht es um eine
                                            Preisträgerin (sie entwickelte einen völ-    „Weiße Biotechnologie“
                                            lig neuartigen Schadstofftest), um ein       Düsseldorfer Forscher
                                                                                         in Jülich
                                            Forschungsprojekt über abgeschlagene,
                                            mumifizierte Hände (Was sind „Leibzei-
                                            chen“?) und um ein für die nordrhein-
                                            westfälische Hochschulmedizin singulä-
                                            res Angebot: „Hyperbare Oxygenation“
                                            in der Druckkammer. Nicht nur eine          Schönheit der Forschung: Je nach
                                            schnelle Hilfe bei Tauchunfällen.           Anwendung und Vorlieben der Bakte-
                                               Gleich zwei Promotionsthemen sind        rienstämme haben die Nährmedien der
                                            auch für Nicht-Fachleute sicher von In-     Agar-Platten verschiedene Substanzen.
                                            teresse. Eine Juristin beschäftigte sich    Im Zentrum für Mikrobielle Biotechno-
                                            mit der Gen-Therapie, bei den Wirt-         logie der HHU, auf dem Gelände des
                                            schaftswissenschaftlern entstand eine       Forschungszentrums Jülich gelegen,
                                            Dissertation zum „Outsourcing“. Wann        spielen Bakterien die Hauptrolle. Mehr
                                            lohnt sich das für welche Art von Unter-    zur Arbeit der „Jülicher Düsseldorfer“
                                            nehmen?                                     in dieser Ausgabe. Als dreigeteilte Titel-
                                               Natürlich gibt es wieder jede Menge      geschichte.
  Unsere Titelgeschichte hat dieses Mal
                                            Personalia. Darunter ein runder Ge-
gleich drei Teile. Anlass ist ein Jubi-
                                            burtstag: Der Literaturwissenschaftler
läum. Und auch wieder nicht: Vor 50
                                            und Heine-Streiter Wilhelm Gössmann
Jahren wurde die Kernforschungsan-
                                            wurde 80. Rechtzeitig erschienen seine
lage Jülich gegründet, das heutige
                                            Lebenserinnerungen. Und sein wohl
Forschungszentrum Jülich. Eine An-
                                            bekanntestes Buch in überarbeiteter
sammlung wissenschaftlicher Kompe-
                                            Neuauflage: ein Crash-Kurs in Sachen
tenz von höchstem internationalen
                                            deutscher Kulturgeschichte.
Rang. Von Anfang an arbeiteten die
                                               Und auch ein bisschen literarische
rheinischen Hochschulen eng mit dem
                                            Spurensuche vor Ort gibt es: Was haben
Jülicher Braintrust zusammen, auch die
                                            das Universitätsklinikum und die an-
Universität Düsseldorf.
                                            grenzenden Straßen mit Günter Grass
  Was es im Jubiläumsjahr über Koope-
                                            und seiner gerade erschienenen Auto-
rationen und Innovationen zu berichten
                                            biographie „Beim Häuten der Zwiebel“
gibt, davon handeln zwei Teile der Titel-
                                            zu tun?
geschichte. Was ist „Weiße Biotechno-
                                               Neugierig geworden?
logie“? Was hat es mit einer neuen
Ausgründung und Biokatalysatoren auf
                                                                                                                                              Foto: Steidl-Verlag

sich? Im dritten Teil geht es dann um
den Blick zurück: Wie fing alles an, da-
mals 1956 in Jülich? Was verrändert
sich in einer eher ländlichen Kleinstadt,
wenn plötzlich Hunderte von Wissen-
schaftlern zuziehen?                                                                    „Beim Häuten der Zwiebel“, die Auto-
  Natürlich gibt es wieder viel Neues                                                   biographie von Günter Grass, sorgte
aus den Fakultäten zu berichten. Aus                                                    international für Furore. Teile davon
den Geisteswissenschaften zum Bei-                                                      beschreiben das Trümmer-Düsseldorf
spiel. Was ist das amerikanische Kon-                                                   der späten 40er Jahre. Und laden zum
zept der „Great Books“? Könnte es                                                       Spaziergang vom Campus aus zu histori-
Modell für die deutsche universitäre                                                    schen Lokalitäten ein.

2                                                                                                                    Ausgabe 3 · 2006
MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
Inhalt

Aktuell
„ . . . gaben wir ein jämmerliches Bild ab“. . . . . . . . . . . . . . . 4
Teamwork von Universität und regionaler Wirtschaft . . . . . 7
Newsletter der Thomas-Mann-Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . 7

                                                                                                  Foto: Werner Gabriel
Titel
„Weiße Biotechnologie“, Schönheit der Naturstoffe . . . . . . 8
Katalysatoren: maßgeschneidert und passgenau . . . . . . . . 11
Die Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
                                                                                                                         Dr. Ellen Fritsche bekam einen mit 100.000 Euro dotierten
Campus
                                                                                                                         Preis für ihre Forschungen in der Umweltmedizin. Ein Verfah-
30 Jahre Zeitzeuge studentischen Lebens . . . . . . . . . . . . . 16
                                                                                                                         ren, das die störende Wirkung von Stoffen auf die menschliche
Seminarunterlagen mit einem Mausklick . . . . . . . . . . . . . . . 17
                                                                                                                         Hirnentwicklung nachweist. Vorteil: schneller und billiger als
Skulptur „Objeto mimético“ vor der ULB . . . . . . . . . . . . . . . 18
                                                                                                                         Tierversuche.
Systematische Berufsqualifizierung: KUBUS . . . . . . . . . . . . 19

Internationales
Polnisches Publikum begeistert von vielseitigem Programm 20
Deutsch-italienisches Promotionsprogramm . . . . . . . . . . . 20

Juristische Fakultät
Von Genen und Paragraphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Philosophische Fakultät
„Schlage die Trommel und fürchte dich nicht . . .“ . . . . . . . 22
Doktorarbeit zwischen Skiläufern und Kurgästen . . . . . . . 25
                                                                                                  Foto: Thomas Bußkamp

Der amerikanische Blick: Lösung aus der Misere? . . . . . . . 27
Wichtigstes E-Journal wird in Düsseldorf herausgegeben 28
„Kunststadt im Westen“ und Trümmer-Düsseldorf . . . . . . 29
Sisyphusarbeit, die sich lohnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Medizinische Fakultät                                                                                                    Im Institut für Rechtsmedizin forscht Dr. Peter Pieper an
Herzinfarkt ist eine Arbeiterkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
                                                                                                                         mumifizierten, abgeschlagenen Händen. Schaurige Überreste
Andreas Hub erhielt Preis für Wissenschaftsfotografie . . 32
                                                                                                                         grausiger mittelalterlicher Strafen? Der Archäologe kam zu
Den Körper mit Sauerstoff durchfluten . . . . . . . . . . . . . . . . 33
                                                                                                                         erstaunlichen Ergebnissen. Mehr dazu auf den nächsten Seiten.
100.000 Euro Preisgeld für Umweltmedizinerin . . . . . . . . 34
Papstaudienz für Stammzellenforscher . . . . . . . . . . . . . . . 35
Weiter auf Erfolgskurs im Physikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Klage mit der toten Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
                                                                                                                         Personalia
                                                                                                                         Augenheilkunde: Prof. Joussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
„Schleichenden“ Blutkrebs früher bekämpfen . . . . . . . . . . 38
                                                                                                                         Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde: Prof. Schipper . . . . . . . 43
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät                                                                                    Hohe Auszeichnung für em. Prof. Feinendegen . . . . . . . . . 43
Outsourcing will wohlüberlegt sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39                                              Organische Chemie: Prof. Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
                                                                                                                         Forschung zum Schilddrüsenkrebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Ausschreibungen                                                                                                          Prof. Krauth im Ruhestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Drupa Preis 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41                                Prof. Göbel emeritiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Edens-Preis 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41                                25-jähriges Dienstjubiläum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Hedwig- und Waldemar-Hort-Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 42                                                  Forschungssemester Wintersemester 2006/2007 . . . . . . 46
Forschungspreis der Christiane und Claudia Hempel-                                                                       Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Stiftung für Klinische Stammzellforschung 2006 . . . . . . . 42                                                          Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Ausgabe 3 · 2006                                                                                                                                                                                                      3
MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
Aktuell

             „ . . . gaben
                    wir ein
          jämmerliches
               Bild ab.“
                  Spurensuche:
                  Günter Grass,
                 Düsseldorf und
                die Uni-Kliniken
                                          Foto: Steidl-Verlag

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MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
Aktuell

VON ROLF WILLHARDT                           amt verwiesen, das ihm eine Praktikan-      säumten, so die auf Sandstein und Ba-
                                             tenstelle als Steinmetz und Steinbild-      salt spezialisierte Firma Moog, die in
„Beim Häuten der Zwiebel“: Die Autobio-      hauer vermitteln soll („Dem Handwerk        der ‚Blechtrommel’ als Großbetrieb C.
graphie von Günter Grass, – ein Super-       fehle es nicht an Arbeit. Grabsteine        Schmoog firmiert, war mein zukünfti-
coup der Marketingstrategen. Der Litera-     seien jederzeit gefragt.“).                 ges Zuhause mit der Straßenbahn leicht
turnobelpreisträger von 1999 war in der         Grass: „Gleich im ersten Betrieb, in     und nach nur einmal Umsteigen am
Waffen-SS! Schlagzeilen weltweit. Ergeb-     dem ich nahe dem Werstener Friedhof         Schadowplatz zu erreichen.“
nis: satte Verkaufszahlen, übervolle Säle    vorsprach, blieb ich hängen (…).“             Neben dem zeitüblichen Kohldampf
bei Lesungen. Hundert Seiten sind der           Es ist der Betrieb von Julius Göbel,     plagen den jungen Grass aber noch an-
Zeit von 1947 bis 1952 in Düsseldorf ge-     das Telefonbuch von 1947, erhalten in       dere Bedürfnisse: „Der dritte Hunger“.
widmet. Hier lernte er die Kunst, den Jazz   der Universitätsbibliothek, verzeichnet     Mit täglichen Folgen.
und vieles mehr kennen. Markante Loka-       „Julius Göbel, Steinbildhauerei, Witzel-      „Gesättigt von der morgendlichen
litäten: der Bittweg, wo heute Studenten-    straße 142“. Also gleich gegenüber dem      Milchgriessuppe, nagte nun vorlaut der
wohnheime stehen, und die Städtischen        Universitätsklinikum, den damaligen         andere Hunger. Und das Tag für Tag. Im-
Krankenanstalten, das spätere Univer-        Städtischen Krankenanstalten. Spuren-       mer war ich geniert und in Furcht, es
sitätsklinikum.                              suche vor Ort: Die Adresse gibt es heu-     könnte das sperrige Ding bemerkt, als
                                             te nicht mehr.                              anstößig belästigend empfunden, mehr

V
         orab das Literaturzitat und            Göbel kommt in der „Blechtrommel“        noch, laut als Ärgernis beschimpft wer-
         nicht aus der Biographie: „Mit      als „Wöbel“ vor. Grass in der Autobio-      den. Aber kein Fahrgast in Rock und
         Straßenbahnen, die vom Bilker       graphie: „Sein rapider Aufstieg zur Zeit    Bluse, dem ich zu nah stand, hat sich
Bahnhof in Richtung Wersten und Ben-         des beginnenden Wirtschaftswunders          empört. (…) Erst angesichts der Grab-
rath fuhren, konnte man bequem, ohne         wäre eine Geschichte für sich. Als ich      steine, die auf den Vorplätzen der Stein-
umsteigen zu müssen, die Städtischen         den Praktikantenvertrag unterschrieb,       metzbetriebe am Bittweg auf Hoch-
Krankenanstalten erreichen. Herr Mat-        war mir Göbels Firma aus noch ande-         glanz poliert in Reihe standen (…)
zerath lag dort von August fünfundvier-      rem Grund verlockend: außer dem             verging mir der halbstündige Erre-
zig bis Mai sechsundvierzig.“                lächerlichen Monatsentgelt von hundert      gungszustand der allmorgendlichen
  Pfleger Bruno erzählt die Geschichte       Reichsmark – gleich knauserig bezahlte      Straßenbahnfahrten.“
des Oskar Matzerath. Den Roman be-           der Krauter Korneff den anzulernenden         Die Frau seines Meisters hält in diesen
ginnt der Patient selbst: „Zugegeben:        Oskar – wurde mir, dem erfahrenen           Tagen eine Ziege. „Sobald den Bittweg
ich bin Insasse einer Heil- und Pflegean-    Hungerleider, ein wöchentlich zweimal       lang alles Grünzeug und selbst die
stalt.“                                      ausgeteilter Gemüseeintopf mit Fleisch-     Brennesseln abgegrast waren, blieb als
  Anfang einer der berühmtesten Kran-        einlage versprochen, bei garantiertem       Weide nur noch der Bahnkörper der
kengeschichten der deutschen Litera-         Nachschlag.“                                Straßenbahnlinie, die nach Wersten und
tur. Auch eine Düsseldorfer Geschichte.         Sein Meister hat ihm eine Schlafstel-    weiter nach Holthausen führte. Beider-
Denn weite Passagen aus Günter Grass         le besorgt, Grass wohnt bis 1951 im Cari-   seits des Schienenstranges gab es Fut-
Welterfolgen       „Die    Blechtrommel“     tas-Heim Düsseldorf-Rath, zusammen-         ter vorrätig für Tage.
(1959) und später, anschließend in der       gepfercht auf einer Stube mit                 (…) Mir jedoch steigerte sich der
„Danziger Trilogie“, den „Hundejahren“       Obdachlosen, Entwurzelten des Krieges,      Gang mit der Ziege, die überdies Geno-
(1963), spielen im Rheinland. Grass und      menschlichem Treibgut.                      veva gerufen wurde, zur Pein. Über-
Düsseldorf: eine Hassliebe? Spielstätte         „Von der Haltestelle Bittweg, den, wie   haupt und der Zuschauer wegen. Es zo-
seines Lebens allemal. In seiner jetzt       gesagt, mehrere Steinmetzbetriebe           gen sich nämlich parallel zum
erschienenen Biographie „Beim Häuten                                                                      Gleiskörper und hinter
der Zwiebel“ widmet er der Düssel-                                                                        Bäumen versteckt die
dorfer Zeit zwei Kapitel („Der dritte                                                                     Gebäude der Städti-
Hunger“, „Wie ich zum Raucher                                                                             schen Krankenanstalten
wurde“). Nicht viel Neues für kundige                                                                     hin; wie ja nicht selten
„Blechtrommel“-Leser. Oder doch?                                                                          Hospitäler in der Nähe
Anekdoten? Biographie-Details?                                                                            von Friedhöfen und
  Der      19jährige    Kriegsheimkehrer     Der Bittweg, schräg gegenüber dem           Grabsteingeschäften ihren Ort haben.“
möchte an der Düsseldorfer Kunstaka-         Gelände des heutigen Universitäts-          Die Straßenbahnstrecke von damals exi-
demie studieren, wird aber vom etwas         klinikums. Hier arbeitete Grass im          stiert immer noch, Generationen von
schrulligen Professor Enseling, den er       Steinmetzgeschäft Karl Moog (Bitt-          Studenten kennen sie.
auf dem Flur trifft, erst einmal wegge-      weg Nr. 1), der im „Blechtrommel“-            Grass flirtet. Mit mäßigem Erfolg,
schickt („Wir haben wegen Kohlenman-         Roman „Großbetrieb C. Schmoog“              „Gerne ergingen sich in der Mittagszeit
gels geschlossen.“) und an das Arbeits-      heißt.                                      Krankenschwestern einzeln oder in

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Aktuell

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Die Witzelstraße: „Es zogen sich nämlich parallel zum Gleiskörper und hinter Bäumen versteckt die Gebäude der Städti-
schen Krankenanstalten hin; wie ja nicht selten Hospitäler in der Nähe von Friedhöfen und Grabsteingeschäften ihren
Ort haben.“ (Günter Grass, „Beim Häuten der Zwiebel“, 2006)

fröhlichen Gruppen unter den Bäumen.         donnenhaftem Gesicht auf der Zunge         sucht „was die Stadt zu bieten hatte“,
Ach, wie sie zwitscherten! Mein Anblick,     hatte und weitere Schmeichelwörter in      gründet, als Waschbrett-Virtuose, mit
junger Mann mit störrischer Ziege, war       Reserve hielt, begann die mir aufgehal-    Kommilitonen eine Jazzband und spielt
ihnen nicht nur ein Lächeln wert.“ Er        ste Ziege laut und lange zu pissen. Was    im „Czikos“ in der Andreasstraße. Aber
kommt sich als Witzfigur vor, unbehol-       tun? (…) Wie unbeteiligt erscheinen? Al-   die Tage am Rhein sind gezählt, er hat
fen, „war ich die Zielscheibe spitzer        les vergeblich. Das Pissen der Milchzie-   nur noch den Wunsch, „das wirtschafts-
Worte“, „das komisch-traurige Anhäng-        ge Genoveva wollte und wollte nicht en-    wunderliche Düsseldorf, dessen bierseli-
sel einer widerborstigen Ziege mit bau-      den. Aufs Lächerlichste gepaart, gaben     gen Altstadtbetrieb und den Genierum-
melndem Euter.“                              wir ein jämmerliches Bild ab.“             mel der Kunstakademie zu verlassen“.
  Romanheld und Psychiatriepatient             Was Grass nicht davon abhält, dem        Berlin heißt das Ziel seiner Wünsche.
Oskar in der „Blechtrommel“ hingegen         „dritten Hunger“ weiter intensiv zu frö-   Dort will er ein wirklicher Künstler wer-
hat ungeheuren Erfolg beim weiblichen        nen. An den Wochenenden zieht es ihn,      den. Die Stadt am Rhein als Ort einer
Pflegepersonal der Städtischen Kran-         kurios ausstaffiert aus der Kleiderkiste   frühen Orientierungsphase, skurriler
kenanstalten, er wird zum Sexmaniac          des Caritas-Heims, magisch in die Loka-    Typen und seltsamer Erlebnisse, die
(„Oskar aß in jener Zeit sehr viel frische   le im Vorort Grafenberg, „schon bald       erst später einmal eine Rolle spielen
Blutwurst mit Zwiebelringen und trank        konnte ich, wenn auch auf anders ge-       werden.
Bier dazu, damit sein Freund Klepp           düngtem Futterplatz, schnelle Erfolge        Der letzte Satz der Düsseldorf-Kapi-
glaubte, Oskars Leid heiße Hunger und        verbuchen, und zwar auf Tanzböden,         tel lautet: „Im Interzonenzug reiste ich
nicht Schwester Dorothea.“). „Ach“,          die ‚Wedig’ und ‚Löwenburg’ hießen. Als    am ersten Januar dreiundfünfzig mitten
seufzt Grass neidisch in seiner Biogra-      Tänzer war ich gefragt.“                   im Wintersemester ab; mit wenig
phie, „hätte ich doch nur seinen Witz          Im Wintersemester 1948/49 beginnt        Gepäck, doch reich an Wörtern und in-
gehabt!“                                     Grass ein Grafiker- und Bildhauerstudi-    wendigen Figuren, die noch immer nicht
  Und dann passiert es.                      um an der Düsseldorfer Kunstakademie,      wussten, wohin.“
  „Hinzu kam, dass mich Pech zu ver-         zeichnet „auf Schützenfesten am Rhein-
folgen schien. Denn einmal, als ich be-      ufer die Porträts feister Biertrinker,       Günter Grass: „Beim Häuten der
reits ein nettes Wort für eine vereinzelt    zwei Mark das Stück“, erobert für sich     Zwiebel“, Steidl-Verlag Göttingen, 480
spazierende Krankenschwester mit ma-         die Düsseldorfer Altstadtkneipen, be-      Seiten, 24,- Euro

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MAGAZIN - "Weiße Biotechnologie" - HHU
Aktuell

Teamwork von Universität
und regionaler Wirtschaft
HHU und IHK setzen per Vertrag auf wechselseitige Impulse
VON CHRISTIAN CONSTEN                      dament für ganz konkrete gemeinsame          Kooperationsvertrag zugleich auch als
                                           Vorhaben. Vier Handlungsfelder stehen        eine Art „Vertrag zugunsten eines
Das Hochschulfreiheitsgesetz und geän-     zunächst im Vordergrund. Erstens: eine       Dritten“ konzipiert, nämlich der Region.
derte Studienmodelle stellen die Univer-   verbesserte Ausbildung der Studieren-           Dr. Udo Siepmann, Hauptgeschäfts-
sität vor neue Herausforderungen. In       den. Entsprechende Seminare und              führer der IHK Düsseldorf, erläuterte,
einem vertraglich fundierten Dialog mit    Praktikumsmöglichkeiten sollen das           was für das kommende Jahr bereits
der regionalen Wirtschaft bereitet die     Studium praxisnäher machen. Zweitens:        fest geplant ist: Eine Broschüre soll die
HHU neuen Chancen für Forschungs-          die wissenschaftliche Weiterbildung.         Life-Sciences-Aktivitäten der Univer-
projekte und Karrieren den Boden.          Drittens: Innovations- und Technologie-      sität, vor allem auf dem Gebiet der Bio-
                                           transfer, unter anderem durch Informa-       technologie, darstellen und wendet sich

W
          ir stehen eigentlich vor der     tionsforen und Betriebs- bzw. Instituts-     dabei insbesondere an die Führungs-
          Neugründung“, sagte Rektor       begehungen. Viertens: gemeinsame             ebenen der regionalen Unternehmen.
          Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch,    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in die-    Außerdem werden Sprechtage zu
„und das mit dem Anspruch großer Au-       sen Bereichen.                               technologieorientierten Unternehmens-
tonomie zum einen, eines engen Fi-            Für die Universität bietet sich mit der   gründungen stattfinden. Hier können
nanzkorsetts zum anderen.“ Eine besse-     verstärkten Kooperation die Möglich-         junge Wissenschaftler sich, wie Siep-
re Vernetzung der Universität mit der      keit, den 68.000 in der IHK organisier-      mann sagte, „auf unternehmerisches
regionalen Wirtschaft soll ein Weg der     ten Unternehmen das Uni-Profil besser        Tun systematisch vorbereiten“.
Zukunft sein. Dies scheint für die Wirt-   zu vermitteln. Das ist im Wettbewerb            Hinter der Zuversicht bei der Ver-
schaft gleichermaßen attraktiv. Deshalb    um Drittmittel für die Forschung wich-       tragsunterzeichnung steht langjährige
haben die Spitzen von Universität und      tig. „Es gilt, einen gesunden Finanzie-      Erfahrung. „Eine fallweise Zusammen-
der Düsseldorfer Industrie- und Han-       rungs-Mix zu finden“, sagte Kanzler          arbeit“ zwischen Wissenschaft und
delskammer am 22. September einen          Prof. Ulf Pallme König und warnte: „Die      Wirtschaft in der Region, so Franzen,
Kooperationsvertrag unterzeichnet.         anderen Standorte schlafen nicht!“           „gibt es schon fast 20 Jahre.“ Kanzler
  „Dies ist kein bloßer Good-Will-Ver-     Labisch fügte hinzu: „Da wir auch um         Pallme König ergänzt: „Jetzt aber auch
trag“, betonten Rektor Labisch und         gute Köpfe bei den Studierenden kon-         de jure, nämlich mit einem offiziellen
Hermann Franzen, Präsident der IHK         kurrieren, müssen wir hinten die Karrie-     Kooperationsvertrag.“
Düsseldorf. Der Vertrag bilde das Fun-     rechancen sichern.“ Damit sei der

Newsletter der Thomas-Mann-Sammlung

D
        ie Thomas-Mann-Sammlung der        Sammlung“ abonniert werden. Interes-
        Universitäts- und Landesbiblio-    senten erhalten dann die erste bereits
        thek Düsseldorf gibt jetzt einen   erschienene Ausgabe des Newsletters
Newsletter heraus, der in unregelmäßi-     sowie alle weiteren zugeschickt.
gen Abständen über die Neuerschei-
nungen auf dem Buchmarkt, über Auf-
sätze aus wissenschaftlichen Fachzeit-
schriften, über wichtige Zeitungsartikel
und Veranstaltungen zu Thomas Mann
und seiner Familie informieren wird. Der
Newsletter kann über eine E-Mail an die    Ansprechpartnerin:
                                                                                                                                    Foto: Archiv

Leitung der Thomas-Mann-Sammlung           Dr. Ute Olliges-Wieczorek,
(olliges@ub.uni-duesseldorf.de) mit dem    Tel. 0211-81 13528,
Hinweis „Newsletter der Thomas-Mann-       e-mail: olliges@ub.uni-duesseldorf.de

Ausgabe 3 · 2006                                                                                                               7
Titel I

„Weiße Biotechnologie“,
Schönheit der Naturstoffe
Von Forschung auf höchstem Niveau profitieren auch Studierende
VON VICTORIA MEINSCHÄFER

Biotechnologie ist derzeit ein Forschungs-
zweig mit einem immensen Wachstums-
potential. Die High-Tech-Strategie der
Bundesregierung will ihre industrielle An-
wendung verstärkt fördern, zugleich hat
das Bundesministerium für Bildung und
Forschung zahlreiche Förderprogramme
initiiert, darunter „Systembiologie mit
Mikroorganismen“ (Sysmo), „Funktionelle
Genomforschung mit Mikroorganismen“
(GenoMik-Plus) und seit kurzem auch
„Bioindustrie 2021“.

A
        n allen diesen Programmen ak-
        tiv beteiligt ist das neu gegrün-
        dete Zentrum für Mikrobielle
Biotechnologie am Forschungszentrum
Jülich, das aus vier Instituten besteht:
den zum Helmholtz-Forschungszentrum
Jülich gehörenden Instituten für               „Das, was wir tun, nennt man Weiße       me, das sind Proteine, die innerhalb von
Biotechnologie 1 (Direktor: Prof. Dr. Her-   Biotechnologie“, erklärt Jaeger, „und      lebenden Zellen sehr spezifische Reak-
mann Sahm) und Biotechnologie 2              das bedeutet die Herstellung einer Viel-   tionen katalysieren.“ Katalyse bedeutet
(Direktor: Prof. Dr. Christian Wandrey);     zahl unterschiedlicher chemischer Pro-     dabei Beschleunigung: Eine prinzipiell
sowie den beiden zur Heinrich-Heine-         dukte mit Hilfe von Mikroorganismen.       mögliche Reaktion läuft in Gegenwart
Universität Düsseldorf gehörenden In-        Unsere Werkzeuge sind dabei die Enzy-      eines Katalysators deutlich schneller
stituten für Molekulare Enzymtechno-
logie (Direktor: Prof. Dr. Karl-Erich
Jaeger) und Bioorganische Chemie
(Direktor: Prof. Dr. Jörg Pietruszka).
  Jaeger kommt gut zwei Mal pro
Woche nach Düsseldorf, immer rund
eine Stunde Fahrt, doch er hat es noch
nie bedauert, nicht direkt in der Uni
zu sitzen. „Wir dürfen das Know-how,
die Kooperationsmöglichkeiten und die
Infrastruktur im Forschungszentrum
Jülich nutzen, das hilft uns, internatio-
nal mit zu mischen“, erklärt er. Jaeger
beschäftigt sich mit Biokatalysatoren –
und hat dabei einen Lehrstuhl inne, der
schon seit Jahren hoch renommiert ist:
Prof. Dr. Maria-Regina Kula war hier
Lehrstuhlinhaberin, als sie 2002 den
Zukunftspreis des Bundespräsidenten
gewann.

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Titel I

ab, ohne dass sich der Katalysator
selbst verbraucht. In jeder Zelle, so er-
klärt Jaeger, sind Tausende von Kataly-
satoren in Form von Enzymen vorhan-
den. Sie bestehen aus Aminosäuren, die
wie Perlen an einer Schnur aufgereiht
sind. Zwanzig verschiedene „Aminosäu-
re-Perlen“ werden immer wieder neu
kombiniert, die Reihenfolge bestimmt
das Aussehen und die Funktion des
Endprodukts. Die Ketten können mehre-
re hundert Aminosäuren lang sein, und
erst die richtige Faltung ergibt ein funk-
tionierendes Enzym. Oftmals müssen
sich dazu sogar mehrere Ketten zusam-
men lagern.
   Wenn die Enzyme in der Natur so
gute Arbeit leisten, arbeiten die nicht
auch im Reagenzglas? Kann man sie
dann nicht auch in der Chemie, und so-
gar in der Industrie nutzen?
   Dies ist prinzipiell möglich, aber die
meisten Enzyme sind im Laufe der Evo-
lution der Organismen für die Arbeit in
ihrer natürlichen Umgebung optimiert
worden. Deshalb müssen für biotechno-
logische Anwendungen ständig neue
Enzyme gefunden oder schon vorhan-           Auch Alltagsgeschäft im ZMB: Bei der Genanalyse werden Gene in einzelne
dene mit molekularbiologischen Metho-        DNA-Abschnitte aufgetrennt. Das Muster ist charakteristisch für jedes Indivi-
den optimiert werden. Bevor sie neue         duum und ermöglicht Rückschlüsse auf Krankheiten.
Enzyme verwenden können, müssen die
Wissenschaftler diese zunächst identifi-     Bakterium geholt werden, was nicht           Er ist ein Experte auf dem Gebiet der
zieren. Aber sie suchen nicht direkt         ganz einfach ist, aber auch dafür haben    Synthesechemie, befasst sich also mit
nach den Enyzmen, sondern nach deren         wir eine Lösung gefunden.“                 der gezielten Umwandlung von Sub-
DNA, die nicht nur in menschlichen und         Ist das Enzym erst identifiziert, so     stanzen. Pietruszka beschäftigt sich in
tierischen Zellen, sondern auch in           muss es noch gereinigt und seine Ei-       erster Linie mit der Synthese von kom-
Bakterien, im Boden oder im Wasser           genschaften müssen untersucht wer-         plexen Naturstoffen, speziell mit organi-
millionenfach vorhanden ist.                 den; auch das wird am Institut für Mole-   schen Verbindungen, die aus terrestri-
   „Nehmen Sie einen Kaffeelöffel voller     kulare Enzymtechnologie erfolgreich        schen oder marinen Quellen isoliert
Dreck, dann haben Sie Millionen von Ge-      durchgeführt. Aber welche Reaktionen       wurden.
nen“, macht Jaeger es anschaulich. Ge-       interessieren denn nun den Chemiker,
ne zu finden ist also recht einfach, doch    für welche Zwecke will er die Enzyme
wie finden die Wissenschaftler heraus,       als Biokatalysatoren einsetzen? „Wenn
wofür diese Gene kodieren? „Expressi-        ich allein hier säße“, erklärt Jaeger,
on“ lautet die Antwort, dahinter ver-        „hätte ich an dieser Stelle ein Pro-
birgt sich das Geheimnis, aus einem          blem“ und weist dabei ins benach-
Gen ein Protein zu machen.                   barte Gebäude, in dem das Insti-
   Diesen Prozess, dem Laien ebenso          tut für Bioorganische Chemie der
staunend wie verständnislos gegenüber        Uni Düsseldorf untergebracht ist,
stehen, fasst Jaeger mit einfachen Wor-      das von Prof. Dr. Jörg Pietruszka
ten so zusammen: „Man bringt die DNA         geleitet wird.
in einen lebenden Mikroorganismus ein,
z.B. in das berühmte E. coli Bakterium,      Auf Agar-Platten mit Nährme-
und das macht dann aus der DNA ein           dien können Bakterienstämme an-
Enzym. Das muss dann wieder aus dem          gezüchtet und isoliert werden.

Ausgabe 3 · 2006                                                                                                               9
Titel I

                                                                                              Drittmitteln finanziert. Genutzt werden
                                                                                              sie gemeinsam von den Teams aus bei-
                                                                                              den Instituten.
                                                                                                 Neben der Forschung ist für Pietrusz-
                                                                                              ka der Kontakt zu seinen Studierenden
                                                                                              besonders wichtig: „Wir wollen ein Stu-
                                                                                              dium anbieten, dessen Inhalte später
                                                                                              auch nachgefragt sind. Interdisziplina-
                                                                                              rität ist gefordert und viele Studierende
                                                                                              werden nach Abschluss des Studiums
                                                                                              gerade in den wissenschaftlichen
                                                                                              Grenzgebieten unterkommen.“ Teure
Mit Enzymen und komplexen Biomolekülen beschäftigen sich die Wissen-
                                                                                              Großgeräte sind nicht nur für die Wis-
schaftler der Heinrich-Heine-Universität auf dem Gelände des Forschungszen-
                                                                                              senschaftler hoch interessant, sondern
trums Jülich, sie arbeiten eng mit den Jülicher Biotechnologen zusammen.
                                                                                              bilden auch für die Ausbildung der Stu-
                                                            Fotos: Forschungszentrum Jülich
                                                                                              dierenden einen deutlichen Pluspunkt
                                                                                              für Düsseldorfer Biologen und Chemi-
   In diesem Zusammenhang ist „Faszi-        Häufig seien natürliche Wirkstoffe aber
                                                                                              ker. „Wer beim Bewerbungsgespräch
nation“ für ihn ein wichtiges Wort, faszi-   viel zu komplex aufgebaut, um sie als
                                                                                              sagt, dass er beispielsweise schon im
nierend findet er neue Strukturen, de-       Medikamente einzusetzen, berichtet
                                                                                              Studium am Syntheseroboter gearbei-
ren „Schönheit“, so Pietruszka wörtlich,     Pietruszka: „Durch eine gezielte Modifi-
                                                                                              tet hat, ist deutlich im Vorteil“, ist sich
ihn interessiert und motiviert.              kation können wir synthetisch einfacher
                                                                                              Pietruszka sicher.
   Kennt man erst die Struktur der Ver-      zugängliche Substanzen bereitstellen,
bindungen, so können sie nachgebaut          deren physiologische Eigenschaften wir
                                                                                              Kontakt:
und z.B. für die Medikamentenherstel-        dabei gegebenenfalls noch verbessern.“
                                                                                              karl-erich.jaeger@fz-juelich.de
lung gebraucht werden. Der Synthese-         Hierfür stellt der Arbeitskreis Schlüssel-
                                                                                              j.pietruszka@fz-juelich.de
chemie komme bei Fragen wie der Be-          bausteine – Ergebnisse umfangreicher
völkerungsexplosion, der Bekämpfung          Methodenentwicklung – zur Verfügung,
von Krankheiten oder auch der Verbes-        die flexibel den Aufbau auch modifizier-
serung der Lebensqualität im Alter eine      ter Naturstoffe ermöglichen sollen.
wichtige Rolle zu, so Pietruszka: „Gera-     „Und hier sind wir auch wieder thema-
de durch gezielte Stoffumwandlungen          tisch beieinander: Als Schlüsseltechno-
können entscheidende Fortschritte in         logie nutzen wir u.a. die Biokatalyse:
der Medizin sowie in den Bio- und Mate-      Ohne ,optimierte Enzyme’ wären wir
rialwissenschaften initiiert werden.“        ziemlich aufgeschmissen.“ Natürlich ist
   Pietruszka arbeitet bevorzugt an der      dies alles immer ein Geben und Neh-
Synthese von Naturstoffen, die aus           men, nicht-natürliche Substrate müssen
Meeresorganismen stammen: Hier wer-          genauso bereitgestellt und analysiert
den häufig herausragende physiologi-         werden wie die Biokatalysatoren,
sche Eigenschaften beobachtet und so-        Screeningsysteme müssen gemeinsam
mit stellt sich die Frage, ob und            vor Ort entwickelt werden.                       Prof. Dr. Karl-Erich Jaeger
inwieweit der zu synthetisierende Stoff         Diese problemlose Zusammenarbeit
etwa in der Medizin eingesetzt werden        auch mit anderen Wissenschaftlern im
könnte. Derzeit gehen immerhin rund 61       Forschungszentrum Jülich, speziell je-
Prozent aller neuen chemischen Struk-        doch innerhalb des Zentrums für mikro-
tureinheiten für Medikamente direkt          bielle Biotechnologie, sieht Pietruszka
oder indirekt auf Naturprodukte zurück.      als großen Vorteil seines Arbeitsplat-
   Viele dieser Stoffe kommen nur in         zes: So gibt es seit einigen Jahren einen
äußerst geringen Mengen in der Natur         Kolonie-Pickroboter QPix2 der Firma
vor. „Hier ist die Synthese auch Kontroll-   Genetix und einen Pipettier-Roboter
element, das zur Strukturaufklärung          TECAN-Workstation GENESIS mit inte-
beiträgt. Denn: Aus einer Tonne Roh-         griertem multifunktionalen Mikrotiter-
material wird häufig deutlich weniger        plattenphotometer Genios, Magnetse-
als ein Gramm Produkt isoliert“. Somit       parator     und    Vakuumstation.     Die
wird die Synthese aus ökonomischen           zusammen gut 400.000 Euro teuren
und ökologischen Gründen sinnvoll.           Geräte hat Jaeger zum größten Teil aus           Prof. Dr. Jörg Pietruszka

10                                                                                                                    Ausgabe 3 · 2006
Titel II

Katalysatoren:
maßgeschneidert und passgenau
Gemeinsame Ausgründung FZ Jülich und Heinrich-Heine-Universität
VON VICTORIA MEINSCHÄFER

Die Firma EVOcatal GmbH ist ein gemein-
sames Kind der Heinrich-Heine-Univer-
sität und des Forschungszentrums Jülich.
Der Name, zusammengesetzt aus Evolu-
tion und Katalyse, ist Programm: Hier
werden maßgeschneiderte und weiterent-

                                                                                                                                   Foto: privat
wickelte Mikroorganismen für die Bioka-
talyse hergestellt und verkauft. Prof. Dr.
Karl-Erich Jaeger, Prof. Dr. Werner Hum-
mel und Dr. Thorsten Eggert (Institut für    Das Gründerteam: Prof. Dr. Werner Hummel, Dr. Thorsten Eggert, Prof. Dr. Karl-
Molekulare Enzymtechnologie) haben im        Erich Jaeger (v.l.)
September 2006 dieses Spin-off der Uni-
                                             Zellen.“ Viele Katalysatoren sind nach        Die Analyse läuft dann zum großen
versität gegründet.
                                             einem solchen Prozess verbraucht, eine     Teil computergesteuert ab, ein Roboter
                                             Aufgabe von EVOcatal ist es deshalb,       bereitet das Material so auf, dass den

B
         iokatalysatoren bieten neue
         Möglichkeiten, um umweltscho-       die Enzyme so zu verändern, dass sie       Wissenschaftlern am Ende die DNA als
         nend Chemikalien herzustellen“,     möglichst viele Prozess-Runden über-       Träger aller Erbinformationen vorliegt.
erklärt Dr. Thorsten Eggert, der Ge-         stehen können.                             Wird beim Screening der passende Mi-
schäftsführer des neu gegründeten Un-           Woher bekommen die Chemiker in          kroorganismus gefunden, so isolieren
ternehmens. „Jede normale Zelle ist          der Industrie die gewünschten Biokata-     ihn die Forscher und züchten ihn weiter,
voll mit Katalysatoren, die in der Zelle     lysatoren? „Ganz einfach aus der           alle anderen gefundenen Mikroorganis-
alle Stoffwechsel-Vorgänge steuern; für      Natur“, so Eggert. „Wir gehen raus,        men frieren sie ein für weitere Suchpro-
jeden einzelnen Schritt gibt es ein spe-     nehmen eine Schippe voller Erde, voller    gramme. So entsteht mit der Zeit eine
zielles Enzym. Diese Enzyme können           Dreck mit und haben Millionen von          riesige Bibliothek voller Erbinformatio-
nun auch für technische Prozesse ein-        Mikroorganismen. Die können wir dann       nen für möglicherweise nützliche Enzy-
gesetzt werden.“ Den Kunden aus der          alle daraufhin analysieren, ob sie viel-   me, auf die immer wieder zurückgegrif-
chemischen oder pharmazeutischen In-         leicht die gewünschten Enzyme ent-         fen werden kann.
dustrie die gewünschten passenden Ka-        halten.“ Gesucht wird allerdings nicht        Was hat EVOcatal, was andere Bio-
talysatoren zu beschaffen, ist das Ziel      irgendwo, sondern da, wo man die           technologiefirmen nicht haben? „15 bis
von EVOcatal.                                benötigten Eigenschaften vermuten          20 Jahre Forschungsvorsprung“, ant-
   Ein Beispiel für biokatalytisch herge-    kann. Werden etwa besonders hitzebe-       wortet Eggert sofort, „wir bringen das
stellte Produkte sind etwa chirale Alko-     ständige Mikroorganismen benötigt, so      komplette Wissen aus dem Institut mit
hole, die als Vorstufen verwendet wer-       kann man etwa in der Umgebung heißer       in die Firma.“
den, um Cholesterinsenker herzustellen.      Quellen suchen.
„Diese auf konventionellem Wege zu
produzieren ist schwierig“, erklärt Eg-      Gründer- und Patentsprechstunde
gert, „mit der Enzymtechnologie ist es       Die Heinrich-Heine-Universität bietet zusammen mit der Wirtschaftsförderung
dagegen kein Problem.“ Quasi über            Düsseldorf und der Patentverwertungsagentur Provendis GmbH regelmäßig Bera-
Nacht entstehen die gewünschten Pro-         tungs- und Informationsgespräche für Hochschulwissenschaftlerinnen und -wis-
dukte, „in einen Fermenter werden            senschaftler zu allen Themen rund um „Unternehmensgründung, Erfindungen,
Nährlösung und die Mirkoorganismen           Copyrightfragen und Patente“ an. Die Gründer- und Patentsprechstunde findet
gegeben, das sieht aus wie Apfelsaft         einmal im Monat (immer donnerstags) zwischen 12 und 17 Uhr in den Räumen
und am nächsten Morgen sieht es dann         der Abteilung Forschungs- und Technologie-Transfer, Gebäude 16.11, Ebene 01,
aus wie naturtrüber Apfelsaft“, erklärt      Raum 26 statt.
Eggert. „Das Produkt ist dann entweder       Nächster Termin: 21. Dezember 2006.
im Nährmedium selbst oder in den             Es wird um Voranmeldung unter der Telefonnummer (0211) 81-13265 gebeten.

Ausgabe 3 · 2006                                                                                                              11
Titel III

Die Anlage
Rückblick: Vor 50 Jahren wurde die KFA Jülich gegründet
VON ROLF WILLHARDT

Der Düsseldorfer Historiker Bernd Rusi-
nek schrieb die Geschichte der Kernfor-
schungsanlage (KFA) Jülich, des späteren
Forschungszentrums.

Die Vorgeschichte

                                                                                                                                      Fotos: Pressestelle Forschungszentrum Jülich
A     b 1955 wurden in der Bundesrepu-
      blik Deutschland die naturwissen-
schaftlich-technischen Großforschungs-
einrichtungen nach amerikanischen und
britischen Vorbildern gegründet. Die
ersten – Jülich, Karlsruhe und Geest-
hacht – waren Atomforschungszentren,
die auf dem Sektor der friedlichen
Kernenergie-Nutzung den Anschluss an
das Weltniveau ermöglichen sollten.
Schließlich war es in der Bundesrepu-        Aus den ersten Tagen: Baustelle der „Kernforschungsanlage Jülich“ 1956. Wo
blik bis zum Mai 1955 offiziell untersagt,   anfangs rheinische Ödnis zwischen Wald und Rübenäckern vorherrschte, ent-
Kernforschung und –entwicklung zu            stand mit den Jahren ein großflächiges, hochmodernes wissenschaftliches
betreiben. Ziel: Den Rückstand gegen-        Forschungszentrum von internationalem Rang.
über den USA, Großbritannien und der
Sowjetunion aufzuholen.                        Es galt, die Kräfte der Naturwissen-      schen Monographien sollte die Ge-
   Die Rede vom „Rückstand“, die ein hi-     schaften und der Industrie zusammen-        schichte der einzelnen Einrichtungen
storisches Verlaufsmodell enthält, präg-     zuspannen. Eigentlich nichts Neues. Die     erarbeitet werden. Das Göttinger Max-
te sämtliche Verlautbarungen aus die-        Grundidee führt zurück in die zweite        Planck-Institut für Geschichte koordi-
ser Gründerzeit der westdeutschen            Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der In-    nierte das Projekt, das von den Großfor-
Forschungszentren. Der Rückstand soll-       dustrielle Werner von Siemens im Berli-     schungseinrichtungen selbst initiiert
te mit einer gezielten Zusammenfas-          ner Zirkus Renz das „Naturwissen-           worden war.
sung der wissenschaftlichen Kräfte in        schaftliche Zeitalter“ ausrief. Thomas         Die Monographie über die größte die-
einer Organisationsform überwunden           Mann konstatierte für die 90er Jahre        ser Einrichtungen, das Forschungszen-
werden, wie sie während des Zweiten          die Verwissenschaftlichung der Indu-        trum Jülich, ehemals Kernforschungs-
Weltkrieges im Zuge des amerikani-           strie und die Industrialisierung der Wis-   anlage Jülich (KFA), wurde 1994 von
schen „Manhattan Project“, der Ent-          senschaft. 1909 legte Adolf von             der Philosophischen Fakultät der Hein-
wicklung einer einsatzfähigen Atom-          Harnack Kaiser Wilhelm II. die berühmte     rich-Heine-Universität als Habilitations-
bombe, entstanden war.                       Denkschrift zur Gründung einer Kaiser-      schrift angenommen. Die Arbeit, Titel:
   Das friedlich gewendete „Manhattan        Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der      „Die Anlage“, wurde von dem damaligen
Project“ entsprach einem Trend der un-       naturwissenschaftlichen Forschung vor.      Privatdozenten Dr. Bernd Rusinek (geb.
mittelbaren Nachkriegszeit. Progressive                                                  1955), Historisches Seminar VI, ver-
Forschungspolitiker der 50er Jahre zer-                                                  fasst; er ist heute Professor in Freiburg.
                                             KFA als Forschungsobjekt                       Die Gründung der KFA Jülich im Jah-
brachen sich keineswegs allein darüber
die Köpfe, wie die Ordinarienuniversitä-
ten zu „restaurieren“ waren. Sie forder-
ten vehement neue Organisationsfor-
                                             D    ie seit 1970 in einer Arbeitsgemein-
                                                  schaft     zusammengeschlossenen
                                             deutschen Großforschungseinrichtun-
                                                                                         re 1956 erscheint im Rückblick als die
                                                                                         größte forschungspolitische Kraftan-
                                                                                         strengung des zu dieser Zeit industriell
men in der Wissenschaft, nachdem die         gen wurzeln in dieser wissenschaftshi-      potentesten Bundeslandes. Die ehrgeizi-
überkommenen entweder in der Ver-            storischen Tradition. Die wiederum zum      gen Ambitionen der nordrhein-westfäli-
gangenheit versagt hätten oder den           Gegenstand der Geschichtsschreibung         schen Forschungspolitik waren hierbei
Aufgaben für die Zukunft nicht gewach-       wurde. 1986 entstand das Projekt „Ge-       auf die gesamte Bundesrepublik gerich-
sen schienen.                                schichte der Großforschung“. In histori-    tet. Da aber hob die Bundesregierung

12                                                                                                              Ausgabe 3 · 2006
Titel III

1956 das Kernforschungszentrum Karls-     gen Besatzungsmacht Großbritannien,         Verbindung von Sozialdemokratie und
ruhe aus der Taufe. Die zwischen bei-     wogegen die gesamte übrige bundes-          Kernenergie eine bemerkenswerte Ehe.
den Zentren entstehende Konkurrenz        deutsche Reaktorforschung und –ent-            Auf Leo Brandts Initiative hin entstand
wurde für die Geschichte der KFA kon-     wicklung Amerika-orientiert war.            nahe Jülich um zwei britische For-
stitutiv. Sie setzte sich in den beiden                                               schungsreaktoren herum ein Kranz von
nuklearen Großprojekten fort: dem                                                     Instituten, die all das wissenschaftlich
                                          SPD und Kernenergie
Schnellen Brüter (Karlsruhe) und dem                                                  bearbeiten sollten, was in der Zeit der
Jülicher Thorium-Hochtemperatur-Re-
aktor (THTR), einer Weiterentwicklung
des Kugelhaufenreaktors (in den Quel-
                                          D    ie NRW-Forschungspolitik konnten
                                               in den 50er und zum Teil noch in
                                          den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
                                                                                      „Atomeuphorie“ ab 1955 die „Zweite In-
                                                                                      dustrielle Revolution“ zu versprechen
                                                                                      schien: neben Reaktorentwicklung und
len auch als „Kartoffelhaufenreaktor“     mit einem Mann fast identifiziert wer-      Plasmaphysik auch Biologie und Land-
bezeichnet), den eine Gruppe kommu-       den: dem sozialdemokratischen Ingeni-       wirtschaft sowie die Entwicklung nuklea-
naler Elektrizitätsversorgungsunterneh-   eur-Politiker Leo Brandt (1909 bis 1971),   rer Flugzeugtriebwerke. Diese themati-
men unter der Führung der Stadtwerke      ehemals Mitarbeiter bei der Entwick-        sche Vielfalt erleichterte der KFA später,
Düsseldorf ab 1958 in Jülich errichten    lung der V2 und der Funkmess-Geräte         als in der Öffentlichkeit die atomeupho-
ließ. Anfänglich war übrigens als ein     der Wehrmacht. Er brachte die Bundes-       rische Gemütslage in eine atomgegneri-
alternativer Standort auch Düsseldorf     SPD auf ihrem Parteitag von 1956            sche umschlug, die Diversifizierung.
vorgesehen, am Rhein, in der Nähe der     auf Atomkurs. Die Gründung der KFA             Die Institute wurden aus den Univer-
heutigen Universität. Köln-Königsforst    Jülich, deren „Vater“ und „Trommler“        sitäten des Landes heraus als Arbeits-
stand ebenfalls zur Debatte.              (Rusinek) er ist, war der konsequente       gruppen aufgebaut. Somit blieb die
   Prägend für die frühe Geschichte der   Versuch, das sozialdemokratische Kern-      enge Verbindung zu den NRW-Hoch-
KFA wurden die nordrhein-westfäli-        energie-Programm zu verwirklichen.          schulen erhalten, die schließlich zum
schen Sonderbeziehungen zur ehemali-      Von heute aus betrachtet erscheint die      „Jülicher Modell“ führte.

Baubeginn der Reaktoren MERLIN und DIDO. Anders als an den übrigen Atomstandorten in der Bundesrepublik, setzte
die KFA in der Anfangsphase nicht auf amerikanisches Know-how in der Atomtechnik, sondern orientierte sich an der
ehemaligen Besatzungsmacht Großbritannien.

Ausgabe 3 · 2006                                                                                                             13
Titel III

Kampf gegen Bürokratie

D    ie Anfangsphase der KFA war
     die hohe Zeit eines bestimmten
hemdsärmeligen Akteurstyps, der sich
um Formalitäten wenig kümmerte. Sie
endete, als sich Strukturen gebildet hat-
ten, mit denen dieser Typ des Ingeni-
eur-Akteurs nicht umzugehen verstand.
Das traditionsreiche mentale Gegen-
satzpaar Ingenieur-Jurist war auch bei
der Gründung der KFA von großer Be-
deutung.
   Die für die Aufbauphase charakteri-
stischen Kämpfe zwischen „der Anlage“
und den verschiedenen Administrati-
onsebenen in Land und Bund zeigen,
wie unendlich schwer es bereits in den
50er Jahren war, gegen die „Bürokra-
tie“ und die etablierten wissenschaftli-
chen Organisationen eine neue Institu-
tion durchzusetzen. Es gab endlose
Standortquerelen, Fallstricke, Intrigen.
Häufig verbargen sich unter einem              Die große Politik war und ist oft zu Gast in Jülich: Der „Vater der Anlage“, Leo
Schleier von Verfahrensrationalität und        Brandt (links), im Gespräch mit Bundespräsident Heinrich Lübke bei dessen
juristischer Bedenklichkeit Referenten-        Besuch 1968.
Eigensinn, Eitelkeit, Terrainstil, persönli-
che Abneigungen und Vorlieben als              gieverknappung unmittelbar bevorstün-         An der Geschichte der KFA ist genau
treibende Kräfte, stellt Rusinek in sei-       de. Die Kernenergie, insbesondere das      zu studieren, wie sich die allgemeine
ner Arbeit fest.                               „Brüten“ und am Horizont die Kernfusi-     Einstellung der Öffentlichkeit gegen-
   Die Etablierung der KFA als wissen-         on, schienen eine unerschöpfliche Ener-    über der Kernforschung sowie der
schaftliche Institution gelang letztlich       giequelle zu sein, geeignet, das deut-     Naturwissenschaft überhaupt allmäh-
nur deshalb, weil die „Politik“ in eine Si-    sche Wirtschaftswunder auf Dauer zu        lich wandelt, stellt Rusinek fest. Man
tuation manövriert wurde, aus der sie          stellen.                                   verfolgte die nukleare Kontroverse
nicht mehr heraus konnte, ohne bun-               „Ängste“, schreibt Ernst Jünger, „ha-   zunächst verwundert, dann besorgt,
des- und europaweit an Prestige zu ver-        ben ihre Moden.“ Betrachtet man die        schließlich mit dem Rücken zur Wand.
lieren.                                        Geschichte der Kernenergie-Akzeptanz       „Öffentlichkeit – heute ein vierter wich-
   Die KFA war zunächst ein rein nord-         von der Epiphanie- zur Gott-sei-bei-uns-   tiger Partner neben Wissenschaft, Wirt-
rhein-westfälisches Vorhaben. Ab 1968          Phase, so stößt man auf eine Geschich-     schaft und Staat“, hieß es 1971. Eine
beteiligte sich der Bund offiziell an der      te der Generationen.                       Art symbolischer Endpunkt war 1977
Anlage. Heute finanziert er das For-              Den Vätern wurde vorgeworfen, sie       erreicht, als ein KFA-Physikprofessor
schungszentrum zu 90 Prozent, 10 Pro-          hätten ihre wissenschaftlichen Fähig-      dem Bundesinnenministerium vertraulich
zent kommen vom Land NRW.                      keiten in den Dienst des Hitler-Regimes    mitteilte, er sei nicht bereit, an einer ge-
                                               gestellt, vielleicht sogar im „Uran-Ver-   planten Diskussionsveranstaltung teil-
                                               ein“ mitgearbeitet. Sie glaubten, mit      zunehmen: Er hatte „physische Angst“
Nukleare Kontroverse
                                               der Beteiligung an der friedlichen Kern-   vor einem prominenten und als „gewalt-

W     ie konnte es zugehen, dass gera-
      de die zivile Nutzung der Kernen-
ergie als der Bereich angesehen wurde,
                                               energienutzung könnten sie sich das
                                               Kainsmal der Todesphysik von der Stir-
                                               ne reißen.
                                                                                          tätig“ geltenden Kernkraftgegner, sei-
                                                                                          nes Zeichens Physikprofessor an einer
                                                                                          norddeutschen Reform-Universität.
der eine grundstürzende Modernisie-               Die anti-Kernkraft-bewegten Töchter
rung der Gesellschaft einleiten und die        und Söhne hefteten ihnen dieses Mal
                                                                                          „Jülicher Akzeptanz“
Re-Integration Deutschlands in den             wieder an, indem entweder argumen-
Kreis der friedlichen Völker her-
beiführen sollte?
  In den 50er Jahren wurde allgemein
                                               tiert wurde, die Reaktoren seien Mord-
                                               maschinen, oder, die Väter hätten oh-
                                               nehin nichts anderes vorgehabt, als
                                                                                          D   ieses gewandelte Akzeptanzge-
                                                                                              schehen betrifft die große Linie.
                                                                                          „Vor Ort“ dagegen, an Standorten, die
befürchtet, dass eine dramatische Ener-        Atombomben zu bauen.                       für Kernforschungseinrichtungen und

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Titel III

Reaktoren in Aussicht genommen wor-             Es gibt wesentlich komplizierter auf-        geprägte Arbeitsverständnis der Alt-
den waren, hat es stets Proteste der Be-      gebaute physische Organismen als Dro-          Jülicher war die Tätigkeit in der KFA, –
völkerung gegeben. Um so erstaunter           sophila; es gibt wesentlich schwerer zu        keine Arbeit. Dass „auf’m Atom“ nicht
waren die Verantwortlichen über die           durchschauende soziale Organismen als          gearbeitet würde, war die feste Mei-
große „Jülicher Akzeptanz“.                   die Stadt Jülich.                              nung vieler Alt-Jülicher.
   Zunächst waren die Erwartungen               Aber wie vom Vererbungsgeschehen               Die Frage, was soziologisch geschehe,
Jülichs, der meistzerstörten deutschen        der Drosophila auf höher organisierte          wenn im Nahbereich einer kleineren,
Stadt im Zweiten Weltkrieg, in deren          Organismen geschlossen werden konn-            schwach entwickelten Stadt ein großes
Trümmern Churchill sich stolz fotogra-        te, erlaubt die Analyse Jülichs, auf das       Forschungszentrum mit Tausenden von
fieren ließ, eine Wiederholung der            Kommunikationsgeschehen und seine              in diese Stadt ziehenden Mitarbeitern
Atomeuphorie im Kleinen. Militärische         soziale Vernetzung in größeren, un-            errichtet wird, nimmt in Rusineks Buch
Opferlandschaft seit Jahrhunderten,           übersichtlicheren und in ihrer Konflikt-       über die Geschichte der „Anlage“
wollte die Stadt nun ein Zentrum fried-       landschaft vielgestaltigeren Städten           großen Raum ein. Die Untersuchung be-
licher Aktivitäten werden. Der Plan,          schließen zu können. Daher wurden              schränkt sich dabei nicht auf Jülich,
in der Jülicher Zitadelle eine „Atom-         namhafte Vertreter der Soziologie              sondern zieht vergleichbare Situationen
schule“ zu errichten, war Ausdruck            schnell auf die Jülicher Vorgänge auf-         anderer Forschungszentren heran.
dieses Wunsches.                              merksam.
   Bekanntlich war die Fruchtfliege Dro-        Durch die KFA-Neubürger änderten
sophila wegen ihrer schlichten Struktur       sich in Jülich die konfessionellen und         Literatur:
und der Möglichkeit, auf komplexere           schließlich die politischen Verhältnisse.      Bernd-A. Rusinek: Das Forschungszen-
Vorgänge schließen zu können, für Ge-         Jülich galt als Stadt der Dachdecker,          trum. Eine Geschichte der KFA Jülich
nerationen von Biologen der ideale For-       und viele Jülicher Handwerker verdien-         von ihrer Gründung bis 1980. Campus-
schungsgegenstand. Ein solcher „Dro-          ten sich während der Rübenkampagnen            Verlag, Frankfurt/New York 1996 (Stu-
sophila-Effekt“ stellt sich auch bei der      ein Zubrot in der Zuckerfabrik. Das war        dien zur Geschichte der deutschen
Untersuchung des Verhältnisses zwi-           schwere Arbeit, und für das davon              Großforschungseinrichtungen, Band 11).
schen der Stadt Jülich und der KFA ein.
   Zwar ist Jülich keine typische Stadt       Das Forschungszentrum Jülich GmbH ist eine der größten Forschungseinrichtun-
für Nordrhein-Westfalen oder die Bun-         gen in Europa und hat 4.400 Beschäftigte. Sie arbeiten in den Disziplinen Physik,
desrepublik, aber die innerstädtischen        Chemie, Biologie, Medizin und in den Ingenieurswissenschaften. Gesellschafter
Konflikte besitzen den Komfort der sim-       sind die Bundesrepublik Deutschland zu 90 Prozent und zu zehn Prozent das
plen Inszenierung.                            Land Nordrhein-Westfalen. Das Forschungszentrum ist eines von 15 Helmholtz-
   Schlicht die soziale Struktur bis in die   Forschungszentren in Deutschland.
50er Jahre hinein, säuberlich unter-          1956 wurde das Forschungszentrum als Atomforschungsanlage, später als Kern-
scheidbar die Alt- und die KFA-Neubür-        forschungsanlage auf- und ausgebaut. Die Umtaufe in „Forschungszentrum
ger, ohne Probleme auseinander zu hal-        Jülich“ 1990 signalisierte eine Weichenstellung zu den Schwerpunkten Materie,
ten die Interessen hinter den beiden          Energie, Information, Leben sowie Erde und Umwelt. Pro Jahr arbeiten über
großen Parteien CDU und SPD: In der           700 Gastwissenschaftler aus 50 Ländern in Jülich.
SPD formulierten die KFA-Neubürger ih-        Die lukrativste Entdeckung in der Geschichte der KFA war der Riesen-Magneto-
re Interessen an einer Modernisierung         Widerstandseffekt im Jahr 1988. Die Entdeckung des Physikers Peter Grünberg
der Verhältnisse in Jülich; in der CDU        hatte den Durchbruch zu Gigabyte-Festplatten gebracht. Die Technik findet sich in
wehrten sich die Alt-Jülicher gegen           mehr als 90 Prozent aller produzierten Festplatten. Die Lizenznehmer des Patents
einen allzu schnellen Wandel.                 bescherten dem Forschungszentrum Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe.

                                               Moderne Büro- und Produktionsflächen              Konferenzzentrum Bergisches Land
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Ausgabe 3 · 2006                                                                                                                          15
Campus

30 Jahre Zeitzeuge
studentischen Lebens
Studentenwerk verabschiedet langjährigen Geschäftsführer
VON KERSTIN MÜNZER

BaFöG, Mensen, Wohnheime: In zentraler
Funktion leitete Dipl.-Kfm. Manfred Losen
mit Engagement und beachtlichem Erfolg
das Studentenwerk, zuständig für die
soziale, wirtschaftliche, gesundheitliche
und kulturelle Förderung der Studieren-
den an den vier Düsseldorfer Hochschulen
und der Hochschule Niederrhein in Krefeld
und Mönchengladbach.

                                                                                                                                 Foto: Wilfried G. Neuse
A
         ls Losen 1977 die Geschäfts-
         führung übernahm, hatte das
         Studentenwerk lediglich 166
Mitarbeiter und betreute vier Mensen,
vier Cafeterien und sechs Wohnanla-
gen. Bis heute ist es zu einem Unter-
                                            Bei der Verabschiedung am 20. September (v. l.): Frank Zehetner, Manfred
nehmen mit über 330 Mitarbeitern,
                                            Losen und Rektor Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch
sechs Mensen, elf Cafeterien, achtzehn
Wohnanlagen, zwei Kindertagesstätten        en tätig. Von 1978 bis 2006 als Leiter     arbeitete er von 1989 bis 2003 in einem
und einem Jahresumsatz von über 12          des Arbeitskreises der Gastronomiebe-      großen Druck- und Verlagshaus sowohl
Millionen Euro herangewachsen. Sein         triebe der Studentenwerke NRW und          im kaufmännischen als auch techni-
letztes erfolgreiches Projekt war die       von 1989 bis 1999 als Vorsitzender des     schen und verlegerischen Bereich. 1997
umfangreiche Mensasanierung, die im         Mensaauschusses im Deutschen Stu-          wurde er zum Geschäftsführer berufen.
Juni dieses Jahres nach über zweijähri-     dentenwerk. Daneben engagiert sich         Von 2004 bis März 2006 war er als
ger Bauphase abgeschlossen werden           Losen seit 1977 für die Darlehenskasse     selbstständiger Berater im Druck- und
konnte (siehe MAGAZIN 2/2006).              der Studentenwerke NRW; 1988 über-         Verlagsbereich, der Chemiebranche
   Manfred Losen wurde 1941 in Bitburg      nahm er die Position des stellvertreten-   sowie im Energieversorgungsbereich
geboren. Nach dem Abitur im Jahre           den Vorsitzenden des Vorstandes und        tätig. Zehetner ist Mitglied im Auf-
1962 machte er eine Lehre zum Indu-         1998 wurde er zum Vorstandsvorsitzen-      sichtsrat einer großen Aktiengesell-
striekaufmann. Von 1967 bis 1972 stu-       den ernannt.                               schaft im Energieversorgungsbereich.
dierte er an der Universität Köln Be-          Dank seines fast 30-jährigen Enga-      Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in
triebswirtschaftslehre und besuchte         gements konnte das Düsseldorfer Stu-       den Bereichen Rechnungswesen, Per-
zeitgleich die Werbefachliche Akademie      dentenwerk in seinem Zuständigkeits-       sonal, Organisation und strategisches
und Rheinisch-Westfälische Werbefach-       bereich beachtliche Leistungssteigerun-    Management. Zehetner ist verheiratet
schule Köln als Abendschule. Im An-         gen erbringen, besonders im Ausbau         und hat zwei Kinder.
schluss arbeitete er als Produkt- und       der Gastronomieeinrichtungen, Erwei-
stellvertretender Vertriebsleiter in der    terung der Wohnanlagen und der Schaf-      Kontakt
Industrie. 1975 wurde Losen zum stell-      fung von Kindertagesstätten.               Studentenwerk Düsseldorf
vertretenden Generalsekretär des Deut-         Die Nachfolge hat am 1. September       Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
schen Studentenwerks in Bonn ernannt.       Diplom-Volkswirt Frank Zehetner ange-      Kerstin Münzer
Nach zweijähriger Tätigkeit in dieser       treten. Zehetner, 1960 in Wiesbaden ge-    Universitätsstraße 1
Position übernahm er 1977 die Stelle        boren, studierte nach seiner Lehre zum     40225 Düsseldorf
des Geschäftsführers im Studentenwerk       Industriekaufmann von 1981 bis 1989        Tel. 0211 81-13314
Düsseldorf. Neben seiner täglichen Ar-      Volkswirtschaft an der Johannes Guten-     Fax 0211 81- 11399
beit war Losen in verschiedenen Gremi-      berg-Universität Mainz. Im Anschluss       muenzer@studentenwerk-duesseldorf.de

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