Markenartikel - VKE-Kosmetikverband
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+++ 9 DAS MAGAZIN FÜR MARKENFÜHRUNG markenartikel 9/2021 2021 markenartikel Exklusiver Auszug aus markenartikel 9/2021 Kosmetik in der digitalen Welt Beauty-Branche: Kosmetik in der digitalen Welt Gesundheit: Marken im Brand-Pop-Up-Stores: Ananné: Aus dem Elfen- Pharmamarkt positionieren Temporär und einzigartig beinturm in die Praxis
markenartikel 9/2021 INHALT 12 KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 12 INTERVIEW – Markus Grefer und Martin Ruppmann, beide 28 INFLUENCER – Charlotte Schüler sagt, wie Kosmetik- VKE-Kosmetikverband, über die Zukunft der Beauty-Branche hersteller ihren ökologischen Fußabdruck verringern können 16 GITTI NAGELLACK – Wie die Gründerin der Marke die 30 INNOVATION – Babor-Chef Michael Schummert erklärt, wie Kosmetikwelt revolutionieren will die Beauty-Branche digital durchstarten möchte 20 TIKTOK – Warum das Musikvideoportal und die Selektiv- 32 ANANNÉ – Aus dem Elfenbeinturm in die Praxis kosmetikbranche gut zusammenpassen 36 3 FRAGEN AN – Michael Theurer, FDP-Bundestagsfraktion 24 ZUKUNFTSFÄHIGKEIT – Die Bereitschaft für steten Wandel und die Konzentration auf das Wesentliche sind wichtig Fotos: Syda Productions - stock.adobe.com, budogosh - stock.adobe.com
markenartikel 9/2021 12 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT Gemeinsam. Für die Zukunft. Die Kosmetikbranche befindet sich im Wandel. Markus Grefer und Martin Ruppmann vom VKE-Kosmetikverband sagen, wie die Beauty-Marken darauf reagieren, wo es Potenzial gibt und wieso Corona die Entwicklung der Branche beschleunigt hat. markenartikel: Der VKE-Treff steht unter dem Motto sollen, sind mittlerweile Teil des Eventshoppings. In 'Kosmetik und Konsument:innen in der digitalen Welt'. den Online-Shops wird die virtuelle Produkterfahrung Weshalb haben Sie diesen Schwerpunkt gewählt? gerade bei Make-up groß geschrieben. Schließlich ist Markus Grefer: Die vergangenen anderthalb Jahre haben das der Bereich, in dem es immer wieder zu Fehlkäufen den Markt durchgerüttelt. Ein verändertes Konsum- kommt. Und sogar im Duftbereich baut man immer und Einkaufsverhalten ist zum Treiber der Digitalisie- mehr auf Social und virtuelle Erfahrungen. rung für Handel und Industrie geworden. Grundsätz- lich war diese Entwicklung natürlich nicht komplett markenartikel: Wie kann man sich das vorstellen? überraschend. Lediglich die Geschwindigkeit hat den Ruppmann: Ein Beispiel ist ein Flakon, der im Verschluss ein oder anderen – sowohl bei den Händlern als auch einen NFC-Chip verbirgt. Durch die Berührung der auf Industrieseite – durchaus kalt erwischt. Und die Kappe mit dem Smartphone wird man in das dazu Dynamik hält an. Unsere Branche hat allerdings be- gehörige Markenuniversum entführt. Hier erwarten reits wichtige Hausaufgaben auf diesem Feld erledigt. die Nutzer dann personalisierte Playlists oder inter- Beim VKE-Treff lassen wir uns nun von Erfahrungen, aktive Spiele Erfolgen und Entwicklungen inspirieren, um für die Zukunft noch besser gewappnet zu sein markenartikel: Spannend ist natürlich, wie künftig ein Miteinander von stationärem Handel und E-Com- markenartikel: Unter anderem geht es darum, wie sich merce aussehen kann... der Konsum durch digitale Technologien verändert. Grefer: Viele Player bauen ihre Marken konsequent in Was hat sich hier im Beauty-Bereich bereits getan? Richtung Online-Handel aus. Digital First als Wachs- Martin Ruppmann: Angefangen hat es vor Jahren mit tumstreiber sehen wir auch in unserer Branche. Die Online-Tutorials. Dann kamen Online-Fragrance- Pandemie hat eine ohnehin vorhandene Entwicklung Finder, Multiface-Augmented-Reality-Apps oder lediglich beschleunigt. Corona war und ist ein Zeitraf- Gamification hinzu. Digitale Technologien haben fer. Aber nur, wer schon seit Jahren in Know-how und das Konsumentenverhalten revolutioniert und eher Technologie investiert hat, ist heute wirklich bereit für tradierte Marketingstrategien auf den Kopf gestellt. die gestellten Aufgaben. Zusätzliches Wachstum wird Menschen werden zunehmend über das Social- nach einer Erholung der stationären Märkte zukünftig Media-Marketing emotional an die Marken gebun- wohl vor allem aus dem Online-Business erfolgen. den, Influencer setzen Trends und Kosmetikvideos informieren und schulen die Nutzer. markenartikel: Ist das das Ende des stationären Handels? Grefer: Nein. Der stationäre Handel vermittelt den markenartikel: Welche spannenden Ansätze gibt es noch? Look & Feel gesamthaft, ermöglicht das persönliche Ruppmann: Die digitale Transformation hat längst einge- Shopping-Erlebnis und hat dadurch auch nachhaltig setzt. Augmented und Virtual Reality gehören an vie- eine große Daseinsberechtigung. Hinzu kommt, dass len Stellen immer selbstverständlicher zum Einkaufser- er durch Click & Collect zusätzlich ein relevanter Teil lebnis. Auch iBeacons, also Mini-Sender im Shop, die des Online-Shoppings ist und wird. Einer Studie von Signale an die Smartphones der Konsumenten abge- Lifestyleslab zufolge geht knapp die Hälfte der Be- ben, auf Promotions oder News hinweisen und so über fragten noch immer stationär einkaufen. Jeder Vierte diese Push-Benachrichtigungen in den Laden führen dieser Shopper ist zwischen 18 und 24 Jahre alt.
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 13 markenartikel: Eine Zielgruppe, bei denen Influencer und Social Selling allerdings auch hoch im Kurs stehen. Ruppmann: Social Selling spielt schon länger für das Pre- miumsegment eine größere Rolle. Umfragen zeigen, dass Beauty-Produkte in Zukunft häufiger über sozi- ale Netzwerke gekauft werden. Aber hier gibt es einen deutlichen Unterschied bei den Generationen. Wäh- rend von den Älteren zwischen 55 bis 64 Jahren nur » Digital First als Wachstums- treiber sehen wir auch in unserer Branche. Die Pandemie hat eine ohnehin vorhandene Entwicklung lediglich be- schleunigt. Corona war und sieben Prozent über soziale Netzwerke shoppen, sind es in der mittleren Altersgruppe immerhin 16 Prozent ist ein Zeitraffer. und von den Jüngeren zwischen 18 bis 35 immerhin schon 26 Prozent. Noch engagierter in dieser Hin- Markus Grefer, Präsident des VKE-Kosmetikverbandes in Berlin und sicht sind die Käufer von Premiumprodukten, von Geschäftsführer von Puig in Hamburg denen 37 Prozent in Zukunft ihre Beauty-Produkte vermehrt über Social-Media-Kanäle kaufen wollen. markenartikel: Hier sehen Sie also weiter Potenzial? Ruppmann: Das Prinzip des Affiliate Marketings funkti- oniert für viele Influencer und Händler durchaus gut. Aber auch hier ist die Devise: Qualitativ hochwer- tiger Content und anerkannte Fachkompetenz sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor auf Influencer-Seite. Potenzial sehen wir auch in Twitch. Viele von uns kennen das Live-Streaming-Videoportal bisher nur als Plattform für Gamer, aber auch hier werden die ersten Beauty-Marken international aktiv. Shopping- Kanäle sind komplett in Bewegung. markenartikel: Auch der VKE Kosmetikverband selbst ist derzeit dabei, sich an die neuen Gegebenheiten an- zupassen. Das Strategiekonzept #VKE2025 forciert eine zukunftsfähige Verbandsausrichtung. Was heißt das neben dem Topthema Digitalisierung genau? Grefer: Ziel der Initiative ist, den VKE in immer kom- plexeren, sich schnell verändernden Spannungs- feldern mit einer wachsenden Zahl unterschied- lichster Stakeholder als den Ansprechpartner für die Kosmetikbranche zu bestätigen und noch relevanter werden zu lassen. Dafür werden die bisherigen Ak- tionsfelder optimiert und Zukunftsthemen pro- aktiv für die Branche angegangen, etwa mit Blick auf die Nachhaltigkeit, die Neufassung von kartell- bzw. wett- bewerbsrechtlichen Regelungen auf europäischer Ebene sowie die interne und externe Verbandskommunikation. markenartikel: Sie sprechen Nachhaltigkeit an. Der VKE hat den 'Sustainability Beauty Pact' angekündigt. Wa- rum ist eine solche Nachhaltigkeitsinitiative wichtig? Ruppmann: Die Beauty-Branche hat eine klare Vision: 'Gemeinsam. Für die Zukunft.' Es ist einfach an der Zeit, parallel zur Umsetzung wirtschaftlicher Ziele Fo to: PUIG auch Verantwortung zu übernehmen und bei der Lö-
markenartikel 9/2021 14 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT sung der drängenden sozialen und ökologischen Pro- markenartikel: Welche Weichenstellungen halten Sie in bleme einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Der VKE der Beauty-Branche und bei den Handelspartnern al- und seine Mitglieder stehen dabei für transparentes, so für besonders wichtig, um Boden gut zu machen? nachhaltiges Wachstum. Deshalb ist die Gründung Grefer: Durch die Pandemie und viele andere, auch eines 'Sustainability Beauty Pacts' geplant. klimabedingte Extremereignisse verändern sich Ein- stellungen, Konsum- und Einkaufsbedürfnisse. Na- markenartikel: Können Sie schon mehr verraten? türlich nicht von heute auf morgen, aber die Prozesse Ruppmann: Wie wollen zur Erreichung der UN-Nach- sind sichtbar. Wichtig ist es nun, diese neuen Erwar- haltigkeitsziele beitragen. Dafür setzten wir uns ent- tungen vorauszusehen, rechtzeitig zu erkennen, wo- lang der gesamten Wertschöpfungskette ein. Ziel ist, hin der Weg der Konsumenten gehen wird und vor über die Kosmetikindustrie zu nachhaltigem Konsum ihnen da zu sein. anzuregen und als Vorreiter Nachhaltigkeitsziele ge- meinsam mit den Handelspartnern, Kunden und markenartikel: Was bedeutet das konkret? Konsumenten umzusetzen. Grefer: Online-Shopping hat massiv und sicher langfri- stig zugelegt. Seit einem Jahr boomt dabei auch das markenartikel: Corona und die Lockdowns haben in der Thema Live-Shopping. Immer mehr Kosmetikmar- Branche Spuren hinterlassen. 2020 gingen die Umsät- ken und Händler nutzen dieses Tool. In China ist die- ze der VKE-Mitglieder um neun Prozent zurück. Für se Form des Shoppens bereits Standard, wir sind auf 2021 rechnen Sie mit bis zu fünf Prozent Umsatzmi- dem besten Weg dahin. Live-Video-Shopping wird nus. Welche Impulse erhoffen Sie sich von der Politik, zum integralen Bestandteil der Customer Journey um wieder in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen? und gehört zu den stärksten Aktivierungsmöglich- Grefer: Für uns – wie für nahezu alle anderen Branchen keiten im Bereich E-Commerce. natürlich auch – ist es wichtig, dass die Impfkampagne wieder deutlich an Fahrt gewinnt, damit wir alle mög- markenartikel: Wie das? lichst sicher konsumieren können. Geschäfte, Hotels, Grefer: Live-Shopping hat speziell im Bereich Beauty Gastronomie und Kosmetikinstitute dürfen nicht noch viel Potenzial. 67 Prozent der Deutschen kennen das einmal geschlossen werden. Gerade die Innenstadtla- Thema Live-Shopping noch nicht. Es funktioniert gen haben massive Einschnitte erfahren und stehen vor ähnlich wie ein Make-up-Tutorial – nur in zeitge- einem drastischen Wandel, wenn sie überleben wollen. mäßer Interpretation. Über ihre Experten können Wichtige Ansatzpunkte sind für uns daher ganz klar Marken direkt mit den Zuschauern interagieren. Impulse, um die Innenstädte wiederzubeleben. Fragen zu Produkten oder Anwendung werden im Live-Stream beantwortet. Im Gegensatz zur Kommu- markenartikel: Aber wie kann das gelingen? nikation über Influencer haben Marken die Kommu- Grefer: Wissenschaftler vom Stuttgarter Fraunhofer- nikation in der Hand und schaffen direkte Kaufan- Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation ha- reize. Modernes Homeshopping eben. ben kürzlich die Lage der Innenstädte in Deutschland untersucht und weisen durchaus Wege in die Zu- markenartikel: Kommen wir abschließend noch zu einem kunft. Dazu gehören beispielsweise hybride Einzel- weiteren wichtigen Thema, das die Kosmetikbranche handelsangebote, Pop-up-Straßenlokale und virtuelle umtreibt: Produkt- und Markenpiraterie. Auch hier Stadtrundgänge genauso wie urbane Landwirtschaft war die Corona-Pandemie ein Treiber, oder? oder auch (temporäte) Spielgeräte auf öffentlichen Ruppmann: Das zunehmende Online-Shopping hat das Plätzen. Die Ideen und Möglichkeiten sind zahlreich. Problem weiter verschärft, ja. In der Pandemie war Auch hier kann und sollte sich Politik engagieren. phasenweise und gerade auch vor Weihnachten fast nichts anderes möglich. Das hat viele Konsumenten markenartikel: Und welche Risiken sehen Sie, die einen leider auch auf die Seiten von E-Commerce-Platt- Aufschwung konterkarieren könnten? formen wie Wish gebracht. Und da gibt es fast keine Grefer: Ein Risikofaktor bleibt die Unsicherheit. Anfang Originale. Aktuell beschert uns die Urlaubszeit zu- August war die Verbraucherstimmung erstmals nach dem einen Boom an gefälschten Duftmitbringseln. fünf Monaten wieder getrübt. Wer Angst vor Arbeits- platzverlust oder auch Kurzarbeit hat, scheut zunächst markenartikel: Der Wert der vom deutschen Zoll aufge- einmal Investitionen – und wenn es ein neuer Duft griffenen Kosmetikfälschungen hat sich 2020 vervier- oder ein Lippenstift ist. facht – auf fast 13 Millionen Euro...
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 15 Ruppmann: Ein erneutes Allzeithoch! Knapp 69 Pro- den Markenrechtsinhabern nicht zu bewältigen ist. zent der Nachahmungen kommen aus China und Der VKE begrüßt es daher ausdrücklich, dass der Hongkong. Aber auch der Anteil der Fälschungen EU-Rat den Kampf gegen Produkt-und Markenpira- aus der Türkei hat sich verdoppelt – auf 12,5 Pro- terie und Fälschungshandel als eine der Top-10-Prio- zent. Der Postversand ist hier für die kriminellen ritäten der nächsten vier Jahre definiert hat. Verkäufer besonders relevant: Die Aufgriffe bei die- sem Transportweg legten von 17 Prozent auf nun- markenartikel: Aber? mehr 69 Prozent zu. Ruppmann: Allerdings bleiben die politisch Verant- wortlichen auch weiterhin gefordert, durch entspre- markenartikel: Die EU-Kommission hat den Kampf ge- chende gesetzliche Regelungen den Vertrieb von gen Produkt- und Markenpiraterie und Fälschungs- Produktfälschungen insbesondere über die sozialen handel zu den Top-10-Prioritäten der nächsten vier Netzwerke oder aber die hinlänglich bekannten In- Jahre erklärt. Ein positives Signal – oder wie bewer- ternetplattformen zu unterbinden. Solange es für ten Sie diesen Schritt? Verkaufsplattformen oder Marktplätze keine ver- Ruppmann: Für den VKE-Kosmetikverband gehört die bindlich festgelegten Sorgfaltspflichten gibt, ist die Eindämmung der Produkt- und Markenpiraterie zu Sicherheit der Verbraucher gefährdet. einer der vorrangigen Verbandsthemen. Eine Aufga- be, die allerdings ohne eine konsequente Marktüber- markenartikel: Die künftige Bundesregierung muss also wachung bzw. das konzertierte Zusammenwirken einige Weichen stellen – auch, damit die Wirtschaft von Gesetzgeber, einem starken Partner Zoll und wieder in den Tritt kommt? » Die digitale Transformation hat längst eingesetzt. Aug- mented und Virtual Reality gehören heute an vielen Stellen immer selbstverständ- licher zum Einkaufserlebnis. Martin Ruppmann, Geschäftsführer des VKE-Kosmetikverbandes Ruppmann: Hier haben die VKE-Mitglieder Ru eine ei klare Meinung: Die Themen Digita- lisierung, li Klimaschutz, Unternehmens- steuerreform s und Energiewende bzw. -sicherung soll die neue Bundesregie- rung mit besonders hoher Priorität anpacken. Um die Wirtschaft wieder auf das Vorkrisenniveau zu bringen, sind vor allem Steuererleichterungen, stärkere Anreize für private und un- ternehmerische Investitionen und zusätzlich mehr öffentliche Gelder für Infrastruktur und Zukunftstech- nologien notwendig. N Interview: Vanessa Göbel KE o: V Fo t
markenartikel 9/2021 16 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT »Wir stehen immer noch am Anfang unserer Reise« Jennifer Baum-Minkus, Gründerin der Nagellackmarke Gitti, ver- zichtet auf gesundheitlich bedenkliche Inhaltsstoffe und will die Konsumenten über das Thema aufklären. Die Beauty-Branche sieht sie unter Zugzwang und fordert nicht weniger als eine »Revolution«. markenartikel: Was hat Sie zum Launch der veganen Nagelpflege-Produkte inspiriert, wieso treibt Sie die Thematik so um? Jennifer Baum-Minkus: Bei einem Abendessen wurde ich gefragt: »Was würdest du machen, wenn du keine Angst hast?« Glitzernagellack schoss mir damals so- fort in den Kopf. Das war mir im ersten Moment irgendwie unangenehm, daher habe ich nichts weiter dazu gesagt. Zu Hause habe ich dann angefangen, über Nagellack zu recherchieren, und herausgefun- den, wie schädlich herkömmlicher Nagellack für den Menschen und den Planeten sein kann. markenartikel: Und dann? Gitti hat mittler- weile ein zweite Baum-Minkus: Ich habe angefangen, Excel-Tabellen Nagellackformel zu erstellen – mit Inhaltsstoffen aus Kosmetikpro- lanciert sowie dukten sowie deren Auswirkungen auf den Körper Pflegeprodukte für und die Umwelt. Gitti ist ein Produkt, nach dem Hände und Nägel ich gesucht, es aber nicht gefunden habe. Unsere Mission ist es, neue und innovative Produkte zu Fotos: Patrycia Lukas; Gitti
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 17 entwickeln und so die Beauty-Industrie zu revoluti- onieren. Die erste Kollektion habe ich von meinem Esszimmertisch aus gelauncht. Wir stehen immer noch am Anfang unserer Reise und wollen noch viel bewirken, um unsere Vision zu verwirklichen: innere und äußere Schönheit wieder in Einklang bringen. markenartikel: Bisher gibt es die Produkte nur im Gitti- Online-Shop sowie bei einigen ausgewählten statio- nären Partnern. Was ist der Grund für dieses selektive Vorgehen? Baum-Minkus: Da wir Beauty-Produkte entwickeln, ist » der direkte Vertriebsweg für uns der beste. Leider wissen viele Konsumenten immer noch nicht genug über Inhaltsstoffe, daher wollen wir mit unserem ei- genen Online-Magazin The good good aufklären und bieten hier viel relevanten Content zu den Themen Ich glaube, die Beauty-Branche Naturkosmetik, Nachhaltigkeit und Conscious Life- style. Wir haben ein Shop-System bei Shopify und braucht eine Revolution, damit sind sehr zufrieden. Angefangen haben wir im ersten sich richtig etwas verändert Jahr mit einer E-Mail-Liste und Drop-Ins, sodass die neuen Produkte nur in begrenzter Auflage erhältlich und ein Umdenken stattfindet. waren. Zu bestimmten Jahreszeiten gibt es jetzt auch Jennifer Baum-Minkus ist die Gründerin von noch limitierte Kollektionen. Gitti Conscious Beauty in Berlin markenartikel: Beim Thema Marketing setzen Sie auf Instagram, Pinterest und auch TikTok. Wieso sind Baum-Minkus: Es ist wichtig, dass wir mit unseren in- diese Kanäle so interessant? novativen Produkten in den richtigen Printmedien Baum-Minkus: Gitti ist eine Direct-to-Consumer-Brand. erscheinen. PR für unsere Marke sowie für mich als Unser Leitthema ist Conscious Beauty, also der be- Gründerin spielt eine große Rolle – da haben wir von wusste Konsum von Beauty-Produkten und die Auf- Anfang an mit Experten zusammengearbeitet. klärung über eine entsprechende Beauty-Routine. Bei diesem Thema war für mich sofort klar, dass wir auf markenartikel: Wie hat sich denn die Corona-Krise auf den direkten Kanälen mit der Zielgruppe kommuni- Gitti ausgewirkt? Generell hat Online-Shopping da- zieren müssen. Und vor allem auch offen für einen durch ja noch einmal einen ziemlichen Push erfahren. Dialog sind. Das geht natürlich über die eigenen Ka- Baum-Minkus: Die Skalierung inmitten einer Pandemie in näle am besten und schnellsten. Unsere Community unserem zweiten Jahr auf dem Markt war in jedem binden wir immer mit ein und sind dankbar für so Fall sehr herausfordernd. Auch die Beschaffung von viel Feedback. Rohstoffen, die wir dringend von speziellen Zuliefe- rern benötigen, hat viel länger gedauert. Für die Ent- markenartikel: Und wie sieht es mit dem Thema Paid wicklung von neuen Produkten haben wir auch neue Social aus? Supplier dazu geholt, die uns nicht kannten und uns Baum-Minkus: Paid Advertising wie Advertorials oder auch nicht persönlich treffen konnten. Aber ja, wir Social-Media-Werbung ist für uns interessant, weil sind super zufrieden und konnten unseren Umsatz in wir unsere Zielgruppe genau da erreichen, wo sie ist, 2020 um 1.200 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und das auch noch gezielt eingrenzen können. Wir steigern. Und wir haben gerade eine Series-A-Finan- können unser Produkt mit Bildern und vor allem Vi- zierung über 6,9 Millionen Euro abgeschlossen, nicht deos erklären, das hat für uns unschätzbaren Wert. mal ein Jahr nach der Seed-Runde im September 2020. markenartikel: Wo setzen Sie im Marketing neben den markenartikel: Das dürfte helfen, damit Sie Ihrem Ziel, Social-Aktivitäten noch Schwerpunkte? Gitti zur nachhaltigsten Beauty-Marke der Welt zu
markenartikel 9/2021 18 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT » Eine Beauty-Routine, die nach- haltig ist und auf bewusstem Konsum basiert, ist unserer Meinung nach die Zukunft dieser Industrie. Jennifer Baum-Minkus, Gitti für uns, bewusste Entscheidungen zu treffen – und das in allen Bereichen: Entwicklung, Produktverpa- ckung, Inhaltsstoffe, Konsum und Kommunikation. Unser erstes Produkt ist eine Nagelfarbe, die zu 55 Prozent auf Wasser basiert, das die normalerweise eingesetzten petrochemischen Lösungsmittel ersetzt. Bei der Entwicklung steht die Performance, also dass die Produkte möglichst lange auf den Nägeln halten, im Zusammenspiel mit der höchstmöglichen Na- türlichkeit im Vordergrund. Wir haben mittlerweile machen, näher kommen. Welche Schritte sind schon auch ein zweite Formel auf dem Markt sowie weitere erfolgt – und wo wollen und müssen Sie noch anset- Pflegeprodukte für Hände und Nägel. Dazu gehören zen, um noch besser zu werden? ein zu 100 Prozent natürlicher Remover mit Laven- Baum-Minkus: Vor allem wollen wir neue Wege gehen und delduft, Nagelpflege-Öl und Serum sowie eine pfle- achten daher auf die gesamte Wertschöpfungskette. gende Handcreme. Wir nehmen uns jeden Schritt einzeln vor und versu- chen, ihn zu verbessern. Conscious Beauty bedeutet markenartikel: Das Wachstum geht demnach weiter? Baum-Minkus: Definitiv. Es folgen noch weitere Pro- duktkategorien ins diesem Jahr. Wir versenden be- reits weltweit, werden aber auch zeitnah ganz kon- kret in andere Länder expandieren. Damit Gitti für viele Menschen weltweit zugänglich ist. markenartikel: Der Konsum wandelt sich derzeit überall. Was ist Ihre Prognose: Wo geht die Entwicklung hin – und worauf müssen sich Unternehmen demnach einstellen? Baum-Minkus: Das stimmt absolut, der Konsum wan- delt sich. Unsere Kunden haben verstanden, dass Produkte mit natürlichen Inhaltsstoffen die gleichen Leistungen bringen können wie die Produkte, die sie schon immer benutzen. Eine Beauty-Routine, die nachhaltig ist und auf bewusstem Konsum basiert, ist unserer Meinung nach die Zukunft dieser Industrie. In der Food-Branche ist das Bewusstsein bereits stär- ker ausgeprägt, in der Beauty-Industrie geht es gerade erst los. Mit Gitti treten wir an, hier einen ganz ent- scheidenden Beitrag zu leisten. markenartikel: Und was ist dabei Ihr Rat an andere Un- ternehmen? Baum-Minkus: Es fehlt insgesamt ein Umdenken, vor allem was die Verpackungen angeht. Wenn man sich im eige- nen Badezimmer umschaut und die ganzen Plastikver- packungen sieht, ist das oft erschreckend. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass eine flächende- ckende Aufklärung notwendig ist und wir uns immer fragen sollten, welche Auswirkungen Inhaltsstoffe auf unseren Körper haben. Ich glaube, die Beauty-Branche braucht eine Revolution, damit sich richtig etwas ver- ändert und ein Neudenken stattfindet. N Fotos: Gitti Interview: Vanessa Göbel
markenartikel 9/2021 20 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT Wie TikTok die Beauty-Branche revolutionieren will Auf dem ersten Blick scheinen die gestandenen Anbieter der Selektiv- kosmetik wenig gemeinsam zu haben mit der schnellen, flüchtigen Welt von TikTok. Warum beide Seiten dennoch gut zusammen- passen, versucht TikTok-Markenmanager Deniz Anic zu erklären. markenartikel: Ihr Vortrag auf dem diesjährigen VKE- markenartikel: Und das reicht für eine Revolution? Treff steht unter dem Motto 'Beautytok – wie Tik- Anic: Die Revolution besteht darin, dass bei TikTok Tok die Beauty-Branche revolutioniert'. Welche Menschen ihr wahres, authentisches Ich zeigen. Revolution erwartet uns da konkret? Außerdem wollen Konsumenten keine Push-Kom- Deniz Anic: TikTok ist als Plattform für mobile Kurz- munikation mehr. Sie fordern Marken heraus, sich videos eine innovative, bunte und authentische Um- intensiv mit ihnen zu beschäftigen und neue Wege gebung für Marken. Hier interagieren Marken aus der Ansprache zu finden – auf Augenhöhe und mit dem Beauty-Bereich mit einem Publikum, das sie so relevanten, nahbaren Inhalten. Genau dafür bietet nicht auf anderen Plattformen finden. Wir sind ein TikTok die ideale Plattform. Deswegen sagen wir Fotos: rh2010-stock.adobe.com, TikTok Lebensgefühl – unsere Nutzerinnen und Nutzer füh- auch 'Don’t make ads. Make TikToks'. len sich durch TikTok positiv beeinflusst, motiviert und selbstbewusster. Eine aktuelle Studie von Clear markenartikel: Doch was bringt das speziell Beauty- M&C Saatchi zeigt, dass sich 60 Prozent während Marken? der Nutzung von TikTok positiv fühlen und nach der Anic: Beauty-Inhalte haben sich auf der Plattform im Nutzung glücklicher sind. vergangenen Jahr verzehnfacht. Wir haben zahl-
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 21 » Bei TikTok zeigen Menschen ihr wahres, authentisches Ich. Deniz Anic, Brand Partnerships Lead (CPG & Luxury), TikTok Deutschland reiche kreative Creator – also Influencer –, die die Community begeistern, zum Beispiel @FrauBeauty oder @NaomiJon, und täglich neue Trends, die die Community erobern, beispielsweise #bodyscrub oder #lipstickchallenge, bei der die Community versucht hat, ihren Lippenstift ohne Hände aufzu- tragen. Der Trend hat bereits 931,4 Millionen An- sichten. Die Art, mit der User mit den Inhalten interagieren, markenartikel: Allerdings scheinen die Beauty-Branche kann Unternehmen Aufschluss über die Interessen, – und dort insbesondere die selektive Kosmetik mit Meinungen und Vorlieben der Community und ihren gestandenen Marken –, und die schnelle, flüch- der zukünftigen Kunden geben. Gerade etablierte tige Welt von TikTok wenig zusammenzupassen. Wo Marken der selektiven Kosmetik können mutig und sehen Sie die Parallelen und wechselseitigen Befruch- innovativ mit der Zielgruppe interagieren und wahr- tungen? genommen werden. Anic: Auf TikTok bietet der vielfältige Stream an In- halten Beauty-Marken die perfekte Möglichkeit, in markenartikel: Nur richtet sich TikTok mit seinem An- Kontakt mit neuen Zielgruppen zu treten und so- gebot allerdings an eine sehr junge Zielgruppe, bei mit ihre Bekanntheit sowie die Interaktion mit der der insbesondere die Selektivkosmetik aus Marken- Marke zu steigern. Getreu unserer Mission 'Inspire und vor allem Budget-Gesichtspunkten kaum im Creativity & Bring Joy' wird von den Nutzern vor Fokus steht… allem edukativer Beauty-Content gerne gesehen, Anic: Die TikTok-Community ist vor allem eins: di- gepaart mit Entertainment. Das beobachten wir vers, kreativ und begeisterungsfähig. Es besteht ein besonders im Skin-Care- und Hair-Care-Segment. großes Interesse daran, sich von Marken und Pro- Bei der dekorativen Kosmetik sowie im Fragrance- dukten inspirieren zu lassen. Das zeigen Hashtags Bereich ist Kreativität besonders wichtig. Unsere wie #TikTokmademebuyit mit über vier Milliarden Community nutzt sämtliche Funktionalitäten der und #TikTokReviews mit mehr als 3,7 Milliarden Plattform, um sich kreativ auszudrücken. Dazu ge- Aufrufen. Die meisten unserer Nutzer sind älter als hören unsere Transitions-Funktion und die Vorher- 18 Jahre. Und das ist auch unsere Kernzielgruppe: die Nachher-Darstellungen, aber auch Beauty-Routinen 18- bis 25-Jährigen. Viele Marken aus dem Beauty- sowie Tipps, Tricks und Hacks. Bereich haben die Power von TikTok verstanden und die Plattform fest in ihren Mediamix aufgenommen. markenartikel: Lernen die Unternehmen dabei auch etwas über die Kundschaft? markenartikel: Doch wie lässt sich TikTok dabei ganz Anic: Die Marken erhalten durch ihre Präsenz auf konkret als Vermarktungsplattform einsetzen? TikTok wichtige Insights über die Interaktion der Anic: Das Zusammenspiel organischer Inhalte mit Nutzer und Nutzerinnen mit den Markeninhalten. Paid Peaks und die Creator-Zusammenarbeit sind
markenartikel 9/2021 22 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT Einige Marken haben die Kurzvideo-Platt- form TikTok bereits fest in ihren Mediamix aufgenommen richtig kennenlernen und wichtige Einblicke erhal- ten. Unsere Nutzer schätzen unsere Plattform insbe- sondere deshalb, weil sie sich mit unterschiedlichen Menschen austauschen können. Bei alldem haben die Sicherheit unserer Nutzerschaft und derjenigen, die auf unserer Plattform werben, oberste Priorität. markenartikel: Sie halten die Werbelösungen, die Sie anbieten, also für sicher? Anic: Unsere Werbelösungen sind unter dem Gesichts- ein sehr guter Weg. Diesen Dreiklang können sich punkt der Sicherheit entwickelt. Da TikTok zu 100 Marken zu Nutze machen, um das Potenzial von Prozent bildschirmfüllend und mit Ton ausgestat- TikTok voll auszuschöpfen. Mit einem organischen tet ist, werden Videos nicht mit widersprüchlichen Kanal kann konstant mit der Zielgruppe die Inter- Inhalten auf dem Bildschirm angezeigt. Unser Mo- aktion geführt werden. Mit Paid Peaks zu Launches deratorenteam stellt sicher, dass Werbeinhalte nur und Kampagnenzeiträumen können Bekanntheit zwischen Videos erscheinen, die dreifach auf Mar- und Abverkauf gefördert werden. Und Creator-Part- kensicherheit geprüft wurden. Wir haben zudem nerschaften können für eine authentische Ansprache einen Quick-Response-Mechanismus für diejenigen und die Übersetzung von Produkt-Benefits in die Inhalte eingerichtet, die uns von der Community TikTok-Sprache sorgen. Es muss die richtige Stim- über die Reporting-Funktion in der App gemeldet mung treffen, in den Kontext passen und sollte nicht werden. Sobald eine von der Community gemeldete überinszeniert sein. Klingt anspruchsvoll, macht Verletzung der Community-Richtlinien oder der aber Spaß und kann quasi auch im Alleingang ange- Nutzungsbedingungen bestätigt ist, werden diese stoßen werden – einfach probieren! Inhalte umgehend gesperrt oder gelöscht. markenartikel: Fällt Ihnen ein Beispiel ein für eine aus markenartikel: Und was ist mit Fake-News rund um die Ihrer Sicht besonders gelungene Inszenierung einer Marke? Beauty-Marke auf TikTok? Anic: Sobald wir Inhalte mit Falschinformationen Anic: Ja, zum Beispiel CeraVe. Die Apothekermar- entdecken, entfernen wir sie von der Plattform. Wir ke hat das Potenzial eines organischen Videos ei- arbeiten dabei mit Experten zusammen. Darüber hi- ner Nutzerin aus den USA erkannt, die aus tiefster naus prüfen zusätzlich Dritte die Inhalte, beispiels- Überzeugung ihre Lieblingsprodukte vorgestellt hat. weise die dpa. Wenn die Echtheit oder die Richtig- CeraVe hat das Video dann via Paid Media ampli- keit einer Information noch nicht zweifelsfrei belegt fiziert. In vielen Ländern kam es dadurch zu einem sind, dann blenden wir unseren Nutzern Warnhin- kompletten Ausverkauf des Produktes – ein gutes weise ein – bei der Ansicht, beim Teilen und auch bei Beispiel für das Phänomen #TikTokmademebuyit. einem Creator wird darauf aufmerksam gemacht. N Interview: Torsten Schöwing markenartikel: Viele Marken, die TikTok als Marke- Foto: AdriaVidal-stock.adobe.com tinginstrument einsetzen wollen, fürchten jedoch, dass sie auf der Plattform die Kontrolle über ihre Marke verlieren, etwa durch Shitstorms. Anic: Die Interaktion mit der Community ist extrem wichtig – nur so können Marken ihre Zielgruppe
markenartikel 9/2021 24 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT Immer schneller in die Zukunft Welche Weichen müssen Beauty-Marken stellen, um den Anschluss nicht zu verpassen? Wichtig sind die Bereitschaft für steten Wandel und die Konzentration auf das Wesentliche sowie Kundenzentrierung, Transparenz und Data Driven Experience. ie Zukunft ist schneller als Sie denken. Es geht schen und Unternehmen, in Sekunden konkret und »D nicht darum, ob Sie sich ändern müssen, son- dern darum, wie schnell Sie es schaffen können.« direkt über Ideen und Produkte mit einem Milli- onenpublikum zu kommunizieren und damit Ein- – dieses Zitat des Autoren Peter Diamandis, einer fluss zu nehmen. der laut dem Magazin Forbes 'Top 50 Leaders of the World', beschreibt, wie sich nachhaltige Verän- derungen in atemberaubendem Tempo vollziehen Werte vermitteln und konsequent sein und bisher unmöglich Geglaubtes zur neuen Rea- Was bedeuten diese umwälzenden Veränderungen für lität wird. Technologie verändert unsere Welt auch Unternehmen? Sind sie auf dem richtigen Weg? Wel- weiterhin noch viel schneller und umfangreicher als che Maßnahmen sind jetzt am dringendsten? Welche wir es uns gerade vorstellen können. Veränderungen ergeben sich aus den neuen Bedürf- Vielen Menschen stehen heute Ressourcen zur Ver- nissen der Zielgruppen, auch als Folge der Pandemie? fügung, die vor einigen Jahrzehnten nur wenigen Diesen Fragen ist die Innovationsberatung and dos Menschen zugänglich waren. So ist zum Beispiel Santos im Auftrag eines Luxuskosmetikherstellers Foto: Ink Media-stock.adobe.com schnelle Rechenkapazität durch immer leistungsfä- nachgegangen und kam zu spannenden Erkenntnis- higere Computer bezahlbar geworden, der Zugang sen, die auch für andere Unternehmen der Beauty- zu Kapital ist durch Crowdfunding viel einfacher, Branche von Nutzen sein können. Hier konzentrieren durch digitale Prozesse und hohe Konnektivität wir uns dabei auf drei Schwerpunkte: Kundenzentrie- spart man Zeit und Plattformen ermöglichen Men- rung, Transparenz und Data Driven Experience.
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 25 » Unternehmen sollten sich auf ihre zentrale Werte besinnen, diese klar kommunizieren und in die direkte Verbindung zu ihrer Zielgruppe investieren. Jutta dos Santos Miquelino, and dos Santos Eines ist klar: Das Bewusstsein für die eigenen Be- Auch globale Konzerne starten milliardenschwere dürfnisse hat stark zugenommen. Je mehr Möglich- Initiativen, um sich für die Zukunft unseres Pla- keiten wir haben, desto mehr müssen wir uns auf neten einzusetzen. Microsoft strebt zum Beispiel an, das konzentrieren, was für uns wirklich wichtig ist. bis 2030 CO2-negativ zu sein und seine bisherigen Und je mehr Bedrohungen wir fürchten, zum Bei- CO2-Emissionen seit Konzerngründung bis 2050 zu spiel den unaufhaltsamen Klimawandel oder den revidieren. Dafür investierte das Technologieunter- Verlust unserer Gesundheit durch unsichtbare, aber nehmen eine Milliarde US-Dollar in einen Klimain- tödliche Viren, desto mehr müssen wir nach Innen novationsfonds. Und Amazon-Gründer Jeff Bezos schauen, um zu finden, was uns beruhigt und mit hat zehn Milliarden US-Dollar in die Gründung anderen verbindet. seines Earth Funds investiert, um Entwicklungen zu Wie können Unternehmen auf diese Entwicklung fördern, die den Klimawandel bremsen können. reagieren? In dem sie sich selbst auf ihre zentrale Werte besinnen, diese klar kommunizieren und in die direkte Verbindung zu ihrer Zielgruppe investieren. Für Transparenz sorgen Dafür lohnt es sich zu reflektieren, worauf man schon Nicht alle Unternehmen haben natürlich die glei- in den vergangenen Jahren Wert gelegt hat. Wenn wir chen finanziellen Mittel wie die großen Player. beratend mit unseren Kunden ins Gespräch gehen, Welche Möglichkeiten bleiben also Beauty-Unter- sagen diese oftmals: »Wir sind eigentlich schon viel nehmen, die keine Milliarden investieren können? nachhaltiger in der Herstellung unserer Produkte, als Sie sollten reflektieren, was schon auf den Weg es unsere Kunden wissen.« Oder auch: »Wir haben gebracht wurde, sich an den UN-2030-Zielen ori- nur Fachkräfte in unserer Produktion und keine Aus- entieren und darauf Initiativen aufbauen. Dabei ist hilfen, weil bei uns die Qualität an erster Stelle steht.« es wichtig, in der Kommunikation so transparent Das sind doch lobenswerte Statements. Warum wer- wie möglich zu werden. So informiert zum Beispiel den solche Aussagen nicht kommuniziert? La Mer darüber, welche Projekte seit 2010 mit dem Blue Heart Fond unterstützt werden, der sich dem Schutz maritimer Lebensräume verschrieben hat. Haltung zeigen und Position beziehen Ambassadeure wie der französische Umweltakti- Die Konsumenten erwarten jedenfalls eine klare vist Philippe Cousteau sorgen für Glaubwürdigkeit. Haltung – auch zu gesellschaftskritischen Themen, Und auch, dass das Unternehmen klar kommuni- ob nun Klima oder Inklusion. Werte bestimmt zu ziert, dass sich tierische Bestandteile wie Muscheln leben, das bedeutet dabei auch, sich für das Leben und Krebse nicht ausschließen lassen, wenn die einzusetzen. Unternehmen, die Menschen, Tiere Rezeptur Meeresschlickextrakt enthält. Dazu wird oder den Planeten ausbeuten, werden zunehmend transparent Stellung genommen. öffentlich abgestraft. Ein Beispiel dafür ist die Fast Das ist wichtig, denn Initiativen müssen wahrhaf- Fashion Kette Forever 21. Sie musste sich 2020 mit tig sein. Vor allem die jungen Zielgruppen wollen es heftigen Protesten von Peta-Aktivisten auseinander- ganz genau wissen und recherchieren oftmals sehr setzen. Es ging darum, wie das Unternehmen Schafe sorgfältig vor dem Kauf. Wenn Unternehmen Green- für die Herstellung der Wollpullover behandelte. washing betreiben, wird nicht nur von den Konsu- Es geht aber auch anders: So zeigt zum Beispiel die menten zunehmend abgestraft, sondern auch die Designerin Stella McCartney, dass Luxusprodukte eigenen Mitarbeiter fühlen sich damit unwohl. Das rücksichtsvoll produziert werden können und sich mag sich vielleicht in den aktuellen Umsatzzahlen mehr und mehr Konsumenten dafür begeistern. noch nicht niederschlagen, doch das steigende Be-
markenartikel 9/2021 26 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT wusstsein für den Klimaschutz ist Fakt und beein- Data Driven Experiences: Zielgruppen binden flusst das Konsumverhalten zunehmend. Nicht nur mit Blick auf die transparente Kommu- Auch zum Thema Data Driven Experiences gibt es nikation ihrer Umweltinitiativen können Unterneh- einige Beispiele. Bleiben wir kurz bei Sephora: Der men punkten. Auch die klare Kommunikation zu Online-Umsatz erreichte 2020 ein Allzeithoch und ist den Inhaltsstoffen ist für die Verbraucher zuneh- dabei, die Umsätze von Amazon im Beauty-Bereich in mend wichtig. Nicht zuletzt, da die Gesundheit laut den USA zu überholen. Das Sephora-Treueprogramm PMG Presse-Monitor seit 2020 bei Jung und Alt das mit 25 Millionen-Mitgliedern basiert auf einem erst- dominierende Thema ist. Hier sollten Unternehmen klassigen CRM-System und richtet sich insbesondere reagieren, denn die Verbraucher wünschen sich we- an Millennials, die an Luxusartikeln interessiert sind. niger 'Ingredient Jargon'. Aufstrebende Marken in Die Partnerschaft mit Zalando ist ein weiterer kluger den USA wie The BeautyCounter werben zum Bei- Schachzug, um auch in Europa noch erfolgreicher zu spiel mit der 'Never List', also Inhaltsstoffen, die sie werden und Kunden gezielt zu binden. in ihren Kosmetika nicht zulassen. Lancôme hat den Ein gebürtiger Oldenburger ist ein weiteres Beispiel Wunsch nach Klarheit mit einer Reihe von Videos für Data Driven Experiences und zeigt, wie rasant entsprochen, in denen die Inhaltsstoffe des Advan- sich Nischenmarken etablieren können. Der Influ- ced-Génifique-Serums erklärt, die Bedeutung von encer Jeremy Fragrance erreicht über 4,5 Millionen Probiotika diskutiert und die Verbraucher ermutigt Follower in den sozialen Medien, trägt den Titel werden, Produkte nicht gedankenlos anzuwenden, ‚Best Fragrance Influencer of the World‘ und unter- ohne zu wissen, was darin ist. hält seine Follower mit ungeschminkten Aussagen Um die Rohstofflieferkette im Blick zu behalten, kön- über Düfte sowie zu Ernährung und Motivation. nen Technologien wie die Blockchain helfen, einen si- Zusammen mit seinem Bruder betreibt er Fragrance. cheren Fußabdruck zu garantieren. Marken, die mit One und erreicht achtstellige Umsätze mit sechs Düf- offenen Karten spielen können, werden künftig sicher ten, die nur Online erhältlich sind. Der Clou? Jeremy bevorzugt. Paulas’s Choice gilt als Vorreiterin in Sa- setzt auf die 'Power of the Crowd', die seine Düfte chen Transparenz bei den Inhaltsstoffen und erklärt empfehlen. Die Namen der Kreationen entsprechen ausführlich, welche Standards bei der Auswahl gelten. zudem Google-Suchanfragen. Die Menschen suchen Die Marke zeigt stetes Wachstum – ein Peeling mit Al- dort zum Beispiel nach Düften fürs Office oder das phahydroxy- und Betahydroxysäure in limitierter Auf- erste Date. Jeremy verspricht seinen Kunden, dass der lage war in kürzester Zeit ausverkauft und verzeich- Duft zu dieser Gelegenheit ihnen die meisten Kompli- nete eine Warteliste mit 11.000 Personen bei Sephora. mente bringen wird. Während andere viel Geld in die Entwicklung von Konzepten und Produktnamen ste- cken, fragen die zwei Brüder also einfach die größte Suchmaschine der Welt, was nachgefragt wird. Links zum Weitersurfen · Bloody 'Sheep' Protest Forever 21: bit.ly/3gtCKZx Neues Gravitationszentrum Indopazifik · Microsoft will be carbon negative by 2030: bit.ly/37PrbqK · Jeff Bezos will spend $1 billion a year to fight climate change: bit.ly/3me43e0 Kommen wir zu einem letzten wichtigen Punkt: Wer · PMG Themenrennen – Diese Themen bewegen Deutschland: bit.ly/3k1hivL Fotos: Prostock-studio-stock.adobe.com, dos Santos · Nearly 100% of consumers call for an end to beauty ingredient jargon: bit.ly/3kkYecb sich als Unternehmen im globalen Umfeld bewegt, · The Never List: bit.ly/3AID7XI hat seinen Blick schon fest auf Asien gelenkt. Wer · 8 Beauty eCommerce Trends That Will Define the Industry In 2021: bit.ly/2W2r4FO dort die Zielgruppe der zahlungskräftigen Millenni- als für sich gewinnen will, muss die asiatischen Kul- Literaturtipp turen verstehen und konkret adressieren. Fast neun · Peter H. Diamandis: The Future Is Faster Than You Think: How Converging Technolo- von zehn Millennials leben heute schon in Schwel- gies Are Transforming Business, Industries, and Our Lives. Simon & Schuster; lenländern. Allein die chinesischen Millennials über- 1. Edition (28. Januar 2020). treffen die Gesamtbevölkerung der USA. Und sie
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 27 Augmented Reality: Die virtuelle Anprobe für Lippenstift, Mascara, Make-up & Co. unterstützt immer stärker Online-Verkäufe werden mit ihren Motivationen, Vorlieben und Ent- als einen Dermatologen aufzusuchen. Unternehmen scheidungen unsere westliche Gesellschaft nachhaltig müssen deshalb ihre Denkweisen anpassen und ihr verändern. »Nicht mehr der Atlantik ist das Gravi- Analytics-Sales-Tool zum Analytics-Design-Tool um- tationszentrum der Welt, sondern der Indopazifik«, wandeln. Nur dann können sie verstehen, was die sagt Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Wer auf die- Konsumenten von ihren Produkten erwarten und sem Terrain gewinnen will, sollte sich idealerweise an ihnen schätzen. Auch McKinsey empfiehlt: »Sie die entsprechende Expertise direkt ins Unternehmen sollten jetzt in Analytik und die Leistungsfähigkeit holen, denn in Asien haben Data Driven Experiences von verbraucherdatengetriebenen Verkäufen inve- schon längst eine ganz andere Dimension erreicht. stieren, sonst sind die Kosten dafür zu hoch.« Perfect Corp, das weltweit führende Augmented-Re- ality-Unternehmen, hat mit der Alibaba-Gruppe sei- ne virtuelle Anprobetechnologie 'YouCam Makeup Bereitschaft zum steten Wandel AR' in Online-Shopping-Erlebnisse integriert. Nur Welche Maßnahmen müssen Unternehmen also sechs Monate nach dem Start der AR-Technologie konkret ergreifen, um den Anschluss nicht zu ver- gab Alibaba bekannt, dass man die Conversion-Rate passen? Wie anfangs erwähnt, ist die Zukunft so um das Vierfache gesteigert habe. Innovative Techno- schnell, dass nur die Bereitschaft für steten Wan- logien verbessern das Produkt- und Einkaufserlebnis del die Antwort sein kann – und die Konzentration für die Kunden »In den nächsten drei Jahren wird in- auf das Wesentliche. Entscheidend ist, sich jetzt mit novative Technologie der Schlüssel zu mehr Umsatz der Zukunft auseinanderzusetzen. Marken müssen sein. Gerade in der Beauty-Branche wird die Tech- überlegen: Wo wollen wir hin? Welche Relevanz nologie für junge Generationen die größte Verände- wollen wir als Unternehmen in zehn Jahren im Le- rung beim Kauf von Produkten mit sich bringen!«, ben unserer Konsumenten haben? Und wie gelingt sagt Mike Hu, Chef der chinesischen B2C-Plattform uns die Transformation in eine bessere Zukunft? Es Tmall Beauty aus dem Alibaba-Universum. gilt, diese wichtigen Fragen konkret und individuell zu beantworten. N Jutta dos Santos Miquelino Artificial Intelligence hilft beim Verständnis Viele Unternehmen experimentieren bereits mit Hilfe von AI an personalisierter Kosmetik, beispielsweise L’Oréal, Olay, Clinique sowie Nischenmarken wie Proven Skincare. Wichtiger als schneller Profit sind N Jutta dos Santos Miquelino arbeitet seit 2014 bei and dos Santos, Berlin und die Erkenntnisse über die Verbraucherwünsche und ist CEO und Co-Founderin der Innovations- der Aufbau einer Beziehung zum Kunden, die hier agentur, die Unternehmen wie Deutsche datenbasiert entsteht. Denn die Menschen vertrauen Bahn, DUS Airport, L’Oréal zu den Themen heute in hohem Maße auf Daten und Wissenschaft, Business Transformation und New Lea- um Entscheidungen zu treffen. Für sie ist es viel ein- dership berät. Zuvor war sie im Executive Team bei Sony CE und bei P&G Prestige facher und billiger, einen Umfragebogen auszufüllen, Beauté tätig.
markenartikel 9/2021 28 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT Weniger ist mehr! Die Bloggerin Charlotte Schüler lebt seit sieben Jahren plastikfrei. Für Kosmetikunternehmen hat sie einige Tipps, wie diese ihren ökologischen Fußabdruck verringern können. markenartikel: Sie stehen für ein plastikfreies Leben. wir können doch einiges an unsinnigem Plastik in Wieso treibt Sie diese Thematik so um? unserem Alltag vermeiden. Charlotte Schüler: Plastik, das wir für viele Einweg und Wegwerfprodukte verwenden, wird aus dem end- markenartikel: Kann man auch im Kosmetikbereich lichen Rohstoff Erdöl hergestellt. Ich bin der Über- Plastik einsparen? Wo sehen Sie hier Potenzial? zeugung, dass wir schonender mit den Ressourcen Schüler: Ich finde, im Kosmetikbereich kann man zum unserer Erde umgehen sollten. Doch nicht nur die einen besonders viel Müll durch die Verwendung Ressourcenschonung spielt dabei eine Rolle, sondern von festen statt flüssigen Produkten reduzieren. Er- auch die zunehmende Vermüllung unseres Planeten stere können meist in kleineren Pappverpackungen und zusätzlich das damit verbundene Tierleid. Da oder eben unverpackt in kleineren Läden verkauft das meiste Plastik in unserem Alltag relativ leicht werden. Zusätzlich ist das tolle an festen Produkten, Foto: yiulipa-stock.adobe.com vermieden werden kann, versuche ich, meinen Pla- dass sie auf dem Transportweg CO2 einsparen, da sie stikfußabdruck so klein wie möglich zu halten. Zu vom Volumen her kleiner sind. Zum anderen kann 100 Prozent plastikfrei leben können wir natürlich man mit Refill-Systemen viel Plastikmüll einsparen. nicht – schon allein wegen Produkten, die im Be- Was auch noch eine schöne Entwicklung ist, sind reich Technik oder Medizin benötigt werden. Aber zum Beispiel Duschgel-Pulver: Der Kunde kauft ein
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 29 Charlotte Schüler hat Anfang 2015 den Blog 'Plastikfrei Leben' gegründet. Die Bloggerin und Mediengestalterin hat sich ganz auf Nachhaltigkeit, Plastikvermeidung und einen umweltbewussten Lebensstil spezialisiert. Schüler zeigt ihren Followern in diversen TV- und Online-Formaten, wie sie auf Plastik verzichten können kleines Päckchen mit dem Pulver und mixt es daheim mit Wasser zu einem flüssigen Duschgel zusammen. markenartikel: Gibt es Unternehmen aus der Beauty- Branche, die Sie als Vorreiter sehen mit Blick auf das Thema plastikfreies Leben? Schüler: Als Vorreiter bei festen Produkten sehe ich ganz klar den britischen Kosmetikanbieter Lush. In den vergangenen Jahren haben aber erfreulicher- weise ganz viele andere Firmen nachgezogen, vor allem bei festem Shampoo, so dass man solche Pro- dukte jetzt auch in jeder normalen Drogerie findet. Bei Refill-Systemen gefallen mir zum Beispiel die natürlichen Make-up-Produkte der Dänin Kjaer Weis oder die natürlichen, veganen und nachfüll- baren Make-up-Produkte der französischen Marke » Zao ganz gut. Und natürlich das Hamburger Start- up Future Stories mit seinem Duschgel-Pulver. Da manche Verbraucher die festen Produkte nicht so sehr mögen, ist das eine tolle Alternative. Im Kosmetikbereich kann markenartikel: Welche Tipps haben Sie konkret für man besonders viel Müll Beauty-Unternehmen, die Plastik reduzieren wollen? Schüler: Sie sollten lieber früher als später umstellen durch die Verwendung von und neue Wege ausprobieren. Man merkt ja, dass die festen statt flüssigen Produkten Konsumenten die Veränderung wollen. Die Unter- nehmen sollten sich zunächst einmal überlegen, mit reduzieren. Zudem kann welchen Angeboten – zum Beispiel festen Produkten, man mit Refill-Systemen viel Refill-Systemen oder Pulver zum Mischen – sie bei ih- rem eigenen Sortiment den Müll reduzieren können. Plastikmüll einsparen. Und auch Duschgel-Pulver sind markenartikel: Der Konsum wandelt sich stark. Was ist Ihre Prognose: Wo geht die Entwicklung hin – und eine schöne Entwicklung. worauf müssen sich Unternehmen demnach einstel- Bloggerin Charlotte Schüler len? Schüler: Die Konsumenten achten meiner Meinung jetzt schon auf plastikfreie, CO2-reduzierte und vegane Produkte. Nicht nur das Produkt an sich ist dabei wichtig, sondern auch, für was die Firma dahinter steht und wie sie sich für mehr Nachhal- tigkeit und soziale Themen einsetzt. N Interview: Vanessa Göbel
markenartikel 9/2021 30 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT »Hand in Hand funktioniert« Die Kosmetikbranche galt lange nicht eben als Vorreiterin beim Thema Digitalisierung. Corona hat aber auch hier für eine Beschleunigung gesorgt. Babor-Chef Michael Schummert sagt, wie die Branche digital durchstarten möchte. markenartikel: Covid-19 hat auch die Kosmetikbranche hart getroffen. Dennoch bieten Krisen ja oftmals die Chance für ein Umdenken und einen Neuanfang. In- wieweit sehen Sie die Beauty-Unternehmen hier im Wandel – unter anderem aufgrund der möglicherwei- se veränderten Konsumvorlieben der Verbraucher? Michael Schummert: Das Virus hat einen Quantensprung in Sachen digitaler Kommunikation ausgelöst. Das war höchste Zeit. Das gilt übrigens auch für die Ar- beitsweise innerhalb der Unternehmen. Das größ- te Learning: stationärer Handel und E-Commerce müssen Hand in Hand funktionieren. Darum waren Unternehmen, die schon einen Multichannel-Ansatz » gefahren sind, auch ganz gut für die Krise gerüstet. Lippenbekenntnisse ohne echtes Handeln und Angebot werden vom Konsumenten schnell entlarvt. Michael Schummert, Geschäftsführer der Dr. Babor GmbH & Co. KG in Aachen und Vorsitzender der AG Innovation des VKE Kosmetikverbandes in Berlin markenartikel: Welche spannenden, auf die Zukunft ausgerichteten Ansätze sehen Sie denn konkret im Beauty-Bereich? Schummert: Wir sehen immer mehr Direct- to-Consumer-Modelle und auch Social Selling hat als Verkaufsform absolut Zukunft. Laut einer Studie des BVDW Bundesverbands der digitalen Wirtschaft aus dem Jahr 2020 hat mehr als jeder fünf- Foto: Babor te Deutsche schon einmal ein Produkt aufgrund
markenartikel 9/2021 TITELTHEMA: KOSMETIK IN DER DIGITALEN WELT 31 von Werbung eines Influencers gekauft. Hier wird markenartikel: Gibt es dabei zentrale Trends, die die vor allem eine spannende, jüngere Zielgruppe ange- Kosmetikbranche künftig prägen werden und auf sprochen. Für die Marken und Retailer sind dabei die die Anbieter reagieren sollten? nicht nur die Social-Media-Stars interessant, sondern Schummert: Clean Beauty und Conscious Skincare auch glaubwürdige Mikro- und Makro-Influencer. sind wichtige Schlagworte. Hier geht es um Free- Dadurch entstehen sehr interessante neue Sales- from-Listen, natürliche Inhaltsstoffe und vegane Plattformen. Die Branche hat vieles bereits gestartet Produkte sowie insgesamt immer mehr auch um – von digitaler Live-Beratung bis hin zu von Künst- Transparenz. Diese Trends bleiben Taktgeber. Da- licher Intelligenz gestützten Hautanalysen. So rücken neben wird es um echte Diversity und einen glaub- wir digital viel näher ran an den Konsumenten. Hier würdigen Purpose gehen. Lippenbekenntnisse ohne wollen wir weiter groß denken. echtes Handeln und Angebot werden vom Konsu- menten schnell entlarvt. Dabei werden die großen markenartikel: Und wie sehen Sie den stationären Han- Player im Markt zunehmend von kleinen Nischen- del aufgestellt, um künftig wieder für Konsumlust Brands herausgefordert. zu sorgen? Was muss geschehen, um ein Einkaufser- lebnis zu bieten, das die Kunden inspiriert? markenartikel: Inwiefern? Schummert: Kosmetik wird nach wie vor oft stationär Schummert: Wir sehen einen Boom an Pflege-Start- gekauft – ihr Einkauf ist immer auch ein Erlebnis. ups, die in den Social-Kanälen die Gen Y und Z Der stationäre Handel ist hier gut aufgestellt, das an sich binden. Hier entstehen spannende Marken zeigen die wieder anziehenden Verkaufszahlen. Wir und Produkte, die die Wünsche der Kunden perfekt haben gelernt, dass stationär und E-Commerce per- erfüllen. Sie sind häufig sehr spitz ausgerichtet und fekt zusammen gehen – jetzt gilt es, das Momentum von ihrer loyalen Community getragen. Ich persön- zu erhalten und den Kunden entlang der gesamten lich verfolge diese Entwicklungen mit großem Inte- Customer Journey zu überraschen und ihn staunen resse, denn diese Innovationen bringen Dynamik in zu lassen – stationär und digital. Diese Symbiose in den Markt. N Weltmetropolen wie London, Shanghai, Seoul und Interview: Vanessa Göbel New York zu beobachten, kann als Best Practice auch hierzulande vorteilhaft sein. www.markenartikel-magazin.de Täglich neue Meldungen rund um die Marke sowie Personalien und Veranstaltungen aus der Markenwelt. Der markenartikel-Newsletter erscheint 2x wöchentlich mit frischen Marken-News. Vernetzen Sie sich mit uns via unserer LinkedIn-Präsenz
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