Integriertes Risikomanagement - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und ...
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BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, es ist allgemein bekannt, dass nichts so gut ist, dass es nicht ergeben, die auch mehr oder weniger intensiv und erfolg- noch besser werden kann. Dies trifft auch auf die im inter- reich gelebt werden. Problematischer sieht es jedoch auf nationalen Vergleich sehr gut funktionierende nicht-poli- der regionalen oder lokalen Ebene aus, wo mittelgroße oder zeiliche Gefahrenabwehr bzw. auf den Bevölkerungsschutz kleinere Infrastrukturunternehmen, aber auch Unterneh- in Deutschland zu. Die Abhängigkeiten von lebenswichti- men mit gewissen Produktrisiken nur geringe eigene Res- gen bzw. gesellschaftlich unverzichtbaren Infrastrukturen sourcen für ein effektives internes Risiko- und Krisenma- haben in den vergangenen Jahren ebenso deutlich zuge- nagement besitzen und die kontinuierliche Kooperation nommen wie die Gefahren und Risiken auf diesem Gebiet. mit der öffentlichen Gefahrenabwehr nur begrenzt oder Parallel zu diesem Anwachsen von Abhängigkeiten und gar nicht funktioniert. Nicht selten liegt die Ursache dann darin begründet, dass sich die wichtigsten Akteure gegen- seitig nicht kennen, daher ggf. auch nur wenig vertrauen und manchmal auch die Notwendigkeit oder der Mehr- wert des sich Kennens und der Kooperation einfach nicht gesehen wird. Das BBK arbeitet seit einigen Jahren konzeptionell an ei- nem neuen bzw. fortentwickelten Ansatz, der die öffentli- che nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr und die Infrastruk- tur- und andere Unternehmen gerade mit Blick auf ein effektives und effizientes Risiko- und Krisenmanagement enger zusammenbringen und verknüpfen will. Dieser An- satz – das so genannte „Integrierte Risiko- und Krisenma- nagement“ – ist dabei nicht mehr nur ein theoretisches Konzept, sondern wird in Teilen zusammen mit interes- sierten kommunalen Behörden in der Praxis erprobt. Dr. Wolfram Geier ist Lei- ter der Abteilung II „Risi- komanagement, Interna- In dieser Ausgabe des „Bevölkerungsschutz-Magazins“ tionale Angelegenheiten“ wollen wir Ihnen die Grundzüge dieses strategischen An- im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und satzes vorstellen, aber auch über praktische Umsetzungs- Katastrophenhilfe. beispiele berichten. In diesem Kontext werden auch Ziel- setzungen und erste Erkenntnisse aus Projekten des BBK Risiken haben sich auch ökonomische Rahmenbedingun- vorgestellt, die sich mit dem „Integrierten Risiko- und Kri- gen wie z. B. die Eigentums- und andere Rechtsverhältnisse senmanagement“ befassen und die vor allem den Bedarfs- verändert: große Infrastrukturunternehmen sind nicht trägern der Gefahrenabwehr wie den Unternehmen vor mehr staatlich, sondern privatrechtlich organisiert und ha- Ort zu Gute kommen können. ben beispielsweise eigene Katastrophenschutzpotenziale abgebaut oder gänzlich aufgelöst. Ein Risiko- und Krisen- Viel Spaß beim Lesen dieser interessanten Beiträge management in diesen Unternehmen ist von der öffentli- wünscht Ihnen chen Gefahrenabwehr separiert und die Unternehmen bau- en stark auf die öffentlichen Ressourcen für den Fall der Ihr Fälle. Dies bedingt natürlich eine kontinuierliche und enge Kooperation zwischen beiden Bereichen, wenn eintreten- de Lagen im Interesse aller Beteiligten erfolgreich bewäl- tigt werden sollen. Aufgrund der Bedeutung großer Infrastrukturunterneh- men für Bund und Länder haben sich in den letzten Jah- ren verschiedene Kooperationsfelder und -möglichkeiten Dr. Wolfram Geier
INHALT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 1 7 34 28 20 INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT EHRENAMT Integriertes Risikomanagement: Ein strategischer Wie gewinnt man Helfer für den Ansatz für eine intensive Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz? Bevölkerungsschutz 3 Psychologische Motive für das Ehrenamt kennen und für Kampagnen der Helfergewinnung nutzen 37 Projekt Risikoanalyse Stromausfall in Ostwestfalen-Lippe 6 Die Identifizierung Kritischer Infrastrukturen – ZIVILE VERTEIDIGUNG Umsetzung in einer Kommune 8 Ausnahmezustand Teil II: Die einfachrechtlichen Notstandsgesetze 41 Risikoanalyse der öffentlichen Wasserversorgung Methoden und Erkenntnisse aus Dresden und Leipzig 12 Kommunale Risikoanalyse FORUM im Bevölkerungsschutz Bundesanstalt Technisches Hilfswerk 47 Kommentar und Replik zur BBK-Methode 18 Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft 48 Deutscher Feuerwehrverband 49 Treibstoffversorgung bei Stromausfall – Deutsches Rotes Kreuz 50 Planung und Umsetzung in Hamburg 23 Johanniter-Unfall-Hilfe 51 Malteser Hilfsdienst 53 Nutzung Geographischer Informationssysteme Verband der Arbeitsgemeinschaften der Helfer im Integrierten Risikomanagement Praktische Anwendung im Forschungsprojekt KIRMin 26 in den Regieeinheiten /-einrichtungen des Katastrophenschutzes in der Forschung und Standardisierung können Bundesrepublik Deutschland e. V. 55 voneinander profitieren Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt KIRMin 30 Integriertes Krisenmanagement – Prozesse RUBRIKEN und Strukturen 32 Nachrichten 56 Impressum 56 SERIE Kulturgutschutz in Deutschland 57
2 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Integriertes Risikomanagement: Ein strategischer Ansatz für eine intensive Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz Peter Lauwe Die Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz funktioniert zu sein. Hier kommt es traditionell zu einem intensiveren grundsätzlich gut. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und Austausch. Hilfsorganisationen arbeiten in der Notfallplanung und der Hinter dem Begriff „Integriertes Risikomanagement“ Bewältigung von Ereignissen traditionell sehr intensiv und versteckt sich nun das Ziel, die Zusammenarbeit verschie- professionell zusammen. Auf der strategischen Ebene findet dener Akteure zu optimieren. Es sollen Schnittstellen im im Bevölkerungsschutz ebenfalls ein enger Austausch statt, Risikomanagement erkannt und der Informationsbedarf auch über Verwaltungsebenen hinweg. Beispielsweise tes- an diesen Schnittstellen aufgezeigt werden. Es geht also ten Bund, Länder, Kommunen und Betreiber Kritischer In- nicht um die Entwicklung neuer Methoden, sondern eher frastrukturen im Rahmen der länderübergreifenden Übung um die engere Verzahnung im Risikomanagement. Ein LÜKEX alle zwei Jahre die Zusammenarbeit auf Krisen- besonderes Augenmerk wird dabei auf Betreiber Kritischer stabsebene. Infrastrukturen und die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr Die folgenden beispielhaften Aussagen stehen daher (von nun an vereinfachend Gefahrenabwehr genannt) ge- nicht repräsentativ für den Bevölkerungsschutz, zeigen aber, legt. dass trotz der grundsätzlich guten Zusammenarbeit punk- tuell ein Bedarf an einer Intensivierung und Optimierung des Austausches zwischen einzelnen Akteuren im Bevöl- Integriertes Risikomanagement – ein strategischer Ansatz kerungsschutz besteht. Das Integrierte Risikomanagement baut auf einem „Unser Anliegen zur Zusammenarbeit in der Notfallplanung grundlegenden Ansatz zum Katastrophenrisikomanage- wurde auf Kreisebene nicht aufgegriffen.“ ment auf. Darin werden lange im Vorfeld möglicher Ka- (Aussage eines Betreibers Kritischer Infrastrukturen) tastrophen schädigende Ereignisse für die Bevölkerung durchgespielt, meist anhand der folgenden Leitfragen:1 „Es besteht ein Bedarf an zielgerichteten Informationen zu Kapazitäten und Ressourcen von Betreibern Kritischer Infra- Was kann passieren? Welche Gefahren können auftreten? strukturen. Diese liegen so nicht vor.“ Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Ereignis mit schä- (Aussage aus dem Bereich der nichtpolizeilichen Gefahren- digenden Auswirkungen auf den betrachteten Unter- abwehr auf Kreisebene) suchungsraum, beispielsweise den Kreis, eintritt?2 Welche Auswirkungen kann das betrachtete Ereignis „Hinsichtlich der Koordination der Versorgung im Notfall haben? Welche Schäden können hervorgerufen werden? liegt erheblicher Abstimmungsbedarf vor.“ Was kann getan werden, um die Auswirkungen zu mil- (Aussage aus einem Ministerium) dern bzw. die Resilienz zu fördern? Die Aussagen beziehen sich vielfach auf eine Zusammen- arbeit im Risikomanagement bzw. auf einen Teilbereich des 1 Vgl. Yacov Y. Haimes, Risk Modeling, Assessment, and Management, 2. Auflage, Hoboken, 2004, S. 22ff Risikomanagements, die Notfallplanung. Häufig tritt ein 2 Hinweis: Auch international tritt im Katastrophenrisikomanagement Bedarf zwischen solchen Akteuren auf, die sich noch nicht die Betrachtung der Eintrittswahrscheinlichkeit zunehmend in den so gut kennen, wie Betreiber Kritischer Infrastrukturen und Hintergrund, da sie bei seltenen Ereignissen mit hohem Schadenspoten- Gefahrenabwehrbehörden. Teils beziehen sich Aussagen zial häufig nur unzureichend oder gar nicht ermittelt werden kann. Im Bereich vorsätzlicher Handlungen wird daher eher von der Plausibili- dieser Art auf die kommunale Ebene. Teils wird auch Bedarf tät oder Durchführbarkeit gesprochen. Teilweise findet auch gänzlich auf anderen Ebenen formuliert. Im Krisenmanagement eine Fokussierung auf die potenziellen Auswirkungen statt, ohne die scheint der zusätzliche Bedarf an Zusammenarbeit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen.
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 3 Welche Folgen haben meine Entscheidungen auf zu- werden. Stehen sie fest, kann der Kontakt zu Betreibern künftige Handlungsoptionen? Kritischer Infrastrukturen aufgenommen werden, um Ge- fahrenszenarien abzustimmen und gemeinsame Ziele für Im Integrierten Risikomanagement geht es nun um das Risikomanagement festzulegen. Nutzen die Akteure den Austausch zwischen zwei oder mehreren unterschied- die gleichen oder ähnlichen Gefahrenszenarien, besteht die lichen Akteuren. Es kommen zwei Fragen hinzu, die auf Möglichkeit, das Risikomanagement im Gleichklang lau- eine stärkere Verknüpfung abzielen: fen zu lassen. Ergebnisse aus den jeweiligen Risikoanalysen und deren Bewertungen können ausgetauscht sowie Not- Welcher Akteur benötigt an welcher Schnittstelle im fallplanungen aufeinander abgestimmt werden. Risikomanagement welche Informationen und von Am Beispiel eines lang anhaltenden und großräumigen wem? Stromausfalls kann das folgendermaßen aussehen: Ge- Welche Themen hängen an welcher Stelle in welcher meinsam einigt man sich auf ein solches Gefahrenszenario Form zusammen und wie können die Akteure des Be- als Grundlage für das Risikomanagement. Die Gefahren- völkerungsschutzes von einer Verknüpfung der The- abwehr erstellt eine Notfallplanung zum Stromausfall für men profitieren? den Kreis oder die kreisfreie Stadt. Betreiber Kritischer In- frastrukturen bauen jeweils eine Notstromversorgung in Zielt die erste Frage also auf die Verknüpfung der Ak- ihren Einrichtungen auf, um die betriebliche Funktionsfä- teure ab, greift die zweite Frage das Problem auf, dass Risi- higkeit zumindest in wichtigen Teilen sicherzustellen. Auch koanalysen für unterschiedliche Themen häufig separat die Gefahrenabwehr betrachtet ihre wichtigen Einrichtun- durchgeführt werden. Ein Austausch der Ergebnisse bleibt gen in dieser Form. Betreiber Kritischer Infrastrukturen prü- teilweise aus. Dies trifft beispielsweise auf Risikoanalysen fen, ob sie über mobile Notstromaggregate verfügen, die für physischen Gefahren und Cybergefahren zu. Aber auch im Ereignisfall für den Kreis oder die kreisfreie Stadt zur Klimarisiken und Katastrophenrisiken werden durchaus Verfügung gestellt werden können. Gemeinsam wird ge- getrennt betrachtet, obwohl es enge Bezüge gibt. So können prüft, ob es andere Einrichtungen wie Bauunternehmen klimatisch bedingte Wetterextreme natürlich Katastro- oder Verleihfirmen gibt, die bei Stromausfall Notstromag- phen auslösen. gregate bereitstellen können. Die Verantwortung für die Der Begriff „Integriertes Risikomanagement“ wurde Beschaffung erforderlicher neuer Notstromaggregate kann also bewusst platziert, um auf den ersten Blick den Bedarf aufgeteilt werden. Ebenfalls gemeinsam sucht man nach an einer systematischen Verknüpfung von Akteuren und Möglichkeiten zur langfristigen Treibstoffversorgung. Hier- Themen zu verdeutlichen. In manchen Bereichen funktio- bei kann auf Tanklagerbetreiber und Spediteure zugegan- niert das schon sehr gut. So arbeiten Vertreter von Störfall- gen werden, um Bereitstellung und Verteilung zu planen. betrieben und der Gefahrenabwehr seit Jahren eng zusam- Die Notfallmaßnahmen können über schriftliche Verein- men. Die Gefahrenabwehr erstellt externe Notfallpläne für barungen oder gar Verträge zwischen den beteiligten Ak- den Fall, dass es zu einer Freisetzung von Gefahrstoffen teuren festgeschrieben werden. Wichtig sind eine Einbin- kommt. In den Störfallbetrieben werden dazu korrespondie- dung von Aufsichtsbehörden und anderer relevanter Stellen rende interne Notfallpläne erarbeitet. Beide Notfallpläne in den gesamten Prozess. Die Initiative für die Koordinati- sind ähnlich aufgebaut. Die Inhalte werden aufeinander ab- on dieser Planung kann sowohl von der Gefahrenabwehr gestimmt. In Bereichen ohne gesetzliche Forderung gestal- als auch von einzelnen Betreibern Kritischer Infrastruktu- tet sich eine derartige Verknüpfung oft schwieriger. Das ren ausgehen. In der Praxis haben wir im Bundesamt für Vorgehen im Rahmen der Störfallverordnung kann sicher- Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Beispie- lich nicht eins zu eins auf andere Akteure und Bereiche le für beide Varianten kennengelernt. übertragen werden. Dennoch eignet es sich zumindest als Die Abbildung auf der folgenden Seite zeigt die mögli- Ideengeber. chen Schnittstellen im Integrierten Risikomanagement grafisch auf. Auf der linken Seite ist ein Risikomanagement der Gefahrenabwehr für den Kreis bzw. die kreisfreie Stadt Integriertes Risikomanagement – Praktische Umsetzung schematisch abgebildet (orange), auf der rechten Seite das am Beispiel der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr und interne Risikomanagement von Betreibern Kritischer Inf- Betreibern Kritischer Infrastrukturen auf kommunaler Ebene rastrukturen für ihre Einrichtungen (blau). Für beide Ver- fahrensabläufe gibt es methodische Leitlinien in Form von Das Integrierte Risikomanagement bietet an zahlrei- DIN-Normen3, Regelwerken von Verbänden oder einfa- chen Schnittstellen die Möglichkeit einer systematischen chen Empfehlungen bzw. Leitfäden. Das Bundesministeri- Zusammenarbeit der Akteure auf kommunaler Ebene an: um des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat beispiels- Im Rahmen der Vorplanung zum Risikomanagement kön- weise in 2011 einen Leitfaden zum betrieblichen Risiko- nen von der Gefahrenabwehr oder Aufsichtsbehörden die und Krisenmanagement in Kritischen Infrastrukturen ver- prioritären Betreiber Kritischer Infrastrukturen identifiziert öffentlicht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) stellt seit dem Jahr 2015 einen Leit- faden zur Erstellung einer Risikoanalyse im Bevölkerungs- 3 Beispiel DIN 31000 zum Risikomanagement schutz zur Verfügung. Er richtet sich an die Allgemeine
4 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Abb. 1: Integriertes Risikomanagement im Bevölkerungsschutz auf Kreisebene. Gefahrenabwehr und den Katastrophenschutz und bietet Welche Ressourcen und Fähigkeiten liegen dort vor, die inhaltliche Grundlage zur Durchführung eines Stress- die im Katastrophenfall von der Gefahrenabwehr ge- testes in Kreisen und kreisfreien Städten. Daneben bietet nutzt werden können? das BBK seit 2017 eine Empfehlung zur Identifizierung Welcher Bedarf liegt bei Kritischen Infrastrukturen im Kritischer Infrastrukturen auf Ebene der Kreise bzw. kreis- Hinblick auf eine Unterstützung durch die Gefahren- freien Städte für den Fall an, dass die Gefahrenabwehr abwehr vor? bzw. andere Akteure wie Aufsichtsbehörden die wichtigsten Besteht die Bereitschaft bei Kritischen Infrastrukturen, KRITIS auf dem Kreisgebiet bzw. in der Stadt vorab ermit- Gefahrenszenarien der Gefahrenabwehr im eigenen teln möchten. betrieblichen Risikomanagement zu übernehmen? Die mittlere Spalte zeigt die Möglichkeiten zur Zusam- Besteht die Bereitschaft bei Kritischen Infrastrukturen, menarbeit im Risikomanagement an unterschiedlichen für die Gefahrenabwehr relevante Informationen be- Schnittstellen auf. Im Rahmen einer gemeinsamen Vorpla- reitzustellen? nung können Gefahrenszenarien festgelegt, Schutzziele Welche Versorgungsausfälle sind vor dem Hintergrund vereinbart oder Zeitpläne konkretisiert werden. Ergebnisse der betrachteten Gefahrenszenarien zu erwarten? In aus den jeweiligen Risikoanalysen können geteilt werden. welchen Gebieten? Wie lange? Eine Bewertung der geteilten Ergebnisse kann ebenfalls ge- Kann die Notfallplanung aufeinander angestimmt wer- meinsam vorgenommen werden. Schließlich besteht die den, im kleinen Rahmen analog zum internen und ex- Möglichkeit, Notfallmaßnahmen gemeinsam zu planen. Die ternen Notfallplan für Störfallbetriebe? Zusammenarbeit in der mittleren Spalte kann über Ge- Besteht die Bereitschaft, Notfallmaßnahmen aufeinan- spräche, strukturierte Workshops oder gezielt dafür einge- der abzustimmen? richtete Runde Tische erfolgen. Im Rahmen eines gemein- sam besetzten Lenkungsgremiums können strategische Grundsätzlich haben auch Betreiber Kritischer Infra- Entscheidungen in der Zusammenarbeit vorbereitet und strukturen ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der getroffen werden. Gefahrenabwehr bzw. dem Katastrophenschutz und na- Unserer Erfahrung nach interessiert die Gefahrenab- türlich treten auch bei den Betreibern viele Fragen auf (nicht wehr im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Betreibern abschließend): Kritischer Infrastrukturen insbesondere die Beantwortung der folgenden Fragen: Welche Gefahrenszenarien sind für die Gefahrenab- wehr im Rahmen ihres Risikomanagements für den Welche Kontaktstellen können im Rahmen des Risiko- Kreis bzw. die kreisfreie Stadt von Relevanz? und Krisenmanagements bei Betreibern Kritischer Inf- Wie kann ein Informationsaustausch im Rahmen des rastrukturen angesprochen werden? Risikomanagements erfolgen?
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 5 In welcher Form kann die Gefahrenabwehr Kritische Die Artikel in dieser Ausgabe von Bevölkerungsschutz Infrastrukturen bei der Notfallplanung und im Ereig- kommen weitgehend aus der Praxis und zeigen auf, wie nisfall unterstützen? Welche Fähigkeiten bzw. Ressour- die Zusammenarbeit im Risikomanagement, insbesondere cen können bereitgestellt werden? auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte intensiviert Welche Notfallmaßnahmen sind von Seiten der Gefah- wurde. Es werden konkrete Ergebnisse beschrieben, die aus renabwehr bezogen auf Kritische Infrastrukturen vor- der Zusammenarbeit entstanden sind. Teilweise fokussiert gesehen? die Zusammenarbeit auf spezifische Themen wie die Treibstoffversorgung im Fall langanhaltender und groß- Antworten auf Fragen dieser Art können nur im Rah- räumiger Stromausfälle, teilweise geht es um eine Koope- men einer engen Zusammenarbeit und vielfach nur über ration entlang des gesamten Risikomanagements. Dabei einen Austausch von konkreten Ergebnissen aus dem je- werden auch kritische Fragen gestellt und diskutiert. Ver- weiligen Risikomanagement gegeben werden. treter des DIN zeigen das Interesse an einer weiterführen- den Standardisierung des Integrierten Risikomanagements auf. Am Ende wird eine Brücke vom Integrierten Risiko- Fazit und Ausblick management zu einem Integrierten Krisenmanagement geschlagen. Der strategische Ansatz zum Integrierten Risikoma- Die Beiträge in dieser Ausgabe zeigen, welche Vorteile nagement soll ein Angebot zur Systematisierung und da- für alle Beteiligten aus einer engeren Verknüpfung von mit zur Optimierung der Zusammenarbeit unterschiedli- Akteuren und Themen entstehen können und welches Po- cher Akteure im Risikomanagement sein. Ein Schwerpunkt tenzial in dem strategischen Ansatz eines Integrierten Ri- in der Umsetzung liegt sicherlich auf der kommunalen sikomanagements für die Praxis auf allen Ebenen noch Ebene. Das BBK durfte zahlreiche Kooperationen zwi- steckt. schen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr, Betreibern Kritischer Infrastrukturen und weiteren Akteuren wie Aufsichtsbehörden auf Kreisebene begleiten. Die Zusam- menarbeit fokussierte teilweise auf bestimmten Sektoren wie die Wasser- und Stromversorgung. In einem anderen Fall wollen Vertreter aus mehreren Kreisen mit ihren Be- treibern Kritischer Infrastrukturen den gesamten Zyklus des Risikomanagements gemeinsam durchlaufen. Die Ini- tiativen zur Zusammenarbeit gingen wie oben bereits er- wähnt teilweise von den Gefahrenabwehrbehörden, teil- weise von den Betreibern Kritischer Infrastrukturen aus. Die Initiatoren haben in der Regel auch die Koordination der Zusammenarbeit übernommen. Ende 2018 wird das BBK eine Empfehlung zum Integ- rierten Risikomanagement für die kommunale Ebene ver- öffentlichen, die die Erkenntnisse aus der Begleitung meh- rerer Pilotprojekte in den letzten Jahren bündeln wird. Derzeit arbeitet eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Be- hörden, Unternehmen und Wissenschaftlern an einem DIN SPEC-Projekt zum Integrierten Risikomanagement. Diese Vorstufe einer DIN Norm wird ein weiterer Baustein zur Unterstützung der Zusammenarbeit sein. Es wird sich zei- gen, ob der Bedarf an einer Systematisierung der Zusam- menarbeit zukünftig noch zunimmt. Peter Lauwe ist Leiter des Referates Risikomanagement und Schutz- konzepte Kritischer Infrastrukturen / Kulturgutschutz nach Haager Kon- vention im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
6 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Projekt Risikoanalyse Stromausfall in Ostwestfalen-Lippe In Zeiten der zunehmenden Digitalisierung hätte ein langandauernder Stromausfall weitreichende Konsequenzen. Die Bevölkerungsschützer aus Ostwestfalen-Lippe (Nordrhein-Westfalen) starten eine Risikoanalyse. Hans-Dieter Lödige Schadenslagen stoppen selten an einer Kreisgrenze, aus nal begrenzten Stromausfall, sondern den, durch eine Stö- diesem Grund treffen sich die verantwortlichen (s. u.) Be- rung im Übertragungsnetzt verursachten, großflächigen völkerungsschützer aus den Kreisen in Ostwestfalen-Lippe Stromausfall in den Wintermonaten mit der Folge eines (OWL) und der kreisfreien Stadt Bielefeld mehrmals im mehrtätigen (ca. 72 Stunden) überregionalen Stromaus- Jahr zum Austausch im Arbeitskreis Bevölkerungsschutz. falls in mehreren Kreisen und der besonderen Betrachtung Je nach Themenbereich werden Fachkundige als Referen- der Kritischen Infrastrukturen. Mit nachbarschaftlicher ten eingeladen, hinzukommen noch ständige Gäste, wie Hilfe ist aufgrund des Schadensausmaßes zunächst nicht beispielweise die zuständige Bezirksregierung Detmold. zu rechnen. Der Ausfall der Kritischen Infrastruktur Strom hat au- In Nordrhein-Westfalen regelt das Gesetz über den Brandschutz, die tomatisch Auswirkungen auf weitere einzelne Kritische Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) die Aufgaben des Infrastrukturen, wie zum Beispiel: Landes, der Kreise und der Kommunen. Ziel des Gesetzes ist der Schutz der Bevölkerung durch vorbeugende und abwehrende Maßnahmen zum Beispiel bei Großeinsatzlagen und Katastrophen (§ 1 BHKG). Es ist Stromausfall in einer einzelnen Kritischen Infrastruk- unter anderem die Aufgabe der Kreise (und kreisfreien Städte) Pläne tur (z. B. Klinik) und erforderliche Maßnahmen für Großeinsatzlagen und Katastrophen Lokaler Stromausfall aufzustellen bzw. vorzuhalten (§4 BHKG). Ausfall der Trinkwasserversorgung Ausfall der Lebensmittelversorgung Im März 2017 trafen sich die Mitglieder des Arbeits- Ausfall der Energieversorgung (z. B. Wärme & Treibstoff) kreises Bevölkerungsschutz der ostwestfälischen Kreise Ausfall der Kommunikation Gütersloh, Herford, Höxter, Minden-Lübbecke, Paderborn und Lippe und die kreisfreie Stadt Bielefeld zu ihrem tur- Diese einzelnen Ereignisse werden automatisch mitbe- nusmäßigen Treffen. Auf der Tagesordnung stand unter trachtet und mitbearbeitet. Die Risikoanalyse ist also nicht anderem das Thema „Risikomanagement im Kreis / einer nur für den großen Blackout hilfreich, sondern unterstützt kreisfreien Stadt“ und hier insbesondere die Durchführung auch bei weit kleineren Ereignissen. einer Risikoanalyse zu einem Szenario „langanhaltender Die Mitglieder im Arbeitskreis Bevölkerungsschutz er- großflächiger Stromausfall“ welches von Referenten des kannten die Wichtigkeit dieses Szenarios und empfahlen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophen- ihren Hauptverwaltungsbeamten ein Risikomanagement hilfe (BBK) vorgetragen wurde. Das Szenario Stromausfall zu diesem Thema nach der Methode des BKK durch ihre wurde bewusst gewählt, da der Ausfall der Elektrizität ver- Katastrophenschutzbehörden erarbeiten zu lassen, was schiedenste weitere Ausfälle zur Folge haben könnte. diese auch unterstützten und die Umsetzung beauftragten. Die vom BBK vorgestellte Methode kennzeichnet die Da der großflächige und ggf. langanhaltende Stromaus- Verknüpfung des Risikomanagements der allgemeinen fall immer mehrere Kreise / Städte betreffen würde, wurde Gefahrenabwehr und des Katastrophenschutzes mit dem gleichzeitig eine Projektgruppe gegründet, in der die Kreise Risikomanagement der Betreiber Kritischer Infrastruktu- Gütersloh, Herford, Höxter, Minden-Lübbecke, Paderborn ren. Das BBK hat hierfür den Begriff des „Integrierten Risi- und Lippe und die kreisfreie Stadt Bielefeld vertreten sind. komanagements“ geprägt. Aufgabe der Projektgruppe ist die Erarbeitung von einheit- Das Thema Stromausfall ist auch in OWL durchaus be- lichen Unterlagen, Fragebögen, Identifizierung von Kriti- reits vor vielen Jahren angekommen. Die Kreise und die schen Infrastrukturen, Sicherstellung eines regelmäßigen Stadt Bielefeld haben Vorplanungen getroffen und beüben Austausches untereinander und gegenseitige Unterstützung das Szenario in ihren Krisenstäben. bzw. Hilfestellung. Unterstützt wird die Projektgruppe vom Das für die Risikoanalyse angenommene Szenario be- Dezernat 22 (Katastrophenschutz) der zuständigen Be- inhaltete, wie der Titel sagte, nicht nur den lokalen / regio- zirksregierung Detmold.
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 7 Die ersten mehrtägigen Workshops der Projektgruppe Für die Erarbeitung von nachhaltigen Notfallplanungen wurden von Vertretern des BBK begleitet. Die Teilnehmer ist das Instrument der integrierten Risikoanalyse ein un- erhielten auch durch einen Netzbetreiber einen Einblick in abdingbarer Baustein der Gesamtbetrachtung. Über die Be- die Struktur des europäischen Strom-Übertragungsnetzes, stimmung des Schadensausmaßes und die ermittelten Voraussetzungen für eine sichere Stromversorgung, Regu- Grunddaten der Bewältigungskapazitäten wird ein Soll / lierungsmöglichkeiten bei Stromschwankungen, mögliche Ist-Abgleich durchgeführt und anschließend über eine Szenarien eines Stromausfalls und die Wiederherstellung Matrix bewertet. der Stromversorgung nach einem Blackout. Um Ergebnisse vergleichbar zu machen, erarbeiteten Unterarbeits- gruppen Formulare zur Erfassung von Kritischen Infrastrukturen, eigenen Bewältigungskapazitäten und Arbeits- hilfen. Sollte ein Betreiber Kritischer Infrastrukturen in mehreren Kreisen tätig sein (z.B. Klinikverbünde), wer- den sie trotz unterschiedlicher Zustän- digkeiten einheitliche Arbeitsunterla- gen erhalten. Die Projektgruppe einigte sich auf ein einheitliches Vorgehen: 1. Datenerhebung von betroffenen Kapazitäten (z. B. Krankenhaus) und Bewältigungskapazitäten / Fä- higkeiten über das Versenden von Ein langanhaltender großflächiger Stromausfall zieht auch andere Kritische Infrastrukturen in Mitleidenschaft. Erfassungsbögen an die (Foto: stevph / CC0 Public Domain / pixabay.com) a. Betreiber Kritischer Infra- strukturen Der Vorteil des Integrierten Risikomanagements liegt b. Allgemeine Gefahrenabwehr für uns im umfassenden Überblick über die Kritischen In- c. Katastrophenschutz (-behörden) frastrukturen, vorhanden Ressourcen und den bestehen- d. externen Bewältigungskapazitäten (z. B. private den möglichen Differenzen. Schnittstellen werden schnell Wirtschaft, Bundeswehr …) sichtbar, wodurch Synergien erkannt und genutzt werden 2. Datensammlung über können. Die abschließende Bewertung über eine Matrix ist a. Rücklauf der Erfassungsbögen auch für außenstehende nachvollzieh- und belegbar. b. direkte Kommunikation (Runder Tisch mit Ex- Viele der Betreiber Kritischer Infrastrukturen haben perten) bereits Vorsorge getroffen und stellen ihre Konzepte und c. Lokalisierung über Szenarien (eigene Szenarien Unterlagen zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung. und stattgefundene Schadenslagen analysieren) Die Zusammenarbeit der Kreise Gütersloh, Herford, 3. Auswertung / Analyse der gesammelten Daten Höxter, Minden-Lübbecke, Paderborn und Lippe und der 4. Risikoanalyse durchführen kreisfreien Stadt Bielefeld mit Unterstützung des Bundes- 5. Notfallplanung amtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und der Bezirksregierung Detmold bietet gegenseitige Unter- Auf einem für alle Beteiligten zugänglichem IT-Server stützung und Motivation und ermöglicht einen Überblick werden die gesamten Unterlagen, Informationen und Arbeits- über die Kritischen Infrastrukturen in Ostwestfalen-Lippe papiere zentral zur Verfügung gehalten und ausgetauscht. mit seinen 2 Millionen Einwohnern. Bei der Auswertung der gemeldeten Bewältigungskapa- zitäten muss beachtet werden, dass einige Ressourcen bei einem überregionalen langandauerndem Stromausfall nur sehr begrenzt oder gar nicht zur Verfügung stehen werden. So halten Betreiber Kritischer Infrastrukturen eigene Be- wältigungskapazitäten vor und stellen diese auch regelmä- ßig im Bedarfsfall der Gefahrenabwehr zur Verfügung, doch diese Hilfestellung trifft nur für kleine und begrenzte Lagen zu. Zusätzliches benötigtes Material und Personal Hans-Dieter Lödige ist Mitarbeiter beim Kreis Lippe im Fachdienst Be- muss über große Entfernungen herangeführt und am Ein- völkerungsschutz und dort im Bereich Katastrophen- und Zivilschutz tätig. satzort unter Umständen mit versorgt werden.
8 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Die Identifizierung Kritischer Infrastrukturen – Umsetzung in einer Kommune Sören Mayer Als Aufgabenstellung im Rahmen eines Praxissemesters des Schwellenwerten dar. Auf Grundlage der Arbeitsergebnisse Studiengangs Rettungsingenieurwesen wurden die kritischen schlägt der Autor eine weitere Priorisierung der Dienstleistungen Dienstleistungen und Infrastrukturanlagen einer Stadt in anhand des Parameters Qualität in Anlehnung an die Rheinland-Pfalz identifiziert. Eine besondere Herausforderung Maslowsche Bedürfnispyramide vor. stellte hierbei insbesondere die Festlegung von quantitativen „Als Lebensadern der modernen, hoch technisierten Gesell- Energie schaften gelten ihre Infrastrukturen, wie sichere Energie- Ernährung transportnetze, funktionierende Wasserversorgung, leistungs- Finanz- und Versicherungswesen fähige Verkehrsträger und -wege sowie eine jederzeit zu- Gesundheit gängliche und nutzbare Informations- und Telekommuni- Information und Telekommunikation kationstechnik. Sie bilden zusammen mit weiteren Sekto- Medien und Kultur ren (wie Behörden und Verwaltung, Gesundheitswesen) die Staat und Verwaltung Kritischen Infrastrukturen moderner Gesellschaften […]“ [8]. Transport und Verkehr Die Resilienz Kritischer Infrastrukturen ist in den ver- Wasser gangenen Jahren zunehmend diskutiert worden. Dies ist unter anderem an der steigenden Anzahl an Publikationen Der Schutz Kritischer Infrastrukturen spielt natürlich zu dem Thema zu erkennen. Romane wie „Blackout“ von eine wichtige Rolle, da bei deren Ausfall das alltägliche Le- Marc Elsberg tragen beispielsweise dazu bei, dass das Risiko ben empfindlich gestört werden kann. Bevor jedoch wirk- und die Relevanz eines langanhaltenden Stromausfalls zu- same Strategien zum Schutz einzelner Infrastrukturanlagen nehmend auch von der Bevölkerung wahrgenommen wer- etabliert werden können, gilt es, diese zunächst zu identifi- den. Für das alltägliche Leben sind Kritische Infrastruktu- zieren. Einen ersten Ausgangspunkt stellen die vorhandenen ren unverzichtbar und so ist das Interesse ,sie zu schützen neun Sektoren dar, die jedoch für eine detaillierte Identifi- und gegen Ausfälle zu sichern, nur mehr als verständlich. zierung sehr weit gefasst und damit nicht konkret genug Gerade kleine Kommunen haben jedoch häufig Proble- sind. Das BMI hat aus diesem Grund Unterkategorien in- me, die relevanten Kritischen Infrastrukturen in ihrem Zu- nerhalb eines Sektors als „Branchen“ festgelegt. So finden ständigkeitsbereich zu identifizieren. Zahlreiche Publikati- sich beispielsweise im Sektor Energie die Branchen Elekt- onen – wie zum Beispiel die Arbeitshilfe zur Identifizierung rizität, Mineralöl und Gas wieder, oder im Sektor Gesund- Kritischer Infrastrukturen des BBK [1] – können an dieser heit die Branchen medizinische Versorgung, Arzneimittel Stelle eine wertvolle Unterstützung sein. Vor dem Hinter- und Impfstoffe sowie Labore [3]. grund einer schnelllebigen und ständig im Wandel befind- Eine Möglichkeit, Kritische Infrastrukturen zu identifi- lichen Welt müssen Planungen rund um Kritische Infra- zieren, besteht darin, in dem zu untersuchenden Gebiet strukturen verlässlich, aber keinesfalls statisch sein. Es be- sämtliche Firmen, Betriebe, Dienstleister und Ähnliche zu darf zudem einer stetigen Evaluierung. Dabei können Er- erfassen, die in irgendeiner Art und Weise einen Bezug zu kenntnisse und Erfahrungen aus der (medizinischen) Psy- den aufgeführten Branchen haben. Mit Sicherheit werden chologie und Soziologie hilfreich sein, denn ein wirksamer auch viele Kritische Infrastrukturen unter den erhobenen Schutz Kritischer Infrastrukturen stellt ein transdiszipli- Daten sein. Die große Herausforderung besteht darin, die näres Vorhaben mit zahlreichen Akteuren dar. relevanten KRITIS in der insgesamt umfangreichen Da- Doch was fällt nun alles unter „Kritische Infrastruktur“, tenmenge aller erfassten Infrastrukturen herauszufiltern. häufig mit KRITIS abgekürzt? Das Bundesministerium des Die Recherche gestaltet sich aufgrund der wenig selekti- Innern (BMI) hat 2009 zur besseren Eingrenzung des Begrif- ven Suche als äußerst zeitaufwendig und die Nachbearbei- fes in seiner „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer tung der Rohdaten, nämlich die Identifizierung der tat- Infrastrukturen“ folgende neun Sektoren festgelegt [2]: sächlichen KRITIS, ist auf Grund der Fülle der Daten häufig
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 9 enorm arbeitsaufwendig. Um die Suche selektiver zu gestal- tung Stromversorgung und den Prozess Stromübertra- ten und die Menge der zu erhebenden Rohdaten zu be- gung mit Sicherheit eine relevante Infrastruktur. Jedoch grenzen, ist es sinnvoll, die Branchen wiederum in kleinere muss man hinterfragen, ob eine Erfassung sämtlicher Teilbereiche einzuteilen. Eine gute Hilfe dabei stellen die Standorte von Strommasten für eine einzelne Kommune Sektorstudien des Bundesamtes für Sicherheit in der Infor- tatsächlich eine Information darstellt, die die Gefahrenab- mationstechnik (BSI) dar. Die bereits bekannten Branchen wehr effektiv unterstützen kann; oder ob durch die damit werden dabei in kritische Dienstleistungen und Prozesse entstehende Datenflut andere Infrastrukturanlagen even- eingeteilt. Diese können nun verwendet werden, um wie- tuell in den Hintergrund gedrängt werden. derum konkrete Anlagen Kritischer Infrastrukturen zu iden- Mit dem Leitfaden zur Identifizierung Kritischer Infra- tifizieren. strukturen hat das BBK eine praxisnahe Arbeitshilfe her- ausgegeben, die beispielsweise für Kommunen wichtige Ein Beispiel: Hinweise bei der Identifizierung möglicher KRITIS im ei- Es sollen Kritische Infrastrukturen aus dem Sektor Wasser genen Zuständigkeitsbereich bereithält (Abb. 1). ermittelt werden. Dabei wird zunächst die Branche öffent- Dabei gilt es zunächst ganz ähnlich der zuvor beschrie- liche Wasserversorgung ausgewählt. In der Sektorstudie benen Vorgehensweise, kritische Dienstleistungen und Wasser und Ernährung ist nun die kritische Dienstleistung Prozesse zu identifizieren und diesen konkreten Anlagen Trinkwasserversorgung, welche wiederum einen Prozess- zuzuordnen. Anschließend findet jedoch eine weiterge- schritt Gewinnung und Zuleitung erhält. Der dazugehörige hende Bewertung im Hinblick auf drei Parameter statt: betriebsinterne Prozess ist der Betrieb von Förderanlagen [4]. Der Parameter Qualität dient dazu zu hinterfragen, ob Eine solche Förderanlage, beispielsweise das örtliche Was- eine Anlage tatsächlich kritisch ist. Dazu werden Leitfra- serwerk, könnte nun als kritische Infrastrukturanlage ge- gen in Bezug auf eine Gefährdung für Leib und Leben oder listet werden. die öffentliche Sicherheit und Ordnung formuliert. Der Parameter Quantität soll überprüfen, wie viele Men- Mithilfe dieses Ansatzes lassen sich sicherlich zahlreiche schen beispielsweise von einem Ausfall der zuvor ermittel- KRITIS identifizieren. Doch besteht nach wie vor das Risi- ten Anlage betroffen wären. Dazu müssen konkrete ko, eine große Anzahl an Infrastrukturen zu listen, welche Schwellenwerte herangezogen oder sinnvoll formuliert auf den ersten Blick zwar kritisch erscheinen, für die Ge- werden. Anschließend gilt es zu ermitteln, ob die zuvor fahrenabwehr möglicherweise jedoch eine untergeordnete unter dem Parameter Qualität erhobenen Anlagen bei Rolle spielen. Ein einzelner Strommast ist in Hinblick auf einem Ausfall der Prozesse und Dienstleistungen die den Sektor Energie, die Branche Elektrizität, die Dienstleis- Schwellenwerte tatsächlich überschreiten. Abb. 1: Schematische Darstellung zur Identifizierung (vgl. [1])
10 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Einen letzten und optionalen Parameter stellt die Zeit gerechnet oder betrachten das Einzugsgebiet der Anlage. dar. Hier können die ermittelten Anlagen sinnvoll sortiert Ob diese ermittelten Schwellenwerte sinnvoll sind, gilt es werden. Zweifelsfrei werden zu Beginn dieses Arbeits- in Zukunft näher zu untersuchen. Dies stellt zweifelsfrei schrittes zahlreiche kritische Anlagen auf einer Liste stehen. eine weitere Herausforderung für die Kommunen dar und Einige davon führen in Bezug auf die unter dem Parame- könnte in einer gesonderten Handlungshilfe thematisiert ter Quantität bearbeiteten Leitfragen bei einem Ausfall je- werden doch deutlich schneller zu Proble- men im Alltagsleben als andere. Bei- spielsweise wird der Ausfall eines nicht redundanten Umspannwerkes, welches ein wesentliches Element der Stromversorgung für die Kommune darstellt, möglicherweise schneller für Einschränkungen sorgen, als ein Ausfall der lokalen Zeitungsredaktion. Eben jene zeitliche Komponente kann also mit diesem Parameter berück- sichtigt werden. Der abschließende Schritt der Ar- beitshilfe des BBK besteht darin, die Betreiber der Kritischen Infrastruktu- ren zu identifizieren, damit – falls noch nicht geschehen – mit ihnen Kon- takt aufgenommen und gegebenen- falls gemeinsame Schutzkonzepte eta- bliert werden können [1]). Eine Identifizierung der KRITIS mit Hilfe jenes Leitfadens wurde im Jahr 2018 für eine als Oberzentrum ausgewiesene Stadt im Bundesland Rheinland-Pfalz erfolgreich durchge- führt. Vor allem durch die zuvor be- Abb. 2: Maslowsche Bedürfnishierarchie schriebenen Parameter Qualität, Quan- (Quelle: eigene Darstellung nach [7]) tität und Zeit konnten die tatsächlich kritischen Anlagen sicher benannt werden. Informationen Trotz der Problematik bezüglich des Parameters Quan- über kritische Anlagen beinhalten durchaus sensible Da- tität kann mit Hilfe des BBK-Leitfadens eine umfassende ten, sodass eine öffentliche Listung der KRITIS von den Identifizierung Kritischer Infrastrukturen erfolgen. Die hier- Kommunen deshalb nicht erfolgen sollte. Weitergehende mit ermittelten Daten stellen zweifelsfrei eine wertvolle Informationen über das Vorgehen der mit Hilfe des BBK- Grundlage für weitergehende Planungen, beispielsweise Leitfadens beispielhaft in der Stadt in Rheinland-Pfalz er- im Zivil- und Katastrophenschutz, dar. hobenen kritischen Anlagen können zeitnah auf der Web- An dieser Stelle soll in einem kurzen Exkurs ein mögli- site des BBK eingesehen werden. cher Ansatz zur weiteren Priorisierung KRITIS anhand des Eine gewisse Herausforderung bei der Analyse bildeten Kriteriums Qualität umrissen werden. Diese würde – zu- jedoch die unter dem Gesichtspunkt Quantität zu betrach- mindest für Kommunen – partiell auch über die Einteilung tenden Schwellenwerte, wie sie beispielsweise in der Ver- Kritischer Infrastrukturen in die bereits zuvor erwähnten ordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach neun Sektoren hinausgehen. dem BSI-Gesetz (BSI-KritisV 2016) festgelegt wurden. Diese Im Jahr 1954 stellte der US-amerikanische Psychologe in der BSI-KritisV genannten Schwellen stellen für den Abraham Maslow in seinem Werk „Motivation and Perso- Bund relevante Werte dar, nicht aber zwangsläufig für die nality“ seine heute vielfach bekannte Bedürfnishierarchie Kommunen, da sich die Perspektive zur Bewertung der vor [7]. Diese unterscheidet sogenannte Mangel- und KRITIS-Relevanz entsprechend verändert. Genau diese Wachstumsbedürfnisse. Dabei müssen immer zunächst die Problematik wurde im Leitfaden des BBK bereits themati- Mangelbedürfnisse einer Hierarchiestufe befriedigt oder siert. Nicht alle Schwellenwerte konnten daher auf Grund- erfüllt werden, bevor Bedürfnisse höherer Hierarchiestu- lage gesetzlicher Bestimmungen oder fundierter wissen- fen das Handeln bestimmen. Am Ende dieser Hierarchie- schaftlicher Studien festgelegt werden. Einige beruhen auf stufen stehen schließlich die Wachstumsbedürfnisse, wenn Einschätzungen und Erfahrungswerten von Experten und alle anderen Bedürfnisse befriedigt wurden. Auszugsweise KRITIS-Betreibern. Andere wurden schlichtweg aus den seien an dieser Stelle die ersten drei Hierarchiestufen auf- bekannten Schwellenwerten auf die Kommune herunter- geführt. Am Anfang stehen physiologische Bedürfnisse,
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 11 Literaturverzeichnis [1] BBK (2017): Schutz Kritischer Infrastrukturen – Identifizierung in [4] BSI (2015): KRITIS-Sektorstudie. Ernährung und Wasser. Hg. v. sieben Schritten. Arbeitshilfe für die Anwendung im Bevölkerungs- Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Bundesamt schutz. Hg. v. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro- für Sicherheit in der Informationstechnik. Online verfügbar unter phenhilfe. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen- https://www.kritis.bund.de/SharedDocs/Downloads/Kritis/DE/ hilfe. Online verfügbar unter https://www.bbk.bund.de/Shared- Sektorstudie_Ern%C3%A4hrung_Wasser.pdf?__ Docs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Praxis_Bevoelkerungs- blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 24.05.2018. schutz/Band_20_Praxis_BS_Schutz_Kritis_Identifizierung.pdf?__ [5] Heckhausen, Jutta; Heckhausen, Heinz (2010): Motivation und blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 24.05.2018. Handeln. Unter Mitarbeit von Jutta Heckhausen und Heinz Heck- [2] BBK und BSI (o.J.a): Sektoren. Hg. v. Bundesamt für Bevölkerungs- hausen. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, Heidel- schutz und Katastrophenhilfe und Bundesamt für Sicherheit in der berg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg (Springer-Lehrbuch). Informationstechnik. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Ka- [6] Maslow, A. (1954): Motivation and Personality. New York tastrophenhilfe und Bundesamt für Sicherheit in der Informati- [7] TAB (2011): Was bei einem Blackout geschieht. Folgen eines lan- onstechnik. Online verfügbar unter https://www.kritis.bund.de/ gandauernden und großräumigen Stromausfalls. Unter Mitarbeit SubSites/Kritis/DE/Einfuehrung/Sektoren/sektoren_node.html, von Thomas Petermann, Harald Bradke, Arne Lüllmann, Maik Poe- zuletzt geprüft am 24.05.2018. tzsch, Ulrich Riehm. Hg. v. Büro für Technikfolgen-Abschätzung. [3] BBK und BSI (o.J.b): Sektoren und Branchen Kritischer Infrastruk- Online verfügbar unter http://www.tab-beim-bundestag.de/de/ turen. Hg. v. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro- pdf/publikationen/buecher/petermann-etal-2011-141.pdf, zuletzt phenhilfe und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech- geprüft am 24.05.2018. nik. Online verfügbar unter https://www.kritis.bund.de/SubSites/ Kritis/DE/Einfuehrung/Sektoren/sektoren_node.html, zuletzt geprüft am 24.05.2018. daran anschließend Sicherheitsbedürfnisse, gefolgt von Ob und wie sinnvoll diese Einteilung ist, kann und soll sozialen Bedürfnissen. [6] Eine mögliche Einteilung für an dieser Stelle nicht bewertet werden. So würden bei- Kritische Infrastrukturen in Anlehnung an Maslow könnte spielsweise die Grundlagen unseres sozialen Rechtsstaates wie folgt lauten: in Deutschland gegebenenfalls nicht angemessen berück- sichtigt. Dies könnte eine Gefahr für die freiheitlich demo- KRITIS 1. Ordnung (in Analogie zu den physiologischen Bedürfnissen): kratische Grundordnung der Bundesrepublik - dem Trinkwasserversorgung Grundpfeiler unserer Gesellschaft - darstellen. Auch die Nahrungsmittelversorgung Medizinische Grundversorgung inklusive Arzneimittel Warnung und Information der Bevölkerung wird in dieser und Medizinprodukte Auflistung verhältnismäßig spät genannt, was zur Bewälti- Unterkunft gung komplexer Lagen jedoch unabdingbar wäre. Daher KRITIS 2. Ordnung (in Analogie zu den Sicherheitsbedürfnissen): sollte diese Einteilung nur als Diskussionsgrundlage ver- Erweiterte medizinische Versorgung standen werden. Es könnte jedoch eine wertvolle Berei- Öffentliche Sicherheit und Ordnung (Polizei, Justiz, Brand- cherung sein, Erkenntnisse aus der medizinischen Psycho- und Katastrophenschutz) logie und Soziologie in Überlegungen und Planungen im Grundlegende öffentliche Verwaltung und politische Führung Bereich des Bevölkerungsschutzes verstärkt einfließen zu Grundlegende Verkehrs- und Transportinfrastruktur lassen. Maslow‘s Theorien stellen dabei nur ein - mit Si- KRITIS 3. Ordnung (in Analogie zu den Sozialbedürfnissen): cherheit auch nicht unumstrittenes - Beispiel dar, wie sol- Medien und Kultur che Modelle Grundsätze und Maßnahmen der Gefahren- Informationstechnik und Telekommunikation abwehr ergänzen oder beeinflussen könnten. Finanz- und Versicherungswesen Erweiterte öffentliche Verwaltung und politische Führung Erweiterte Verkehrs- und Transportinfrastruktur Sören Mayer ist Notfallsanitäter und studiert Rettungsingenieurwesen an der Technischen Hochschule Köln. In seinem Praxissemester be- schäftigte er sich sechs Monate intensiv mit der Thematik KRITIS.
12 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT Risikoanalyse der öffentlichen Wasserversorgung Methoden und Erkenntnisse aus Dresden und Leipzig Diana Hüttner, Bianca Kalfhaus, Rüdiger Opitz, Mathias Mucha, Ina Wienand Die Aufrechterhaltung der leitungsgebundenen Trinkwas- und folglich Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicher- serversorgung ist ein wesentlicher Baustein für das reibungslose heit ableiten. Mit der Durchführung einer Risikoanalyse für die Funktionieren eines Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Trinkwasserversorgung in den Großstädten Dresden und Leipzig Damit diese auch in Krisenlagen oder Katastrophenfällen ge- wurde diese Methodik erstmals an komplexen Wasser- währleistet ist, werden seitens des BBK Risikoanalysen empfoh- versorgungssystemen angewendet und neue wichtige Erkennt- len, die als Teil des integrierten Risikomanagements die nisse gewonnen. Verwundbarkeit des Wasserversorgungssystems untersuchen Längere Versorgungsunterbrechungen mit Trinkwasser mit Trinkwasser sehr gut möglich. Mit einer leitungsunab- werden in Deutschland als recht unwahrscheinlich einge- hängigen Minimalversorgung, wie z. B. mobilen Lösungen schätzt. Hohe technische Standards in der Wasserversor- oder Notbrunnen, kann hingegen im Ereignisfall nur gung sowie systemische Redundanzen bilden eine solide punktuell geholfen werden. Basis für die Versorgungssicherheit. Auch wird die Funktionstüchtigkeit von Anlagen des Dennoch haben die Erfahrungen der letzten Jahre – Normalbetriebes, die im System integriert und damit re- z. B. im Zusammenhang mit extremen Naturereignissen gelmäßig genutzt werden, günstiger eingeschätzt als von – deutlich gemacht, dass es wichtig ist, außergewöhnliche Apparaturen, die längere Zeit nicht in Benutzung waren. Gefahrenlagen in die bestehenden Risiko- und Krisenma- Der Bevölkerung und insbesondere auch Einrichtun- nagementkonzepte von Unternehmen und Behörden ein- gen wie Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeheime könn- zubeziehen. Erkenntnisse über die mögliche Anfälligkeit ten durch eine leistungsstarke öffentliche Wasserversor- automatisierter IT-Systeme sind im Hinblick auf eine gung aufwendige logistische Maßnahmen zur Wasserbe- Neubewertung der Risiken der Wasserversorgung ebenso reitstellung im Katastrophen- und Krisenfall erspart wer- von Bedeutung, wie die Betrachtung der Interdependen- den. Darüber hinaus sind deutlich höhere Pro-Kopf-Was- zen Kritischer Infrastrukturen (z. B. zur Stromversorgung) sermengen über die bestehende Infrastruktur als über untereinander. mobile Anlagen verteilbar. Aus diesem Grunde sind die Analyse und Bewertung Bei einem (Teil-)Ausfall der leitungsgebundenen Ver- solcher Risiken und die damit verbundene Etablierung sorgung werden die Leitungen belüftet. Hier ist zu beach- von Vorsorgemaßnahmen eine wichtige Voraussetzung, ten, dass der Wiederinbetriebnahmeaufwand von Trink- um auch für zukünftige Ereignisse gut gerüstet zu sein wasserleitungen sehr aufwendig ist und gegebenenfalls und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu ge- länger als das Ausfallereignis selbst andauern kann. Aus währleisten. diesem Grunde wäre ein dauerhafter Überdruck in den Leitungen von Vorteil. Zur Auslotung bestehender Grenzen der öffentlichen Öffentliche Wasserversorgung Wasserversorgung in Notsituationen hat das BBK den Leitfaden „Sicherstellung der Trinkwasserversorgung, Teil 1: Nach DIN 2000 ist die leitungsgebundene Wasserver- Risikoanalyse“ im Jahr 2016 veröffentlicht. Die darin vor- sorgung so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Beson- gestellte Methodik wird als Werkzeug empfohlen, um für ders im Katastrophen- und Krisenfall bietet diese essenti- Wasserversorgungssysteme spezifische versorgungskriti- elle Vorteile gegenüber einer leitungsunabhängigen Mini- sche Gefahren zu erkennen, das Schadensausmaß abzu- malversorgung. Da nahezu jeder Haushalt in Deutschland schätzen und letztendlich wirksame Gegenmaßnahmen über einen Wasseranschluss verfügt, sind die Erreichbar- herzuleiten. Dieser Leitfaden wurde an kleineren bis mit- keit der Bevölkerung und eine flächendeckende Versorgung telgroßen Versorgungsgebieten in Nordrhein-Westfalen
INTEGRIERTES RISIKOMANAGEMENT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 | 2018 ∙ 13 erprobt. Mit der Durchführung einer Risikoanalyse für die ren-Ansatzes zunächst eine Gefahrenliste erstellt. Diese Trinkwasserversorgung in den Großstädten Dresden und umfasst etwa 50 Einzelgefahren der drei Kategorien: Leipzig wurde diese Methodik erstmals an komplexen Wasserversorgungssystemen angewendet. Naturereignisse / -katastrophen, technisch / menschliches Versagen sowie Terrorismus / Kriminaliät / Krieg. Im nächsten Arbeitsschritt wurde eine Priorisierung der Einzelgefahren vorgenommen. Die Auswirkungen der Gefahren wurden dabei grob ab- geschätzt und hinsichtlich ihrer Rele- vanz geprüft. Hierin flossen bereits Überlegungen zum möglichen Scha- densausmaß, zur Betroffenheit von Bevölkerung und Beeinträchtigung des Personals sowie der Dauer des Ereignisses bzw. der Auswirkungen ein. Im Ergebnis der Priorisierung of- fenbarten sich Gefahren, deren Ein- tritt nicht nur für die Referenzstädte zu Einschränkungen der öffentlichen Wasserversorgung führen würde, Abb. 1: BBK-Empfehlung zur Risikoanalyse in der Wasserversorgung sondern für jeden Versorger eine Her- ausforderung darstellt. Hierzu zählen Dabei sind Überlegungen zur Sicherheit der Wasser- insbesondere die Gefahren: versorgung für Leipzig und Dresden nicht neu. Beide Städ- te können auf umfangreiche System- und Redundanzbe- langfristiger Stromausfall, trachtungen aufbauen, welche die Versorger im Vorfeld im Cyberangriff oder auch Rahmen strategisch-konzeptioneller Analysen durchge- Kontamination des Trinkwassers durch Gefahrstoffe. führt haben. Kritische Anlagen mit hoher wasserwirtschaft- licher Bedeutung oder exponierter Lage wurden im Vor- Naturgefahren hingegen sind durch Besonderheiten der feld bereits herausgearbeitet. geografischen Lage lokal spezifisch und variieren in Abhän- Während sich die beiden Untersuchungsgebiete hin- gigkeit der regionalen Einordnung. Es ist zu prüfen, welche sichtlich der Höhe des Wasserbedarfs ähneln, zeigen sich Einzelgefahren im Vorfeld durch zusätzliche Schutzmecha- deutliche Unterschiede in der Topografie der Städte, wel- nismen abwendbar sind. Die Verhältnismäßigkeit dieser che sich auf die Versorgungsstruktur auswirken: Maßnahmen ist zu beachten. Die Stadt Dresden befindet sich im Erzgebirgsvorland. Etwa die Hälfte des Trinkwassers wird aus Talsperren Szenariendefinition und Verwundbarkeit gewonnen und überwiegend im Gravitationsbetrieb verteilt. Zahlreiche Druckzonen mit aktuell 25 Spei- Eine Einzelgefahr kann ein großes Spektrum hinsicht- cheranlagen prägen das Verteilungssystem. lich der Wirkung aufweisen. So kann beispielsweise ein Die Stadt Leipzig befindet sich im Tiefland und weist Stromausfall nur lokal eine Einzelanlage für einen kurzen geringe Höhendifferenzen auf. Rohwassergewinnung, Zeitraum oder auch das gesamte Versorgungssystem für Aufbereitung und Einspeisung sind ausschließlich mehrere Tage treffen. Bei Naturkatastrophen ist auch nach durch Förderung möglich. Die Verteilung erfolgt ge- Intensität der Einzelgefahr zu differenzieren, z. B. Stärke genwärtig druckerhöht über 4 Tiefbehälterstandorte eines Erdbebens oder Intensität eines Hochwasserereig- sowie einen Hochbehälter. nisses. In der Regel gilt: je stärker ein angenommenes Er- eignis wirkt, umso geringer ist dessen Eintrittswahrschein- lichkeit. Einzelgefahren Aus dem Spektrum möglicher Ausprägungen einer Einzelgefahr ist daher ein betrachtungsrelevantes Szenario Eine Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung ist zu definieren. Dabei ist nicht zwangsläufig die größtmögli- aus verschiedenen Gründen denkbar. Als „Fundament“ der che Schadwirkung im System maßgebend. So kann bei- Risikoanalyse wurde daher entsprechend des All-Gefah- spielsweise die Kontamination des Wassers an einem Ein-
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