Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de
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11/12-2017 Arbeiten und Studieren an der FH Im Gespräch: Aladin El-Mafaalani Ideen für die Bildungsregion Ruhr Klassenräume inklusiv gestalten Gewerkschaftsarbeit in den USA DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT A 13 Z für alle endlich umsetzen! 69. Jahrgang November / Dezember 2017 ISSN 0720-9673 Digitalisierung in Schule? Aber sicher! K 5141
Aktionswoche JA13 – für alle Erfolgreiche Aktionen online und offline Anlässlich des „umgekehrten Equal Pay Day” am 21. GEW NRW, betonte: „Es gibt keine sachlichen Gründe, November 2017 traten Lehrer*innen aus Grundschulen Lehrkräfte an Grundschulen und an den Schulformen der gemeinsam mit den Lehrkräften der Sekundarstufe I für Sekundarstufe I schlechter zu bezahlen. Hochschulaus- eine Aufwertung ihres Berufs und die gleiche Bezahlung bildung und Vorbereitungsdienst sind für Lehrer*innen aller Lehrämter ein. In NRW machte die Bildungsgewerk- aller Schulformen gleich lang. Im Lernprozess der Kinder schaft gleich für mehrere Aktionen mobil: Mit rund 300 leisten sie gleichwertige Arbeit.“ Auch in Bielefeld und Fotos beteiligten sich Lehrer*innen aus ganz NRW an Münster demonstrierten Kolleg*innen. Alle Aktionen einer Selfieaktion und hielten ihre Forderung nach einer fanden im Rahmen der bundesweiten „Aktionswoche gerechten Bezahlung in kreativen Bildern fest. Bei der JA13 – für alle“ statt. Text: hei, Fotos: privat zentralen Kundgebung zum „umgekehrten Equal Pay Day“ Mehr Fotos der Selfieaktion unter www.tinyurl.com/ formierten die Teilnehmer*innen eine riesige A13 vor dem ja13-selfieaktion. Fotos aus Düsseldorf, Münster und Düsseldorfer Landtag. Dorothea Schäfer, Vorsitzende der Bielefeld unter www.gew-nrw.de/ja-13.
nds 11/12-2017 3 Digitale Schule: Mut zum Aufbruch! Die Schulen in NRW und das deutsche Bildungssystem müssen sich verändern, um die jungen Generationen auf die Herausforderungen und die Geschwindigkeit einer digitalen Zukunft vorzu- bereiten. Auch Lehrkräfte und Schüler*innen wollen keinen Stillstand: Sie wollen ihr Klassenzimmer und ihre gesamte Bildungsumgebung weiterentwickeln und ihre individuellen Potenziale entfalten. Lehrkräfte „mitnehmen wollen“ reicht nicht Das gesellschaftliche Veränderungsbewusstsein ist groß: Die Digitalisierung verändert unsere Max Thomsen, Lebens-, Arbeits- und Bildungswelten und wir können diese Veränderungen gestalten. Um dieses Berater der Technologie- Bewusstsein jedoch in tatkräftigen Gestaltungswillen zu verwandeln, braucht es mehr als die Ab- beratungsstelle beim DGB sichtserklärung, die Beteiligten mitzunehmen. Die digitale Transformation der Schulen kann nur NRW e. V., Regionalstelle durch lokale Initiativen gelingen und nicht von Bund und Land verordnet werden. Den Schulen Düsseldorf vor Ort müssen vielmehr positive Rahmenbedingungen geboten werden, um ihre Eigeninitiative gestaltend einzusetzen und eigene Projekte zu initiieren. Dafür brauchen sie eine sichere wie kom- fortable IT-Infrastruktur ebenso wie die Verschlankung aufgeblähter Lernpläne, die Lehrkräften wie Schüler*innen wieder Luft verschafft, um spielerisch und experimentierend digitale Medien und neue Möglichkeiten zu erforschen. LOGINEO NRW ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn die Arbeitsplattform konsequent auf- und ausgebaut wird. Und wer mit digital unterstützten Lernkonzepten experimentieren möchte, findet auf YouTube zahlreiche Gelingensgeschichten aus der schulischen Praxis. Digitalisierung in Schule passiert im Kontext komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen: All- täglich bewältigen die Verantwortlichen die Herausforderung von Inklusion und Migration unter den Bedingungen eines zunehmenden Lehrkräftemangels und des demografischen Wandels. Vielen Kommunen fehlt das Geld. Zudem ringt die Institution Schule mit sich selbst innerhalb eines äußeren wie inneren Kulturwandels. Die Anforderungen an Lehrkräfte und Schüler*innen sind heute bereits verändert, Bildung wird zunehmend orts- und zeitunabhängig und virtuell. Das Informationsmonopol verschiebt sich dabei vom Schulbuch hin zum Smartphone in der Hosentasche. Informationen sind jederzeit verfügbar – umso wichtiger wird die Kompetenz der Bewertung und Kontextualisierung. Darin besteht die primäre Digitalisierungskompetenz und erst sekundär im Umgang mit digitalen Medien. Ein Freund und Lehrer sagte mir vor Kurzem, er und seine Kolleg*innen fühlten sich angesichts veränderter und steigender Anforderungen häufig überfordert und das vor allem aufgrund geringer Flexibilität, mangelnder Ressourcen und unzureichenden Beteiligungsmöglichkeiten: „Hier bei uns ändert sich nichts. Jetzt habe ich dafür keine Zeit. Ich kann nichts bewegen.“ Hier, jetzt, ich: Aufbruch! Bund, Land und Kommunen sind gemeinsamen mit den Schulen gefordert, eine Aufbruchstim- mung für die Reise hin zur digitalen Schule zu erzeugen. Und dieser Stimmungswandel lässt sich nur unter der Bedingung von mehr Beteiligung, Mitbestimmung und der Förderung lokaler Initiativen erreichen. Die Personalräte können die Beschäftigten unterstützen, indem sie den Kulturwandel vor Ort thematisieren und zusammen mit den Beschäftigten diskutieren: Wie wollen wir unsere digitale Schule haben, in der wir gerne und erfolgreich unterrichten? Welche Gestaltungsspielräu- me können wir heute schon nutzen? Welche Forderungen – etwa digitale Arbeitsmittel, Fort- und Weiterbildungsbedarfe – stellen wir an eine zukunftsfähige Bildungspolitik? Eine Schlüsselrolle kann der Personalrat dabei einnehmen, interkommunalen oder auch länderübergreifenden Erfahrungs- austausch zu organisieren. Es gibt viele gute Beispiele, die trotz schwieriger Bedingungen Wege der Umsetzung aufzeigen, inspirieren und Lust zum Mitmachen wecken. Wieder lohnt hier der Blick ins Netz, zum Beispiel auf www.schule-im-aufbruch.de. //
4 INHALT SONDERHEFT BILDUNG 17 8 Gewerkschaft und Wissenschaft 2/2017: Im Gespräch mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani Arbeiten und Studieren an der Fachhochschule – Den Aufstieg durch Bildung ermöglichen Weiterentwicklung zu fairen Bedingungen Seite 8 (Haushalts-)Politik für Fachhochschulen Weiterentwicklung zum Nulltarif? RuhrFutur zieht Zwischenbilanz Nachhaltige Ideen für die Bildungsregion Ruhr Seite 18 Seite 10 Fachhochschulen: Personalentwicklung Professor*innen dringend gesucht Klassenräume inklusiv gestalten Seite 19 Lern- und Freiräume zum Wachsen Seite 12 Im Gespräch mit Prof. Dr. Marcus Baumann Fachhochschulen sind Motor für Innovation (Bildungs-)Gewerkschaften in gesellschaftlicher Verantwortung Seite 20 „We are fighting for all people!“ Veränderungen der Personalstrukturen Seite 14 an Fachhochschulen Personalentwicklung weiterdenken Kommentar: Bildungsgerechtigkeit Alle haben Schokolade verdient Seite 22 Seite 16 Akkreditierungsrat fällt künftig Entscheidungen Aus der Traum von weniger Bürokratie Seite 23 Rechtsschutz an Hochschulen Die GEW NRW bietet volle Unterstützung Seite 24
nds 11/12-2017 5 ARBEITSPL ATZ IMMER IM HEFT Nachrichten Seite 6 Buchtipps Seite 32 Jubilare Seite 32 Weiterbildung Seite 33 Infothek Seite 34 GEW-Kino Seite 38 Termine Seite 38 Impressum Seite 39 26 Digitalisierung in Schule? Aber sicher! E-Mails in der Schule Post mit Sicherheitsmängeln Seite 25 WhatsApp in der Schule Blitzschnell am Datenschutz vorbei Seite 26 Einführung von Schulsoftware Verbindliche Regeln auf der digitalen Autobahn Seite 28 A 13 Z für alle Den Worten müssen Taten folgen Seite 30
6 NACHRICHTEN Schulen nutzen digitale Schulbücher, aber ohne System Die (sozio-)ökonomische Bildung an Schulen steht vor zwei Heraus- Entwicklung der OER-Praktiken nach Bundesländern * forderungen: Zum einen verstärkt die Digitalisierung der Lernpraxis 2014 2016 bestehende urheberrechtliche Probleme. Zum anderen gerät das Hamburg: 3 13 Baden-Württemberg: 3 11 Kontroversitätsgebot der Lehre durch tendenziöse, aber kostenfreie Berlin: 6 11 Onlinematerialien zunehmend unter Druck. Eine Lösung könnten Brandenburg: 6 10 Open Educational Resources (OER) sein, weil Lehrkräfte die vom Land NRW: 3 10 NRW geprüften Bildungsmaterialien unter freier Lizenz rechtssicher Saarland: 1 8 für den Unterricht nutzen können. Das geht aus einer Studie des Hessen: 3 7 Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) Niedersachsen: 4 7 Rheinland-Pfalz: 1 7 zu den Perspektiven von OER für die (sozio-)ökonomische Bildung an Sachsen-Anhalt: 2 7 Schulen in NRW und in Deutschland hervor. Die Erhebung basiert Bayern: 0 6 auf Daten der Technologiestiftung Berlin zur Nutzung von OER in Schleswig-Holstein: 2 6 den Bundesländern (siehe Grafik). Die Autoren Maximilian Heimstädt Bremen: 1 5 und Leonhard Dobusch schlagen vor, OER-Schulbücher in Nordrhein- Thüringen: 1 5 Westfalen systematisch zu fördern. NRW zählt bundesweit zu den Mecklenburg-Vorpommern: 1 4 Spitzenreitern der OER-Nutzung. Mehr zur Studie unter www.tinyurl. Sachsen: 2 3 com/fgw-oer, mehr zum Thema Digitalisierung ab Seite 25. FGW * Anzahl der genutzten OER-Praktiken, Quelle: Technologiestiftung Berlin Ausbildung Neue Stellen im Haushalt 2018 Der Ausbildungsreport 2017 ist NRW will 2.048 neue Stellen im Schulbereich schaffen. Das kündigt Begreifen da! Die DGB NRW Jugend legte das NRW-Finanzministerium in einer Pressemitteilung zum Haushalt zum Eingreifen bei der Befragung der Azubis 2018 an. Den 159.943 Stellen aus dem Jahr 2017 stehen jedoch im nächsten Jahr nur 161.226 gegenüber. Tatsächlich sind es also nur den Schwerpunkt auf Unterrichts- www. qualität an Berufsschulen. Julia 1.283 Stellen zusätzlich für Lehrer*innen. Die 2.048 Stellen sind nach Globalisierung Löhr, Jugendbildungsreferentin Angaben des Schulministeriums „Stellenentwicklungen, die mit neuen Welche sozialen Probleme der GEW NRW, und Eric Schley, politischen Schwerpunktsetzungen“ einhergehen. Demnach werden 183 stehen im Zusammenhang mit Bezirksjugendsekretär des DGB Ausgleichsstellen für die flächendeckende und schulscharfe Erhebung der Globalisierung? Dazu hat die Bundeszentrale für politische NRW, stellten den Ausbildungs- des Unterrichtsausfalls geschaffen. Teilnehmende Schulen erhalten Bildung 15 Infografiken veröf- report 2017 in Düsseldorf vor. Im eine zusätzliche Anrechnungsstunde. Auch wenn man diese Erhebung fentlicht, die Teil eines Dossiers vergangenen Jahr haben mehr als ablehnt, ist die Anerkennung des zusätzlichen Bedarfs zu begrüßen. 600 zur Globalisierung sind. 4.200 junge Frauen und Männer zusätzliche Stellen gibt es für die flexible Schuleingangsphase an den www.tinyurl.com/bpb-globali- sierung aus den 25 häufigsten Ausbildungs- Grundschulen. Damit wird die Stellenzahl mehr als verdoppelt von 593 berufen in NRW bei der schrift- Stellen im Jahr 2017 auf 1.193 Stellen im Jahr 2018. Das Schulministerium www. Leben an der Grenze lichen Befragung mitgemacht. führt aus, dass bei der Zuteilung auch ein Sozialindex zugrunde gelegt „Life on the border“ ist ein Kurz- Mehr unter www.tinyurl.com/ werden soll. Das ist ein Erfolg der GEW NRW. Mehr unter www.tinyurl. filmprojekt von Kindern und Ju- gew-nrw-ausbildungsreport kue com/fm-nrw-haushaltms gendlichen, die in syrischen und irakischen Lagern für Geflüchtete Unterschlupf vor Krieg und Kinderarbeit Initiative Schule und Arbeitswelt Gewalt gefunden haben. Ein Online-Spezial der Bundeszentra- Die gemeinnützige Stiftung Mit der „Initiative Schule und Arbeitswelt“ machen sich die DGB- le für politische Bildung bietet Unterrichtsmaterial zum Film. der GEW fair childhood engagiert Gewerkschaften gemeinsam stark für eine gute Schule für alle, für Chan- www.tinyurl.com/bpb-flucht- sich für die Bekämpfung von Kin- cengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Ihr Ziel ist es, mit regionalen film derarbeit, damit Kinder weltweit Arbeitskreisen die organisatorischen Voraussetzungen für eine bessere www. zur Schule gehen können. Derzeit Zusammenarbeit aller am Schulleben Beteiligten zu schaffen und Projekte Paradise Papers im Blick nimmt fair childhood Projekte in zu initiieren. Im Fokus der Initiative stehen die Themen Lobbyismus und In der Debatte um die Paradise Nicaragua, Mali und Tansania be- Wirtschaft in Schule, Berufs- und Arbeitsweltorientierung sowie Betriebser- Papers ist ein neuer Fokus not- sonders in den Blick. Spendenkonto: kundungen und -praktika. In Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung wendig. Die Diskussion müsse über die Kritik an Reichen hin- Bank für Sozialwirtschaft // IBAN: stellen die DGB-Gewerkschaften Unterrichtsmaterialien zu Themenfeldern ausgehen, kommentiert Autor DE16700205000009840000 // wie Gender, Kinderarmut und Tarifpolitik zum Download bereit. Ergänzend Jens Berger. www.tinyurl.com/ BIC: BFSWDE33MUE. Mehr unter organisieren sie Veranstaltungen zu Schul- und Bildungspolitik. Mehr berger-paradise-papers www.fairchildhood.eu kue unter www.schule.dgb.de/materialien dgb/kue
nds 11/12-2017 7 Nachmittagsbetreuung nimmt zu Neue Studie „Inklusion in progress“ Die Nachfrage nach Ganztagsschulen wächst: Im Schuljahr 2016 / 2017 Die Bildungsforscher Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz untersu- haben rund 48,2 Prozent der 1,7 Millionen Schüler*innen in der Primarstufe chen in ihrer jüngsten Studie für die Heinrich Böll Stiftung „Inklusion und der Sekundarstufe I der allgemeinbildenden Schulen ein Ganztags- in progress“ unter anderem die Praxis der Feststellungsdiagnostik in angebot in Anspruch genommen. Weitere 5,4 Prozent der Schüler*innen den sonderpädagogischen Bereichen LES (Lernen, emotionale und so- wurden anderweitig betreut. Fünf Jahre zuvor lag der Anteil der betreuten ziale Entwicklung und Sprache). Demnach machen LES-Diagnosen zwei Kinder noch bei 43,9 Prozent für beide Betreuungsformen zusammen. Drittel aller sonderpädagogischen Förderbedarfe aus. Der Anteil sei in An den in der Regel als gebundene Ganztagsschule angelegten Gesamt- den vergangenen Jahren um ein Fünftel angestiegen – besonders die und Gemeinschaftsschulen nahmen alle Schüler*innen verpflichtend soziale und emotionale Entwicklung, obwohl gerade in diesem Bereich am Nachmittagsangebot teil. An Realschulen und Gymnasien wurden die Feststellungsdiagnostik besonders unzuverlässig und diffus sei. Eini- mit 22,7 beziehungsweise 25,8 Prozent die wenigsten Kinder ganztags ge Bundesländer praktizieren verschiedene Modelle einer verlässlichen betreut. Im Primarbereich boten die meisten Schulen eine offene Ganz- Grundausstattung, die eine Alternative zu den sonderpädagogischen Fest- tagsbetreuung an, die nur für einen Teil der Schüler*innen verpflichtend stellungsverfahren darstellen kann. Auf Basis einer ländervergleichenden ist. An Grundschulen nahmen im abgelaufenen Schuljahr insgesamt 44,1 Analyse unterbreitet das Policy Paper Handlungsempfehlungen. Mehr Prozent der Schüler*innen ein Ganztagsangebot wahr.IT.NRW unter www.tinyurl.com/boell-studie-inklusion Heinrich Böll Stiftung Solidarität mit geflüchteten Kindern Zahl der Studierenden in NRW sinkt Rund 95 Prozent aller Eltern befürworten, dass geflüchtete Kinder Die Zahl der Studienanfänger*innen geht leicht zurück. Das belegen schnellstmöglich die Schule besuchen. Dieses Ergebnis der 4. JAKO- die Meldungen der Hochschulen zum Wintersemester 2017 / 2018 in O-Bildungsstudie weist aus Sicht von Bildungsexpert*innen auf eine NRW. Im Herbst haben 100.316 junge Menschen ein Studium begon- große Solidarität der Eltern mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen nen – fast sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Nach dem doppelten hin und lässt auf einen gesellschaftlichen Konsens schließen. Legt man Abiturjahrgang waren die Zahlen der Studierenden lange Zeit auf einem Parameter wie Einkommen und Bildungsniveau der Eltern an, ist das historischen Höchststand. Nun sind sie wie erwartet leicht gesunken. Ergebnis in allen Milieus sehr ähnlich. Acht von zehn Eltern finden es Insgesamt studieren in NRW 740.154 Menschen an Universitäten und richtig, dass für die Unterrichtung der zugewanderten Kinder zusätzliche Fachhochschulen. Studierende von privaten Hochschulen mit Standorten Lehrer*innen eingestellt wurden. Mehr unter www.tinyurl.com/jakoo- in anderen Bundesländern werden jetzt im jeweiligen Bundesland und bildungsstudie-2017 JAKO-O Presse nicht mehr am Hauptsitz der Hochschule gezählt. MKW NRW Mehr Kinder leben von Hartz IV G8 / G9: Debatte ist eröffnet Rund 14,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland be- Zeitgleich mit Vorlage des Referententwurfs für ein „Gesetz zur Neu- ziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Damit erreicht der An- regelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium“ positionieren teil der Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind, einen neuen Höchst- sich Interessengruppen und Verbände zur Reform. Die Landeselternschaft stand. Insgesamt leben rund 1,95 Millionen Kinder und Jugendliche Gymnasium hat auf ihrer Mitgliederversammlung das Papier „Gymnasiale in Familien, die soziale Leistungen beziehen. Das sind rund 110.000 Bildung, die begeistert!“ beschlossen. Angesichts der Pläne von CDU Kinder mehr als im Vorjahr. Diese Zahlen gehen aus einer aktuellen und FDP, Gymnasien zwischen G8 und G9 wählen zu lassen, ist folgende Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts Forderung interessant: „Schülerinnen und Schüler sollen ihre Lernzeit bis (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Datengrundlage sind Angaben zum Abitur an jedem Schulstandort individuell um ein Jahr verkürzen der Bundesagentur für Arbeit. Nach Analyse des WSI-Sozialexperten Dr. können. Im Rahmen eines strukturierten Förder- und Begleitangebots sollen Eric Seils ist der Anstieg eine Folge der Zuwanderung seit 2012. Mehr diese Schülerinnen und Schüler vorbereitet werden.“ Im Schulausschuss unter www.tinyurl.com/wsi-kinder-hartzivHans-Böckler-Stiftung haben sich fast alle Expert*innen gegen eine Umstellung zum Schuljahr 2018 / 2019 – wie von der AfD gefordert – ausgesprochen.ms Hilfe für Gewerkschafter*innen Mit dem Heinrich-Rodenstein-Fonds unterstützt die GEW Menschen, Schöne Weihnachtsferien! die in Not sind. Die Spenden kommen Gewerkschafter*innen und Mit dieser Ausgabe geht das nds-Jahr 2017 deren Familien zugute, die verfolgt und inhaftiert werden, fliehen Illustration: designed by freepik zu Ende. Allen Kolleg*innen wünschen wir eine müssen oder auf finanzielle Unterstützung nach Naturkatastrophen ruhige Adventszeit, schöne Weihnachtstage und oder Schicksalsschlägen angewiesen sind. Der Fonds leistet nicht nur einen guten Start in ein glückliches Jahr 2018! Die schnell, sondern auch unbürokratisch Hilfe. Damit im Ernstfall Geld zur GEW-Landesgeschäftsstelle, der NDS Verlag und die Verfügung steht, ruft die GEW NRW zu Spenden auf. Spendenkonto: nds-Redaktion machen vom 23. Dezember 2017 bis Heinrich-Rodenstein-Fonds // Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale einschließlich 2. Januar 2018 Ferien. Ab dem 3. Januar sind wir zu den // IBAN: DE88 5005 0000 0084 0001 24 // BIC: HELADEFF. Mehr unter üblichen Geschäftszeiten wieder für Sie da! nds-Redaktion www.tinyurl.com/heinrich-rodenstein-fondskue
8 BILDUNG Im Gespräch mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani Aufstieg durch Bildung ermöglichen Foto: time. / photocase.de Wie stark der schulische Erfolg von der sozialen Herkunft abhängt, belegen allgemein als mühevoll und durchweg positiv PISA-Studien immer wieder. „Bildung gegen Spaltung“ lautete deshalb das Motto begriffen. Mühevoll ist er, aber aus der Erlebens- des Gewerkschaftstags der GEW NRW am 25. November 2017 in Duisburg. Zu perspektive von Aufsteiger*innen ist er auch Gast: Bildungsforscher Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani. Die nds sprach mit ihm über ambivalent, nicht nur positiv, zeitweise sogar eher dauerhafte Herausforderungen, emotionale Krisen und die Vision einer Schule, negativ. Vieles von dem, was in der Kindheit und die Armut ausgleichen kann. Jugend wertvoll war, wird im Aufstiegsprozess entwertet. Viele soziale Beziehungen können nds: Im Ruhrgebiet wird die Kluft zwischen Arm zu wohnen, wo es die günstigsten Mietpreise nicht gehalten werden. Während des Aufstiegs und Reich geografisch sehr anschaulich – durch gibt – und die sind dort günstig, wo die meisten fühlt man, dass man etwas verliert, ohne sich die A 40. Südlich der Autobahn wohnen meist nicht wohnen wollen. Sie finden notgedrungen sicher sein zu können, ob man etwas gewinnt, gebildete, gut situierte Familien. Nördlich ihresgleichen, es handelt sich nicht um eine ob man den Aufstieg wirklich schafft und sich wohnen jene, die schlechter ausgebildet sind wirkliche Wahlfreiheit. So entsteht eine räumliche „oben“ etabliert. und weniger Geld zur Verfügung haben. Wie Konzentration von Ober- und Unterschicht, wobei Auch unabhängig von Migration lässt sich erklären Sie sich dieses Phänomen? die Oberschicht deutlich konzentrierter unter der Aufstieg aus benachteiligten Milieus auf Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani: Dass es sich sich bleibt. Am wenigsten voraussehbar sind diese Weise beschreiben. Heranwachsende aus um ein ziemlich symmetrisches soziales Süd- Entscheidungen der sozialstrukturellen Mitte. Migrant*innenfamilien haben lediglich andere Nord-Gefälle handelt, hat mit der spezifischen Es geht im Übrigen nicht um Schuldzuwei- Voraussetzungen: Einerseits sind sie aufstiegs- Geschichte des Ruhrgebiets zu tun. Aber die sungen. Diese Prozesse verlaufen zum Teil ohne orientierter, was förderlich ist. Andererseits sind Konzentration von Armut sowie die Konzentra- böse Absicht. Aber mir ist schon wichtig her- sie mit besonders ausgeprägten Loyalitätserwar- tion von Reichtum können wir in allen Städten vorzuheben, dass nicht die ärmeren Menschen tungen aus ihrem Herkunftsmilieu konfrontiert, erkennen. Dieses Phänomen wird soziale Segre- Segregation erzeugen, sondern eher die Wohl- die – wie gesagt – zumindest zum Teil enttäuscht gation genannt und ist das Ergebnis von sehr habenden. werden. Familien ohne Migrationshintergrund vielen einzelnen Entscheidungen, häufig auch sind hingegen weniger erfolgsorientiert und Was macht es denn so schwierig aufzustei- von historisch gewachsenen Strukturen. Armuts- haben auch weniger Loyalitätserwartungen. gen? Wie schafft ein armes Kind aus einem segregation wird dabei immer sehr intensiv Das sind sehr unterschiedliche Voraussetzungen, Problemviertel den Aufstieg? diskutiert und als Problem erkannt. die zu sehr unterschiedlichen, aber ähnlich Reichtumssegregation wird bestenfalls zur Das ist eine dauerhafte Herausforderung komplexen Herausforderungen führen. Kenntnis genommen. Dabei sind die Entschei- voller emotionaler Krisen und Konflikte. Der dungen von einkommensstarken Personen Aufstieg durch Bildung hat in einer Langzeit- Welche Rolle spielt die Schulform in diesem entscheidend für Segregationsprozesse. Je perspektive zur Folge, dass sich der Mensch Zusammenhang? wohlhabender eine Person oder ein Haushalt grundlegend verändert, was auf der einen Seite Neben der sozialen Segregation innerhalb ist, desto freier ist die Wohnortwahl. Und inte- Identitätsprobleme, Unsicherheitsgefühle und von Städten trägt die Selektion im Schulsys- ressanterweise führt diese Freiheit dazu, dass die Verlusterlebnisse mit sich bringt. Zudem kommt tem zusätzlich dazu bei, dass sich Armut und Wohlhabendsten sich sehr einheitlich verhalten: es im Verhältnis zur Herkunftsfamilie und dem Wohlstand konzentrieren. Das würde selbst Sie suchen ihresgleichen. Den ärmsten Menschen Milieu zu einem Distanzierungsprozess, der bis dann passieren, wenn die Selektion fair wäre, bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als dort zur Entfremdung führen kann. Aufstieg wird was sie aus verschiedenen Gründen nicht ist.
nds 11/12-2017 9 Das ist für die Kinder verheerend und kann sich meinen: „Das machen wir schon.“ Ich meine aber, suchungen. Natürlich auch handwerkliches auf die gesamte Biografie auswirken. Soziale dass das fast keine Schule in einer Form macht, Arbeiten, anregende naturwissenschaftliche Durchmischung in der Schule wäre natürlich die das Thema Armut wirklich in den Mittelpunkt Angebote, debattieren, tanzen ... Gut, ich will besser als Segregation – übrigens auch für die rückt. Ich rede nicht von verschiedenen Lern- mal die Aufzählung der Maximalforderungen Lehrkräfte. typen, von diversifizierten Arbeitsblättern oder abbrechen, aber verstehen Sie sie als Kompass! Lassen Sie mich einen paradoxen und bisher Hausaufgabenbetreuung – all das ist sinnvoll, Es geht darum, dass Kinder alles erleben, was nicht reflektierten Zusammenhang schemenhaft hat aber mit dem Ausgleich von Armut noch unsere Welt zu bieten hat. Besonders arme Kinder erläutern, der für Schulen und Lehrkräfte zentral nichts zu tun. erleben nur einen sehr kleinen Ausschnitt des ist. Punkt 1: Ganz unterschiedliche Studien Nehmen wir die individuelle Förderung: Wer Möglichen. Davon würden alle profitieren, nicht zeigen, dass von Schüler*innengeneration zu Kinder in prekären Lebensverhältnissen indivi- nur die Kinder: Wenn wir uns fragen, wie diese Schüler*innengeneration die Leistungsfähigkeit duell fördern will, muss Armut verstehen. Sie Gesellschaft überhaupt noch zusammengehalten der Heranwachsenden besser wird. Egal ob es erzeugt eine soziale Mentalität, ein Denk- und werden kann, dann wären das Möglichkeiten, um den IQ oder um Kompetenzen geht: Es wird Handlungsmuster, einen Habitus. Kluge Kinder, um eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage zu tendenziell besser! Punkt 2: Lehrkräfte erleben die arm sind, denken und handeln kurzfristig, schaffen. das anders. Ziemlich einstimmig singen sie das praktisch und unsicherheitsvermeidend. Das ist Aber natürlich braucht das alles mehr zeitliche Lied von den immer schwieriger werdenden der Zwang der strukturellen Knappheit, ähnlich und ökonomische Ressourcen. Es ist erschütternd, Arbeitsbedingungen. Die Schüler*innen bräch- wie bei einem Insolvenzverwalter: Auch er muss wie fantasielos in Zeiten von Haushaltsüber- ten immer weniger mit, die Leistungsfähigkeit kurzfristig eine praktische Lösung finden, die schüssen über mögliche Zukunftsinvestitionen gehe zurück. sicher sein muss, weil die Situation der Insolvenz diskutiert wird. Das Problem liegt aber nicht nur Punkt 3: Beides stimmt! Denn die Bildungs- dieses und kein anderes Verhalten erzwingt. in der Politik. Auch die Bildungsforschung ist expansion schreitet schneller voran als die Wenn Kinder dauerhaft unter struktureller oder mäßig anregend und trägt zur Problemlösung Steigerung der Kompetenzen und des IQ. Wäh- extremer Knappheit aufwachsen, dann etabliert bisher kaum bei. Es gibt tatsächlich keine ar- rend sich der Anteil der Schüler*innen auf dem sich dieses Muster und lässt sich nur noch mit muts- oder ungleichheitssensible Didaktik und Gymnasium verdoppelt hat, haben sich IQ und viel Mühe aufbrechen. Diese Kinder müssten auch Kulturvermittlung und -angebote erreichen Kompetenzen zwar verbessert, aber bei Weitem deshalb systematisch dort abgeholt werden, bisher selten die Zielgruppe, die es am nötigsten nicht verdoppelt. Dadurch entsteht der Effekt, mit dem Ziel, auch andere Denkmuster zu er- hätte. Für arme Menschen, selbst für arme Kinder lernen: Langzeitorientierung, die Fähigkeit der interessieren sich noch immer viel zu wenige. // dass sich der Durchschnitt in jeder Schulform ver- Abstraktion und das Denken in Alternativen. Die Fragen für die nds stellte Jessica Küppers. schlechtern kann, obwohl sich der Durchschnitt All das sind übrigens Denkmuster, die wohl- des schulformübergreifenden Geburtsjahrgangs habend aufwachsende Kinder aufgrund ihrer verbessert hat. Die ehemals leistungsstärksten Sozialisationsbedingungen mitbringen. Es geht Realschüler*innen sind heute auf dem Gymna- www. GEW NRW: alle Materialien zum Gewerk- also um grundlegende Ziele, um Bildung im sium, die ehemals besten Hauptschüler*innen schaftstag 2017 online im internen engeren Sinne und nicht lediglich darum, das Bereich (Mitglieder-Log-in erforderlich) besuchen heute die Realschule und so wei- Lernen zu optimieren. www.gew-nrw.de/meine-gew-nrw ter. Lehrkräfte haben einen selektiven Blick www. GEW NRW: Duisburg wird jünger und das innerhalb des selektiven Schulsystems. Und Und wie müsste ein Ganztagsschulprogramm ist gut so. Oberbürgermeister Sören Link Wissenschaftler*innen haben einen repräsen- aussehen, das Armut entgegenwirkt? nimmt Herausforderungen der Bildungs- tativen Blick aus dem Elfenbeinturm heraus. Schön wäre es, wenn Kinder ihre Lehrkräfte landschaft an. www.tinyurl.com/link-bildung-gegen- Nimmt man beide Perspektiven ernst und als Menschen besser kennenlernten, wenn sie spaltung führt sie zusammen, kommt man zu Punkt 4: Hät- Kunst und Kultur permanent erlebten und selbst ten Lehrkräfte einen repräsentativen Ausschnitt machten, wenn sie Musikinstrumente spielen Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani von der Fachhochschule des gesamten Geburtsjahrgangs vor sich sitzen, lernten und Sport in der Schule stattfände – Münster forscht unter anderem zum Thema „Bildung würden auch sie die Verbesserungen bemerken. genauso wie ärztliche und zahnärztliche Unter- gegen Spaltung“. Foto: privat Dafür müsste man zum einen regionale und innerstädtische Unterschiede ausgleichen – das ist unrealistisch. Zum anderen müsste die Selektion einige Jahre später einsetzen – das ist nicht nur realistisch, sondern international gesehen die Regel. Was müsste Schule denn leisten, um die Ausgangsbedingungen auszugleichen und möglichst vielen Kindern den Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen? Wenn ich jetzt sage, dass individuelle Förde- rung und ein Ganztagsschulprogramm dafür die beiden zentralen Aspekte sind, könnte man
10 BILDUNG RuhrFutur zieht Zwischenbilanz Nachhaltige Ideen für die Bildungsregion Ruhr Die Bildungsinitiative RuhrFutur steuert auf ihre letzte Förderperiode zu. Viele Der Verdacht, die Stiftung wolle sich in einen erfolgreiche Projekte sind in Kitas, Schulen und Hochschulen bereits Realität. wichtigen Bereich staatlichen und kommunalen Doch die Maßnahmen reichen nicht aus, um das größte Problem des Ruhrgebiets, Handelns einmischen, ist ausgeräumt. Zum einen Kinderarmut, zu bekämpfen und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Jetzt braucht hat die Stiftung die Zielfindung und die Maßnah- es einen konkreten Fahrplan für die Schlussphase – und darüber hinaus. menplanung in eine Steuerungsgruppe delegiert. Zum anderen agiert die großzügig ausgestattete Die Zwischenbilanz der Initiative für mehr Hochschulen der Aufgabe, die Studienwahl- und kompetent besetzte Geschäftsstelle von Bildungsgerechtigkeit RuhrFutur kann sich sehen orientierung neu zu konzipieren. Und zwar so, RuhrFutur in der praktischen Arbeit weitgehend lassen: Mit der Online-Plattform „BildungsPro- dass die Diversität zukünftiger Studierender aus unabhängig. Insgesamt hat die Stiftung bisher jekte Ruhr“ machen der Regionalverband Ruhr, der Region eindeutiger eingefangen und die rund 15,3 Millionen Euro investiert. In einem die Kommunen und RuhrFutur erfolgreiche Studienwahlorientierung effizienter gestaltet längeren Prozess sind von der Initiative die Maßnahmen zugänglich, transparent und über- werden kann. folgenden Ziele vereinbart worden: tragbar. Die Dortmunder Idee der „Kinderstuben“ In der Bildungsinitiative wirken aktuell die ◆◆ individuelle Förderung im Bildungssystem zur Vorbereitung von Flüchtlingskindern auf den Kommunen Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, ◆◆ durchgängige Sprachbildung Kita-Besuch wird als Brückenprojekt, finanziert Herten, Mülheim an der Ruhr und der Regional- ◆◆ inter- und intrakommunale Kooperation vom Land, auf drei weitere Städte übertragen. verband Ruhr (RVR) sowie die Ruhr-Universität unter Einbeziehung der Hochschulen Auch im Bildungsbereich Schule sind vorhan- Bochum, die Technische Universität Dortmund, ◆◆ Zusammenarbeit von Schule und Hoch- dene Projekte gewachsen: Mit dem Vorhaben die Fachhochschule Dortmund, die Universität schule „Systematische Grundschulentwicklung“ werden Duisburg-Essen, die Westfälische Hochschule mit ◆◆ Angleichung der Studienerfolgsquote von interessierte Schulen mehrerer Städte zusam- der Landesregierung und der Stiftung Mercator jungen Menschen mengefasst. Sie arbeiten über drei Jahre unter mit Sitz und Stimme in der Steuerungsgruppe ◆◆ Aufbau und Entwicklung von Monitoring- fachkundiger Prozessbegleitung an ihren Frage- zusammen. Ohne Vollmitgliedschaft kooperie- instrumenten stellungen und erwerben Steuerungswissen für ren zum jetzigen Zeitpunkt Duisburg, Bochum systematische Schulentwicklung. Weiterführende Mehr Bildungsgerechtigkeit durch und der Kreis Recklinghausen mit konkreten Schulen arbeiten zweieinhalb Jahre lang an Kommunikation und Vernetzung Maßnahmen. Fragestellungen wie individuelle Förderung, In- Das Bildungsmonitoring zur Gewinnung von klusion, Sprachbildung. Die Netzwerke „Schulen Bildungsbericht als Auslöser für die steuerungsrelevanten Daten ist das erklärte im Team“ kümmern sich unter Federführung der Gründung der Initiative zentrale Tätigkeitsfeld von RuhrFutur und RVR kommunalen Bildungsbüros um die Schul- und Initialzündung für die Gründung von Ruhr- unter Mitwirkung der Kommunen. Nach langen Unterrichtsentwicklung sowie um die Übergän- Futur war der Bildungsbericht Ruhr, der im Anlaufschwierigkeiten soll in nächster Zeit eine ge zwischen den einzelnen Bildungsphasen. Januar 2012 vorgestellt wurde. Seitdem ver- Erstausgabe zur Verfügung stehen. Damit steigt „Schulen im Team“ werden von RuhrFutur in Zu- folgt die Initiative der Mercator-Stiftung ein die Chance, auf der erarbeiteten Datenbasis den sammenarbeit mit dem NRW-Schulministerium ehrgeiziges Ziel: mehr Bildungsgerechtigkeit Bildungsbericht Ruhr demnächst fortzuschreiben. fachlich und organisatorisch unterstützt. in der Metropole Ruhr – mit Teilerfolgen. Das Mit ihrem partizipativen Ansatz fördert und Erfolge sind auch in der Wissenschaft zu Konzept: Keine neuen Projekte, sondern „positive optimiert RuhrFutur die Bildungsregion. Durch verzeichnen: Gemeinsam mit der Initiative haben Veränderungen im Gesamtsystem Bildung“ sind Kommunikation und Vernetzung hat sie Hand- die Hochschulen eine Studierendenbefragung das Ziel gemeinsamen Handelns. Nach fast fünf lungswissen für professionelle Prozessbegleitung auf den Weg gebracht. Im Zusammenspiel mit Jahren ist RuhrFutur heute ein etablierter und als Organisations- und Qualitätsentwicklung dem Landesprogramm „Kein Abschluss ohne geschätzter Partner in wichtigen Teilbereichen auch über Stadtgrenzen hinweg bereitgestellt. Anschluss“ (KAoA) stellen sich die RuhrFutur- des Bildungsgeschehens an der Ruhr. Sie hat einen gemeinsamen Verantwortungsraum
nds 11/12-2017 11 vorbereitet, dem mittelfristig alle Kommunen Gefordert wird eine Mittelzuweisung, die sich chen, finanziert durch die Stiftung Mercator. beitreten sollten. Das ist ein großer Fortschritt an der sozialen Zusammensetzung der Kinder Im kommenden Jahr wird RuhrFutur zu einer angesichts des bislang beklagten Kirchturmden- und Jugendlichen in den jeweiligen Bildungsein- Bildungskonferenz einladen, auf der die Akti- kens. Es ist auch gelungen, die Landesebene richtungen orientiert, um der Armutssegregation vitäten der Periode bis 2022 vorgestellt und in die Ziel- und Maßnahmenplanung direkt gezielt entgegenzuwirken. Planungen eingeleitet werden sollen. Damit soll einzubinden. Ulrich Ernst, Dezernent für Bildung Die alte, nun abgewählte Koalition hat vor verhindert werden, dass die Bildungsregion nach in Mülheim an der Ruhr, engagiert sich in der der Wahl Bereitschaft gezeigt, das Thema in 2022 dasteht wie ein E-Bike, dessen Batterie Steuerungsgruppe der Initiative und urteilt: der jetzigen Wahlperiode auf die Agenda zu abmontiert wurde. „RuhrFutur ist ein Paradebeispiel dafür, wie setzen. Die neue Landesregierung wird sich in Wenn RuhrFutur endet, kommen fast zwangs- Städte zusammenarbeiten können.“ Und er dieser Frage noch positionieren müssen. Es ist läufig neue Koordinierungs- und Unterstüt- schätzt RuhrFutur als „ein Konstrukt mit Gewicht unerlässlich, dass sich der Kommunalrat und zungsaufgaben auf den RVR zu. Vielleicht wird und Dynamik“, das sich auch auf das Standing das Parlament beim RVR mit diesem Anliegen er eine „Bildungsmanagementinstanz“ wie sie gegenüber Landesministerien auswirke. identifizieren. Die Forderung nach Mittelzuwei- sich Manfred Beck, ehemaliger Dezernent in sung auf der Grundlage eines Sozialindexes in Gelsenkirchen, wünscht. // Kinderarmut: Strukturelle und Richtung Land sollte bald und mit Nachdruck finanzielle Veränderungen fehlen vertreten werden. Trotz aller positiven Bemühungen im Bildungs- Neben der Realisierung eines Sozialindexes Karl Keining bereich stagnieren die Kinderarmutszahlen in der erscheint eine andere Gewichtung der Frühför- ehemals AG Masterplan Bildung Metropole Ruhr auf hohem Niveau und steigen derung essenziell, weil Kinder aus schwierigen Ruhrgebiet der GEW NRW tendenziell sogar an. In den Ruhrkommunen familiären Verhältnissen oft schon bei Schul- liegen sie zwischen 20 und 40 Prozent. Die eintritt eklatante Entwicklungsdefizite zeigen. Armutssegregation ist beträchtlich. Sie unter- Bei RuhrFutur ist das derzeit nicht eindeutig gräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt Dr. Brigitte Schumann erkennbar. Außerdem muss ein weiterer, um- und benachteiligt zusätzlich armutsgefährdete ehemals AG Masterplan Bildung fassenderer Aspekt in die Zielfindung und Ruhrgebiet der GEW NRW Kinder und Jugendliche. Bildungsungerech- Maßnahmenplanung Eingang finden, näm- tigkeit droht zum Markenkern des Reviers zu lich integrierte und fachbereichsübergreifende werden. Zu diesem Kern der Misere dringen die Zusammenarbeit in der Kommune mit dem Anstrengungen von RuhrFutur nicht durch. Es Augenmerk auf integrierte Stadterneuerung, fehlen entscheidende strukturelle und finanzielle Stadtentwicklungsplanung, Wirtschaftsförde- Veränderungen. rung und Bildungsplanung. Der RVR und seine Kommunen müssen, da- Gerd Möller und Gabriele Bellenberg: Bildungskonferenz: Konkrete Ziele für PDF Ungleiches ungleich behandeln – Stand- mit das bisher gemeinsam Erreichte nicht als ortfaktoren berücksichtigen – Bildungs- symbolische Politik kritisiert wird, die Struk- die letzte Förderperiode gerechtigkeit erhöhen – Bildungsarmut turen der Ungleichheit in den Fokus rücken Obwohl sich RuhrFutur in der Bildungsland- bekämpfen und politisch bekämpfen. Dazu hat die GEW schaft der Region zu einer echten Landmarke www.tinyurl.com/sozialindex-studie NRW in diesem Jahr eine Studie mit dem Titel entwickelt hat, ist die zweite und erklärtermaßen www. Bildungsinitiative RuhrFutur www.ruhrfutur.de „Ungleiches ungleich behandeln“ vorgelegt. letzte Förderperiode für die Initiative angebro- Fotos: tobid, suze, trojana1712 / photocase.de
12 BILDUNG Foto: view7 / photocase.de Klassenräume inklusiv gestalten Lern- und Freiräume zum Wachsen Um inklusive Lernräume zu schaffen, sind nicht nur veränderte Haltungen, Pro- schiedenen Niveaus unterrichtet. Zusätzlich zur zesse, Unterstützungssysteme und Unterrichtsmethoden nötig, sondern auch die Arbeit der Lehrer*innen, Sonderpädagog*innen physische Veränderung der Unterrichtsräume. Arbeits-, Präsentations-, Verkehrs- und Psycholog*innen werden in vielen Klas- und Freiflächen – der gesamte Schulraum muss so verändert werden, dass er den sen einzelne Schüler*innen während des Bedürfnissen aller Schüler*innen ebenso Rechnung trägt wie denen der Lehrenden. Unterrichts durch Schulbegleiter*innen oder Integrationshelfer*innen betreut und unter- Inklusive Lernumgebungen geben allen Wechsel zwischen verschiedenen Unterrichts- stützt. All diese Angebote brauchen Raum, der Schüler*innen das Gefühl, dass ihre Beiträge formen ohne großen Zeitverlust funktioniert, den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird. und Perspektiven, ihre Stärken und Schwächen muss die Raumgestaltung mitspielen: Tische Auch hier sind flexible Raumausstattungen respektiert und ihre individuellen Potenziale müssen zum Beispiel flexibel sein, damit sie wichtig, etwa um Sichtschutz zu gewähren, die gewürdigt werden. Kurzum: Es sind Lern- und innerhalb einer Minute von der ganzen Klasse Lautstärke von Nachbargesprächen zu reduzieren Freiräume zum Wachsen. Nach der Verabschie- in die gewünschte und unterstützende Raum- oder Präsentationen zu erproben. Lernbereiche dung des Inklusionsgesetzes in NRW im Jahr ordnung gebracht werden können. werden erweitert und Verkehrsflächen mitge- 2012 schienen Rahmenbedingungen, Schulor- Gleichzeitig gewinnt Teamteaching in multi- nutzt: Zum Beispiel verlassen die Pädagog*innen ganisation und Unterricht weit entfernt von den professionellen Teams zunehmend an Bedeutung: mit einzelnen Lernenden oder einer kleinen Anforderungen, die an inklusive allgemeinbil- Der Unterricht wird temporär von einem Tandem Gruppe temporär den Klassenraum und verlagern dende Einrichtungen gestellt werden. Fünf Jahre so geplant und ausgewertet, dass er möglichst deren Arbeitsbereich in den Flur. später lassen sich vielerorts Veränderungen im viele Lernniveaus der Klasse abdeckt und für alle Im selben Maße wie inklusive Lehr- und Lern- Unterrichtsprozess beobachten. Beteiligten kontaktintensiver und vielfältiger methoden Einzug in den Unterricht halten, Räume für inklusiven Unterricht und ist. Unterricht im Tandem kann unterschiedlich müssen also die Unterrichtsräume weiterentwi- multiprofessionelle Teams schaffen gestaltet sein: Beispielsweise unterrichtet eine ckelt werden. Oft unterstützen schon einfache Lehrkräfte wechseln Methoden und Sozi- Lehrkraft, während die andere parallel einzelne Maßnahmen dabei, Inklusion im Klassenraum alformen innerhalb einer Unterrichtseinheit Schüler*innen unterstützt, oder zwei Gruppen nachhaltig zu verankern. So wird der Raum zum häufiger. Schritt für Schritt adaptieren sie ihren werden gleichzeitig im selben Raum auf ver- „dritten Pädagogen“. Unterricht, sodass verschiedene Lernniveaus und Kompetenzlevel angesprochen werden. Abbildung 1: Abbildung 2: Die Phasen des Frontalunterrichts in den nun Raumanordnung im Plenum Raumanordnung in kooperativer Arbeitsphase schneller getakteten Unterrichtseinheiten wer- den kürzer. Unterrichtskonzepte wie Kooperatives Lernen, Projektarbeit an fächerübergreifenden Themen, Wochenplanarbeit und Stationenlernen fördern die Selbstständigkeit und Eigenverant- wortlichkeit der Schüler*innen. Angepasste Methodik und gut integrierte Wechsel in den Sozialformen lenken den Unterricht, gestalten ihn abwechslungsreich, verhindern Langeweile und Störungen. Zugleich nimmt diese verän- derte Unterrichtsführung Rücksicht auf die Heterogenität der Schüler*innen. Damit der Arbeitsbereiche während kooperativer Gruppenphasen Lehrende Lernende Materialtische Sitzplätze Lernende Sitzplätze Lehrende
nds 11/12-2017 13 Plenum Signalfarben wie Gelb, Orange und Rot sind Besondere Bedürfnisse Sorgen Sie dafür, dass es einen Versamm- sparsam und gezielt einzusetzen, zum Beispiel Fragen Sie Ihre Schüler*innen mit heraus- lungsort gibt, an dem alle Schüler*innen zu- als Hintergrund für regelmäßige Ankündigungen forderndem Verhalten, welche räumliche Um- sammenkommen können, um als Großgruppe wie Hausaufgaben. Geben Sie bestimmten Orten gebung sie brauchen, um konzentriert arbeiten zu diskutieren, soziale Fähigkeiten zu entwickeln feste Funktionen: Wiederkehrende Informati- zu können. Sorgen Sie für die räumliche Umset- und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. In zu onen sollten an der Klassenraumwand einen zung, auch wenn sie ungewöhnlich erscheint. engen Klassenräumen mit vielen Schüler*innen fest definierten Raum haben. Dies erhöht die Experimentieren Sie gemeinsam mit Ihren kann das auch ein Stuhlkreis sein, der um eine Übersicht und gibt Sicherheit: Alle wissen so Schüler*innen: Vielleicht ist ein Einzeltisch, Tischgruppe herumgeführt ist (Abbildung 1). immer, wann die nächste Klassenarbeit oder abgeschirmt nach links und rechts oder mit Blick Wenn die Raumgröße es erlaubt, lassen sich auch die nächsten Ferien anstehen. Schmutzige, un- auf die Wand, genau das richtige Arrangement, ein paar einfache Bänke in einer Ecke schnell gepflegte Wände zeugen von Vernachlässigung damit weniger Störungen auftreten. zusammenstellen. Wichtig ist, dass alle einen und wenig Wertschätzung. Hat der Prozess der Genauso wichtig wie die Bedürfnisse der gleichwertigen Platz auf Augenhöhe finden und Verschmutzung einmal eingesetzt, wird er sich Lernenden sind die räumlichen Ansprüche der jede*r jede*n sehen und hören kann. weiter beschleunigen. Lehrenden, um gut unterrichten zu können. Beobachten Sie, wie Sie sich im Unterricht be- Gruppentische Lehr- und Lernmaterialien wegen: Sitzen Sie überwiegend auf der Kante Stellen Sie die Tische in Zweier-, Vierer- Wenn die Materialsammlung in Ihrem Klas- des Pultes? Sind Sie unablässig in der Klasse oder maximal Sechsergruppen, sodass alle senzimmer der individuellen Förderung dient, unterwegs oder sitzen Sie meistens auf Ihrem Schüler*innen die Gelegenheit zur Partner- enthält sie Angebote für alle Lernniveaus und Stuhl? Analysieren Sie ihr Bewegungsprofil und oder Gruppenarbeit haben, ohne umzuräumen: Lerntypen. Alle Materialien haben ihren festen sorgen Sie gut für sich, indem Sie auch Ihren Dies ist der Arbeitsplatz für Einigungs- oder Platz und eine miteinander vereinbarte Ord- Arbeitsplatz optimal gestalten. Austauschprozesse, kooperative Lernformen nung. Sie müssen für alle Schüler*innen frei Gewinn für Lernende und Lehrende und gegenseitige Unterstützung (Abbildung 2). zugänglich und gut erreichbar sein – auch für Um alle Schüler*innen in ihren individuellen Damit die Schüler*innen zugleich einen die kleineren und für Schüler*innen im Rollstuhl. Lernwegen zu bestärken und dabei besondere möglichst freien Blick auf eine Präsentations- Gute Lösungen zu finden, die auch der Brand- Lernbedürfnisse im Blick zu haben, sind inklusive oder Organisationsfläche haben, werden die schutzverordnung entsprechen, ist eine echte Unterrichtsformen, stringentes Classroom Ma- Tischachsen auf diesen Punkt hin ausgerichtet. Herausforderung. Portable Schrankeinheiten nagement und ein wertschätzendes Klassenklima Hier ist der Arbeitsraum für die Lehrkraft oder sind zum Beispiel eine Lösung. Keine Lösung die entscheidenden Komponenten. Sie sorgen präsentierende Lerner*innen. Der Raum muss ist es hingegen für die Lehrkraft, die für jede auch für die Entwicklung von Gemeinschaft, frei bleiben, damit Bewegung möglich ist. Plat- Unterrichtseinheit einen anderen Schrankkoffer Zugehörigkeit und Selbstwert. Die sorgsame zieren Sie den Lehrer*innentisch am Rand des mit sich führt. Planung des Klassenraums – also die Anordnung Klassenzimmers, so erhalten Sie mehr Freiraum Sicherheit der Tische, Schränke, Regale und Poster – ist in den meist rechteckigen Klassenzimmern. Das Ganz besonders ist darauf zu achten, dass jedoch ebenso wichtig. Der ihn umgebende Pult steht nicht im Weg und bildet weder eine sich alle jederzeit sicher und frei bewegen kön- Raum beeinflusst den Menschen immer in all Sicht- noch eine Kontaktsperre. Lernende, die seinen Aktivitäten – auch im Klassenzimmer. Die direkten Sichtkontakt zur Lehrkraft brauchen, nen, nicht nur im Unterricht, sondern auch im Raumgestaltung kann den Inklusionsprozess sind in diesem Setting natürlich besser an den Notfall. Schultaschen müssen an einem fest entsprechend behindern oder unterstützen. vorderen Tischen aufgehoben. Lernende, die sich vereinbarten Ort abgestellt werden, damit sie Flexible, pädagogisch fundierte Einrichtungen leicht ablenken lassen, dürfen sich gerne am Rand nicht zu Stolperfallen werden. Befreien Sie Ihren sind nicht nur für Schüler*innen mit besonderem des Raumes platzieren, denn sie haben mit der Klassenraum von überzähligen Tischen, Mobiliar Förderbedarf, sondern für alle Lernenden und Wand im Rücken weniger Kontaktmöglichkeiten. und Materialien, die nicht benötigt werden. Lehrenden ein Gewinn. // Defektes Mobiliar muss entfernt werden, denn Wandgestaltung es birgt nicht nur Gefährdungspotenzial, sondern Die Wände in inklusiven Klassenzimmern dokumentiert zugleich geringe Wertschätzung. sollten so gestaltet sein, dass sie keine unnötigen Nicht nur für geflüchtete Schüler*innen könnte Ablenkungen verursachen oder zu Reizüberflu- Dr. Petra Regina Moog es zudem wichtig sein, dass der Klassenraum tungen führen. Zu viele fröhliche Farben, Poster, Leitung der SOPHIA::Akademie Düs- auch psychologisch Geborgenheit vermittelt. seldorf, Schulentwicklungsbegleiterin Lehrtafeln und übervolle Regale werden auch und Schulbauberaterin, Dozentin Ihre konzentriertesten Schüler*innen ablenken. Ordnung für Begabungsförderung am CCB Freiraum schafft hingegen eine Arbeitsatmosphä- Ermutigen Sie Ihre Schüler*innen, Wertschät- Düsseldorf re und ruft zu Füllung auf. Leere Flächen geben zung und Verantwortung für ihre Lernumgebung Marayle Küpper Raum für eigene Gedanken. Abgearbeitete zu zeigen. Wöchentlich wechselnde Klassen- Lehrerin für Gestaltungstechnik dienste, die die gemeinsam vereinbarte Ordnung und Deutsch, Fachleiterin Gestal- Unterrichtsmaterialien, die nicht zur Prozessdo- tungstechnik am ZfsL Düsseldorf, kumentation genutzt werden, haben ein Verfalls- und Sauberkeit erhalten, können zum Beispiel Moderatorin für Kooperatives Lernen datum, an dem sie entsorgt werden. Warn- und durch Ämterkarten erleichtert werden. am Green-Institut Rhein-Ruhr
14 BILDUNG (Bildungs-)Gewerkschaften in gesellschaftlicher Verantwortung „We are fighting for all people!“ Barbara Madeloni ist Präsidentin der Massachusetts Teachers Association (MTA), Denn in dem Moment, in dem sich Menschen der 110.000 Lehrer*innen des US-Bundesstaats angehören. Auf der Konferenz zusammenschließen und organisieren, habe „Critical Theories of education today“ in Philadelphia sprach sie über gewerkschaft- die Veränderung bereits begonnen. Viel wich- liche Arbeit, soziale Gerechtigkeit und den Kampf für eine bessere Gesellschaft. tiger sei deshalb die Frage: Wie geht eigentlich Welche Verantwortung trägt insbesondere eine Lehrer*innengewerkschaft? Und Veränderung? wie verstehen Gewerkschafter*innen in den USA ihre Rolle angesichts aktueller Die Macht der Vielen nutzen politischer Entwicklungen? und demokratische Räume schaffen Als Barbara Madeloni mit ihrem Vortrag „Der Kapitalismus strukturiert Soziale Bedingungen könne niemand allein „Pedagogy and Power: The essential role of tea- unsere Schulen und diese Schulen bekämpfen, das sei offensichtlich, so Barbara chers‘ Unions in movement building“ beginnt, ist strukturieren unsere Persönlichkeit.“ Madeloni. „Aber in einer organisierten Gemein- schnell klar, in welche Richtung es gehen würde: schaft können die einzelnen Kräfte zu einer Ihr T-Shirt trägt die Aufschrift „Troublemaker- Der Kapitalismus in Form von Gewinnma- großen gebündelt werden.“ Die Gewerkschaft be- Union“. Ein indirektes Verspechen, das eingelöst ximierung, stetiger Flexibilisierung, Ausbeu- zeichnet sie daher als „last line of defense“, also werden soll. Kämpferisch erinnert die MTA- tung und Ungerechtigkeit sei grundlegend für als letzte Instanz, wenn es um die Verteidigung Präsidentin einsteigend an die Grundidee aller die herrschenden sozialen Probleme, kritisiert von Menschenrechten geht. Es sei aber nicht nur Gewerkschaften: Sie werden als Bewegungen Barbara Madeloni. Und genau diesem Kapi- die MTA, sondern es seien alle Gewerkschaften gegründet, um die Gesellschaft zu verändern. talismus hat die Lehrer*innengewerkschaft in und auch etliche Nichtregierungsorganisationen, Warum ist diese Grundidee heute wichtiger Massachusetts den Kampf angesagt, denn auch die diese Verteidigungslinie bilden. Letztendlich denn je? Und wie gestalten Gewerkschaften Schulen seien „keine kapitalismusfreien Zonen“. sei es nicht wichtig, wo man sich organisiert, heute Gesellschaft? Die MTA-Präsidentin sieht die Gefahr, dass Schulen sondern dass man sich organisiert. Genau aus das eigentliche Ziel – einer Persönlichkeitsentwick- diesem Grund dürfe eine Gewerkschaft auch Soziale Ungleichheit und Kapitalismus lung zur Mündigkeit und Unabhängigkeit – nicht nur für die eigenen Mitglieder einstehen, im Bildungsbereich bekämpfen aus den Augen verlieren und sich stattdessen meint Barbara Madeloni, denn die Idee von Einer Kritik der Gesellschaft, so Barbara Ma- der Wirtschaft anbiedern. Die Folgen sind ihrer Solidarität und Gerechtigkeit beziehe sich auf deloni, sollte immer eine Analyse ebendieser Meinung nach schon sichtbar: Immer häufiger alle Menschen. vorhergehen: „Es geht nicht um gefühlte Wahr- finanzieren große Unternehmen beispielsweise Die MTA-Chefin fordert die Schaffung „demo- heiten, sondern um tatsächlich herrschende Schulmaterialien, die die Firmenpolitik in ein kratischer Räume, in denen es möglich ist, kritisch Ungerechtigkeit und Ungleichheit.“ Das Gefühl, besonders gutes Licht rücken. Es gibt auch in den zu sein“, die Gesellschaft zu hinterfragen und die anderen seien an allem Schuld – zum Beispiel USA den Trend, die Schulzeit zu verkürzen, um so wenn nötig eine Veränderung herbeizuführen. Geflüchtete, die vermeintlich Jobs wegnehmen –, dem Arbeitsmarkt möglichst früh zur Verfügung Einen solchen Ort solle jede Gewerkschaft bilden. sei kein Grund, die Gesellschaft infrage zu stellen. zu stehen, „obwohl die Persönlichkeitsentwick- Deshalb versucht die MTA beispielsweise die Ex- Dagegen müsse beispielsweise die Tatsache, dass lung doch Zeit braucht“. Auch die Maxime des pertisen einzelner Mitglieder zu verknüpfen und Frauen mit gleicher Qualifikation, im gleichen lebenslangen Lernens folge mittlerweile vor damit informelle und unabhängige Lernräume Job, am gleichen Arbeitsplatz deutlich weniger allem kapitalistischen Interessen und bedeute zu schaffen. Aber auch jedes Klassenzimmer, verdienen, „aufs härteste bekämpft werden“. für Arbeitnehmer*innen am Ende nur, sich jedes Jugendzentrum solle zu einem demokra- Als großes soziales Problem macht Barbara lebenslang den Anforderungen von Wirtschaft tischen Raum werden. Es sei die Aufgabe von Madeloni eine ungerechte Steuerpolitik aus: und Politik zu unterwerfen. Pädagog*innen Raum und Zeit zu schaffen, um Gleich müsse „nicht immer fair“ bedeuten. Ansatzpunkte für Veränderungen gibt es also Kritik zu üben und sich eine bessere Gesellschaft Deshalb setzt sich die MTA für eine höhere genug. Dennoch meint Barbara Madeloni: Die vorzustellen: „Die Hauptaufgabe von Pädagogik Besteuerung von Millionär*innen und Milliar- Frage „Warum überhaupt Veränderung?“ sei für besteht darin, zu fragen, wie wir die Welt haben där*innen ein. eine Gewerkschaft gar nicht die entscheidende. wollen und welche Werte uns wichtig sind.“
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