Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de

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Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de
11/12-2017

                                                                                                  Arbeiten und Studieren an der FH
                                                                                                  Im Gespräch: Aladin El-Mafaalani
                                                                                                  Ideen für die Bildungsregion Ruhr
                                                                                                  Klassenräume inklusiv gestalten
                                                                                                  Gewerkschaftsarbeit in den USA
                                                       DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT   A 13 Z für alle endlich umsetzen!
69. Jahrgang November / Dezember 2017 ISSN 0720-9673

                                                                                                   Digitalisierung
                                                                                                        in Schule?
                                                                                                     Aber sicher!
K 5141
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Aktionswoche JA13 – für alle

Erfolgreiche Aktionen online und offline
Anlässlich des „umgekehrten Equal Pay Day” am 21.          GEW NRW, betonte: „Es gibt keine sachlichen Gründe,
November 2017 traten Lehrer*innen aus Grundschulen         Lehrkräfte an Grundschulen und an den Schulformen der
gemeinsam mit den Lehrkräften der Sekundarstufe I für      Sekundarstufe I schlechter zu bezahlen. Hochschulaus-
eine Aufwertung ihres Berufs und die gleiche Bezahlung     bildung und Vorbereitungsdienst sind für Lehrer*innen
aller Lehrämter ein. In NRW machte die Bildungsgewerk-     aller Schulformen gleich lang. Im Lernprozess der Kinder
schaft gleich für mehrere Aktionen mobil: Mit rund 300     leisten sie gleichwertige Arbeit.“ Auch in Bielefeld und
Fotos beteiligten sich Lehrer*innen aus ganz NRW an        Münster demonstrierten Kolleg*innen. Alle Aktionen
einer Selfieaktion und hielten ihre Forderung nach einer   fanden im Rahmen der bundesweiten „Aktionswoche
gerechten Bezahlung in kreativen Bildern fest. Bei der     JA13 – für alle“ statt.           Text: hei, Fotos: privat
zentralen Kundgebung zum „umgekehrten Equal Pay Day“       Mehr Fotos der Selfieaktion unter www.tinyurl.com/
formierten die Teilnehmer*innen eine riesige A13 vor dem   ja13-selfieaktion. Fotos aus Düsseldorf, Münster und
Düsseldorfer Landtag. Dorothea Schäfer, Vorsitzende der    Bielefeld unter www.gew-nrw.de/ja-13.
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Digitale Schule:
Mut zum Aufbruch!
  Die Schulen in NRW und das deutsche Bildungssystem müssen sich verändern, um die jungen
Generationen auf die Herausforderungen und die Geschwindigkeit einer digitalen Zukunft vorzu-
bereiten. Auch Lehrkräfte und Schüler*innen wollen keinen Stillstand: Sie wollen ihr Klassenzimmer
und ihre gesamte Bildungsumgebung weiterentwickeln und ihre individuellen Potenziale entfalten.
Lehrkräfte „mitnehmen wollen“ reicht nicht
   Das gesellschaftliche Veränderungsbewusstsein ist groß: Die Digitalisierung verändert unsere        Max Thomsen,
Lebens-, Arbeits- und Bildungswelten und wir können diese Veränderungen gestalten. Um dieses
                                                                                                       Berater der Technologie-
Bewusstsein jedoch in tatkräftigen Gestaltungswillen zu verwandeln, braucht es mehr als die Ab-
                                                                                                       beratungsstelle beim DGB
sichtserklärung, die Beteiligten mitzunehmen. Die digitale Transformation der Schulen kann nur
                                                                                                       NRW e. V., Regionalstelle
durch lokale Initiativen gelingen und nicht von Bund und Land verordnet werden. Den Schulen
                                                                                                       Düsseldorf
vor Ort müssen vielmehr positive Rahmenbedingungen geboten werden, um ihre Eigeninitiative
gestaltend einzusetzen und eigene Projekte zu initiieren. Dafür brauchen sie eine sichere wie kom-
fortable IT-Infrastruktur ebenso wie die Verschlankung aufgeblähter Lernpläne, die Lehrkräften wie
Schüler*innen wieder Luft verschafft, um spielerisch und experimentierend digitale Medien und
neue Möglichkeiten zu erforschen. LOGINEO NRW ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung,
wenn die Arbeitsplattform konsequent auf- und ausgebaut wird. Und wer mit digital unterstützten
Lernkonzepten experimentieren möchte, findet auf YouTube zahlreiche Gelingensgeschichten aus
der schulischen Praxis.
   Digitalisierung in Schule passiert im Kontext komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen: All-
täglich bewältigen die Verantwortlichen die Herausforderung von Inklusion und Migration unter
den Bedingungen eines zunehmenden Lehrkräftemangels und des demografischen Wandels. Vielen
Kommunen fehlt das Geld. Zudem ringt die Institution Schule mit sich selbst innerhalb eines äußeren
wie inneren Kulturwandels. Die Anforderungen an Lehrkräfte und Schüler*innen sind heute bereits
verändert, Bildung wird zunehmend orts- und zeitunabhängig und virtuell. Das Informationsmonopol
verschiebt sich dabei vom Schulbuch hin zum Smartphone in der Hosentasche. Informationen sind
jederzeit verfügbar – umso wichtiger wird die Kompetenz der Bewertung und Kontextualisierung. Darin
besteht die primäre Digitalisierungskompetenz und erst sekundär im Umgang mit digitalen Medien.
   Ein Freund und Lehrer sagte mir vor Kurzem, er und seine Kolleg*innen fühlten sich angesichts
veränderter und steigender Anforderungen häufig überfordert und das vor allem aufgrund geringer
Flexibilität, mangelnder Ressourcen und unzureichenden Beteiligungsmöglichkeiten: „Hier bei uns
ändert sich nichts. Jetzt habe ich dafür keine Zeit. Ich kann nichts bewegen.“
Hier, jetzt, ich: Aufbruch!
   Bund, Land und Kommunen sind gemeinsamen mit den Schulen gefordert, eine Aufbruchstim-
mung für die Reise hin zur digitalen Schule zu erzeugen. Und dieser Stimmungswandel lässt sich nur
unter der Bedingung von mehr Beteiligung, Mitbestimmung und der Förderung lokaler Initiativen
erreichen. Die Personalräte können die Beschäftigten unterstützen, indem sie den Kulturwandel
vor Ort thematisieren und zusammen mit den Beschäftigten diskutieren: Wie wollen wir unsere
digitale Schule haben, in der wir gerne und erfolgreich unterrichten? Welche Gestaltungsspielräu-
me können wir heute schon nutzen? Welche Forderungen – etwa digitale Arbeitsmittel, Fort- und
Weiterbildungsbedarfe – stellen wir an eine zukunftsfähige Bildungspolitik? Eine Schlüsselrolle kann
der Personalrat dabei einnehmen, interkommunalen oder auch länderübergreifenden Erfahrungs-
austausch zu organisieren. Es gibt viele gute Beispiele, die trotz schwieriger Bedingungen Wege
der Umsetzung aufzeigen, inspirieren und Lust zum Mitmachen wecken. Wieder lohnt hier der Blick
ins Netz, zum Beispiel auf www.schule-im-aufbruch.de. //
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4 INHALT

               SONDERHEFT                                                        BILDUNG

                                                      17                                                           8

       Gewerkschaft und Wissenschaft 2/2017:                       Im Gespräch mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani
    Arbeiten und Studieren an der Fachhochschule –                   Den Aufstieg durch Bildung ermöglichen
       Weiterentwicklung zu fairen Bedingungen
                                                                                      Seite 8
        (Haushalts-)Politik für Fachhochschulen
          Weiterentwicklung zum Nulltarif?                              RuhrFutur zieht Zwischenbilanz
                                                                  Nachhaltige Ideen für die Bildungsregion Ruhr
                       Seite 18
                                                                                     Seite 10
        Fachhochschulen: Personalentwicklung
          Professor*innen dringend gesucht                               Klassenräume inklusiv gestalten
                       Seite 19                                         Lern- und Freiräume zum Wachsen
                                                                                     Seite 12
      Im Gespräch mit Prof. Dr. Marcus Baumann
      Fachhochschulen sind Motor für Innovation
                                                           (Bildungs-)Gewerkschaften in gesellschaftlicher Verantwortung
                       Seite 20                                          „We are fighting for all people!“
         Veränderungen der Personalstrukturen                                        Seite 14
                 an Fachhochschulen
          Personalentwicklung weiterdenken                              Kommentar: Bildungsgerechtigkeit
                                                                         Alle haben Schokolade verdient
                       Seite 22
                                                                                     Seite 16
    Akkreditierungsrat fällt künftig Entscheidungen
        Aus der Traum von weniger Bürokratie
                       Seite 23

            Rechtsschutz an Hochschulen
       Die GEW NRW bietet volle Unterstützung
                       Seite 24
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         ARBEITSPL ATZ

                                                   IMMER IM HEFT

                                                   Nachrichten       Seite 6
                                                   Buchtipps         Seite 32
                                                   Jubilare          Seite 32
                                                   Weiterbildung     Seite 33
                                                   Infothek          Seite 34
                                                   GEW-Kino          Seite 38
                                                   Termine           Seite 38
                                                   Impressum         Seite 39

                                              26

    Digitalisierung in Schule? Aber sicher!

             E-Mails in der Schule
         Post mit Sicherheitsmängeln
                   Seite 25

            WhatsApp in der Schule
      Blitzschnell am Datenschutz vorbei
                   Seite 26

         Einführung von Schulsoftware
Verbindliche Regeln auf der digitalen Autobahn
                   Seite 28

               A 13 Z für alle
       Den Worten müssen Taten folgen
                   Seite 30
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6 NACHRICHTEN

Schulen nutzen digitale Schulbücher, aber ohne System
                                                                                             Die (sozio-)ökonomische Bildung an Schulen steht vor zwei Heraus-
   Entwicklung der OER-Praktiken nach Bundesländern *
                                                                                          forderungen: Zum einen verstärkt die Digitalisierung der Lernpraxis
                                         2014                              2016
                                                                                          bestehende urheberrechtliche Probleme. Zum anderen gerät das
   Hamburg:                                     3                                 13
   Baden-Württemberg:                           3                                 11      Kontroversitätsgebot der Lehre durch tendenziöse, aber kostenfreie
   Berlin:                                      6                                 11      Onlinematerialien zunehmend unter Druck. Eine Lösung könnten
   Brandenburg:                                 6                                 10      Open Educational Resources (OER) sein, weil Lehrkräfte die vom Land
   NRW:                                         3                                 10      NRW geprüften Bildungsmaterialien unter freier Lizenz rechtssicher
   Saarland:                                    1                                 8       für den Unterricht nutzen können. Das geht aus einer Studie des
   Hessen:                                      3                                 7
                                                                                          Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW)
   Niedersachsen:                               4                                 7
   Rheinland-Pfalz:                             1                                 7
                                                                                          zu den Perspektiven von OER für die (sozio-)ökonomische Bildung an
   Sachsen-Anhalt:                              2                                 7       Schulen in NRW und in Deutschland hervor. Die Erhebung basiert
   Bayern:                                      0                                 6       auf Daten der Technologiestiftung Berlin zur Nutzung von OER in
   Schleswig-Holstein:                          2                                 6       den Bundesländern (siehe Grafik). Die Autoren Maximilian Heimstädt
   Bremen:                                      1                                 5       und Leonhard Dobusch schlagen vor, OER-Schulbücher in Nordrhein-
   Thüringen:                                   1                                 5
                                                                                          Westfalen systematisch zu fördern. NRW zählt bundesweit zu den
   Mecklenburg-Vorpommern:                      1                                 4
                                                                                          Spitzenreitern der OER-Nutzung. Mehr zur Studie unter www.tinyurl.
   Sachsen:                                     2                                 3
                                                                                          com/fgw-oer, mehr zum Thema Digitalisierung ab Seite 25. FGW
* Anzahl der genutzten OER-Praktiken, Quelle: Technologiestiftung Berlin

                                            Ausbildung                                 Neue Stellen im Haushalt 2018
                                               Der Ausbildungsreport 2017 ist             NRW will 2.048 neue Stellen im Schulbereich schaffen. Das kündigt
            Begreifen                       da! Die DGB NRW Jugend legte               das NRW-Finanzministerium in einer Pressemitteilung zum Haushalt
        zum Eingreifen                      bei der Befragung der Azubis               2018 an. Den 159.943 Stellen aus dem Jahr 2017 stehen jedoch im
                                                                                       nächsten Jahr nur 161.226 gegenüber. Tatsächlich sind es also nur
                                            den Schwerpunkt auf Unterrichts-
                                 www.       qualität an Berufsschulen. Julia           1.283 Stellen zusätzlich für Lehrer*innen. Die 2.048 Stellen sind nach
 Globalisierung
                                            Löhr, Jugendbildungsreferentin             Angaben des Schulministeriums „Stellenentwicklungen, die mit neuen
 Welche sozialen Probleme                   der GEW NRW, und Eric Schley,              politischen Schwerpunktsetzungen“ einhergehen. Demnach werden 183
 stehen im Zusammenhang mit
                                            Bezirksjugendsekretär des DGB              Ausgleichsstellen für die flächendeckende und schulscharfe Erhebung
 der Globalisierung? Dazu hat
 die Bundeszentrale für politische          NRW, stellten den Ausbildungs-             des Unterrichtsausfalls geschaffen. Teilnehmende Schulen erhalten
 Bildung 15 Infografiken veröf-             report 2017 in Düsseldorf vor. Im          eine zusätzliche Anrechnungsstunde. Auch wenn man diese Erhebung
 fentlicht, die Teil eines Dossiers         vergangenen Jahr haben mehr als            ablehnt, ist die Anerkennung des zusätzlichen Bedarfs zu begrüßen. 600
 zur Globalisierung sind.
                                            4.200 junge Frauen und Männer              zusätzliche Stellen gibt es für die flexible Schuleingangsphase an den
 www.tinyurl.com/bpb-globali-
 sierung                                    aus den 25 häufigsten Ausbildungs-         Grundschulen. Damit wird die Stellenzahl mehr als verdoppelt von 593
                                            berufen in NRW bei der schrift-            Stellen im Jahr 2017 auf 1.193 Stellen im Jahr 2018. Das Schulministerium
                                 www.
 Leben an der Grenze                        lichen Befragung mitgemacht.               führt aus, dass bei der Zuteilung auch ein Sozialindex zugrunde gelegt
 „Life on the border“ ist ein Kurz-         Mehr unter www.tinyurl.com/                werden soll. Das ist ein Erfolg der GEW NRW. Mehr unter www.tinyurl.
 filmprojekt von Kindern und Ju-            gew-nrw-ausbildungsreport  kue            com/fm-nrw-haushaltms
 gendlichen, die in syrischen und
 irakischen Lagern für Geflüchtete
 Unterschlupf vor Krieg und                 Kinderarbeit                               Initiative Schule und Arbeitswelt
 Gewalt gefunden haben. Ein
 Online-Spezial der Bundeszentra-              Die gemeinnützige Stiftung                 Mit der „Initiative Schule und Arbeitswelt“ machen sich die DGB-
 le für politische Bildung bietet
 Unterrichtsmaterial zum Film.
                                            der GEW fair childhood engagiert           Gewerkschaften gemeinsam stark für eine gute Schule für alle, für Chan-
 www.tinyurl.com/bpb-flucht-                sich für die Bekämpfung von Kin-           cengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Ihr Ziel ist es, mit regionalen
 film                                       derarbeit, damit Kinder weltweit           Arbeitskreisen die organisatorischen Voraussetzungen für eine bessere
                                www.
                                            zur Schule gehen können. Derzeit           Zusammenarbeit aller am Schulleben Beteiligten zu schaffen und Projekte
 Paradise Papers im Blick
                                            nimmt fair childhood Projekte in           zu initiieren. Im Fokus der Initiative stehen die Themen Lobbyismus und
 In der Debatte um die Paradise             Nicaragua, Mali und Tansania be-           Wirtschaft in Schule, Berufs- und Arbeitsweltorientierung sowie Betriebser-
 Papers ist ein neuer Fokus not-            sonders in den Blick. Spendenkonto:        kundungen und -praktika. In Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung
 wendig. Die Diskussion müsse
 über die Kritik an Reichen hin-            Bank für Sozialwirtschaft // IBAN:         stellen die DGB-Gewerkschaften Unterrichtsmaterialien zu Themenfeldern
 ausgehen, kommentiert Autor                DE16700205000009840000 //                  wie Gender, Kinderarmut und Tarifpolitik zum Download bereit. Ergänzend
 Jens Berger. www.tinyurl.com/              BIC: BFSWDE33MUE. Mehr unter               organisieren sie Veranstaltungen zu Schul- und Bildungspolitik. Mehr
 berger-paradise-papers
                                            www.fairchildhood.eu          kue         unter www.schule.dgb.de/materialien                             dgb/kue
Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de
nds 11/12-2017 7

Nachmittagsbetreuung nimmt zu                                                Neue Studie „Inklusion in progress“
    Die Nachfrage nach Ganztagsschulen wächst: Im Schuljahr 2016 / 2017         Die Bildungsforscher Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz untersu-
haben rund 48,2 Prozent der 1,7 Millionen Schüler*innen in der Primarstufe   chen in ihrer jüngsten Studie für die Heinrich Böll Stiftung „Inklusion
und der Sekundarstufe I der allgemeinbildenden Schulen ein Ganztags-         in progress“ unter anderem die Praxis der Feststellungsdiagnostik in
angebot in Anspruch genommen. Weitere 5,4 Prozent der Schüler*innen          den sonderpädagogischen Bereichen LES (Lernen, emotionale und so-
wurden anderweitig betreut. Fünf Jahre zuvor lag der Anteil der betreuten    ziale Entwicklung und Sprache). Demnach machen LES-Diagnosen zwei
Kinder noch bei 43,9 Prozent für beide Betreuungsformen zusammen.            Drittel aller sonderpädagogischen Förderbedarfe aus. Der Anteil sei in
An den in der Regel als gebundene Ganztagsschule angelegten Gesamt-          den vergangenen Jahren um ein Fünftel angestiegen – besonders die
und Gemeinschaftsschulen nahmen alle Schüler*innen verpflichtend             soziale und emotionale Entwicklung, obwohl gerade in diesem Bereich
am Nachmittagsangebot teil. An Realschulen und Gymnasien wurden              die Feststellungsdiagnostik besonders unzuverlässig und diffus sei. Eini-
mit 22,7 beziehungsweise 25,8 Prozent die wenigsten Kinder ganztags          ge Bundesländer praktizieren verschiedene Modelle einer verlässlichen
betreut. Im Primarbereich boten die meisten Schulen eine offene Ganz-        Grundausstattung, die eine Alternative zu den sonderpädagogischen Fest-
tagsbetreuung an, die nur für einen Teil der Schüler*innen verpflichtend     stellungsverfahren darstellen kann. Auf Basis einer ländervergleichenden
ist. An Grundschulen nahmen im abgelaufenen Schuljahr insgesamt 44,1         Analyse unterbreitet das Policy Paper Handlungsempfehlungen. Mehr
Prozent der Schüler*innen ein Ganztagsangebot wahr.IT.NRW                   unter www.tinyurl.com/boell-studie-inklusion Heinrich Böll Stiftung

Solidarität mit geflüchteten Kindern                                         Zahl der Studierenden in NRW sinkt
   Rund 95 Prozent aller Eltern befürworten, dass geflüchtete Kinder            Die Zahl der Studienanfänger*innen geht leicht zurück. Das belegen
schnellstmöglich die Schule besuchen. Dieses Ergebnis der 4. JAKO-           die Meldungen der Hochschulen zum Wintersemester 2017 / 2018 in
O-Bildungsstudie weist aus Sicht von Bildungsexpert*innen auf eine           NRW. Im Herbst haben 100.316 junge Menschen ein Studium begon-
große Soli­darität der Eltern mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen      nen – fast sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Nach dem doppelten
hin und lässt auf einen gesellschaftlichen Konsens schließen. Legt man       Abiturjahrgang waren die Zahlen der Studierenden lange Zeit auf einem
Parameter wie Einkommen und Bildungsniveau der Eltern an, ist das            historischen Höchststand. Nun sind sie wie erwartet leicht gesunken.
Ergebnis in allen Milieus sehr ähnlich. Acht von zehn Eltern finden es       Insgesamt studieren in NRW 740.154 Menschen an Universitäten und
richtig, dass für die Unterrichtung der zugewanderten Kinder zusätzliche     Fachhochschulen. Studierende von privaten Hochschulen mit Standorten
Lehrer*innen eingestellt wurden. Mehr unter www.tinyurl.com/jakoo-           in anderen Bundesländern werden jetzt im jeweiligen Bundesland und
bildungsstudie-2017                                      JAKO-O Presse      nicht mehr am Hauptsitz der Hochschule gezählt.           MKW NRW

Mehr Kinder leben von Hartz IV                                               G8 / G9: Debatte ist eröffnet
   Rund 14,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland be-             Zeitgleich mit Vorlage des Referententwurfs für ein „Gesetz zur Neu-
ziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Damit erreicht der An-       regelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium“ positionieren
teil der Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind, einen neuen Höchst-       sich Interessengruppen und Verbände zur Reform. Die Landeselternschaft
stand. Insgesamt leben rund 1,95 Millionen Kinder und Jugendliche            Gymnasium hat auf ihrer Mitgliederversammlung das Papier „Gymnasiale
in Familien, die soziale Leistungen beziehen. Das sind rund 110.000          Bildung, die begeistert!“ beschlossen. Angesichts der Pläne von CDU
Kinder mehr als im Vorjahr. Diese Zahlen gehen aus einer aktuellen           und FDP, Gymnasien zwischen G8 und G9 wählen zu lassen, ist folgende
Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts           Forderung interessant: „Schülerinnen und Schüler sollen ihre Lernzeit bis
(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Datengrundlage sind Angaben          zum Abitur an jedem Schulstandort individuell um ein Jahr verkürzen
der Bundesagentur für Arbeit. Nach Analyse des WSI-Sozialexperten Dr.        können. Im Rahmen eines strukturierten Förder- und Begleitangebots sollen
Eric Seils ist der Anstieg eine Folge der Zuwanderung seit 2012. Mehr        diese Schülerinnen und Schüler vorbereitet werden.“ Im Schulausschuss
unter www.tinyurl.com/wsi-kinder-hartzivHans-Böckler-Stiftung               haben sich fast alle Expert*innen gegen eine Umstellung zum Schuljahr
                                                                             2018 / 2019 – wie von der AfD gefordert – ausgesprochen.ms
Hilfe für Gewerkschafter*innen
    Mit dem Heinrich-Rodenstein-Fonds unterstützt die GEW Menschen,           Schöne Weihnachtsferien!
die in Not sind. Die Spenden kommen Gewerkschafter*innen und
                                                                                                     Mit dieser Ausgabe geht das nds-Jahr 2017
deren Familien zugute, die verfolgt und inhaftiert werden, fliehen
                                                                                                                                                         Illustration: designed by freepik

                                                                                                  zu Ende. Allen Kolleg*innen wünschen wir eine
müssen oder auf finanzielle Unterstützung nach Naturkatastrophen
                                                                                                  ruhige Adventszeit, schöne Weihnachtstage und
oder Schicksalsschlägen angewiesen sind. Der Fonds leistet nicht nur
                                                                                                  einen guten Start in ein glückliches Jahr 2018! Die
schnell, sondern auch unbürokratisch Hilfe. Damit im Ernstfall Geld zur
                                                                                                  GEW-Landesgeschäftsstelle, der NDS Verlag und die
Verfügung steht, ruft die GEW NRW zu Spenden auf. Spendenkonto:
                                                                                                  nds-Redaktion machen vom 23. Dezember 2017 bis
Heinrich-Rodenstein-Fonds // Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale
                                                                              einschließlich 2. Januar 2018 Ferien. Ab dem 3. Januar sind wir zu den
// IBAN: DE88 5005 0000 0084 0001 24 // BIC: HELADEFF. Mehr unter
                                                                              üblichen Geschäftszeiten wieder für Sie da!              nds-Redaktion
www.tinyurl.com/heinrich-rodenstein-fondskue
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8 BILDUNG

Im Gespräch mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani

Aufstieg durch Bildung ermöglichen

                                                                                                                                                                Foto: time. / photocase.de
Wie stark der schulische Erfolg von der sozialen Herkunft abhängt, belegen                                allgemein als mühevoll und durchweg positiv
PISA-Studien immer wieder. „Bildung gegen Spaltung“ lautete deshalb das Motto                             begriffen. Mühevoll ist er, aber aus der Erlebens-
des Gewerkschaftstags der GEW NRW am 25. November 2017 in Duisburg. Zu                                    perspektive von Aufsteiger*innen ist er auch
Gast: Bildungsforscher Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani. Die nds sprach mit ihm über                         ambivalent, nicht nur positiv, zeitweise sogar eher
dauerhafte Herausforderungen, emotionale Krisen und die Vision einer Schule,                              negativ. Vieles von dem, was in der Kindheit und
die Armut ausgleichen kann.                                                                               Jugend wertvoll war, wird im Aufstiegsprozess
                                                                                                          entwertet. Viele soziale Beziehungen können
nds: Im Ruhrgebiet wird die Kluft zwischen Arm       zu wohnen, wo es die günstigsten Mietpreise          nicht gehalten werden. Während des Aufstiegs
und Reich geografisch sehr anschaulich – durch       gibt – und die sind dort günstig, wo die meisten     fühlt man, dass man etwas verliert, ohne sich
die A 40. Südlich der Autobahn wohnen meist          nicht wohnen wollen. Sie finden notgedrungen         sicher sein zu können, ob man etwas gewinnt,
gebildete, gut situierte Familien. Nördlich          ihresgleichen, es handelt sich nicht um eine         ob man den Aufstieg wirklich schafft und sich
wohnen jene, die schlechter ausgebildet sind         wirkliche Wahlfreiheit. So entsteht eine räumliche   „oben“ etabliert.
und weniger Geld zur Verfügung haben. Wie            Konzentration von Ober- und Unterschicht, wobei         Auch unabhängig von Migration lässt sich
erklären Sie sich dieses Phänomen?                   die Oberschicht deutlich konzentrierter unter        der Aufstieg aus benachteiligten Milieus auf
    Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani: Dass es sich      sich bleibt. Am wenigsten voraussehbar sind          diese Weise beschreiben. Heranwachsende aus
um ein ziemlich symmetrisches soziales Süd-          Entscheidungen der sozialstrukturellen Mitte.        Migrant*innenfamilien haben lediglich andere
Nord-Gefälle handelt, hat mit der spezifischen          Es geht im Übrigen nicht um Schuldzuwei-          Voraussetzungen: Einerseits sind sie aufstiegs-
Geschichte des Ruhrgebiets zu tun. Aber die          sungen. Diese Prozesse verlaufen zum Teil ohne       orientierter, was förderlich ist. Andererseits sind
Konzentration von Armut sowie die Konzentra-         böse Absicht. Aber mir ist schon wichtig her-        sie mit besonders ausgeprägten Loyalitätserwar-
tion von Reichtum können wir in allen Städten        vorzuheben, dass nicht die ärmeren Menschen          tungen aus ihrem Herkunftsmilieu konfrontiert,
erkennen. Dieses Phänomen wird soziale Segre-        Segregation erzeugen, sondern eher die Wohl-         die – wie gesagt – zumindest zum Teil enttäuscht
gation genannt und ist das Ergebnis von sehr         habenden.                                            werden. Familien ohne Migrationshintergrund
vielen einzelnen Entscheidungen, häufig auch                                                              sind hingegen weniger erfolgsorientiert und
                                                     Was macht es denn so schwierig aufzustei-
von historisch gewachsenen Strukturen. Armuts-                                                            haben auch weniger Loyalitätserwartungen.
                                                     gen? Wie schafft ein armes Kind aus einem
segregation wird dabei immer sehr intensiv                                                                Das sind sehr unterschiedliche Voraussetzungen,
                                                     Problemviertel den Aufstieg?
diskutiert und als Problem erkannt.                                                                       die zu sehr unterschiedlichen, aber ähnlich
    Reichtumssegregation wird bestenfalls zur           Das ist eine dauerhafte Herausforderung
                                                                                                          komplexen Herausforderungen führen.
Kenntnis genommen. Dabei sind die Entschei-          voller emotionaler Krisen und Konflikte. Der
dungen von einkommensstarken Personen                Aufstieg durch Bildung hat in einer Langzeit-        Welche Rolle spielt die Schulform in diesem
entscheidend für Segregationsprozesse. Je            perspektive zur Folge, dass sich der Mensch          Zusammenhang?
wohlhabender eine Person oder ein Haushalt           grundlegend verändert, was auf der einen Seite         Neben der sozialen Segregation innerhalb
ist, desto freier ist die Wohnortwahl. Und inte-     Identitätsprobleme, Unsicherheitsgefühle und         von Städten trägt die Selektion im Schulsys-
ressanterweise führt diese Freiheit dazu, dass die   Verlusterlebnisse mit sich bringt. Zudem kommt       tem zusätzlich dazu bei, dass sich Armut und
Wohlhabendsten sich sehr einheitlich verhalten:      es im Verhältnis zur Herkunftsfamilie und dem        Wohlstand konzentrieren. Das würde selbst
Sie suchen ihresgleichen. Den ärmsten Menschen       Milieu zu einem Distanzierungsprozess, der bis       dann passieren, wenn die Selektion fair wäre,
bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als dort   zur Entfremdung führen kann. Aufstieg wird           was sie aus verschiedenen Gründen nicht ist.
Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de
nds 11/12-2017 9

Das ist für die Kinder verheerend und kann sich      meinen: „Das machen wir schon.“ Ich meine aber,      suchungen. Natürlich auch handwerkliches
auf die gesamte Biografie auswirken. Soziale         dass das fast keine Schule in einer Form macht,      Arbeiten, anregende naturwissenschaftliche
Durchmischung in der Schule wäre natürlich           die das Thema Armut wirklich in den Mittelpunkt      Angebote, debattieren, tanzen ... Gut, ich will
besser als Segregation – übrigens auch für die       rückt. Ich rede nicht von verschiedenen Lern-        mal die Aufzählung der Maximalforderungen
Lehrkräfte.                                          typen, von diversifizierten Arbeitsblättern oder     abbrechen, aber verstehen Sie sie als Kompass!
    Lassen Sie mich einen paradoxen und bisher       Hausaufgabenbetreuung – all das ist sinnvoll,        Es geht darum, dass Kinder alles erleben, was
nicht reflektierten Zusammenhang schemenhaft         hat aber mit dem Ausgleich von Armut noch            unsere Welt zu bieten hat. Besonders arme Kinder
erläutern, der für Schulen und Lehrkräfte zentral    nichts zu tun.                                       erleben nur einen sehr kleinen Ausschnitt des
ist. Punkt 1: Ganz unterschiedliche Studien             Nehmen wir die individuelle Förderung: Wer        Möglichen. Davon würden alle profitieren, nicht
zeigen, dass von Schüler*innengeneration zu          Kinder in prekären Lebensverhältnissen indivi-       nur die Kinder: Wenn wir uns fragen, wie diese
Schüler*innengeneration die Leistungsfähigkeit       duell fördern will, muss Armut verstehen. Sie        Gesellschaft überhaupt noch zusammengehalten
der Heranwachsenden besser wird. Egal ob es          erzeugt eine soziale Mentalität, ein Denk- und       werden kann, dann wären das Möglichkeiten,
um den IQ oder um Kompetenzen geht: Es wird          Handlungsmuster, einen Habitus. Kluge Kinder,        um eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage zu
tendenziell besser! Punkt 2: Lehrkräfte erleben      die arm sind, denken und handeln kurzfristig,        schaffen.
das anders. Ziemlich einstimmig singen sie das       praktisch und unsicherheitsvermeidend. Das ist          Aber natürlich braucht das alles mehr zeitliche
Lied von den immer schwieriger werdenden             der Zwang der strukturellen Knappheit, ähnlich       und ökonomische Ressourcen. Es ist erschütternd,
Arbeitsbedingungen. Die Schüler*innen bräch-         wie bei einem Insolvenzverwalter: Auch er muss       wie fantasielos in Zeiten von Haushaltsüber-
ten immer weniger mit, die Leistungsfähigkeit        kurzfristig eine praktische Lösung finden, die       schüssen über mögliche Zukunftsinvestitionen
gehe zurück.                                         sicher sein muss, weil die Situation der Insolvenz   diskutiert wird. Das Problem liegt aber nicht nur
    Punkt 3: Beides stimmt! Denn die Bildungs-       dieses und kein anderes Verhalten erzwingt.          in der Politik. Auch die Bildungsforschung ist
expansion schreitet schneller voran als die          Wenn Kinder dauerhaft unter struktureller oder       mäßig anregend und trägt zur Problemlösung
Steigerung der Kompetenzen und des IQ. Wäh-          extremer Knappheit aufwachsen, dann etabliert        bisher kaum bei. Es gibt tatsächlich keine ar-
rend sich der Anteil der Schüler*innen auf dem       sich dieses Muster und lässt sich nur noch mit       muts- oder ungleichheitssensible Didaktik und
Gymnasium verdoppelt hat, haben sich IQ und          viel Mühe aufbrechen. Diese Kinder müssten           auch Kulturvermittlung und -angebote erreichen
Kompetenzen zwar verbessert, aber bei Weitem         deshalb systematisch dort abgeholt werden,           bisher selten die Zielgruppe, die es am nötigsten
nicht verdoppelt. Dadurch entsteht der Effekt,       mit dem Ziel, auch andere Denkmuster zu er-          hätte. Für arme Menschen, selbst für arme Kinder
                                                     lernen: Langzeitorientierung, die Fähigkeit der      interessieren sich noch immer viel zu wenige. //
dass sich der Durchschnitt in jeder Schulform ver-
                                                     Abstraktion und das Denken in Alternativen.           Die Fragen für die nds stellte Jessica Küppers.
schlechtern kann, obwohl sich der Durchschnitt
                                                     All das sind übrigens Denkmuster, die wohl-
des schulformübergreifenden Geburtsjahrgangs
                                                     habend aufwachsende Kinder aufgrund ihrer
verbessert hat. Die ehemals leistungsstärksten
                                                     Sozialisationsbedingungen mitbringen. Es geht
Realschüler*innen sind heute auf dem Gymna-                                                               www.      GEW NRW: alle Materialien zum Gewerk-
                                                     also um grundlegende Ziele, um Bildung im
sium, die ehemals besten Hauptschüler*innen                                                                         schaftstag 2017 online im internen
                                                     engeren Sinne und nicht lediglich darum, das                   Bereich (Mitglieder-Log-in erforderlich)
besuchen heute die Realschule und so wei-
                                                     Lernen zu optimieren.                                          www.gew-nrw.de/meine-gew-nrw
ter. Lehrkräfte haben einen selektiven Blick
                                                                                                          www.      GEW NRW: Duisburg wird jünger und das
innerhalb des selektiven Schulsystems. Und           Und wie müsste ein Ganztagsschulprogramm
                                                                                                                    ist gut so. Oberbürgermeister Sören Link
Wissenschaftler*innen haben einen repräsen-          aussehen, das Armut entgegenwirkt?                             nimmt Herausforderungen der Bildungs-
tativen Blick aus dem Elfenbeinturm heraus.             Schön wäre es, wenn Kinder ihre Lehrkräfte                  landschaft an.
                                                                                                                    www.tinyurl.com/link-bildung-gegen-
    Nimmt man beide Perspektiven ernst und           als Menschen besser kennenlernten, wenn sie                    spaltung
führt sie zusammen, kommt man zu Punkt 4: Hät-       Kunst und Kultur permanent erlebten und selbst
ten Lehrkräfte einen repräsentativen Ausschnitt      machten, wenn sie Musikinstrumente spielen
                                                                                                          Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani von der Fachhochschule
des gesamten Geburtsjahrgangs vor sich sitzen,       lernten und Sport in der Schule stattfände –         Münster forscht unter anderem zum Thema „Bildung
würden auch sie die Verbesserungen bemerken.         genauso wie ärztliche und zahnärztliche Unter-       gegen Spaltung“.                         Foto: privat
Dafür müsste man zum einen regionale und
innerstädtische Unterschiede ausgleichen –
das ist unrealistisch. Zum anderen müsste die
Selektion einige Jahre später einsetzen – das
ist nicht nur realistisch, sondern international
gesehen die Regel.
Was müsste Schule denn leisten, um die
Ausgangsbedingungen auszugleichen und
möglichst vielen Kindern den Aufstieg durch
Bildung zu ermöglichen?
   Wenn ich jetzt sage, dass individuelle Förde-
rung und ein Ganztagsschulprogramm dafür
die beiden zentralen Aspekte sind, könnte man
Digitalisierung in Schule? Aber sicher! - nds-zeitschrift.de
10 BILDUNG

RuhrFutur zieht Zwischenbilanz

Nachhaltige Ideen für
die Bildungsregion Ruhr

Die Bildungsinitiative RuhrFutur steuert auf ihre letzte Förderperiode zu. Viele                        Der Verdacht, die Stiftung wolle sich in einen
erfolgreiche Projekte sind in Kitas, Schulen und Hochschulen bereits Realität.                       wichtigen Bereich staatlichen und kommunalen
Doch die Maßnahmen reichen nicht aus, um das größte Problem des Ruhrgebiets,                         Handelns einmischen, ist ausgeräumt. Zum einen
Kinderarmut, zu bekämpfen und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Jetzt braucht                       hat die Stiftung die Zielfindung und die Maßnah-
es einen konkreten Fahrplan für die Schlussphase – und darüber hinaus.                               menplanung in eine Steuerungsgruppe delegiert.
                                                                                                     Zum anderen agiert die großzügig ausgestattete
   Die Zwischenbilanz der Initiative für mehr     Hochschulen der Aufgabe, die Studienwahl-          und kompetent besetzte Geschäftsstelle von
Bildungsgerechtigkeit RuhrFutur kann sich sehen   orientierung neu zu konzipieren. Und zwar so,      RuhrFutur in der praktischen Arbeit weitgehend
lassen: Mit der Online-Plattform „BildungsPro-    dass die Diversität zukünftiger Studierender aus   unabhängig. Insgesamt hat die Stiftung bisher
jekte Ruhr“ machen der Regionalverband Ruhr,      der Region eindeutiger eingefangen und die         rund 15,3 Millionen Euro investiert. In einem
die Kommunen und RuhrFutur erfolgreiche           Studienwahlorientierung effizienter gestaltet      längeren Prozess sind von der Initiative die
Maßnahmen zugänglich, transparent und über-       werden kann.                                       folgenden Ziele vereinbart worden:
tragbar. Die Dortmunder Idee der „Kinderstuben“      In der Bildungsinitiative wirken aktuell die    ◆◆ individuelle Förderung im Bildungssystem
zur Vorbereitung von Flüchtlingskindern auf den   Kommunen Dortmund, Essen, Gelsenkirchen,           ◆◆ durchgängige Sprachbildung
Kita-Besuch wird als Brückenprojekt, finanziert   Herten, Mülheim an der Ruhr und der Regional-      ◆◆ inter- und intrakommunale Kooperation
vom Land, auf drei weitere Städte übertragen.     verband Ruhr (RVR) sowie die Ruhr-Universität         unter Einbeziehung der Hochschulen
   Auch im Bildungsbereich Schule sind vorhan-    Bochum, die Technische Universität Dortmund,       ◆◆ Zusammenarbeit von Schule und Hoch-
dene Projekte gewachsen: Mit dem Vorhaben         die Fachhochschule Dortmund, die Universität          schule
„Systematische Grundschulentwicklung“ werden      Duisburg-Essen, die Westfälische Hochschule mit    ◆◆ Angleichung der Studienerfolgsquote von
interessierte Schulen mehrerer Städte zusam-      der Landesregierung und der Stiftung Mercator         jungen Menschen
mengefasst. Sie arbeiten über drei Jahre unter    mit Sitz und Stimme in der Steuerungsgruppe        ◆◆ Aufbau und Entwicklung von Monitoring-
fachkundiger Prozessbegleitung an ihren Frage-    zusammen. Ohne Vollmitgliedschaft kooperie-           instrumenten
stellungen und erwerben Steuerungswissen für      ren zum jetzigen Zeitpunkt Duisburg, Bochum
systematische Schulentwicklung. Weiterführende                                                       Mehr Bildungsgerechtigkeit durch
                                                  und der Kreis Recklinghausen mit konkreten
Schulen arbeiten zweieinhalb Jahre lang an                                                           Kommunikation und Vernetzung
                                                  Maßnahmen.
Fragestellungen wie individuelle Förderung, In-                                                         Das Bildungsmonitoring zur Gewinnung von
klusion, Sprachbildung. Die Netzwerke „Schulen    Bildungsbericht als Auslöser für die               steuerungsrelevanten Daten ist das erklärte
im Team“ kümmern sich unter Federführung der      Gründung der Initiative                            zentrale Tätigkeitsfeld von RuhrFutur und RVR
kommunalen Bildungsbüros um die Schul- und           Initialzündung für die Gründung von Ruhr-       unter Mitwirkung der Kommunen. Nach langen
Unterrichtsentwicklung sowie um die Übergän-      Futur war der Bildungsbericht Ruhr, der im         Anlaufschwierigkeiten soll in nächster Zeit eine
ge zwischen den einzelnen Bildungsphasen.         Januar 2012 vorgestellt wurde. Seitdem ver-        Erstausgabe zur Verfügung stehen. Damit steigt
„Schulen im Team“ werden von RuhrFutur in Zu-     folgt die Initiative der Mercator-Stiftung ein     die Chance, auf der erarbeiteten Datenbasis den
sammenarbeit mit dem NRW-Schulministerium         ehrgeiziges Ziel: mehr Bildungsgerechtigkeit       Bildungsbericht Ruhr demnächst fortzuschreiben.
fachlich und organisatorisch unterstützt.         in der Metropole Ruhr – mit Teilerfolgen. Das         Mit ihrem partizipativen Ansatz fördert und
   Erfolge sind auch in der Wissenschaft zu       Konzept: Keine neuen Projekte, sondern „positive   optimiert RuhrFutur die Bildungsregion. Durch
verzeichnen: Gemeinsam mit der Initiative haben   Veränderungen im Gesamtsystem Bildung“ sind        Kommunikation und Vernetzung hat sie Hand-
die Hochschulen eine Studierendenbefragung        das Ziel gemeinsamen Handelns. Nach fast fünf      lungswissen für professionelle Prozessbegleitung
auf den Weg gebracht. Im Zusammenspiel mit        Jahren ist RuhrFutur heute ein etablierter und     als Organisations- und Qualitätsentwicklung
dem Landesprogramm „Kein Abschluss ohne           geschätzter Partner in wichtigen Teilbereichen     auch über Stadtgrenzen hinweg bereitgestellt.
Anschluss“ (KAoA) stellen sich die RuhrFutur-     des Bildungsgeschehens an der Ruhr.                Sie hat einen gemeinsamen Verantwortungsraum
nds 11/12-2017 11

                                                 vorbereitet, dem mittelfristig alle Kommunen        Gefordert wird eine Mittelzuweisung, die sich       chen, finanziert durch die Stiftung Mercator.
                                                 beitreten sollten. Das ist ein großer Fortschritt   an der sozialen Zusammensetzung der Kinder          Im kommenden Jahr wird RuhrFutur zu einer
                                                 angesichts des bislang beklagten Kirchturmden-      und Jugendlichen in den jeweiligen Bildungsein-     Bildungskonferenz einladen, auf der die Akti-
                                                 kens. Es ist auch gelungen, die Landesebene         richtungen orientiert, um der Armutssegregation     vitäten der Periode bis 2022 vorgestellt und
                                                 in die Ziel- und Maßnahmenplanung direkt            gezielt entgegenzuwirken.                           Planungen eingeleitet werden sollen. Damit soll
                                                 einzubinden. Ulrich Ernst, Dezernent für Bildung       Die alte, nun abgewählte Koalition hat vor       verhindert werden, dass die Bildungsregion nach
                                                 in Mülheim an der Ruhr, engagiert sich in der       der Wahl Bereitschaft gezeigt, das Thema in         2022 dasteht wie ein E-Bike, dessen Batterie
                                                 Steuerungsgruppe der Initiative und urteilt:        der jetzigen Wahlperiode auf die Agenda zu          abmontiert wurde.
                                                 „RuhrFutur ist ein Paradebeispiel dafür, wie        setzen. Die neue Landesregierung wird sich in          Wenn RuhrFutur endet, kommen fast zwangs-
                                                 Städte zusammenarbeiten können.“ Und er             dieser Frage noch positionieren müssen. Es ist      läufig neue Koordinierungs- und Unterstüt-
                                                 schätzt RuhrFutur als „ein Konstrukt mit Gewicht    unerlässlich, dass sich der Kommunalrat und         zungsaufgaben auf den RVR zu. Vielleicht wird
                                                 und Dynamik“, das sich auch auf das Standing        das Parlament beim RVR mit diesem Anliegen          er eine „Bildungsmanagementinstanz“ wie sie
                                                 gegenüber Landesministerien auswirke.               identifizieren. Die Forderung nach Mittelzuwei-     sich Manfred Beck, ehemaliger Dezernent in
                                                                                                     sung auf der Grundlage eines Sozialindexes in       Gelsenkirchen, wünscht. //                
                                                 Kinderarmut: Strukturelle und
                                                                                                     Richtung Land sollte bald und mit Nachdruck
                                                 finanzielle Veränderungen fehlen
                                                                                                     vertreten werden.
                                                    Trotz aller positiven Bemühungen im Bildungs-       Neben der Realisierung eines Sozialindexes                     Karl Keining
                                                 bereich stagnieren die Kinderarmutszahlen in der    erscheint eine andere Gewichtung der Frühför-                     ehemals AG Masterplan Bildung
                                                 Metropole Ruhr auf hohem Niveau und steigen         derung essenziell, weil Kinder aus schwierigen                    Ruhrgebiet der GEW NRW
                                                 tendenziell sogar an. In den Ruhrkommunen           familiären Verhältnissen oft schon bei Schul-
                                                 liegen sie zwischen 20 und 40 Prozent. Die          eintritt eklatante Entwicklungsdefizite zeigen.
                                                 Armutssegregation ist beträchtlich. Sie unter-      Bei RuhrFutur ist das derzeit nicht eindeutig
                                                 gräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt                                                                             Dr. Brigitte Schumann
                                                                                                     erkennbar. Außerdem muss ein weiterer, um-
                                                 und benachteiligt zusätzlich armutsgefährdete                                                                         ehemals AG Masterplan Bildung
                                                                                                     fassenderer Aspekt in die Zielfindung und                         Ruhrgebiet der GEW NRW
                                                 Kinder und Jugendliche. Bildungsungerech-           Maßnahmenplanung Eingang finden, näm-
                                                 tigkeit droht zum Markenkern des Reviers zu         lich integrierte und fachbereichsübergreifende
                                                 werden. Zu diesem Kern der Misere dringen die       Zusammenarbeit in der Kommune mit dem
                                                 Anstrengungen von RuhrFutur nicht durch. Es         Augenmerk auf integrierte Stadterneuerung,
                                                 fehlen entscheidende strukturelle und finanzielle   Stadtentwicklungsplanung, Wirtschaftsförde-
                                                 Veränderungen.                                      rung und Bildungsplanung.
                                                    Der RVR und seine Kommunen müssen, da-                                                                       Gerd Möller und Gabriele Bellenberg:
                                                                                                     Bildungskonferenz: Konkrete Ziele für               PDF     Ungleiches ungleich behandeln – Stand-
                                                 mit das bisher gemeinsam Erreichte nicht als
                                                                                                                                                                 ortfaktoren berücksichtigen – Bildungs-
                                                 symbolische Politik kritisiert wird, die Struk-     die letzte Förderperiode
                                                                                                                                                                 gerechtigkeit erhöhen – Bildungsarmut
                                                 turen der Ungleichheit in den Fokus rücken             Obwohl sich RuhrFutur in der Bildungsland-               bekämpfen
                                                 und politisch bekämpfen. Dazu hat die GEW           schaft der Region zu einer echten Landmarke                 www.tinyurl.com/sozialindex-studie
                                                 NRW in diesem Jahr eine Studie mit dem Titel        entwickelt hat, ist die zweite und erklärtermaßen   www.    Bildungsinitiative RuhrFutur
                                                                                                                                                                 www.ruhrfutur.de
                                                 „Ungleiches ungleich behandeln“ vorgelegt.          letzte Förderperiode für die Initiative angebro-
Fotos: tobid, suze, trojana1712 / photocase.de
12 BILDUNG

                                                                                                                                                             Foto: view7 / photocase.de
Klassenräume inklusiv gestalten

Lern- und Freiräume zum Wachsen
Um inklusive Lernräume zu schaffen, sind nicht nur veränderte Haltungen, Pro-                             schiedenen Niveaus unterrichtet. Zusätzlich zur
zesse, Unterstützungssysteme und Unterrichtsmethoden nötig, sondern auch die                              Arbeit der Lehrer*innen, Sonderpädagog*innen
physische Veränderung der Unterrichtsräume. Arbeits-, Präsentations-, Verkehrs-                           und Psycholog*innen werden in vielen Klas-
und Freiflächen – der gesamte Schulraum muss so verändert werden, dass er den                             sen einzelne Schüler*innen während des
Bedürfnissen aller Schüler*innen ebenso Rechnung trägt wie denen der Lehrenden.                           Unterrichts durch Schulbegleiter*innen oder
                                                                                                          Integrationshelfer*innen betreut und unter-
   Inklusive Lernumgebungen geben allen              Wechsel zwischen verschiedenen Unterrichts-          stützt. All diese Angebote brauchen Raum, der
Schüler*innen das Gefühl, dass ihre Beiträge         formen ohne großen Zeitverlust funktioniert,         den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird.
und Perspektiven, ihre Stärken und Schwächen         muss die Raumgestaltung mitspielen: Tische           Auch hier sind flexible Raumausstattungen
respektiert und ihre individuellen Potenziale        müssen zum Beispiel flexibel sein, damit sie         wichtig, etwa um Sichtschutz zu gewähren, die
gewürdigt werden. Kurzum: Es sind Lern- und          innerhalb einer Minute von der ganzen Klasse         Lautstärke von Nachbargesprächen zu reduzieren
Freiräume zum Wachsen. Nach der Verabschie-          in die gewünschte und unterstützende Raum-           oder Präsentationen zu erproben. Lernbereiche
dung des Inklusionsgesetzes in NRW im Jahr
                                                     ordnung gebracht werden können.                      werden erweitert und Verkehrsflächen mitge-
2012 schienen Rahmenbedingungen, Schulor-
                                                         Gleichzeitig gewinnt Teamteaching in multi-      nutzt: Zum Beispiel verlassen die Pädagog*innen
ganisation und Unterricht weit entfernt von den
                                                     professionellen Teams zunehmend an Bedeutung:        mit einzelnen Lernenden oder einer kleinen
Anforderungen, die an inklusive allgemeinbil-
                                                     Der Unterricht wird temporär von einem Tandem        Gruppe temporär den Klassenraum und verlagern
dende Einrichtungen gestellt werden. Fünf Jahre
                                                     so geplant und ausgewertet, dass er möglichst        deren Arbeitsbereich in den Flur.
später lassen sich vielerorts Veränderungen im
                                                     viele Lernniveaus der Klasse abdeckt und für alle       Im selben Maße wie inklusive Lehr- und Lern-
Unterrichtsprozess beobachten.
                                                     Beteiligten kontaktintensiver und vielfältiger       methoden Einzug in den Unterricht halten,
Räume für inklusiven Unterricht und                  ist. Unterricht im Tandem kann unterschiedlich       müssen also die Unterrichtsräume weiterentwi-
multiprofessionelle Teams schaffen                   gestaltet sein: Beispielsweise unterrichtet eine     ckelt werden. Oft unterstützen schon einfache
   Lehrkräfte wechseln Methoden und Sozi-            Lehrkraft, während die andere parallel einzelne      Maßnahmen dabei, Inklusion im Klassenraum
alformen innerhalb einer Unterrichtseinheit          Schüler*innen unterstützt, oder zwei Gruppen         nachhaltig zu verankern. So wird der Raum zum
häufiger. Schritt für Schritt adaptieren sie ihren   werden gleichzeitig im selben Raum auf ver-          „dritten Pädagogen“.
Unterricht, sodass verschiedene Lernniveaus
und Kompetenzlevel angesprochen werden.              Abbildung 1:                                         Abbildung 2:
Die Phasen des Frontalunterrichts in den nun         Raumanordnung im Plenum                              Raumanordnung in kooperativer Arbeitsphase
schneller getakteten Unterrichtseinheiten wer-
den kürzer. Unterrichtskonzepte wie Kooperatives
Lernen, Projektarbeit an fächerübergreifenden
Themen, Wochenplanarbeit und Stationenlernen
fördern die Selbstständigkeit und Eigenverant-
wortlichkeit der Schüler*innen. Angepasste
Methodik und gut integrierte Wechsel in den
Sozialformen lenken den Unterricht, gestalten
ihn abwechslungsreich, verhindern Langeweile
und Störungen. Zugleich nimmt diese verän-
derte Unterrichtsführung Rücksicht auf die
Heterogenität der Schüler*innen. Damit der
     Arbeitsbereiche während kooperativer Gruppenphasen       Lehrende      Lernende     Materialtische      Sitzplätze Lernende      Sitzplätze Lehrende
nds 11/12-2017 13

Plenum                                                Signalfarben wie Gelb, Orange und Rot sind          Besondere Bedürfnisse
   Sorgen Sie dafür, dass es einen Versamm-           sparsam und gezielt einzusetzen, zum Beispiel          Fragen Sie Ihre Schüler*innen mit heraus-
lungsort gibt, an dem alle Schüler*innen zu-          als Hintergrund für regelmäßige Ankündigungen       forderndem Verhalten, welche räumliche Um-
sammenkommen können, um als Großgruppe                wie Hausaufgaben. Geben Sie bestimmten Orten        gebung sie brauchen, um konzentriert arbeiten
zu diskutieren, soziale Fähigkeiten zu entwickeln     feste Funktionen: Wiederkehrende Informati-         zu können. Sorgen Sie für die räumliche Umset-
und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. In zu         onen sollten an der Klassenraumwand einen           zung, auch wenn sie ungewöhnlich erscheint.
engen Klassenräumen mit vielen Schüler*innen          fest definierten Raum haben. Dies erhöht die        Experimentieren Sie gemeinsam mit Ihren
kann das auch ein Stuhlkreis sein, der um eine        Übersicht und gibt Sicherheit: Alle wissen so       Schüler*innen: Vielleicht ist ein Einzeltisch,
Tischgruppe herumgeführt ist (Abbildung 1).           immer, wann die nächste Klassenarbeit oder          abgeschirmt nach links und rechts oder mit Blick
Wenn die Raumgröße es erlaubt, lassen sich auch       die nächsten Ferien anstehen. Schmutzige, un-       auf die Wand, genau das richtige Arrangement,
ein paar einfache Bänke in einer Ecke schnell         gepflegte Wände zeugen von Vernachlässigung         damit weniger Störungen auftreten.
zusammenstellen. Wichtig ist, dass alle einen         und wenig Wertschätzung. Hat der Prozess der           Genauso wichtig wie die Bedürfnisse der
gleichwertigen Platz auf Augenhöhe finden und         Verschmutzung einmal eingesetzt, wird er sich       Lernenden sind die räumlichen Ansprüche der
jede*r jede*n sehen und hören kann.                   weiter beschleunigen.                               Lehrenden, um gut unterrichten zu können.
                                                                                                          Beobachten Sie, wie Sie sich im Unterricht be-
Gruppentische                                         Lehr- und Lernmaterialien
                                                                                                          wegen: Sitzen Sie überwiegend auf der Kante
    Stellen Sie die Tische in Zweier-, Vierer-           Wenn die Materialsammlung in Ihrem Klas-         des Pultes? Sind Sie unablässig in der Klasse
oder maximal Sechsergruppen, sodass alle              senzimmer der individuellen Förderung dient,        unterwegs oder sitzen Sie meistens auf Ihrem
Schüler*innen die Gelegenheit zur Partner-            enthält sie Angebote für alle Lernniveaus und       Stuhl? Analysieren Sie ihr Bewegungsprofil und
oder Gruppenarbeit haben, ohne umzuräumen:            Lerntypen. Alle Materialien haben ihren festen      sorgen Sie gut für sich, indem Sie auch Ihren
Dies ist der Arbeitsplatz für Einigungs- oder         Platz und eine miteinander vereinbarte Ord-         Arbeitsplatz optimal gestalten.
Austauschprozesse, kooperative Lernformen             nung. Sie müssen für alle Schüler*innen frei
                                                                                                          Gewinn für Lernende und Lehrende
und gegenseitige Unterstützung (Abbildung 2).         zugänglich und gut erreichbar sein – auch für
                                                                                                             Um alle Schüler*innen in ihren individuellen
    Damit die Schüler*innen zugleich einen            die kleineren und für Schüler*innen im Rollstuhl.
                                                                                                          Lernwegen zu bestärken und dabei besondere
möglichst freien Blick auf eine Präsentations-        Gute Lösungen zu finden, die auch der Brand-
                                                                                                          Lernbedürfnisse im Blick zu haben, sind inklusive
oder Organisationsfläche haben, werden die            schutzverordnung entsprechen, ist eine echte
                                                                                                          Unterrichtsformen, stringentes Classroom Ma-
Tischachsen auf diesen Punkt hin ausgerichtet.        Herausforderung. Portable Schrankeinheiten
                                                                                                          nagement und ein wertschätzendes Klassenklima
Hier ist der Arbeitsraum für die Lehrkraft oder       sind zum Beispiel eine Lösung. Keine Lösung
                                                                                                          die entscheidenden Komponenten. Sie sorgen
präsentierende Lerner*innen. Der Raum muss            ist es hingegen für die Lehrkraft, die für jede
                                                                                                          auch für die Entwicklung von Gemeinschaft,
frei bleiben, damit Bewegung möglich ist. Plat-       Unterrichtseinheit einen anderen Schrankkoffer
                                                                                                          Zugehörigkeit und Selbstwert. Die sorgsame
zieren Sie den Lehrer*innentisch am Rand des          mit sich führt.
                                                                                                          Planung des Klassenraums – also die Anordnung
Klassenzimmers, so erhalten Sie mehr Freiraum
                                                      Sicherheit                                          der Tische, Schränke, Regale und Poster – ist
in den meist rechteckigen Klassenzimmern. Das
                                                         Ganz besonders ist darauf zu achten, dass        jedoch ebenso wichtig. Der ihn umgebende
Pult steht nicht im Weg und bildet weder eine
                                                      sich alle jederzeit sicher und frei bewegen kön-    Raum beeinflusst den Menschen immer in all
Sicht- noch eine Kontaktsperre. Lernende, die
                                                                                                          seinen Aktivitäten – auch im Klassenzimmer. Die
direkten Sichtkontakt zur Lehrkraft brauchen,         nen, nicht nur im Unterricht, sondern auch im
                                                                                                          Raumgestaltung kann den Inklusionsprozess
sind in diesem Setting natürlich besser an den        Notfall. Schultaschen müssen an einem fest
                                                                                                          entsprechend behindern oder unterstützen.
vorderen Tischen aufgehoben. Lernende, die sich       vereinbarten Ort abgestellt werden, damit sie
                                                                                                          Flexible, pädagogisch fundierte Einrichtungen
leicht ablenken lassen, dürfen sich gerne am Rand     nicht zu Stolperfallen werden. Befreien Sie Ihren
                                                                                                          sind nicht nur für Schüler*innen mit besonderem
des Raumes platzieren, denn sie haben mit der         Klassenraum von überzähligen Tischen, Mobiliar
                                                                                                          Förderbedarf, sondern für alle Lernenden und
Wand im Rücken weniger Kontaktmöglichkeiten.          und Materialien, die nicht benötigt werden.
                                                                                                          Lehrenden ein Gewinn. //
                                                      Defektes Mobiliar muss entfernt werden, denn
Wandgestaltung
                                                      es birgt nicht nur Gefährdungspotenzial, sondern
   Die Wände in inklusiven Klassenzimmern             dokumentiert zugleich geringe Wertschätzung.
sollten so gestaltet sein, dass sie keine unnötigen   Nicht nur für geflüchtete Schüler*innen könnte
Ablenkungen verursachen oder zu Reizüberflu-                                                                            Dr. Petra Regina Moog
                                                      es zudem wichtig sein, dass der Klassenraum
tungen führen. Zu viele fröhliche Farben, Poster,                                                                       Leitung der SOPHIA::Akademie Düs-
                                                      auch psychologisch Geborgenheit vermittelt.                       seldorf, Schulentwicklungsbegleiterin
Lehrtafeln und übervolle Regale werden auch
                                                                                                                        und Schulbauberaterin, Dozentin
Ihre konzentriertesten Schüler*innen ablenken.        Ordnung
                                                                                                                        für Begabungsförderung am CCB
Freiraum schafft hingegen eine Arbeitsatmosphä-          Ermutigen Sie Ihre Schüler*innen, Wertschät-                   Düsseldorf
re und ruft zu Füllung auf. Leere Flächen geben       zung und Verantwortung für ihre Lernumgebung                      Marayle Küpper
Raum für eigene Gedanken. Abgearbeitete               zu zeigen. Wöchentlich wechselnde Klassen-                        Lehrerin für Gestaltungstechnik
                                                      dienste, die die gemeinsam vereinbarte Ordnung                    und Deutsch, Fachleiterin Gestal-
Unterrichtsmaterialien, die nicht zur Prozessdo-
                                                                                                                        tungstechnik am ZfsL Düsseldorf,
kumentation genutzt werden, haben ein Verfalls-       und Sauberkeit erhalten, können zum Beispiel                      Moderatorin für Kooperatives Lernen
datum, an dem sie entsorgt werden. Warn- und          durch Ämterkarten erleichtert werden.                             am Green-Institut Rhein-Ruhr
14 BILDUNG

(Bildungs-)Gewerkschaften in gesellschaftlicher Verantwortung

„We are fighting for all people!“
Barbara Madeloni ist Präsidentin der Massachusetts Teachers Association (MTA),                                Denn in dem Moment, in dem sich Menschen
der 110.000 Lehrer*innen des US-Bundesstaats angehören. Auf der Konferenz                                     zusammenschließen und organisieren, habe
„Critical Theories of education today“ in Philadelphia sprach sie über gewerkschaft-                          die Veränderung bereits begonnen. Viel wich-
liche Arbeit, soziale Gerechtigkeit und den Kampf für eine bessere Gesellschaft.                              tiger sei deshalb die Frage: Wie geht eigentlich
Welche Verantwortung trägt insbesondere eine Lehrer*innengewerkschaft? Und                                    Veränderung?
wie verstehen Gewerkschafter*innen in den USA ihre Rolle angesichts aktueller                                 Die Macht der Vielen nutzen
politischer Entwicklungen?                                                                                    und demokratische Räume schaffen
   Als Barbara Madeloni mit ihrem Vortrag                    „Der Kapitalismus strukturiert                      Soziale Bedingungen könne niemand allein
„Pedagogy and Power: The essential role of tea-            unsere Schulen und diese Schulen                   bekämpfen, das sei offensichtlich, so Barbara
chers‘ Unions in movement building“ beginnt, ist          strukturieren unsere Persönlichkeit.“               Madeloni. „Aber in einer organisierten Gemein-
schnell klar, in welche Richtung es gehen würde:                                                              schaft können die einzelnen Kräfte zu einer
Ihr T-Shirt trägt die Aufschrift „Troublemaker-           Der Kapitalismus in Form von Gewinnma-              großen gebündelt werden.“ Die Gewerkschaft be-
Union“. Ein indirektes Verspechen, das eingelöst       ximierung, stetiger Flexibilisierung, Ausbeu-          zeichnet sie daher als „last line of defense“, also
werden soll. Kämpferisch erinnert die MTA-             tung und Ungerechtigkeit sei grundlegend für           als letzte Instanz, wenn es um die Verteidigung
Präsidentin einsteigend an die Grundidee aller         die herrschenden sozialen Probleme, kritisiert         von Menschenrechten geht. Es sei aber nicht nur
Gewerkschaften: Sie werden als Bewegungen              Barbara Madeloni. Und genau diesem Kapi-               die MTA, sondern es seien alle Gewerkschaften
gegründet, um die Gesellschaft zu verändern.           talismus hat die Lehrer*innengewerkschaft in           und auch etliche Nichtregierungsorganisationen,
Warum ist diese Grundidee heute wichtiger              Massachusetts den Kampf angesagt, denn auch            die diese Verteidigungslinie bilden. Letztendlich
denn je? Und wie gestalten Gewerkschaften              Schulen seien „keine kapitalismusfreien Zonen“.        sei es nicht wichtig, wo man sich organisiert,
heute Gesellschaft?                                    Die MTA-Präsidentin sieht die Gefahr, dass Schulen     sondern dass man sich organisiert. Genau aus
                                                       das eigentliche Ziel – einer Persönlichkeitsentwick-   diesem Grund dürfe eine Gewerkschaft auch
Soziale Ungleichheit und Kapitalismus                  lung zur Mündigkeit und Unabhängigkeit –               nicht nur für die eigenen Mitglieder einstehen,
im Bildungsbereich bekämpfen                           aus den Augen verlieren und sich stattdessen           meint Barbara Madeloni, denn die Idee von
   Einer Kritik der Gesellschaft, so Barbara Ma-       der Wirtschaft anbiedern. Die Folgen sind ihrer        Solidarität und Gerechtigkeit beziehe sich auf
deloni, sollte immer eine Analyse ebendieser           Meinung nach schon sichtbar: Immer häufiger            alle Menschen.
vorhergehen: „Es geht nicht um gefühlte Wahr-          finanzieren große Unternehmen beispielsweise              Die MTA-Chefin fordert die Schaffung „demo-
heiten, sondern um tatsächlich herrschende             Schulmaterialien, die die Firmenpolitik in ein         kratischer Räume, in denen es möglich ist, kritisch
Ungerechtigkeit und Ungleichheit.“ Das Gefühl,         besonders gutes Licht rücken. Es gibt auch in den      zu sein“, die Gesellschaft zu hinterfragen und
die anderen seien an allem Schuld – zum Beispiel       USA den Trend, die Schulzeit zu verkürzen, um so       wenn nötig eine Veränderung herbeizuführen.
Geflüchtete, die vermeintlich Jobs wegnehmen –,        dem Arbeitsmarkt möglichst früh zur Verfügung          Einen solchen Ort solle jede Gewerkschaft bilden.
sei kein Grund, die Gesellschaft infrage zu stellen.   zu stehen, „obwohl die Persönlichkeitsentwick-         Deshalb versucht die MTA beispielsweise die Ex-
Dagegen müsse beispielsweise die Tatsache, dass        lung doch Zeit braucht“. Auch die Maxime des           pertisen einzelner Mitglieder zu verknüpfen und
Frauen mit gleicher Qualifikation, im gleichen         lebenslangen Lernens folge mittlerweile vor            damit informelle und unabhängige Lernräume
Job, am gleichen Arbeitsplatz deutlich weniger         allem kapitalistischen Interessen und bedeute          zu schaffen. Aber auch jedes Klassenzimmer,
verdienen, „aufs härteste bekämpft werden“.            für Arbeitnehmer*innen am Ende nur, sich               jedes Jugendzentrum solle zu einem demokra-
     Als großes soziales Problem macht Barbara         lebenslang den Anforderungen von Wirtschaft            tischen Raum werden. Es sei die Aufgabe von
Madeloni eine ungerechte Steuerpolitik aus:            und Politik zu unterwerfen.                            Pädagog*innen Raum und Zeit zu schaffen, um
Gleich müsse „nicht immer fair“ bedeuten.                 Ansatzpunkte für Veränderungen gibt es also         Kritik zu üben und sich eine bessere Gesellschaft
Deshalb setzt sich die MTA für eine höhere             genug. Dennoch meint Barbara Madeloni: Die             vorzustellen: „Die Hauptaufgabe von Pädagogik
Besteuerung von Millionär*innen und Milliar-           Frage „Warum überhaupt Veränderung?“ sei für           besteht darin, zu fragen, wie wir die Welt haben
där*innen ein.                                         eine Gewerkschaft gar nicht die entscheidende.         wollen und welche Werte uns wichtig sind.“
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