Ist eZine Frag ee des E itmpfindens - Credit Suisse
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Das älteste Bankenmagazin der Welt. Seit 1895 Nummer 5 Ausgabe Schweiz / Deutsch Dezember 2011 / Januar 2012 Zeit ist eine Frage des Empfindens Schwerpunkt Beim Lesen über die Zeit bleibt die Zeit stehen / Premium Uhren, Schokolade, Schönheit, Mode, Reisen. Alles nur vom Besten / Sorgenbarometer Unentbehrlich seit über 30 Jahren / Leader Im Gespräch mit dem amerikanischen Physiker und Futurologen Michio Kaku
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2 Editorial ZeitFokus Editorial Glück ist, wenn die Zeit stillsteht Das bulletin wurde 1895 als Effektenkursblatt der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich gegründet. Vor 116 Jahren. Eine lange Zeit. Gleichzeitig aber auch eine sehr kurze, denn das älteste Bankmagazin der Welt ist immer mit der Zeit gegangen. Und dadurch jung geblieben. Den Spagat zwischen Tradition und Innovation zu schaffen, ist eine reizvolle Herausforderung. Auch in dieser Ausgabe. Sie enthält erst mals das Dossier Premium, in dem wir zeitgemässe Themen wie Mode, Schönheit, Reisen oder Uhren bulletin gemäss darstellen. Und sie beinhaltet das Sorgenbarometer, das es uns – und vielen Stützen der Schweizer Gesellschaft – erlaubt, den Puls der Zeit zu fühlen. Seit weit über 30 Jahren. Zeit, dem Sorgenbarometer wieder einmal ein neues Kleid zu schenken. Dass das bulletin alle Stürme – oder wie die Eidgenossen sagten «Die Arglist der Zeit » – überstehen konnte, verdankt es allein seinen treuen Leserinnen und Lesern. Deshalb möchten wir zum Jahresende sagen, was wir das ganze Jahr über denken: «Danke!» Allerdings geht es der bulletin Gemeinde kaum anders als dem übrigen Teil der Menschheit: Es fehlt die Zeit. Wir kennen verschiedene Reaktionen Verweilen in der Zeit Wie lange darauf. Einige wenige resignieren nach kurzem Durchblättern, andere dauert eigentlich die Gegenwart ? vertiefen sich in die Lektüre und vergessen die Zeit, viele nehmen das bulletin mehrmals in die Hand. Und immer häufiger hören wir, dass Drei Sekunden sagen manche, das bulletin gesammelt wird. Die Artikel von «Holz», « Jugend» oder denn nachher verlangt unser Gehirn «Westen» sind zeitlos aktuell. Allerdings versteckt sich manchmal die einen neuen Reiz. Doch es gibt eine oder andere Nummer in den grossen Papierbergen. Damit Sie Ihre Situationen, in denen wir die Zeit bulletin Sammlung vervollständigen können, haben wir den Talon angepasst. Sie finden auf ihm weitere interessante Lektüremöglich vergessen, in denen die Zeit keiten. Mit ein bisschen Glück auch einen Zeitmesser – von IWC. stillsteht – und im Rückblick rasant Wir schreiben, redigieren, produzieren. Und lesen zuletzt das ganze vorbeigegangen ist. Nehmen Sie bulletin noch einmal. Diesmal mit der Stoppuhr. Redaktorin Regula sich Zeit, sich mit dem Empfinden Brechbühl benötigte für den Artikel von Katrin Zeug 3 Minuten von Zeit zu beschäftigen. 15 Sekunden weniger lang als ich. Habe ich nun Zeit verloren? Oder gewonnen, weil ich mich diesem interessanten Artikel länger widmen durfte? Es ist alles eine Frage des Empfindens. Im Idealfall bleibt unsere kleine Welt innerhalb der grossen eine Weile stehen. Das nennt man Lebensqualität. Oder Glück. Und das wünschen wir Ihnen. Coverfoto: Pia Zanetti | Foto: Cédric Widmer | Baris Guerkan | zvg Andreas Schiendorfer, Chefredaktor Gold Winner Gold Winner neutral Drucksache No. 01-11-598994 www.myclimate.org © myclimate The Climate Protection Partnership Katrin Zeug Claudia Steinberg publizierte mit Anne Kunze bringt mit ihren Artikeln, bei Rowohlt das Buch unter anderem in der «Ab 18 – Was junge «Zeit », New York den Menschen wirklich machen». Europäern näher. Ihr Artikel auf Seite 4 Ihr Artikel auf Seite 20 Gold Winner
Inhalt 3 Schwerpunkt Zeit 4 Zeitempfi nden Die Verwendung von Lebenszeit ist nicht identisch mit der Suche nach dem Lebenssinn 8 Wert des Vergessens Wer nicht vergisst, kann sich kein neues Wissen aneignen 13 Wert des Verweilens Fotografi en, die zum Nachdenken und Geniessen einladen 20 Wert des Alterns Mit dem Alter muss man Frieden schliessen und die zusätzliche Zeit nutzen Wirtschaft 29 Reichtum Der Global Wealth Report gibt Aufschluss über das weltweite Privatvermögen 33 Anlagestrategie Andreas Russenberger erklärt die Bedeutung des Faktors Zeit bei Geldanlagen 34 Schwellenländer Wie reagieren die Schwellenländer in Lateinamerika und Asien auf die Krise? 36 Lebensarbeitszeit Vielleicht arbeiten wir im Jahr 2040 bis ins 73. Altersjahr. Wäre das schlimm? Credit Suisse 39 Vorbildliche Unternehmer – Preisträger im Überblick 40 Kunst im Geschäftsumfeld: Schaffhausen 41 Hier finden Sie das Credit Suisse Sorgenbarometer 42 Next Generation Network: Wo vernetzen sinnvoll ist 45 Gastkommentar: Jubiläum der Bankiervereinigung 46 CAST: Studenten begleiten das Zurich Film Festival Wirtschaftsausblick Martin Neff bewahrt seine Zuversicht. 48 Stimmungsvoll. Mitglieder des Orchestre de la Suisse 26 Romande spielen Kammermusik mitten auf der Rhone Wirtschaft Leader 60 Ewiges Leben? Der Physiker Michio Kaku befasst Weihnachten Das Schweizerische sich mit Fragen über die Zukunft der Menschheit Rote Kreuz zeigt, wie es für alle 52 Weihnachten wird. Credit Suisse kooaba. Mit kooaba Paperboy können Sie weiterführende Informationen auf Ihr Smartphone holen. Mikrofi nanz In Malawi überprüften wir die positiven Auswirkungen 57 unserer Mikrofinanz-Initiative. Credit Suisse Premium Invest l Invest Wirtschaft, Märkte und Anlagen plus plus Konjunktur Zinsen und Währungen Aktien Rohstoffe Immobilien Obligationen Der Trend zur Konjunktur- Die kurzfristigen Zinsen Die Strukturprobleme des Aktien sind attraktiv be- Die zyklischen Rohstoffe Schweizer Immobilienfonds verlangsamung hat in China bleiben in den Hauptmärk- USD sind ebenso gross wertet, aber die politischen bleiben im aktuellen weisen ein grosses Agio Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse und den USA nachgelassen, ten (inkl. Schweiz) bei null. wie jene des EUR . Wir er- Probleme in Europa und Umfeld riskant. Gold profi- auf. Solange die Zinsen in Europa sich aber ver- Die Verzinsung ist auf warten eine Seitwärtsent- die schwache globale tiert von politischen jedoch tief bleiben, emp- stärkt. Die mittelfristigen Staatsanleihen sehr unat- wicklung von EUR/USD. Konjunktur begrenzen das Unsicherheiten, tiefen fehlen wir, diese Anlagen Wachstumsaussichten traktiv, auf Unternehmens- Gegenüber dem CHF sollte Aufwärtspotenzial vorerst. Zinsen und fehlendem zu halten. bleiben verhalten. anleihen leicht besser. der EUR etwas zulegen. Gegenparteirisiko. Ivo Pitanguy Michelangelo der Chirurgen Credit Suisse Sorgenbarometer 2011 6 Sorgenbarometer Dass der griechische Staat zahlungsunfähig ist, stellt keine Überraschung mehr dar. In der Zwischenzeit hat sich aber die Wirt- schafts- und Finanzlage anderer – grösserer – Länder verschlechtert. Frankreich, aber ganz besonders Spanien und Italien geben Anlass zur Sorge. Dossier Invest Das laufende Defizit in Italien ist mit etwa 4,5% des BIP zwar geringer als in vielen Das Credit Suisse Sorgenbarometer Hublot anderen Industrieländern und der Primär- haushalt, d. h. das Defizit ohne Zinszahlungen, Jean-Claude Biver ist sogar fast ausgeglichen. Weil die Regie- rung Berlusconi jedoch Sanierungsmass- 2 nahmen verschleppt hat, haben die Finanz- märkte zunehmend das Vertrauen verloren. Die Zinsen auf den italienischen Staatsan- leihen sind weit über ein nachhaltiges Niveau Premium Märkte und Anlagen hinaus gestiegen, und es droht eine Spirale, Lindt & Sprüngli in der die Schulden wegen zunehmender zeigt auf, wo die Schweizerinnen Zinszahlungen unkontrolliert steigen. Ernst Tanner Das Vertrauen der Märkte zurückzuge- winnen ist viel schwieriger als es zu verlieren. 10 Auch entschlossene Massnahmen der neuen Regierung reichen womöglich nicht aus. Gleichzeitig sind die Mittel des europäischen Stabilitätsfonds (EFSF) zu gering, um Burberry die italienischen Anleihen zu garantieren. Es braucht schwereres Geschütz. Wer die Angela Ahrendts Mittel hat, ist klar. Es ist die Europäische Uhren, Schokolade, Mode, Informationen des Global Schweizer Sorgen und Schweizer der Schuh drückt. Zentralbank. Wie radikal Notenbanken han- 14 deln müssen, um den Markt zu überzeugen, hat die SNB jüngst vorgemacht. Avanti, Signor Draghi ! Fotos: dapd, Steffi Loos, Keystone | Udo Weitz, Keystone Travel Hongkong 16 Erkenntnis als erster Schritt zur Lösung Schönheit und Reisen. Research der Credit Suisse. Seite 41 Dr. Oliver Adler Leiter Global Economics Credit Suisse bulletin 5/11
4 Zeit uNSER ERLEBEN BESTIMMT, WIE WIR ZEIT WAHRNEHMEN Der Mensch hat die uhr erst sehr spät als ein Werkzeug dafür entdeckt, seinen Alltag zu strukturieren und zu organisieren. Niemand kommt mit der Art von Zeitempfinden, wie wir es heute kennen, auf die Welt. Wir unterhielten uns mit dem Zeitempfindungsforscher Frieder Lang darüber. Interview: Katrin Zeug Es ist Montagvormittag, zehn Uhr. Frieder Lang, Professor für Psychologie in Erlangen, hat gerade den Aufsatz einer Doktorandin zum Thema Selbstwert überarbeitet. Er sitzt in 6 Min. 25 Sek. Die Lesezeit für seinem Zimmer in der Uni, es ist hell und so still, dass diesen Artikel dauert man nur das leise Ticken der Uhr hört, die an der weissen im Durchschnitt 6 Minuten und Wand gegenüber seinem Schreibtisch hängt. Während unseres 25 Sekunden. Gesprächs wird er immer dann darauf schauen, wenn er über Minuten und Sekunden spricht, als müsse die Uhr ihn an diese kleinen Einheiten erinnern. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit einer anderen Zeit: mit der des Erlebens. Wann fühlt sich ein Moment lange an? Wie empfinden wir ablaufende Fristen, und warum vergeht die Zeit immer schneller, je älter wir werden? Mit den Minuten und Sekunden auf der Uhr hat das wenig zu tun. Trotzdem: Für das Gespräch gibt es ein Zeitfenster von genau zwei Stunden, und die Zeiger an der Wand kreisen. bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 5 Es war nicht leicht, einen Termin für dieses Gespräch zu finden. Wünschten Sie manchmal, Sie hätten mehr Zeit? Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mehr Aufgaben übernehmen, und es würde immer dasselbe herauskommen. Ich wünschte mir daher nicht mehr Zeit – aber mehr Weisheit, das Richtige zu tun und Unwichtiges zu lassen. Es ist eine Frage der Persönlichkeit, wie viel Zeit wir haben. Was können wir tun, um mehr von unserer Zeit zu haben? steht aus! Nun, bekanntlich gibt es teure Zeitmanagement-Seminare, in denen man lernen soll, seine eigenen Ziele zu formulieren und zu ordnen. Das sind in Wirklichkeit reine Motivationstrainings, die weniger mit Zeit an sich zu tun haben als mit Sinnfindung. Aber genau das verwechseln wir oft: die Verwendung von Lebenszeit mit der Suche Frieder R. Lang nach Sinn im Leben. Wenn ich Sinnhaftes tue, dann spielt das Zeiterleben keine Rolle. wurde 1962 geboren. Er studierte Psychologie an Wenn ich mich aber mit ganz viel Nebensächlichem und Unwichtigem beschäftige, der Technischen Universität dann wird mir die Zeit lang – und im Rückblick leer. Berlin und habilitierte Kann man Zeit überhaupt fassen, wenn ihr Verlauf so wenig mit 2001 an der Humboldt- Universität über unserem Empfinden zu tun hat? die Regulation sozialer Das versuchen wir, aber das ist in der Psychologie recht neu. Bisher hat die Frage, Beziehungen. was Zeit ist, in erster Linie Physiker beschäftigt. Ihre Definition basiert auf der Atom- Anschliessend lehrte physik: Elektromagnetische Wellen bestimmen die Zeit beim Übergang von einem er Entwicklungs- zum anderen Energiezustand so exakt wie nie zuvor. Und nach dieser «Atomzeit» stan- psychologie an der Martin- dardisieren wir dann Maschinen, elektronische Geräte und richten unsere gesamte Luther-Universität Halle- Moderne darauf aus. Aber das entspricht nicht unserem Erleben. Der Mensch hat die Wittenberge. Seit 2006 ist Lang Inhaber des Lehrstuhls Uhr erst sehr spät als ein Werkzeug dafür entdeckt, seinen Alltag zu strukturieren und und Leiter des Instituts zu organisieren. Niemand kommt mit der Art von Zeitempfinden, wie wir es heute für Psychogerontologie kennen, auf die Welt. an der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen. Aber der Mensch hat doch ein Zeitempfinden … Ja, aber das ist ein ganz anderes, eher chronobiologisches, das sich nach Tag-Nacht- Rhythmen und Jahreszeiten richtet. Darauf sind wir sehr sensibel eingestellt. Wir merken es, wenn wir beispielsweise auf einer Reise in eine andere Zeitzone wechseln und schon bei wenigen Stunden Differenz einen Jetlag bekommen. Dieses Zeiterleben ist weit weg von dem, was wir in Sekunden und Minuten messen. Es gibt keinen sensorischen «Zeitsinn» wie den für Hören oder Sehen. Unser heutiges Verständnis von Zeit ist ein unnatürliches Konstrukt, allein unser Erleben bestimmt, wie wir Dauer und Tempo wahrnehmen. Wo im Gehirn findet diese Wahrnehmung statt? So komplex, wie wir Zeit erleben, kann sie nur als ein Zusammenspiel verschiedener Strukturen des Gehirns erklärt werden. Die älteste davon ist das Stammhirn, wo die Zirbeldrüse sitzt und Melatonin ausgeschüttet wird. Dieses Hormon ist unter a nderem für den circadianen Rhythmus verantwortlich, der uns schlafen und wachen lässt. Aber bestimmend für unser Zeitempfinden ist beispielsweise auch, kausale Zusammenhänge zu erkennen, also Ursachen und ihre Wirkungen. Dieses Aus- werten der Vergangenheit ist überlebenswichtig und läuft über das Gedächtnis, eine Gemeinschaftsleistung vieler verschiedener Areale. Stammesgeschichtlich erst viel später kam dann die vorausschauende Zeitkognition dazu, also die Vorstellung von Zeit als Zukunft. Sie ist vor allem in der Grosshirnrinde angesiedelt, wo Hand- Illustration: Corbis Specter | Foto: Gerhard Lang lungen gesteuert, aber auch Wunscherfüllungen aufgeschoben, Pläne durchgespielt und Impulse kontrolliert werden. Kein anderes Hirnorgan ist in der jüngeren Evolution so stark gewachsen wie dieses. Ihr Kollege, der Neurologe Ernst Pöppel, sagt, die Gegenwart sei drei Sekunden lang. So lange dauere ein Schluck, ein Händedruck, ein Aufstampfen mit dem Fuss – dann frage das Gehirn nach Neuem. Wie empfinden wir einen Moment, in dem wir verweilen? > Credit Suisse bulletin 5/11
6 Zeit Die Motivationspsychologie hat gezeigt, dass Menschen, die sich etwas leidenschaftlich hingeben – also beispielsweise ein Bergsteiger, der gerade an einer Bergwand hängt – so etwas wie einen Zeitverlust erleben. Sie sind vollkommen konzentriert und im Hier und Jetzt. Dieses Phänomen nennen wir Flow-Erleben. Im Nachhinein wird der Bergsteiger das Gefühl haben, dass die Zeit schnell vergangen ist, aber währenddessen, das ist das Merkwürdige, denkt er gar nicht über die Zeit nach, sein Zeitempfinden hat sich geradezu aufgelöst. Auf der anderen Seite kennen wir dieses zähe Gefühl, wenn uns eine Aufgabe unterfordert, wie sich die Zeit endlos auszudehnen scheint – wir «Wir verwechseln sehen öfter auf die Uhr, und es ist, als würden die Zeiger dahinschleichen. Wir emp- finden Lange-Weile. oft die Verwendung Abgesehen von diesen Extremen verbringen wir viel Zeit des Tages von Lebenszeit mit Routinen. Wir stehen auf, putzen uns die Zähne, essen, gehen gewohnte mit der Suche nach Wege. Wie wirkt sich das auf unser Zeitempfinden aus? Sinn im Leben.» Routinen strukturieren den Alltag, die Woche, den Monat, vielleicht auch die Lebens- Frieder R. Lang zeit. Um herauszufinden, wie sich das auswirkt, haben wir in einer Studie Menschen ihren gestrigen Tag rekonstruieren lassen, sie gefragt, was sie vom Aufstehen bis zum Schlafengehen getan und wie sie dabei die Zeit erlebt haben. Da zeigt sich, dass Ältere den Tag relativ gleichmässig bewerten, also in jeder Episode ein gleiches, schnelleres Zeitempfinden haben. Bei jüngeren Erwachsenen gibt es dagegen einen U-förmigen Verlauf: In der Mitte des Tages vergeht die Zeit für sie langsamer, und zwar unabhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht. Haben Sie da eine Erklärung? Wir nehmen an, dass Routinen und die Strukturierung des Alltags entscheidend für das Zeitempfinden sind. Jüngere Menschen probieren noch vieles aus, auferlegte Routinen erleben sie als Zwang oder Einschränkung, als lang-weilig. Den Morgen und den Abend dagegen erleben sie zwar oft auch eingespielt, aber selbstbestimmt – das lässt die Zeit schneller vergehen. Ältere Menschen dagegen haben sich in ihrem Leben und mit den Routinen schon eingerichtet. Sie scheinen die Langeweile bei Routinen so nicht zu kennen wie Jüngere. Bleibt man also jung, wenn man Routinen vermeidet? Es könnte eine Hypothese sein, dass ältere Menschen, die sich immer wieder neue Aufgaben suchen, ihre Zeit erfüllter erleben. Die Generation der so genannten Silver Surfer, die heute 65- bis 75-Jährigen, versucht das gerade. Sie scheint beschäf- tigter zu sein als alle anderen Altersgruppen. In unserer Forschung haben wir den Eindruck gewonnen, dass sich ihr gutes Lebensgefühl aus der Abwehr der eigentlichen Erfahrungen des Alterns speist. Sie verlängern einfach die mittlere Lebensphase, nur ohne berufliche Zwänge und sagen: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Allerdings führt das offensichtlich nicht dazu, dass sie das Gefühl haben, mehr Zeit zu haben. Im Gegenteil, gerade wer so denkt, so zeigen unsere Befunde, empf indet eine beson- dere Knappheit und den Druck, die noch verbleibende Zeit richtig zu verwenden. Viele haben das Gefühl, die Zeit vergehe immer schneller, je älter sie werden. Warum ist das so? Das Einfachste wäre zu sagen, dass es mit einer Abnahme der geistigen Leistungs- f ähigkeit zu tun hat. Unser Denken wird langsamer, je älter wir sind, und wir brauchen immer länger für die gleichen Prozesse. Allerdings können wir wohl nicht direkt von unserer Geschwindigkeit auf das Empfinden der Zeit schliessen – denn auch diejenigen älteren Menschen, die leistungsf ähiger sind als jüngere, haben das Gefühl, dass ihre Zeit schneller vergeht. In unseren Untersuchungen haben wir gezeigt, dass einen da vielmehr die schleichend zunehmende Erkenntnis leitet, dass die eigene Lebens- zeit knapper wird. Die Wirkung von Fristen auf das Zeitempfinden ist dramatisch. Das Besondere am Menschen ist ja, dass er das eigene Handeln nicht nur an dem in der Vergangenheit Gelernten, sondern auch an zukünftigen Ereignissen ausrichten kann. Kein anderes Lebewesen tut dies in ähnlicher Weise. bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 7 Das ständige Betrachten der verfügbaren Zeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit kann uns krank machen. Man muss auch loslassen, die Zeit geniessen können. Was ändert sich im Angesicht einer verstreichenden Frist? Wir nehmen die Zeit beschleunigter wahr. Das ändert unsere Dringlichkeiten. Mit einer Deadline in der Arbeit beispielsweise handeln wir meist zielstrebiger und konzentrierter. Vermuten Menschen sich am Ende ihres Lebens, f ällt auf, dass sie bei vielen Entscheidungen emotionsgesteuerter sind. Sie suchen positive Gefühle, vielleicht auch schrecklich schöne wie Sehnsucht oder Wehmut. Glauben wir da- gegen, noch viel Zeit im Leben zu haben, handeln wir eher strategisch-instrumentell. Wir häufen zum Beispiel Wissen an, dessen Wert sich erst in der Zukunft zeigt – wie bei einer viele Jahre dauernden Doktorarbeit. Hat auch die Digitalisierung einen Einf luss auf unsere Zeitwahrnehmung? Ich bin mir da nicht sicher. Unsere Wahrnehmung wird schneller, weil wir sie von Kindheit an stark trainieren. Aus der Musikforschung weiss man, dass viele klassi- sche Musikstücke heute viel schneller gespielt werden als zu der Zeit, in der sie komponiert wurden. Auch der Filmschnitt ist schneller geworden. Aber die biologi- schen und neuronalen Tatsachen, die unser Gehirn ausmachen, sind immer noch die gleichen wie bei unseren Vorfahren zu Beginn der Zeitrechnung. Glauben Sie, die Geschwindigkeit, mit der heute Reize auf uns einprasseln, ist schädlich? Es gab schon immer Diskussionen, ob technische Erneuerungen gesundheitsschädlich sind, weil sie widernatürlich seien und den Takt des natürlichen Lebens stören würden – bei der ersten Dampflok etwa, die mit 35 Stundenkilometern fuhr. Jedes Mal wird geargwöhnt, dass der Mensch davon krank werden könne. Mein Ein- druck ist, dass wir bislang aber immer gelernt haben, mit neuen Produkten so umzu- gehen, dass sie für unsere Lebensqualität nützlich sind. ..... Mehr zum Thema . . . . . Haben Sie, weil Sie sich so viel damit beschäftigen, www.geronto.uni-erlangen.de www.credit-suisse.com/bulletin/zeit einen anderen Umgang mit Zeit? ......................................... Ich habe da leider kein Geheimrezept, aber ich beobachte in meinem Umfeld, dass dieses ständige Betrachten der verfügbaren Zeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit nicht optimal ist. Wir müssen auch mal unnütze Zeit verbringen, loslassen, Foto: Same Edwards, Getty um nicht krank zu werden. Können Sie das für sich, unnütze Zeit verbringen? (Lacht) Ich versuche es manchmal, aber immer wenn ich gerade ausspannen will, kommt eines meiner beiden Kinder und fragt, was wir jetzt tun könnten. Credit Suisse bulletin 5/11
8 Zeit DAS VERGESSEN ALS NOTWENDIGKEIT Der Mensch ist ein Wissenssammler. Weil sein Speicher beschränkt ist, muss der Mensch vergessen, um Erkenntnisse und Erlebnisse laufend verarbeiten zu können. Das Vergessen ist eine uralte Kulturtechnik, die insbesondere die Religionen gefördert haben. In einer Gesellschaft voller Informationen steigt die Notwendigkeit, die Techniken des Vergessens wiederzuentdecken. Text: Joël Luc Cachelin Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Es ist die Tatsache, dass unsere Realität relativ ist. Wir haben keine Triebe und Instinkte, die unser Verhalten in jeder Situation automatisch 8 Min. 52 Sek. vorschreiben. Stattdessen stellen wir Fragen an unsere Umwelt, Die Lesezeit für diesen Artikel dauert an unsere Mitmenschen und auch an uns selber. Wer bin ich, im Durchschnitt 8 Minuten 52 Sekunden. warum nimmt die Finanzkrise kein Ende und warum schnurrt die Katze auf meinem Bauch? Das Ref lektieren garantiert uns nicht nur das Überleben, es ermöglicht uns auch, die Natur immer mehr zu unseren Gunsten zu nutzen. Durch Fragen lernen wir nicht nur die Welt und gleich- zeitig unser Ich kennen. Welt- und Selbsterkenntnis lassen sich genauso wenig trennen, wie sich der Mensch aus seiner Umwelt isolieren lässt. Das Fragen erlaubt uns, als Menschheit fortzuschreiten, immer neue Technologien und Produkte zu entwickeln. Letztlich münden die Fragen in eine Steigerung des Wohlstands, wobei wir mit dem Erreichten nie zufrieden sind. Stetig überlegen wir uns, wie unser Leben noch besser sein könnte. Der Mensch ist das fragende Tier, ein Tier, das nie zu abschliessenden Antworten f indet und immer wieder neu mit dem Fragen beginnt. bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 9 Der Mensch ist ein Wissenssammler. Mit schwinden. Die moderne Hirnforschung jedem absolvierten Lebensjahr staut zeigt, dass das Gehirn vor allem jene sich mehr Wissen in unserem Inneren an. Erkenntnisse langfristig speichert, die das Durch die eingesammelten Wissensbau- Bewusstsein mit seinen Emotionen ver- steine konstruiert sich das Ich seine Welt.knüpft. So weiss die Braut ein Leben lang, Man könnte so weit gehen und sagen, wo sie geheiratet hat und wie das Wetter dass die Welt nur im Kopf kino des einzig- an ihrem Hochzeitstag war. Der Bräu- artigen Individuums existiert. Alles ande- tigam wird nie vergessen, wie er wenige re gehört zu den Kulissen und Requisiten. Monate vor dem Bund fürs Leben Der Beginn der Wissenssammlung liegt momentelang in einen Mann verliebt war. im frühsten Kindesalter, wenn wir Dagegen werden sich beide nicht mit Hilfe von Mama und Papa die ersten mehr an die Namen oder die Gesichter al- Worte lernen. ler Kinder erinnern, die mit ihnen Mit den gelernten Worten formulie- im Kindergarten waren. Diese Beschrän- ren wir Sätze und können dadurch gegen- kung auf das Nötigste ist kein Miss- über den Mitmenschen unsere Bedürf nisse geschick, sondern vielmehr zwingend, soll zum Ausdruck bringen. Auf der Schul- in der Fülle der Eindrücke der Überblick bank findet die Wissensreise ihren Fort- behalten werden. Das Gehirn ist trotz gang, wo der noch fast wissensleere seiner unglaublichen Eigenschaften be- Mensch zuerst das Alphabet und dann das schränkt. In seinem Innern gibt es zirka Joël Luc Cachelin hat an der Universität St. Gallen Einmaleins lernt. Es folgt die Grundaus- 85 Milliarden Neuronen, die aneinander- studiert und zur Zukunft des bildung in der Mathematik, den Sprachen, gereiht eine Strecke von rund 5,8 Millio- Managements promoviert. der Geografie, der Geschichte, der Bio- nen Kilometer ergeben, was wiederum 2009 hat er zum Analysieren, Visualisieren und logie. Nach und nach lernt der Mensch die dem 145-fachen Erdumfang entspricht. Optimieren von wissensinten- Welt zu verstehen. Er lernt die gesell- Die Beschränkung des Gehirns ver- siven Unternehmen schaftlichen Gesetze und Regeln kennen weist auf den zwingenden Zusammenhang die Wissensfabrik gegründet. und wie er sich innerhalb dieser zu ver- zwischen Erinnern und Vergessen. Es ist Er publiziert regelmässig, halten hat. weniger ein Nichtvergessendürfen als nächstes Jahr erscheint Nach der Schule werben sich die vielmehr ein Vergessenmüssen. Damit sich «Die Kraft des Vergessens – einen in einer Lehre praktisches Wissen der Mensch erinnern kann, muss er ab Über die Notwendigkeit an, während sich die anderen in den und an seinen Speicher leeren, sonst ist da und die gleichzeitige Unmöglichkeit einer Hörsälen der Wissenschaft einfinden, um kein Platz, um Neues aufzunehmen. vergessenen Kulturtechnik sich noch mehr theoretisches Wissen Die meisten Gedanken werden erst gar am Rande der Digitalität». anzueignen. Das ist nicht das Ende des nicht abgespeichert und das Rechen- wissensfabrik.ch Wissenserwerbs, längst hat sich die Nach- zentrum muss in Sekundenbruchteilen Buchvorbestellungen an richt auf dem ganzen Planeten verbreitet, entscheiden, was relevant ist. Es ist wie cachelin@ wissensfabrik.ch dass das Lernen eine lebenslängliche in einer Bibliothek: Wenn die Bibliothe- Beschäftigung ist, will man auch in Zu- karinnen nicht regelmässig die nicht kunft mit den Anforderungen der mehr benötigten Bücher ausmisten, platzt Wissensgesellschaft mithalten können. die Bibliothek in wenigen Jahren aus allen Nähten. Das Beispiel zeigt, dass nicht Der menschliche Wissensspeicher automatisch die ältesten Bücher aussortiert Erkenntnisse werden in unserem Gehirn werden. Im Gegenteil: Über die Zeit gespeichert. Das Gehirn ist ein Wissens- h inweg kristallisieren sich Klassiker her- reservoir, in dem neben dem praktischen aus, die in keiner Bibliothek fehlen dürfen. Illustration: Corbis Specter | Foto: Anja Schori und dem theoretischen auch sämtliche Diese sind dann so wichtig, dass spätere alltäglichen Erkenntnisse abg espeichert Bücher auf diese Werke Bezug nehmen. werden. Nicht alle Erfahrungen ver- Nicht anders ist es in unserem Gehirn. Es bleiben in diesem Speicher. Gewisse Ein- sind ein paar emotionsverknüpfte Schlüs- sichten sind so kurz lebig, dass sie, kaum selgedanken, die das Ich ausmachen. Diese als Gedanken entstanden, schon wieder im Ich-Klassiker nennen die Wissenschaften schwarzen Loch des Nichtwissens ver- dann «Identität». Was nicht in Bezug zu > Credit Suisse bulletin 5/11
10 Zeit Die Verwandlung von Nichtwissen in Wissen ist die Grundlage von sozialem und ökonomischem Fortschritt. Das Wissen ist die wichtigste Ressource aller Organisationen. Folgerichtig rückt die Aneignung und Speicherung von Wissen in den Mittelpunkt der Wissenschaft. ihr gesetzt werden kann, wird gar nicht wie eine Reinigung der Seele, wie ein wahrgenommen oder verpufft zum Zeit- gnädiges Leeren des Erinnerungsspeichers. punkt der Verarbeitung. So gesehen ist der Die Vergebung ist eine Erlösung Mensch nicht nur ein Wissenssammler, er auf Erden, die dem Ich die Last des Seins ist auch ein Meister des Vergessens. nimmt. Durch das Beten steht den Gläubi- gen eine weitere Technik des Vergessens Vergessen durch religiöse Rituale zur Verfügung. Im Gebet widmen wir uns Besondere Bedeutung hat das Vergessen unserem intimen Ich, seinen Sorgen und in der Religion erlangt. Das Religiöse Ängsten. Wir bitten um eine neue Stelle, unterstützt das Ich im Prozess der Kon- um eine neue Liebe, um Segen für unsere zentration auf das Wesentliche. Die Tech- Liebsten, um Hilfe für unsere Eltern, um niken des Vergessens unterscheiden sich die Rückkehr der Grosseltern in die Arme zwar von Religion zu Religion, zielen Gottes. Wir bitten Gott, die Last von aber doch immer auf dasselbe: auf das uns zu nehmen, und erlangen Gelassenheit Loslassen von unliebsamen Erinnerungen. für unsere Zukunft. In der christlichen Religion sucht der Die Religionen geben zudem Aus- Sündige den Pfarrer auf, der in der blick auf das langfristige, auf das finale Illustration: Sascha Tittmann Beichte die Sünde von ihm nimmt. Dem Vergessen. Es ist das Vergessen, das den Reuigen wird verziehen, seine Sünden Speicher des Ichs komplett leeren wird werden durch Gott von ihm genommen. und das Ich für ein Leben nach dem Das fühlt sich wie eine Befreiung an, Dasein vorbereitet. Das Ich wird geräumt bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 11 und neu programmiert. Dieses Vergessen endliches und mit Mängeln behaftetes zeigt sich im Christentum in der Vor- Wesen ist. Um dieser Beschränktheit auch stellung eines unendlichen, paradiesischen in seinem Erinnerungsspeicher gerecht Reich Gottes. Im Leben nach dem Tod zu werden, hat er die Fähigkeit des be- wird das Ich endgültig erlöst und erhält wussten Vergessens. Dabei geht es immer ein unendliches Leben, das ausschliesslich darum, durch das Vergessen von Gedan- aus seinen positiven Erinnerungswelten ken, Erkenntnissen und Erinnerungen besteht. Noch konsequenter wird das Platz für das Neue zu schaffen. Selbstvergessen im Buddhismus prakti- Das Ich ist wie ein Zimmer, dessen «Der Mensch ist ziert. Hier ist die komplette Leerung des Fenster man nach einer unruhigen Nacht nicht nur ein Wissensspeichers schon auf der Erde öffnet. Lüftet man das Zimmer nicht, das Ziel. Das Ich meditiert, lässt alles los wird die Luft immer schlechter und das Wissenssammler, und strebt danach, keinen einzigen Ge- Dasein unangenehmer. Es fehlt an Sauer- er ist auch danken mehr in sich zu tragen. Die Gläu- stoff und frischem Wind. Wie bei den ein Meister des bigen streben nach dem Nirwana, in dem religiösen Vergessenstechniken zielt auch es nichts mehr, nur noch das Nichts gibt. dieses weltliche Vergessen letztlich auf die Vergessens.» Joël Luc Cachelin Dann ist das Ich frei, frei von der Erlösung des Ichs, auf die Erlösung von Welt, aber auch frei von sich selbst. Dieser Zweifel, Unglück und Trauer. Diese Be- Zustand beschreibt nichts anderes als das freiung fühlt sich wie ein Strecken vollkommene Vergessen. Das Ich löst sich der Gegenwart an. Es sind nicht mehr die aus seiner Welt heraus und vergisst nicht Erinnerungen an eine missratene Ver- nur seine Sorgen, sondern auch seine gangenheit oder die Ängste um die Zu- Freunde und Feinde, seine Vergangenheit kunft, die im Vordergrund stehen. Im und seine Zukunft. Gegenteil: Das Ich gibt sich ganz seiner Gegenwart hin. Es lacht und tanzt, es Kultivierung des Vergessens kocht und singt, es segelt und diskutiert. Der Mensch hat gelernt, sich mit der Die irdischen Techniken des Vergessens Beschränktheit seiner Erinnerungen und umfassen das Fantasieren, die Reise, der Beschränktheit seines Wesens zu ar- den Rausch und das Löschen. Im Fanta- rangieren. Er ist sich bewusst, dass er ein sieren wandelt das Ich in einfallsreichen, > DIE VIER TECHNIKEN DES VERGESSENS Unsere Multioptionsgesellschaft ist gleichzeitig eine Multiwissens gesellschaft. Die sich aufgrund der Digitalität pausenlos mehrenden Möglichkeiten führen zu einer Verwirrung des Ichs. Verliert aber die Aussenwelt des Ichs an Stabilität, so wird auch seine Innenwelt instabil. Das macht das Ich anfällig für jede Form der Verführung, die Eindeutigkeit und Sicherheit verspricht. Zudem besteht die virulente Gefahr des Verzweifelns. Vier Techniken des Vergessens leisten einen Beitrag zur Reduktion der Welt und Selbstkomplexität: das Fantasieren, der Rausch, das Reisen und das Löschen. Mehr dazu unter www.creditsuisse.com/bulletin Credit Suisse bulletin 5/11
12 Zeit fantastischen Gedankenwelten. Durch Anfrage bei Google, jede Bestellung Filme, Bücher und Erzählungen lässt es in der Mediathek, jeden Besuch im digita- sich treiben und inspirieren. Das Ich len Reisebüro. Sie registriert aber sieht sich aus neuen Perspektiven und lässt auch das Anschauen eines unanständigen das Alltags-Ich hinter sich. Ähnlich wir- Videos oder den Beitrag in einem poli- ken die Reise und der Rausch. Auch hier tischen Forum. distanziert sich das Ich für eine vorher Das Internet nimmt das Ich gefangen bestimmte Zeit von sich selbst und gibt und lässt es nicht mehr los. Im Entstehen sich ganz dem Moment hin. dieser Erinnerungsmaschine verwachsen Mit Hilfe der Vergessenstechniken die Realität und die Virtualität, die Ver- kultivieren wir jenes Ich, das in den gangenheit und die Zukunft, der Mensch Zwängen der Gewohnheit und Normen und die Maschine. Es wird deutlich, dass keinen Platz hat. Wer in den Urlaub f ährt das Vergessen mehr denn je seine Berechti- oder mit Freunden eine Flasche Wein gung erhält. Gerade in einer digitalen trinkt, vergisst, was ihn sonst quält und Wissensgesellschaft lebt der Mensch nur drängt. Man gibt sich dann ganz dem dann unbekümmert in seiner Gegenwart, Augenblick hin, ohne sich vom Vorher wenn er sich regelmässig der Techniken oder vom Nachher derangieren zu lassen. des Vergessens bedient. Das Fantasieren, Schliesslich kann das Ich versuchen das Reisen, der Rausch und das Löschen seine Erinnerungen zu löschen, indem es erlösen das Ich von seinen Sorgen und verdrängt, Dinge wegwirft oder Dateien Zweifeln, von den Fragen, die den Genuss löscht. Dieses bewusste Löschen ist des Augenblicks unmöglich machen. schwierig, weil in unserem Erinnerungs- Vergisst das Ich zu vergessen, droht es in speicher doch immer Reste an die un- der Unendlichkeit seines Wissens verloren angenehme Vergangenheit übrigbleiben. zu gehen oder aber in seiner Hilflosigkeit Erfolgsversprechender scheint es, darauf als Maschinenmensch zu enden. zu vertrauen, dass der natürliche Ver- gessensprozess in Form des Alters nach und nach die überschüssigen Erinnerun- gen von uns nimmt. Entstehen der Erinnerungsmaschine Dieses Nachdenken über das Vergessen findet in einer Zeit statt, in der wir Tag für Tag an einer gigantischen Erinne- rungsmaschine basteln. Die Rede ist vom Internet, in dessen Netz wir alles speichern, was Tag für Tag an Dokumen- tation über uns anf ällt: unsere Fotos, unseren elektronischen Briefverkehr, unsere Ferienvideos und alle Dateien, die im Berufsleben stündlich entstehen. Das Internet wird mehr und mehr zu einem symmetrischen Spiegel der Realität. Es ist das Gehirn der gesamten Menschheit oder, anders betrachtet, das Zuhause der Menschen der nächsten Generation. Weil das Internet aber eine Maschine ist, vergisst sie nicht. Sie speichert nicht nur, was wir in den digitalen Raum bewusst hochladen, sondern erinnert sich vielmehr an jeden unserer Klicks, jede bulletin 5/11 Credit Suisse
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Geburt Leben Tod
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20 Zeit DAS ALTER IST NICHTS ANDERES ALS EIN NEuER TAG Von Japan bis Mexiko, von Europa bis Brasilien – die Weltbevölke- rung altert rapide, doch für die meisten Planer ist die Zukunft ewig jung. Das Age Lab am Massachusetts Institute of Technology entwickelt dagegen Visionen für einen Planeten, auf dem Hundertjährige ein aktives, erfülltes Leben führen. Text: Claudia Steinberg Schon so häufig ist die 23-jährige Angelina Gennis in das Kostüm der um rund 50 Jahre älteren Agnes geschlüpft, dass ihr 7Min. 35 Sek. die Zeitreise in die Gebrechlichkeit innerhalb weniger Die Lesezeit für Minuten gelingt. diesen Artikel dauert im Durchschnitt Für ihre Verwandlung in eine betagte Dame braucht 7 Minuten 35 Sekunden. die Studentin der Wirtschaftswissenschaft und Weltpolitik jedoch weder Perücke noch Schminke, vielmehr auferlegt sie sich mit engen Schaumstoffmanschetten um Hals, Knie und Ellbogen sowie zähen elastischen Bändern an Hand- und Fussg elenken freiwillig die Bewegungsbeschränkungen einer von etlichen degenerativen Krankheiten gezeichneten Frau. Handschuhe imitieren die Ungeschicklichkeit schlecht durch- bluteter Extremitäten, und an Taille und Sturzhelm befestigte Gurte zwingen Agnes in eine gekrümmte Position. bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 21 Bei einem Spaziergang durch das verregnete Cambridge f ällt es ihr schwer, ihren Schirm gegen den Wind zu verteidigen und dabei den Zebrastreifen schnell genug zu überqueren. Nur mit offensichtlicher Anstrengung gelingt es der gebeugten Greisin mit dem jugendlichen Gesicht unter den neugierigen Seitenblicken von Passanten, den Treppenaufgang zu einem der imposanten Tempel auf dem Campus des Massa- chusetts Institute of Technology hochzusteigen. Doch im Supermarkt, wo sich Agnes mit grosser Anstrengung nach Waren in den oberen Regalen reckt, ist sie dem Management längst bekannt – schon oft hat die vermeintliche Seniorin Vertreter der Lebensmittel- und Verpackungsbranchen durch die Gänge geführt, um ihnen die Unzugänglichkeit vieler Produkte zu demonstrieren. Oder die Abgesandten durften den von Ergonomen, Psychologen und Sportphysio- logen entwickelten Zwangsanzug am eigenen Leib erleben, um mehr Mitgefühl für ältere Menschen aufzubringen. Unsere erhöhte Lebenserwartung bedeutet eine radikale demografische Veränderung – und eine immense Chance Agnes steht für Age Gain Now Empathy System und repräsentiert eines der Grund- konzepte des MIT Age Labs, das 1999 von Professor Joseph Coughlin mit dem Ziel gegründet wurde, Designern, Wissenschaftlern und Politikern ein besseres Verständnis des Alters zu vermitteln und sie zur Entwicklung innovativer Technologien und Joseph Coughlin Strategien zu motivieren. Agnes kann Auto- ebenso wie Schuhherstellern zum Design ist Gründer und Direktor des Age Lab am Massachu- von Modellen verhelfen, die auch für ältere Generationen funktionieren. setts Institute of Technology Zu viele Unternehmen in den USA , in Japan und Europa haben sich dem Age- MIT in Cambridge. Lab-Direktor zufolge auf ein nie versiegendes Reservoir jugendlicher Konsumenten Das Age Lab, ursprünglich verlassen – und sehen sich jetzt mit 85-Jährigen als dem am schnellsten wachsenden Technology for Healthy Bevölkerungsanteil konfrontiert. Mit seinem interdisziplinären Team von Ingenieuren, Aging Laboratory, ist das Psychologen, Soziologen und Geriatern will Coughlin das so genannte Langlebig- erste interdisziplinäre keitsparadox lösen: « Wir leben durchschnittlich 30 Jahre länger als vor 100 Jahren, Forschungsprogramm mit dem Ziel, das Verhalten aber wir denken nicht darüber nach, was wir mit dieser zusätzlichen Zeit anfangen der über 45-jährigen sollen. Die Verlängerung unserer Lebensspanne ist die grösste Errungenschaft der Bevölkerung besser zu Menschheit, aber wir sehen sie in erster Linie unter dem Aspekt einer demog rafischen verstehen und mit tech- Krise anstatt als Chance. » nischen Innovationen die Lebensqualität der älteren Tatsächlich sind die Zahlen über den Zeitzuwachs, den medizinische, techno- Erwachsenen und ihrer logische und soziale Faktoren den jüngeren Generationen bescheren, erstaunlich: Familien zu verbessern. Die Hälfte aller seit dem Beginn des dritten Jahrtausends geborenen Menschen darf damit rechnen, 100 zu werden. Doch nur eine verschwindende Minderheit von Städteplanern entwirft altersfreundliche Metropolen, und nur wenige Architekten machen sich Gedanken über Häuser, die fragileren Individuen in ihrem Alltag assistie- ren könnten. Zwar widmen sich zahlreiche Biologen der Untersuchung von Alters- prozessen auf zellulärer Ebene, doch nur wenige Mediziner gehen in die Geriatrie. « Ärzte ziehen es vor, Kinder zu behandeln und deren Lebensqualität für die nächsten 80 Jahre zu verbessern – das Alter wird dagegen unweigerlich mit Beeinträchtigung assoziiert », erklärt Coughlin. Er sieht es hingegen nicht als eine Anhäufung von Schmerzen und Verlusten, sondern einfach als « mehr Zeit ». Onkologen kämpfen oft um viel kleinere Zeitspannen für ihre Patienten, doch « sie haben den Vorteil », so Coughlin, « dass wir dem Krebs und einigen anderen Krankheiten den Krieg erklärt haben ». Mit dem Alter dagegen muss man Frieden schliessen. Noch nie gab es so lebenstüchtige, vielseitig gebildete und fordernde Rentner wie heute Dazu sind die jüngsten Alten der ersten Welt nicht unbedingt bereit. Die geburten- starke Nachkriegsgeneration, die jetzt ins Rentenalter tritt, bildet eine noch nie > Credit Suisse bulletin 5/11
22 Zeit Die 23-jährige Studentin Angelina Gennis verwandelt sich für Age Lab regelmässig in die 50 Jahre ältere Agnes (Agnes steht für Age Gain Now Empathy System), um Probleme im Alltag aufzuzeigen und damit technische Innovationen auszulösen. «Wir sehen die dagewesene Art der Bejahrten – « Sie sind mit schnelleren Autos, besserer Technologie und mehr Frieden als irgendjemand vor ihnen aufgewachsen », sagt Coughlin. Verlängerung unserer Es handelt sich um die am besten ausgebildeten und effizientesten Pensionäre in Lebensspanne in der Menschheitsgeschichte und um die anspruchsvollsten Bürger aller Zeiten, die erster Linie als auch in einer Rezession davon ausgehen, « dass ihnen ein Produkt, ein Service oder eine staatliche Massnahme eine höhere Lebensqualität garantieren, als sie ihre Eltern demografische Krise im gleichen Alter genossen ». Diese Erwartungshaltung ist für Coughlin der ausschlag- anstatt als Chance.» gebende Faktor – « wir müssen an eine bessere Zukunft glauben », meint er. Zugleich Joseph Coughlin stehen die neuen Rentner völlig unerforschten Problemen gegenüber, beispielsweise haben sie weniger Kinder als frühere Generationen, die sich um sie kümmern werden. Die Nachkommen dieser Babyboomer finden sich dank der hohen Scheidungsraten und Wiederverheiratungen der letzten Jahrzehnte immer öfter in der bizarren Situation, mehr Eltern als Kinder zu haben. « Da stellen sich ganz neue Loyalitätsfragen », kommentiert Coughlin das ausgefranste soziale Gewebe. Vorbilder gibt es für diese zeitgenössische Rentnergeneration keine, aber für Coughlin ist klar, dass der Ruhestand im bislang üblichen Alter weder für ihn in Frage kommt noch gesellschaftlich tragbar ist. « Wir orientieren uns noch immer an Verhält- nissen des 18. Jahrhunderts, aber ein Lebensplan, bei dem man 40 Jahre arbeitet und 50 Jahre nichts tut, ist beispielsweise für Leute, die ihren Unterhalt am Computer verdienen, unhaltbar. » Tatsächlich war es die Antwort einer 119-jährigen Frau auf die Frage eines Reporters, warum sie noch am Leben hänge, die Coughlin zur Gründung des Age Lab animierte: « Ich bin gesund und habe zu tun. » So untersucht sein Institut, wie Leute verschiedenen Alters neue Dinge lernen, denn in Zukunft werden wir mit 40 oder 50 nochmals studieren müssen, um für weitere 20 Jahre wettbewerbsf ähig zu bleiben. Der ungeheure Technologievorsprung, Fotos: Sigrid Rothe den ältere Menschen an Teenagern beneiden, wird Letzteren später wenig nutzen, denn das Tempo neuer Erfindungen eskaliert dermassen, dass es immer schwieriger wird mitzuhalten. « Meine 18-jährige Tochter ‹simmst› unentwegt und mit grösster bulletin 5/11 Credit Suisse
Zeit 23 Geschwindigkeit. Meine Achtjährige betrachtet ihre ältere Schwester längst als Technofossil – sie bedient ihr Smartphone nur mit gesprochenen Kommandos », sagt Coughlin. Das Alter ist nichts anderes als ein neuer Tag, das Leben morgen Umso erstaunlicher war es für die Age-Lab-Forscher, dass ältere Personen allen Vorurteilen zum Trotz grosses Interesse an der Beherrschung aktueller Technologien auf bringen. Sie mögen der Elektronik nicht so selbstverständlich vertrauen wie junge Leute, doch insbesondere Frauen über 60 sind bereit, Zeit in das Erlernen von digitalen Navigationssystemen zu investieren – unter der Voraussetzung, dass sie einen handfesten Wert für sich und ihre Familie im Erwerb dieser Fertigkeiten erkennen. « Sich in die Geheimnisse eines schlecht konzipierten Videorecorders einzuarbeiten, nur um einen Film zu sehen, den man ohnehin schon kennt, ist die Mühe nicht wert », sagt Coughlin. Wenn es aber um einen Bereich geht, der so untrennbar mit Lebensqualität und Unabhängigkeit verbunden ist wie das Auto, ist die Lernwilligkeit dennoch beträchtlich. Dabei ist das Auto das komplexeste und schwierigste Umfeld unseres Alltags, ein Instrument, das Brian Reimer zufolge auch den Wahrnehmungsapparat und das Urteilsvermögen junger Fahrer überfordert. Für das Age Lab entwickelte der MIT- Forscher in Kollaboration mit Ford ein mit Kameras und Sensoren ausgestattetes Fahrzeug mit dem Spitznamen « Miss Daisy », das physiologische Faktoren wie Herz- frequenz, Steuerkontrolle, Augenbewegungen und Mobilität beobachtet. Doch das Auto hat in den letzten Jahren nicht nur Tausende von Daten über das Fahrverhalten von Senioren gesammelt, sondern es hilft ihnen auch bei der Kompensation körper- licher Behinderungen. So kann Miss Daisy ohne jede Berührung des Steuerrads perfekt rückwärts einparken, ein Talent, das nicht nur Senioren mit steifem Nacken, sondern natürlich auch jüngeren Fahrern zugutekommen kann. Doch es ist die ältere Generation, die über die Mittel verfügt und die Ambition hat, ein Hightechfahrzeug zu kaufen – vorausgesetzt, es besitzt auch « Highstyle ». ..... Mehr zum Thema ..... Denn eines darf es unter keinen Umständen sein: ein Auto für alte Leute. « Das kauft Zeit, Demografie und Lebens- weder ein junger noch ein alter Mensch », weiss Coughlin. Deshalb ist es auch so qualität im Alter finden Sie unter wichtig, jungen Automobildesignern Agnes vorzustellen, damit sie die von ihr gelern- http://agelab.mit.edu ten Lektionen berücksichtigen können – für alle. (mit dem Blog Disruptive Demographics) sowie unter www.credit-suisse.com/bulletin/zeit. Es gibt kein schlechtes Design für alte Menschen – ............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nur schlechtes Design kooaba Paperboy Von Miss Daisy erhielten die Age-Lab-Forscher auch die unerwartete und höchst macht das bulletin interaktiv. ............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bedeutsame Information, dass das Alter an sich nur in geringem Masse für mangel- haftes Fahrverhalten verantwortlich sei. « Es sind Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und Arthrose, die sich negativ auswirken », meint Reimer. Krankheiten, die auch Agnes unsicher machen, wenn sie hinter dem Steuer sitzt, die ihr die Konzen- tration rauben und ihre Beweglichkeit reduzieren. « Mir ist klar geworden, dass sich alte Leute viel weniger beklagen, als man annehmen sollte, sie nehmen so viele chronische Leiden einfach still hin – die Schmerzen folgen ihnen wie ein Schatten », sagt Angelina. Das Navigieren in einer Welt, die ohne Gedanken an alte Mitmenschen gestaltet wurde, empfindet sie als ungemein erschöpfend – « es ist ein wirklicher Kampf ». Ihre häufige Transformation in eine alte Dame hat ihr Bewusstsein für gesunde Ernährung und regelmässiges Fitnesstraining erhöht, und trotz ihres winzigen Budgets als Studentin hat sie einen Pensionsplan erstellt. Die wichtigste Einsicht, die sie Agnes und dem Age Lab verdankt, ist jedoch, « dass ältere Menschen keine anderen Wesen, sondern wir selbst zu einem späteren Zeitpunkt sind. Wenn man ihnen Aufmerk sam- keit schenkt, lernt man sehr viel darüber, wie man glücklicher sein kann. » Credit Suisse bulletin 5/11
LES AMIS DU DEr WhItE tUrf fASzInIErt UnS jEDES jAhr AUfS nEUE. Die Credit Suisse engagiert sich seit über 20 jahren für dieses spektakuläre Pferderennen. Hochkarätiger Pferderennsport in einer einzigartigen Landschaft ist das Markenzeichen des White Turf. Ausnahmesportler jagen Rekorde auf dem zugefrorenen St. Moritzer See und begeistern Tausende von Zuschauern. Die Credit Suisse freut sich, den White Turf auch dieses Jahr zu unterstützen. credit-suisse.com/sponsoring
Premium Ivo Pitanguy Michelangelo der Chirurgen 6 Hublot Jean-Claude Biver 2 Lindt & Sprüngli Ernst Tanner 10 Burberry Angela Ahrendts 14 Reisen Hongkong 16
BERLIN www. joop.com
Premium 2 Von Uhren und Käse JEAN- BEIRV CLAuDE
Foto: Muster Mustermann | Muster Mustermann Foto: isifa, Getty Images 3 Premium
Premium 4 gedachte Szenerie erübrigt sich. « Mein Pass Text: Andreas Schiendorfer liegt bei den Chinesen auf der Botschaft. Für mein Visum», lacht Biver. « Seit wir mit S elbstverständlich dürfen Sie Hublot vor anderthalb Jahren in den chine- mich vor dem Miststock sischen Markt eingetreten sind, fiege ich fotografieren. Das ist authen- einmal pro Monat zu − potenziellen − Kun- tisch. Wir sind auf einem den nach China. Und einmal pro Monat Bauernhof », zerstreut Jean- empfange ich chinesische Geschäftstouris- Claude Biver sämtliche Zweifel. « Wie ten auf La Poneyre und bewirte sie mit wunderbar das riecht! » Aus dem genau eigenem Käse und eigenem Wein. Die gleichen Grund hat er zuvor entschieden, Chinesen stehen auf Luxus. Und sie stehen nicht mit einer Heugabel in der Hand auf starke Marken. Sie kaufen nichts, was zu posieren oder in einem Bauernhemd. sie nicht kennen. » Dass sich eine solche « Nein, das wäre nicht ich. Ich liebe diesen Sonderbehandlung bezahlt macht, sieht Bauernhof, doch gerade darum überlasse « Mein Käse ist man in den schon länger intensiv betreuten unser bester ich die Arbeit meinem Pächterehepaar. Märkten Brasilien und Mexiko. Meine Hände taugen zu nichts. » « Luxus ist ein emotionales Geschäft. Ein paar wenige Tage nur sind wir zu spät. Bei der Alpabfahrt im September Botschafter. » Luxus verlangt nach Nähe zum Kunden. Und ich bin gewissermassen der Enzo lässt er es sich nämlich nicht nehmen, die Ferrari von Hublot », erklärt Biver lachend. Jean-Claude Biver 16 Kilometer an der Spitze seiner Herde Immer wieder. Mitreissend. Meist unter- zurückzulegen. Und das geht nur in der streicht er seine Botschaft, indem er mit Sennentracht! Immerhin zeichnet er uns seinen Fäusten auf den Tisch klopft. Das dieses farbenprächtige, glockenläutende ist bei unserem kurzen Fotoshooting auf Bild mit einer Anekdote. « Bei meiner dem Bauernhof nicht möglich. Doch Jean- allerersten Désalpe de La Neuvaz trabte ich Claude Biver, der eine gute Stunde später in bequemen Jeans und im Pullover an. zum Nachtessen mit Hublot-Sammlern Deshalb wollte mich der Senn partout nach Bremen fiegt, versteht es ausgezeich- nach hinten zu den Touristen schicken. net, die Zeit zum Stillstand zu bringen. Zum Glück hatte er in seiner Alphütte noch Für Momente existiert nur der Moment. eine zweite Hose samt Hemd, Gilet Der Bauernhof lebt, eine feine Poesie und Hut. Die Tracht passte mir zwar nicht liegt in der Luft. « Mann hört den Hahn optimal und war auch nicht mehr ganz krähen, hört das Pferd wiehern. Und ist zu sauber, aber sie war eben doch passend. Hause. Das ist wahrer Luxus. » Als Kind be- Ich schätze und respektiere die Traditionen suchte er regelmässig seine Grosseltern auf meiner Heimat. » ihrem Bauernhof im Burgund. Deshalb Und provoziert damit die nächste lebt in Jean-Claude Biver seit eh und je ein Neugierde, fernab der vorbereiteten Fragen: Bauer, seit 1975 ist er aber ein Uhren-Bauer « Sind Sie nun Schweizer oder nicht? » « Ja, im doppelten Wortsinne. natürlich, seit ein paar Wochen. Da ich Das passt. Waren es nicht die im seit meinem zehnten Altersjahr in der Winter beschäftigungslosen jurassischen Schweiz lebe, musste ich keine kniffigen Bauern, die sich der Uhrmacherkunst zu- Fragen beantworten, sondern konnte mit wandten? Mit Fingerfertigkeit und Geduld? dem Bürgermeister ein Glas Wein trinken », « In der Schweiz haben Technologie und meint der Bürger von La Tour-de-Peilz Luxus immer etwas Bodenständiges. » lachend. « Ich bin stolz darauf, nun Luxem- Seinen hauptberufichen Werdegang ver- burger und auch Schweizer zu sein. Und dankt Biver übrigens ebenfalls seiner motiviert, im Ausland auch meiner neuen Kindheit. Und seiner sportlichen Seite, die Heimat als guter Botschafter zu dienen. » man bei ihm nicht unbedingt mehr ver- Ob das wohl zu kitschig wirken wür- muten würde: Der einsame Läufer in den de? Biver mit seinem Schweizer Pass in der einsamen Weiten des Vallée de Joux be- Hand vor seinem Bauernhof ? Die laut an- gegnete einem Seelenverwandten − Jacques
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