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Denkmalpflege in Niederösterreich

                                                                                                                                 Mühlen
                                                                Band 64 – Mühlen
Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5 /2021
Österreichische Post AG
MZ02Z032683M
Amt der NÖ Landesregierung
Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten

                                                                                                                       Band 64

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Mühlen
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Vorwort

Mit der 64. Ausgabe der Broschüre „Denkmalpflege in Niederösterreich“ tauchen wir in
die Welt der Mühlen ein. Geht man an Flüssen und Bächen entlang, wird man nur noch
wenige Mühlen finden, deren Räder sich drehen. Das Klappern ist verstummt, der Bach
abgeleitet. Wo in der Mahlstube früher der mächtige Mahlstein sich drehte, wo Gesellen
Korn hinein- und Mehl hinaustrugen, finden sich heute oftmals nur noch Relikte
des einst blühenden Mühlenwesens. Es ist an der Zeit, mit dem vorliegenden Band
die Mühlen, als eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit und bedeutendes
Kulturgut, wieder ins Bewusstsein zu rufen und aufzuzeigen, dass sie als Bauwerke für
eines der ältesten Gewerbe besonders schützens- und erhaltenswert sind.

Seit 2.000 Jahren haben die Mühlen in unserem Land mit Hilfe von Wasserkraft oder
Windkraft Getreide gemahlen und so zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Entwicklung beigetragen. Durch die Einführung neuer Maschinen und Antriebskräfte
verloren im 20. Jahrhundert viele alte Mühlen ihre Bestimmung. Sie wurden stillgelegt,
die Gebäude verfielen oder wurden anderweitig genutzt. Heute sind es nicht mehr
romantisch anmutende Wassermühlen, sondern industrielle Großmühlen mit
computergesteuerten Anlagen, die unser Getreide mahlen.

Die Erhaltung traditioneller Mühlen bedeutet für die Denkmalpflege eine besondere
Herausforderung. Einerseits gilt es, Mühlen im Idealfall als funktionsfähiges technisches
Denkmal zu bewahren, oder andererseits mit Schaumühlen die Geschichte und das
traditionelle Handwerk der MüllerInnen lebendig zu halten. Im Bewusstsein um die
Besonderheit des Mühlenhandwerks soll dieses in nächster Zeit für die nationale Liste
des immateriellen Kulturerbes der UNESCO vorgeschlagen werden. Denn sowohl die
Gebäude als auch das Handwerk sind wichtige Träger kultureller Identität.

Und so möchte ich alle Leserinnen und Leser mit dem alten Müllergruß „Glück
zu“ einladen, sich auf die spannende Spurensuche nach den Mühlen und dem
MüllerInnenhandwerk in Niederösterreich zu begeben!

Johanna Mikl-Leitner
Landeshauptfrau von Niederösterreich
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Editorial

         Das Arbeitsprinzip von Mühlen ist eine Schlüsseltechnologie in der Entwicklung der menschlichen
         Gesellschaften. Die technische Fähigkeit, das harte Getreidekorn durch Zermahlen in ein jederzeit
         genießbares, aber dennoch lagerfähiges Grundnahrungsmittel zu verwandeln, bedeutete eine große
         Unabhängigkeit des Nahrungsangebotes von knappen jahreszeitlichen Ressourcen und deren
         kurzfristiger Verfügbarkeit im Jahreslauf.

         Vitruv, Chronist und römischer Baumeister, beschreibt in seinem Werk „De architectura libri
         decem“ die logistische Meisterleistung der Umwandlung und Kraftumlenkung der vertikalen
         Drehbewegung der Wassermühlen in eine horizontale Mahl-Bewegung mittels Winkelgetriebe.
Mühlen

         Die Wassermühle gilt als das bedeutendste Erbe der Antike.

         In Mitteleuropa können wir auf die 2.000 Jahre bestehende Kontinuität einer die Wasserkraft
         nutzenden Technologie blicken: als Getreidemühlen, Hammerwerke, Brettersägen bis zu
         Hebemaschinen. In Niederösterreich sind uns über 3.000 Mühlenstandorte bekannt.
         Etwa die Hälfte davon ist in ihrem Ursprung als zumindest spätmittelalterlich einzustufen.
         In windbegünstigten Lagen, wie der hügeligen Landschaft des Weinviertels, sind seit dem
         16. Jahrhundert auch Windmühlen bekundet.

         Die letzte Gutachtersitzung zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO hat sich nicht
         von ungefähr mit der Aufnahme des traditionellen Mühlenwesens in die Liste der historisch
         bedeutenden Kulturtechniken befasst.

         In diesem Sinne: Christian Knechtl
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Mühlen

Gerold Eßer                                            Mella Waldstein
   Mühlen. Eine Denkmalkategorie der                      Glück zu!                                        44
   Kulturlandschaft des ländlichen Raumes          6
                                                       Otto Schöffl
Dimitri Egorov                                            Österreichische Gesellschaft der Mühlenfreunde
   Typologien der niederösterreichischen                  Herkunft und Zukunft                             47
   Wassermühlen                                   12
                                                       Restaurierbeispiel
Torsten Rüdinger
    Wasser, Wind und Motorenkraft: die                 Julia Katschnig
    Entwicklung der Antriebstechnik in Mühlen     16       Die Hofmühle in Hollabrunn
                                                           Bewegte Vergangenheit – lebendige Zukunft       48
Gerhard A. Stadler
   Mühlen – Sägen – Schmieden – Stampfen          19   Blick über die Grenzen
                                                       Denkmalpflege International
Johann Wagner
    Zur Entwicklung der Getreidemühlen-Maschinen 23    Marie Rosenfeld Cohen
                                                         Die Wassermühle in Slup
Therese Bergmann                                         Nationales Technikdenkmal des
   Windmühlen im Weinviertel                      26     Technischen Museums in Brünn                      50

Sabine Bergauer                                        Aktuelles aus der Denkmalpflege
   Schiffmühlen: im Strom                         29   in Niederösterreich                                 54

Nora Siegmeth, Alexander Stagl, Michaela Binder        Buchempfehlungen                                    58
   Zur archäoglogischen Untersuchung
   der ehemaligen Wassermühle Michelstetten       32   Überblick Mühlenmuseen und
                                                       Museen in Mühlen in Niederösterreich                60
Richard Dieckmann
   Mühlen – zum Schutz der Technischen                 Literaturhinweise                                   62
   Denkmale in Niederösterreich                   35

Wolfgang Galler
   Die Müllerzünfte am Beispiel der
   Rußbachmüller in Ulrichskirchen                39

Ralph Andraschek-Holzer
   Ansichten niederösterreichischer Mühlen        41
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Mühlen. Eine Denkmalkategorie der
              Kulturlandschaft des ländlichen Raumes

Gerold Eßer                 Zur Kulturgeschichte der Mühlen                      Getreidemühlen. Bereits in der Antike ging es aber
                            Das Arbeitsprinzip der Mühlen gehört zu den          keineswegs nur um die Nutzbarmachung unter-
                            Schlüsseltechnologien in der Entwicklung der         schiedlicher Antriebsenergien (Mensch, Tier, Was-
                            menschlichen Gesellschaften weltweit. Die Fähig-     serkraft) und die Verfeinerung der technischen
                            keit, Getreide durch Zermahlen in einen Zustand      Anlagen des Mahlprozesses. Weitere Anwendungs-
                            zu versetzen, der uns Menschen dessen Nutzung        fälle wurden erdacht, in denen natürliche Ener-
                            als lagerfähiges Grundnahrungsmittel ermöglicht,     giequellen effizienzsteigernd in Fertigungsprozes-
                            brachte eine größere Unabhängigkeit von einem bis    sen eingesetzt werden konnten. So ist etwa aus dem
                            dahin fast ausschließlich von natürlichen Ressour-   antiken Hierapolis eine wasserbetriebene Steinsäge
                            cen und deren saisonaler Verfügbarkeit bestimmten    des 3. Jahrhunderts – in Form einer Zeichnung
                            Nahrungsangebot.                                     – nachgewiesen. Diese Sägemühle gilt als erste
                                   Die Geschichte der Mühlen beginnt weit        bekannte Maschine, bei der eine Drehbewegung
                            vor unserer Zeitrechnung und die technische Wei-     – jene des Wasserades – mit Hilfe einer Kurbel-
                            terentwicklung der Getreidemühlen begleitet den      welle und einer Pleuelstange in eine lineare Bewe-
                            Menschen seither in seinen wesentlichen Entwick-     gung umgesetzt wurde. Mit den Römern kam die
                            lungsschritten. Antike wasserbetriebene Mahlmüh-     Kenntnis von mit Wasserkraft betriebenen Produk-
Mühle in der Land-          len sind uns aus China, Mesopotamien, Ägypten        tionsmaschinen in den Raum nördlich der Alpen,
schaft: Zwettl, Uttissen-   und Persien bekannt. Auch die Römer verfügten        wo diese seit dem Frühmittelalter den Landesaus-
bachmühle mit Säge          über mit unterschiedlichen Antrieben ausgestattete   bau anfeuerten.

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Technische Fortschritte im Hochmittelalter, die      in die horizontale Drehbewegung eines Mahlstei-
                        eine immer effizientere Nutzung der Wasser-          nes umgesetzt wird, erfolgt in verschiedenen ande-
                        kraft zur Folge hatten, werden wegen ihrer mit der   ren Anwendungen durch Einsatz einer Kurbel die
                        Transformation der Gesellschaften und Gemein-        Transformation in linear oszillierende Bewegungen,
                        wesen verbundenen Folgen von Historikern als         wie etwa das oben genannte Beispiel der Steinsäge
                        eine im Spätmittelalter vorweg genommene indus-      zeigt. In unseren Breiten konnten auf diese Weise
                        trielle Revolution bezeichnet. Im Kern ging es       etwa Brettersägen, Lohstampfen, Loden- und
                        dabei um die technische Übersetzung verschiede-      Lederwalken sowie Papier-, Schleif- und Pulver-
                        ner der Wasser-, aber auch der Windkraft inhä-       mühlen betrieben werden. Eine ebenfalls verbrei-
                        renter Energieformen in eine steuerbare und          tete Form der Anwendung dieser Energiewandler
                        damit nutzbare mechanische Bewegung. Wäh-            waren die Hammerwerke, lokal auch Eisenhämmer
Eine Säge in ihrem      rend etwa bei der mitteleuropäischen Getreide-       oder Schmiedemühlen genannt, bei denen große
landschaftlichen        mahlmühle die Drehbewegung einer horizon-            Schmiedehämmer über an der Hauptwelle befes-
Umfeld: Sägemühle in    tal liegenden Welle eines stehenden Wasserrades      tigte Nocken angehoben wurden und die kine-
Yspertal, Otto Elsner   durch zwei Winkelzahnräder um 90 Grad umge-          tische Energie des herabfallenden Hammers zur
1939                    lenkt und mittels einer zweiten, stehenden Welle     Umformung genutzt wurde.
                                                                                    Die etymologische Betrachtung der Begriffe
                                                                             „Mühle“ und „mahlen“ ist dabei interessant: Das
                                                                             Verb „mahlen“ ist ein Erbwort aus der indogermani-
                                                                             schen Sprachwurzel *[s]mel mit der Bedeutung „zer-
                                                                             reiben, zermalmen, mahlen“. Auch „Mühle“ kommt
                                                                             ursprünglich aus dieser Wurzel, wurde aber über das
                                                                             romanische (spätlateinische) Nomen molina (Was-
                                                                             ser-Mühle) als Lehnwort ins Germanische rücküber-
                                                                             nommen. Es bezeichnet eine Einrichtung zur „was-
                                                                             serkraftbetriebenen“ Zerkleinerung von Gütern und
                                                                             verdrängt nach der Einführung der Wassermüh-
                                                                             len in Mitteleuropa durch die Römer das germa-
                                                                             nische Wort für Hand-Mühle (mittelhochdeutsch
                                                                             kürn). „Mühlen“ konnten in unseren Breiten histo-
                                                                             risch nicht nur etwa „mahlen“, sondern bezeichne-
                                                                             ten sehr bald schon gewerbliche Einrichtungen zur
                                                                             wasser- und auch windkraftunterstützten Zerkleine-
                                                                             rung von Materialien. Daher wurden und werden zu
                                                                             den Mühlen im allgemeinen Sprachgebrauch nicht
                                                                             nur Getreide- oder Mahlmühlen, sondern eben auch
                                                                             Säge-, Papier-, Walk-, Schleif- und Pulvermühlen
                                                                             gezählt.
                                                                                    Es waren folglich die fast überall zur Ver-
                                                                             fügung stehenden Energieressourcen Wasser und
                                                                             Wind, die überall im Land kleine, spezialisierte
                                                                             Handwerksbetriebe entstehen ließen, ihrerseits
                                                                             Ausdruck einer fortschreitenden Diversifizierung
                                                                             der Berufe. Mühlen sicherten also nicht nur die
                                                                             Versorgung der Menschen mit Brot, sondern waren

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Ein vielseitiger Betrieb
im voralpinen Raum:
Gutenstein, Säge, Ham-
mer und Lohstampfe
innerhalb der Klaus,
Leopold Kupelwieser
1822

                           überall auch Motoren der Transformation rein          der zusehends spürbaren Wasserknappheit an den
                           agrarisch organisierter Gesellschaften hin zu bür-    Bächen und kleineren Flüssen alternative Energie-
                           gerlichen Gesellschaftsformen arbeitsteiligen Wirt-   quellen für die Mehlproduktion zu erschließen.
                           schaftens in den Siedlungszentren. So erscheint es           Doch auch in der Epoche der Industriel-
                           wenig verwunderlich, dass Mühlen jeder Art und        len Revolution spielten Mühlen eine wichtige
                           Arbeitsweise als dezentrale Kraftmaschinen über-      Rolle. Gerade die Getreidemühlen führen uns ein-
                           all dort errichtet wurden, wo das Angebot von         drücklich ihre Wandlungsfähigkeit von agrari-
                           Energie und Rohstoffen und die Nachfrage nach         schen Handwerksbetrieben zu industriell ausge-
                           Gütern des täglichen Gebrauchs gewinnbringend         bauten Wirtschaftsbetrieben vor Augen. Im Zuge
                           zur Deckung gebracht werden konnten. Müh-             der Umstellung der Produktionsprozesse von der
                           len – und in Niederösterreich sprechen wir bis ins    Flach- zur Hochmüllerei entstanden die sogenann-
                           18. Jahrhundert in erster Linie von Wassermühlen      ten Kunst- oder Industriemühlen, die sich auch
                           – wurden nach und nach und schließlich in gro-        baulich ganz wesentlich von den älteren Mühlen-
                           ßer Zahl überall dort an den Wasserläufen errich-     typen unterscheiden: Nicht nur machte man sich
                           tet, wo die verfügbare Energiemenge den wirt-         im fortschreitenden 19. und beginnenden 20. Jahr-
                           schaftlichen Betrieb ermöglichte. Im 18. und 19.      hundert neue Antriebsenergien zu Nutze. Der von
                           Jahrhundert gesellten sich zu den Wassermühlen        jeher mit der Schwerkraft arbeitende Prozess der
                           auch die Windmühlen und an der Donau wurden           Reinigung, Vermahlung, Klassierung und Abfül-
                           schwimmende Produktionsstätten zur Getreidever-       lung der Produkte wurde nun weiter optimiert in
                           mahlung, die Schiffsmühlen, errichtet, um wegen       mehrere Geschoße hohen kubischen Baukörpern

                           8
untergebracht, deren innere Struktur großer offe-     Abhängigkeit zur Form des Geländes und der zur
                          ner Arbeitsebenen eine flexible und anpassungsfä-     Verfügung stehenden Energiemenge aus Wasser-
                          hige Organisation der Arbeitsschritte erlaubte.       kraft stehen dürfte. Während an einem sanft dahin-
                                                                                fließenden Fluss wie der Pulkau jeder der hier
                          Der historische Mühlenbestand im Überblick            nachweisbaren Mühlenstandorte über eine Ein-
                          Die Kenntnis des Mühlenbestandes in Niederöster-      zugsfläche des Wasserlaufs – inkl. Zuflüssen – von
                          reich ist regional äußerst unterschiedlich. Während   im Mittel ca. 10,3 km2 verfügen konnte, benötigen
                          zu einzelnen Flüssen – besonders im Wald- und         die historischen Mühlen des östlichen Alpenrandes
                          Weinviertel – flächendeckende Untersuchungen          zwischen Wien und dem Schneeberg mit seinem
                          vorliegen, fehlen im Landesteil südlich der Donau     deutlich steileren Gelände und den höheren Nie-
                          – mit Ausnahme des Gebiets am Fuße des Schnee-        derschlagsmengen gerade einmal ein mittleres Ein-
                          bergs – entsprechende Aufnahmen weitgehend.           zugsgebiet von 3,3 km2. Durch Extrapolierung der
                                 Den auf den bestehenden Untersuchungen         Ergebnisse der genannten Untersuchungen wird
                          fußenden Erhebungen des Autors zufolge dürfte         erkennbar, dass die Mühlendichte im Most-, Wald-
                          Niederösterreich über insgesamt zwischen 3.000        und Industrieviertel mit 5,3–5,6 km2 Einzugsge-
                          und 3.500 historische Mühlenstandorte an Wasser-      biet je Mühle in etwa gleich hoch liegt, während
                          läufen aufweisen. Etwa 95% der Standorte dürften      sie im flacheren Weinviertel im gesamten Zeitraum
                          heute noch über erhaltene Mühlenbauwerke lokali-      mit etwa 8,0 etwas niedriger ist. In Zahlen ausge-
                          sierbar sein. Etwa die Hälfte ist in ihrem Ursprung   drückt dürften im Weinviertel insgesamt etwa 580,
                          als zumindest spätmittelalterlich einzustufen. Es     im Industrieviertel 745, im Waldviertel 875 und
                          scheint dabei nicht weiter verwunderlich, dass die    im Mostviertel etwa 1.050 historische Mühlen­
                          Mühlendichte pro Flächeneinheit in einer gewissen     standorte an Wasserläufen nachweisbar sein.

Ein klassisches Mühlen-
ensemble: Waidhofen
an der Ybbs, Mühle
und Mühlgang,
Hugo ­Darnaut 1882

                          9
Österreichs, finden sich fast ausschließlich Getrei-
                                                                                demühlen. Dementsprechend gehören einige der
                                                                                mit vier oder sogar acht Mahlgängen ausgestatte-
                                                                                ten Weinviertler Mühlen auch zu den größten des
                                                                                Landes und die Anzahl der jüngeren, bereits indus-
                                                                                triell produzierenden Kunstmühlen ist hier beson-
                                                                                ders hoch.

                                                                                Kulturlandschaft der Mühlen
                                                                                Die historischen Mühlen sind wegen ihrer großen
                                                                                Anzahl, ihrer Verteilung in der Fläche und ihrer
                                                                                meist gut sichtbaren, solitären Stellung entlang der
                                                                                das Land durchziehenden Wasserläufe auch heute
                                                                                noch omnipräsent. Im Landschaftszusammenhang
Mühlenlandschaft:      In den waldigen Gebirgsgegenden des Alpenrau-            vermitteln ihre oft massigen, ausdrucksstarken
Altenmarkt im Thale,   mes finden sich vergleichsweise bescheidene Pro-         Baukörper gemeinsam mit den für den Mühlen-
die Feldmühle mit      duktionsstandorte: Charakteristisch sind hier die        betrieb notwendigen Wohn- und Nebengebäuden
dem ehemaligen Lauf    Kleinbetriebe der Waldbauern, die in vielen Fällen       in besonderer Weise historische Kontinuität. Wei-
des Unterwassers und   Mahlmühlen und Brettersägen an einem Betriebs-           ters vermitteln auch und gerade die ehemals wirt-
Lindenallee            standort kombinierten. Erst im Zuge der Erschlie-        schaftlich genutzten Freiflächen und betriebli-
                       ßung der bis dahin schwer zugänglichen Gebirgstä-        chen Anlagen im Umfeld der Gebäude wesentliche
                       ler durch bessere Straßen wurden in dieser Region        Erkenntnisse über funktionale Zusammenhänge.
                       nach 1800 viele Getreidemühlen nach und nach             Das weitere Umfeld einbeziehende wasserbauli-
                       aufgegeben und die Standorte als reine Säge-             che Einrichtungen, etwa Mühlbäche, Mühlteiche,
                       werke weitergeführt. In den Gebirgsgegenden des          Mühlgänge, Wehre, Fluter und Entlastungsgerinne,
                       Mostviertels wird diese Situation in der Region          erklären erst, wie die Wasserkraft im Mühlenbe-
                       Eisenstraße noch ergänzt um eine im Viertels-Ver-        trieb nutzbar gemacht werden konnte.
                       gleich deutlich höhere Anzahl an Hammerwerken,                  Als ein Erfordernis unserer Zeit erscheint
                       die der Verarbeitung des Eisenerzes zu Halbzeugen,       daher die ganzheitliche Betrachtung der kultu-
                       Werkzeugen und sonstigen Gebrauchsgegenstän-             rell bedeutsamen Gebäude und Betriebsanlagen
                       den aus Eisen und Stahl dienten. Für den Mühlen-         im Zusammenhang mit dem bewirtschafteten
                       bestand des Waldviertels sei stellvertretend die Situ-   Umfeld und den oft auch ökologisch wertvollen
                       ation des Kamp und seiner Nebenflüsse dargestellt:       Naturräumen. Denn es ist die Einheit aus Funk-
                       Bei insgesamt 308 nachgewiesenen Standorten ent-         tion, Gestalt, historischer Bedeutung und Natur,
                       fallen hier auf 100 Standorte im Mittel knapp 90         die den Wert der Kulturlandschaft erfahrbar
                       Getreidemühlen mit – je nach Betriebsgröße –             macht. In intakten kulturlandschaftlichen Ein-
                       ein bis vier Mahlgängen. Weiterhin kann zusätz-          heiten stehen Denkmale im Einklang mit ihrer
                       lich mit etwa 65 Brettersägen, 11 Hammerwerken,          Umgebung. Sie vermitteln die ästhetische Emp-
                       einer Papiermühle und einer Lohmühle gerech-             findung eines sinnvollen, erfüllenden Gesamtzu-
                       net werden. Fünf Standorte wurden ab der ersten          sammenhangs von Gesellschaft und Natur. Denk-
                       Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Betrieben der loka-       male in der Kulturlandschaft sind Erholungs- und
                       len Stromproduktion umgerüstet. Die Aufstellung          Lebensräume, fördern die Volksgesundheit und
                       zeigt anschaulich, dass viele Standorte im Laufe         generieren Einkommen, als extensiv oder nicht
                       ihrer Geschichte mehreren Produktionszwecken             bewirtschaftete Naturräume sind sie wichtige Fak-
                       dienten. Im Weinviertel dagegen, der Kornkammer          toren für das Ökosystem.

                       10
Der Mühlenbestand heute                               der Unterschutzstellungen umfasst explizit auch die
                        Die Veränderungen der Zeit haben die komple-          Mühlenmaschinen sowie auch die wasserbaulichen
                        xen räumlich-kulturellen Zusammenhänge mas-           Einrichtungen im Umfeld. Erhaltungsvorgaben
                        siv gestört. Um die Gefahr von Überschwemmun-         für das landschaftliche Umfeld der Objekte sind
                        gen einzudämmen, wurden Flüsse bereits seit dem       im Denkmalschutz allerdings nicht enthalten. Nur
                        19. Jahrhundert reguliert – mit der Folge gesenk-     wenige Mühlen wurden als Anlagen unter Denk-
                        ter Grundwasserspiegel und heute schmerzlich feh-     malschutz gestellt, ein Status, der einen gewissen
                        lender Feuchtwiesen und Überflutungsflächen.          Schutz auch der Freiflächen bei denkmalgeschütz-
                        Starke Konzentrationsprozesse in der Produktion       ten Mühlen zur Folge hätte.
                        und ein stetig fallender Mehlpreis hatten in der             Die Anzahl der auf Grund ihrer kultu-
                        zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Verlust       rellen, regionalgeschichtlichen Bedeutung und
                        der wirtschaftlichen Nutzung vieler Mühlen zur        ihres authentisch überlieferten Erhaltungszustan-
                        Folge, während die Wohnnutzung vielfach fortbe-       des erhaltenswerten und daher schutzwürdigen
                        stand. Wasserrechte wurden in der Folge zurück-       Objekte muss insgesamt allerdings als weit höher
                        gegeben, Mühlbäche aufgelassen oder gar zuge-         beziffert werden. Genaue Zahlen könnten im Zuge
                        schüttet, sodass viele Objekte heute wegen ihrer      einer flächenhaften Erfassung etwa als Teil eines
                        isolierten Lage fernab der Wasserläufe in ihrem       Kulturkatasters erhoben werden. Dieser müsste
                        Landschaftszusammenhang nur noch schwer les-          auch eine Erfassung der wasserbaulichen Anla-
                        bar sind. Die Zahl der unbeeinträchtigt erhaltenen    gen sowie der Naturflächen und Landschaftsele-
                        Objekte in ihrem gewachsenen Umfeld ist heute         mente umgreifen. Die Technische Universität Wien
                        sehr gering, sodass sich die Frage nach Möglichkei-   hat am Beispiel der Inventarisierung der Müh-
                        ten des Schutzes dringender denn je stellt.           len an der Zaya einen Vorschlag für eine standardi-
                                                                              sierte Erfassung geliefert. Es zeigt sich am Beispiel
                        Denkmalschutz                                         der hier vorgestellten Denkmalkategorie, wie sehr
                        In Niederösterreich genießen 73 Mühlen gesetz-        ein Umgebungsschutz für Denkmale in der natio­
                        lichen Schutzstatus, 50 weitere werden als Kan-       nalen Gesetzgebung fehlt. Auch wäre im gegebe-
Wilfersdorf, denkmal-   didaten für eine Denkmalschutzprüfung geführt.        nen Fall die Verbindung des Denkmalschutzes mit
geschützte Häring-      Von diesen 123 Objekten dienten 96 Wassermüh-         einem Schutzstatus für den Landschaftszusammen-
mühle, bedrängt durch   len und zwei Windmühlen der Getreidevermah-           hang wünschenswert.
die Zufahrtsrampe der   lung, 21 sind oder waren Hammerwerke, drei
Bundesstraße            Sägemühlen und eine Lohstampfmühle. Ein Teil          Blick in die Zukunft
                                                                              Im Falle der Mühlen als einer Denkmalkatego-
                                                                              rie des ländlichen Raumes zeigt sich das große
                                                                              Potenzial einer ganzheitlichen Betrachtung bau-
                                                                              kultureller Objekte gemeinsam mit der durch die
                                                                              menschliche Wirtschaftstätigkeit geformten Kul-
                                                                              turlandschaft. Die Erkenntnis könnte im besten
                                                                              Fall in einem erweiterten und auch rechtlich abge-
                                                                              sicherten Denkmalbegriff münden, der Denkmale
                                                                              und Objekte der Baukultur, Kulturlandschaft und
                                                                              Naturräume als letztlich untrennbar miteinander
                                                                              verwobene Einheiten umgreift.

                        11
Typologien der niederösterreichischen Wassermühlen

Dimitri Egorov        Niederösterreichs wasserbetriebene Getreidemüh-        länglichen Grundriss erkennen. Sie stehen in der
                      len haben ihren Ursprung im Mittelalter. Leider        Regel solitär am Rande oder weiter außerhalb einer
                      sind keine von diesen urkundlich erwähnten Bau-        Siedlung, mit ihrer Längsseite parallel zum Fluss
                      werken vollständig erhalten geblieben – die ältesten   und verfügen über eine traufenseitige Radstube
                      Gebäude, die ihre ursprüngliche Integrität zum Teil    sowie weitere kleinere Anbauten, die sich meis-
                      bewahrt haben, stammen aus dem 16. Jahrhun-            tens an den Giebelseiten befinden. Der Haupttrakt
                      dert. Veränderungen der Nachfrage, Katastrophen,       beinhaltet dabei größtenteils sowohl den Mühlen-
                      Besitzerwechsel, regionale Faktoren sowie tech-        stock als auch Wohnräume für den ansässigen Mül-
                      nologische Anpassungen hinterließen gewachsene         ler. Die größeren Varianten dieses Typs verfügen
                      Baustrukturen mit vielen historischen Schichten,       über einen eigenständigen Wohnflügel, der an den
                      deren typologische Einordnung sich oft als schwie-     Mühlentrakt angegliedert ist und sich diesem bau-
                      rig erweist. Dennoch ist es möglich, einige grund-     lich unterordnet.
                      legende Bautypologien festzulegen.                            Aufgrund der freistehenden Lage werden
                                                                             diese recht hohen Bauwerke zu prägenden bau-
                      Schopfwalmdach-Mühlen (16. –17. Jahrhundert)           lichen Elementen der Umgebung. Ihre reprä-
                      Dieser vorindustrielle Typ der Getreidemühlen          sentative Rolle wird durch Fassaden in der For-
                      aus dem 16. –17. Jahrhundert ist überall in Nie-       mensprache der Renaissance unterstrichen. Diese
                      derösterreich in seinen verschiedenen Abwandlun-       sind vertikal von annähernd quadratischen Fens-
                      gen zu finden. Mühlen dieses Typs verfügen meis-       tern sowohl an der Giebel- als auch an der Trau-
                      tens über drei bis vier Mahlgänge und lassen sich      fenseite gegliedert. Die zum Teil nicht verglasten
                      an einem charakteristischen steilen Schopfwalm-        Fensteröffnungen verfügen oft über Holzlä-
                      dach über einem zweistöckigen Bau mit einem            den und werden durch Faschen sowie profilierte

Mühle des Salmhofes
in Marchegg

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Brauneismühle in
Roggendorf

                   Fensterverdachungen und Sohlbänke hervorge-           errichteten kombinierten Getreide- und Sägemüh-
                   hoben. An der Längsseite findet man häufig zwei       len des Wald- und Industrieviertels bis hin zu der
                   übereinander positionierte Eingänge, die sowohl       außergewöhnlichen Doppelanlage der Salmhof-
                   zum Erd- als auch zum Obergeschoß der Mühle           Mühle in Marchegg.
                   führen. Das obere Portal wird außen mit einer
                   symmetrischen zweiflügeligen Treppe erschlossen.      Satteldachmühlen (16. –17. Jahrhundert)
                   Ebenfalls findet man bei den meisten Vertretern       Die Mühlen dieses Typs sind in Niederösterreich
                   des Schopfwalmdach-Typs Ecksteinquaderungen           ebenfalls stark verbreitet. Sie haben zwei Stock-
                   – zum Teil nur an der Schauseite – sowie Giebel-      werke und ein steiles Satteldach, das oft zwei wei-
                   und Traufengesimse. Die im Renaissance-Stil aus-      tere Arbeitsböden beinhaltet. Beide Geschoße
                   gestalteten Rauchfänge ergänzen das stimmige Aus-     verfügen über einen Eingang, wobei das untere
                   sehen dieser Bauwerke.                                Geschoß oft abgesenkt ist. Im Gegensatz zu den
                          Das steile Schopfwalmdach bietet diesem        Schopfwalmdach-Mühlen haben diese Bau-
                   Mühlentyp einige Vorteile: Es kombiniert die bes-     ten keine weitere Aufgabe neben dem Getreide-
                   sere Ausnutzbarkeit eines Satteldachs mit der Sta-    vermahlen, das üblicherweise von zwei Mahlgän-
                   bilität und dem erhöhten Witterungsschutz eines       gen im Flachmahlverfahren erledigt wurde. Aus
                   Walmdachs. So können die Dachböden der Müh-           diesem Grund werden die Mühlhäuser mithilfe
                   len in zwei Ebenen gegliedert und giebelseitig        von Anbauten mit anderen Funktionen ergänzt.
                   belichtet werden. Hier findet man eine große Vari-    Auf diese Weise entstehen größere Ensembles mit
                   ation unterschiedlicher Lösungen – von kleinen        diversen Trakten und auch einzeln stehenden Bau-
                   runden oder quadratischen Luken bis hin zu Fens-      werken. Der annähernd quadratische Grundriss
                   tern in gleicher Ausführung wie beim Rest des         der Mühlen erlaubt dabei sowohl ihre flexible Posi-
                   Gebäudes.                                             tionierung entlang der Gewässer als auch vielfältige
                          Die Schopfwalmdach-Mühlen waren in             Erweiterungsmöglichkeiten.
                   allen Teilen Niederösterreichs verbreitet. Aus die-         Die reduzierte Gestaltung der Satteldach-
                   sem Grund findet man verschiedene Ausformun-          Mühlen unterstreicht den Charakter dieser ano-
                   gen dieses Bautyps: Von den zum Teil aus Holz         nymen Zweckarchitektur. Ihre Fassaden werden

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durch eine regelmäßige Anordnung von kleinen          tangieren. Umso bemerkenswerter ist die ortho-
                     Fenstern gegliedert. Die Fenster werden gar nicht     gonale Position der Bauwerke zur Zufahrtsstraße.
                     oder ggf. nur mit Putzfaschen hervorgehoben.          Nur so kann die barocke Giebelfront in ihrer vol-
                     Bemerkenswert ist die große Bandbreite der Gie-       len Pracht präsentiert werden.
                     belluken dieser Bauwerke. Die Vielfalt von For-              Im Inneren sind die zweistöckigen Bau-
                     men und Anordnungen der Öffnungen verleiht            werke in zwei Bereiche geteilt. Straßenseitig liegt
                     diesen Mühlen eine gewisse Individualität. Weitere    der Wohntrakt; auf der gegenüberliegenden Seite
                     Gestaltungselemente sind ebenfalls eher individuell   des länglichen Baukörpers ist der Mühlstock situ-
                     und stammen meistens nicht aus der Entstehungs-       iert. Der traufenseitige Eingang erschließt beide
                     zeit dieser Bauten.                                   Trakte. Ein hohes Mansardsatteldach – eine Errun-
                            Die einfache Bauform sowie der frühe Ver-      genschaft des Barock – bietet weitere Zimmer
                     lust der ursprünglichen Funktion ergaben bei vie-     oberhalb des Wohntrakts sowie zwei zusätzliche
                     len Mühlen dieses Typs zahlreiche Umnutzungen,        Arbeitsböden für den Mühltrakt. Bei kleineren
                     Adaptierungen und Umbauten, die diese Bauwerke        Mühlen ersetzt das einfache Satteldach die barocke
                     zum Teil bis zur Unkenntlichkeit veränderten.         Konstruktion. Weitere Nutzräume befinden sich in
                     Daher wäre es besonders wichtig, die letzten unver-   Anbauten oder in frei stehenden Baukörpern der
                     sehrten Vertreter der Satteldach-Mühlen für nach-     Anlage.
                     folgende Generationen zu sichern.                            Das prägendste Merkmal des Stockerauer
                                                                           Mühlenstils ist die aufwendige Gestaltung der Bau-
                     Mühlen des Stockerauer Mühlenstils                    werke. Bemerkenswert sind dabei ihre reichlich
                     (Ende 17. –18. Jahrhundert)                           verzierten Giebelwände an der Straßenfront, die
                     Die vorindustrielle Mühlenbaukunst Niederöster-       den Wohlstand ihrer Besitzer effektvoll zur Schau
                     reichs erreicht ihren Höhepunkt im Barock. Wäh-       stellen. Die Fassaden der Mühlen erhalten ihre ver-
                     rend dieser Epoche entsteht eine prunkvolle Wei-      tikale Gliederung mithilfe regelmäßig angeord-
                     terentwicklung des Schopfwalmdach-Typs – die          neter, doppelflügeliger Holzkastenfenster, wobei
                     Mühlen des Stockerauer Mühlenstils. Ihre Lage         sie im Wohn- und im Mühltrakt oft unterschied-
                     in Bezug auf den Mühlbach ist freier im Vergleich     liche Formate aufweisen. Kordon-, Traufen- und
Teufelhartmühle in   zu den Renaissance-Mühlen. Die Baukörper kön-         Giebelgesimse sorgen für die horizontale Untertei-
Oberolberndorf       nen diesen sowohl giebel- als auch traufenseitig      lung. Die beachtliche Individualität einzelner Bau-
                                                                           ten wird durch den großen Katalog barocker Ver-
                                                                           zierungen erreicht. Die bindenden Elemente sind
                                                                           dabei die geschwungenen Giebel, die oft mit Volu-
                                                                           ten, Ochsenaugen, Pinienzapfen und anderem
                                                                           Dekor verziert werden.
                                                                                  Die meisten dieser herrschaftlichen Bau-
                                                                           ten befinden sich außerhalb von Ortschaften. Ihre
                                                                           Gestaltung begünstigt allerdings die Eingliede-
                                                                           rung der Mühlen in ein Straßengefüge. Daher fin-
                                                                           det man ebenfalls Objekte, die erfolgreich in Dorf-
                                                                           oder Stadtstrukturen integriert sind.

                                                                           Barocke Walmdachmühlen (18. –19. Jahrhundert)
                                                                           Die ersten Mühlen dieses Bautyps entstanden im
                                                                           18. Jahrhundert, wobei die meisten Bauwerke
                                                                           zwischen 1800 und 1850 errichtet wurden. Im

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Hauptbaus oder in architektonisch untergeordne-
                                                                          ten Nebenbauwerken.

                                                                          Der neue Typ: Industriemühlen
                                                                          (19. –Anfang 20. Jahrhundert)
                                                                          Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
                                                                          in England begonnene Industrialisierung mar-
                                                                          kierte den Beginn einer neuen Ära im Mühlwe-
                                                                          sen. Dampfmaschinen ermöglichten den Betrieben
                                                                          eine wesentlich höhere Leistung als Wassermüh-
                                                                          len. Außerdem konnte man solche Werke überall
                                                                          errichten, da man nicht mehr von der Wasser- oder
                                                                          Windkraft abhängig war. Da die neue Technolo-
                                                                          gie die Habsburger-Monarchie recht spät erreichte,
                                                                          kam es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
                                                                          derts zu einer starken Verbreitung der Industrie-
Schlossmühle in   Vergleich zu den Mühlen des Stockerauer Müh-            mühlen im Land. Die Einführung des Walzen-
Ebendorf          lenstils wirken sie schlichter, obwohl sie eben-        stuhls begünstigte diese Entwicklung. Gleichzeitig
                  falls eine barocke bis früh-historistische Gestaltung   kam es zu einer stetigen Abnahme alter Wasser-
                  aufweisen.                                              mühlen. Viele Kleinmüller versuchten ihre Betriebe
                          Das Hauptmerkmal dieser Bauwerke ist            aufzurüsten, aber nur wenigen gelang dieser
                  die homogene Erscheinung des Gesamtarrange-             Umstieg. Viele Mühlhäuser mussten daher umge-
                  ments, die zumindest an den Schauseiten des Bau-        nutzt oder stillgelegt werden.
                  ensembles angestrebt wird. Die dominante Rolle                  Die neuen Kunstmühlen haben ihre drei
                  spielt dabei der meistens zweistöckige Hauptbau,        wesentlichen Arbeitsschritte – Lagerung, Reini-
                  der sowohl das Wohnhaus als auch den üblicher-          gung und Vermahlung des Getreides – in einem
                  weise kleinen Mühlstock mit zwei bis drei Mahl-         Gebäude mithilfe eines abwärts gerichteten Pro-
                  gängen beinhaltet. Die regelmäßige Strukturierung       duktionsvorganges verrichtet. Das definierte die
                  seiner Fassaden wird durch eine axiale Anord-           Form des neuen Bautyps. Die großen mehrstöcki-
                  nung von rechteckigen, zwei- oder vierflügeligen        gen Bauwerke mit einem flachen Satteldach wur-
                  Pfostenstock-Kastenfenstern erreicht. Sie werden        den oft an bereits vorhandenen Mühlstandor-
                  durch Putzfaschen, profilierte Fensterverdachun-        ten erbaut und dominieren seitdem die älteren
                  gen und Sohlbänke betont. Die horizontale Glie-         Baustrukturen.
                  derung übernehmen Kordon- und Kranzgesimse.                     Die fortschreitende Technisierung der Land-
                  Dabei gibt es kaum einen Unterschied in der äuße-       wirtschaft im 20. Jahrhundert brachte viele von
                  ren Gestaltung des Wohn- und Mühlbereichs. Erst         diesen ehemals höchst innovativen Betrieben zum
                  bei genauerer Betrachtung bemerkt man Abwei-            Stillstand. Einige dieser wichtigen Zeitzeugen der
                  chungen in der Proportionierung und Konstruk-           dramatischen Transformation des Mühlwesens, das
                  tion der Fenster, der Achsenverteilungen sowie          sich viele Jahrhunderte lang kaum geändert hatte,
                  zusätzliche Portale, die auf eine Funktionsänderung     stehen nun leer und verlangen wie auch ihre Vor-
                  hinter der Fassade hinweisen. Die mit einem fla-        gänger nach Schutz sowie nach Strategien ihrer
                  chen Walmdach bedeckten Baukörper verstecken            denkmalgerechten Erhaltung.
                  somit ihre Zweckbereiche und wirken eher wie
                  reine Wohnhäuser. Zusätzliche Wirtschafts- und
                  Lagerräume befinden sich in weiteren Flügeln des

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Wasser, Wind und Motorenkraft:
            die Entwicklung der Antriebstechnik in Mühlen

Torsten Rüdinger        Mühlen im traditionellen Sinn sind komplexe         Gemeinsames Merkmal wasser- und windgetriebe-
                        technische Anlagen, in denen Arbeitsmaschi-         ner, aber auch von vielen der motorisch angetrie-
                        nen zu sehr unterschiedlichen Zwecken angetrie-     benen kleineren, handwerklich arbeitenden Müh-
                        ben werden. Bekannt sind über 180 verschiedene      len ist der Einsatz eines zentralen Antriebsaggregats
                        Nutzungsarten als Wegbereiter einer industriellen   und die Verteilung der Kraft zu einzelnen Maschi-
                        Entwicklung.                                        nen und Anlagen.
                               Die Wasserkraft wird in Europa seit über
                        2.000 Jahren genutzt, die Windkraft seit weit       Mühlen mit Wasserrad oder Wasserturbine
                        über 800 Jahren. Die Nutzung fossiler Energie-      Eine entscheidende Rolle spielt die Einbaulage der
                        träger zum Antrieb von Dampfmaschinen und           Wasserradwelle. Sie kann senkrecht oder waage-
                        Verbrennungsmotoren sowie die Entdeckung            recht angeordnet sein, wobei die Zuführung des
                        des elektromechanischen Prinzips ermöglich-         Wassers (Beaufschlagung) von oben (oberschläch-
                        ten einen technologischen Schub in der Entwick-     tig), oberhalb der Radwelle (rück(en)schlächtig),
                        lung leistungsfähiger Systeme zur Nutzung der       auf Höhe der Radwelle (mittelschlächtig) oder
                        Naturkräfte, führten aber zwangsläufig zu ihrem     unterhalb der Radwelle (unterschlächtig) erfolgen
Oberschlächtiges Was-   Niedergang. Mittels Verbrennungs- und Elek­         kann.
serrad an der Stein-    tromotoren ließ sich unabhängig von den Natur-             Unterschiede bestehen im technischen Auf-
mühle Polleben          kräften in einem erheblich größeren Umfang          bau bzw. der Form und Stellung der Schaufeln als
(Sachsen-Anhalt)        produzieren.                                        Schaufel- oder Zellenräder, der Art des Aufbaus in
                                                                            freihängende oder Kropfräder und der des Arm-
                                                                            verbands (durchgesteckte Radarme, holländischer
                                                                            oder Rosetten-Armverband). Entsprechend der an
                                                                            einer Mühle verfügbaren Fallhöhe gibt es folgende
                                                                            Bauarten:
                                                                                   Ober- und rückschlächtige Räder besitzen
                                                                            dreiseitig geschlossene Radzellen, in die das Betriebs-
                                                                            wasser über ein Gerinne geleitet wird. Die Schwer-
                                                                            kraftwirkung löst so eine Drehbewegung aus.
                                                                                   Mittelschlächtige (und ­unterschlächtige)
                                                                            Räder werden als Schaufelräder gebaut und von
                                                                            einem kropfartigen Gerinne mit Seitenwänden
                                                                            umschlossen. Eine typische Konstruktion ist das
                                                                            Zuppinger(niedergefälle)rad, das Mitte des 19. Jahr-
                                                                            hunderts konstruiert wurde und auf Grund der
                                                                            Schaufelform einen sehr guten Wirkungsgrad
                                                                            erreicht.
                                                                                   Unterschlächtige Räder, die nur ein gerin-
                                                                            ges Gefälle nutzen, haben zwei Bauformen. Als

                        16
Strauberräder werden die sehr schmalen mit einem       einen Flachriementrieb direkt auf die Mühlen-
                         Radkranz, an dem die Schaufeln befestigt sind,         haupttransmission übertragen werden.
                         bezeichnet. Die breiteren Staberräder besitzen zwei          Typisch für Wassermühlen sind die sie umge-
                         Radkränze, zwischen denen die Schaufeln sitzen.        benden wasserbaulichen Anlagen. Zu ihnen gehö-
                         Eine besondere Bauform ist das Pansterrad, das je      ren Wehre, Mühlgräben und Stauteiche.
                         nach Unterwasserstand in seiner Höhenlage ver-
                         ändert werden kann. Schiffmühlen gelten als eine       Windkraftnutzung an Mühlen
                         besondere Bauform mit einem oder mehreren              Bestimmendes Merkmal von Windmühlen unter-
                         unterschlächtigen Rädern.                              schiedlicher Bauart ist das Flügelkreuz, seltener ein
                                Traditionell wurden Wasserräder aus Holz        Windrad. Vorherrschend sind Kreuze mit vier Flü-
                         gebaut. Seit dem späten 19. Jahrhundert gibt           geln und einer Drehrichtung gegen den Uhrzei-
                         es Räder aus Holz und Eisen/Gusseisen bzw.             gersinn. Die Flügel sind am Ende der Flügelwelle
                         Ganzmetallräder.                                       außerhalb der Mühle in einem Wellkopf oder an
                                Ende des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts   einer Art Armkreuz rechtwinklig zueinander befes-
                         hielt die Wasserturbine Einzug, von der es eine        tigt. Bei den gusseisernen Wellköpfen bildet je ein
                         Vielzahl unterschiedlicher Arten gibt. Die Fran-       Flügelpaar eine Rute, die zueinander leicht ver-
                         cis-Turbine ist die meist gebaute und eingesetzte in   setzt im Wellkopf angeordnet sind. Jene Rute, die
                         Mühlen. In einen Turbinenschacht oder eine Tur-        sich näher an der Mühle befindet, wird als Haus-
                         binenkammer eingebaut, kann sie eine liegende          rute, die äußere als Feldrute bezeichnet. Dabei
                         oder stehende Welle besitzen. Im Inneren befin-        gibt es den ein- und den mehrteiligen Aufbau. Bei
                         det sich ein Laufrad, auf das der zum Turbinenge-      einem einteiligen Aufbau wird die gesamte Rute
                         häuse gehörende Leitapparat mit seinen verstellba-     durch den Wellkopf als „Durchsteckrute“ geführt.
Unterschlächtiges Was-   ren, klappenartigen Leitschaufeln das Wasser leitet,   Üblicher ist ein dreiteiliger Aufbau. Dafür wird im
serrad an der Schleif-   sodass die Energie an die Welle abgegeben werden       Wellkopf ein hölzernes oder eisernes Bruststück
mühle Schwerin (Meck-    kann. Auf Grund der weitaus höheren Drehzahlen         befestigt, an das die Spitzen als die eigentlichen
lenburg-Vorpommern)      im Vergleich zu Wasserrädern kann die Kraft über       Flügel befestigt werden. Sie können aus Holz, Stahl
                                                                                oder einer Mischkonstruktion bestehen. Zum Ein-
                                                                                fangen des Windes sind an den Spitzen die eigent-
                                                                                lichen Windflächen angebracht, das Heckwerk, das
                                                                                aus dem schmalen Vor- und dem breiten Haupt-
                                                                                bzw. Hinterheck besteht. Eine in sich gedrehte,
                                                                                windschiefe Fläche mit durch die Rute gesteckten
                                                                                Heckscheiten und parallel zur Rute angebrachte
                                                                                innere und äußere Saumleisten werden zur Bil-
                                                                                dung einer Windangriffsfläche ausgefüllt. Zu den
                                                                                ältesten Konstruktionsformen gehört der Türenflü-
                                                                                gel. In das Heckwerk werden Tafeln aus leichtem
                                                                                Holz, die „Türen“, eingehängt. Da jeder Flügel ein-
                                                                                zeln bedient werden muss, erfordert dies großen
                                                                                Arbeitsaufwand.
                                                                                       Bei dem Segelgatterflügel wird manuell
                                                                                vor das Gatter des Haupthecks ein langes, recht-
                                                                                eckiges Segeltuch gelegt bzw. gespannt. Ver-
                                                                                schiedene Befestigungspunkte, bestehend aus in
                                                                                Haken gehängten Schlaufen und Schlagleinen,

                         17
ein selbsttätiges, stufenloses Öffnen oder Schließen
                                                                              während des Betriebs ermöglicht. Unterschiedliche
                                                                              Systeme konnten miteinander kombiniert werden,
                                                                              z.B. zwei Segel- mit zwei Jalousieklappenflügeln.
                                                                                     Ende des 19. und im ersten Drittel des
                                                                              20. Jahrhunderts gab es weitere Verbesserungen
                                                                              und Veränderungen, die zu einer Leistungserhö-
                                                                              hung führten. Zu diesen gehören der La-Cour-
                                                                              Flügel, der Bilau´sche Ventikantenflügel und der
                                                                              Ten-Have-Flügel. Bei diesen Entwicklungen spiel-
                                                                              ten wissenschaftliche Untersuchungen und aero-
                                                                              dynamisch fundierte Erkenntnisse eine erhebliche
                                                                              Rolle, um strömungsbedingte Energieverluste zu
                                                                              verringern.

                                                                              Motormühlen
                                                                              Mit dem Bau von zuverlässig arbeitenden Dampf-
                                                                              maschinen hielt ab dem Beginn des 19. Jahrhun-
                                                                              derts ein neues Antriebsaggregat Einzug. Seit dem
                                                                              Ende des 19. Jahrhunderts werden mit Gas, Flüs-
                                                                              sigkraftstoff und elektrischem Strom betriebene
                                                                              Motoren entwickelt und zum Einsatz gebracht.
                                                                              Diese Antriebsmöglichkeiten führten zum Bau
                                                                              einer gänzlich neuen Mühlengattung, die in die
                                                                              Industrialisierung führte und das „Sterben“ kleiner
                                                                              Naturkraftmühlen zur Folge hatte. Elektro- und
                                                                              Verbrennungsmotoren kamen als Zweit- und Hilfs-
                                                                              antriebe in Wind- oder Wassermühlen zum Einsatz
                                                                              oder ersetzten die Naturkraft gänzlich.
                                                                                     Eine kaum beachtete Mühlenart stellt die
Bockwindmühle            ermöglichen eine Veränderung der Angriffsflä-        mittels eines Windmotors betriebene Mühle dar.
Berlin-Marzahn mit       che durch Vorlegen oder Reffen an jedem einzel-      Zum mechanischen Antrieb diente hierbei eine
Jalousieklappenflügeln   nen Flügel. In die Fläche des schmalen Vorhecks      separat aufgestellte Windturbine.
(Volljalousie)           werden in der Regel Holztafeln, die „Vorbretter“,
                         eingehängt.
                                Eine Erleichterung in der Bedienung brachte
                         der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts kon-
                         struierte Jalousieklappenflügel. Zentrales Ele-
                         ment ist ein Lammellensystem, „die Jalousieklap-
                         pen“, die parallel zu den Heckscheiten angebracht
                         und in den Saumleisten drehbar gelagert sind. Gibt
                         es Klappen im Vor- und Hauptheck, so wird von
                         einer Volljalousie gesprochen. Alle Klappen sind
                         mit einem Regulierungssystem über ein Zugstan-
                         gensystem oder mittels Federkraft verbunden, das

                         18
Mühlen – Sägen – Schmieden – Stampfen

Gerhard A. Stadler        Wassermühlen wurden seit der römischen Antike      die Überreste einer römischen Wassermühle aus
                          auch in den alpinen Regionen Europas für die       dem frühen 2. Jahrhundert, einer merowingi-
                          Vermahlung von Getreide genutzt. Neben den         schen Mühle mit vorgelagertem Stauwehr aus
                          von einem horizontalen Wasserrad angetriebe-       dem späten 7. Jahrhundert und einer karolingi-
                          nen Stockmühlen fanden auch Mühlen mit Ver-        schen Mühle aus der Mitte des 9. Jahrhunderts,
                          tikalrad und den komplizierten Konstruktions-      die 1993/94 im Paartal bei Dasing in Bayern frei-
                          elementen eines Winkelgetriebes Verwendung,        gelegt wurden.
                          wie sie der römische Baumeister Vitruv in seinem         Bemerkenswert ist das bei der römischen
                          Werk „De architectura libri decem“ (Zehn Bücher    Mühle aufgefundene Strauberrad, ein mit 24
                          über Architektur) in der Zeit um Christi Geburt    Schaufeln besetztes, vertikal montiertes Wasser-
                          beschrieben hat. Wenngleich bislang nur wenige     rad aus Birkenholz mit einem Durchmesser von
                          Funde von antiken und frühmittelalterlichen        1,60 m. Räder dieses Typs waren weit verbreitet
                          Wassermühlen bekannt sind, können wir in Mit-      und in Tirol, im Trentino oder in Graubünden bis
                          teleuropa eine zumindest 2.000 Jahre bestehende    in das 20. Jahrhundert gebräuchlich. Bei der Tra-
                          Kontinuität einer die Wasserkraft nutzenden        dierung des technischen Wissens der Antike spielte
                          Mühlentechnologie festhalten. Eindrucksvolle       der gebildete Klerus in den Klostergemeinschaften
                          Zeugnisse dieser technischen Konstanz bilden       eine entscheidende Rolle, die im Hochmittelalter

Blick in die Mahlstube
der 1845 im ­Reifgraben
bei St. Anton an der
Jeßnitz errichteten
Weherberg-Mühle

                          19
von Stampfen in Ölmühlen und Lumpenstampf-
                                                                               werken bei der Papiererzeugung sowie von Walken
                                                                               bei der Tuchherstellung oder Lederbearbeitung.
                                                                               Darüber hinaus diente die Universalmaschine zum
                                                                               Betrieb von Gebläsen an Schmelzöfen, von Aufzü-
                                                                               gen zur Erzförderung und der Hebung von Gru-
                                                                               benwasser aus Schächten in Bergbaurevieren, sie
                                                                               ermöglichte das Anheben der Stößel in Pulver-
                                                                               stampfen und Farbreibemühlen oder gewährleistete
                                                                               die erforderliche Zugspannung für das mit Lochei-
                                                                               sen kalibrierte Drahtziehen. Wolfgang von Stromer
                                                                               hat diese bedeutenden technischen Veränderun-
                                                                               gen als „Industrielle Revolution des Spätmittelal-
                                                                               ters“ bezeichnet, als ein Phänomen, das gleichsam
                                                                               die von Karl Marx titulierte Industrielle Revolu-
                                                                               tion des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts
                                                                               antizipierte.
                                                                                      Die technischen Innovationen, die am Ende
Das zu Beginn des       vor allem vom Orden der Zisterzienser maßgeblich       des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit eine
19. Jahrhunderts zu     bestärkt wurde.                                        Mechanisierung der gewerblichen Produktion
einem Herrenhaus               Die Wassermühle gilt als das bedeutendste       ermöglichten, führten zu einer Spezialisierung der
umgestaltete Gebäude    technische Erbe der Antike, das schließlich im Mit-    Handwerker, der Zerlegung von Arbeitsprozes-
an der Lainsitz bei     telalter zu entscheidender Entfaltung gelangte.        sen in einzelne Verfahrensschritte und einer weit-
­Weitra zeigt mit       In den Gebirgsregionen überwogen zunächst die          reichenden Arbeitsteilung. Der „Mühlzurichter“
 seinem mächtigen,      erwähnten Stockmühlen mit horizontalen Wasser-         – wie hierzulande der Mühlenbauer bezeichnet
 mehrgeschoßigen        rädern, mit deren Hilfe die Kraft des Wassers direkt   wurde – etablierte sich auf Basis seines handwerk-
 Walmdach typische      auf die ebenfalls horizontal laufenden Mühlsteine      lichen Geschicks, seines technischen Wissens und
 Bauelemente der        übertragen werden konnte. Im Flachland hinge-          seiner praktischen Erfahrung bei der Konstruktion
 vorindustriellen       gen bediente man sich der mit vertikalen, unter-       der einzelnen, aus verschiedenen Holzarten ange-
 Papiererwerkstätten.   schlächtigen Wasserrädern ausgestatteten Mühlen,       fertigten Maschinenteile wie auch der Dimensio-
                        deren Kernstück, das aus Kammrad und Drehling          nierung der Wasserräder oder der Ausführung des
                        bestehende Winkelgetriebe mit liegendem Vorge-         Holzkastengerinnes.
                        lege, die Kraftumlenkung einer vertikalen Dreh-               Eine auf Basis der Wasserkraft gebildete
                        bewegung in eine horizontale ermöglichte. Im           Agglomeration von Gewerbebetrieben kann an
                        Hoch- und Spätmittelalter gelang mit der Anwen-        den nunmehr im Stadtgebiet von St. Pölten zu bei-
                        dung der Daumenwelle sowie mit der Entwicklung         den Seiten der Traisen verlaufenden Mühlbächen
                        des oberschlächtigen Zellenrades eine effizientere     bereits im ausgehenden Mittelalter und in der frü-
                        und zugleich universelle Verwendung der vertika-       hen Neuzeit nachgewiesen werden. Getreide- und
                        len Wasserräder.                                       Sägemühlen, Hammerschmieden, Gerbstoffstamp-
                               Seit der Erfindung der Rädertransmission        fen, Lederwalken und Papiermühlen nutzten das
                        wurde der Antrieb mehrerer Arbeitsmaschinen mit        reichliche Dargebot an Wasser sowohl direkt als
                        einer Wasserradwelle möglich. Die weiterhin als        auch mittelbar für die Produktion. Bemerkenswert
                        Mühlwerk bezeichnete Maschinerie kam nun auch          erscheint etwa die annähernd 900 Jahre umfas-
                        für den Antrieb von Hammerschmieden zum Ein-           sende Tradition der Getreidevermahlung am Stand-
                        satz sowie von Pochwerken zur Erzaufbereitung,         ort der Zwetzbacher Mühle. Die 1108 im Besitz

                        20
des Stiftes Göttweig verzeichnete Mühle im „obe-      Eisenhammer in eine Papiermühle umgestalten.
                       ren Prüll“ wechselte im späten 14. Jahrhundert in     Sigmund Fink, der die Papiererwerkstatt 1790
                       das Eigentum der St. Pöltener Chorherren. Mitte       erwarb, zeichnete verantwortlich für den Umbau
                       des 16. Jahrhunderts von Hochwasser zerstört,         in das imposante Herrenhaus. Charakteristisch für
                       wurde die wieder errichtete Neumühle am Traisen-      die Betriebsstätte ist das mächtige, mehrere Etagen
                       steg von 1679 bis 1972 von der aus Kärnten stam-      aufnehmende Walmdach des Gebäudes, in dem die
                       menden Müllerdynastie Zwetzbacher betrieben.          geschöpften Papierbögen nach dem Pressen zum
                       Ebenso befand sich die benachbarte Untere Mühle       Trocknen aufgehängt wurden. Josef Fink, der letzte
                       im Besitz des Chorherrenstiftes, wie ein Urbar aus    Betreiber der Papiermühle, sah sich infolge über-
                       dem Jahr 1426 festhält. Zwar sucht man heute          mächtiger Konkurrenz zur Schließung der Anlage
                       vergebens nach den Überresten der längst abge-        veranlasst. Das aus Papiermühle, Sägewerk und
                       kommenen Anlage, doch zählte der 1469 in eine         Getreidemühle bestehende Ensemble veräußerte
                       Hadernmühle umgestaltete Betrieb zu den ältesten      er samt Landwirtschaft 1865 an den aus Weitra
                       seiner Art in Österreich.                             gebürtigen Textilfabrikanten Heinrich Hackl.
                              Die Papiermacherei wurde während des Mit-            Die Daumenwelle, die in der Fink’schen
                       telalters von der arabischen Welt übernommen.         Werkstatt das mit Stirnhämmern betriebene
                       Schon bei ihrer Einführung in Europa erfolgten        Lumpenstampfwerk in Gang setzte, diente im
                       zwei wesentliche Innovationen, die den Herstel-
                       lungsprozess von den außereuropäischen Produk-
                       tionsstätten wesentlich unterschieden: Zum einen
                       wurde durch die Übernahme des mit Wasserkraft
                       betriebenen Stampfwerks aus anderen Gewer-
                       ben der zentrale Prozess der Rohstoffaufbereitung,
                       nämlich die Zerkleinerung und Auflösung alter
                       Lumpen, aus denen bis in das 19. Jahrhundert hin-
                       ein das Papier hergestellt wurde, mechanisiert.
                       Zum anderen ermöglichte die fortgeschrittene
                       Drahtziehtechnik, Siebe aus feinen Drähten herzu-
                       stellen, sodass das Wasser beim Schöpfen der ein-
                       zelnen Papierbogen schneller abfließen konnte und
                       das Schöpfen eine arbeitsteilige Tätigkeit wurde,
                       bei der drei Personen, nämlich der Schöpfgeselle,
                       der Gautscher und der Leger, Hand in Hand arbei-
                       teten. Einblick in das alte Handwerk des Papier-
                       schöpfens gewährt Margarethe Mörzinger am
                       Standort der 1789 gegründeten Wurzmühle in Bad
                       Großpertholz. Als das am besten erhalten geblie-
                       bene Objekt der vorindustriellen Papierherstel-
                       lung in Niederösterreich gilt die zu Beginn des 19.
Esse des einstigen     Jahrhunderts in ein Herrenhaus ausgebaute Papie-
Zerrennhammerwerks     rerwerkstatt in Weitra. Das im Kern in das frühe
Vorderhammer           16. Jahrhundert zurückreichende Gebäude zählte
am Eingang des         zum Ensemble der Obermühle, die im Besitz der
Steinbachtals bei      landgräflichen Herrschaft stand. 1689 ließen die
Göstling an der Ybbs   Fürstenberg einen hier am Lainsitzufer situierten

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Die Wandl-Säge in
Kirchbach wurde nach
mehrjährigem Stillstand
und teilweisem Verfall
restauriert und 1995
als Freilichtmuseum
eröffnet.

                          vormaligen Hammerwerk dem Anheben des                 Sägen oder Pfannen gefertigt wurden, einige noch
                          schweren Schmiedehammers zur Umformung des            als Schauobjekte erhalten.
                          Werkstoffes. Wasserbetriebene Hämmer finden seit             Nach demselben Prinzip wie ein mit Was-
                          dem Mittelalter in Europa Verwendung, wie etwa        serkraft betriebener Hammer funktionierte auch
                          die schriftliche Erwähnung der Ortschaft „Schmid-     die Klopfsäge, der älteste Typ der Sägemühlen:
                          mühle“ in der Steiermark im Jahr 1010 vermu-          Die Nocken am Wellenbaum hoben das Säge-
                          ten lässt. Die gebräuchlichste Hammerform war         gatter nach oben und beim Zurückfallen erfolgte
                          der Schwanzhammer, dessen Stielende von den auf       der Sägeschnitt. Das laute Klopfen, das der Säge
                          der Welle verankerten Nocken oder Zapfen ange-        den Namen gab, entstand beim Anschlagen der
                          hoben wurde. In unmittelbarer Nachbarschaft           Nocken an das Gatter und beim Herunterfallen
                          zum steirischen Erzberg gelegen verfügte die nie-     des Gatters. Bei den Kurbelsägen hingegen wurde
                          derösterreichische Eisenwurzen mit ihrem reichli-     die Kreisbewegung des Wasserrades mit einer Kur-
                          chen Wasserangebot für eine effiziente Transportin-   bel auf die senkrechte Bewegungsebene des Gat-
                          frastruktur und als Antriebskraft sowie mit ihrem     ters übertragen. Der Gatterkeller nahm die Ein-
                          Holzreichtum als Grundlage für Bauwerke aller         richtungen zur Kraftübertragung auf, der darüber
                          Art und als Brennstoff für die Essen der Hammer-      liegende Sägeboden das Sägegatter und den Bloch-
                          schmieden ideale Voraussetzungen für eine bis in      wagen. Einblicke in die vorindustrielle Sägetechno-
                          das 19. Jahrhundert blühende Kleineisenindustrie.     logie bietet etwa die Wandl-Säge in Kirchberg im
                          Von den großen sogenannten Zerrennhammerwer-          Waldviertel, eine mit oberschlächtigem Wasserrad
                          ken, in denen durch Entkohlung des Roheisens die      und Stirnrad ausgestattete Sägemühle mit Venezi-
                          Umwandlung in schmiedbares Eisen erfolgte, sind       anergatter, die Mitte der 1990er Jahre restauriert
                          etwa im Steinbachtal bei Göstling nur noch Über-      und als Freilichtmuseum dem interessierten Publi-
                          reste des Vorderhammers und des Hinterhammers         kum zugänglich gemacht wurde.
                          erhalten geblieben. Hingegen sind von den einst
                          unzähligen Werkzeugschmieden, in denen Sensen,

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