VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit

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VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Ausgabe April 2015

VAA Magazin
Zeitschrift für Führungskräfte in der Chemie

                                                       Rekultivierung:
                                               Industrie schafft Natur

                                                       Vereinbarkeit:

         Teilzeit braucht Männer
VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
DER VAA FÜHRT DAS WICHTIGSTE
ARBEITGEBERRANKING
DER CHEMISCHEN INDUSTRIE DURCH!
Die Ergebnisse erscheinen in der August-Ausgabe
des VAA Magazins.

EXKLUSIV FÜR MITGLIEDER ^^^]HHKLILÄUKSPJORLP[Z\TMYHNL
VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Editorial

Gelebte Verantwortung
Ostern ist vorüber – in vielen Regionen Deutschlands ist der Früh-
ling bereits in voller Blüte. Die ersten Wochenendausflüge in die
Natur liegen bereits einige Wochen zurück. Ob in Parks, Wäldern,
Heiden oder an den Ufern der Baggerseen: Wer nicht gerade Pol-
lenallergiker ist, kann sich der grünen Jahreszeit erfreuen. Was
viele dabei häufig vergessen, ist die Tatsache, dass heutzutage nicht
wenige natürliche Landschaften renaturierte oder rekultivierte In-
dustrieflächen sind. So befi ndet sich im Rheinland die größte
Braunkohlelagerstätte Deutschlands. Klar: Die riesigen Tagebaue
Garzweiler oder Hambach dürften den meisten Menschen in
Deutschland ein Begriff sein. Aber wahrscheinlich ist nicht allen
bewusst, dass die Gebiete nach dem Ende des Kohleabbaus wie-
der landschaftlich nutzbar gemacht werden. Mit eben dieser Wie-
derherstellung eines stabilen Naturhaushaltes, der Schaffung neu-
er Lebensräume für Flora und Fauna, befasst sich das Spezial auf

                                                                                                                    Foto: VAA
den Seiten 8 bis 13. Es zeigt, wie die Industrie Verantwortung für
die Umwelt wahrnehmen kann. Die Rekultivierung sorgt für neue
Ziele für Frühlingsausflüge mit der Familie.

Unternehmungen mit der Familie sind notwendig und erholsam, allerdings fehlt vielen Arbeitnehmern – vor allem im
AT-Bereich – schlichtweg die Zeit dafür. Ein immer dichteres Arbeitspensum steht einer besseren Vereinbarkeit von
Familie, Beruf und Karriere diametral entgegen. Gibt es Auswege? Eine mögliche Lösung ist die Steigerung der Ak-
zeptanz von Teilzeitarbeitsmodellen, gern vollzeitnah, und zwar für Frauen und Männer gleichermaßen. Davon pro-
fitieren sowohl Familien als auch Unternehmen. Denn wenn Firmen mehr Teilzeit wagen, tun sie etwas für die Moti-
vation und die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter. Mehr dazu in unserem Branchenfeature auf den Seiten 22 bis 26.

Langfristig arbeitsfähig ist in erster Linie, wer gesund bleibt. Nicht zuletzt kommt es da auf Prävention am Ar-
beitsplatz an. Und genau zu diesem Themenkomplex hat das Führungskräftepanel „Manager Monitor“ eine Um-
frage durchgeführt, deren Ergebnisse in den ULA Nachrichten auf den Seiten 31 und 32 ausgewertet werden. So
viel vorweg: Vor allem Großunternehmen sind auf Kurs. Allerdings besteht noch Luft nach oben, sei es bei der
Gefährdungsbeurteilung durch psychische Belastungen, der Passgenauigkeit der spezifisch auf Führungskräfte
zugeschnittenen Angebote oder den individuellen Handlungsspielräumen. Unternehmen, die auch morgen noch
innovativ und erfolgreich bleiben wollen, müssen heute in die Gesundheit ihrer Angestellten investieren.

Was aber zeichnet eine Führungskraft von morgen aus? Das ist das Thema des diesjährigen ULA-Sprecheraus-
schusstages am 20. und 21. Mai in Berlin. Wer in einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt nach-
haltig wirtschaften möchte, sollte möglichst mobil und vernetzt sein. Das Beherrschen der Klaviatur des inter-
kulturellen Managements ist ebenfalls sehr hilfreich. Hochkarätige Referenten und spannende Diskussionen
werden dazu beitragen, den Horizont der Teilnehmer zu erweitern und gleichzeitig die Herausforderungen der
Zukunft fokussierter anzugehen. Und genau dies entspricht letztlich dem Selbstverständnis der VAA-Mitglie-
der und -Mandatsträger:
         Mandatsträger: die eigene Verantwortung zu kennen und bewusst zu leben.

Thomas Fischer
1. Vorsitzender des VAA

                                                                                           VAA MAGAZIN APRIL 2015               3
VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Inhalt

                                                                                               CHEMIE IM BILD/SPEZIAL
                                                                                               06    Rekultivierung in Zahlen

                                                                                               08    Industrieflächen neu erschließen
Coverfoto: goodluz – Fotolia

                               VAA                                   BRANCHE                                   MELDUNGEN
                               14   Mitbestimmung:                   22   Vereinbarkeit:                       28   Pestizide, Teilzeitarbeit
                                    Betriebsräte tagen in Mainz           Väter für Teilzeit
                                                                                                               29   Chemikaliengewinnung, Gender
                               15   Symposion:                       27   Personalia aus der Chemie                 Pay Gap, Molekularschalter,
                                    Erhaltung der Arbeitsfähigkeit                                                  Befindlichkeitsumfrage,
                                                                                                                    Innovationspreis, Nanofußball
                               18   Aufsichtsrätetagung:
                                    Austausch in Aachen                                                        30   NanoBioMedizin, Stress,
                                                                                                                    Wertewandel, VAA bei SAP,
                               19   Tarifeinheit:                                                                   Lithiumspeicher
                                    Gutachten bestätigt VAA-Kritik

                               PORTRÄT
                               20   Stiftungspreisträger:
                                    Dr. Klaus Pollinger

                               4    VAA MAGAZIN APRIL 2015
VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Inhalt

                                                                   ULA NACHRICHTEN
                                                                   31   Manager Monitor:
                                                                        Gesundheit am Arbeitsplatz

                                                                   33   Kommentar, Notizen aus Berlin

                                                                   34   Arbeit: Debatte um
                                                                        Gesetz zur Entgeltgleichheit

                                                                   36   Europa: Sozialer Dialog
                                                                        startet neu

                                                                   37   Management:
                                                                        ULA-Sprecherausschusstag

                                                                   38   Weiterbildung:
                                                                        Aktuelle Seminartermine

                                 REISEN                            LEHMANNS DESTILLAT
                                 42   Pensionärsreise:             48   Satirische Kolumne:
                                      Erfurt lockt als Reiseziel        Erik Lehmann hat das Wort

WIRTSCHAFT IN ZAHLEN
39   Direktinvestitionen:
     Deutschland exportiert      RECHT                             VERMISCHTES
                                 43   Urteil: Kündigung            49   ChemieGeschichte(n):
                                      trotz Rechtsirrtum                Ausbruch des Tambora

60PLUS                                                             50   Glückwünsche
                                 44   Interview:
40   Steuern: Clever Sparen
                                      Mindestlohn im Praktikum
     bei Deferred Compensation                                     52   Sudoku, Kreuzworträtsel

                                 46   Pensionskassenrenten:        53   Leserbriefe
                                      VAA-Mitglieder siegen beim
                                      Bundesarbeitsgericht         54   Termine, Vorschau, Impressum

                                                                            VAA MAGAZIN APRIL 2015     5
VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Chemie im Bild

                                                             56
                                                     Fichtenstämme formen das
                                                       Gebäudekonstrukt der
                                                      Akademie „Mont Cenis“
                                                      in Herne. Die NRW-Fort-
                                                     bildungsakademie gilt als
                                                        Herzstück des neuen
                                                     Stadtteilzentrums des ehe-
                                                     maligen Zechenstandorts.

       3.185
    Module bilden die Solar-
      anlagen auf dem Dach
      des Hauses. Mit bis zu
    750.000 Kilowattstunden
    Strom pro Jahr versorgen
       sie die Akademie und
     angrenzende Haushalte.

                                20.000
                                   Tonnen Kohlendioxid
                                vermeidet ein Blockheiz-
                                    kraftwerk durch die
                               Umwandlung des aus den
                               Schächten der 1978 stillge-
                               legten Zeche austretenden
                                Grubengases in umwelt-
                                 freundlichen Strom und
                                Wärme für den Stadtteil.

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VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Chemie
                                 Chemie im Bild

                 13.500
               Quadratmeter Dachfläche,
                meist aus Glas, erheben
               sich über dem Gebäude.
                Wasserspiele, Erdkanäle
                und Tore verhindern ein
                Überhitzen im Sommer.

        16
Hektar groß ist der Land-
  schaftspark, der viele
  Freiflächen zu einem
 regionalen Grünzug als
neues Naherholungsgebiet
  miteinander verbindet.

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Spezial

    REKULTIVIERUNG VON TAGEBAU- UND INDUSTRIEFLÄCHEN

    Zurück zur Kultur
    Die Braunkohle trägt in Deutschland seit vielen Jahren dazu bei, die
    Energiepreise auf einem für die energieintensiven Industrien halbwegs
    erträglichen Niveau zu halten. Gleichzeitig stellt der Braunkohletagebau
    jedoch einen weitreichenden Eingriff in die Natur und in den Lebensraum der
    Menschen dar. Mit Rekultivierungsmaßnahmen werden ehemalige
    Tagebauflächen wieder nutzbar gemacht. Aber auch Industriebrachen können
    durch Rekultivierung für eine neue Nutzung erschlossen werden.

    Von Christoph Janik

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VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
Spezial

Foto: psychoschlumpf – Fotolia

                           9
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Spezial

Der Bagger 288 im Braunkohletagebau Derzeit ist die Braunkohle mit einem Anteil gen aus dem Bundeswirtschaftsministerium
Garzweiler ist eine Maschine der Superlati- von rund 25 Prozent an der Stromerzeugung für eine neue Klimaabgabe auf alte Kraft-
ve: Mit mehr als 12.000 Tonnen bringt er so noch einer der wichtigsten Energieträger werke könnten den Ausstieg aus der Braun-
viel Gewicht auf die Waage wie rund 10.000 hierzulande. Wie lange das so bleiben wird, kohleförderung allerdings beschleunigen.
durchschnittliche Kleinwagen. Mit seiner lässt sich nur schwer abschätzen. Denn kli-
Förderleistung von 240.000 Ku-                                                                         Die Frage, was mit den riesigen
bikmetern könnte er jeden Tag fast                                                                     Tagebaugebieten geschieht, muss
100 Wettkampfschwimmbäder in               „Die R
                                                Rekultivierung befasst sich mit Flächen, die von       allerdings nicht erst nach dem
der Abmessung von 50 mal 25                  Tagebau
                                             Tag       oder Industrie in Anspruch genommen             Ausstieg beantwortet werden.
Metern ausbaggern. Der 288 ge-             wurden
                                           wurd und vorher schon einmal von Menschenhand               Denn während sich der 288 und
hört zu den größten Landfahrzeu-                      ‚in Kultur‘ genommen waren.“                     die anderen Riesenbagger jeden
gen der Erde. Und obwohl sein Be-                                                                      Tag ein Stück weiter durch die
trieb so viel Energie verbraucht                   Professor Reinhard Hüttl, Deutsches                 Landschaft graben und dabei Fel-
wie eine Kleinstadt mit 17.000                      Geoforschungszentrum Potsdam.                      der, Wälder und ganze Ortschaf-
Einwohnern, erwirtschaftet der                                                                         ten verschwinden lassen, entste-
Tagebaubetrieb als Ganzes fast                                                                         hen auf den rückwärtigen Seiten
das 30-fache seines Energiebe-                                                                         der Tagebaugebiete neue Flächen.
darfs in Form von Braunkohle. Diese billige mapolitisch ist die Braunkohleverstromung So will es das deutsche Bergbaurecht. Es
Form der Energiegewinnung ist seit Jahr- äußerst umstritten. Zwar laufen die Geneh- schreibt vor, dass vom Bergbau in Anspruch
zehnten das Rückgrat der deutschen Indus- migungen für einige Tagebaugebiete noch genommene Oberflächen unter Beachtung
trie, gerade auch der Chemie.                 bis zum Jahr 2045. Die jüngsten Überlegun- des öffentlichen Interesses wieder nutzbar
                                                                                               gemacht werden müssen.

                                                                                            Die Energiekonzerne als Betreiber der Tage-
                                                                                            bauförderung müssen also im wahrsten Sin-
                                                                                            ne des Wortes etwas zurückgeben: „Die Re-
                                                                                            kultivierung befasst sich mit Flächen, die von
                                                                                            Tagebau oder Industrie in Anspruch genom-
                                                                                            men wurden und vorher schon einmal von
                                                                                            Menschenhand ‚in Kultur‘ genommen waren.
                                                                                            Es geht darum, die Kulturfähigkeit dieser Flä-
                                                                                            chen und Böden wieder herzustellen“, erklärt
                                                                                            Professor Reinhard Hüttl. Der renommierte
                                                                                            Forst- und Bodenwissenschaftler ist seit 1993
                                                                                            Inhaber des Lehrstuhls für Bodenschutz und
                                                                                            Rekultivierung an der Technischen Universi-
                                                                                            tät Cottbus und leitet seit 2007 das Deutsche
                                                                                            Geoforschungszentrum in Potsdam.

                                                                                            Ehemalige Industriegelände bieten dabei oft
                                                                                            den Vorteil, dass sie nah an Ballungsräumen
                                                                                            liegen und somit für eine Nutzung als Kul-
                                                                                            tur- oder Freizeiträume gut geeignet sind. So
                                                                                            entstand auf der über 200 Hektar großen In-
                                                                                            dustriebrache des stillgelegten Hochofen-
                                                                                            werks im Duisburger Norden ein Land-
                                                                                            schaftspark, der neben Europas größtem
                                                                                            künstlichen Tauchsportzentrum in einem al-
                                                                                            ten Gasometer und einem alpinen Kletter-
                                                                                            garten in einem ehemaligen Erzlagerbunker
                                                                                            auch Räume für kulturelle Veranstaltungen
                                                                                            bietet. Eine Rekultivierung im buchstäbli-
                                                                                            chen Wortsinn sozusagen.

                                                                                            Während auf Industriebrachen bestehende
     Foto: michaeljung – Fotolia
                                                                                            Strukturen saniert und umgebaut werden

10     VAA MAGAZIN APRIL 2015
Spezial

                                                                                                   Industriebrachen: „Aschen, Schlacken und
                                                                                                   andere industrielle Abfallprodukte können
                                                                                                   zum Beispiel sehr hohe, extrem alkalische
                                                                                                   und daher vegetationsfeindliche pH-Werte
                                                                                                   aufweisen“, erklärt Stephan Bloemer. Er
                                                                                                   leitet die Düsseldorfer Niederlassung der
                                                                                                   BENDER GmbH & Co. KG, einem auf
                                                                                                   Rekultivierungsmaßnahmen spezialisier-
                                                                                                   ten Unternehmen mit Sitz in Rabenau bei
                                                                                                   Gießen. „Zu hohe pH-Werte können genau
                                                                                                   wie zu niedrige antagonistisch oder phyto-
                                                                                                   toxisch, also pflanzengiftig wirken. Um
                                                                                                   Pflanzenwachstum in ausreichender Inten-
                                                                                                   sität und Qualität zu ermöglichen, müssen
                                                                                                   die pH-Werte auf solchen Flächen abge-
                                                                                                   senkt werden,“ führt Geograf Bloemer aus,
                                                                                                   der auch die wissenschaftliche Kundenbe-
                                                                                                   ratung bei BENDER übernimmt.
Kultiviert: Auf der Halde Haniel bei Bottrop hat neben einem Amphitheater auch eine Installation
des baskischen Bildhauers Agustín Ibarrola mit einer Reihe aus 105 bunt gestalteten und auf-       Eingriffe zur Verbesserung der stofflichen
gestellten Bahnschwellen ihren Platz gefunden. Foto: sehbaer_nrw – Fotolia                         Eigenschaften von Böden werden unter dem
                                                                                                   Begriff der chemischen Bodenmelioration
müssen, besteht bei Tagebauflächen die ers-      oder gar nicht möglich. Reinhard Hüttl er-        zusammengefasst. Neben der Anhebung
te und offensichtlichste Herausforderung für     läutert die notwendigen Gegenmaßnahmen:           und Senkung der pH-Werte zählen dazu
eine Rekultivierung darin, dass riesige Lö-      „Diese Böden müssen melioriert werden, es         auch die Reduzierung schädlicher Einflüs-
cher in der Landschaft klaffen. Teilweise        werden also Kalk oder entsprechende puf-          se durch Versalzung oder die Kontaminati-
werden sie nach dem Ende der Förderung ge-       fernde Substanzen eingebracht, um wieder          on mit Schadstoffen. Da Salze wasserlöslich
flutet, doch die bergbaurechtlichen Auflagen     einen für land- oder forstwirtschaftliche         sind und somit im Laufe der Zeit durch Nie-
verlangen auch eine anteilige Rekultivierung     Nutzung günstigen pH-Wert zu erhalten.“           derschläge ohnehin ausgewaschen werden,
von Bodenflächen. Reinhard Hüttl verdeut-                                                          spielen sie bei der chemischen Bodenmeli-
licht das Vorgehen zur Wiedergewinnung           Die pH-Skala kann aber auch zu weit in die        oration allerdings eine eher untergeordnete
solcher Flächen: „Im Prinzip werden die Lö-      andere Richtung ausschlagen, gerade bei           Rolle. X
cher mit den Materialien, die man vorher
durch den Tagebau gewonnen hat, wieder zu-
geschüttet. Im Idealfall werden die Substra-
te, die vorher schon an der Oberfläche waren,
separat gelagert und dann sozusagen als Ab-
schlussschicht oben wieder aufgetragen.“

Extreme Substrate

Allerdings stehen die ursprünglichen Ober-
flächensubstrate – also die entsprechende
Zusammensetzung aus Sand, Lehm, Ton
und anderen Bodenmaterialien – nicht über-
all zur Verfügung. „Dann muss man mit den
Substraten umgehen, die tatsächlich zur
Verfügung stehen,“ berichtet Hüttl. Und das
kann für die Rekultivierung erhebliche He-
rausforderungen mit sich bringen: Teilweise
weist das Abraummaterial zum Beispiel ei-
nen erhöhten Anteil an Schwefel auf, aus
dem durch Verwitterung schweflige Säure
und oder Schwefelsäure entsteht. Dadurch           Im Rahmen der chemischen Bodenmelioration werden saure Böden wie dieser pyrithaltige
fällt der pH-Wert der Böden in sehr saure           Abraum in einem Braunkohletagebau in der Lausitz zur Anhebung des pH-Wertes gekalkt.
Bereiche und Pflanzenwachstum ist kaum                                                              Foto: www.bender-rekultivierungen.de

                                                                                                             VAA MAGAZIN APRIL 2015        11
Spezial

Anders sieht es bei der Verunreinigung          deutlicht, warum das gerade bei Trockenheit       Pflanzen wie lokale Rassen, Sippen und
durch organische Schadstoffe aus, die bei der   zum Problem werden kann: „Alles, was nur          Kleinarten durch die Rekultivierung nicht
Rekultivierung von nicht mehr genutzten In-     schütter oder nicht begrünt ist, ist der Erosi-   unnötig zu überformen, wird zunehmend
dustriegeländen durchaus eine Rolle spielen     on ausgesetzt. Wenn diese Flächen austrock-       sogenanntes Regio-Saatgut verwendet. Da-
kann. Häufig liegen diese Schadstoffe jedoch    nen und dem Wind ausgesetzt sind, können          für werden geeignete Wildpflanzenbestände
in nicht pflanzenverfügbarer Form im Boden      unter Umständen benachbarte Wohngebiete           aus den entsprechenden Herkunftsgebieten
vor und können von Pflanzen deshalb nicht       durch Staubpartikel lufthygienisch beein-         beerntet und kommerziell vermehrt. Ab
aufgenommen werden. Sind die Schadstoffe        trächtigt werden.“ Deshalb kann auch die so-      2020 soll der Einsatz dieses Saatgutes ge-
allerdings pflanzenverfügbar oder sollen sie    genannte Staubbindung ein wichtiges Ziel im       setzlich vorgeschrieben werden. Die Ver-
aus anderen Umweltschutzgründen entfernt        Rahmen einer Rekultivierung sein.                 pflichtung zum Einsatz von Regio-Saatgut
oder reduziert werden, können die Böden auf                                                       ist ein weiterer Baustein innerhalb des kom-
verschiedene Arten behandelt werden: So         Begrünung mit Hochdruck                           plexen Versuches, die Kompensation der
werden etwa thermische Verfahren verwen-                                                          menschlichen Eingriffe in die Natur im Rah-
det, um die Schadstoffe durch Erhitzung aus     Gerade bei ehemaligen Industrieflächen            men der Rekultivierung stärker am Natur-
den Böden zu entfernen. Bei chemisch-phy-       kann allerdings nicht nur der Untergrund,         schutz auszurichten. Denn seit Kurfürst Ma-
sikalischen Verfahren wird dagegen durch        sondern auch die Beschaffenheit des Gelän-        ximilian Friedrich von Königsegg-Rothen-
Zugabe von Wasch- oder Extraktionsmedi-         des zur Herausforderung werden: „Da geht          fels 1784 aus ästhetischen Gründen anord-
en die Bindung zwischen Boden und Schad-        es teilweise um steile Böschungen oder            nete, die Bergbaulöcher im Rheinland seien
stoff aufgehoben, damit die Kontamination       schwer zugängliche Flächen, auf denen sich        wieder zuzuschütten oder zumindest mit
in das flüssige Medium überführt und ent-       mit herkömmlicher landwirtschaftlicher oder       Wasser zu fluten, damit die Landschaft nicht
fernt werden kann. Biologische Verfahren        gärtnerischer Technik kaum etwas ansäen
wiederum nutzen die Fähigkeit von Mikro-        lässt,“ berichtet Bloemer. Solche Flächen
organismen, organische Schadstoffe als          werden deshalb mit einem sogenannten Hy-
                                                                                                     Nach dem Abbau von Rohstoffen werden
Nährstoffe zu verwerten. Bei einem vollstän-    droseeder begrünt: Ein LKW mit einem                 Flächen mit Rekultivierungsmaßnahmen für
digen Abbau werden die Schadstoffe mine-        mehrere Tausend Liter fassenden Tankauf-             andere Zwecke wieder nutzbar gemacht,
ralisiert, als Endprodukte entstehen Kohlen-    bau, der neben Wasser auch Saatgut, Dünge-           zum Beispiel für die landwirtschaftliche
dioxid und Wasser. Schwieriger wird es bei      mittel, Mulchfasern, Bodenverbesserungs-             Nutzung.
anorganischen Schadstoffen wie Schwerme-        stoffe und Erosionsschutzmittel enthält. „Das        Foto: Rainer Weisflog – MIBRAG AG
tallen: Liegt ihre Konzentration von Schwer-    Ganze wird mit einem Rührwerk zu einer
metallen im Boden über den Grenzwerten,         schlammigen Suspension vermischt und mit
hilft oft nur ein reiner Bodenaustausch.        Hochdruckkanonen gleichmäßig ausge-
                                                sprüht. Je nach Windverhältnissen beträgt
Selbst nicht kontaminierte Böden mit geeig-     die Reichweite bis zu 60 Meter“, hebt Blo-
neten pH-Werten können aber für die Begrü-      emer die Vorteile des Verfahrens hervor.
nung untauglich sein, weil Nährstoffe fehlen.
Reinhard Hüttl skizziert das Grundproblem:      Von der Industriebrache zum englischen Ra-
„Bei der Rekultivierung haben wir es häufig     sen also? Nicht ganz. „In der Regel handelt
mit Böden zu tun, die keinen oder einen sehr    es sich um Extremflächen: sauer oder ba-
geringen Humusgehalt haben. Dieser ist ent-     sisch, trocken und exponiert. Da bringt es
scheidend für eine nachhaltige Bodenfrucht-     nichts, irgendwelche Standard-Landschafts-
barkeit, also muss zunächst ein ausreichen-     rasen anzusäen“, stellt Bloemer klar. Statt-
der Humusgehalt wiederhergestellt werden,       dessen werden spezielle, auf den Standort ab-
zum Beispiel durch das Hinzufügen von or-       gestimmte Spezialsaatgutmischungen einge-
ganischer Substanz oder den Anbau und die       setzt. Auf sandigen oder kiesigen Substraten
Düngung von Kulturen, die zunächst nicht        kann das zum Beispiel Sandmagerrasen sein,
wirtschaftlich genutzt werden.“                 auf kalkhaltigen Substraten wie Bauschutt,
                                                Schlacken oder Aschen kann Kalkmagerra-
Stephan Bloemer stößt in der Rekultivie-        sen zum Einsatz kommen. Stephan Bloemer
rungspraxis genau auf diese Probleme: „Es       fasst zusammen: „Man bringt Saatgut derje-
handelt sich oft um überwiegend grobkörni-      nigen Vegetation auf, die sich am besten für
ge Rohböden wie Kiese, Sande oder Schot-        den jeweiligen pH-Wert und die übrigen
ter, die Wasser und Nährstoffe nur schlecht     Standort-Eigenschaften eignet.“
halten können. Das Wasser sickert einfach
weg und die Böden werden gerade im Som-         In letzter Zeit kommt zusätzlich der Aspekt
mer schnell so trocken, dass sich das Pflan-    der Biodiversität hinzu: Um geografische
zenwachstum deutlich verzögert.“ Er ver-        und naturräumliche Differenzierungen der

12   VAA MAGAZIN APRIL 2015
Spezial

unnötig verschandelt werde, sind die Ziele      Umweltorganisationen wie der BUND ver-          serhaushalte zu etablieren. Teilweise fehlen
ambitionierter geworden. Zunächst kamen         weisen darauf, dass es trotz fortgeschritte-    uns bis heute die Kenntnisse, um das auf
land- und forstwirtschaftliche Erwägungen       ner Rekultivierungstechnik nach wie vor         großer Fläche zu realisieren.“ Gleiches gel-
hinzu. „Man musste erst lernen, wie man         nicht möglich sei, die Eingriffe in Natur und   te für die Standfestigkeit der rekultivierten
Böden aufbaut, die wieder fruchtbar sind,       Landschaft durch den Tagebau – beispiels-       Landschaften: „Wir haben es nicht überall
und Landschaften, die sich wieder einbetten     weise den Verlust sogenannter Altwald-          hinbekommen, dass die Flächen vollständig
in die Gesamtlandschaft“, erzählt Rekulti-      Ökosysteme – vollständig auszugleichen.         stabil sind, es also keine Setzungen oder Sa-
vierungsexperte Hüttl. Erst in den letzten      Auch aus Sicht der Rekultivierungsexper-        ckungen gibt. Das sind Aspekte, die uns
Jahrzehnten spiele der Naturschutz eine zu-     ten gibt es nach wie vor offene Fragen. So      nach wie vor beschäftigen.“
nehmende Rolle: „Zum Beispiel die Frage,        muss für die Braunkohleförderung der
ob sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten       Grundwasserspiegel in den betroffenen           Vielleicht wird die Rekultivierungstechnik
auf diesen armen Böden besonders gut ent-       Landstrichen deutlich abgesenkt werden,         bis zum Ende der Braunkohleförderung im
wickeln. Das sind alles Lernkurven, die man     was sich auch auf die umliegende Land-          deutschen Tagebau – ob es nun Jahre oder
heute schon wesentlich besser versteht als zu   schaft auswirkt. Bei der Rekultivierung sol-    Jahrzehnte sein werden – also noch weitere
Beginn der Rekultivierung.“                     len diese Eingriffe in den Wasserhaushalt       Fortschritte machen. Und danach? Reinhard
                                                ganzer Regionen so gut wie möglich kom-         Hüttl wirft einen Blick über den deutschen
Grenzen der Technik                             pensiert werden. Bodenwissenschaftler           Tellerrand: „Es gibt weltweit weitaus grö-
                                                Hüttl benennt die Grenzen solcher Maßnah-       ßere Tagebaugebiete als wir sie in Deutsch-
Trotzdem ist der ökologische Wert rekulti-      men: „Es ist noch immer eine große Heraus-      land haben. Und überall stehen vergleichba-
vierter Flächen noch immer umstritten.          forderung, dabei sich selbst tragende Was-      re Herausforderungen an.“ „

                                                                                                                                          13
VAA

BETRIEBSRÄTEKONFERENZ IN MAINZ

VAA-Betriebsräte
stärken Netzwerk
Anfang März 2015 trafen sich rund 60 Betriebsratsmitglieder aus verschiedenen
                                                                                 Ein wichtiger
Chemie- und Pharmaunternehmen zu ihrer jährlichen Konferenz in Mainz. Als                      Bestandteil de
                                                                                                              r Betriebsräte
                                                                                des VA A ist de                              konferenzen
Referenten waren Birgit Huber, Head of CoE Development, Training, Employer                      r gemeinsam
                                                                                                             e  Er fahrungs- un
                                                                                Informationsau                                  d
Branding & Recruitment Services bei Sanofi, und Bundesarbeitsrichter                            stausch der Te
                                                                                                                ilnehmer.
Malte Creutzfeldt zu Gast.

               Mit dem Thema
  „Arbeitsvertrag, Tarifvertrag
     und der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz“
       hat der Stellvertretende
       Vorsitzende des Vierten
   Senats des Bundesarbeits-
   gerichtes Malte Creutzfeldt
die Veranstaltung am 6. März
                2015 eröffnet.
         Fotos: Schulte – VAA

                                                                                                                                ilke
                                                                                                    VA A-Jurist Thomas Sp
                                                                                                                    Ko  nfe  ren z
                                                                                                    (links) hat die
                                                                                                            t und  die  Tei lne hm  er
                                                                                                    geleite
                                                                                                         zw eite n Ver ans talt ungs-
                                                                                                     am
                                                                                                     tag über aktuelle
                                                                                                     Entscheidungen aus dem
                                                                                                                                ht
                                                                                                     kollek tiven Arbeitsrec
                                                                                                                               -
                                                                                                      sowie dem Individual
                                                                                                      arbeitsrecht unter
                                                                                                      Berücksichtigung der
                                                                                                                                 ung
                                                                                                       neueren Rechtsprech
                                                                                                       des BAG informiert.
14
VAA

SYMPOSION IN WIESBADEN

Arbeitsfähigkeit
erhalten
Gute Führungsarbeit sorgt für eine erfolgreiche Mitarbeitermotivation und
wirtschaftlichen Unternehmenserfolg. Dies ist das Ergebnis des Ende Februar
veranstalteten VAA-Symposions in Wiesbaden. Mit den rund 130 Gästen
diskutierten hochkarätige Referenten wie Margret Suckale, Mitglied des
Vorstandes der BASF SE und Präsidentin des Bundesarbeitgeberverbandes
Chemie (BAVC), über die Arbeitsfähigkeit von Führungskräften.

                                                                               15
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                                                                                     s: Leuschne   r – VA A
                                                       listin Gundu   la Gause. Foto
                             taltung vo   n ZDF-Journa
                de die Verans
Moderiert wur

                                                                                           „Karriere wird immer noch über Arbeitszeit gemacht.
                                                                                           „Karrie
                                                                                           Dieser Karriereweg ist allerdings für die nachfolgende
                                                                                                        Generation Y nicht mehr attraktiv.“

                                                                                                         Professor Wolfgang Appel von der
                                                                                           Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes.
                                                                                                                                        rlandes.

                                                                                                                                                  Symposion
                                                                                                                                   auf dem VA A-
                                                                                                     rtr äg e un  d Diskussionen               w ie die
                                                                                      Thema der Vo                                Erhaltung so
                                                                                                   ua r in W  ie sb aden war die             gs kr äf ten.
                                                                                      am 20. Febr                             eit von Führun
                                                                                              St är ku ng  de r Arbeitsfähigk
                                                                                      weitere

16   VAA MAGAZIN APRIL 2015
VAA

                                                                      burg sprach über
                                                     Universität Lüne
              rg en  De lle r vo n der Leuphana                     ch e Handlungs-
Professor Jü
                                be its fäh igk eit und zeigte mögli
                    auf die Ar
Einflussfaktoren
      r für Un ter ne hmen auf.
felde

                                                                                         In seiner Eröffnungsre
                                                                                                                 de betonte der 1. Vor
                                                                                         VA A Dr. Thomas Fische                        sitzende des
                                                                                                                  r, dass sich Führungsv
                                                                                         ant wortung positiv auf                           er-
                                                                                                                 die Arbeitsfähigkeit aus
                                                                                                                                           wirkt.

                                                                       Zu den rund 130 Gästen gehör ten auch viele
                                                                                                                   Studenten und Nachwuchs-
                                                                       Führungskräfte von der Technischen Hoch
                                                                                                                schule Mittelhessen.
                                                     le für
                         pel von der Hochschu
Professor Wolfgang Ap                      s  ref erie rte zur
                        k des Sa  arla nde
Wir tschaf t und Techni                       Ch  emie-
                       tun gsi ndi kat or bei
„Arbeitszeit als Belas
Führungskräf ten“.

                                                                                                                 VAA MAGAZIN APRIL 2015          17
VAA

AUFSICHTSRÄTETAGUNG IN AACHEN

Wann haftet der Aufsichtsrat?
Welche Kenntnisse über die Finanzierung von Unternehmen sollten sich Aufsichtsratsmitglieder aneignen, um über
gängige Geschäftsvorgänge urteilen zu können? Was sind aktuelle Haftungsfragen des Aufsichtsrates? Welche
Besonderheiten haben D&O-Versicherungen für Aufsichtsräte? Damit beschäftigten sich Ende März mehr als 30
Teilnehmer der VAA-Aufsichtsrätetagung in Aachen.

                                                                                                               ungsfragen sowie Michael
                                                                           tsanwalt Dr. Oliver Sieg zu den Haft
         en dem   Baye r-Fin anzvorsta nd Johannes Dietsch referierten Rech                         der D&O -Ver sicherung für Aufsichtsrats-
     Neb                                                                                          n
                               Ges chäf tsfüh rer der Hendricks & Co GmbH, zu den Besonderheite
     Hendricks, Gründer und
                                        – VAA
     mitglieder. Fotos: Mirfendereski

 An der Frühjahrstagung der Aufsichtsräte am
    20. und 21. März 2015 in Aachen nahmen
    über 30 Mandatsträger aus dem VAA und
     Gäste aus befreundeten Verbänden teil.

18    VAA MAGAZIN APRIL 2015
VAA

Auch im Pullman Aache
                        n Quellenhof war der                                                  Als Finanzvors
Mandatsträgern ein fes                        rege Erfahrungsausta                                           tand der Baye
                       ter Bestandteil der Tag                     usch zwischen den                                       r Aktiengesel
                                               ung.                                          informierte Jo                              lschaft
                                                                                                            hannes Dietsc
                                                                                             „Finanzierung                h die Teilnehm
                                                                                                            von Unternehm                 er zum Them
                                                                                                                            en“. Dabei fo                a
                                                                                             auf die Punkte                               kussierte er sic
                                                                                                            „Financial Man                                 h
                                                                                             Management“                    ag em ent“, „Financi
                                                                                                            und „Capital M                       al Risk
                                                                                                                           arket“.

        VAA-Gutachten bestätigt: Tarifeinheit verstößt gegen internationales Recht
        Im März hat sich der Bundestag erstmals mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetz zur Wiederherstellung der Tarifeinheit
        beschäftigt. Aus Sicht des VAA vergrößert das geplante Tarifeinheitsgesetz die Rechtsunsicherheit in Deutschland erheblich. Außer-
        dem verstößt der Gesetzgeber gegen internationales und europäisches Recht. In einem vom VAA in Auftrag gegebenen Gutachten be-
        stätigt die Direktorin am Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EU (IAAEU) der Universität Trier Monika Schlachter die-
        sen Verstoß. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als Professorin für Zivilrecht, Arbeitsrecht und Internationales Recht ist Schlach-
        ter (siehe Foto) amtierende Vizepräsidentin des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte, der die Einhaltung der in der Europäi-
        schen Sozialcharta festgelegten Rechte durch die Mitgliedstaaten kontrolliert.

        Dem IAAEU-Gutachten zufolge stellt eine gesetzlich erzwungene Tarifeinheit durch Vorgabe eines „betriebsbezogenen Mehrheitsprinzips“
        einen schwerwiegenden Eingriff in das Betätigungsrecht spezialisierter Vereinigungen dar. Dieses Betätigungsrecht von speziellen Verbän-
        den wird jedoch im Arbeitsvölkerrecht sowohl von den Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Nr. 87 und 98 als auch
        von Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt. Deutschland hat diese internationalen Regelungen anerkannt.

        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht über die Grenzen hinaus, die ihm die EMRK und die ILO-Konventionen setzen. VAA-
        Hauptgeschäftsführer Gerhard Kronisch erläutert: „Die Regelungen garantieren den tarifpolitischen Handlungsspielraum für Berufsge-
        werkschaften und die Freiheit für Arbeitnehmer, sich in Gewerkschaften zu organisieren oder ihnen beizu-
        treten.“ Das von Monika Schlachter verfasste Gutachten stelle ausdrücklich fest, dass der Schutz der Ver-
        einigungsfreiheit das Recht der Verbände einschließt, sich zum Schutz der Interessen ihrer Mitglieder zu
        betätigen. „Und dazu gehört insbesondere das Recht, Tarifverträge mit Wirkung für ihre Mitglieder abzu-
        schließen.“

        Der Staat hat das Recht auf Vereinigungsfreiheit nach internationalen Normen zu schützen und zu fördern.
        „Keinesfalls darf die Entscheidung der Arbeitnehmer durch Anreizbestimmungen gelenkt werden“, betont
        Kronisch. Bereits mehrfach hat der Verband seine Ablehnung der gesetzlichen Tarifeinheit begründet. „Der
        Gesetzgeber täte gut daran, sein Vorhaben noch einmal gründlich überdenken“, resümiert der VAA-Haupt-
        geschäftsführer. Unter www.vaa.de/verband/interessenvertretung/tarifpolitik ist das Gutachten zum
        freien Download erhältlich.                                                                                        Foto: Universität Trier

                                                                                                                  VAA MAGAZIN APRIL 2015             19
Porträt

                                                                             Im Gewerbegebiet am Stadtrand von Re-
                                                                             gensburg geht es für einen späten Freitag-
                                                                             nachmittag sehr geschäftig zu. Auch beim
                                                                             Pharmaunternehmen Haupt Pharma Ama-
                                                                             reg steht Dr. Klaus Pollinger noch voll im
                                                                             Saft: „Heute hatten wir Besuch von Kun-
                                                                             den aus den USA. Die haben sich recht
                                                                             spontan angekündigt, um sich die Produk-
                                                                             tion einmal vor Ort anzuschauen.“ So lau-
                                                                             fe das eben in der Branche. Pollinger zeigt
                                                                             das Gelände. Von den benachbarten Fel-
                                                                             dern zieht der Duft frischen Düngers ins
                                                                             Industriegelände herüber.

                                                                             Für seine Dissertation zum Thema „To-
                                                                             wards Novel Targets for Receptor-Media-
                                                                             ted Nanoparticle Delivery“ wurde Klaus
                                                                             Pollinger im November 2014 mit dem
                                                                             VAA-Stiftungspreis ausgezeichnet. Beim
                                                                             Kuratorium eingereicht hat die Arbeit sein
                                                                             Doktorvater: Professor Achim Göpferich
                                                                             vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Tech-
                                                                             nologie der Universität Regensburg. „Ich
                                                                             wusste zunächst nichts davon“, erzählt der
                                                                             32-jährige Preisträger schmunzelnd. „Das
                                                                             rezeptorvermittelte Nanopartikel-Targe-
                                                                             ting ist eigentlich ein relativ greif bares
                                                                             Konzept“, erläutert Pollinger sein Promo-
                                                                             tionsthema. „Die Aufgabenstellung laute-
STIFTUNGSPREISTRÄGER DR. KLAUS POLLINGER                                     te: Bringe ein Nanopartikel über einen Zel-
                                                                             loberflächenrezeptor so zielgerichtet wie
                                                                             möglich an einen bestimmten Zelltyp.“ Zur

Gipfelstürmer                                                                Veranschaulichung bringt der Stiftungs-
                                                                             preisträger noch schnell eine grafische
                                                                             Skizze zu Papier: Zunächst formieren sich

am Werk
                                                                             die Moleküle zu einem fluoreszierenden
                                                                             Nanokristall. Der Wirkstoff ist im Nano-
                                                                             partikel verpackt und das Nanoteilchen
                                                                             dockt am Rezeptor der gewünschten Zelle
                                                                             an. Anschließend wird der Wirkstoff durch
Seit 2010 engagiert sich der Verband über die VAA Stiftung für Forschung
                                                                             den Rezeptor in die Zelle geschleust. „Es
und Bildung in den naturwissenschaftlich-technischen Bereichen.
                                                                             hat sich im Zuge der Forschung herausge-
Jedes Jahr zeichnet die Stiftung junge Nachwuchswissenschaftler für
                                                                             stellt, dass die Partikel tatsächlich sehr se-
hervorragende Dissertationen im Bereich der chemisch-pharmazeutischen
                                                                             lektiv an ganz bestimmte Zellen andocken
Wissenschaften und der Verfahrenstechnik aus. In einer Porträtreihe stellt
                                                                             und dort auch bleiben.“
das VAA Magazin die Preisträger des VAA-Stiftungspreises vor. In dieser
Ausgabe: Dr. Klaus Pollinger.                                                Die zielgerichtete Adressierung von Nano-
                                                                             partikeln als Wirkstofftransporter oder als
Von Timur Slapke
                                                                             diagnostische Marker an bestimmte Zellen
                                                                             erlaubt es, bei Therapien nur die tatsäch-
                                                                             lich betroffenen, kranken Zellen zu erwi-
                                                                             schen: „Damit erhöht man die Effektivität
                                                                             und verringert die Nebenwirkungen.“ Klar,
                                                                             räumt Klaus Pollinger ein, daran werde vor
                                                                             allem in der Tumortherapie schon lange in-
Foto: Schmitt – VAA                                                          tensiv geforscht. Aber für andere Zellen sei

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Porträt

dieser Ansatz noch neu. „In unserer For-       Lohnhersteller. „Wir produzieren Arznei-        mension. „Man muss Projekte überblicken,
schungsgruppe haben wir uns dann auch          mittel für die Zulassungsinhaber aus der        steuern, priorisieren und die Arbeitskräfte
auf Nieren und Netzhaut konzentriert.“         Pharmaindustrie.“ Spezialisiert ist das Un-     entsprechend den Anforderungen vertei-
Seine Forschungsarbeit hat Klaus Pollin-       ternehmen auf die Entwicklung fester Arz-       len.“ Grundlegende Entscheidungen wer-
ger gut auf die Arbeitswelt vorbereitet.       neiformen wie Tabletten, Kapseln oder           den natürlich gemeinsam mit der Ge-
Sehr interdisziplinär sei es gewesen, im       Dragees für hochpotente Wirkstoffe. Dazu        schäftsführung getroffen. „Aber etwa die
Prinzip richtiges Projektmanagement in         gehören beispielsweise Zytostatika, Im-         monatlichen Kapazitäten im Produktions-
der Forschung.                                 munsuppressiva oder Hormone. Ende 2013          bereich muss ich schon selbst einteilen.“
                                               hat Klaus Pollinger einen Teilbereich der       Fällt ihm das schwer? „Es funktioniert
                                               Formulierungsentwicklung als Abteilungs-        überraschend gut.“ Die Dynamik des Ge-
Sprachbegabtes Allroundtalent                  leiter übernommen. Im Eiltempo ging es          schäftes reiße ihn einfach mit. „Verantwor-
                                               weiter: Seit Oktober 2014 leitet er die ge-     tung heißt nicht, dass man alles besser wis-
Stiftungspreisträger Pollinger ist zielstre-   samte Abteilung Pharmazeutische Ent-            sen muss. Es kommt auf die Kommunika-
big, aber nie getrieben vom Ehrgeiz. Um-       wicklung mit knapp 30 Mitarbeitern am           tion bei der Entscheidungsfindung an.“
gänglich, gut aufgelegt, aber dennoch prä-     Standort. Für Anfang dreißig ein durchaus
zise in der Argumentation. Ein Naturwis-       steiler Aufstieg auf der Karriereleiter. La-    Klaus Pollinger wirkt absolut glaubwürdig
senschaftler, wie er im Buche steht. Schon     chend wiegelt Pollinger ab: „Ich sehe ein-      in dem, was er sagt. Er ist rundum glück-
immer? Nicht ganz. Aufgewachsen in ei-         fach jünger aus, als ich bin.“ Offensichtlich   lich mit seiner Lebenssituation. Gemein-
ner humanistisch-musisch geprägten Fami-       hat er seine Vorgesetzten trotzdem über-        sam mit seiner Freundin wohnt er in direk-
lie ist Pollinger auf ein humanistisches       zeugt. Ein weiterer Vorteil: „Wir haben         ter Nähe zur pittoresken Regensburger Alt-
Gymnasium gegangen. „Ich war eher der          hier ein ziemlich junges, energisches Team      stadt. Sein Job ist unglaublich vielfältig:
Sprachentyp.“ Doch bereits als Abiturient      und gehören alle mehr oder weniger zur          „Jeder Tag beginnt mit einer neuen Her-
fand Pollinger das Thema Arzneimittel          gleichen Generation.“                           ausforderung. Man weiß am Morgen oft
spannend. Da lag Pharmazie als Studien-                                                        nicht, welche Aufgaben am Nachmittag
gang auf der Hand. Naturwissenschaftlich       Als leidenschaftlicher Kletterer kennt          auf einen warten.“ Daher vergehe die Ar-
breit aufgestellt ist Pharmazie dennoch zu     Klaus Pollinger den Weg nach oben: Regel-       beitszeit meist wie im Flug. Für ihn ist es
speziell, um als „Verlegenheitsfach“ durch-    mäßig geht es in die Alpen zum Bergstei-        kein Problem, dass er selbst nicht mehr ak-
zugehen. Seine Studienwahl hat Klaus Pol-      gen. Ist die Zeit knapp, muss der nahegele-     tiv wissenschaftlich tätig ist. „Ich bin vor
linger zu keinem Zeitpunkt bereut: „Es         gene Bayerische Wald herhalten. Ab und zu       Ort, schaue mir alle Projekte regelmäßig
wurde mit der Zeit sogar noch interessan-      braucht es eben einen Ausgleich zum auf-        an und versuche, so nah wie möglich an
ter.“ Nach neun Semestern und zwei             regenden Job. Umso energischer kann sich        den Forschungsthemen dran zu sein.“ Der
Staatsexamen standen dann zwei halbjähr-       die junge Führungskraft den beruflichen         Forschergeist bleibt also stets wach. Und
liche Praktika auf dem Programm, eines         Herausforderungen widmen. Dazu gehört           genau diesen hatten auch die Kuratoren der
davon in einer öffentlichen Apotheke in        nach wie vor Projektmanagement. Was sich        VAA Stiftung bei der Entscheidung über
seiner Heimat Weiden – etwa 100 Kilome-        aber verändert hat, ist die strategische Di-    die Preisvergabe im Sinn. „
ter nördlich von Regensburg. Im weißen
Kittel stand der Oberpfälzer hinter der        Foto: hywards – Fotolia
Theke und hat Kunden beraten. Den zwei-
ten Abschnitt des Pharmaziepraktikums
hat Pollinger bei Hexal in der Qualitäts-
kontrolle absolviert. „Das hat mir den ent-
scheidenden Ruck gegeben, es später auch
wirklich in der Industrie zu versuchen.“

Abgezeichnet hat sich die allgemeine Rich-
tung aber schon während seines For-
schungspraktikums am Lehrstuhl. Im End-
spurt zur Promotion hat sich Klaus Pollin-
ger parallel um einen Job gekümmert –
und nicht allzu lange suchen müssen. An-
fang 2013 ist der Jungforscher als Projekt-
manager in der Pharmazeutischen Ent-
wicklung bei Haupt Pharma Amareg ein-
gestiegen. Das mittelständische Unterneh-
men entwickelt Arzneimittel nicht unter ei-
genem Namen, sondern als sogenannter

                                                                                                         VAA MAGAZIN APRIL 2015         21
Branche

VEREINBARKEIT VON FAMILIE, BERUF & KARRIERE

Mehr Väter für
Teilzeit begeistern
Gerade im außertariflichen Bereich müssen Arbeitnehmer, die eine Familie gründen wollen, viele Hürden meistern.
Einerseits stehen sie oft noch am Anfang ihrer Karriere und wollen im Job Gas geben, andererseits möchten Eltern mehr
Zeit für die Familie aufwenden – nicht nur Mütter, sondern auch immer mehr Väter. Einen Ausweg aus dem Dilemma
bietet die stärkere Nutzung von Teilzeitarbeitsmodellen, womit sich gleichzeitig deren Akzeptanz bei Mitarbeitern und
Vorgesetzten steigern lässt. In den Unternehmen vor Ort wird schon einiges getan: So wurde im Herbst 2014 in der BASF
ein Netzwerk „Männer für Teilzeit“ gegründet, unterstützt von der Initiative „Diversity + Inclusion“. Treibende Kraft
des Netzwerks ist das Mitglied der VAA-Werksgruppe BASF Ludwigshafen Dr. Christian Schade.

Von Timur Slapke

22   VAA MAGAZIN APRIL 2015
Branche

                                                                                                                 Foto: goodluz – Fotolia

„Die Chemieindustrie ist von Natur aus        fängern und studentischen Mitgliedern zu      tige Chemiker bestens aus: Im Jahr 1999
eher konservativ“, erklärt Dr. Christian      den Erwartungen an Arbeitgeber durchge-       mit 39 Jahren erstmals Vater geworden, hat
Schade die Eigenheiten der Branche.           führt, derzufolge sich die Führungskräfte     er 2001 ein halbes Jahr Elternzeit genom-
„Während dies in wirtschaftlichen Aspek-      von morgen bei der Arbeitgeberwahl vor        men. Damit gehörte Schade in seinem Un-
ten durchaus sinnvoll ist, schlagen gesell-   allem an weichen Faktoren orientieren. An     ternehmen zu den ersten männlichen AT-
schaftliche Umbrüche dafür erst mit eini-     erster Stelle: die Vereinbarkeit von Fami-    Angestellten in Elternzeit überhaupt. Gut
ger Verzögerung durch.“ Und die Gesell-       lie, Beruf und Karriere.                      zwei Jahre nach der Geburt des zweiten
schaft befindet sich mitten im Wandel: Ei-                                                  Kindes ist Christian Schade 2005 abermals
ner Umfrage des Instituts für Demoskopie      Im Büro des Sprecherausschusses der Lei-      in Elternzeit gegangen, diesmal mit einem
Allensbach zufolge wünschen sich in           tenden Angestellten der BASF am Rheinu-       Anteil von 50 Prozent. Seit 2006 arbeitet
Deutschland 60 Prozent der Paare mit Kin-     fer des Ludwigshafener Stammwerks             der Forscher permanent in Teilzeit und
dern unter drei Jahren, dass beide Eltern-    spricht Christian Schade über Wege zu ei-     kümmert sich an zwei Nachmittagen pro
teile mehr Zeit für die Familie haben. Aber   nem familienfreundlicheren Arbeitsum-         Woche um die Familie. Knapp zehn Jahre
nur 14 Prozent der Paare schaffen es auch.    feld. Er sieht die Notwendigkeit, vor allem   ist Polymerforscher Schade nun schon der
Der Trend macht vor der Chemie nicht halt:    im außertariflichen Bereich mehr Mitar-       Ansprechpartner der VAA-Werksgruppe
Bereits 2012 hat der VAA gemeinsam mit        beiter für Teilzeitarbeitsmodelle zu sensi-   für Elternzeitfragen. Vor allem bei der Ein-
dem Zentrum für Sozialforschung Halle         bilisieren und zu begeistern. Mit Teilzeit    führung des Elterngeldes im Jahr 2007
(zsh) eine Studie unter seinen Berufsan-      kennt sich der in der Polymerforschung tä-    häuften sich die Anfragen. „Aber schon X

                                                                                                      VAA MAGAZIN APRIL 2015         23
Branche

kurz darauf ist Elternzeit bei uns im Un-        Handelskam mer t ages (DI H K) Er ic                nehmen wie „Women in Business“, „LGBT
ternehmen praktisch zu einem Selbstläufer        Schweitzer: „Was wir brauchen, sind pas-            and Friends“ oder „Women in Research“.
geworden.“                                       sende Lösungen im Betrieb, die es schaf-            Dabei haben die Netzwerke keinen aus-
                                                 fen, Familien- und Berufsleben besser zu            schließlichen Charakter, sondern sind of-
In der Tat hat sich die Akzeptanz im ge-         vereinbaren – und zwar für Männer und               fen für jeden – ob Frau oder Mann, Vater
samten Land verbessert. Die Elternzeit-          Frauen gleichermaßen.“ Im Rahmen des                oder Mutter, jung oder alt. Die Mitarbeit
quoten bei Männern steigen ebenfalls,            jährlichen Mitgliedertreffens des Unter-            ist ehrenamtlich. Ähnliche Netzwerke sind
doch das Missverhältnis zwischen Müttern         nehmensnetzwerks „Erfolgsfaktor Fami-               bei fast allen größeren Chemieunterneh-
und Vätern ist nach wie vor eklatant: Nach       lie“ vor rund einem Jahr zeigte der DIHK-           men etabliert. So gibt es beispielsweise bei
Angaben des Statistischen Bundesamtes            Präsident allerdings auch mögliche Prob-            Henkel ein Väternetzwerk. Unternehmen
befanden sich im Jahr 2013 27,7 Prozent al-      lemfelder durch verstärkte Teilzeitarbeit           wie BASF, Henkel oder Bayer haben be-
ler Mütter mit dem jüngsten Kind unter           auf: „Gerade für kleinere Unternehmen               reits sämtliche Instrumente für individuell
drei Jahren in Elternzeit, aber nur 2,4 Pro-     kann es ein ernstes Problem sein, wenn              abgestimmte Teilzeitmodelle im Portfolio,
zent der Väter. Insgesamt beanspruchen           mehrere Beschäftigte ihr Arbeitszeitvolu-           betont Teilzeitexperte Christian Schade.
32,3 Prozent aller Väter Elternzeit. Davon       men um zehn Prozent oder 20 Prozent re-             „Man muss jetzt motivieren und Best-
nehmen allerdings 79 Prozent lediglich die       duzieren.“ Wichtig seien daher individuell          Practice-Beispiele liefern, um die Akzep-
beiden sogenannten Partnermonate in An-          abgestimmte Lösungen vor Ort. Diese Pro-            tanz von Teilzeit zu steigern.“
spruch – nur sechs Prozent gehen
für ein Jahr in Elternzeit. Außer-                                                                           Weit fortgeschritten bei der
dem arbeiten Frauen im An-                                                                                   Schaffung eines öffentlichen Be-
schluss an die Elternzeit wesent-            „Was wir brauchen, sind junge Väter, die Teilzeit als
                                             „Wa                                                             wusstseins für die Bedeutung
lich häufiger Teilzeit als Männer                           Chance begreifen.“                               von Teilzeit ist die Schweiz. Zwar
– und das meist zu deutlich redu-                                                                            gibt es in der Schweiz keine mit
zierten Arbeitszeiten.                        Polymerforscher Dr. Christian Schade vom BASF-                 Deutschland vergleichbaren El-
                                                 Beschäftigtennetzwerk „Männer für Teilzeit“ zur             ternzeitregelungen und auch gro-
Als Entscheidungsgründe von                    Notwendigkeit der Akzeptanzsteigerung von Teilzeit.
                                                                                            eilzeit.         ße Unterschiede zwischen der
Vätern für Elternmonate führt                                                                                französisch geprägten Romandie
die Studie der Hans-Böckler-                                                                                 und der Deutschschweiz. Aber
Stiftung „Nachhaltige Effekte                                                                                unter anderem dank Initiativen
der Elterngeldnutzung durch Väter“ vom          bleme sind aber bei den großen Mittel- wie „Teilzeitmann – ganze Männer ma-
Dezember 2014 in erster Linie die indivi-       ständlern und Großunternehmen der Che- chen Teilzeitkarriere“ (im Web erreichbar
duelle Arbeitsplatzsicherheit sowie die Fa-     mieindustrie in der Form nicht gegeben.            unter www.teilzeitmann.ch) ist es den
milienfreundlichkeit der Arbeitgeber an.                                                           Eidgenossen gelungen, ein ausgeprägtes
Für die Dauer der Elternzeit seien unter an-    Momentan liegt der Schwerpunkt bei Teil- öffentliches Bewusstsein für Teilzeit zu
derem die Unterschiede zwischen den             zeitarbeit noch in der Generation 50plus. schaffen. Bei Teilzeit für Männer befindet
Partnern bei Qualifi kation und Einkom-         „Was wir brauchen, sind junge Väter, die sich die Schweiz in einer Führungsrolle.
men ausschlaggebend. „Elternzeit ist kein       Teilzeit als Chance begreifen“, fordert
Karrierehindernis, solange sie in einem be-     Christian Schade in Ludwigshafen. Voll-
scheidenen Rahmen bleibt“, bestätigt            zeitnahe Teilzeit sei ein weitverbreiteter Teilzeit darf kein Frauenthema sein
Christian Schade. Alles, was darüber hin-       Wunsch, der noch nicht ausreichend gelebt
ausgehe, sei schon komplizierter. Denn das      werde. Deshalb hat Schade maßgeblich an In Deutschland hingegen arbeitet die gro-
gehöre bereits in den allgemeinen Teil-         der Vorbereitung und Gründung des ße Mehrheit der Väter noch Vollzeit, von
zeitrahmen. Laut Bundesministerium für          BASF-Beschäftigtennetzwerks „Männer denen nicht wenige sich jedoch leicht redu-
Arbeit und Soziales haben im letzten Jahr       für Teilzeit“ im September 2014 mitge- zierte, familienfreundlichere Arbeitszeiten
rund drei Millionen Arbeitnehmer zwi-           wirkt. Mit 30 Mitgliedern ist das Netzwerk wünschen. Umgekehrt arbeiten die meis-
schen 25 und 35 Stunden pro Woche gear-         gut besetzt. „An den Treffen selbst nehmen ten Mütter oft nur 19 Stunden in Teilzeit,
beitet, was einem Anstieg um mehr als 50        etwa 15 Teilnehmer regelmäßig teil, was würden ihre Arbeitszeit aber gern erhöhen.
Prozent seit 2004 entspricht. Dennoch gibt      eigentlich auch die optimale Größe für ef- Von einer Annäherung der Arbeitszeitmo-
es weiteren Handlungsbedarf, zumal mit          fektives Arbeiten ist.“ Es wird Material ge- delle könnten beide Partner profitieren.
knapp 2,6 Millionen die große Mehrheit          sichtet, Meinungen werden eingeholt. Zum Was es dazu in erster Linie braucht, erklärt
der längeren Teilzeiterwerbstätigen Frau-       Ziel gehört auch die Erstellung eines prak- Christian Schade: „Gleichwürdigkeit in der
en sind.                                        tischen Teilzeithandbuchs – für Mitarbei- Partnerschaft ist zentral.“ Beide Partner
                                                ter und Vorgesetzte gleichermaßen.                 sollten auch schauen, dass sie ihren Fuß im
In der Wirtschaft ist das Thema längst an-                                                         Arbeitsleben behalten. Das Alleinverdie-
gekommen. Auch nach Meinung des Prä-            In regem Austausch ist man auch mit an- nermodell sei längst zum Auslaufmodell
sidenten des Deutschen Industrie- und           deren Beschäftigtennetzwerken im Unter- mit zunehmenden ökonomischen Risiken

24   VAA MAGAZIN APRIL 2015
Branche

für die Familie geworden. „Die Partner        gentlich leisten, ohne Abstriche für die       als AT-Angestellten nun wirklich nicht
müssen offen zueinander sein und klar         Karriere befürchten zu müssen? „Eine auf       weh.“ Gleichzeitig gewinne man spürbare
kommunizieren, was sie wollen.“ Teilzeit      bis zu zwei Jahre befristete intensive         Freiräume für die Familie, zu pflegende
bedeute ein Mehr an Absprachen und Or-        50-Prozent-Teilzeit wird akzeptiert“, meint    Angehörige oder andere Aufgaben.
ganisation, es ergeben sich mehr Reibungs-    Schade. Das sei kein Problem für die Un-
flächen, aber auch mehr Teilhabe. Am En-      ternehmen. Bei den dauerhaften Teilzeit-       Was AT-Angestellte von tariflichen Mitar-
de profitieren Partnerschaft, beide Eltern-   modellen taste man sich eher an das Opti-      beitern unterscheidet, ist nicht zuletzt das
teile und die Kinder.                         mum heran. „75 bis 80 Prozent scheint hier     Prinzip der Arbeitszeitsouveränität. De
                                              das Modell zu sein, bei dem der Arbeitneh-     facto bedeutet dies Mehrarbeit, was für
                                              mer noch voll in die betrieblichen Prozes-     Vollzeit genauso wie für Teilzeit zutrifft.
Wie viel ist zu wenig?                        se einbezogen ist – inklusive Fortbildun-      Einschränkungen muss man bei der Er-
                                              gen.“ Wenn beide Partner zu 75 Prozent         reichbarkeit machen: Regelmäßiges Prüfen
Wer letztlich zu welchem Anteil in Teilzeit   Teilzeit arbeiten, überwiegen die Vorteile     der E-Mails gehört oft ebenso dazu wie Te-
geht, ist natürlich individuell verschieden   also am deutlichsten. Abstriche hinsichtlich   lefonate in Notfällen. Dennoch werde die
– Patentrezepte kann es keine geben. Das      der Gehalts- und Karriereentwicklung fal-      Gesamtbelastung durch Teilzeit reduziert,
besonders im AT-Bereich vorherrschende        len überschaubar aus. Aus Schades Sicht        so AT-Mitarbeiter Christian Schade. „Man
Selbstbild von identitätsstiftender, leis-    sollten gerade im AT-Bereich die finanziel-    streicht automatisch die Nice-to-have-Auf-
tungsorientierter Erwerbsarbeit steht der     len Aspekte nicht von Teilzeitarbeit abhal-    gaben.“ Nicht jede Tagung müsse auch
Entscheidung für Teilzeit oft entgegen.       ten. „Wer, wenn nicht wir?“, fragt er offen.   wirklich besucht werden, nicht jeder Kaf-
Aber wie viel Teilzeit kann man sich ei-      „Ganz ehrlich: Vollzeitnahe Teilzeit tut uns   feeplausch sei produktiv. „Die Arbeit X

                                                             Nur selten bedeutet Teilzeit auch wirklich Freizeit. Aber man gewinnt spürbare
                                                             Freiräume, um sich mehr um die Familie zu kümmern. Fotos: goodluz – Fotolia
                                                                                                                                        25
Branche

verdichtet sich und man arbeitet fokussier-     Kinderbetreuung. Je schlechter dagegen        Unternehmenspolitik“ am Beispiel von 20
ter.“ Aber ist ein Verzicht auf erweitertes     die Betreuungssituation, desto mehr muss      Schweizer Unternehmen erstellt, darunter
Networking nicht trotzdem ein Karriere-         einer der Partner zurückstecken – zuguns-     Novartis und Nestlé. Laut den Studiener-
nachteil? „Bei Präsenzpf lichtterminen          ten der Kinder, aber zulasten der Karriere.   gebnissen übersteigen die unmittelbaren
kann es manchmal nachteilig wirken, aber                                                      positiven Effekte einer familienfreundli-
man kann sehr vieles selbst steuern.“ Gut       In Deutschland seien die gesetzlichen Ins-    chen Personalpolitik die Kosten für diese
organisierte Stellvertreterregelungen kön-      trumente bereits ausreichend vorhanden,       Maßnahmen: Innerhalb der Modellrech-
nen hier ebenfalls Abhilfe schaffen, wie sie    stellt Christian Schade fest. „Es sind die    nung wird unter Annahme realistischer
auch die Schweizer Teilzeitmann-Initiati-       handelnden Menschen in den Unterneh-          Wirkungen ein Return on Investment von
ve empfiehlt. Und: Je stärker die allgemei-     men, auf die es jetzt ankommt: Entschei-      acht Prozent ermittelt. Große Nutzeneffek-
ne Akzeptanz für Teilzeit steigt, desto stär-   der, Vorgesetzte, aber auch die normalen      te entstehen dabei unter anderem durch hö-
ker werden auch die allgemein erwarteten        Mitarbeiter.“ Wer mehr als zwei Elternmo-     here Rückkehrquoten von Arbeitnehmern
und die tatsächlichen Karrierenachteile zu-     nate nehme, löse noch immer Sondervor-        nach der Geburt eines Kindes, durch ein
rückgehen.                                      gänge in den Personalabteilungen aus. Das     höheres Arbeitspensum nach der Rückkehr
                                                müsse sich ändern. „Wenn die Unterneh-        und durch häufigere unternehmensinterne
Was den gesetzgeberischen Rahmen be-            men erkennen, dass Teilzeit an sich eine      Karrieren.
trifft, sind mit der Einführung des Eltern-     Win-win-Situation sein kann, wird sich et-
geldes Plus und der weiteren Flexibilisie-      was ändern.“                                  In Chemieunternehmen wie der BASF
rung der Elternzeit zum 1. Januar 2015                                                        weiß man um die positiven Effekte der
zwei weitere Schritte hin zu einer Famili-                                                    Teilzeitarbeit. Im Tarifbereich ist Teilzeit
enarbeitszeit getan. Auch der politische        Teilzeit bringt Profit                         bereits voll angekommen. Christian Scha-
Dachverband des VAA begrüßt diese Neu-                                                        de dazu: „Das Prinzip an sich funktioniert,
erungen: Der ULA zufolge stehen Eltern          Empirischen Untersuchungen zufolge            und zwar ganz individuell abgestimmt.“
nun mehr Optionen beim Wiedereinstieg           bringen Mitarbeiter in Teilzeit den Unter-    Dies könne auch für AT-Angestellte und
in den Beruf zur Verfügung, wodurch psy-        nehmen tatsächlich einen handfesten wirt-     Leitende klappen, ist sich der teilzeiterfah-
chologische Hürden bei der Familiengrün-        schaftlichen Gewinn. Denn durch ein fa-       rene Naturwissenschaftler sicher. „Den ers-
dung abgebaut werden. Mit dem Ausbau            milienfreundliches Arbeitsumfeld moti-        ten Stein ins Rollen zu bringen, war schwer
der Betreuungsmöglichkeiten wird die            vierte Mitarbeiter arbeiten effizienter. So   genug.“ Nun gelte es, die vorhandenen Mo-
Teilzeitquote bei Männern weiter steigen.       hat das renommierte Wirtschaftsfor-           delle auch konsequent umzusetzen.
Denn wenn mehr Mütter im Beruf präsen-          schungsunternehmen Prognos im Jahr
ter sein können, kümmern sich auch die          2010 eine „Betriebswirtschaftliche Kos-       Doch Hochglanzbroschüren und ausgefeil-
Väter möglichst zu gleichen Teilen um die       ten-Nutzen-Analyse familienfreundlicher       te Teilzeitprogramme bringen letztlich we-
                                                                                              nig, wenn die Akzeptanz der Vorgesetzten
                                                                                              nicht vorhanden ist. Darauf komme es in
                                                                                              erster Linie an, weiß Christian Schade aus
                                                                                              eigener Erfahrung: „Als ich erstmals in El-
                                                                                              ternzeit gegangen bin, wurde dies mit Er-
                                                                                              staunen wahrgenommen. Aber meine un-
                                                                                              mittelbaren Vorgesetzten haben mich dar-
                                                                                              in absolut unterstützt.“ Auch vonseiten der
                                                                                              disziplinarischen Chefs gab es zumindest
                                                                                              nie negatives Feedback. „Der schwierigste
                                                                                              Schritt ist schließlich die intrinsische Mo-
                                                                                              tivation.“ Aber Schade ist zuversichtlich,
                                                                                              dass auch dieser Schritt vielen Männern
                                                                                              mit der Zeit immer leichter fallen wird:
                                                                                              „Teilzeit ist ein Gewinn, den man nicht so
                                                                                              schnell wieder hergeben möchte, wenn man
                                                                                              einmal richtig daran geschnuppert hat.“ „

                                                                                                 Weitere Informationen zum Thema
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In der VAA-Werksgruppe BASF Ludwigshafen ist Dr. Christian Schade Ansprechpartner                auf der Kommunikationsplattform
für Elternzeitfragen. Der Polymerforscher hat maßgeblich an der Gründung des BASF-               MeinVAA unter http://mein.vaa.de.
Beschäftigtennetzwerks „Männer für Teilzeit“ mitgewirkt. Foto: BASF

26   VAA MAGAZIN APRIL 2015
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