VAA Magazin - Teilzeit braucht Männer Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit
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Ausgabe April 2015 VAA Magazin Zeitschrift für Führungskräfte in der Chemie Rekultivierung: Industrie schafft Natur Vereinbarkeit: Teilzeit braucht Männer
DER VAA FÜHRT DAS WICHTIGSTE ARBEITGEBERRANKING DER CHEMISCHEN INDUSTRIE DURCH! Die Ergebnisse erscheinen in der August-Ausgabe des VAA Magazins. EXKLUSIV FÜR MITGLIEDER ^^^]HHKLILÄUKSPJORLP[Z\TMYHNL
Editorial Gelebte Verantwortung Ostern ist vorüber – in vielen Regionen Deutschlands ist der Früh- ling bereits in voller Blüte. Die ersten Wochenendausflüge in die Natur liegen bereits einige Wochen zurück. Ob in Parks, Wäldern, Heiden oder an den Ufern der Baggerseen: Wer nicht gerade Pol- lenallergiker ist, kann sich der grünen Jahreszeit erfreuen. Was viele dabei häufig vergessen, ist die Tatsache, dass heutzutage nicht wenige natürliche Landschaften renaturierte oder rekultivierte In- dustrieflächen sind. So befi ndet sich im Rheinland die größte Braunkohlelagerstätte Deutschlands. Klar: Die riesigen Tagebaue Garzweiler oder Hambach dürften den meisten Menschen in Deutschland ein Begriff sein. Aber wahrscheinlich ist nicht allen bewusst, dass die Gebiete nach dem Ende des Kohleabbaus wie- der landschaftlich nutzbar gemacht werden. Mit eben dieser Wie- derherstellung eines stabilen Naturhaushaltes, der Schaffung neu- er Lebensräume für Flora und Fauna, befasst sich das Spezial auf Foto: VAA den Seiten 8 bis 13. Es zeigt, wie die Industrie Verantwortung für die Umwelt wahrnehmen kann. Die Rekultivierung sorgt für neue Ziele für Frühlingsausflüge mit der Familie. Unternehmungen mit der Familie sind notwendig und erholsam, allerdings fehlt vielen Arbeitnehmern – vor allem im AT-Bereich – schlichtweg die Zeit dafür. Ein immer dichteres Arbeitspensum steht einer besseren Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriere diametral entgegen. Gibt es Auswege? Eine mögliche Lösung ist die Steigerung der Ak- zeptanz von Teilzeitarbeitsmodellen, gern vollzeitnah, und zwar für Frauen und Männer gleichermaßen. Davon pro- fitieren sowohl Familien als auch Unternehmen. Denn wenn Firmen mehr Teilzeit wagen, tun sie etwas für die Moti- vation und die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter. Mehr dazu in unserem Branchenfeature auf den Seiten 22 bis 26. Langfristig arbeitsfähig ist in erster Linie, wer gesund bleibt. Nicht zuletzt kommt es da auf Prävention am Ar- beitsplatz an. Und genau zu diesem Themenkomplex hat das Führungskräftepanel „Manager Monitor“ eine Um- frage durchgeführt, deren Ergebnisse in den ULA Nachrichten auf den Seiten 31 und 32 ausgewertet werden. So viel vorweg: Vor allem Großunternehmen sind auf Kurs. Allerdings besteht noch Luft nach oben, sei es bei der Gefährdungsbeurteilung durch psychische Belastungen, der Passgenauigkeit der spezifisch auf Führungskräfte zugeschnittenen Angebote oder den individuellen Handlungsspielräumen. Unternehmen, die auch morgen noch innovativ und erfolgreich bleiben wollen, müssen heute in die Gesundheit ihrer Angestellten investieren. Was aber zeichnet eine Führungskraft von morgen aus? Das ist das Thema des diesjährigen ULA-Sprecheraus- schusstages am 20. und 21. Mai in Berlin. Wer in einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt nach- haltig wirtschaften möchte, sollte möglichst mobil und vernetzt sein. Das Beherrschen der Klaviatur des inter- kulturellen Managements ist ebenfalls sehr hilfreich. Hochkarätige Referenten und spannende Diskussionen werden dazu beitragen, den Horizont der Teilnehmer zu erweitern und gleichzeitig die Herausforderungen der Zukunft fokussierter anzugehen. Und genau dies entspricht letztlich dem Selbstverständnis der VAA-Mitglie- der und -Mandatsträger: Mandatsträger: die eigene Verantwortung zu kennen und bewusst zu leben. Thomas Fischer 1. Vorsitzender des VAA VAA MAGAZIN APRIL 2015 3
Inhalt CHEMIE IM BILD/SPEZIAL 06 Rekultivierung in Zahlen 08 Industrieflächen neu erschließen Coverfoto: goodluz – Fotolia VAA BRANCHE MELDUNGEN 14 Mitbestimmung: 22 Vereinbarkeit: 28 Pestizide, Teilzeitarbeit Betriebsräte tagen in Mainz Väter für Teilzeit 29 Chemikaliengewinnung, Gender 15 Symposion: 27 Personalia aus der Chemie Pay Gap, Molekularschalter, Erhaltung der Arbeitsfähigkeit Befindlichkeitsumfrage, Innovationspreis, Nanofußball 18 Aufsichtsrätetagung: Austausch in Aachen 30 NanoBioMedizin, Stress, Wertewandel, VAA bei SAP, 19 Tarifeinheit: Lithiumspeicher Gutachten bestätigt VAA-Kritik PORTRÄT 20 Stiftungspreisträger: Dr. Klaus Pollinger 4 VAA MAGAZIN APRIL 2015
Inhalt ULA NACHRICHTEN 31 Manager Monitor: Gesundheit am Arbeitsplatz 33 Kommentar, Notizen aus Berlin 34 Arbeit: Debatte um Gesetz zur Entgeltgleichheit 36 Europa: Sozialer Dialog startet neu 37 Management: ULA-Sprecherausschusstag 38 Weiterbildung: Aktuelle Seminartermine REISEN LEHMANNS DESTILLAT 42 Pensionärsreise: 48 Satirische Kolumne: Erfurt lockt als Reiseziel Erik Lehmann hat das Wort WIRTSCHAFT IN ZAHLEN 39 Direktinvestitionen: Deutschland exportiert RECHT VERMISCHTES 43 Urteil: Kündigung 49 ChemieGeschichte(n): trotz Rechtsirrtum Ausbruch des Tambora 60PLUS 50 Glückwünsche 44 Interview: 40 Steuern: Clever Sparen Mindestlohn im Praktikum bei Deferred Compensation 52 Sudoku, Kreuzworträtsel 46 Pensionskassenrenten: 53 Leserbriefe VAA-Mitglieder siegen beim Bundesarbeitsgericht 54 Termine, Vorschau, Impressum VAA MAGAZIN APRIL 2015 5
Chemie im Bild 56 Fichtenstämme formen das Gebäudekonstrukt der Akademie „Mont Cenis“ in Herne. Die NRW-Fort- bildungsakademie gilt als Herzstück des neuen Stadtteilzentrums des ehe- maligen Zechenstandorts. 3.185 Module bilden die Solar- anlagen auf dem Dach des Hauses. Mit bis zu 750.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr versorgen sie die Akademie und angrenzende Haushalte. 20.000 Tonnen Kohlendioxid vermeidet ein Blockheiz- kraftwerk durch die Umwandlung des aus den Schächten der 1978 stillge- legten Zeche austretenden Grubengases in umwelt- freundlichen Strom und Wärme für den Stadtteil. 6
Chemie Chemie im Bild 13.500 Quadratmeter Dachfläche, meist aus Glas, erheben sich über dem Gebäude. Wasserspiele, Erdkanäle und Tore verhindern ein Überhitzen im Sommer. 16 Hektar groß ist der Land- schaftspark, der viele Freiflächen zu einem regionalen Grünzug als neues Naherholungsgebiet miteinander verbindet. 7
Spezial REKULTIVIERUNG VON TAGEBAU- UND INDUSTRIEFLÄCHEN Zurück zur Kultur Die Braunkohle trägt in Deutschland seit vielen Jahren dazu bei, die Energiepreise auf einem für die energieintensiven Industrien halbwegs erträglichen Niveau zu halten. Gleichzeitig stellt der Braunkohletagebau jedoch einen weitreichenden Eingriff in die Natur und in den Lebensraum der Menschen dar. Mit Rekultivierungsmaßnahmen werden ehemalige Tagebauflächen wieder nutzbar gemacht. Aber auch Industriebrachen können durch Rekultivierung für eine neue Nutzung erschlossen werden. Von Christoph Janik 8
Spezial Der Bagger 288 im Braunkohletagebau Derzeit ist die Braunkohle mit einem Anteil gen aus dem Bundeswirtschaftsministerium Garzweiler ist eine Maschine der Superlati- von rund 25 Prozent an der Stromerzeugung für eine neue Klimaabgabe auf alte Kraft- ve: Mit mehr als 12.000 Tonnen bringt er so noch einer der wichtigsten Energieträger werke könnten den Ausstieg aus der Braun- viel Gewicht auf die Waage wie rund 10.000 hierzulande. Wie lange das so bleiben wird, kohleförderung allerdings beschleunigen. durchschnittliche Kleinwagen. Mit seiner lässt sich nur schwer abschätzen. Denn kli- Förderleistung von 240.000 Ku- Die Frage, was mit den riesigen bikmetern könnte er jeden Tag fast Tagebaugebieten geschieht, muss 100 Wettkampfschwimmbäder in „Die R Rekultivierung befasst sich mit Flächen, die von allerdings nicht erst nach dem der Abmessung von 50 mal 25 Tagebau Tag oder Industrie in Anspruch genommen Ausstieg beantwortet werden. Metern ausbaggern. Der 288 ge- wurden wurd und vorher schon einmal von Menschenhand Denn während sich der 288 und hört zu den größten Landfahrzeu- ‚in Kultur‘ genommen waren.“ die anderen Riesenbagger jeden gen der Erde. Und obwohl sein Be- Tag ein Stück weiter durch die trieb so viel Energie verbraucht Professor Reinhard Hüttl, Deutsches Landschaft graben und dabei Fel- wie eine Kleinstadt mit 17.000 Geoforschungszentrum Potsdam. der, Wälder und ganze Ortschaf- Einwohnern, erwirtschaftet der ten verschwinden lassen, entste- Tagebaubetrieb als Ganzes fast hen auf den rückwärtigen Seiten das 30-fache seines Energiebe- der Tagebaugebiete neue Flächen. darfs in Form von Braunkohle. Diese billige mapolitisch ist die Braunkohleverstromung So will es das deutsche Bergbaurecht. Es Form der Energiegewinnung ist seit Jahr- äußerst umstritten. Zwar laufen die Geneh- schreibt vor, dass vom Bergbau in Anspruch zehnten das Rückgrat der deutschen Indus- migungen für einige Tagebaugebiete noch genommene Oberflächen unter Beachtung trie, gerade auch der Chemie. bis zum Jahr 2045. Die jüngsten Überlegun- des öffentlichen Interesses wieder nutzbar gemacht werden müssen. Die Energiekonzerne als Betreiber der Tage- bauförderung müssen also im wahrsten Sin- ne des Wortes etwas zurückgeben: „Die Re- kultivierung befasst sich mit Flächen, die von Tagebau oder Industrie in Anspruch genom- men wurden und vorher schon einmal von Menschenhand ‚in Kultur‘ genommen waren. Es geht darum, die Kulturfähigkeit dieser Flä- chen und Böden wieder herzustellen“, erklärt Professor Reinhard Hüttl. Der renommierte Forst- und Bodenwissenschaftler ist seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Bodenschutz und Rekultivierung an der Technischen Universi- tät Cottbus und leitet seit 2007 das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam. Ehemalige Industriegelände bieten dabei oft den Vorteil, dass sie nah an Ballungsräumen liegen und somit für eine Nutzung als Kul- tur- oder Freizeiträume gut geeignet sind. So entstand auf der über 200 Hektar großen In- dustriebrache des stillgelegten Hochofen- werks im Duisburger Norden ein Land- schaftspark, der neben Europas größtem künstlichen Tauchsportzentrum in einem al- ten Gasometer und einem alpinen Kletter- garten in einem ehemaligen Erzlagerbunker auch Räume für kulturelle Veranstaltungen bietet. Eine Rekultivierung im buchstäbli- chen Wortsinn sozusagen. Während auf Industriebrachen bestehende Foto: michaeljung – Fotolia Strukturen saniert und umgebaut werden 10 VAA MAGAZIN APRIL 2015
Spezial Industriebrachen: „Aschen, Schlacken und andere industrielle Abfallprodukte können zum Beispiel sehr hohe, extrem alkalische und daher vegetationsfeindliche pH-Werte aufweisen“, erklärt Stephan Bloemer. Er leitet die Düsseldorfer Niederlassung der BENDER GmbH & Co. KG, einem auf Rekultivierungsmaßnahmen spezialisier- ten Unternehmen mit Sitz in Rabenau bei Gießen. „Zu hohe pH-Werte können genau wie zu niedrige antagonistisch oder phyto- toxisch, also pflanzengiftig wirken. Um Pflanzenwachstum in ausreichender Inten- sität und Qualität zu ermöglichen, müssen die pH-Werte auf solchen Flächen abge- senkt werden,“ führt Geograf Bloemer aus, der auch die wissenschaftliche Kundenbe- ratung bei BENDER übernimmt. Kultiviert: Auf der Halde Haniel bei Bottrop hat neben einem Amphitheater auch eine Installation des baskischen Bildhauers Agustín Ibarrola mit einer Reihe aus 105 bunt gestalteten und auf- Eingriffe zur Verbesserung der stofflichen gestellten Bahnschwellen ihren Platz gefunden. Foto: sehbaer_nrw – Fotolia Eigenschaften von Böden werden unter dem Begriff der chemischen Bodenmelioration müssen, besteht bei Tagebauflächen die ers- oder gar nicht möglich. Reinhard Hüttl er- zusammengefasst. Neben der Anhebung te und offensichtlichste Herausforderung für läutert die notwendigen Gegenmaßnahmen: und Senkung der pH-Werte zählen dazu eine Rekultivierung darin, dass riesige Lö- „Diese Böden müssen melioriert werden, es auch die Reduzierung schädlicher Einflüs- cher in der Landschaft klaffen. Teilweise werden also Kalk oder entsprechende puf- se durch Versalzung oder die Kontaminati- werden sie nach dem Ende der Förderung ge- fernde Substanzen eingebracht, um wieder on mit Schadstoffen. Da Salze wasserlöslich flutet, doch die bergbaurechtlichen Auflagen einen für land- oder forstwirtschaftliche sind und somit im Laufe der Zeit durch Nie- verlangen auch eine anteilige Rekultivierung Nutzung günstigen pH-Wert zu erhalten.“ derschläge ohnehin ausgewaschen werden, von Bodenflächen. Reinhard Hüttl verdeut- spielen sie bei der chemischen Bodenmeli- licht das Vorgehen zur Wiedergewinnung Die pH-Skala kann aber auch zu weit in die oration allerdings eine eher untergeordnete solcher Flächen: „Im Prinzip werden die Lö- andere Richtung ausschlagen, gerade bei Rolle. X cher mit den Materialien, die man vorher durch den Tagebau gewonnen hat, wieder zu- geschüttet. Im Idealfall werden die Substra- te, die vorher schon an der Oberfläche waren, separat gelagert und dann sozusagen als Ab- schlussschicht oben wieder aufgetragen.“ Extreme Substrate Allerdings stehen die ursprünglichen Ober- flächensubstrate – also die entsprechende Zusammensetzung aus Sand, Lehm, Ton und anderen Bodenmaterialien – nicht über- all zur Verfügung. „Dann muss man mit den Substraten umgehen, die tatsächlich zur Verfügung stehen,“ berichtet Hüttl. Und das kann für die Rekultivierung erhebliche He- rausforderungen mit sich bringen: Teilweise weist das Abraummaterial zum Beispiel ei- nen erhöhten Anteil an Schwefel auf, aus dem durch Verwitterung schweflige Säure und oder Schwefelsäure entsteht. Dadurch Im Rahmen der chemischen Bodenmelioration werden saure Böden wie dieser pyrithaltige fällt der pH-Wert der Böden in sehr saure Abraum in einem Braunkohletagebau in der Lausitz zur Anhebung des pH-Wertes gekalkt. Bereiche und Pflanzenwachstum ist kaum Foto: www.bender-rekultivierungen.de VAA MAGAZIN APRIL 2015 11
Spezial Anders sieht es bei der Verunreinigung deutlicht, warum das gerade bei Trockenheit Pflanzen wie lokale Rassen, Sippen und durch organische Schadstoffe aus, die bei der zum Problem werden kann: „Alles, was nur Kleinarten durch die Rekultivierung nicht Rekultivierung von nicht mehr genutzten In- schütter oder nicht begrünt ist, ist der Erosi- unnötig zu überformen, wird zunehmend dustriegeländen durchaus eine Rolle spielen on ausgesetzt. Wenn diese Flächen austrock- sogenanntes Regio-Saatgut verwendet. Da- kann. Häufig liegen diese Schadstoffe jedoch nen und dem Wind ausgesetzt sind, können für werden geeignete Wildpflanzenbestände in nicht pflanzenverfügbarer Form im Boden unter Umständen benachbarte Wohngebiete aus den entsprechenden Herkunftsgebieten vor und können von Pflanzen deshalb nicht durch Staubpartikel lufthygienisch beein- beerntet und kommerziell vermehrt. Ab aufgenommen werden. Sind die Schadstoffe trächtigt werden.“ Deshalb kann auch die so- 2020 soll der Einsatz dieses Saatgutes ge- allerdings pflanzenverfügbar oder sollen sie genannte Staubbindung ein wichtiges Ziel im setzlich vorgeschrieben werden. Die Ver- aus anderen Umweltschutzgründen entfernt Rahmen einer Rekultivierung sein. pflichtung zum Einsatz von Regio-Saatgut oder reduziert werden, können die Böden auf ist ein weiterer Baustein innerhalb des kom- verschiedene Arten behandelt werden: So Begrünung mit Hochdruck plexen Versuches, die Kompensation der werden etwa thermische Verfahren verwen- menschlichen Eingriffe in die Natur im Rah- det, um die Schadstoffe durch Erhitzung aus Gerade bei ehemaligen Industrieflächen men der Rekultivierung stärker am Natur- den Böden zu entfernen. Bei chemisch-phy- kann allerdings nicht nur der Untergrund, schutz auszurichten. Denn seit Kurfürst Ma- sikalischen Verfahren wird dagegen durch sondern auch die Beschaffenheit des Gelän- ximilian Friedrich von Königsegg-Rothen- Zugabe von Wasch- oder Extraktionsmedi- des zur Herausforderung werden: „Da geht fels 1784 aus ästhetischen Gründen anord- en die Bindung zwischen Boden und Schad- es teilweise um steile Böschungen oder nete, die Bergbaulöcher im Rheinland seien stoff aufgehoben, damit die Kontamination schwer zugängliche Flächen, auf denen sich wieder zuzuschütten oder zumindest mit in das flüssige Medium überführt und ent- mit herkömmlicher landwirtschaftlicher oder Wasser zu fluten, damit die Landschaft nicht fernt werden kann. Biologische Verfahren gärtnerischer Technik kaum etwas ansäen wiederum nutzen die Fähigkeit von Mikro- lässt,“ berichtet Bloemer. Solche Flächen organismen, organische Schadstoffe als werden deshalb mit einem sogenannten Hy- Nach dem Abbau von Rohstoffen werden Nährstoffe zu verwerten. Bei einem vollstän- droseeder begrünt: Ein LKW mit einem Flächen mit Rekultivierungsmaßnahmen für digen Abbau werden die Schadstoffe mine- mehrere Tausend Liter fassenden Tankauf- andere Zwecke wieder nutzbar gemacht, ralisiert, als Endprodukte entstehen Kohlen- bau, der neben Wasser auch Saatgut, Dünge- zum Beispiel für die landwirtschaftliche dioxid und Wasser. Schwieriger wird es bei mittel, Mulchfasern, Bodenverbesserungs- Nutzung. anorganischen Schadstoffen wie Schwerme- stoffe und Erosionsschutzmittel enthält. „Das Foto: Rainer Weisflog – MIBRAG AG tallen: Liegt ihre Konzentration von Schwer- Ganze wird mit einem Rührwerk zu einer metallen im Boden über den Grenzwerten, schlammigen Suspension vermischt und mit hilft oft nur ein reiner Bodenaustausch. Hochdruckkanonen gleichmäßig ausge- sprüht. Je nach Windverhältnissen beträgt Selbst nicht kontaminierte Böden mit geeig- die Reichweite bis zu 60 Meter“, hebt Blo- neten pH-Werten können aber für die Begrü- emer die Vorteile des Verfahrens hervor. nung untauglich sein, weil Nährstoffe fehlen. Reinhard Hüttl skizziert das Grundproblem: Von der Industriebrache zum englischen Ra- „Bei der Rekultivierung haben wir es häufig sen also? Nicht ganz. „In der Regel handelt mit Böden zu tun, die keinen oder einen sehr es sich um Extremflächen: sauer oder ba- geringen Humusgehalt haben. Dieser ist ent- sisch, trocken und exponiert. Da bringt es scheidend für eine nachhaltige Bodenfrucht- nichts, irgendwelche Standard-Landschafts- barkeit, also muss zunächst ein ausreichen- rasen anzusäen“, stellt Bloemer klar. Statt- der Humusgehalt wiederhergestellt werden, dessen werden spezielle, auf den Standort ab- zum Beispiel durch das Hinzufügen von or- gestimmte Spezialsaatgutmischungen einge- ganischer Substanz oder den Anbau und die setzt. Auf sandigen oder kiesigen Substraten Düngung von Kulturen, die zunächst nicht kann das zum Beispiel Sandmagerrasen sein, wirtschaftlich genutzt werden.“ auf kalkhaltigen Substraten wie Bauschutt, Schlacken oder Aschen kann Kalkmagerra- Stephan Bloemer stößt in der Rekultivie- sen zum Einsatz kommen. Stephan Bloemer rungspraxis genau auf diese Probleme: „Es fasst zusammen: „Man bringt Saatgut derje- handelt sich oft um überwiegend grobkörni- nigen Vegetation auf, die sich am besten für ge Rohböden wie Kiese, Sande oder Schot- den jeweiligen pH-Wert und die übrigen ter, die Wasser und Nährstoffe nur schlecht Standort-Eigenschaften eignet.“ halten können. Das Wasser sickert einfach weg und die Böden werden gerade im Som- In letzter Zeit kommt zusätzlich der Aspekt mer schnell so trocken, dass sich das Pflan- der Biodiversität hinzu: Um geografische zenwachstum deutlich verzögert.“ Er ver- und naturräumliche Differenzierungen der 12 VAA MAGAZIN APRIL 2015
Spezial unnötig verschandelt werde, sind die Ziele Umweltorganisationen wie der BUND ver- serhaushalte zu etablieren. Teilweise fehlen ambitionierter geworden. Zunächst kamen weisen darauf, dass es trotz fortgeschritte- uns bis heute die Kenntnisse, um das auf land- und forstwirtschaftliche Erwägungen ner Rekultivierungstechnik nach wie vor großer Fläche zu realisieren.“ Gleiches gel- hinzu. „Man musste erst lernen, wie man nicht möglich sei, die Eingriffe in Natur und te für die Standfestigkeit der rekultivierten Böden aufbaut, die wieder fruchtbar sind, Landschaft durch den Tagebau – beispiels- Landschaften: „Wir haben es nicht überall und Landschaften, die sich wieder einbetten weise den Verlust sogenannter Altwald- hinbekommen, dass die Flächen vollständig in die Gesamtlandschaft“, erzählt Rekulti- Ökosysteme – vollständig auszugleichen. stabil sind, es also keine Setzungen oder Sa- vierungsexperte Hüttl. Erst in den letzten Auch aus Sicht der Rekultivierungsexper- ckungen gibt. Das sind Aspekte, die uns Jahrzehnten spiele der Naturschutz eine zu- ten gibt es nach wie vor offene Fragen. So nach wie vor beschäftigen.“ nehmende Rolle: „Zum Beispiel die Frage, muss für die Braunkohleförderung der ob sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten Grundwasserspiegel in den betroffenen Vielleicht wird die Rekultivierungstechnik auf diesen armen Böden besonders gut ent- Landstrichen deutlich abgesenkt werden, bis zum Ende der Braunkohleförderung im wickeln. Das sind alles Lernkurven, die man was sich auch auf die umliegende Land- deutschen Tagebau – ob es nun Jahre oder heute schon wesentlich besser versteht als zu schaft auswirkt. Bei der Rekultivierung sol- Jahrzehnte sein werden – also noch weitere Beginn der Rekultivierung.“ len diese Eingriffe in den Wasserhaushalt Fortschritte machen. Und danach? Reinhard ganzer Regionen so gut wie möglich kom- Hüttl wirft einen Blick über den deutschen Grenzen der Technik pensiert werden. Bodenwissenschaftler Tellerrand: „Es gibt weltweit weitaus grö- Hüttl benennt die Grenzen solcher Maßnah- ßere Tagebaugebiete als wir sie in Deutsch- Trotzdem ist der ökologische Wert rekulti- men: „Es ist noch immer eine große Heraus- land haben. Und überall stehen vergleichba- vierter Flächen noch immer umstritten. forderung, dabei sich selbst tragende Was- re Herausforderungen an.“ 13
VAA BETRIEBSRÄTEKONFERENZ IN MAINZ VAA-Betriebsräte stärken Netzwerk Anfang März 2015 trafen sich rund 60 Betriebsratsmitglieder aus verschiedenen Ein wichtiger Chemie- und Pharmaunternehmen zu ihrer jährlichen Konferenz in Mainz. Als Bestandteil de r Betriebsräte des VA A ist de konferenzen Referenten waren Birgit Huber, Head of CoE Development, Training, Employer r gemeinsam e Er fahrungs- un Informationsau d Branding & Recruitment Services bei Sanofi, und Bundesarbeitsrichter stausch der Te ilnehmer. Malte Creutzfeldt zu Gast. Mit dem Thema „Arbeitsvertrag, Tarifvertrag und der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz“ hat der Stellvertretende Vorsitzende des Vierten Senats des Bundesarbeits- gerichtes Malte Creutzfeldt die Veranstaltung am 6. März 2015 eröffnet. Fotos: Schulte – VAA ilke VA A-Jurist Thomas Sp Ko nfe ren z (links) hat die t und die Tei lne hm er geleite zw eite n Ver ans talt ungs- am tag über aktuelle Entscheidungen aus dem ht kollek tiven Arbeitsrec - sowie dem Individual arbeitsrecht unter Berücksichtigung der ung neueren Rechtsprech des BAG informiert. 14
VAA SYMPOSION IN WIESBADEN Arbeitsfähigkeit erhalten Gute Führungsarbeit sorgt für eine erfolgreiche Mitarbeitermotivation und wirtschaftlichen Unternehmenserfolg. Dies ist das Ergebnis des Ende Februar veranstalteten VAA-Symposions in Wiesbaden. Mit den rund 130 Gästen diskutierten hochkarätige Referenten wie Margret Suckale, Mitglied des Vorstandes der BASF SE und Präsidentin des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC), über die Arbeitsfähigkeit von Führungskräften. 15
VAA s: Leuschne r – VA A listin Gundu la Gause. Foto taltung vo n ZDF-Journa de die Verans Moderiert wur „Karriere wird immer noch über Arbeitszeit gemacht. „Karrie Dieser Karriereweg ist allerdings für die nachfolgende Generation Y nicht mehr attraktiv.“ Professor Wolfgang Appel von der Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes. rlandes. Symposion auf dem VA A- rtr äg e un d Diskussionen w ie die Thema der Vo Erhaltung so ua r in W ie sb aden war die gs kr äf ten. am 20. Febr eit von Führun St är ku ng de r Arbeitsfähigk weitere 16 VAA MAGAZIN APRIL 2015
VAA burg sprach über Universität Lüne rg en De lle r vo n der Leuphana ch e Handlungs- Professor Jü be its fäh igk eit und zeigte mögli auf die Ar Einflussfaktoren r für Un ter ne hmen auf. felde In seiner Eröffnungsre de betonte der 1. Vor VA A Dr. Thomas Fische sitzende des r, dass sich Führungsv ant wortung positiv auf er- die Arbeitsfähigkeit aus wirkt. Zu den rund 130 Gästen gehör ten auch viele Studenten und Nachwuchs- Führungskräfte von der Technischen Hoch schule Mittelhessen. le für pel von der Hochschu Professor Wolfgang Ap s ref erie rte zur k des Sa arla nde Wir tschaf t und Techni Ch emie- tun gsi ndi kat or bei „Arbeitszeit als Belas Führungskräf ten“. VAA MAGAZIN APRIL 2015 17
VAA AUFSICHTSRÄTETAGUNG IN AACHEN Wann haftet der Aufsichtsrat? Welche Kenntnisse über die Finanzierung von Unternehmen sollten sich Aufsichtsratsmitglieder aneignen, um über gängige Geschäftsvorgänge urteilen zu können? Was sind aktuelle Haftungsfragen des Aufsichtsrates? Welche Besonderheiten haben D&O-Versicherungen für Aufsichtsräte? Damit beschäftigten sich Ende März mehr als 30 Teilnehmer der VAA-Aufsichtsrätetagung in Aachen. ungsfragen sowie Michael tsanwalt Dr. Oliver Sieg zu den Haft en dem Baye r-Fin anzvorsta nd Johannes Dietsch referierten Rech der D&O -Ver sicherung für Aufsichtsrats- Neb n Ges chäf tsfüh rer der Hendricks & Co GmbH, zu den Besonderheite Hendricks, Gründer und – VAA mitglieder. Fotos: Mirfendereski An der Frühjahrstagung der Aufsichtsräte am 20. und 21. März 2015 in Aachen nahmen über 30 Mandatsträger aus dem VAA und Gäste aus befreundeten Verbänden teil. 18 VAA MAGAZIN APRIL 2015
VAA Auch im Pullman Aache n Quellenhof war der Als Finanzvors Mandatsträgern ein fes rege Erfahrungsausta tand der Baye ter Bestandteil der Tag usch zwischen den r Aktiengesel ung. informierte Jo lschaft hannes Dietsc „Finanzierung h die Teilnehm von Unternehm er zum Them en“. Dabei fo a auf die Punkte kussierte er sic „Financial Man h Management“ ag em ent“, „Financi und „Capital M al Risk arket“. VAA-Gutachten bestätigt: Tarifeinheit verstößt gegen internationales Recht Im März hat sich der Bundestag erstmals mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetz zur Wiederherstellung der Tarifeinheit beschäftigt. Aus Sicht des VAA vergrößert das geplante Tarifeinheitsgesetz die Rechtsunsicherheit in Deutschland erheblich. Außer- dem verstößt der Gesetzgeber gegen internationales und europäisches Recht. In einem vom VAA in Auftrag gegebenen Gutachten be- stätigt die Direktorin am Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EU (IAAEU) der Universität Trier Monika Schlachter die- sen Verstoß. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als Professorin für Zivilrecht, Arbeitsrecht und Internationales Recht ist Schlach- ter (siehe Foto) amtierende Vizepräsidentin des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte, der die Einhaltung der in der Europäi- schen Sozialcharta festgelegten Rechte durch die Mitgliedstaaten kontrolliert. Dem IAAEU-Gutachten zufolge stellt eine gesetzlich erzwungene Tarifeinheit durch Vorgabe eines „betriebsbezogenen Mehrheitsprinzips“ einen schwerwiegenden Eingriff in das Betätigungsrecht spezialisierter Vereinigungen dar. Dieses Betätigungsrecht von speziellen Verbän- den wird jedoch im Arbeitsvölkerrecht sowohl von den Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Nr. 87 und 98 als auch von Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt. Deutschland hat diese internationalen Regelungen anerkannt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht über die Grenzen hinaus, die ihm die EMRK und die ILO-Konventionen setzen. VAA- Hauptgeschäftsführer Gerhard Kronisch erläutert: „Die Regelungen garantieren den tarifpolitischen Handlungsspielraum für Berufsge- werkschaften und die Freiheit für Arbeitnehmer, sich in Gewerkschaften zu organisieren oder ihnen beizu- treten.“ Das von Monika Schlachter verfasste Gutachten stelle ausdrücklich fest, dass der Schutz der Ver- einigungsfreiheit das Recht der Verbände einschließt, sich zum Schutz der Interessen ihrer Mitglieder zu betätigen. „Und dazu gehört insbesondere das Recht, Tarifverträge mit Wirkung für ihre Mitglieder abzu- schließen.“ Der Staat hat das Recht auf Vereinigungsfreiheit nach internationalen Normen zu schützen und zu fördern. „Keinesfalls darf die Entscheidung der Arbeitnehmer durch Anreizbestimmungen gelenkt werden“, betont Kronisch. Bereits mehrfach hat der Verband seine Ablehnung der gesetzlichen Tarifeinheit begründet. „Der Gesetzgeber täte gut daran, sein Vorhaben noch einmal gründlich überdenken“, resümiert der VAA-Haupt- geschäftsführer. Unter www.vaa.de/verband/interessenvertretung/tarifpolitik ist das Gutachten zum freien Download erhältlich. Foto: Universität Trier VAA MAGAZIN APRIL 2015 19
Porträt Im Gewerbegebiet am Stadtrand von Re- gensburg geht es für einen späten Freitag- nachmittag sehr geschäftig zu. Auch beim Pharmaunternehmen Haupt Pharma Ama- reg steht Dr. Klaus Pollinger noch voll im Saft: „Heute hatten wir Besuch von Kun- den aus den USA. Die haben sich recht spontan angekündigt, um sich die Produk- tion einmal vor Ort anzuschauen.“ So lau- fe das eben in der Branche. Pollinger zeigt das Gelände. Von den benachbarten Fel- dern zieht der Duft frischen Düngers ins Industriegelände herüber. Für seine Dissertation zum Thema „To- wards Novel Targets for Receptor-Media- ted Nanoparticle Delivery“ wurde Klaus Pollinger im November 2014 mit dem VAA-Stiftungspreis ausgezeichnet. Beim Kuratorium eingereicht hat die Arbeit sein Doktorvater: Professor Achim Göpferich vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Tech- nologie der Universität Regensburg. „Ich wusste zunächst nichts davon“, erzählt der 32-jährige Preisträger schmunzelnd. „Das rezeptorvermittelte Nanopartikel-Targe- ting ist eigentlich ein relativ greif bares Konzept“, erläutert Pollinger sein Promo- tionsthema. „Die Aufgabenstellung laute- STIFTUNGSPREISTRÄGER DR. KLAUS POLLINGER te: Bringe ein Nanopartikel über einen Zel- loberflächenrezeptor so zielgerichtet wie möglich an einen bestimmten Zelltyp.“ Zur Gipfelstürmer Veranschaulichung bringt der Stiftungs- preisträger noch schnell eine grafische Skizze zu Papier: Zunächst formieren sich am Werk die Moleküle zu einem fluoreszierenden Nanokristall. Der Wirkstoff ist im Nano- partikel verpackt und das Nanoteilchen dockt am Rezeptor der gewünschten Zelle an. Anschließend wird der Wirkstoff durch Seit 2010 engagiert sich der Verband über die VAA Stiftung für Forschung den Rezeptor in die Zelle geschleust. „Es und Bildung in den naturwissenschaftlich-technischen Bereichen. hat sich im Zuge der Forschung herausge- Jedes Jahr zeichnet die Stiftung junge Nachwuchswissenschaftler für stellt, dass die Partikel tatsächlich sehr se- hervorragende Dissertationen im Bereich der chemisch-pharmazeutischen lektiv an ganz bestimmte Zellen andocken Wissenschaften und der Verfahrenstechnik aus. In einer Porträtreihe stellt und dort auch bleiben.“ das VAA Magazin die Preisträger des VAA-Stiftungspreises vor. In dieser Ausgabe: Dr. Klaus Pollinger. Die zielgerichtete Adressierung von Nano- partikeln als Wirkstofftransporter oder als Von Timur Slapke diagnostische Marker an bestimmte Zellen erlaubt es, bei Therapien nur die tatsäch- lich betroffenen, kranken Zellen zu erwi- schen: „Damit erhöht man die Effektivität und verringert die Nebenwirkungen.“ Klar, räumt Klaus Pollinger ein, daran werde vor allem in der Tumortherapie schon lange in- Foto: Schmitt – VAA tensiv geforscht. Aber für andere Zellen sei 20
Porträt dieser Ansatz noch neu. „In unserer For- Lohnhersteller. „Wir produzieren Arznei- mension. „Man muss Projekte überblicken, schungsgruppe haben wir uns dann auch mittel für die Zulassungsinhaber aus der steuern, priorisieren und die Arbeitskräfte auf Nieren und Netzhaut konzentriert.“ Pharmaindustrie.“ Spezialisiert ist das Un- entsprechend den Anforderungen vertei- Seine Forschungsarbeit hat Klaus Pollin- ternehmen auf die Entwicklung fester Arz- len.“ Grundlegende Entscheidungen wer- ger gut auf die Arbeitswelt vorbereitet. neiformen wie Tabletten, Kapseln oder den natürlich gemeinsam mit der Ge- Sehr interdisziplinär sei es gewesen, im Dragees für hochpotente Wirkstoffe. Dazu schäftsführung getroffen. „Aber etwa die Prinzip richtiges Projektmanagement in gehören beispielsweise Zytostatika, Im- monatlichen Kapazitäten im Produktions- der Forschung. munsuppressiva oder Hormone. Ende 2013 bereich muss ich schon selbst einteilen.“ hat Klaus Pollinger einen Teilbereich der Fällt ihm das schwer? „Es funktioniert Formulierungsentwicklung als Abteilungs- überraschend gut.“ Die Dynamik des Ge- Sprachbegabtes Allroundtalent leiter übernommen. Im Eiltempo ging es schäftes reiße ihn einfach mit. „Verantwor- weiter: Seit Oktober 2014 leitet er die ge- tung heißt nicht, dass man alles besser wis- Stiftungspreisträger Pollinger ist zielstre- samte Abteilung Pharmazeutische Ent- sen muss. Es kommt auf die Kommunika- big, aber nie getrieben vom Ehrgeiz. Um- wicklung mit knapp 30 Mitarbeitern am tion bei der Entscheidungsfindung an.“ gänglich, gut aufgelegt, aber dennoch prä- Standort. Für Anfang dreißig ein durchaus zise in der Argumentation. Ein Naturwis- steiler Aufstieg auf der Karriereleiter. La- Klaus Pollinger wirkt absolut glaubwürdig senschaftler, wie er im Buche steht. Schon chend wiegelt Pollinger ab: „Ich sehe ein- in dem, was er sagt. Er ist rundum glück- immer? Nicht ganz. Aufgewachsen in ei- fach jünger aus, als ich bin.“ Offensichtlich lich mit seiner Lebenssituation. Gemein- ner humanistisch-musisch geprägten Fami- hat er seine Vorgesetzten trotzdem über- sam mit seiner Freundin wohnt er in direk- lie ist Pollinger auf ein humanistisches zeugt. Ein weiterer Vorteil: „Wir haben ter Nähe zur pittoresken Regensburger Alt- Gymnasium gegangen. „Ich war eher der hier ein ziemlich junges, energisches Team stadt. Sein Job ist unglaublich vielfältig: Sprachentyp.“ Doch bereits als Abiturient und gehören alle mehr oder weniger zur „Jeder Tag beginnt mit einer neuen Her- fand Pollinger das Thema Arzneimittel gleichen Generation.“ ausforderung. Man weiß am Morgen oft spannend. Da lag Pharmazie als Studien- nicht, welche Aufgaben am Nachmittag gang auf der Hand. Naturwissenschaftlich Als leidenschaftlicher Kletterer kennt auf einen warten.“ Daher vergehe die Ar- breit aufgestellt ist Pharmazie dennoch zu Klaus Pollinger den Weg nach oben: Regel- beitszeit meist wie im Flug. Für ihn ist es speziell, um als „Verlegenheitsfach“ durch- mäßig geht es in die Alpen zum Bergstei- kein Problem, dass er selbst nicht mehr ak- zugehen. Seine Studienwahl hat Klaus Pol- gen. Ist die Zeit knapp, muss der nahegele- tiv wissenschaftlich tätig ist. „Ich bin vor linger zu keinem Zeitpunkt bereut: „Es gene Bayerische Wald herhalten. Ab und zu Ort, schaue mir alle Projekte regelmäßig wurde mit der Zeit sogar noch interessan- braucht es eben einen Ausgleich zum auf- an und versuche, so nah wie möglich an ter.“ Nach neun Semestern und zwei regenden Job. Umso energischer kann sich den Forschungsthemen dran zu sein.“ Der Staatsexamen standen dann zwei halbjähr- die junge Führungskraft den beruflichen Forschergeist bleibt also stets wach. Und liche Praktika auf dem Programm, eines Herausforderungen widmen. Dazu gehört genau diesen hatten auch die Kuratoren der davon in einer öffentlichen Apotheke in nach wie vor Projektmanagement. Was sich VAA Stiftung bei der Entscheidung über seiner Heimat Weiden – etwa 100 Kilome- aber verändert hat, ist die strategische Di- die Preisvergabe im Sinn. ter nördlich von Regensburg. Im weißen Kittel stand der Oberpfälzer hinter der Foto: hywards – Fotolia Theke und hat Kunden beraten. Den zwei- ten Abschnitt des Pharmaziepraktikums hat Pollinger bei Hexal in der Qualitäts- kontrolle absolviert. „Das hat mir den ent- scheidenden Ruck gegeben, es später auch wirklich in der Industrie zu versuchen.“ Abgezeichnet hat sich die allgemeine Rich- tung aber schon während seines For- schungspraktikums am Lehrstuhl. Im End- spurt zur Promotion hat sich Klaus Pollin- ger parallel um einen Job gekümmert – und nicht allzu lange suchen müssen. An- fang 2013 ist der Jungforscher als Projekt- manager in der Pharmazeutischen Ent- wicklung bei Haupt Pharma Amareg ein- gestiegen. Das mittelständische Unterneh- men entwickelt Arzneimittel nicht unter ei- genem Namen, sondern als sogenannter VAA MAGAZIN APRIL 2015 21
Branche VEREINBARKEIT VON FAMILIE, BERUF & KARRIERE Mehr Väter für Teilzeit begeistern Gerade im außertariflichen Bereich müssen Arbeitnehmer, die eine Familie gründen wollen, viele Hürden meistern. Einerseits stehen sie oft noch am Anfang ihrer Karriere und wollen im Job Gas geben, andererseits möchten Eltern mehr Zeit für die Familie aufwenden – nicht nur Mütter, sondern auch immer mehr Väter. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet die stärkere Nutzung von Teilzeitarbeitsmodellen, womit sich gleichzeitig deren Akzeptanz bei Mitarbeitern und Vorgesetzten steigern lässt. In den Unternehmen vor Ort wird schon einiges getan: So wurde im Herbst 2014 in der BASF ein Netzwerk „Männer für Teilzeit“ gegründet, unterstützt von der Initiative „Diversity + Inclusion“. Treibende Kraft des Netzwerks ist das Mitglied der VAA-Werksgruppe BASF Ludwigshafen Dr. Christian Schade. Von Timur Slapke 22 VAA MAGAZIN APRIL 2015
Branche Foto: goodluz – Fotolia „Die Chemieindustrie ist von Natur aus fängern und studentischen Mitgliedern zu tige Chemiker bestens aus: Im Jahr 1999 eher konservativ“, erklärt Dr. Christian den Erwartungen an Arbeitgeber durchge- mit 39 Jahren erstmals Vater geworden, hat Schade die Eigenheiten der Branche. führt, derzufolge sich die Führungskräfte er 2001 ein halbes Jahr Elternzeit genom- „Während dies in wirtschaftlichen Aspek- von morgen bei der Arbeitgeberwahl vor men. Damit gehörte Schade in seinem Un- ten durchaus sinnvoll ist, schlagen gesell- allem an weichen Faktoren orientieren. An ternehmen zu den ersten männlichen AT- schaftliche Umbrüche dafür erst mit eini- erster Stelle: die Vereinbarkeit von Fami- Angestellten in Elternzeit überhaupt. Gut ger Verzögerung durch.“ Und die Gesell- lie, Beruf und Karriere. zwei Jahre nach der Geburt des zweiten schaft befindet sich mitten im Wandel: Ei- Kindes ist Christian Schade 2005 abermals ner Umfrage des Instituts für Demoskopie Im Büro des Sprecherausschusses der Lei- in Elternzeit gegangen, diesmal mit einem Allensbach zufolge wünschen sich in tenden Angestellten der BASF am Rheinu- Anteil von 50 Prozent. Seit 2006 arbeitet Deutschland 60 Prozent der Paare mit Kin- fer des Ludwigshafener Stammwerks der Forscher permanent in Teilzeit und dern unter drei Jahren, dass beide Eltern- spricht Christian Schade über Wege zu ei- kümmert sich an zwei Nachmittagen pro teile mehr Zeit für die Familie haben. Aber nem familienfreundlicheren Arbeitsum- Woche um die Familie. Knapp zehn Jahre nur 14 Prozent der Paare schaffen es auch. feld. Er sieht die Notwendigkeit, vor allem ist Polymerforscher Schade nun schon der Der Trend macht vor der Chemie nicht halt: im außertariflichen Bereich mehr Mitar- Ansprechpartner der VAA-Werksgruppe Bereits 2012 hat der VAA gemeinsam mit beiter für Teilzeitarbeitsmodelle zu sensi- für Elternzeitfragen. Vor allem bei der Ein- dem Zentrum für Sozialforschung Halle bilisieren und zu begeistern. Mit Teilzeit führung des Elterngeldes im Jahr 2007 (zsh) eine Studie unter seinen Berufsan- kennt sich der in der Polymerforschung tä- häuften sich die Anfragen. „Aber schon X VAA MAGAZIN APRIL 2015 23
Branche kurz darauf ist Elternzeit bei uns im Un- Handelskam mer t ages (DI H K) Er ic nehmen wie „Women in Business“, „LGBT ternehmen praktisch zu einem Selbstläufer Schweitzer: „Was wir brauchen, sind pas- and Friends“ oder „Women in Research“. geworden.“ sende Lösungen im Betrieb, die es schaf- Dabei haben die Netzwerke keinen aus- fen, Familien- und Berufsleben besser zu schließlichen Charakter, sondern sind of- In der Tat hat sich die Akzeptanz im ge- vereinbaren – und zwar für Männer und fen für jeden – ob Frau oder Mann, Vater samten Land verbessert. Die Elternzeit- Frauen gleichermaßen.“ Im Rahmen des oder Mutter, jung oder alt. Die Mitarbeit quoten bei Männern steigen ebenfalls, jährlichen Mitgliedertreffens des Unter- ist ehrenamtlich. Ähnliche Netzwerke sind doch das Missverhältnis zwischen Müttern nehmensnetzwerks „Erfolgsfaktor Fami- bei fast allen größeren Chemieunterneh- und Vätern ist nach wie vor eklatant: Nach lie“ vor rund einem Jahr zeigte der DIHK- men etabliert. So gibt es beispielsweise bei Angaben des Statistischen Bundesamtes Präsident allerdings auch mögliche Prob- Henkel ein Väternetzwerk. Unternehmen befanden sich im Jahr 2013 27,7 Prozent al- lemfelder durch verstärkte Teilzeitarbeit wie BASF, Henkel oder Bayer haben be- ler Mütter mit dem jüngsten Kind unter auf: „Gerade für kleinere Unternehmen reits sämtliche Instrumente für individuell drei Jahren in Elternzeit, aber nur 2,4 Pro- kann es ein ernstes Problem sein, wenn abgestimmte Teilzeitmodelle im Portfolio, zent der Väter. Insgesamt beanspruchen mehrere Beschäftigte ihr Arbeitszeitvolu- betont Teilzeitexperte Christian Schade. 32,3 Prozent aller Väter Elternzeit. Davon men um zehn Prozent oder 20 Prozent re- „Man muss jetzt motivieren und Best- nehmen allerdings 79 Prozent lediglich die duzieren.“ Wichtig seien daher individuell Practice-Beispiele liefern, um die Akzep- beiden sogenannten Partnermonate in An- abgestimmte Lösungen vor Ort. Diese Pro- tanz von Teilzeit zu steigern.“ spruch – nur sechs Prozent gehen für ein Jahr in Elternzeit. Außer- Weit fortgeschritten bei der dem arbeiten Frauen im An- Schaffung eines öffentlichen Be- schluss an die Elternzeit wesent- „Was wir brauchen, sind junge Väter, die Teilzeit als „Wa wusstseins für die Bedeutung lich häufiger Teilzeit als Männer Chance begreifen.“ von Teilzeit ist die Schweiz. Zwar – und das meist zu deutlich redu- gibt es in der Schweiz keine mit zierten Arbeitszeiten. Polymerforscher Dr. Christian Schade vom BASF- Deutschland vergleichbaren El- Beschäftigtennetzwerk „Männer für Teilzeit“ zur ternzeitregelungen und auch gro- Als Entscheidungsgründe von Notwendigkeit der Akzeptanzsteigerung von Teilzeit. eilzeit. ße Unterschiede zwischen der Vätern für Elternmonate führt französisch geprägten Romandie die Studie der Hans-Böckler- und der Deutschschweiz. Aber Stiftung „Nachhaltige Effekte unter anderem dank Initiativen der Elterngeldnutzung durch Väter“ vom bleme sind aber bei den großen Mittel- wie „Teilzeitmann – ganze Männer ma- Dezember 2014 in erster Linie die indivi- ständlern und Großunternehmen der Che- chen Teilzeitkarriere“ (im Web erreichbar duelle Arbeitsplatzsicherheit sowie die Fa- mieindustrie in der Form nicht gegeben. unter www.teilzeitmann.ch) ist es den milienfreundlichkeit der Arbeitgeber an. Eidgenossen gelungen, ein ausgeprägtes Für die Dauer der Elternzeit seien unter an- Momentan liegt der Schwerpunkt bei Teil- öffentliches Bewusstsein für Teilzeit zu derem die Unterschiede zwischen den zeitarbeit noch in der Generation 50plus. schaffen. Bei Teilzeit für Männer befindet Partnern bei Qualifi kation und Einkom- „Was wir brauchen, sind junge Väter, die sich die Schweiz in einer Führungsrolle. men ausschlaggebend. „Elternzeit ist kein Teilzeit als Chance begreifen“, fordert Karrierehindernis, solange sie in einem be- Christian Schade in Ludwigshafen. Voll- scheidenen Rahmen bleibt“, bestätigt zeitnahe Teilzeit sei ein weitverbreiteter Teilzeit darf kein Frauenthema sein Christian Schade. Alles, was darüber hin- Wunsch, der noch nicht ausreichend gelebt ausgehe, sei schon komplizierter. Denn das werde. Deshalb hat Schade maßgeblich an In Deutschland hingegen arbeitet die gro- gehöre bereits in den allgemeinen Teil- der Vorbereitung und Gründung des ße Mehrheit der Väter noch Vollzeit, von zeitrahmen. Laut Bundesministerium für BASF-Beschäftigtennetzwerks „Männer denen nicht wenige sich jedoch leicht redu- Arbeit und Soziales haben im letzten Jahr für Teilzeit“ im September 2014 mitge- zierte, familienfreundlichere Arbeitszeiten rund drei Millionen Arbeitnehmer zwi- wirkt. Mit 30 Mitgliedern ist das Netzwerk wünschen. Umgekehrt arbeiten die meis- schen 25 und 35 Stunden pro Woche gear- gut besetzt. „An den Treffen selbst nehmen ten Mütter oft nur 19 Stunden in Teilzeit, beitet, was einem Anstieg um mehr als 50 etwa 15 Teilnehmer regelmäßig teil, was würden ihre Arbeitszeit aber gern erhöhen. Prozent seit 2004 entspricht. Dennoch gibt eigentlich auch die optimale Größe für ef- Von einer Annäherung der Arbeitszeitmo- es weiteren Handlungsbedarf, zumal mit fektives Arbeiten ist.“ Es wird Material ge- delle könnten beide Partner profitieren. knapp 2,6 Millionen die große Mehrheit sichtet, Meinungen werden eingeholt. Zum Was es dazu in erster Linie braucht, erklärt der längeren Teilzeiterwerbstätigen Frau- Ziel gehört auch die Erstellung eines prak- Christian Schade: „Gleichwürdigkeit in der en sind. tischen Teilzeithandbuchs – für Mitarbei- Partnerschaft ist zentral.“ Beide Partner ter und Vorgesetzte gleichermaßen. sollten auch schauen, dass sie ihren Fuß im In der Wirtschaft ist das Thema längst an- Arbeitsleben behalten. Das Alleinverdie- gekommen. Auch nach Meinung des Prä- In regem Austausch ist man auch mit an- nermodell sei längst zum Auslaufmodell sidenten des Deutschen Industrie- und deren Beschäftigtennetzwerken im Unter- mit zunehmenden ökonomischen Risiken 24 VAA MAGAZIN APRIL 2015
Branche für die Familie geworden. „Die Partner gentlich leisten, ohne Abstriche für die als AT-Angestellten nun wirklich nicht müssen offen zueinander sein und klar Karriere befürchten zu müssen? „Eine auf weh.“ Gleichzeitig gewinne man spürbare kommunizieren, was sie wollen.“ Teilzeit bis zu zwei Jahre befristete intensive Freiräume für die Familie, zu pflegende bedeute ein Mehr an Absprachen und Or- 50-Prozent-Teilzeit wird akzeptiert“, meint Angehörige oder andere Aufgaben. ganisation, es ergeben sich mehr Reibungs- Schade. Das sei kein Problem für die Un- flächen, aber auch mehr Teilhabe. Am En- ternehmen. Bei den dauerhaften Teilzeit- Was AT-Angestellte von tariflichen Mitar- de profitieren Partnerschaft, beide Eltern- modellen taste man sich eher an das Opti- beitern unterscheidet, ist nicht zuletzt das teile und die Kinder. mum heran. „75 bis 80 Prozent scheint hier Prinzip der Arbeitszeitsouveränität. De das Modell zu sein, bei dem der Arbeitneh- facto bedeutet dies Mehrarbeit, was für mer noch voll in die betrieblichen Prozes- Vollzeit genauso wie für Teilzeit zutrifft. Wie viel ist zu wenig? se einbezogen ist – inklusive Fortbildun- Einschränkungen muss man bei der Er- gen.“ Wenn beide Partner zu 75 Prozent reichbarkeit machen: Regelmäßiges Prüfen Wer letztlich zu welchem Anteil in Teilzeit Teilzeit arbeiten, überwiegen die Vorteile der E-Mails gehört oft ebenso dazu wie Te- geht, ist natürlich individuell verschieden also am deutlichsten. Abstriche hinsichtlich lefonate in Notfällen. Dennoch werde die – Patentrezepte kann es keine geben. Das der Gehalts- und Karriereentwicklung fal- Gesamtbelastung durch Teilzeit reduziert, besonders im AT-Bereich vorherrschende len überschaubar aus. Aus Schades Sicht so AT-Mitarbeiter Christian Schade. „Man Selbstbild von identitätsstiftender, leis- sollten gerade im AT-Bereich die finanziel- streicht automatisch die Nice-to-have-Auf- tungsorientierter Erwerbsarbeit steht der len Aspekte nicht von Teilzeitarbeit abhal- gaben.“ Nicht jede Tagung müsse auch Entscheidung für Teilzeit oft entgegen. ten. „Wer, wenn nicht wir?“, fragt er offen. wirklich besucht werden, nicht jeder Kaf- Aber wie viel Teilzeit kann man sich ei- „Ganz ehrlich: Vollzeitnahe Teilzeit tut uns feeplausch sei produktiv. „Die Arbeit X Nur selten bedeutet Teilzeit auch wirklich Freizeit. Aber man gewinnt spürbare Freiräume, um sich mehr um die Familie zu kümmern. Fotos: goodluz – Fotolia 25
Branche verdichtet sich und man arbeitet fokussier- Kinderbetreuung. Je schlechter dagegen Unternehmenspolitik“ am Beispiel von 20 ter.“ Aber ist ein Verzicht auf erweitertes die Betreuungssituation, desto mehr muss Schweizer Unternehmen erstellt, darunter Networking nicht trotzdem ein Karriere- einer der Partner zurückstecken – zuguns- Novartis und Nestlé. Laut den Studiener- nachteil? „Bei Präsenzpf lichtterminen ten der Kinder, aber zulasten der Karriere. gebnissen übersteigen die unmittelbaren kann es manchmal nachteilig wirken, aber positiven Effekte einer familienfreundli- man kann sehr vieles selbst steuern.“ Gut In Deutschland seien die gesetzlichen Ins- chen Personalpolitik die Kosten für diese organisierte Stellvertreterregelungen kön- trumente bereits ausreichend vorhanden, Maßnahmen: Innerhalb der Modellrech- nen hier ebenfalls Abhilfe schaffen, wie sie stellt Christian Schade fest. „Es sind die nung wird unter Annahme realistischer auch die Schweizer Teilzeitmann-Initiati- handelnden Menschen in den Unterneh- Wirkungen ein Return on Investment von ve empfiehlt. Und: Je stärker die allgemei- men, auf die es jetzt ankommt: Entschei- acht Prozent ermittelt. Große Nutzeneffek- ne Akzeptanz für Teilzeit steigt, desto stär- der, Vorgesetzte, aber auch die normalen te entstehen dabei unter anderem durch hö- ker werden auch die allgemein erwarteten Mitarbeiter.“ Wer mehr als zwei Elternmo- here Rückkehrquoten von Arbeitnehmern und die tatsächlichen Karrierenachteile zu- nate nehme, löse noch immer Sondervor- nach der Geburt eines Kindes, durch ein rückgehen. gänge in den Personalabteilungen aus. Das höheres Arbeitspensum nach der Rückkehr müsse sich ändern. „Wenn die Unterneh- und durch häufigere unternehmensinterne Was den gesetzgeberischen Rahmen be- men erkennen, dass Teilzeit an sich eine Karrieren. trifft, sind mit der Einführung des Eltern- Win-win-Situation sein kann, wird sich et- geldes Plus und der weiteren Flexibilisie- was ändern.“ In Chemieunternehmen wie der BASF rung der Elternzeit zum 1. Januar 2015 weiß man um die positiven Effekte der zwei weitere Schritte hin zu einer Famili- Teilzeitarbeit. Im Tarifbereich ist Teilzeit enarbeitszeit getan. Auch der politische Teilzeit bringt Profit bereits voll angekommen. Christian Scha- Dachverband des VAA begrüßt diese Neu- de dazu: „Das Prinzip an sich funktioniert, erungen: Der ULA zufolge stehen Eltern Empirischen Untersuchungen zufolge und zwar ganz individuell abgestimmt.“ nun mehr Optionen beim Wiedereinstieg bringen Mitarbeiter in Teilzeit den Unter- Dies könne auch für AT-Angestellte und in den Beruf zur Verfügung, wodurch psy- nehmen tatsächlich einen handfesten wirt- Leitende klappen, ist sich der teilzeiterfah- chologische Hürden bei der Familiengrün- schaftlichen Gewinn. Denn durch ein fa- rene Naturwissenschaftler sicher. „Den ers- dung abgebaut werden. Mit dem Ausbau milienfreundliches Arbeitsumfeld moti- ten Stein ins Rollen zu bringen, war schwer der Betreuungsmöglichkeiten wird die vierte Mitarbeiter arbeiten effizienter. So genug.“ Nun gelte es, die vorhandenen Mo- Teilzeitquote bei Männern weiter steigen. hat das renommierte Wirtschaftsfor- delle auch konsequent umzusetzen. Denn wenn mehr Mütter im Beruf präsen- schungsunternehmen Prognos im Jahr ter sein können, kümmern sich auch die 2010 eine „Betriebswirtschaftliche Kos- Doch Hochglanzbroschüren und ausgefeil- Väter möglichst zu gleichen Teilen um die ten-Nutzen-Analyse familienfreundlicher te Teilzeitprogramme bringen letztlich we- nig, wenn die Akzeptanz der Vorgesetzten nicht vorhanden ist. Darauf komme es in erster Linie an, weiß Christian Schade aus eigener Erfahrung: „Als ich erstmals in El- ternzeit gegangen bin, wurde dies mit Er- staunen wahrgenommen. Aber meine un- mittelbaren Vorgesetzten haben mich dar- in absolut unterstützt.“ Auch vonseiten der disziplinarischen Chefs gab es zumindest nie negatives Feedback. „Der schwierigste Schritt ist schließlich die intrinsische Mo- tivation.“ Aber Schade ist zuversichtlich, dass auch dieser Schritt vielen Männern mit der Zeit immer leichter fallen wird: „Teilzeit ist ein Gewinn, den man nicht so schnell wieder hergeben möchte, wenn man einmal richtig daran geschnuppert hat.“ Weitere Informationen zum Thema fi nden eingeloggte VAA-Mitglieder In der VAA-Werksgruppe BASF Ludwigshafen ist Dr. Christian Schade Ansprechpartner auf der Kommunikationsplattform für Elternzeitfragen. Der Polymerforscher hat maßgeblich an der Gründung des BASF- MeinVAA unter http://mein.vaa.de. Beschäftigtennetzwerks „Männer für Teilzeit“ mitgewirkt. Foto: BASF 26 VAA MAGAZIN APRIL 2015
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