ZERREISSPROBE FÜR DIE LIEFERKETTE - IHK
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Mai-Juni 2022 Stuttgart · Böblingen · Esslingen-Nürtingen · Göppingen · Ludwigsburg · Rems-Murr Ein Service der IHK für Unternehmen in der Region Stuttgart ZERREISSPROBE FÜR DIE LIEFERKETTE Seite 8 ENERGIEWENDE Interview mit Umweltministerin Walker SEITE 16 AUSBILDUNG IHK digitalisiert ihren Service SEITE 20 VORSTEUERABZUG So holen Sie sich Ihr Geld vom Fiskus zurück SEITE 22
e-HCP Netzoptimierung durch Stromrecycling Reduzieren Sie Ihre Stromkosten um bis zu 25 % e-HCP ist die Stromsparanlage für Unternehmen ab 100.000 € Stromkosten pro Jahr Energieeffizienz CO2-Reduktion Staatliche Förderung Einsparung der elektrischen Verbesserung des Bis zu 40 % Förderung Energiekosten ökologischen Fußabdrucks der Anlage Machen Sie Ihr Unternehmen fit für die Energie-Zukunft. Die neue e-HCP-Technologie filtert Verunreinigungen aus Ihrem Stromnetz, speichert diese Energie aus den Oberwellen und stellt sie als Nutzstrom innerhalb weniger Millisekunden wieder zur Verfügung. Das reduziert Ihre Stromkosten um bis zu 25 %. e-HCP ergänzt im Schalt- schrank Ihre bestehende Infrastruktur oder kommt als praktische Outdoor-All-in-One-Lösung im Container. Gefördert durch Kostenlose Beratung unter 0711-939266-42 info@e-hcp.de www.e-hcp.de
EDITORIAL »Lieferketten diversifizieren, Risiken mindern« Deutschland lebt erheblich von seinen mehrere Lieferquellen nutzt. Dabei präfe- international orientierten Unterneh- rieren Unternehmen auch wieder mehr den men. Besonders gilt dies für Baden-Würt- Wirtschaftsraum der Europäischen Union! temberg und die Region Stuttgart. Die Durch Digitalisierung, Automation und Außenwirtschaft ist deshalb ein wich- sinkende Anteile der Arbeitskosten ist dies tiger Schwerpunkt unserer IHK. Sorgen zunehmend wirtschaftlich möglich und bereiten uns insbesondere die gestörten sinnvoll. Dies bedeutet nicht das Ende der Lieferketten - die Auswirkungen des An- globalen Zusammenarbeit, schafft aber den griffskrieges Russlands auf die Ukraine Rahmen, um aus einer Position der Stärke zeigen die Schwachpunkte schonungslos mit autokratischen Systemen zu verhan- auf. Schon der Trend vieler Länder zu mehr deln. Autokraten den Rücken zuzuwenden, MARJOKE BREUNING Protektion mit Begrenzung des Zugangs zu Märkten, sowie Corona und der Brexit ha- ist ein Ansatz, der zunächst vielleicht nahe liegt und auch Wirkung zeigt. Präsidentin ben bisher für große Lieferschwierigkeiten der IHK Region Stuttgart gesorgt. Es muss aber jederzeit möglich bleiben, miteinander Gespräche zu führen, auch Wir stehen zudem vor der Frage, mit wem wenn der Ansatz „Wandel durch Handel“ wir eigentlich noch Geschäfte machen manchmal als altmodisch abgetan wird. Das sollen – oder muss man vielleicht sagen: mag in diesem Fall so erscheinen, aber viele dürfen? Das Spannungsfeld hat zugenom- Beispiele zeigen: Wer miteinander handelt, men, man darf kaufen und liefern was neigt eher dazu, zu reden und über Zusam- nicht unter die Sanktionen oder aufgrund menarbeit nachzudenken und führt nicht so anderer Regeln geächtet ist. Der öffentli- schnell einen Krieg. Zumindest keinen Krieg che Druck und das neue Lieferkettensorg- mit Waffen. Bei den Handelskriegen und faltspflichtengesetz geben den Unterneh- dem Kampf um Rohstoffe geht es zwar auch men zudem besondere Pflichten auf, wie nicht zimperlich zu, doch es gibt zumindest zum Beispiel die Vermeidung von Men- keine Toten, keine Vertriebenen und keine schenrechtsverletzungen in Lieferketten. Kriegsverbrechen. Trotz aller Bemühungen, Wie eng dabei oft der Handlungsrahmen die Abhängigkeiten zu reduzieren, sollten TASSILO ZYWIETZ ist, sehen wir am Beispiel Energie, wenn man den einen autokratischen Lieferanten wir die globale Welt immer im Auge behalten und dabei den Blick auch auf Afrika richten. Geschäftsführer durch einen anderen ersetzen muss. Die Chancen auch energiepolitisch dort nut- Außenwirtschaft und Dienstleistung zen und dabei autokratischen Systemen die der IHK Region Stuttgart Wir sehen unsere Abhängigkeiten von Roh- Grenzen aufzeigen – eine Herausforderung! stoffen sowie von Warenlieferungen und wir sehen die Notwendigkeit, Risiken dabei Die IHK bleibt Partner in der Außenwirt- zu reduzieren. Dabei fällt der Blick auch auf schaft. Mit einem breiten Beratungsange- China. Zum einen hält China seine Interessen bot durch Expertinnen und Experten für im Verhältnis zu Russland offen. Zum ande- internationales Recht, für viele Märkte und ren müssen wir uns fragen, wie unsere Wirt- Länder sowie mit dem Netzwerk der Aus- schaftsbeziehungen mit China zu bewerten landshandelskammern stehen wir Ihnen, sind. Bei politischen oder wirtschaftlichen unseren Mitgliedsbetrieben, zur Seite – und Verwerfungen mit unserem zweitwichtigs- werden uns weiter dafür einsetzen, dass die ten Handelspartner käme es zu großen Eng- Regeln des internationalen Geschäfts über- pässen. Die Beziehungen zwischen der EU sichtlich und umsetzbar bleiben. und China sind belastet, seit die EU Pekings Handelspraktiken kritisiert und Menschen- rechtsverletzungen angeprangert hat. Logistische Probleme, lange Lieferwe- ge und der Anspruch an Nachhaltigkeit und Verantwortung in der Lieferkette führen schon seit einiger Zeit dazu, dass man sich nicht mehr auf einen einzigen Lieferanten weltweit fokussiert, sondern 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 3
INHALT 5-6.2022 8 KRIEG, KRISE, CORONA: ZERREISSPROBE FÜR DIE LIEFERKETTE KURZ & KNAPP 6 SAGEN SIE MAL … Fragen an Dr. Thorsten Pilgrim, Viamed GmbH (Stuttgart) DER STUTTGART-TIPP 7 Kunst und schnittige Autos PERSONALIEN BUCHTIPP Vertrauen – die härteste 45 IHK-EHRENPRÄSIDENT HANS PETER STIHL Währung IST 90 GEWORDEN TITELTHEMA 8 KRIEG, KRISE, CORONA Lieferketten stehen vor der Zerreißprobe 12 SELTENE EINIGKEIT IHK-Vize- präsident Claus Paal betont die Unterstützung der Wirtschaft für die Wirtschaftssanktionen 14 CYBER-ANGRIFFE russischer Hacker und wie man sich dagegen wehrt 15 US-KONSUL Scharpf verspricht Unterstützung bei der Erdgas- versorgung INTERVIEW 32 VERPACKUNGSGESETZ: DAS SIND DIE REGELN FÜR ONLINEHÄNDLER 16 ENERGIEWENDE Interview mit Umweltministerin Thekla Walker und Albrecht Reuter, Vorsitzender des IHK-Energieausschusses R AT & TAT 20 AZUBI-VERTRAG UND BERICHTSHEFT sind jetzt digital - so geht’s 22 VORSTEUERABZUG Holen Sie sich Ihr Geld vom Fiskus zurück 24 INFLUENCER-MARKETING Das Gesetz postet immer mit 25 INTERVIEW Influencerin Antje 20 AUSBILDUNGSVERTRAG 37 UNSERE MUTIGEN UND BERICHTSHEFT KANN GRÜNDERINNEN WAGEN Gerstenecker über bezahlte Posts, MAN JETZT ONLINE BE- SICH IN DIE HÖHLE DER Vertrauen und den Weg zurück zu ARBEITEN LÖWEN Print 4 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
Die weltweit führende Plattform der Intralogistik geprüft 26 CYBERSICHERHEIT Das größte Risiko 47 IHK-BILDUNGSPARTNER für digitale sitzt vor dem Bildschirm Projekte ausgezeichnet 28 TELEARBEIT Sechs Tipps zum Lösen 48 BERUFSPARCOURS erstmals wieder von Konflikten in digitalen Teams nach zwei Jahren Corona 30 UNTERSTÜTZUNG AUF DEM WEG IMPRESSUM IN DIE ZUKUNFT Zentrum für Cyber- 49 IHK-GREMIEN Susanne Pauser neue physische Systeme Vizepräsidentin 32 DAS VERPACKUNGSGESETZ soll die CITY-LOGISTIK Auftaktveranstaltung Internationale Fachmesse für Recyclingquoten für Kartonagen & Co. zum Einsatz von Lastenrädern Intralogistik-Lösungen und erhöhen 34 MITTELSTANDSNEWS 50 MITTELSTANDSFINANZIERUNG Prozessmanagement Anmerkungen von Thomas Keller Aktuelle Tipps und Kurzmeldungen von der Deutschen Bank und seinem Nachfolger Markus Rammes 31. Mai – 2. Juni 2022 MENSCHEN & IDEEN Messe Stuttgart FIRMENREPORT 36 ZEITSPRUNG Michael Gauch und Roland Pfletschinger über die Ge- 52 NACHRICHTEN Neues aus unseren schichte der Pfletschinger + Gauch Mitgliedsunternehmen Betriebs-GmbH 37 GRÜNDERINNEN Mutter und 53 GEBURTSTAG INTRALOGISTIK 57 JUBILÄEN Tochter Eckert haben in der „Höhle der Löwen“ ihren Wespen- AUS ERSTER HAND 101010 schutz präsentiert 011010100100010100 38 LABORS DER REGION Die Gauss 1010011010100010100110101101 Machine Learning GmbH nutzt ANZEIGEN-SPECIAL 00010100101001110101011010100110101 0011101010010100110101011010100110101001 künstliche Intelligenz, um die Metall- industrie effizienter zu machen 58 ENERGIEEFFIZIENZ Gewerbeflächen 00010100101001101010001010011010110100010100 und -immobilien 1010011101010110101001101010011101010010100110 39 DIE BESONDERE GESCHICHTE 10110101001101010010001010010100101010100010100 RT 0110100010100101001101101011010100110101001110101 Volker Single gründet fünf Firmen, SMA 00110101011010100110101001000101001010011001000101 von der Automation bis zur Kinder- 011010001010010100111010101101010011010100111010100 S intensivpflege INFO 0101011010100101010010001010010100110101001010100110 US TA 40 HIDDEN CHAMPION IQB in 01010010100110110001010011010110100010100101001110100 IN NS 00010100111010100101001101010101010011010110100010100 AB Fellbach geht Asphalt und Bitumen 66 BEKANNTMACHUNGEN TIO LE 010101101010011010100111010100101001101010110101001101 auf den Grund Änderungen bei Prüfungsordnung SOLU 010010100110101000101001101101000101001010011101010110 und Gebührenordnung 100111010100101001101010110101001010100100010100101001 Sachverständige: Bestellung 100110101101000101001010011101010110101001101010011101 erloschen 101010110101001101010010001010010100110101001010100110 S AF E Umwelt-Audit-Satzung 010010100110101000101001101011010001010010100111010101 IHK & REGION 101001110101001010011010101010100110101101000101001010 68 HANDELSREGISTER 01101010011010100111010100101001101010110101001101010 42 UKRAINE Unternehmen und IHK März: Löschungen und Insolvenzen 01010011010100010100110110100010100101001110101011010 helfen Flüchtlingen 1001000101001010011010100010100110101101000101001010 43 IHK-BEZIRKSVERSAMMLUNGEN im 101101010011010100111010100101001101010110101001101 00101001010011010100010100110101101000101001010011 Zeichen des Ukraine-Kriegs DIE LETZTE SEITE 0110101001101010011101010010100110101011010100110 44 AUSBILDUNG Private Initiativen 01000101001010010101010001010011010110100010100 engagieren sich für den Fachkräfte- 001101101011010100110101001110101001010011010 nachwuchs 74 KOMMENTAR Was ist notwendig für 011010100110101001000101001010011001000101 011010100110101001000101001010011001000101 den Generationswechsel? Das er- 00110101101000101001010011101010110101 IHK-TERMINE klärt Unternehmerin Verena Bund. 0011010100111010100101000101001 45 EHRENPRÄSIDENT Hans Peter Stihl IHK HILFT beim Transport einer WIEDER ZEIT FÜR BUSINESS 01001101100010100110 1 ist 90 geworden - kurz zuvor starb mobilen E-Ladestation MIT SICHERHEIT VOR ORT seine Schwester Eva Mayr-Stihl AUSBLICK auf die Ausgaben 46 IHK-TERMINE Juli-August und September-Oktober Jetzt informieren SIE BEKOMMEN ZU VIELE und dabei sein! EXEMPLARE VON MAGAZIN WIRTSCHAFT? Kein Problem: Informieren Sie uns telefonisch oder per Mail und wir ändern das. Denn auch wir wollen nicht unnötig Ressourcen verbrauchen und die Umwelt belasten. Tel. 0711 2005-1347, magazin.wirtschaft@stuttgart.ihk.de +49 (0)89 323 91-259 logimat-messe.de
KURZ & KNAPP NACHGEFRAGT ZAHLEN & ZITATE »Sagen Sie mal, Herr Dr. Pilgrim … « 48.247 Euro betrug die Wirtschafts- 6,5 Minuten muss ein Durch- 22,4% niedriger als im gleichen leistung pro Kopf in schnittsverdiener derzeit für Monat des Vorjahres lag die Baden- Württemberg im einen Liter Benzin arbeiten. Arbeitslosenzahl in der Region vergangenen Jahr. Stuttgart im März 2022. Quelle: Statistisches Landesamt Quelle: LBBW Research Quelle: Agentur für Arbeit »Ich kenne kein Unternehmen, das nicht voll und ganz hinter den Sanktionen gegen DR. THORSTEN PILGRIM diesen brutalen Aggressionskrieg steht.« Inhaber ViaMed GmbH (Stuttgart) Claus Paal, Präsident der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr, Mitglied des Präsidiums der IHK Region Stuttgart zum Überfall der russischen Armee auf die Ukraine … war Corona der Weckruf für unser Gesundheits- system? Hoffentlich, denn Corona hat manche Miss- stände einem breiteren Publikum aufgezeigt. Viele Lösungsansätze wie z.B. Telemedizin oder Digitali- STUTTGART-TIPP sierung konnten mit hoher Akzeptanz ausprobiert werden. Die Herausforderungen im deutschen Ge- sundheitssystem sind jedoch so komplex, dass wir Kunstgenuss und schnittige Autos um eine Disruption kaum herumkommen werden. … was hat die IHK zur Bewältigung der Krise bei- getragen? Die IHK hat in der Krise einen hervorra- genden Beitrag geleistet. Sie hat dem Mittelstand DIE FIGURINEN und den KMU in der Pandemie eine Stimme verlie- aus Oskar Schlem- hen. Sie hat aber auch konkrete Hilfe geleistet, etwa mers „Triadischem mit Tausenden von Beratungen für die Corona-Hil- Ballett“ sind in einer Ausstellung fen oder auch eigenen Pop-up-Impfangeboten im in der Staatsgale- betrieblichen Umfeld. rie zu sehen.. … was schätzen Sie an anderen besonders? Subs- tanz, Souveränität, Selbstwirksamkeit und Selbstbe- Gleich zwei herausragende Aus- Vor 100 Jahren, 1922, sorgte die Ur- wusstsein im Wortsinne. Das heißt:. Ein Mensch ist stellungen sind derzeit in Stutt- aufführungvonOskarSchlemmers sich seiner Möglichkeiten und Einschränkungen be- gart zu sehen. Bis 9. Oktober „Triadischem Ballett“ für Euphorie wusst. Wem es dann noch gelingt, daraus nicht nur präsentiert das Mercedes-Benz- und Entsetzen, Die Sammlung der für sich, sondern auch für seine Umwelt Mehrwert Museum die Sonderausstellung Staatsgalerie Stuttgart beherbergt zu schaffen, verdient meine volle Bewunderung. „Faszination SL – seit 70 Jah- auch die sieben Figurinen aus dem ren ein Traumwagen“. Mit neun Triadischen Ballett. Das Jubiläum … was stößt Sie eher ab? Narzisstisches Imponier- SL-Sportwagen auf einer Serpen- nimmt das Museum zum Anlass, gehabe genauso wie verhinderungsorientierter Mi- tinenschleife, darunter der ältes- um das Triadische Ballett aus der kro-Perfektionismus. In der Regel bietet aber jeder te existierende SL, empfängt das Gegenwart heraus zu betrachten. Mensch Facetten, die ich faszinierend finde. Museum die Besucher. Die Aus- In der bis ebenfalls 9. Oktober 2022 stellung erzählt die komplette zu sehenden Ausstellung „Moved … haben Sie ein Vorbild? Es gibt keine Person, von SL-Geschichte, beginnend mit by Schlemmer. 100 Jahre Triadi- der ich sagen könnte, dass ich so sein möchte wie dem Rennsportwagen aus dem sches Ballett“ nehmen drei inter- sie. Ich habe aber das Glück, im Freundes-, Famili- Jahr 1952 über den Flügeltürer bis national renommierte Künstlerin- en- und beruflichen Kreis zahlreiche herausragen- hin zum SL „Mille Miglia 417“ aus nen mit großformatigen Arbeiten de Persönlichkeiten um mich zu wissen. So habe ich dem Jahr 2015. Bezug auf Schlemmers Ideen. viel Gelegenheit, meine eigenen Unzulänglichkei- ten erkennen und echten Meistern ihres Fachs auf MEHR INFO unter www.congress-stuttgart.de die Finger schauen zu können. 6 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
PERSONALIEN BUCH-TIPP CHRISTIAN HELLER ist der neue Direktor des Hotels Es dauert Jahre, Vertrauen aufzu- Adler in Asperg. Seit 1997 ist er im Unternehmen der Fa- bauen, aber nur Sekunden, es zu zer- milie Ottenbacher tätig. Er absolvierte eine Ausbildung zum Koch mit Zusatzqualifikation (FHG) und schloss ein stören - diese Weisheit kann jeder Studium an der Dualen Hochschule mit Schwerpunkt Ho- Unternehmer im Schlaf hersagen, tel- und Gastronomiemanagement ab. Heller unterstützt und die meisten wissen wohl, wie die Geschäftsführung im operativen Bereich, damit sich grundlegend wichtig das Vertrauen die Inhaber Christian und Dory Ottenbacher stärker auf ihrer Kunden, Mitarbeiter und Part- die Strategie des Unternehmens konzentrieren können. ner ist. Doch wer weiß wirklich, wie sich Vertrauen aufbauen lässt? Dem Markensoziologen Arnd Zschiesche DR. MAXIMILIAN STRECKER (32) ist Im Zuge des ist es gelungen, das Thema auf praxisnahe und sogar Generationswechsels zum weiteren Geschäftsführer der spannende Weise zu vertiefen. Das Buch kann man Ernst Strecker GmbH & Co. KG (Renningen-Malmsheim) jedem empfehlen, der in Wirtschaft, Wissenschaft ernannt worden. Nach dem Eintritt von Karina Strecker oder Politik Verantwortung trägt. (36) in die Geschäftsführung im Jahr 2015 vollzieht das seit über 125 Jahren bestehende Großhandelsunterneh- VERTRAUEN. DIE HÄRTESTE WÄHRUNG DER WELT. men für Floristen- und Dekorationsbedarf den nächsten Arnd Zschiesche, Gabal-Verlag, Offenbach 2022, 29,90 Euro, Schritt zur Übernahme der Verantwortung durch die fünfte 272 Seiten, ISBN 978-3-96739-035-3 Generation. MARCUS GABLOWSKI ist Chief LENA VON HOLLEBEN ist in die Geschäftsführung der LBBW Corporate Real Estate Management GmbH Sustainability Officer (CSO) (LBBW CREM) aufgerückt. Sie folgt auf Peter Spazal, der bei der Herma GmbH in Fil- die Geschäftsführung zum Jahresende 2021 verlassen derstadt. Der Chemieingeni- hat. Den Vorsitz der Geschäftsführung hat weiterhin eur soll gemeinsam mit einem Thomas Wagner. Die 41-jährige gebürtige Münchnerin achtköpfigen Nachhaltigkeits- ist bereits seit 2010 in der LBBW Immobilien-Gruppe team eine Strategie erarbeiten, tätig, seit Januar 2021 als Mitglied der Geschäftsleitung um das Unternehmen bis 2040 der LBBW CREM. klimaneutral zu machen. SIBAH PHILLIPPS (35) verstärkt MATTHIAS GROSCHUPP (r.) ist neuer Leiter des Fach- das Team der Ludwigsburger bereichs Umsatzsteuer am Standort von Rödl & Partner in Agentur What When Why als Stuttgart. Der 51-Jährige ist als Steuerberater und Rechts- anwalt seit über 20 Jahren in Führungsteams der Umsatz- Senior-Projektmanagerin. Phil- steuerberatung tätig, zuletzt bei PwC in Stuttgart. Bei Rödl lipps hat über zehn Jahre Erfah- & Partner soll er sich auf den Ausbau der internationalen rung im Bereich Public Events, Umsatzsteuerberatung sowie auf Fragen der Prozessopti- Messeauftritte und internatio- mierung und der umsatzsteuerlichen Compliance konzen- nale Kundenveranstaltungen. trieren. Der Digitalisierungs- experte und Steuerberater TIM KÖNIG (l.) leitet als Associate Partner die digita- len Serviceleistungen im Bereich Umsatzsteuer bei Rödl & Partner. König war fünf Jahre im gleichen Bereich bei Bei der Soundlight Company PwC tätig und zuletzt Leiter Steuern/Accounting bei dem GmbH gab es gleich zwei Ge- Stuttgarter Technology Start-Up Spacegoats. Der erfahrene schäftsführerwechsel: Robin Transaktionsexperte RAINER MILLER (u.) tritt als Part- Schwarz (l.) und Björn Grau (r.) ner bei der Stuttgarter Kanzlei folgten auf Tino Cafaro und Mar- ein und wird die Leitung der M&A-Beratung am Standort Stuttgart übernehmen. Rainer kus Michels. Beide kennen das Miller bringt mehr als 25 Jahre Erfahrung beim Kauf und Unternehmen seit langem und Verkauf von Unternehmen und der Finanzierung mit und haben die Unternehmensphilo- war zuvor unter anderem als Managing Director bei der sophie mitgeprägt. Nach mehr Corporate Finance Investmentbank Lincoln International als 35 Jahren in der Geschäfts- AG in Frankfurt und als Mitglied der Geschäftsleitung bei führung verabschieden sich die der BWK GmbH Unternehmensbeteiligungsgesellschaft in Stuttgart tätig. Gesellschafter Tino Cafaro und Markus Michels aus dem operati- ven Geschäft, stehen ihren Nach- PERSONALNACHRICHTEN FÜR DAS MAGAZIN WIRTSCHAFT Gibt es auch in Ihrem Un- folgern aber weiter beratend zur ternehmen personelle Veränderungen auf der Führungsebene? Wir veröffentlichen Ihre Nachricht Seite. gerne. Senden Sie einen kurzen Text mit Bild an presse@stuttgart.ihk.de 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 7
TITELTHEMA AUSSENWIRTSCHAFT ZERREISSPROBE FÜR DIE LIEFERKETTE DER KRIEG IN DER UKRAINE verursacht Leid und Tod und raubt Millionen die Heimat. Über die be- teiligten Länder hinaus trifft er die gesamte Weltwirtschaft, die sich noch gar nicht von den Folgen der Corona-Pandemie erholt hat. Vielen Unternehmen wird jetzt bewusst, wie wichtig eine nahe und breit aufgestellte Lieferantenstruktur ist. „Es ist eine Tragödie – alle stehen menschlich unter musste er nach Hause, beziehungsweise in Kurzarbeit einem enormen Druck.“ Thomas Schäberle, Chef der schicken. LSU Schäberle GmbH & Co. KG, spricht von seinen Ge- schäftspartnern in Osteuropa, in Litauen, Ungarn, Der Kriegsausbruch hat die Logistiker unmittelbar Polen. Namentlich in Polen ist laut Schäberle „die Höl- getroffen. Nicht nur, dass die Zulieferunternehmen le los“: Fast zwei Millionen Flüchtlinge aus der Ukrai- und verlängerten Werkbänke von Lodz bis Lemberg ne, rationierter Diesel, extreme Kostensteigerungen, fester Bestandteil des Fertigungsverbundes der deut- zudem hat jeder persönliche Beziehungen zu Familien schen Industrie sind und entsprechend häufig ange- jenseits der Grenze. „Das Geschäft in unserem Haupt- fahren werden. Hinzu kommt, dass viele Spediteure markt Osteuropa geht weiter, verläuft aber äußerst praktisch ihr ganzes Geschäft mit Vertragspartnern angespannt“, sagt Schäberle. In den unmittelbar be- aus den östlichen EU-Staaten abwickeln. Diese wiede- teiligten Ländern Ukraine, Russland und Weißruss- rum beschäftigen überwiegend Fahrer aus Weißruss- land gehe seit dem Einfall der russischen Armee in der land und der Ukraine. Es ist ein System, das der Bran- Ukraine Ende Februar fast nichts mehr. che in den letzten Jahrzehnten ein Auskommen gesichert hat - trotz wachsenden Kostendrucks ihrer Rund die Hälfte des Umsatzes ist der Fellbacher Krell Auftraggeber. „Aber durch den Krieg fehlen jetzt eu- Logistik GmbH weggebrochen. „Noch im vergangenen ropaweit etwa 100.000 Lkw-Fahrer“, sagt Thomas Jahr haben wir für deutsche Großkunden und ukraini- Schäberle. Und das in einem Markt, der schon vorher sche Kunden 850 Transporte vorwiegend von und praktisch leergefegt war. Ein Übriges tun die explosi- nach der Ukraine, zu einem kleineren Teil nach Russ- onsartig gestiegenen Treibstoffkosten. „Trotz spür- land gefahren“, sagt Inhaber Thomas Krell, der auch barer Umsatzeinbrüche können wir als Unternehmen Mitglied der IHK-Bezirksversammlung Rems-Murr ist. die Situation bewältigen“, sagt Schäberle, der dem Nahezu alle Kontakte in die beteiligten Länder seien IHK-Präsidium angehört. Es sei aber klar, dass diese abgerissen, drei seiner sechs Mitarbeiter in Fellbach „katastrophale Situation“ nicht nur die Logistik, son- dern die gesamte Wirtschaft trifft. In einer bundesweiten Befragung des deutschen In- dustrie- und Handelskammertages (DIHK), an der sich 830 Unternehmen aus Baden-Württemberg be- teiligt haben, sehen sich 78 Prozent der Betriebe vom Krieg und seinen Folgen geschäftlich betroffen. Im Detail berichten 60 Prozent der Unternehmen von Auswirkungen wie steigenden Preisen oder gestörten Lieferketten, 18 Prozent nennen direkte Folgen – etwa den Verlust von Kunden oder Lieferanten. Gegensteu- ern wollen die Firmen vor allem die Preise erhöhen, aber auch Investitionen verschieben und Personal ab- bauen (vgl. Grafik unten). „Die Unternehmen geraten in allen Bereichen unter Druck. Von Nachfrage- und Produktionsausfällen, über Kostenexplosionen bei der Leistungserbringung bis hin zu Spritgeldforderungen von Mitarbeitern“, kommentiert DIHK- und BWIHK-Vizepräsidentin Mar- joke Breuning die Entwicklung. Trotz aller Schwierig- 8 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
850 TRANSPORTE hatte Logistikunter- nehmer Thomas Krell im vergangenen Jahr im Verkehr in die Ukraine und nach Russ- land. Jetzt wickelt die Fellbacher Spedition nur noch einzelne Fahrten ab. 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 9
TITELTHEMA Für den Handel mit China, der ins- besondere für die deutsche Indust- rie so wichtig ist, bleiben also nur die Seerouten. Diese jedoch leiden immer noch unter den Einschrän- kungen, die vor allem durch die Sperrung chinesischer Häfen im Rahmen der Corona-Maßnahmen entstanden sind. Nachwirkungen gibt es auch noch von der Überlas- tung des amerikanischen Frachtha- fens Long Beach und sogar von der Blockade des Suezkanals durch den Tanker „Ever Given“ vor mehr als einem Jahr. „Das ganze System der See-Logistik ist extrem eng getaktet und entsprechend anfällig“, erklärt Marc Bauer. „Sobald ein Rädchen herausfällt, stockt es. Es sind keine Reserven vorhanden“ Dass die Prei- se für viele Materialien und Kompo- nenten derzeit stark steigen, muss also niemanden wundern. Mit dieser Situation hatten inter- national aufgestellte Unterneh- men bereits vor dem Ukraine- Krieg zu kämpfen. „Containersendungen sind seit ei- niger Zeit überhaupt nicht mehr planbar“, sagt Jochen Schneider, der gemeinsam mit seinem Vater die Schneider GmbH in Albershau- sen, Kreis Göppingen leitet. Der keiten stünden die Betriebe ohne ENORMEN sches Territorium. „Vielen Unter- Mittelständler beliefert Kunden aus DRUCK sieht Wenn und Aber hinter den Sanktio- nehmen, die Bahnverbindung bis- 80 Ländern auf allen Kontinenten Thomas Schäberle nen gegen Russland, so Breuning. seit Wochen bei lang gerne von und nach China mit Kleingeräten für das Bäckerei- seinen Partnern in genutzt haben, ist das jetzt zu ris- gewerbe, die er zum Teil einkauft, Die Auswirkungen des Krieges Osteuropa. Neben kant“, so Bauer. Die Drohungen von größtenteils aber selbst herstellt. und der Sanktionen reichen weit der humanitären russischer Seite, Beschlagnahme Die Preise für Containerfracht hät- Tragödie belastet über die unmittelbar betroffenen der Kriegsaus- oder Verstaatlichung als Retour- ten sich seit 2020 verfünffacht, be- Länder hinaus. So sei die Luft- bruch den kutsche gegen die Sanktionen ein- richtet Schneider, die mittelgroßen frachtverbindung zwischen Europa Hauptmarkt des zusetzen, gibt es durchaus. Familienunternehmen treffe das und China derzeit empfindlich ge- Stuttgarter Logis- tikunternehmens stört, berichtet Marc Bauer, Liefer- wirtschaftlich kettenexperte der IHK. „Russland stark. und die Ukraine werden weiträu- IHK-INFO mig umflogen. Das ist nicht ein- fach, weil Russland so ein riesiges 100 Land ist.“ Neben einem stark er- Die IHK Region Stuttgart informiert Unternehmen höhten Bedarf an – teurerem – Ke- zum Russland-Ukraine-Krieg rosin sind vor allem die knappen und oft nicht vorhandenen Lande- rechte in den Umgehungsländern TAUSEND Bei Fragen rund um den Russland-Ukraine-Krieg wenden Sie sich ein Problem. Ein Teil der Güter Lkw-Fahrer fehlen gerne an unsere Hotline. Hier werden Fragen zum Warenverkehr, zu muss also auf anderem Weg trans- dem europäischen den Sanktionen, zu Personalthemen und zum Zahlungsverkehr in portiert werden. Doch die Bahn- Logistikgewerbe den Krisengebieten beantwortet. verbindung durch Asien – die be- durch den Ukraine-Krieg. Krisen-Hotline 0711 2005 1407 rühmte „neue Seidenstraße“ – ermöglicht es zwar, die riesige Quelle: BGL Mail-Postfach ukrainerussland@stuttgart.ihk.de Distanz innerhalb von zwei Wo- Info-Plattform im Netz www.stuttgart.ihk.de; Such-Nr. 5447122 chen zu überwinden, sie führt aber über weite Strecken durch russi- 10 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
besonders hart. „Während sich ein Weltkonzern auch mal ganze Con- tainerschiffe reservieren kann, müssen wir uns die Kapazitäten ganz normal am Markt besorgen.“ So werde es zusehends schwieriger, die gestiegenen Kosten an die Kun- den weiterzugeben. Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte Schneider auch im uk- rainischen Markt Fuß fassen. „jetzt müssen wir wohl froh sein, dass uns das nicht gelungen ist.“ Doch die zusätzliche Belastung des Marktes spürt man durchaus. Um ein wenig Druck herauszunehmen, kauft die Schneider GmbH bei ih- ren Lieferanten jetzt größere Men- gen ein und schraubt die Lagerbe- stände nach oben. Beizeiten hat das Unternehmen hierzu eine neue, 2000 Quadratmeter große Lager- halle in Weilheim gemietet. „Wir haben unsere Hausaufgaben ge- macht“, so Jochen Schneider. Als weitere Gegenmaßnahme baut der Mittelständler die Eigenprodukti- on aus und steigt wo es geht auf europäische Lieferanten um. „Das ist aber nur in begrenztem Umfang möglich“, sagt Schneider. „Für viele Komponenten ist Asien trotz der gestiegenen Frachtkosten immer – im Supermarkt, in der Logistik LIEFERKETTEN ausgelöst durch den Krieg, eine er- noch konkurrenzlos günstig.“ und selbst in der Fertigung. sind anfällig, und neute Materialverknappung“, be- das auch ohne richtet Gründer und Geschäfts- Krieg. Davon kann Dass es für Probleme in den Lie- Dass ein Streik am Rande Europas Susanne Daiber führer Christoph Rößner. Russland ferketten keines Krieges bedarf, droht, die Wirtschaft des gesam- von Etikett Schiller und die Ukraine stünden für gut muss schon seit Januar Susanne ten Kontinents zu behindern, legt in Plüderhausen ein Viertel der Stahlimporte in die Daiber erleben. Die Geschäftsfüh- den Finger in die Wunde der Lie- ein Lied singen. EU, bei Legierungsmetallen sogar rerin von Etiket Schiller in Plüder- ferkettenplanung. Jeder Papier- teilweise noch mehr. „Auf diese Be- hausen (Rems-Murr-Kreis) beob- hersteller achtet darauf, seine teu- stände kann effektiv nicht mehr achtet, wie sich die Lager ihrer ren Maschinen so weit wie möglich zugegriffen werden.“ Hinzu kämen Lieferanten von Woche zu Woche auszulasten, erklärt Susanne Dai- ausbleibende Kohlelieferungen aus mehr leeren. „Viele haben ihre Be- ber. Fallen größere Mengen aus, ist Russland und die hohe Preisbelas- stände komplett aufgebraucht.“ es deshalb sehr schwer, Ersatz zu tung bei der Herstellung von Alu- Grund ist ein lang anhaltender beschaffen, indem man kurzfristig minium, die äußerst energieinten- Streik in insgesamt sieben finni- einen anderen Lieferanten beauf- siv ist. Für einige Materialien – etwa schen Papierwerken, die das tragt. „Die Trägerhersteller versu- Kupfer – geben die Händler derzeit 7 Grundmaterial für so genannte chen jetzt natürlich alle, sich künf- keine Preise an oder die Preis- Träger liefern – das sind die Bögen, tig breiter aufzustellen, aber das volatilität ist derart hoch, dass eine von denen selbstklebende Etiketten geht nicht von heute auf morgen.“ verlässliche Preisstellung kaum abgezogen werden können. Da noch möglich ist. noch kein Ende des Arbeitskampfes Wie sehr das Preisgefüge nicht absehbar ist, hält es Susanne Daiber nur bei der Energie sondern auch PAPIER- Deshalb hat Laserhub den Handel für möglich, dass Klebeetiketten bei Komponenten und Rohmate- FABRIKEN in weitgehend ausgesetzt. „Bei ande- bald nicht mehr lieferbar sein wer- rialien aus den Fugen ist, erlebt Finnland sind ren Artikeln ändern sich die Preise den. „Man bekommt jetzt Lieferter- man bei der LaserHub GmbH über Monate stündlich“, sagt Rößner. „Deshalb bestreikt worden. mine in Juli, August und September hautnah. In der Zentrale der Han- Das hat einen haben die Angebote auf unserer – normal sind zwei Tage.“ Viele delsplattform für die metallverar- Etikettenmangel Plattform derzeit eine Gültigkeits- Branchen könnten dadurch hand- beitende Industrie im Stuttgarter in ganz Europa dauer von drei Tagen, womit wir feste Probleme bekommen, denn Osten, herrscht hektische Betrieb- verursacht. aber deutlich über den aktuell Etiketten werden überall gebraucht samkeit. „Momentan erleben wir, Quelle: FINAT branchenüblichen Sechs-Stunden- 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 11
TITELTHEMA INTERVIEW Nivau liegen. Längerfristige Rah- decken sich mit Ware ein“, sagt Ge- menverträge bieten wir nicht mehr schäftsführer Jochen Schlindwein. an, weil das Risiko für die Lieferan- „Die Arzneimittelversorgung der ten zu groß ist und auch für die Krankenhäuser, Apotheken und »Die Wirtschaft steht zu Käufer ein langfristiger Einstand Patienten läuft aber normal.“ Russ- den Sanktionen!« auf dem derzeit hohen Preisnievau keinen Sinn ergibt.“ Um Hamster- land ist für den Anbieter von Me- dikamenten wie Biofaktoren, das käufen vorzubeugen, arbeitet die sind Vitamine, Mineralstoffe und Branche derzeit mit einem umge- Spurenelemente, gleich nach kehrten Rabatt: Wer größere Men- Deutschland der zweitwichtigste gen ordern will, zahlt einen höhe- Markt. 40 Millionen Euro, etwa 15% ren Stückpreis. Mittelständler, die seiner Umsätze, hat Wörwag hier einen umfangreichen Posten brau- zuletzt erlöst. In Russland unter- chen, splitten ihre Bestellung des- hält das Unternehmen eine Ver- halb auf mehrere Einzelorder auf. triebsgesellschaft mit ca. 200 Mit- arbeitern. Etwas kleiner ist die Wie wird es weitergehen? „Durch Niederlassung in der Ukraine, die die genannten Mechanismen ge- jetzt wegen des russischen An- lingt es uns, unsere Zuverlässigkeit griffs vorübergehend geschlossen aufrechtzuerhalten, sagt Rößner. ist. Die 40 Mitarbeiter in Kiew ha- CLAUS PAAL „Durch unser Plattformkonzept ben sich zum Teil zum ukraini- Vizepräsident und dem abgeschlossenen Aufbau schen Militär gemeldet, zum Teil der IHK Region Stuttgart neuer Ressourcen für die Market mit Hilfe von Wörwag-Tochterfir- Intelligence können wir auf alle men in den Nachbarländern mit Herr Paal, der Krieg in der Ukraine und die Sank- kommenden Entwicklungen schnell ihren Familien in Sicherheit ge- tionen gegen Russland machen auch unserer reagieren - unabhängig in welche bracht. Wirtschaft zu schaffen. Wie reagieren die Unter- Richtung sich die aktuelle Material- nehmen darauf? Ich kenne kein einziges Unter- situation entwickelt.“ „Die Situation ist sehr belastend“ nehmen, das nicht voll und ganz hinter den Sankti- gibt Schlindwein zu. „Trotzdem onen gegen diesen brutalen Aggressionskrieg steht Von solchen Turbulenzen ist das wollen wir auch in Zukunft in Russ- – selbst dann, wenn es davon wirtschaftliche Nach- Russlandgeschäft der Wörwag land aktiv sein. Gegenüber unseren teile hat. Ich finde es absolut bemerkenswert, wie Pharma GmbH & Co. KG bisher Kunden und Patienten haben wir sehr die Wirtschaft und auch die Politik in dieser verschont geblieben. „Bei den eine Verantwortung, und ein Rück- Lage zusammensteht, denn jeder spürt: Wenn wir Großhändlern ist zwar eine ge- zug wäre das falsche Signal.“ Als jetzt nicht Grenzen setzen, steht etwas Grundsätz- wisse Nervosität zu spüren und sie Arzneimittelhersteller sei man von liches auf dem Spiel: Die Demokratie, unabhängige Medien und die soziale Marktwirtschaft, ohne die es weder Wohlstand noch freies Wirtschaften ge- ben kann. Wie sehr wird der Konflikt uns wirtschaftlich tref- fen? Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Der Krieg und die wirtschaftlichen Gegenmaßnah- men werden weit reichende Folgen auch für unsere Unternehmen haben. Die Ukraine ist – oder viel- mehr war – ein bedeutender Zulieferstandort für Teile der Fahrzeugindustrie. Indirekt werden das viele Zulieferer auch in Baden-Württemberg zu spüren bekommen. Und das Logistikgewerbe lei- det sehr stark. Russland und Weißrussland werden jetzt sehr schnell merken, dass Auslandsinvestitio- nen in andere Länder verlagert werden. Bei aller Zustimmung zu den Sanktionen – viele Unternehmen sind nach zwei Jahren Pandemie ohnehin schon geschwächt. Für manchen, der stark im Osteuropa-Geschäft engagiert ist, geht es jetzt um die Existenz. Sollte der Staat helfen? Hilfen werden notwendig sein, anders als während Corona sollten wir diese aber auf Härtefälle kon- zentrieren, denn der Staat wird überfordert, wenn CASH-MANAGEMENT macht Jochen Schlindwein, Geschäftsführer von Wörwag Pharma, zurzeit er immer alles ausgleichen soll. Auch die Subventio- am meisten Sorgen. Wegen des Rubel-Absturzes können Gewinne aus Russland nur mit großen nierung der Treibstoffpreise sehe ich eher kritisch. Wechselkursverlusten gesichert werden. 12 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
CONTAINER- FRACHT ist schon seit längerem nicht mehr planbar, so Jochen Schneider vom Bäckerei- gerätespezialisten Schneider in Albershausen. Die Preise hätten sich innerhalb eines Jahres verfünffacht. den westlichen Sanktionen nicht betrof- tor beliefern ohne mich darum zu küm- ob wir in dieser Situation weiterhin Scho- fen, erklärt der Firmenchef. „Reziproke mern, an wen er die Ware weiterverkauft.“ kolade nach Russland liefern wollen“, sagt Maßnahmen“ – also Gegensanktionen der Aber wie soll man das sicherstellen? Ver- eine Sprecherin. „Nach Abwägung aller russischen Regierung seien angesichts der träge, die die Weitergabe an Armeekun- Aspekte haben wir uns entschieden, es zu großen Importabhängigkeit im Gesund- den ausschließen, sind kaum überprüf- tun – solange es rechtlich und faktisch heitssektor wenig wahrscheinlich. „Zur- bar. Ohnehin gelten sie bei US-Gerichten möglich ist.“ Russland ist traditionell ein zeit bereitet uns das Cash-Management nichts – und dort kann ein deutsches bedeutender Schokoladenmarkt. Auf die einiges Kopfzerbrechen“, sagt Schlind- Unternehmen sehr leicht landen, wenn Lieferungen dorthin zu verzichten und wein. Durch die starke Abwertung des Ru- seine Produkte dann eben doch bei einem die Produktion in den Ritter-Werken Wal- bels können die Erlöse der russischen militärischen Endkunden auftauchen. denbuch und Breitenbrunn/Burgenland Wörwag-Tochter nur mit erheblichen Ver- Dann drohen drakonische Geldbußen herunterzufahren, hätte auf das Famili- lusten in Devisen getauscht und außer und sogar Haftstrafen. enunternehmen „ernsthafte Auswirkun- Landes gebracht werden. „Dennoch ten- gen“ gehabt – und ebenso auf die Kakao- dieren wir zurzeit eher dazu, die Gewinne bauern in Westafrika, Mittel- und zu sichern.“ Schließlich droht bei einem Südamerika. Auch für seine Beschäftig- Staatsbankrott Russlands der Totalverlust. »Business as ten in Russland fühlt sich Ritter verant- wortlich. „Vor diesem Hintergrund sind Ein besonderer Fallstrick, über den usual kann es in wir der Ansicht, dass eine Einstellung von schon manche Mittelständler gestolpert Lieferungen für die Bevölkerung von sind, ist der Unterschied zwischen euro- diesen Zeiten Russland letztlich nicht diejenigen tref- päischen und amerikanischen Sankti- onsgesetzen. Während ein Lieferant nach nicht geben.« fen würde, die für diesen verheerenden Krieg verantwortlich sind.“ Bis auf weite- EU-Recht seiner Pflicht Genüge tut, in- res habe man jedoch alle Werbekampag- dem er nur an nicht militärische Kunden nen für die Marke in Russland, auch die im Zielland liefert, machen ihn die US- Angesichts der rechtlichen und morali- Kommunikation über soziale Medien, ge- Gesetze auch für die Endabnehmer ver- schen Risiken fänden es manche Firmen stoppt sowie alle Investitionen in Russ- antwortlich, erklärt Michael Lienhardt, am sichersten, ihr Russlandgeschäft land gestoppt, so die Sprecherin. „Busi- Zollverantwortlicher für Europa beim ganz einzustellen, weiß Lienhardt. „Aber ness as usual kann es in diesen Zeiten US-Unternehmen Teleflex Medical in wird man dann je wieder Geschäfte dort nicht geben.“ Fellbach. Für alle Unternehmen, die nicht machen?“ Denn irgendwann sei der Krieg nur im Zielland der Sanktionen, sondern ja hoffentlich auch einmal zu Ende. Auch auch in den USA Geschäfte machen, sei bei der Alfred Ritter GmbH in Walden- WALTER BECK dies von höchster Tragweite. „Ich kann buch (Kreis Böblingen) hat man sich „in- Redaktion Magazin Wirtschaft nicht einfach einen russischen Distribu- tensiv mit der Frage auseinandergesetzt, walter.beck@stuttgart.ihk.de 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 13
TITELTHEMA AUF DER HUT VOR MOSKAUS HACKERN CYBER-RISIKEN neuer Art gibt es im Rahmen von Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge. Unzureichend geschützte IT-Systeme bieten staatlichen und kriminellen Ak- teueren unzählige Möglichkeiten für das Ausspähen von sensiblen Daten, Erpres- sung oder zur Sabotage. Mit dem Russland- Ukraine-Krieg bekommt Cybersicherheit einen neuen Stellenwert: es geht nicht nur um das Absichern von Schwachstellen gegen kriminelle Organisationen, sondern auch um die Abwehr staatlich motivierter Hacker. Unternehmen und Institutionen müssen sich dieser zusätzlichen Gefahr bewusst werden und Vorbereitungen für den Cyber-Ernstfall treffen. Generell gilt: Der beste Schutz vor Cy- berangriffen sind gut geschulte und auf- merksame Mitarbeiter. Dabei fängt Cyber- sicherheit beim Chef an und hört bei den Mitarbeitern auf. Komplexe Cyber-Angriffe starten überwiegend mit technisch einfa- chen Mitteln, beispielweise über Phishing E- Mails oder der Ausnutzung psychologischer Schwachstellen bei Zielpersonen, dem soge- nannten Spearphishing. Die Sensibilisierung und regelmäßige Schulung aller Beteiligten CYBER-ANGRIFFE drohen nicht nur von kriminellen Organisationen, sondern verstärkt auch von Hackern im staat- durch interne Awareness-Kampagnen muss lichen Auftrag. Unternehmen sollten sich jetzt noch besser vorbereiten. zum Unternehmensstandard werden. Industrie 4.0 und Internet der Dinge ha- ben dabei eine Sonderrolle, denn Remo- teüberwachungen, Predictive Maintenance IHK-TIPP oder mobile Apps und jede andere Form von vernetzten Geräten und Systemen sind oftmals unzureichend geschützt. Das ist 10 Punkte für den Cybersicherheit-Notfallplan insofern bedenklich, als hier Cyber- und physische Welt zusammentreffen und die Möglichkeiten und Angriffsflächen für 1. Prozesse zur Antwort auf Cyber- 6. IT-Sicherheitsupdates generell so Cyber-Kriminelle erweitern. Es gilt daher, angriffe etablieren und Mitarbeiter schnell wie möglich einspielen (auch die Widerstandsfähigkeit von Unterneh- trainieren an Wochenenden und Feiertagen) men gegen Angriffe auf Infrastrukturen und Systeme zu steigern und jedes Cyber- 2. Schutzmaßnahmen über Unter- 7. Zugriff auf kritische Systeme mit Ereignis zu identifizieren, um darauf in nehmensgrenzen hinweg denken: bei- geeigneten IT-Lösungen und geschul- Echtzeit reagieren zu können. spielsweise Zulieferer und Dienstleis- tem Personal überwachen ter einbeziehen 8. Backup und Recovery für den Fall Was tun, wenn das Unternehmen ange- 3. Kontinuierliche Bestandsaufnahme eines totalen Datenverlustes einrich- griffen wird? Oberstes Gebot: Ruhe be- kritischer Punkte der eigenen IT- ten und erproben wahren und die vorbereiteten Notfallpläne Landschaft und Prozesse 9. Unternehmens- und IT-Krisen- starten. Für Unternehmen in Baden-Würt- 4. Notfallpläne und Maßnahmen zur management mit 24/7-Rufbereit- temberg bietet das Land mit der Cyberwehr Schadensbewältigung so aufstellen, dass schaft definieren einen Notruf und vermittelt Experten: diese in der ersten Stufe ohne externe Dienstleister in Kraft treten können. 10. Verschlüsselung von kritischen https://cyberwehr-bw.de Daten und der Kommunikation als 5. Multi-Faktor-Authentifizierung für Norm im Unternehmen und in der Zu- alle externe Benutzerkonten zur Regel sammenarbeit mit Kunden, Partnern werden lassen und Zulieferer MIRKO ROSS Asvin GmbH Stuttgart, m.ross@asvin.io 14 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
Herr Konsul, die Folgen des Ukraine- INTERVIEW Krieges und der Wirtschaftssanktionen gegen Russland treffen die Wirtschaft weltweit. Erleben wir den Beginn einer Weltwirtschaftskrise? Es ist zu früh, um »Nie zuvor haben wir so rasch voraussagen zu können, welche wirt- schaftlichen Folgen der russische Angriff und konzertiert gehandelt« auf die Ukraine haben wird. Aber sie wer- den sicherlich nicht positiv sein, insbeson- dere – und leider – weil die Weltwirtschaft erst jetzt beginnt, sich von den Corona- Folgen zu erholen. Ich kann jetzt schon sagen, dass sich die G7-Staatsoberhäupter darin einig sind, dass Putins Entscheidung, die Ukraine anzugreifen, die globale Erho- lung der Wirtschaft gefährdet, die Wider- standskraft globaler Wertschöpfungsket- ten untergräbt und schwere Folgen für die vulnerabelsten Länder hat. Die internatio- nale Gemeinschaft muss handeln, indem sie Russlands Verantwortung verdeutlicht und die am stärksten gefährdeten Länder mithilfe internationaler und regionaler In- stitutionen unterstützt. Sind Sanktionen generell geeignet, einen Aggressor zum Einlenken zu be- wegen? Oft kann er sich neue Ressour- cen erschließen und die Gegenreaktio- nen für seine Propaganda nutzen. Diese beispiellosen Sanktionen sind nicht nur symbolisch oder politisch. Sie entziehen Russlands Kriegsmaschinerie die Mittel, NORMAN THATCHER SCHARPF den Krieg in der Ukraine fortzuführen. Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika Niemals zuvor haben wir so rasch und in Deutschland, Frankfurt/Main konzertiert gehandelt und einem ande- ren Land derart verheerende Kosten auf- und ihre internationalen Partner werden und Innovation voranzutreiben. Das ers- erlegt wie Russland. Unsere Sanktionen in diesem Jahr zusätzlich 15 Milliarden te USA-EU Handels- und Technologie- haben Russland bereits geschwächt – eine Kubikmeter Flüssiggas an Europa liefern. treffen Ende September 2021 unterstrich Schwächung, die sich an jedem weiteren Wegen der europäischen Nachfrage wer- die hochrangige politische Verpflichtung, Tag intensiviert. Gemeinsam mit unseren den wir zusätzlich 50 Milliarden Kubik- Handel und Technologie in einer Weise zu Alliierten und Partnern werden wir wei- meter LNG bis 2030 liefern. Diese Krise ist stärken, die unsere gemeinsamen Werte terhin die Kosten für Russland erhöhen. aber auch eine Chance: Sie kann der Kata- widerspiegelt, uns gegen Autoritarismus Wir sind uns einig: Solange Putin den Krieg lysator für notwendige Investitionen wer- verteidigt, und dem Wohlstand der ameri- fortsetzt, wird die russische Regierung die den, um unsere Ziele im Bereich erneuer- kanischen und europäischen Bevölkerung vollen und umfänglichen Folgen unser ge- barer Energien und einer emissionsfreien dient. genwärtigen und zukünftigen wirtschaft- Zukunft zu erreichen. lichen Maßnahmen spüren müssen. Mit dem Handelsabkommen TTIP ist IHK-INFO Um sich von russischem Erdgas unab- vor Jahren der Versuch unternommen hängiger zu machen, setzt Deutschland worden, nichttarifäre Handelshemm- jetzt auf LNG und will sehr schnell (bis nisse zwischen den USA und der EU zu NORMAN THATCHER SCHARPF ist seit August 2021 Generalkonsul im US-Generalkon- 2023) Terminals aufbauen. Ein Teil davon beseitigen. Wie sehen die langfristigen sulat Frankfurt. Zuvor war er Sekretariats- und könnte auch aus den USA kommen. Hat Perspektiven für dieses Thema aus, stellvertretender Büroleiter des US-Außenminis- Ihr Land ausreichend Kapazitäten, um nachdem TTIP nicht mehr weiterver- ters. Weitere Auslandsaufenthalte waren Wien, die wachsende Nachfrage aus Deutsch- folgt wurde? Entsteht durch die Russ- Bratislava, Belgrad, Tallinn, Zagreb, Warschau land und anderen Ländern zu bedienen? land-Krise eine neue Motivation bei und Sao Paulo. Vor seinem Eintritt in den Aus- wärtigen Dienst war Thatcher Offizier bei der Präsident Biden und die Präsidentin der beiden Partnern, sich enger zusammen- US-Marine. Er hat einen Master in Wirtschafts- EU-Kommission von der Leyen haben ver- zuschließen? Den Vereinigten Staaten wissenschaften. Drei seiner vier Großeltern einbart, Europa dabei zu helfen, sich mög- und der EU ist es wichtig, gemeinsam den waren Enkelkinder von Deutschen, die im lichst schnell von russischen Gasimporten transatlantischen Handel und Investi- 19. Jahrhundert in die USA auswanderten - einer davon aus Beutelsbach im Remstal. unabhängig zu machen und die Nachfrage tionen zu fördern, unsere technologische nach Gas insgesamt zu drosseln. Die USA und industrielle Vorreiterrolle zu stärken 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 15
LESER-INTERVIEW 16 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
ENERGIEWENDE »MIT DEM BISHERIGEN TEMPO WERDEN WIR ES NICHT SCHAFFEN« ERNEUERBARE ENERGIEN erfreuen sich eines noch höheren Stellenwerts als bisher, nachdem der Überfall auf die Ukraine die Abhängigkeit von russischem Erdgas offengelegt hat. Die Regierungen in Bund und Land wollen die Energiewende mit Hochdruck vorantreiben. In Baden-Württemberg ist das die Aufgabe von Thekla Walker, die Franz Untersteller nach den Landtagswahlen im vergangenen Jahr als Umweltministerin gefolgt ist. Was sich die Grünen-Politikerin konkret vorstellt, verrät sie im Gespräch mit Magazin Wirtschaft und Dr. Albrecht Reuter, dem Vorsitzenden des IHK-Energieausschusses. Frau Ministerin, Erdgas war bisher ein zeit schalten wir Kernkraftwerke ab, fester Bestandteil der Energiewende – als steigen aus der Kohle aus und müssen Übergangs- und Regelenergie. Gefähr- jetzt obendrein noch nach einer Alter- den die Preissteigerungen und möglichen native für russisches Gas suchen. Über- Versorgungsengpässe den Fahrplan? fordern die hohen Energiepreise nicht WALKER Stand heute, Anfang April, nein. die Unternehmen? Aber die Situation ist natürlich sehr volatil. WALKER Betriebs- und Energiekosten sind Deshalb bereitet sich die Bundesregierung dann am günstigsten, wenn wir einen ho- auf verschiedene Szenarien vor und arbei- hen Anteil an Erneuerbaren im Gesamt- tet mit Hochdruck an einer Anpassung der system haben. Wir müssen dann auch Gasversorgung – zunächst mit Blick auf wesentlich weniger Energie importieren. den nächsten und übernächsten Winter, Das heißt, wir stellen unsere Energiever- Stichwort Diversifizierung der Gasliefe- sorgung jetzt schneller um, als es ohnehin ranten. Und gerade die aktuelle Entwick- geplant war. Die zentrale Frage ist nun, wie lung zeigt uns, dass wir deutlich schneller wir in den kommenden Jahren den Über- mit dem Ausbau der Erneuerbaren Ener- gang sichern. Ziel ist ein Energiesystem, gien werden müssen, die Energiewende in dem wir flexibel Kraftwerkskapazitäten also viel schneller kommen muss. zuschalten können, um die so genannte Dunkelflaute auszugleichen. Diese Kraft- REUTER Das Land soll bis 2040 klima- werke müssen kurzfristig mit Gas, langfris- neutral werden – dieses Ziel zeigen sie tig aber mit Wasserstoff, betrieben werden. auf einem großen Plakat vor dem Minis- Atomreaktoren, die permanent Energie terium. Es stellt sich die Frage, ob ein In- einspeisen, sind für dieses Energiesystem dustrieland wie Baden-Württemberg in der Zukunft nicht flexibel genug. der Lage ist, seine komplexe Infrastruk- tur, die über 250 Jahre seit der Erfindung Aktuell beschäftigt uns aber das Prob- der Dampfmaschine entstanden ist, in 18 lem mit dem Gas... Jahren radikal umzubauen. WALKER Auch hier kommt es darauf an, WALKER Wer, wenn nicht wir, kann das flexibler zu werden, um nicht von einzel- schaffen? Baden-Württemberg ist als nen Lieferanten abhängig zu sein. Wenn führender Industriestandort prädesti- wir Nordstream 2 schon in Betrieb ge- niert, diese Transformation massiv und habt hätten, bezögen wir jetzt 70 Prozent schnell voranzutreiben. Umsetzen müs- unseres Gases aus der russischen Fö- sen wir es aber als ganze Gesellschaft. deration. Deshalb begrüße ich es, wenn Die Aufgabe der Politik ist es, die entspre- Robert Habeck jetzt daran arbeitet, bei chenden Rahmenbedingungen zu set- den Gaslieferanten sehr schnell zu diver- zen. Eine gute Nachricht ist, dass wir die sifizieren – im „Tesla-Tempo“, wenn Sie Technologien bereits besitzen, um dieses so wollen. Zum Beispiel sollen die ersten Ziel zu erreichen. Jetzt geht es darum, die „Floating“-Terminals für LNG (Liquid Na- Hindernisse aus dem Weg zu räumen und tural Gas, Anm. d. Red.) bis 2023 fertig- die Bausteine zusammenzusetzen, damit gestellt werden. das System funktioniert. Das Tesla-Tempo würden wir ja viel- Baden-Württemberg ist aber nur dann leicht nicht brauchen, wenn wir schon leistungsfähig, wenn seine Unterneh- früher den LNG-Import zugelassen hät- men wettbewerbsfähig bleiben. Der- ten. War es nicht Ihre Partei, die dage- 5-6.2022 Magazin Wirtschaft 17
LESER-INTERVIEW BEIM INTERVIEW im Ministerium (von links): Umweltministerin Walker, Dr. Albrecht Reuter, MW-Redakteur Walter Beck. gen war, weil sie kein Fracking-Gas aus auf dem Gelände des ehemaligen Atom- REUTER Sie haben Recht, wesentliche Tei- Nordamerika wollte? kraftwerks Philippsburg schon vorgelegt le der Wirtschaft gehen voran und könn- WALKER Meine Partei hat immer die ein- – ähnliches würde ich mir von anderen ten das Ziel vielleicht schon 2035 statt seitige Abhängigkeit von russischem Gas Ländern auch wünschen. 2040 erreichen. Sie erwarten von der kritisiert und immer für einen deutlich Politik eigentlich nur, dass die Prozesse schnelleren Ausbau der erneuerbaren Wie sinnvoll ist das Ziel der Klimaneut- schneller vonstattengehen. Insbesondere Energien geworben. In den vergange- ralität auf der Ebene eines Bundeslan- müssen wir einen Weg finden, die Bürger- nen Jahren wurden aber viele Dinge ver- des? Schließlich geht es um ein globales beteiligung zu beschleunigen. Haben auch schleppt. Dazu gehört auch der Strom- Problem und vielleicht ließen sich an- Sie hierzu Möglichkeiten oder müssen wir transport von Nord nach Süd, der für derswo mit weniger Ressourcen mehr auf Herrn Habeck in Berlin warten? unser Bundesland enorm wichtig ist. Aus CO2-Emissionen einsparen? WALKER Da sind alle in der Verantwor- vielen Gesprächen weiß ich, dass es auch WALKER Letztlich hat sich die Weltge- tung. In Baden-Württemberg haben wir die Vision der Wirtschaft ist, dass wir in meinschaft völkerrechtlich verbindlich eine Task Force eingerichtet, in der die eine klimaneutrale Zukunft gehen, dass verpflichtet, die globale Erwärmung auf verschiedenen Ressorts mit Hochdruck die Energiekosten sinken und dass wir möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. daran arbeiten, die Verfahren zum Aus- in Baden-Württemberg die Marktführer- Das ist auch eine Verpflichtung für Ba- bau der erneuerbaren Energien zu ver- schaft für die Technologien übernehmen, den-Württemberg, die wir nicht einfach bessern und zu beschleunigen. Auch die dafür notwendig sind. Fracking-Gas den anderen überlassen können. Wir müs- Barbara Bosch, die neue Staatsrätin für hat natürlich erhebliche Nachteile für das sen die Verantwortung für unser eigenes Bürgerbeteiligung, ist darin eingebunden. Klima. Aber wir reden aktuell über eine Natürlich besteht die Lösung nicht darin, Notlage und über eine begrenzte Zeit. auf Bürgerbeteiligung zu verzichten. Im »Es geht auch darum, Gegenteil: Unsere Erfahrungen zeigen REUTER Glauben Sie, dass wir mehr Ener- gie im Land produzieren oder mehr im- die Verantwortung eher, dass die Projekte umso besser lau- fen, je früher die Bürgerinnen und Bürger portieren werden, wenn die Klimaneu- für die eigene einbezogen werden und je transparenter trallität 2040 erreicht ist? sie gestaltet sind. Wir unterstützen dazu WALKER Ziel ist es, dass wir einen großen Energieversorgung das Forum Energiedialog, das bei Konflik- Teil unserer Energie wie bisher im Land selbst produzieren. Aber selbst mit fünf zu übernehmen.« ten Kommunen begleitet und allpartei- lich Informationen zur Verfügung stellt. Atomkraftwerken war Baden-Württem- Land, Landkreise und Kommunen müs- berg immer ein Stromimportland, und das Handeln und unsere eigene Energiever- sen jetzt beim Ausbau der Erneuerbaren wird es auch in Zukunft bleiben. Deshalb sorgung übernehmen. Ich sehe in diesem Hand in Hand arbeiten. Deshalb haben brauchen wir die großen HGÜ-Leitungen Ziel aber auch eine Riesenchance für den wir in jedem Regierungspräsidium eine wie Südlink und Ultranet. Aber auch hier Wirtschaftsstandort Baden-Württem- Stabsstelle eingerichtet, um die Geneh- gibt es massive Verzögerungen, die uns in berg. Die Märkte orientieren sich weltweit migungsbehörden besser zu unterstützen unseren Zielen behindern. Es ist nun drin- in Richtung Klimaneutralität. Wenn wir und die Verfahren zu steuern. gend an der Zeit, die Genehmigungsver- da nicht mitgehen, bringt uns das in eine fahren drastisch zu beschleunigen, denn sehr nachteilige Position – denken Sie nur Kann denn eine Beschleunigung gelin- mit dem bisherigen Tempo werden wir es an die „Taxonomie“-Debatte und die Dis- gen, ohne die Mitwirkungsrechte der nicht schaffen. Wir in Baden-Württem- kussionen darüber, welche Energie-Inves- Bürger und Träger öffentlicher Belange berg haben mit dem Bau des Konverters titionen als nachhaltig anerkannt werden. einzuschränken? 18 Magazin Wirtschaft 5-6.2022
Sie können auch lesen