Farbe bekennen Rassismus erkennen - Interkulturelle Woche
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Interkulturelle Woche 2002 Woche der ausländischen Mitbürger Rassismus erkennen Farbe bekennen 29. September – 5. Oktober erausgeber: Ökumenischer Vorbereitungsausschuss zur Woche er ausländischen Mitbürger · Postfach 160646 · 60069 Frankfurt am Main
Inhalt 3 Gemeinsames Wort zur Woche der ausländischen Beispiele und Anregungen Mitbürger/Interkulturelle Woche 2002 37 »Der edelste Teil« 4 Rassismus erkennen – Farbe bekennen Theaterprojekt zur Migration, gegen Rassismus Georg Kardinal Sterzinsky und Gewalt 9 Die Zuwanderungsdebatte und die Woche der 38 »Enjoy the difference« ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche Eine Kampagne der KJG für mehr Toleranz Günter Burkhardt 39 Ausländische Jugendliche – Ausbildungshemmnisse 10 Zuwanderung gestalten – Integration fördern abbauen Auszug aus dem Bericht der Unabhängigen Kommission 39 Antirassistischer Workshop an Jenaer Schulen »Zuwanderung« 40 »Taking Root In Hard Ground« 12 Gewalt gegen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Wurzeln schlagen auf hartem Boden – Eine Ausstellung Jörg Alt SJ 41 MIGRATION – Wanderlesung in Schulen 14 Wer ist der Andere? Wer ist der Fremde? Hidir Celik Dr. Nadeem Elyas 42 SOS-Eingang 16 Wer Frieden zwischen den Religionen will, 42 Xenophilia muss Unterschiede aushalten Spiel gegen Fremdenfeindlichkeit für die Schulen Gespräch zwischen Iman Mehdi Razvi und 43 Schneeballsystem Bischof Dr. Hans-Christian Knuth Projektschultage »Für Demokratie Courage zeigen« 44 »Wie knackt man eine Kokosnuss?« Martin Schramme Bausteine für einen Gottesdienst 19 Meditation zum Plakat: »Rassismus erkennen – 46 Stellungnahmen Farbe bekennen« Dr. Rolf Wischnath 48 Materialhinweise 20 Gottesdienst »Carnival der Kulturen« in Gelsenkirchen Mit einer Predigt von Prälat Stadtdechant Edmund Ernst 22 Predigt Dr. Hans-Gerhard Koch 24 Ökumenischer Gottesdienst in Gotha Christlich-Islamischer Dialog 26 Die Begegnung zwischen Christen und Muslimen und die Katholische Kirche in Deutschland: Handlungsimpulse Dr. Barbara Huber-Rudolf 30 F(f)este feiern in der Gemeinde Alexander Rudolf 32 Eine Moschee in unserer Stadt Ein Erfahrungsbericht aus Gladbeck 32 »Begegnungsknigge« 34 Gebete und Gottesdienste Vom gegenseitigen Besuch zum gemeinsamen Gebet – ein Erfahrungsbericht 35 Feier der Religionen Gabriele Herbst 36 Frauenkulturen Christliche und muslimische Frauen in Begegnung und Gespräch
Gemeinsames Wort zur Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturelle Woche 2002 »Rassismus erkennen – Farbe bekennen« D ie diesjährige Woche der auslän- sches Denken hervorbringen oder den chen, Sklaven und Freie, Männer und dischen Mitbürger / Interkultu- Resonanzboden dafür bilden, sondern Frauen gebe; alle sind gleichwertig in relle Woche steht wie im vergan- auch die Vielgestaltigkeit des Islam. Christus (Kapitel 3 Vers 28). Dies gilt genen Jahr unter dem Motto »Rassis- Gleichzeitig haben diese Ereignisse uns nicht nur für die christliche Gemeinde, mus erkennen – Farbe bekennen«. Wir darin bestärkt, noch entschiedener je- sondern ist uns Mahnung und Maßstab möchten alle Menschen, die in Deutsch- der Form von Intoleranz sowie extre- für das gesellschaftliche Zusammenle- land wohnen und leben, aufrufen, sich mistischem und fundamentalistischem ben insgesamt. an der Vorbereitung und Durchführung Denken zu widersprechen. Leider wird Wir wenden uns deswegen gegen dieser Woche zu beteiligen oder sie Religion in unserer Welt dafür vielfach jede Form von Diskriminierung und durch ihre Anwesenheit und Sympathie missbraucht. Dies wollen wir nicht zu- Rassismus. Wir können nicht hinneh- zu unterstützen. Zugleich mit diesem lassen. men, dass Menschen wegen ihrer Ver- Aufruf möchten wir das herausstellen, schiedenheit gering geschätzt, benach- Ein friedvolles Zusammenleben von was uns in diesem Jahr besonders wich- teiligt oder bedroht werden. Dies ist oft Menschen unterschiedlicher Religion tig zu sein scheint. die Keimzelle von Gewalt. oder kultureller Prägung ist nur mög- Im kommenden September wird die lich, wenn man sich wechselseitig Res- Wir bedauern, dass es den politisch Ver- Erinnerung an die Terroranschläge vom pekt und Achtung entgegenbringt. So- antwortlichen in Bund und Ländern bis- 11. September 2001 erneut und in be- ziale Gerechtigkeit, Entfaltungsmög- her nicht gelungen ist, die Vorausset- sonderer Weise in den Gefühlen und im lichkeit, Teilhabe am gesellschaftlichen zungen für die Integration von Men- Denken vieler Menschen gegenwärtig Miteinander und die Bereitschaft zu schen anderer Herkunft in Deutschland sein. Nach diesen Ereignissen sahen sich Austausch und Dialog sind wichtige nachhaltig zu verbessern und auf eine viele Muslime in Deutschland Skepsis Voraussetzungen, dass dies gelingen neue Grundlage zu stellen. Deswegen und Misstrauen aus der Mehrheitsbe- kann. Wer sich dafür einsetzt, ist nicht dringen wir erneut auf ein Gesamt- völkerung ausgesetzt. Aber ebenso hat naiv, sondern handelt politisch klug und konzept, das alle wichtigen gesellschaft- seitdem das Interesse bei vielen zuge- weitsichtig, auch wenn sich Enttäu- lichen Bereiche wie Bildung, Arbeits- nommen, mehr über den Islam zu er- schungen einstellen sollten. Denn es gibt markt, Kultur, soziale, rechtliche und fahren und Hilfen für die eigene Urteils- keine Alternative zu der Vision eines politische Partizipation umfasst und bildung zu erhalten. friedvollen Zusammenlebens aller Men- dauerhafte, zukunftsweisende und Die Woche der ausländischen Mitbür- schen auf diesem Globus mit ihren so gleichberechtigte Teilhabe von Men- ger/ Interkulturelle Woche ist seit vielen unterschiedlichen Traditionen und Prä- schen anderer Herkunft am gesell- Jahren eine besondere Gelegenheit zu gungen. Dies ist nicht nur eine Einsicht schaftlichen Leben fördert. Die politisch Information, Meinungsaustausch, Be- politischer Vernunft, sondern auch eine Verantwortlichen bitten wir gerade in gegnung und Zusammenarbeit. Es soll- geistig religiöse Herausforderung, die der Zeit des Wahlkampfes, alles zu te gerade bei dieser Gelegenheit öffent- wir annehmen und gestalten müssen. unterlassen, was ausländerfeindlichen lich sichtbar werden, in wie vielen Be- Stimmungen und Aktionen Vorschub Für uns als Christen sind diese Über- reichen es seit Jahren ein bewährtes und leisten könnte. zeugungen in der biblischen Botschaft vertrauensvolles Miteinander gibt, das begründet. Jesu Gebot der Nächstenlie- Die diesjährige Woche der ausländi- weiter gepflegt und ausgebaut werden be fordert uns dazu auf, die Grenzen schen Mitbürger / Interkulturelle Woche sollte. von Feindschaft und Ressentiments zu ist eine Gelegenheit, viele Menschen an- Die Anschläge vom 11. September las- überschreiten und auf den anderen, uns derer religiöser und kultureller Prägung sen sich nicht religiös rechtfertigen. Das oft fremden Menschen zuzugehen. Jesu zur Teilnahme und Mitwirkung zu ge- haben auch zahlreiche islamische Ver- Botschaft und Taten sind für uns ein winnen und ihnen zu signalisieren, dass bände im Hinblick auf die islamische Auftrag, der uns verpflichtet, für Be- ihre aktive Mitgestaltung unseres gesell- Theologie in öffentlichen Erklärungen nachteiligte, für soziale Gerechtigkeit schaftlichen Lebens willkommen ist. In deutlich gemacht. Wer den Islam insge- und dafür einzutreten, was den Frieden diesem Sinn hoffen wir auf eine breite samt für solche Taten verantwortlich fördert. Paulus hat in seinem Brief an Unterstützung und wünschen allen, die machen will, verkennt nicht nur die die Gemeinde in Galatien geschrieben, sich für die Vorbereitung und Durch- kulturellen, psychologischen und politi- dass es unter den Christen nicht mehr führung dieser Woche engagieren, Zivil- schen Zusammenhänge, die extremisti- die Unterscheidung in Juden und Grie- courage, Ermutigung und Gottes Segen. Präses Manfred Kock Karl Kardinal Lehmann Metropolit Augoustinos Vorsitzender des Rates der Vorsitzender der Griechisch-Orthodoxer Metropolit Evangelischen Kirche in Deutschland Deutschen Bischofskonferenz von Deutschland 3
Rassismus erkennen – Farbe bekennen Georg Kardinal Sterzinsky Vortrag gehalten bei der Jahrestagung aus seinem Vaterhaus« auswanderte des Ökumenischen Vorbereitungsaus- und als Migrant in das ihm fremde Land schusses am 31. Januar 2002 in Mag- Kanaan zog; zu nennen ist auch Mose, deburg (gekürzte Fassung) der das Volk Israel aus der Knechtschaft und Fremde führte. Gründe für kirchliches Engagement Ich möchte hier aber auch an Rut er- zugunsten von Migranten innern, zunächst eine Fremde in Israel, die für das Volk und seine Zukunft zu D ie Kirchen in Deutschland ha- einer wichtigen Person wird. Die junge ben erkannt: Das Phänomen Mi- Ausländerin wird zur Lebensretterin der gration wird uns auf absehbare alten Jüdin Noomi und zur Vorfahrin Zeit erhalten bleiben. Es stellt für Kir- des für Israel so bedeutsamen Königs che und Gesellschaft eine dauerhafte David. Herausforderung dar. Entscheidend ist Das Buch Rut kann gedeutet werden neben der Analyse insbesondere das En- als eine »Protestschrift gegen die nach- gagement für die von Migration betrof- exilische Abgrenzungspolitik, Auslän- fenen Menschen. Deshalb dürfen Wo- derfeindlichkeit und Intoleranz«2. Wir chen der ausländischen Mitbürger keine können diese alttestamentliche Schrift Einzel- oder gar Alibi-Aktionen sein. Sie heute lesen »als Fremdengeschichte, de- müssen vielmehr als ein Element viel- ren Provokation gerade darin besteht, fachen Handelns verstanden werden, dass hier ›die Fremde‹ als Retterin und Georg Kardinal Sterzinsky Anregungen geben und Promotor sein. als ›die Nächste‹ präsentiert wird; im Verhalten zu den Fremden entscheidet Jesus macht Fremde zu Verkündern Elemente einer biblisch-theologischen sich nach dem Buch Rut das Anbrechen seiner Botschaft Begründung der messianischen Zeit«.3 Mit dem Kirchenwort » … und der Noch weiter geht Jesus in der Begeg- Ich möchte anknüpfen an das Gemein- Fremdling, der in deinen Toren ist« nung mit einer anderen Fremden, der same Wort der Kirchen zu den Heraus- lässt sich zusammenfassend sagen: Samariterin am Jakobsbrunnen. Juden forderungen durch Migration und »Auswanderung aus der Heimat auf- und Samariter waren durch eine jahr- Flucht »… und der Fremdling, der in grund von Not, … Fremde und Heimat- hundertealte Feindschaft getrennt. Die deinen Toren ist«. Es widmet »biblisch- losigkeit sowie die Befreiung in eine Samariter galten als halbheidnisches theologischen Überlegungen, ethischen neue Zukunft hinein, das sind Grund- Mischvolk; auch zurzeit Jesu gab es Reflexionen und Konsequenzen« ein ei- daten einer Theologie in Israel…«4 häufig Reibereien, ja blutige Zwischen- genes Kapitel.1 Davon möchte ich eini- fälle, wenn die Galiläer ihren Weg durch ges aufgreifen. Jesus ist Fremden gegenüber offen – Samaria nahmen.6 Als Jesus gegen alle Jesus überwindet Bedenken gegenüber Konvention die Frau um Wasser bittet, Gott schafft jeden Menschen Fremden entgegnete diese: »›Wie kannst du als nach seinem Bild und erhält ihn Jude mich, eine Samariterin, um Wasser Er sah sich zunächst zu seinem Volk, bitten?‹ Die Juden verkehren nämlich Die Bibel beginnt mit einer Erzählung, dem Volk Israel, gesandt. Das wird ak- nicht mit den Samaritern« (Joh 4, 9). Je- die eine Grundaussage christlichen zentuiert herausgestellt in der Begeg- sus aber meidet die Fremde nicht, son- Glaubens enthält: »Gott schuf also den nung mit der kanaanäischen Frau (vgl. dern geht auf sie zu. Er offenbart sich Menschen als sein Abbild« (Gen 1, 27). Mt 15, 22-28) – nach dem Markus- ihr. Später ist es die Samariterin, auf Diese Aussage hebt sich ab von man- evangelium mit einer Syrophönizierin deren Vermittlung hin viele Samariter chen Vorstellungen aus der religiösen (vgl. Mk 7, 26), jedenfalls einer Nicht- Jesus begegnen und an ihn glauben: Umwelt Israels. Dort wurden Könige als Jüdin. Die Szene ist bekannt: Die Frau »Viele Samariter aus jenem Ort kamen Abkömmlinge der Götter in direkter fleht ihn an, Erbarmen mit ihrer Tochter zum Glauben an Jesus auf das Wort der physischer Verbindung gesehen. Israel zu haben, die von einem Dämon ge- Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir bekennt aber, dass Gott jeden Men- quält wird. Jesus antwortet schroff und alles gesagt, was ich getan habe« (Joh 4, schen nach seinem Bild schuf. Das gibt wenig einfühlsam: »Ich bin nur zu den 39). Die Fremde wird zur Vermittlerin jedem Menschen seine unverlierbare verlorenen Schafen des Hauses Israel ge- und Verkündigerin der Botschaft Jesu. Würde. sandt« (Mt 15, 24). Und er fügt noch abweisender hinzu: »Es ist nicht recht, Jesus identifiziert sich mit Fremden Gott ist Fremden nahe und gibt ihnen das Brot den Kindern wegzunehmen und versucht, das Fremdsein zu einen Platz in der Heilsgeschichte und den Hunden vorzuwerfen.« Die überwinden Fremden vergleicht er mit Hunden! Ein Immer wieder wird zu Recht an Abra- starkes Stück! Er lässt sich später aber Die Frage nach dem Umgang Jesu mit ham erinnert, den Urvater Israels, der doch von der Fremden erweichen und Fremden kommt zu einem gewissen auf Gottes Geheiß hin »aus seinem erfüllt ihre Bitte, weil ihr Glaube groß Höhepunkt im Bild vom Weltgericht. Land, von seiner Verwandtschaft und ist.5 Hier identifiziert sich Jesus mit dem 4
Fremden: »Ich war fremd und obdach- Solidarisch miteinander leben Selbstverständlich helfen wir nicht nur los, und ihr habt mich aufgenommen.« christlichen Migranten, sondern genau- Und er rechnet denen, die Fremden ge- In Fortführung der Linie, die durch so muslimischen und anderen. Die Reli- holfen haben, das an, als hätten sie Ihm Aristoteles und Thomas von Aquin ihre gionszugehörigkeit von Hilfesuchenden geholfen: »Was ihr für einen meiner ge- Richtung bekommen hat, gilt der Staat darf nicht entscheiden, ob und welche ringsten Brüder getan habt, das habt ihr als Garant der Solidarität bzw. des Ge- Hilfe gewährt wird. mir getan« (Mt 25, 40). meinwohls. Auch nach der wegweisen- Die Motivkombination Menschen- den Enzyklika von Papst Leo XIII. aus rechtseinsatz und Pastoraleinsatz darf Die Kirche und die Fremden – dem Jahre 1891 Rerum novarum hat auch nicht zu einem Missionsverständ- Gastfreundschaft der Staat »die Pflicht, das Gemeinwohl nis im Sinne von Proselytenmacherei zu fördern« (RN 26). missverstanden werden. Kirchliche und Die beginnende christliche Mission be- Genügt also der Einsatz im Rahmen caritative Einrichtungen dürfen diesen dient sich der jüdisch-christlichen Praxis eines nationalen Staates? Anschein nicht erwecken. Wichtig ist, der Gastfreundschaft auch im fremden Nein. Schon der Begriff der Solida- dass hier nichts in unzulässiger Weise Land. Gastfreundschaft wird der Ge- rität schließt diese Grenzziehung als zu vermengt wird. meinde wie einzelnen Christen empfoh- eng aus. Papst Johannes Paul II. defi- len. »Sie steht unter der Verheißung niert Solidarität – ohne Bezug auf Kirche muss auf aktuelle Fragen Gottes, mit Fremden unter Umständen Staatsgrenzen – als »die feste und be- zeitgemäß reagieren Gottesboten zu beherbergen. Die früh- ständige Entschlossenheit, sich für das christliche Mission erreicht ihre rapide ›Gemeinwohl‹ einzusetzen, das heißt, Das tut sie auch, in Wort und Tat. Frei- Expansion auch durch Nutzung der hei- für das Wohl aller und eines jeden, weil lich nie genug, weil sich hier nie genug denchristlichen wie jüdisch-synagogalen wir alle für alle verantwortlich sind« tun lässt. Gastfreundschaft; Kornelius nimmt Pe- (Sollicitudo rei socialis 38). trus gastlich auf, Publius den Paulus Letztlich fordert das globale Denken Ich greife hier nur einige Gelegenheiten samt Begleitern… Die Pastoralbriefe le- heute in seiner Konsequenz eine globale heraus, bei denen sich die Kirche zu gen auf die Pflege der Gastfreundschaft Solidarität unter Menschen und Völ- Wort gemeldet hat: in den christlichen Gemeinden allen kern. fremden und durchreisenden Brüdern Wie oft haben die Kirchen gemein- und Schwestern … gegenüber größten Kirche steht im Dienst der sam und als einzelne zu verschiede- Wert … Die Fürsorge für Fremde, Hei- universellen Heilssorge Gottes nen Entwürfen des geplanten Zu- matlose, Flüchtlinge und Wandernde wanderungsgesetzes Stellungnahmen gehört zum Katalog von Liebeswerken, Allem voran geht die Überzeugung: erarbeitet und sich dazu öffentlich die als Kriterien im … Weltgericht er- Weil Christus solidarisch mit uns ist, und nichtöffentlich geäußert! scheinen werden.«7 können auch wir solidarisch mit ande- Die Kommission für Migrationsfra- ren sein. Beim kirchlichen Einsatz spezi- gen der Deutschen Bischofskonferenz »In der Kirche ist niemand fremd« ell zugunsten von Migranten dürfen hat ein Papier zu illegalem Aufent- zwei motivierende Wurzeln nicht ge- halt in Deutschland erarbeitet. Die inzwischen häufig verwendete For- trennt werden: der Einsatz für die Papst Johannes Paul II. hat immer mulierung »In der Kirche ist niemand Grundrechte der Person und der Einsatz wieder mit Botschaften zur bewuss- fremd« ist letztlich Konsequenz eines für das Heil der Menschen, für die ganz- ten Gestaltung des Welttages der Mi- Gedankens aus dem Galaterbrief, wo es heitliche Erfüllung in der Vollendung. granten aufgerufen. heißt: »Es gibt nicht mehr Juden und Darin unterscheidet sich Kirche von Konfessionsübergreifend haben die Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Menschenrechtsorganisationen. Selbst Kirchen zur Woche der ausländi- Mann und Frau; denn ihr alle seid wenn beide zugunsten der Menschen an schen Mitbürger im vergangenen ›einer‹ in Christus Jesus« (Gal 3, 28). einem Strang ziehen, so ist kirchlicher Jahr ein Gemeinsames Wort unter Christi Erlösungswerk gilt allen Men- Einsatz immer auch pastoral motiviert dem Titel »Rassismus ist Sünde« ver- schen aus allen Völkern. In ihm sind die und eschatologisch bestimmt. öffentlicht. Völker vereint zu einem neuen Volk. Deshalb heißt es in der Kirchenkonsti- tution des II. Vatikanischen Konzils, dass Kirche ein Volk aus allen Völkern ist.8 Sozialethische Reflexionen und Konsequenzen Die Würde aller Menschen ist zu schützen Die fundamentale biblische Aussage, dass der Mensch Ebenbild Gottes ist, wurde zu einer wichtigen Wurzel in der heutigen Begründung für die Menschen- würde. Wenn Gott jeden Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, muss auch – trotz aller Unterschiede – allen Menschen dieselbe Würde zukommen. Foto: Francisco Conde 5
Rassismus erkennen – Farbe bekennen lativiert. So verurteilte auch die Kirche Sklaverei zunächst nicht grundsätzlich. DAS MEER TRÄGT FISCHE U nd würdigen möchte ich an die- Erst im 19. Jahrhundert wird die Ver- ser Stelle auch eine Schrift mit urteilung thematisiert. Das II. Vatikani- Die Erde umarmt alles, dem Titel »Die Kirche und der sche Konzil spricht sie nachdrücklich Rotes, Gelbes, Schwarzes, Weißes. Rassismus. Für eine brüderliche Gesell- aus und beschwört geradezu die we- Das Meer trägt Fische, schaft«, die von der Päpstlichen Kom- sentliche Gleichheit aller Menschen.12 silberne, grüne, gelbe, rote, weiße. mission Justitia et Pax im Jahr 1988 Der Wald beschützt Tiere, veröffentlicht worden ist.9 Erst im 18. Jahrhundert wurde eine schwarze, rote, gelbe, grüne. Diese Publikation halte ich nach wie wirkliche Rassenideologie ersonnen, die Das Land umarmt die Menschen – vor für lesenswert; und ich möchte dar- glaubte, ihre Vorurteile mit den Natur- nur weiße? aus im Folgenden einige grundlegende wissenschaften untermauern zu kön- Gedanken vorstellen. nen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde Nezif Telek der Begriff »Rasse« erstmals zur biolo- Rassismus erkennen gischen Klassifizierung von Menschen aus: Programm zur Interkulturellen Woche, angewandt. Magdeburg 2001 Rassismus in der Geschichte Die Nationalsozialisten standen ih- rerseits in dieser unsäglichen Tradition. Mit Rassenvorurteilen sind heute Vor- Rassendiskriminierungen gibt es heute stellungen von einer biologisch be- Papst Pius XI. verurteilte unmissver- gegenüber Ureinwohnern in verschie- stimmten Überlegenheit eines Volkes ständlich die nationalsozialistische Ras- denen Ländern der Erde. Sie spielen in oder einer Volksgruppe gegenüber einer senideologie. Beispielsweise tat er das unserer Öffentlichkeit eine geringe Rol- anderen gemeint. Historisch betrach- eindrücklich in der Enzyklika »Mit le. Gleichwohl unterhält Deutschland tet haben sich derartige Vorurteile vor brennender Sorge«. Hier muss aber mit davon betroffenen Ländern, etwa allem aus der Praxis der Kolonialisie- auch auf verschiedene andere christliche in Lateinamerika, Afrika oder Südost- rung und Sklaverei am Beginn der Neu- Zeugen dieser Zeit verwiesen werden, asien, zum Teil gute Kontakte. zeit entwickelt. Die Päpste verurteilten die die Rassenideologie ablehnten. schon im 16. Jahrhundert Auffassun- Sehr verbreitet ist auch die Ethnozen- gen, die den Angehörigen der entdeck- Uns in Deutschland bewegt das Thema trik, die darin besteht, dass ein Volk da- ten Völker menschliche Minderwertig- »Rassismus« in besonderer Weise, weil durch seine Identität zu wahren ver- keit vorwarfen. So geißelte Paul III. im sich Rassismus hierzulande auf teufli- sucht, dass es andere herabwürdigt. Jahre 1537 in der Bulle Sublimis Deus sche Art als Antisemitismus gezeigt hat Hier kommt zweifellos ein instinktiver alle, die meinten, »die Einwohner West- und bei einigen bis heute zeigt. Die per- Drang zum Ausdruck, Werte, Glau- indiens und der südlichen Erdteile … sönliche Schuld der Verantwortlichen bensvorstellungen und Gewohnheiten müssten wie unvernünftige Tiere behan- der NS-Diktatur ist nicht die Schuld von der eigenen Gemeinschaft wahren zu delt und ausschließlich zu unserem Ge- uns heute. Aber die Spuren des NS-Ras- wollen. Dagegen ist nichts einzuwen- winn und Dienst benutzt werden«10. sismus, der in die Vernichtung von Mil- den; wohl aber, wenn damit eine Her- Aber die Anwendung päpstlicher Di- lionen Juden, Sinti, Roma und anderen abstufung anderer Völker einhergeht. rektiven stieß auf Schwierigkeiten. führte, diese Spuren müssen wir heute Umso mehr ist das entschiedene Ein- im Aufflammen rassistisch motivierter Genannt werden müssen auch Formen treten einzelner, etwa von Bartolomé de Gewalt wiedererkennen. eines gewissen Sozialrassismus. Der ent- Las Casas, für die Rechte und Würde steht, wenn etwa arme Bauern von der Indios hervorzuheben. Sein Werk ist Rassismus in der Gegenwart ihrem Grund und Boden vertrieben und ein bedeutsames Zeugnis gegen Rassis- von Großgrundbesitzern in wirtschaftli- mus und für die Entwicklung der Auf- Die offenkundigste Form des Rassismus cher und sozialer Unterlegenheit gehal- fassung von universell geltenden Men- im Sinne eines institutionellen Rassis- ten werden, wobei Behörden gleichgül- schenrechten.11 mus zeigte sich bis Ende des vergange- tig oder gar als Mittäter auftreten. nen Jahrhunderts im Regime der Apart- Auch an den Sklavenhandel mit Schwar- heid in Südafrika. Die Schrift von Justitia et Pax weist zen aus Afrika, die als billige Arbeits- Auch manche kriegerischen Ausein- auch auf ein Phänomen hin, das »spon- kräfte nach Amerika verkauft wurden, andersetzungen der vergangenen Jahre taner Rassismus« genannt wird. Er »ist muss hier erinnert werden. Die von den trugen rassistische Züge: die Verbrechen noch verbreiteter, zumal in Ländern mit UN veranstaltete »Weltkonferenz ge- in Kambodscha, in Ruanda, auf dem hoher Einwanderungsrate. Er ist bei den gen Rassismus, Rassendiskriminierung, Balkan, in Osttimor, letztlich auch in Einwohnern dieser Länder gegenüber Fremdenfeindlichkeit und damit zusam- Palästina. Selbst diese Konflikte, die Ausländern zu beobachten, vor allem, menhängende Intoleranz«, die im Sep- Millionen von Toten gekostet haben, wenn letztere anderen ethnischen Ur- tember 2001 im südafrikanischen Dur- werden bei uns schnell vergessen, ob- sprungs oder anderer Religion sind … ban zu Ende ging, wurde bestimmt von wohl auch manche dieser Konfronta- Diese tadelnswerte Einstellung ent- der Beurteilung der Sklaverei. tionen rassistisches Denken in Deutsch- stammt der irrationalen Furcht, wie die In der Geschichte der Kirche akzep- land nährt bzw. zum Ausbruch bringt. Anwesenheit anderer und das Konfron- tierten zunächst die meisten Theologen Ich denke an gewalttätige Auseinan- tiertsein mit Andersartigkeit sie oft her- die gesellschaftliche Institution der Skla- dersetzungen unter Ausländern in vorruft. Bewusst oder unbewusst zielt verei. Durch den Gedanken, dass die Er- Deutschland bis hin zu – tatsächlichen eine solche Einstellung darauf ab, dem lösungstat Christi die theologisch ent- oder vermeintlichen – Anschlägen von anderen das Recht auf sein So-Sein und scheidende Versklavung unter die Sünde Palästinensern auf Synagogen. jedenfalls auf das ›Bei-uns-Sein‹ abzu- aufgehoben habe, wurde die gesell- sprechen.«13 schaftliche Institution der Sklaverei re- 6
Ob es glücklich ist, dies spontanen Ras- sismus zu nennen, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls dürfen wir uns vor der Tatsache nicht verschließen, dass die schon zu uns gekommenen Ein- wanderer unter den »alteingesessenen« Deutschen auch zu verschiedenen For- men von Verunsicherung führen. Diese Verunsicherungen müssen thematisiert und aktiv aufgegriffen werden, damit daraus keine unbegründeten (Rassen-) Vorurteile werden. Als weitere Form von Rassismus der Gegenwart muss leider auch der Anti- semitismus genannt werden. Zu berück- sichtigen ist dabei, dass sich zu den aus der Vergangenheit überkommenen Vor- urteilen gegenüber Juden aktuelle Er- lebnisse, etwa aus dem Nahost-Kon- flikt, gesellen können. Wenigstens nennen möchte ich hier auch die Befürchtung, dass gentechni- Ökumenischer Eröffnungsgottesdienst 2001, Nikolaikirche, Leipzig sche Möglichkeiten künftig auch die Foto: Mahmoud Dabdoub Gefahr eines eugenischen Rassismus heraufbeschwören können. Öffentliches Eintreten für se Rechte tatsächlich in Anspruch neh- Geschwisterlichkeit und Solidarität men können, zum Beispiel das Recht der Kinder auf Beschulung. Farbe bekennen – Beiträge Immer wieder werden Kirchenvertreter der Christen zur Überwindung eingeladen, sich an unterschiedlichsten Damit können übrigens auch die, die von Rassismus Aktionen und Veranstaltungen gegen Hoheit über die Schulen haben und die Rassismus zu beteiligen. Wir dürfen und Schulen selbst auf glaubwürdige Weise Schuldbekenntnis und wollen uns solchen Einladungen nicht für Werteerziehung in den Schulen ein- Vergebungsbitte verweigern. treten. Aber wir laden auch unsererseits an- Speziell im Religionsunterricht kann Als Vertreter der Kirche muss ich mich dere zu derartigen Aktionen ein, wie diese Erziehung konkretisiert und es zunächst damit auseinander setzen, dass etwa die »Woche der ausländischen kann verdeutlicht werden, dass sich auch Vertreter des Christentums in Mitbürger« zeigt. Damit wollen wir be- wahrhaftig gelebter christlicher Glaube nicht geringem Maße zum Antisemitis- wusst – gemeinsam mit anderen gesell- und Rassismus ausschließen. mus (durch antijüdische Affekte) oder schaftlichen Gruppen – öffentlich ein zu Rassenvorurteilen (durch die Ver- Zeichen setzen für eine geschwisterliche Für einen besonders wichtigen Beitrag quickung mit dem Kolonialismus) welt- und solidarische Gesellschaft. der Kirchen halte ich es, wenn sie inter- weit beigetragen haben. nationalen Austausch und Begegnung Hinsichtlich der heutigen Situation Farbe bekennen die Kirchen auch durch organisieren, insbesondere für Jugendli- ist zu fragen: Sind die Grenzen der In- ihre Einrichtungen und Dienste, die sich che, damit diese positive Erfahrungen kulturation des Glaubens weit genug Flüchtlingen, Asylbewerbern, illegal in mit Menschen aus anderen Völkern ma- gezogen? Deutschland Lebenden usw. zuwenden. chen können. Ich denke an die Weltju- gendtreffen der katholischen Kirche, an Papst Johannes Paul II. hat mit Blick auf Der Einsatz schließt auch die Politik ein. jährlich stattfindende internationale die lange Geschichte der Kirche immer Die Kirchen haben nie einen Hehl aus Taizétreffen, daran, dass katholische wieder und im Jahr 2000 auf bisher ein- ihrer Forderung gemacht, Wahlkampf Ordensgemeinschaften Jugendliche ein- malige Weise öffentlich bekannt, dass nicht auf Kosten von Ausländern zu laden, als »Missionare auf Zeit« in an- auch die Kirche gesündigt und gefehlt führen. deren Ländern zu leben und zu arbei- hat, und er hat um Vergebung gebeten. Sie haben sich mehrfach zu den ver- ten … Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte schiedenen Entwürfen eines Zuwande- sollen der »Reinigung des Gedächtnis- rungsgesetzes geäußert und versucht, Migration und interreligiöser ses« dienen und damit einer selbstkriti- für die Situation der betroffenen Men- Dialog schen Auseinandersetzung mit der von schen zu werben. Ich will hier nur an ei- Sünde entstellten Vergangenheit der nen Punkt erinnern: Ich bin enttäuscht, Eine Konsequenz aus dem 11. Septem- Kirche.14 dass im Gesetzentwurf der Problem- ber ist: Religion ist auch in der deut- Dadurch wird eindrücklich vor Au- komplex der aufenthaltsrechtlichen »Il- schen Öffentlichkeit wieder ein Thema gen geführt: Rassenvorurteile und Ras- legalität« nicht bearbeitet wurde. Dabei geworden. Die unmittelbare Stimmung sismus entstehen im Menschen selbst. geht es mir insbesondere um die Ab- nach den Anschlägen machte Warnun- Sie können nur überwunden werden, schaffung des Strafbarkeitsrisikos für gen vor Feindseligkeiten gegen An- wenn es zu einem Wandel im menschli- humanitäre Helfer und darum, dass gehörige anderer Religion oder Rasse chen Herzen kommt. Menschen ohne Aufenthaltsrecht gewis- oder gegen deren Einrichtungen nötig. 7
Diese Warnungen sind dann wiederum Das Friedensgebet führte vor Augen, Auf den Zusammenhang von Migration missdeutet worden in dem Sinn: der welch große religiöse und spirituelle und interreligiösem Dialog hat auch Westen habe dem militanten Islam Vielfalt es in dieser Stadt gibt. Es wurde Papst Johannes Paul II. mit seiner Bot- nichts entgegenzusetzen.15 deutlich: Religionen und Konfessionen schaft zum diesjährigen Welttag der Mi- können gemeinsam – freilich jeder auf granten hingewiesen. Darin nennt er Von Kirchenvertretern ist vor neuen seine Weise, aber gemeinsam – einen den interreligiösen Dialog eine der Konflikten gewarnt und zu Gerechtig- Dienst für die heutige säkularisierte Ge- wichtigsten Herausforderungen unserer keit, Friedfertigkeit und Versöhnung sellschaft leisten, nämlich zeigen, dass es Zeit. »Das Phänomen der Migration aufgerufen worden, auch zu klugem, gut ist, die spirituelle Dimension des könnte seine Entwicklung fördern.« mutigem und zugleich maßvollem Han- Menschen wahrzunehmen und zu ent- deln gegenüber den Terroristen. falten. Christen und Gemeinden sind einge- Es ist aber auch die Notwendigkeit Schluss laden worden, die Begegnung mit mus- deutlich geworden, vor der religiösen R limischen Nachbarn zu suchen, sich mit Überzeugung des anderen Ehrfurcht zu assismus zeigt sich in unter- den Opfern solidarisch zu zeigen und haben und ihm mit Wohlwollen zu be- schiedlichen Formen und Gra- um Frieden zu beten. gegnen. Bei vielen blieb der Eindruck: den. Die Wege, ihm entgegenzu- solche Treffen sollte es öfter geben. treten, sind ebenfalls zahlreich und ver- Inspiriert durch das Treffen, das am schieden. Ich danke Ihnen allen für die gleichen Tag in Assisi stattfand, haben Was hier bei einer Begegnung von Men- Wege, die Sie in diesem Sinne bereits en- wir am 24. Januar 2002 im Berliner schen unterschiedlicher Religion deut- gagiert gegangen sind. Rathaus ein Friedensgebet mit 14 Ver- lich wurde, dürfte auch für Begegnun- Ich möchte uns alle ermutigen, bei tretern von in Berlin vorhandenen gen von Menschen verschiedener Kultu- uns selbst zu beginnen und dann mutig Konfessionen und Religionen gehalten. ren oder Ethnien gelten. Wir müssen alte und neue Wege zu beschreiten. Das Die Vertreterinnen und Vertreter bete- versuchen, den anderen, der mit uns Ziel unseres Engagements – Rassismus ten nacheinander um den Frieden – je- lebt, wahrzunehmen, erste Kontakte überwinden – möchte ich positiv so for- weils nach ihrer Art und in ihrer Spra- aufbauen, dann häufigen Austausch su- mulieren: Lasst uns eine geschwisterli- che, mit ihren Worten und Gesten. Un- chen und pflegen. Unter Menschen, die che und solidarische Welt aufbauen. ter ihnen waren neben Vertretern sich kennen und schätzen, hat Rassis- christlicher Konfessionen Menschen jü- mus wenig Chancen. (Diese Vorstellung dischen, muslimischen, buddhistischen steht doch auch hinter »Interkultureller und hinduistischen Glaubens. Woche«.) 1 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in 7 Paul-Gerhard Müller, Artikel: Fremde/r. In: 10 Zitiert nach: Ebd. 6. Deutschland und Sekretariat der Deutschen Johannes Bauer u. a. (Hrsg.), Bibeltheologi- 11 Vgl. dazu: Konrad Hilpert, Die Entstehung Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit sches Wörterbuch, Graz / Wien / Köln der Menschenrechte im Zeitalter der der ACK in Deutschland (Hrsg.), »… und 41994, 187. »Entdeckungen«. In: Ders., Menschen- der Fremdling, der in deinen Toren ist.« 8 Vgl. LG 13. Dazu auch: Mariano Delgado, rechte und Theologie, Freiburg i. Ue. / Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Volk Gottes unter den Völkern. Katholiken Freiburg i. Br., 2001, 59-87. Herausforderungen durch Migration und deutscher und ausländischer Herkunft in 12 Vgl. Heike Grieser / Hans-Joachim Lauth, Flucht, Bonn / Frankfurt a. M. / Hannover Deutschland – Herausforderungen für die Artikel: Sklave, Sklaverei, IV. Theologisch- 1997, Ziffer 93 ff. Pastoral. In: Seelsorgeamt im Erzbischöfli- ethisch. In: LThK, Bd. 9, 32000, 657-658. 2 Erich Zenger, Einleitung in das Alte Testa- chen Ordinariat Berlin (Hrsg.), Informatio- 13 Päpstliche Kommission Justitia et Pax, Die ment, Stuttgart / Berlin / Köln 11995, 148. nen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kirche und der Rassismus, a. a. O. 13-14. 3 Ebd. 150-151. Nr. 48 (2/1996), 40-51. 14 Vgl. Gerhard Ludwig Müller, Vorwort. In: 4 »…und der Fremdling, der in deinen Toren 9 Päpstliche Kommission Justitia et Pax, Die Internationale Theologische Kommission, ist.« A. a. O. Ziffer 128. Kirche und der Rassismus. Für eine brüder- Erinnern und Versöhnen (hrsg. von 5 Wenigstens erwähnt sei hier auch Jesu liche Gesellschaft, Rom 1988 (dt. Überset- Gerhard Ludwig Müller), Einsiedeln / Hochschätzung des Samariters in zung hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Freiburg 22000, 10. Lk 10, 25-37. Bischofskonferenz, Arbeitshilfe 67, Bonn 15 Vgl. Die unverschleierte Würde des 6 Vgl. Joachim Gnilka, Johannesevangelium, 1988). Westens. In: Der Spiegel, 52 / 2001, 50-66. Würzburg 41993, 33. Und: Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium, Bd. 1, Leipzig 1966, 461. 8
Die Zuwanderungsdebatte und die Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche Günter Burkhardt »Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer.« Mit diesem Satz be- ginnt der Bericht der vom Bundesinnen- minister einberufenen »Unabhängigen Kommission Zuwanderung«. Die Kom- mission bezeichnet Deutschland als Ein- wanderungsland. Politik und Gesell- schaft schienen nachzuvollziehen, was die Kirchen bereits 1978 in ihrem Ge- meinsamen Wort zur Woche der auslän- dischen Mitbürger in Bezug auf damals so genannte Gastarbeiter formulierten: »Für viele von ihnen ist die Bundes- republik Deutschland zum Einwan- derungsland geworden.« Zwar galt in Deutschland seit 1973 der Anwerbe- © Plaßmann stopp, allerdings wurde er in den letzten Jahren vielfach durchbrochen. Späte- stens mit der »Greencard-Initiative« des Bundeskanzlers, die auf massiven Druck der Industrie zustande kam, wurde deutlich: Deutschland braucht auch in Zukunft Einwanderinnen und Einwan- Zugang zu medizinischen Versor- Stoiber als Kanzlerkandidat wurde derer. Ein gesellschaftlicher Konsens gungseinrichtungen, Straffreiheit bei deutlich, dass wahltaktische Überlegun- schien erreichbar. Der Bericht der so ge- humanitärer Unterstützung Illegaler) gen dominierten. nannten »Süssmuth-Kommission« wur- sollten realisiert werden. de in der Öffentlichkeit mit großer Im Bereich des Flüchtlingsrechts In der Vergangenheit haben Kirchen Zustimmung zur Kenntnis genommen. schließt die Anerkennung der nicht- und diverse gesellschaftliche Gruppen Die Ernüchterung folgte, als der Ent- staatlichen Verfolgung eine Schutz- immer wieder appelliert, nicht auf dem wurf aus dem Bundesinnenministerium lücke und führt an dieser Stelle end- Rücken von Ausländern und Flücht- für ein Zuwanderungsgesetz im August lich zu einer völkerrechtskonformen lingen Stimmenfang zu betreiben. Zu 2001 auf dem Tisch lag. Auslegung der Genfer Flüchtlings- leicht können Emotionen geschürt wer- konvention. den, die Fremdenfeindlichkeit und Ras- Zwar wurde dieser Referentenentwurf Ungelöst blieb jedoch das Schicksal sismus verstärken. Ein in die Europäi- verbessert. Gleichwohl stieß auch der von 250.000 Geduldeten, die seit sche Union eingebettetes Deutschland, Entwurf der Bundesregierung, der im Jahren in Deutschland leben, jedoch das – wie es Politik und Wirtschaft wol- November 2001 in den Bundestag ein- gleichwohl nicht in ihre Herkunfts- len, im »weltweiten Wettbewerb um die gebracht wurde, bei Kirchen, Gewerk- länder zurückkehren können. besten Köpfe« bestehen will – kann sich schaften, Wohlfahrtsverbänden und Die bundesweite Einführung von schlichtweg auch aus ökonomischen Menschenrechtsorganisationen auf Kri- Ausreisezentren und vor allem die im Gründen Fremdenfeindlichkeit und tik: Zuge der Terrorismusbekämpfung Rassismus nicht leisten. Statt einer langfristigen, dauerhaft vorgenommenen Verschärfungen der konzipierten Einwanderung soll in Ausweisungstatbestände stieß ebenso So wünschenswert er wäre, wenn die den nächsten Jahren vorrangig eine auf Kritik wie die unzulänglichen Re- verantwortlichen Parteien zu einer sach- befristete Anwerbung von hochqua- gelungen des Familiennachzugs. Der bezogenen Lösung gekommen wären: lifizierten Arbeitskräften erfolgen. Kindernachzug sollte nicht wie von Die Versuchung schien zu groß zu sein. Die Fehler der früheren »Gastarbei- den Kirchen gefordert und von den Schließlich hat die Unterschriftenkam- terpolitik« drohen sich zu wieder- meisten anderen EU-Ländern prakti- pagne der CDU gegen die doppelte holen. ziert bis zum 18. Lebensjahr möglich Staatsbürgerschaft in Hessen im Früh- Eine »nachholende Integrationspoli- sein. jahr 1999 gezeigt, dass mit fremden- tik« für die bisher Eingewanderten feindlichen Kampagnen erfolgreich war nicht vorgesehen. Trotzdem forderten CDU/CSU noch Wahlkämpfe bestritten werden können. Im humanitären Bereich wies der weitere Verschärfungen. Im Zuge des Kirchen, Gewerkschaften, Verbände Entwurf große Defizite auf: Nicht bevorstehenden Bundestagswahlkamp- und Initiativen müssen sich darauf ein- einmal die wenigen Vorschläge der fes schien es nicht opportun zu sein, ein stellen, dass die Ausländerthematik zu »Süssmuth-Kommission« zur sozia- Zuwanderungsgesetz gemeinsam mit einem Wahlkampfthema wird. Die Fra- len Besserstellung von so genannten den Regierungsparteien zu verabschie- ge ist, ob es gelingt, so darauf einzuwir- Illegalen (Schulbesuch der Kinder, den. Nach der Benennung von Edmund ken, dass die Debatte hierüber sachbe- 9
zogen geführt wird oder ob in einer emotionalisierten Form ein Wahlkampf auf dem Rücken von Ausländern und Flüchtlingen ausgetragen wird. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit von über vier Millionen Menschen weisen Unternehmen darauf hin, dass sie Schwierigkeiten haben, die über eine Million offenen Stellen zu besetzen. Die von der Bundesregierung eingesetz- te Unabhängige Kommission »Zu- wanderung« hat herausgearbeitet, dass Deutschland auch in Zukunft Einwan- derinnen und Einwanderer braucht. De- mografische, ökonomische und nicht zuletzt humanitäre Gründe sprechen für © Plaßmann einen Paradigmenwechsel in der Aus- länderpolitik. Viele Organisationen verhalten sich im Wahlkampf parteipolitisch neutral. Ge- sellschaftliche Organisationen engagie- ren sich im Wahlkampf nicht für oder uns, für eine qualifizierte Diskussion Mitbürger / Interkulturellen Woche vor gegen eine bestimmte Partei. Wahl- dieser Thematik zu sorgen. dem offiziellen Termin statt. kämpfe sind per se nicht etwas Negati- ves, sondern bilden das Fundament ei- Die diesjährige Bundestagswahl fin- Das Motto der diesjährigen Woche lau- ner Demokratie. Es ist die Zeit, in der det in der Woche vor dem offiziellen tet »Rassismus erkennen – Farbe beken- die Wählerinnen und Wähler politische Start der Interkulturellen Woche 2002 nen«. Es ist unser aller Aufgabe, dafür Themen mit höherer Aufmerksamkeit statt. Die Bundestagswahl ist am Sonn- einzutreten, dass dieses zukunftsweisen- als sonst verfolgen. Eine politische Mei- tag, dem 22. September. Die Woche der de Motto gerade im Jahr 2002 in der nungsbildung geschieht auch während ausländischen Mitbürger beginnt am Öffentlichkeit und der praktischen Poli- der Zeit des Wahlkampfes. Diese politi- 29. September. In vielen Regionen und tik wahr genommen wird. sche Meinungsbildung ist nicht allein Städten Deutschlands finden Veranstal- Aufgabe der Parteien. Es liegt auch an tungen zur Woche der ausländischen Zuwanderung gestalten – Integration fördern Bericht der Unabhängigen Kommission »Zuwanderung« (Auszug) Die Arbeitsmarktentwicklung der Mobilitätshemmnisse nicht am Ar- unsicher und vor allem in Bezug auf ein- beitsmarkt vermittelbar. Einer hohen zelne Berufsgruppen nicht möglich. G egenwärtig mehren sich Forde- Arbeitslosigkeit steht andererseits aber Ganz allgemein jedoch wird die Nach- rungen, ausländische Arbeits- auch eine zunehmende Zahl an offenen frage nach qualifizierten Arbeitskräften kräfte für jene Berufe und Wirt- Stellen in den gleichen Beschäftigungs- und im Dienstleistungssektor steigen, schaftszweige anzuwerben, in denen sparten gegenüber. Es ist unsicher, der Bedarf an Hochschulabsolventen offene Stellen nicht besetzt werden kön- inwieweit bestehender Arbeitskräftebe- zunehmen. (S.37) nen. Gleichzeitig aber kämpft Deutsch- darf durch eine Aktivierung und Quali- land mit hoher Arbeitslosigkeit. Um be- fizierung einheimischer Erwerbsperso- Hohe Arbeitslosigkeit und werten zu können, ob und wo stärke- nen gedeckt werden kann. Ungeachtet viele offene Stellen re arbeitsmarktbezogene Zuwanderung dessen ist damit zu rechnen, dass durch A sinnvoll ist, müssen die Situation am Ar- den deutlichen Rückgang der inländi- uf dem deutschen Arbeitsmarkt beitsmarkt und ihre voraussichtliche schen Erwerbsbevölkerung wachstums- ist im Jahr 2000 nur eine leichte Entwicklung differenziert betrachtet hemmende Engpässe am Arbeitsmarkt Entspannung eingetreten. Noch werden. entstehen. Spätestens im nächsten Jahr- immer sind fast vier Millionen Men- zehnt wird ein Nachwuchsmangel in schen arbeitslos gemeldet. Hinzu kom- Noch immer sind in Deutschland fast der beruflichen Ausbildung und an den men die Personen, die sich entweder in vier Millionen Menschen arbeitslos ge- Hochschulen auftreten. Auch eine (in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen meldet, darunter viele nicht formal ihrem Ausmaß schwer vorhersehbare) befinden oder wegen der schlechten Ar- Qualifizierte, Ältere und Ausländer. Zuwanderung aus den EU-Beitrittslän- beitsmarktlage vom Arbeitsmarkt zu- dern wird langfristig den Arbeitskräf- rückgezogen haben (»stille Reserve«). Trotz erheblicher Bemühungen sind terückgang in Deutschland nicht auf- Insgesamt sind unter Berücksichtigung viele Arbeitslose aufgrund fehlender halten können. Eine Prognose der künf- der »stillen Reserve« vom derzeitigen Qualifikationen oder wegen bestehen- tigen Nachfrage nach Arbeitskräften ist Erwerbspersonenpotenzial (44 Millio- 10
nen) nur 38,5 Millionen tatsächlich er- werbstätig. Deutschland: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung Millionen Quelle: BMI Modellrechnungen Bevölkerungsentwicklung 2000 Der Mangel an Arbeitsplätzen ist insbe- 85 Vorlage: Humboldt-Universität Bevölkerungswissenschaft sondere in den neuen Bundesländern gravierend. Die Arbeitsmarktsituation 80 ist regional und nach Berufsgruppen stark unterschiedlich. Von Arbeitslosig- 75 keit besonders betroffen sind ältere Ar- 70 beitnehmer und solche ohne Berufsaus- bildung. Unter den Höherqualifizierten 65 ist sie hingegen deutlich geringer. 60 Gleichzeitig gab es 2000 insgesamt knapp 1,5 Millionen offene Stellen, von 55 denen ein Teil nicht besetzt werden 1999 2010 2020 2030 2040 2050 Jahr konnte. Die Schwierigkeiten bei der Netto-Zuwanderung pro Jahr Stellenbesetzung sind in den einzel- 0 100.000 200.000 300.000 nen Wirtschaftssektoren und Regionen unterschiedlich. Dieser Arbeitskräfte- mangel bringt einen Produktions- und Innovationsfähigkeit sinkenden Angebot an jungen Arbeits- Wertschöpfungsverlust mit sich; in der und Unternehmergeist kräften nicht mehr überwiegend durch Informations- und Kommunikations- Neueinstellungen erneuert werden. I technologie hat er bereits zur Anwer- nsgesamt wird das Durchschnitts- bung ausländischer Arbeitskräfte ge- alter der Arbeitskräfte deutlich stei- Unternehmen werden überwiegend von führt. (S.37) gen. Die Alterung könnte länger- Personen in den mittleren Altersgrup- fristig Auswirkungen auf die Innova- pen zwischen 30 und 50 Jahren gegrün- Alterung: Belastung für soziale tionsfähigkeit der Wirtschaft haben, det. In den letzten Jahren hat sich der Sicherungssysteme wenn wesentlich weniger neu ausgebil- Altersdurchschnitt durch viele Grün- dete Arbeitskräfte zur Verfügung ste- dungen von jungen Unternehmern in D ie Folgen des Alterungsprozesses hen. Die Fähigkeit des Menschen, sich der Informations- und Kommunikati- sind insbesondere für die umla- neues Wissen anzueignen, nimmt mit onstechnologie verringert. Es ist denk- gefinanzierte Sozialversicherung zunehmendem Alter ab. Routine und bar, dass die Alterung der Bevölkerung tiefgreifend (…): Auf einen Menschen Erfahrungswissen älterer Menschen unternehmerische Risikobereitschaft im erwerbsfähigen Alter (Altersgruppe können diesen Verlust nur teilweise aus- und Anpassungsflexibilität an neue 20 bis 60 Jahre) kommen heute rech- gleichen (Dritter Bericht zur Lage der technologisch-wirtschaftliche Erforder- nerisch 0,4 Personen im Alter über 60, älteren Generation, 2000, S.131). An- nisse reduziert. (S.33) bei moderater Zuwanderung (netto gesichts der schnellen Zunahme und Er- 100.000 Personen pro Jahr) werden neuerung des Wissens insbesondere in Auszüge aus dem Bericht der dies innerhalb von 50 Jahren bereits 0,8 den wachstumsrelevanten Schlüssel- Unabhängigen Kommission »Zuwanderung«: Zuwanderung gestalten – Integration fördern, Personen sein. Die rechnerische Alters- technologien kann den Unternehmen Juli 2001, zu beziehen über das Bundesministe- last wird sich verdoppeln. Dies kann ein Verlust an Innovationsfähigkeit und rium des Innern, Öffentlichkeitsarbeit, nicht ohne Auswirkungen auf die Al- Wettbewerbskraft entstehen. Das Wis- 11014 Berlin terssicherungssysteme bleiben: Immer sen in den Unternehmen kann bei einem Internet: www.bmi.bund.de weniger jüngere Menschen müssen im- mer mehr alte Menschen in den sozialen Sicherungssystemen versorgen, der Ge- Deutschland: Prognostizierter Anteil der Über-60-Jährigen 1999 - 2050 nerationenvertrag würde erheblich be- lastet werden. Unter Fortschreibung der Quelle: BMI Modellrechnungen Bevölkerungsentwicklung 2000 in Prozent jetzigen Bedingungen etwa im Hinblick 45 Vorlage: Humboldt-Universität Bevölkerungswissenschaft auf Produktivität, Lebenserwartung, 39,6 40 Rentenzugangsalter und Finanzierungs- 36,6 35,4 38 36,4 35,4 34,3 33,5 modus der sozialen Sicherung sind eine 35 steigende Transferlast für die Siche- 30 rungssysteme und höhere Abgaben für 25 22,4 die Produktionsfaktoren wahrschein- 20 lich. (S.33) 15 10 5 0 1999 2030 2050 Jahr Netto-Zuwanderung pro Jahr 0 100.000 200.000 300.000 11
Gewalt gegen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Jörg Alt SJ S tellen Sie sich vor: Sie werden in der meisten Gesprächspartnern jedoch, dass Person2: Sicher gab es Bedrohung durch Straßenbahn laut angepöbelt. Was verbale oder tätliche Attacken nicht das Rassisten und die Polizei. Aber er wuss- tun Sie? Nun, eine Möglichkeit ist einzige Problem sind. Daneben existiert te, wie er diesen Bedrohungen aus dem sicherlich, dass Sie eine Anzeige wegen die Sorge, dass irgendjemand die Polizei Weg gehen kann. Wenn es ihn erwisch- Belästigung oder Beleidigung bei der zu Hilfe rufen könnte. Dies mag zu- te, leistete er keinerlei Widerstand, um Polizei stellen. Oder stellen Sie sich vor: nächst unglaublich klingen. Aber genau nicht noch härtere Reaktionen zu pro- Sie werden tätlich angegriffen. Hier gibt dies waren Punkte, die »illegale« Mi- vozieren. Selbst wenn er im Recht war, es eine ganze Palette von Handlungs- granten mir gegenüber anlässlich der galt: »Don’t provoke, don’t argue.« möglichkeiten: Sie können um Hilfe ru- Erhebungen äußerten, die ich im Rah- fen, Sie können sich selbst wehren und men des Forschungsprojektes »Illegal Person 3: Kürzlich wurde er von einigen zurückschlagen und Sie können später in Deutschland« durchführte. Die nach- Rechtsradikalen angegangen, als er an Anzeige erstatten. Dasselbe gilt, wenn folgenden Beispiele schildern Erfahrun- der Straßenbahnhaltestelle saß und Bier jemand Sie erpressen will, Sie bestiehlt gen, die ein Algerier, ein Schwarzafrika- trank. Sie fuhren in einem schwarzen oder Sie um den vereinbarten Lohn be- ner und ein Ukrainer in Leipzig mach- Golf vorbei und stiegen aus. Sie konn- trügt. ten. ten gar nicht erkennen, dass er Nicht- deutscher war, und auf die ersten An- Probleme Person 1: Er wurde rassistisch bedroht, pöbelversuche schwieg er auch. Später, aber das hielt sich in Grenzen. Einmal als sie dann doch herausbekamen, dass K eine von diesen genannten Mög- wurde er zusammengeschlagen. Das er Ausländer ist, schlugen sie auf ihn lichkeiten steht einem so genann- Deprimierende und Demütigende ist, ein. Seine größte Sorge in dem Moment ten »Illegalen«, einem Menschen dass man sich im Konfliktfall nicht war, dass die Nachbarn die Polizei ru- ohne legalen Aufenthaltsstatus, zur wehren kann, sondern nachgeben muss, fen. »Die haben Ausweise – ich aber Verfügung. »Illegale« sind, genauso wie um einem Kampf und einer damit ver- nicht. Deshalb war ich froh, als ich da- alle anderen Migranten, Bedrohungen bundenen Polizeikontrolle aus dem Weg vonlaufen konnte.« und Gewalt verschiedenster Art ausge- zu gehen. setzt. Übereinstimmung herrscht bei den Migration in normalen Bahnen Zu dem am 7.11.2001 veröffentlichten Migra- Verglichen mit dem Beginn der 90er Jahre ist es schen Deutschland und den meisten Her- tionsbericht erklärte die Ausländerbeauftrag- laut Beck in den letzten Jahren zu einer »Beru- kunftsländern keine Einbahnstraßen sind, son- te der Bundesregierung Marieluise Beck: »Zu higung« des Migrationsgeschehens gekommen. dern dass die Wanderungsströme in beide einer aufgeregten Diskussion um Zu- und Ein- Noch 1997 und 1998 war der Wanderungssaldo Richtungen fließen. Die EU-Binnenmigration wanderung besteht nach einem Blick auf die der Ausländer sogar negativ. In den Jahren 1999 (Wanderungen zwischen Deutschland und der Migrationsdaten kein Anlass. Gerade ange- und 2000 sind wieder mehr Ausländer zu- als Europäischen Union) hat an der Gesamtwan- sichts der aktuellen Debatte um das Zuwan- fortgezogen, allerdings sind die Salden erheb- derung nur einen relativ geringen Anteil und derungsgesetz sind alle Beteiligten gut be- lich geringer als Anfang der 90er Jahre. Ins- blieb mit 15 -20 % in den vergangenen Jahren raten, diese nüchtern und sachlich auf der gesamt sind in 2000 rund 841.000 Personen, konstant. Grundlage von Tatsachen zu führen.« darunter 649.000 Ausländer, zugezogen und 673.000 Personen, darunter 562.000 Dies gilt auch für den Ehegatten- und Famili- Ausländer, fortgezogen. ennachzug von Drittstaatsangehörigen. Die Wanderungen von Ausländern über Gesamtzahl ist von 71.000 im Jahr 1999 auf die Grenzen der BR Deutschland Im Vergleich zur Situation vor 10 Jah- 76.000 im Jahre 2000 leicht angestiegen. Die ren (1990: 397.000) sank die Zahl der Bedeutung am Gesamtwanderungsgeschehen Jahr Zuzüge Fortzüge Saldo Spätaussiedler im letzten Jahr auf (unter 10 %) ist entgegen einer weit verbrei- 1991 925.345 497.540 + 427.805 knapp 96.000. Dies gilt auch für Asyl- teten Auffassung gering. 1992 1.211.348 614.956 + 596.392 antragsteller. Seit dem Höhepunkt von 1993 989.847 710.659 + 279.188 1992 (438.000) ist diese kontinuier- Der Migrationsbericht 2001 ist zu beziehen 1994 773.929 621.417 + 152.512 lich gefallen und liegt seit 1998 unter bei: Die Beauftragte der Bundesregierung für 1995 792.701 567.441 + 225.260 100.000. Im Jahr 2000 ist sie noch Ausländerfragen, Fax 0228/5272760; 1996 707.954 559.064 + 148.890 einmal deutlich auf unter 79.000 zu- Internet: 1997 615.298 637.066 - 21.768 rückgegangen. www.bundesauslaenderbeauftragte.de 1998 605.500 638.955 - 33.455 (Rubrik Publikationen). 1999 673.873 555.638 + 118.235 Die wichtigsten Herkunftsländer der 20001 648.846 562.380 + 86.466 Migranten waren zuletzt Jugoslawien, 1 Vorläufige Daten Polen und die Türkei; diese sind gleich- aus: AiD – Ausländer in Deutschland 4/2001 Quelle: Statistisches Bundesamt, Migrationsbericht der zeitig aber auch die Hauptzielländer Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, November 2001 der Rückkehr. Die Daten aus 1999 zei- gen, dass die Migrationsbahnen zwi- 12
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