Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft

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Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
kulturland
0ldenburg
                                 oldenburgische
                                      landschaft
                                 3.2021 | Nr. 189

Funde aus
legitimierten
Schiffskaperungen:
Prisenpapiere bieten

gewaltiges

Erkenntnispotenzial

                       Wesermarsch war
                       das Gedächtnis
                       des Oldenburger
                       Landes:
                       Gelegenheitsschriften

                       des Johann Samuel

                       Neumann
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Inhalt

2                                                                                                   28                                            34

                                     8                                    20
Willkommen im                        Ballettschule tanzt                 Sehnsucht nach             Oldenburg, Stadt des      Von Wangerooge bis
Museumsgarten                        weiter                               der Bühnenrückkehr        Klassizismus?             Fedderwardersiel
Therese von der Vring               Tanzakademie am                      Die Band Maelføy                                     Sie trotzen der stürmi­
und die Barke – eine                Meer in Wilhelmshaven                hat ihre Wurzeln                                     schen See: Seenotret-
Spurensuche                         in der Corona-Krise                  auch in Ganderkesee                                  tungsstationen an
                                     erfinderisch                                                                             der oldenburgischen
                                                                                                                              Nordseeküste

                                2 Therese von der Vring und die Barke – eine                   32 Petra Knauer: Ausstellung im Elisabeth-Anna-
                                    Spurensuche                                                     Palais
                                6   Alte Baukunst im neuen Kirchenführer                       34 Seenotrettungsstationen an der oldenburgischen
                                7   In memoriam: Friedrich Hübner                                   Nordseeküste
                                7   Izabela Mittwollen: Ausstellung                            38 Der geheime Ausrufer – Die erste in Delmen-
                                8   Tanzakademie am Meer in Wilhelmshaven                           horst gedruckte Zeitung
                               11   Wat mööt wi doon, wenn dat brennt?                         39 Aper Lieblingsorte
                               12   Rituale der Jugendkultur                                   40 Die Gelegenheitsschriften des Johann Samuel
                               		 Ausstellung im Oldenburger Münsterland                            Neumann in der Landesbibliothek Oldenburg
                               16 Erweiterungsbau des Industriemuseums                         45 Pekol – Von Ort zu Ort
                                    in Lohne                                                   46 Liebeserklärung an die Gitarre
                               18   Imagebroschüre des KulturNetz Jadebusen                    		 Neuenburger Gitarrentage feiern Jubiläum
                               19   Plattdüütsch Familgen-Sömmerfreitied 2021                  48   Abseits der Norm – Die Kunstschule Abraxas
                               20   Die Band Maelføy aus Ganderkesee                           49   Neuerscheinungen
                               22   Ein Film über das Kurhaus Dangast und die                  50   Nachbericht zum FSJ Kultur
                                    Menschen, die es prägten                                   51   Hof Ohlroggen als Kulturzentrum und
                               23   Auf die Plätze, fertig, LOS!                                    Wohnmöglichkeit
                               24   Funde aus legitimierten Schiffskaperungen                  52   Sporen van Leven – Sporen van Lieden
                               27   Wiederbelebung des Niedersorbischen                        54   750 Jahre Wardenburg
                               28   Oldenburg, Stadt des Klassizismus?                         55   Anerkennung für junge Forscherinnen
                               31   Land.schafft.Kultur – Filme über Kulturein-                56   Kurzberichte aus der Landschaft
                                    richtungen im ländlichen Raum                              58   Insa Winklers geschlossene Ausstellung im
                                                                                                    Elisabeth-Anna-Palais
                                                                                               60 Kurz notiert
                                                                                               65 Wer wir sind und was wir tun

Titelfoto: Tanzende Schafe an der Vreschen-Bokeler Brücke in Apen. Schafherr und
Schafdame schwingen sich vergnügt über den Deich. Der Künstler Jörg Ridderbusch ist
für seine farbenfrohen Stahlskulpturen bekannt und gestaltete die Aper Liebingsorte
(siehe Seite 39)._Foto: Sandra Hinrichs.

 kulturland 3.21
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Editorial

Impressum

kulturland oldenburg
Zeitschrift der
Oldenburgischen Landschaft
ISSN 1862-9652                                                                                 Foto: Andreas Burmann

Herausgegeben von der
Oldenburgischen Landschaft
Gartenstraße 7, 26122 Oldenburg            Liebe Leserin, lieber Leser,
Tel. 0441.77918-0
Fax 0441.77918-29
info@oldenburgische-landschaft.de
www.oldenburgische-landschaft.de           die globalen Herausforderungen der Gegenwart machen vor unserer Region
                                           nicht halt. Die damit verbundenen Folgen sind auch im Oldenburger Land
Redaktionsschluss
                                           deutlich zu spüren, selbst wenn sie bislang moderater als anderswo aus-
für Heft 190, 4. Quartal 2021,
ist der 1. Oktober 2021.                   gefallen sind. Noch nie zuvor waren aus globaler Sicht so viele Menschen
Erscheint vierteljährlich.                 auf der Flucht: Sie suchen infolge verheerender Kriege und wirtschaft-
                                           lich-sozialer Not ein neues Zuhause. Die Vorhersagen der Klimaforscher
Für unverlangt eingesandte Manu-
skripte wird keine Haftung übernom-        haben sich in diesem Sommer in aller Deutlichkeit bestätigt. Nach drei
men. Nament­lich gekennzeichnete           Jahren großer Trockenheit erleben wir nun in vielen Teilen unseres Lan-
Artikel geben nicht unbedingt die Auf-     des Rekordniederschläge und regionale Hochwasserkatastrophen von
fassung der Redaktion wieder.
                                           bislang unbekanntem Ausmaß. Mit der Corona-Pandemie hat sich seit
Die Redaktion behält sich das Recht auf
Kürzungen der eingesandten Texte vor.      dem Winter 2020 ein Infektionsgeschehen global eingenistet, das nach
                                           den rund einhundert Jahre zurückliegenden Erfahrungen mit der Spa-
Redaktion:
                                           nischen Grippe und den enormen medizinischen Fortschritten für über-
verantwortlich i. S. d. P.
Dr. Michael Brandt (MB.)                   wunden galt. Und dass in den demokratisch orientierten Gesellschaften
                                           Europas rechtspopulistische bis autokratische Prozesse Fuß fassen konn-
Sarah-Christin Siebert (SCS.)              ten, lag für die meisten Bürger*innen unseres Landes außerhalb jeder
Stefan Meyer (SM.)
Matthias Struck (MS.)
                                           Vorstellungskraft. Ob wir nun unmittelbar aus der Geschichte nachhaltig
Dr. Jörgen Welp (JW.)                      lernen können, wird von vielen Historiker*innen zurecht bezweifelt.
                                             Aber Zukunft braucht Geschichte, benötigt Vermittlung und Bildung,
Gestaltung:
                                           um zumindest eine kritische Reflexionsfähigkeit gegenüber dem zu ent-
mensch und umwelt, 26122 Oldenburg
                                           wickeln, was sich offenbar als Kontinuitätsstrang im menschlichen
Druck:                                     Zusammenleben behauptet. Dazu gehören unter anderem Rassismus, Anti-
Brune-Mettcker, 26382 Wilhelmshaven
                                           semitismus sowie ein toleranz- und kooperationsunfähiger Nationalis-
Verlag:                                    mus, also Formen eines anthropologisch-gesellschaftlichen Verhaltens,
Isensee-Verlag, 26122 Oldenburg            das nach Jahrzehnten vermeintlicher Abstinenz auf die Bühne des (all-
Erscheint vierteljährlich.
                                           tags-)politischen Geschehens zurückgekehrt ist.
© 2021 Oldenburgische Landschaft
Alle Rechte vorbehalten.                     Aus dieser Erkenntnis heraus hat die Oldenburgische Landschaft das
Jahresabonnement 15 Euro, inkl. Versand.   Projekt „Unpolitische Orte? Sportstätten und ihre gesellschaftliche Be-
Der Bezug kann mit einer Frist von vier    deutung im Oldenburger Land zwischen 1930 und 1970“ initiiert. Mit der
Wochen zum Jahresende gekün­digt
werden.
                                           Leitung des Projekts wurde die Kulturwissenschaftlerin Merle Bülter M.A.
                                           betraut, die für die nächsten 30 Monate die organisatorischen Zügel in
Einzelheft 3,80 €.                         der Hand hält. Ihren Bericht in diesem Heft des kulturlands (Seite 23)
                                           möchte ich Ihnen deshalb besonders ans Herz legen, neben den zahlrei­
                                           chen anderen lesenswerten Beiträgen, die hoffentlich Ihr Interesse finden.
                                           Mit herzlich-optimistischen Grüßen und allen guten Wünschen für Sie
                                           persönlich

                                           Ihr
                                           Uwe Meiners

                                                                                                    kulturland 3.21    |1
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
WILLKOMMEN im
                        MUSEUMSGARTEN
                             Therese von der Vring und
                           die Barke – eine Spurensuche
                                   Von Barbara Müller

2   | kulturland 3.21
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Von oben: Das Gedicht „Nie
                                                                                                             genug“ wurde mit Holz-
                                                                                                             buchstaben auf historischem
                                                                                                             Leinen gedruckt.

                                                                                                             Zur Spurensuche kann man
                                                                                                             sich in den Flyer vertiefen.

                                                                                                             Der Briefwechsel des Künst-
                                                                                                             lerpaares fasziniert auch noch
                                                                                                             100 Jahre später._ Fotos:
                                                                                                             Heide Pinkall

Oben: Das ausdrucksstarke           m Frühjahr 2021 wurde in Brake/Unter-         Zum Hintergrund
Selbstporträt Therese von           weser die Welt eines Künstlerpaares auf       Die Georg-von-der-Vring-Gesellschaft erinnert
der Vrings von 1918 und das
Gedicht „Nie genug“ ihres           ungewöhnliche Weise erfahrbar: in einer       seit zwanzig Jahren nicht nur an den Dichter
Ehemannes Georg prägen die          pandemiekonformen Garteninstallation          und Maler Georg von der Vring (* 1889 in Brake,
Atmosphäre im Museumshof.           im öffentlichen Museumsgarten des             † 1968 in München), ebenso wird auch das Le-
                              Schiffahrtsmuseums, angeregt durch zwei Be-         benswerk seiner ersten Ehefrau, der Küns­tlerin
Links: Witterungsbeständig
verwahrte Flyer laden zur     gebenheiten rund um die „Barke“, die uns un-        Therese von der Vring (* 1894 in München,
Spurensuche vor Ort und im    mittelbar mit Georg und Therese von der Vring       † 1927 in Oberstdorf), gewürdigt. 1996 erschien
Netz ein.                     verbinden.                                          eine Schrift des Künstlerhauses Jan Oelt­jen, in
                                Zum einen der 100. Jahrestag der 1. Früh­jahrs­   der ihr Werdegang rekonstruiert wurde. Damals
                              ausstellung der „Barke“ am 10. April 1921 im        konnte man auf insgesamt 40 Positionen zu-
                              Augusteum in Oldenburg, einer Gruppe nordwest-      rückgreifen, darunter Ölgemälde, Aquarelle, Holz-
                              deutscher Künstler, zu deren Mitbegründern das      und Linolschnitte sowie 24 Zeichnungen. Diese
                              Ehepaar zählte. Zum anderen war im No­vem­ber       entzückende Schrift ist soeben in zweiter Aufla-
                              2019 ein bisher unbekanntes Gemälde eines           ge im Isensee-Verlag neu erschienen.
                              Segelschiffes aufgetaucht, das nach mündlichen        Über das Leben und Werk des Ehemannes Georg
                              Angaben von „Resi“ von der Vring im Zusam-          von der Vring ist zuletzt in den 1990er-Jahren viel
                              menhang mit der Künstlergruppe die „Barke“          publiziert worden. „Der letzte Meis­ter des Liedes“,
                              gemalt wurde.                                       so bezeichnete Peter Hamm den Dichter in einem

                                                                                                                  kulturland 3.21     |3
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Nachruf in der ZEIT. Für manchen Lyrik-Liebhaber ließen sich           Während Georg an die Front zurückkehrte, verwundet
nicht viele vollkommenere Gedichte aus dem letzten Jahrhun-          wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, lebte Therese teils
dert denken als die von Georg von der Vring. Sie seien von An-       in Freising und teils in Brake. Aus dieser Zeit ist ein leben-
fang an klar wie große Musik. Schon damals wurde zitiert, „dass      diger, berührender Briefwechsel erhalten. 1918 malte Therese
er sich mit seinen Gedichten in eine solche Einsamkeit begeben       ein besonders ausdrucksstarkes Selbstporträt, voller Sorge
und hinter so viel machtvoll empfundener Natur verschanzt            um den Ehemann, das weit über den persönlichen Anlass
habe, dass seine Poesie sich ins Gesellige des bewohnten Tages       hinausweist. Nach seiner Rückkehr trat Georg 1919 in Jever
zurückzusehnen scheine, wie die Toten, denen Odysseus be-            am Mariengymnasium eine Stelle als Zeichenlehrer an. Das
gegnete, aus der Schattenwelt hinaus nach oben drängten“.            Paar lebte zurückgezogen, in ständigem Konflikt mit den
  Woher nahm der Dichter, der in seinem Leben viel Bitter-           Lehrerkollegen. 1920 und 1923 wurden zwei Söhne geboren.
nis erfahren hatte, ein Leben lang seine Inspirationen? Nach
Kindheit und Jugend in Brake und einer Lehrerausbildung in             Du wurdest unsre Mutter dann,
Oldenburg ging Georg 1912 an die königliche Kunstschule in             Die meine Kinder trug,
Berlin. 1914 lernte er dort seine Kommilitonin Therese Ober-           Ich saß bei dir und sah dich an,
lindober aus Freising kennen - ihr Vater, ein Major, war nach          Und tat’s doch nie genug.
Berlin versetzt worden. Sie wurden ein Paar. 1916 wurde Georg
zum Kriegsdienst eingezogen, 1917 fand in Berlin-Friede­nau            Am 10. April 1921 erschien zur Eröffnung der ersten Früh-
eine Kriegsheirat statt. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt die beiden   jahrsausstellung der „Barke“ in der Zeitschrift „Der Zieh-
Künstler im Atelier inmitten ihrer Bilder.                           brunnen“ ein Text, gewissermaßen ein Manifest, vermutlich
                                                                     von Georg geschrieben. Worum geht es? Das Spannungsfeld
  Nie genug                                                          von Heimatkunst und Moderne, der schmerzhaft empfundene
  Bei meines Lebens Narretein                                        Verlust der gefallenen Freunde und Kameraden.
  Da ward ich einmal klug,                                             „Nun bitten wir alle ernsthaften Leute, zu uns zu kommen
  Ich liebte mich in dein Herz hinein,                               und unsere Arbeiten anzusehen. Vielleicht werden sie uns
  Und tat’s doch nie genug.                                          nicht stark genug finden. Da geben wir zu bedenken, daß wir
                                                                     der Ueberrest einer Jugend sind, die in Flandern und vor
  Dein Mund so schön, dein Auge klar,                                Verdun, am San und am Stochod der Rasen deckt! Die Fröh-
  War alles, was ich frug,                                           lichsten, Stärksten, Reichsten sind nicht mehr unter uns.
  Bis dass ich gar verwandelt war,                                   Und doch ist ihr Geist unter uns lebendig, unsichtbar sitzen
  Und war’s doch nie genug.                                          sie mit uns in der Barke, sind fröhlich mit uns und blicken

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Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Linke Seite: im November 2019
hat die Familie eines Hambur-
ger Kunstsammlers dieses
Bild einer Barke, Öl auf Mal-
karton, 39 cm x 52 cm, zum
Kauf angeboten. Es ist – wie
viele der bekannten Werke
von Therese von der Vring –
weder signiert noch datiert.

Auf dem Büchertisch der Georg-
von-der-Vring-Gesellschaft
findet sich auch die neu auf-
gelegte Biografie von Therese
von der Vring (Isensee-Ver-
lag).

ins Segel, das sich blähend entfaltet. In ihrem Sinne den             Im idyllischen Museumsgarten sollte ein „Raum“ entste-
Kurs zu nehmen, ist unser Gelöbnis bei der ersten Ausfahrt.        hen, in dem diese Lebensgeschichte kontemplativ nachemp-
Die Fahnen flattern! Schiff stoß vom Strand!“                      funden werden konnte: die Lebensträume des Künstlerpaares
   Das 2019 aufgetauchte Bild der Barke ist – wie viele der        und die Sinnsuche in einer Künstlergruppe als Versuch, Kriegs­
bekannten Werke von Therese - weder signiert noch datiert.         erfahrungen, Katastrophen und soziale Erschütterungen
Bei dem dargestellten Segelschiff handelt es sich um eine          zu überwinden. Die überragenden künstlerischen Leistungen
Tjalk vom Typ eines Weserkahns. Oben links gibt es eine ovale      von Georg und Therese im Lyrischen respektive Malerischen
Aussparung in der dunklen Wolkendecke, die das Lichte              sollten exemplarisch gezeigt werden. Umgesetzt wurde dies
Ocker der Grundierung durchscheinen lässt. Durch diesen            durch fünf großformatige mit Bildern und Texten bedruckte
Wolkenbruch scheinen Sonnenstrahlen. Die Gemälderestau­            PVC-Planen, die an den verschiedenen Backsteinfassaden des
ratorin erkennt Tiefgang und Leuchtkraft. Der Duktus ist ex-       Gebäudeensembles aufgespannt wurden, ergänzt durch eine
pressiv und es lässt sich eine feine, harmonische Farbab-          Fensterausstellung mit dem Ölgemälde der Barke.
stimmung zwischen den Pigmenten Grüne Erde, Preußisch                 Das Gedicht „Nie Genug“ überragt das Arrangement, es
Blau und Lichter Ocker erkennen. Dabei sind Ähnlichkeiten          wurde im Original von Peter Vöge in Holzbuchstaben gesetzt
mit der Farbkomposition des Selbstporträts von 1918 durch-         und gedruckt. Für die Ausstellung wurde es, digital auf ein
aus erkennbar.                                                     fünf Meter hohes Banner vergrößert, am Kapitänsgiebel des
   Nach 1922 sind nur noch wenige Werke von Therese über-          Anbaus zum Haus Borgstede & Becker montiert: „Nie genug
liefert. 1925 erkrankte sie unheilbar an Tuberkulose. Die letzte   - Das Gefühl des Mangels, in Anbetracht der Krise nie genug
Zeichnung entstand 1926 und zeigt in zarter Strichführung          getan zu haben, dieses Gefühl kennt jeder“, meint Peter
ihren Sohn Peter bei der Lektüre eines Buches (Z21). Am 4. Mai     Vöge, „und deshalb gelinge es so leicht, das Gedicht in die
1927 starb Therese. Sie fand ihre letzte Ruhestätte im Fami­       bewohnten Tage zu holen, die von ganz anderen Krisen ge-
liengrab in Freising. Diesen schmerzhaften Verlust hat Georg       zeichnet seien.“
nie mehr verwunden, auch wenn er sich noch zweimal ver-               Es gab ein vielseitiges Begleitprogramm zu der mehrmona­
heiratete.                                                         tigen Installation: Die im Garten ausliegenden Flyer führten
                                                                   wie eine Schatzkarte zu weiteren Hintergrundinformationen
   Und als das Schicksal lauerte,                                  vor Ort oder im Netz. In einer Outdoor-Galerie im Hofdurch-
   und als der Tod dich schlug,                                    gang wurden Gedichtillustrationen von Schüler*innen des
   da weint ich hin und trauerte,                                  Gymnasiums Brake gezeigt. Es ging auf den Spuren von
   und tat’s doch nie genug.                                       Therese zum Pleinairmalen auf die Flussinsel Harriersand
                                                                   (Therese durchschwamm 1918 als erste Frau unbegleitet
   Seit Thereses Krankheit und späterem Tod widmete sich           die Weser). Die Klipperaak Gertrud, Oldersum, ein Traditions-
Georg von der Vring nur noch der Schriftstellerei und der Ly-      segler Baujahr 1910 mit Druckwerkstatt, machte für drei
rik. Sein Antikriegsroman „Soldat Suhren“ wurde ein Best-          Wochen im Braker Binnenhafen fest. An Bord und in der Kunst­
seller. Ihm wurden viele Auszeichnungen zuteil, 1960 wurde         schule im Packhaus wurden unter Anleitung des Skippers
er Ehrenbürger der Stadt Brake.                                    und Freinet-Pädagogen Peter Vöge Gedichte und Linolstiche
                                                                   gedruckt. Bei der Finissage wurden Briefe und Gedichte von
   Wie dank ich’s dir? Das Leben hier                              Georg und Therese von Schüler*innen des Braker Gymnasi-
   Ist eines Vogels Flug                                           ums vorgetragen.
   Was ich noch bringe, bring ich dir,                               Der große Anklang, den die Installation und das Begleit-
   Doch nie und nie genug.                                         programm bei den unterschiedlichsten Besuchern fand, ist
                                                                   ermutigend und lässt hoffen, dass viele Menschen angespro-
                                                                   chen, angeregt, berührt und sensibilisiert wurden.

                                                                                                              kulturland 3.21   |5
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
Blick in den Holler Kirchen-
                                                                      führer._Foto: Oldenburgische
                                                                      Landschaft

                                                                      Sammlung alter und teilweise sogar historischer Aufnahmen
                                                                      der Kirche illustrieren einige davon die bewegte Geschichte
                                                                      des Kirchenbaus. Den wohl erschütterndsten Einblick gibt
                                                                      dabei eine Abbildung des des zerstörten, einstmals so impo-
                                                                      santen Glockenturms, der am 2. Mai 1945 gesprengt wurde,
                                                                      um den vor­rückenden Alliierten keinen Aussichtspunkt mit
                                                                      Blick ins nördliche Hinterland zu bieten. Der Turm wurde in der
                                                                      Nachkriegszeit nicht erneuert. Die Glocke fand nach dem Wie­
                                                                      deraufbau der durch die Sprengung zum großen Teil schwer
                                                                      beschädigten Kirche einen Platz im neuen Dachreiter, und

Alte Baukunst
                                                                      das Erscheinungsbild der Kirche ist seitdem ein völlig ande­res
                                                                      als zuvor. Hoffmann machte den ersten Schritt für die neue
                                                                      Informationsbroschüre der Holler Kirche und schrieb in Ab-
                                                                      stimmung mit Pastor Dreyer das erste Manuskript. Die beiden

neu entdeckt
                                                                      kennen die Kirche und die Menschen, die mit ihr – teilweise
                                                                      schon lange – leben. „Der laute Knall der Explosion und die
                                                                      gewaltige Staubwolke blieben im Dorf lange in Erinnerung“,
                                                                      weiß Hoffmann im Kirchenführer zu berichten (S. 9).
                                                                        Durch seine Kontaktaufnahme zur Oldenburgischen
 Neuerscheinung in der Reihe                                          Landschaft und den Anschluss des Projekts an die bereits be-

„Kirchen im Oldenburger Land“                                         stehende Reihe „Kirchen im Oldenburger Land“, die die
                                                                      Landschaft gemeinsam mit dem Isensee-Verlag entwickelt
                                                                      hat, kam zudem ein weiterer Kontakt zustande. Der Architekt
Von Sabrina Kolata
                                                                      Achim Knöfel, der ehemals für Kirchenbau, Kunst- und
                                                               ­
                                                     FÖRDER ER        Denkmalpflege im Evangelisch-Lutherischen Oberkirchenrat
                                                     R O JE K TD
                                                   P             EN   in Oldenburg zuständig war, kam als Autor hinzu und konnte
                                                         URGISCH
                                                   OLDENB
                                                      LAN SC
                                                         D  HAFT      die Publikation mit seinen umfangreichen Kenntnissen über
                                                                      die Kirchenbauten im Oldenburger Land sowie aus der ver-

T
                                                                      gleichenden Bauforschung bereichern. Als Architekt konnte
                                                                      er außerdem zwei eigens für diesen Kirchenführer angefer-
            rotz ihrer exponierten Lage auf einem natürlichen         tigte Rekonstruktionszeichnungen erstellen. Damit ist das
            Sandberg ist die Holler St.-Dionysius-Kirche ein          immerhin 40 Seiten umfassende Werk nicht nur ein guter Ein-
eher verstecktes Schmuckstück. Von der Holler Landstraße              blick für alle, die sich vorab oder während eines Besuches
kommend, müssen Besucher aufmerksam auf den Wegweiser                 des Kirchengebäudes informieren wollen, sondern präsentiert
achten, um zu diesem schönen Bauwerk zu gelangen, denn                auch den mit dem Projekt einhergegangenen neuesten
es liegt weit zwischen den Feldern und von einem Sicht-               Stand der Forschung. Kunsthistorisch fundiert und dabei gut
schutz aus Linden umgeben. Doch ein Besuch lohnt sich auf             verständlich werden auch die noch vorhandenen besonde-
jeden Fall. Das macht der am 2. Juni 2021 erschienene Kir-            ren Ausstattungstücke vorgestellt: Die Kanzel des berühmten
chenführer aus der Reihe „Kirchen im Oldenburger Land“                Bildschnitzers Ludwig Münstermann von 1637 und der so-
deutlich.                                                             genannte Blutaltar von 1702.
  Kompakt und übersichtlich trugen die Autoren Achim                     So wie die bereits in der Reihe erschienenen Broschüren
Knöfel, Siegfried Hoffmann und Udo Dreyer dafür alle be-              über die Kirchen in Berne, Kirchhatten und Wiefelstede ist
kannten Informationen sowie auch neue Erkenntnisse zur                auch der Kirchenführer Holle für 4 Euro sowohl beim Isensee
Baugeschichte zusammen. Der Fotograf Rolf Christoph Nahr-             Verlag als auch in der Kirche beziehungsweise bei der Kir-
gang verhalf der Broschüre mit vielen aktuellen Aufnahmen             chengemeinde direkt erhältlich. Der nächste gedruckte Kirchen-
zu einem ansprechenden und einladenden Erscheinungsbild.              führer befindet sich bereits im Entstehungsprozess und
Die Oldenburgische Landschaft unterstützte die Kirchen­               behandelt die St.-Secundus-Kirche in Schwei in der Weser-
gemeinde neben einer begleitenden Beratung auch mit einer             marsch.
Fördersumme von 500 Euro bei der Umsetzung des Publika-                  Die Oldenburgische Landschaft unterstützt die Reihe der
tionsprojektes.                                                       Kirchenführer mit Konzept, Layoutvorlage und Beratung.
  Heimatforscher und Kirchenführer Siegfried Hoffmann
wohnt bereits seit vielen Jahren in Holle-Wüsting, ganz               St. Dionysius Holle, Isensee Verlag, Oldenburg 2021, 40 Seiten,
im Norden des Landkreises Oldenburg. Aus seiner reichen               Softcover, Paperback, ISBN 978-3-7308-1770-4, Preis: 4 Euro.

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Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
In memoriam:

Friedrich Hübner

D            er ehemalige Kultur- und Sozialde-
             zernent der Stadt Delmenhorst, Stadt­
             rat a. D. Friedrich Hübner, ist am
27. Juni 2021 im Alter von 78 Jahren überraschend
verstorben.
                                                                  verein umsetzte, gehörten unter anderem die Auf-
                                                                  stellung von Bronzemodellen der Delmenhorster
                                                                  Burg und des Rathaus-Ensembles im öffentli-
                                                                  chen Raum oder die Fortführung der Delmen-
                                                                  horster Schriften. Stark gemacht hat er sich                      Foto: privat
   Friedrich Hübner war bis 2006 als Stadtrat                     außerdem für ein touristisches Leitsys­tem zur
bei der Stadt Delmenhorst für Schule, Sport, Ju-                  Industriegeschichte seiner Heimatstadt. Eng hiermit verbunden war sein
gend, Soziales und Kultur zuständig. In dieser                    Engagement für die Errichtung einer Skulptur einer Textilarbeiterin, die
Verantwortung hat er Mitte der 1990er-Jahre                       symbolisch für den Frauenort Delmenhorst stehen soll. Mit Nachdruck
unter anderem maßgeblich die Gründung der                         unterstützte Hübner schließlich ebenso die Bemühungen, die Grafeng-
Museen auf der Nordwolle begleitet.                               ruft in der Stadtkirche zugänglicher und repräsentativer zu gestalten.
   Nach dem Eintritt in den Ruhestand blieb er im                    Als Vorsitzender des Heimatvereines, der ihm ganz besonders am Her-
Rahmen eines bemerkenswerten ehrenamtli­                          zen lag, hat er in jüngster Zeit anlässlich des 650-jährigen Stadtrechte­
chen Engagements eine prägende Persönlichkeit                     jubiläums von Delmenhorst ein themenbezogenes Jahrbuch hierzu auf den
für die Kultur seiner Vaterstadt. In verschiede­                  Weg gebracht sowie eine Vortragsreihe, und er war wichtiger Impuls-
nen kulturell ausgerichteten Vereinen hatte er                    geber für die Übertragung der Stadtrechteurkunde in moderne deutsche
über viele Jahre den Vorsitz inne. So war er von                  Sprache.
2009 bis 2017 Vorsitzender des Freundeskreises                       Gerade in den letzten Monaten hat er sich noch für eine Reihe von Kul-
Haus Coburg. Ab 2017 hatte er den Vorsitz des                     turveranstaltungen unter Coronabedingungen eingesetzt. Friedrich Hübner
Förderkreises Industriemuseum Delmenhorst und                     hat seine Projekte immer mit freundlicher Hartnäckigkeit erfolgreich
des Heimatvereins übernommen, dessen Jahr-                        zum Ziel gebracht. Mit ihm verliert Delmenhorst einen prägenden Gestalter
bücher er zuvor schon seit Längerem als Redak-                    der städtischen Kulturlandschaft.
teur betreute. Zu den zahlreichen Projekten, die
er im Rahmen seiner Tätigkeit für den Heimat-                     Dr. Carsten Jöhnk

Izabela Mittwollen: Tatendrang

Eindrücke der Ausstellung „Tatendrang“ in der Kulturhalle am Pferdemarkt Oldenburg vom 1. bis 20. Juni 2021 mit der Künstlerin Izabela Mittwollen. Der dazu­
gehörige Bildband wird auf Seite 49 vorgestellt._Fotos: Elke Syassen

                                                                                                                                         kulturland 3.21       |7
Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
BALLETTSCHULE tanzt weiter
Tanzakademie am Meer in Wilhelmshaven in der Corona-Krise erfinderisch
Von Friedhelm Müller-Düring

                         it Spitzenschuhen oder Schläppchen,        Eilks, künstlerische Leiterin des Ballettstudios.
                         gekleidet in einem Tutu aus weißem            Eilks und ihre beide Mitstreiterinnen Sarah Helmy (Ballett-
                         Tüll, die Haare zu einem strengen Dutt     pädagogin) und Helene von Wedel (Pilates-Trainerin) ließen
                         gebunden. Welche Zuschau­erin oder         sich allerdings nicht entmutigen, sondern setzten alle Hebel
                          welcher Zuschauer ist nicht fasziniert,   in Bewegung, auch weiterhin Unterricht geben zu können.
                          wenn klassische Balletttänzerinnen        So waren die Tanzakademie am Meer gemeinsam mit ihrer
mit ihrem Auftreten, ihrer Eleganz und ihrem Anmut den Saal         Partnerschule CODA - Centre of Dance Arts in Köln die ein-
oder die Bühne erfüllen. Die Zeit, als die Primaballerinen          zigen Ballettschulen Deutschlands, die im Dezember vergan­
das Publikum mit ihrer Leichtigkeit und Weiblichkeit verzau­        genen Jahres noch einmal Live-Prüfungen der Royal Acade­
berten, ist seit gut einem Jahr ebenfalls in Wilhelmshaven          my of Dance in London absolvieren durften. Zwölf Schülerin­nen
vorbei. Die Corona-Krise hat auch die Tanzakademie am Meer          und Schüler konnten ein berufsvorbereitendes Examen er-
in der Virchowstraße mitten ins Herz getroffen. „Wir mussten        folgreich abschließen. „Tanz gehört auf die Bühne“, betont
alle 20 geplanten Veranstaltungen absagen“, sagt Christine          Eilks.

 8   | kulturland 3.21
In der Corona-Zeit wurden zudem die beiden Ballettsäle
                                                               auf Vordermann gebracht. Finanziell unterstützt durch die
                                                               Oldenburgische Landschaft und durch das Bundesprogramm
                                                               „Neustart Kultur“ wurden neue Böden durch Fachfirmen
                                                               verlegt. „Wir sind im letzten Jahr großzügig gefördert worden.
                                                               Das war ein großer Segen für uns“, freut sich Eilks, die eben-
                                                               falls mit ihren Trainerkolleginnen mit anpackte und den Räu-
                                                               men unter anderem einen neuen Anstrich verpasste.
                                                                  Gegründet wurde das Ballettstudio im Jahr 1947 von Inge
                                                               Stoffers in der Parkstraße 6. Die im Krieg zerstörte zweite
                                                               Etage des Hauses wurde für diese Zwecke ausgebaut. Die
                                                               Wilhelmshavenerin, die in Berlin ausgebildet worden war,
                                                               kam nach dem Kriegsende in ihre Heimatstadt zurück und
                                                               eröffnete die Ballettschule unter schwierigen Nachkriegs­
                                                               bedingungen. Seit 1970 befindet sich die Ballettschule in der
                                                               Virchowstraße 35. Die ersten in dieser Schule ausgebildeten
                                                               Tänzerinnen bildeten das Reiseballett „Preciosa“, das von
                                                               1951 bis 1962 in vielen Städten Westeuropas gastierte. Die
                                                               Gastspielreisen der acht jungen Wilhelmshavener Tänzerin­
                                                               nen wurden von Else und Werner Stoffers, den Eltern von
                                                               Inge Stoffers, geleitet.
                                                                  Über 50 Jahre hat Inge Stoffers mit ihrer Ballettschule das
                                                               kulturelle Leben in Wilhelmshaven entscheidend mitgeprägt.
                                                               Sie führte 1978 das System der Royal Academy of Dance (RAD)
                                                               in ihre Schule ein. Mit mittlerweile über 13.000 Mitgliedern
                                                               in 89 Ländern ist die Royal Academy of Dance eine der größten
                                                               und einflussreichsten Organisationen für Tanzausbildung
                                                               weltweit. Unter anderem setzen ihre Prüfungen Maßstäbe im
                                                               klassischen Ballett. 1998 wurde unter Mitwirkung von Inge
                                                               Stoffers die Tanz­akademie am Meer als gemeinnützige Gesell-
                                                               schaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) gegründet. Sie
                                                               übernahm am 1. Januar 2000 die Fortführung des Ballettstudios
                                                               unter der künstlerischen Leitung von Ian Owen. Geboren und

   In Abstimmung mit dem Ordnungsamt, dem Gesundheits-
amt und einem Arzt wurden Möglichkeiten erörtert und ge-
schaffen, wie die Schülerinnen und Schüler unter Einhaltung
aller Corona-Regelungen im Ballettstudio unterrichtet wer-
den können. Unterricht wird auf zwei Ebenen erteilt. „Es ist   Oben links: Wer es im klas-      Oben: Die Dozentinnen der
von uns so organisiert, dass wir uns im Ballettstudio nicht    sischen Ballett zu etwas brin-   Ballettschule am Meer in
                                                               gen will, muss Talent, Fleiß     Wilhelmshaven (von links):
einmal begegnen“, sagt Eilks. Neben dem Einzelunterricht in    und Enthusiasmus mitbringen.     Helen von Wedel, Christine
den zwei Tanzsälen bietet das Ballettstudio sogenannten                                         Eilks und Sarah Helmy mit
Fernunterricht an. Per Videos auf YouTube, die vom Trainer-                                     einer Gruppe der fortgeschrit-
                                                                                                tenen Schülerinnen._Fotos:
team mit unterschiedlichen Inhalten und Schwierigkeits-
                                                                                                Friedhelm Müller-Düring
graden erstellt werden, können die Ballettschülerinnen und
-schüler dann zu Hause üben. Über die App Zoom wird zudem
Training per Videokonferenz angeboten.

                                                                                                                      kulturland 3.21   |9
aufgewachsen in Wales, absolvierte er mit zwölf Jahren eine
Ausbildung an der Royal Ballet School in London. Nach einer
Karriere als Profitänzer ließ Owen sich an der Royal Academy
of Dance zum Ballettpädagogen umschulen. Nach Stationen
in Frankfurt, Bonn und München lernte er 1986 Inge Stoffers
kennen, die ihm das Angebot machte, das Ballettstudio
Stoffers zu übernehmen. Aber erst elf Jahre später zog der
Brite nach Wilhelmshaven und führte die Tanzschule.
   Vor vier Jahren übernahm Christine Eilks die künstlerisch-
pädagogische Leitung der Tanz­akademie am Meer. In Sande
(Landkreis Friesland) geboren und in Münster wohnend,
kannte Eilks Ian Owen bereits aus ihrer Jugendzeit. „Zusam-
men haben wir viele spannende Sachen in Wilhelmshaven
gemacht“, erinnert sich Eilks, die Anfang der 90er-Jahre das
Certificate and Diploma in Teaching der Royal Academy of
Dance absolvierte. An der Westfälischen-Wilhelms-Universi-
tät Münster studierte sie Germanistik, Philosophie, Theolo­
gie und Pädagogik. Neben ihrer Aufgabe in der Jadestadt unter-
richtet die freie Ballettpädagogin auch im Centre of Dance
Arts in Köln, die Partnerschule der Wil­helms­havener.
   Ziel der Tanzakademie am Meer ist auch unter der Leitung
von Christine Eilks die Sicherung des hohen Standards der
Ballettausbildung und die Ausweitung des Angebotes der tän­
zerischen Ausbildung. Die zurzeit 180 Schülerinnen und
Schüler dürfen sich auf einen intensiven und manchmal auch
anstrengenden Ballettunterricht mit vielen Höhepunkten
freuen. Neben vielen Darstellungen im benachbarten Stadt­
theater Wilhelmshaven oder auf Schloss Gödens trat die
Tanzakademie am Meer zusammen mit den Blechbläsern der
Jungen Norddeutschen Philharmonie am 1. September 2019
zum 80. Jahrestag der deutschen Kriegserklärung, 1939, auf.      Tim Morgenstern erhielt 2018
Auf dem Freigelände des Deutschen Marinemuseums, zwi-            den Förderpreis der Olden-
                                                                 burgischen Landschaft._Foto:
schen den Kriegsschiffen, präsentierten die jungen Tänzerin­     Johan Persson
nen und Musiker ein abwechslungsreiches Wandelkonzert.
Im gleichen Jahr begeisterten die Schülerinnen und Schüler der
Tanz­akademie das Publikum mit einer besonderen Stadtfüh-
rung. Zum 150. Stadtjubiläum Wilhelmshavens wurden in einer      schließlich für die Elmhurst Ballet School in Birmingham
Art Wandelgang ausgewählte Punkte in der Südstadt wie            (England), wo er seit September 2018 studierte und gerade
beispielsweise Küstenmuseum, Christus- und Garnisonkirche,       seine Ausbildung mit großem Erfolg beendet hat. Im August
Adalbertplatz, Synagogenplatz und Kunsthalle besucht. In         führt ihn sein Weg an die Nationaloper Estonia in Tallinn
einer außergewöhnlichen Form der Geschichtsvermittlung           (Estland). Von der Oldenburgischen Landschaft erhielt Tim
wurden historische Erläuterungen mit tänzerischen und            Morgenstern 2018 den Förderpreis.
darstellerischen Umsetzungen der Geschichte kombiniert.             Glücklich ist die Tanzakademie, dass sie seit dem 1. Juni
„Das hat allen größte Freude bereitet“, sagt Eilks.              wieder Präsenzunterricht geben darf – in Kleingruppen zwar,
  „Wer es im klassischen Ballett zu etwas bringen will, muss     um jedes Risiko zu vermeiden, doch mit umso mehr Energie.
Talent, Fleiß und Enthusiasmus mitbringen“, betont Eilks.        Die für Juni geplante Vorstellung im Stadttheater war noch
Der Konkurrenzdruck durch die Internationalität sei enorm.       nicht möglich, doch der Juni 2022 ist bereits fest gebucht. In
Man müsse das physisch und mental schaffen können. Einer,        einem Sommer-Workshop „Tanz und Schule“ wird die
der es geschafft hat, ist Tim Morgenstern. Der Wilhelmshave­     Ferienzeit genutzt, um gemeinsam schulische Lücken auf-
ner begann im Alter von sieben Jahren mit seiner tänzeri­        zuarbeiten, die die Corona-Zeit entstehen ließ. Das Team
schen Ausbildung. Unter der Anleitung von Ian Owen und           ist vielseitig, die Großen helfen den Kleinen, es wird gemein-
Christine Eilks verfolgte der mittlerweile 20-Jährige sein       sam gegessen und natürlich getanzt. „Wir können zum er-
Berufsziel professioneller Tänzer engagiert und diszipliniert.   sten Mal nach vielen Monaten wieder ein kleines Programm
„Tim war täglich hier“, so Eilks. Zwischen 2010 und 2017         zusammenstellen, das im September bei der Landpartie
bestand er alle Prüfungen an der Royal Academy of Dance mit      auf Schloss Gödens gezeigt wird – ein großes Highlight und
Auszeichnung. Gleich vier Ballettschulen hätten Morgenstern      riesi­ge Freude für alle Beteiligten. Wieder selbst kreativ zu
nach dem Vortanzen gerne aufgenommen. Er entschied sich          werden, ist ein großer Reiz“, sagt Eilks.

  10   | kulturland 3.21
Wat mööt wi doon,
WENN DAT BRENNT?
Brandschutzmaterial auf Plattdeutsch und
                                                                                     ­
                                                                            FÖRDER ER
Saterfriesisch für die Schulen erschienen                                  PROJE K T D
                                                                                       EN
                                                                                 URGISCH
                                                                           OLDENB             Von links: Stefan Meyer (Oldenburgische
                                                                                    HAFT
                                                                              LANDSC          Landschaft), Jan-Bernd Burhop (Öffentliche
Von Stefan Meyer
                                                                                              Versicherung), Dr. Michael Brandt (Oldenbur-
                                                                                              gische Landschaft) präsentieren die neuen
                                                                                              Schulmaterialien zum Thema Brandschutz._
                                                                                              Foto: Siebert, Oldenburgische Landschaft
        euer gibt den Menschen         werden kann. Denn wo flink is dor en Malöör
        Wärme und Licht, hilft         passeert, wenn in dat Book de lütt Philipp to sien     Dat Material för Plattdüütsch
        beim Zubereiten der Nah-       Geburtsdag en Keers anmaken will?                      is över de Ollnborgsche Landskup
        rung und hat auch mit dem        De Warkkoppel „Platt is cool“ van de Land­           to betreken:
im Juli in Tokio entzündeten Olym­     skupsverbännen in Neddersassen un dat Regional­        Stefan Meyer
pi­schen Feuer eine hohe sym­boli­     amt für Schule und Bildung hebbt dat Thema             Wissenschaftlicher Referent für
sche Wirkung für den Menschen.         upgrepen un wullt dat Thema Brandschutz un             Niederdeutsch und Saterfriesisch
  Man siet Jahrn brennt de Wälders     Plattdüütsch/Saterfresk mit’nanner verbinnen           meyer@oldenburgische-
in Kalifornien un jüst staht ganze     un in de Scholen bringen. Dat lütt Book is över-       landschaft.de
Kuntreien in Griechenland un de        sett wurrn un heet nu „Philipp un sien Rook­           0441.779 18 19
Türkei in Flammen. Dat Füer fritt      engel“. Dorto gifft dat en Lernkarton in twee
allns un trügg blifft Asch un Stoff.   Spraken (Plattdeutsch beziehungsweise Sater-           Dat Material up Saterfresk is bi de
De Minsch mööt för sien Leven          friesisch – Hochdeutsch) wo man nich blots de          Gemeen Seelterlound to kriegen:
bangen ween. Wi brukt also de recht    Vokabeln up Platt/Saterfresk lehrn kann. De Schö-      Henk Wolf
Ümgang mit Füer. Denn so licht         lers ward ok wies, wat to doon is, wenn dat            Wissenschaftlicher Beauftragter
kann ok in us egen Hus ut en lütt      brennen deit. „Leven redden – Füer utmaken –           für das Saterfriesische
Füer en Inferno weern.                 Saken bargen – sik gegen Unglück wohren“               (Seelterfräiskbeapdraagde)
                                       steiht denn ok baven up de Lehrkarton up.              wolf@saterland.de
                                          Wenn in de School en Füer utbreken deit, denn       04498. 940 100
                                       weet jed­een wat to doon is, de sik vördem dat
                                       Brandschutzplakat ankeken hett: Kolen Kopp
                                       bewahren, Füermelder bruken un de Füerwehr
                                       anpingeln. Denn „Pika weet Bescheed!“. Dat Pla-       noch de Spraak lehrn köönt. Ok hier
                                       kat is ok up twee Spraken druckt un kann överall      wiesen us Heimatspraken, dat se
                                       in de Klassenrüümte oder anner öffentlich Hüüs        wiss un wahr för ernsthaftig Themen
                                       uphun­gen weern.                                      hellerbest to bruken sind!
                                          Wenn Füer nich mehr bitokamen is, denn is             An’n 3. Augustmaand is tosamen
                                       dat en Gefahr. Dat Füer ok en Segen                                   mit Herrn Jan-Bernd
                                       för de Minsch ween kann, weet wi,                                     Burhop van de Landes­
                                       wenn wi „för wat brennt“. Dat wiest                                   brandkasse der Öffent­
  Um eine frühe Aufklärung der         us de Postkaart, de tosamen mit                                       lichen Versicherungen,
Brandprävention zu gewährleisten,      dat Material maakt wurrn is. „Ik bün                                 „Philipp un sien Rook-
haben die Landesbrandkassen in         Füer un Flamm för Platt!“ steiht                                      engel“ bi de Ollnborg-
Niedersachsen einen innovativen        dor up. Un dor hebbt wi ok de Nagel                                   sche Land­skup vörstellt
Ansatz gewählt, bereits Kinder und     up’n Kopp drapen, wat de Warkkoppel „Platt is         wurrn. As Brandschutzbeupdragten
Jugendliche für das Thema Brand-       cool“ egens wull. Dat Kinner un Junglüe sik för       mit en Hart för Plattdüütsch liggt
schutz zu sensibilisieren. Mit „Phi-   us Regional- un Minnerheitenspraken mehr in-          Herrn Burhop de Verbinnen twü­
lipp und sein Rauchengel“ ist ein       teresseert, de lehrt un ok in’n Alldag bruken. Mit   schen Spraak un Brandprävention
kleines Büchlein entstanden, das       „Philipp un sien Rookengel“, Lernkartons, Brand­      düchtig an’t Hart. Mit de Koopera-
aufzeigt, wie schnell es zu Hause      schutzplakaten un en Postkaart gifft dat nu Ma­te­    tion un de Stütt van de Landes­brand­
zu einem Brandunglück kommen           rial up Platt un Saterfresk för de Scholen, wo de     kassen in Neddersassen freit sik
und was bereits im Vorfeld an ein-     Kinner över de Method van’n Immersionsünner-          „Platt is cool“, dat wi neie Part­ners
fachen Schutzmaßnahmen getan           richt bi en Ut’nannersetten mit en Thema ok           för neie Padden funnen hebbt.

                                                                                                                 kulturland 3.21    | 11
RITUALE
der Jugendkultur
Ausstellung im
Oldenburger Münsterland
Von Wolfgang Stelljes (Text und Fotos)

                                                         ­
                                              FÖRDER ER
                                                O JE K T D
                                             PR            CHEN
                                                   URGIS
                                             OLDENB
                                                      HAFT
                                                LANDSC

Feste feiern
Welche Rituale prägen das Leben von jungen Leuten, speziell
in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta? Dieser Frage ist
Malaika Winzheim im Rahmen ihres Volontariats am Kultur­
anthropologischen Institut des Oldenburger Münsterlandes
nachgegangen. Die Ergebnisse präsentiert sie auf einer Fläche
von gut 60 Quadratmetern im Museumsdorf Cloppenburg.
Die Sonderausstellung „Zusammen ist man nicht allein – wie
junge Menschen feiern“ ist mindestens bis Ende November
zu sehen.
  Am Anfang des kleinen Rundgangs steht der Abtanzball,
ein „Übergangsritual an der Schwelle zum Erwachsenenwer-
den“ im Alter von 14 oder 15 Jahren. Der Tanzkurs ist absol-
viert, Walzer und Foxtrott gelingen einigermaßen, die Frisur
sitzt. „Die meisten Mädchen tragen zum ersten Mal ein
schickes Kleid und hohe Schuhe.“ Zwei dieser schicken Klei­
der wurden zu Ausstellungsobjekten. Viele Jugendliche trin-
ken an diesem Abend auch ihr erstes Glas Bier oder Sekt, sagt
Winzheim.
  Keine zwei Jahre später bietet der 16. Geburtstag erneut
Anlass für ein Ritual, auf das manch junger Mensch vielleicht
sogar ganz gern verzichten würde: das Einmehlen. Ein Foto
zeigt, wie eine junge Frau auf dem Schulhof abgefangen und
mit Mehl überschüttet wird. Mitunter werden auch ein paar
Eier und klebrige Flüssigkeiten hinzugegeben, sagt Winzheim.
Es gibt inzwischen Schulordnungen, die derartige Aktio­nen
untersagen, die „Reifeprüfung“ verlagert sich deshalb immer
mehr in den privaten Bereich. Was der Freundeskreis
ansons­ten über das Geburtstagskind denkt, kann man mit-
unter großen Schildern oder Bannern entnehmen, die – oft
auch zum 18. Geburtstag – gut sichtbar vor dem Wohnhaus
aufgestellt werden.

 12   | kulturland 3.21
Linke Seite: Eine Packung   Oben: Gesammelte Abi-            Unten: Am Rande eines
Mehl, zweckentfremdet       tur-Zeitschriften aus mehreren   Abtanzballs: Irgendwann wer-
beim 16. Geburtstag eines   Jahrzehnten.                     den sie lästig, diese neuen
Mädchens in der Gemeinde                                     Schuhe.
Emstek.

Zwischen Schule und Schachtelkranz
Das nächste Ritual im Leben junger Menschen ist untrennbar verbunden
mit der Schule. Mit ihr endet ein zentraler Lebensabschnitt. Schulabschluss­
bräuche sind „am krassesten“ an Gymnasien ausgeprägt, sagt Winzheim,
Stichwort „Mottowoche“, bei der sich alle möglichst fantasievoll verklei-
den, Stichwort „Binnenblockade“, bei der Lehrer auf ihrem Weg zum Un-
terricht ungewohnte Hindernisse überwinden müssen. Der Abschlussball
ist dann ein neuerlicher Anlass, sich in besonderer Weise zurechtzuma-
chen. „Was ziehe ich an?“, diese Frage beschäftigt die Abiturientinnen
und Abiturienten Wochen und Monate vorher. Die Garderobe wird heute
teils im Internet bestellt, das war zu ihren Zeiten noch anders, sagt Winz-
heim – die 32-Jährige hat 2008 ihr Abi gemacht.

                                                                kulturland 3.21   | 13
Ausgewähte Fotos dokumen-       Windeln an einer Wäsche­
                                                                                tieren: An Anlässen für eine    leine: In der Regel erfährt die
                                                                                Feier mangelt es im Oldenbur-   Nachbarschaft den Namen
                                                                                ger Münsterland nicht.          und das Gewicht des neuen
                                                                                                                Erdenbürgers.

   Neben Ritualen, die eng an biografische Ereignisse gekop-       gegangen ist. Ähnliche Kranz-Bräuche gibt es im Emsland
pelt sind, prägen saisonale Bräuche das Leben junger Men-          und Ostfriesland, teils auch mit alten Socken. Ein weiterer
schen in ländlichen Regionen. Winzheim hat Fotos auf einer         „Rügebrauch“ ist das Treppenfegen am 30. Geburtstag, erst-
Wand versammelt, die die Bedeutung sozialer Gruppen, allen         mals dokumentiert 1956 in Bremen. Das Pendant für Frauen
voran der Landjugend, illustrieren. Gemeinsam richtet man          lautet: Klinkenputzen.
das Osterfeuer aus, setzt den Pfingstbaum oder baut Stroh-
puppen zu Erntedank.                                               Das Ende der Jugend
   Einen Pfingstbaum vor die Tür gesetzt zu bekommen, da-          Wir nähern uns der Ehe und Familiengründung und damit
mit müssen ledige Frauen jedes Jahr rechnen. Unverheira-           dem Ende der Jugend. Seit den 1990er-Jahren feiert man am
teten Männern widerfährt diese Aufmerksamkeit lediglich in         Vorabend der Ehe immer häufiger den Junggesellenabschied,
Schaltjahren. Fast mutet es an wie ein Probelauf für das, was      er hat mehr und mehr den Polterabend abgelöst. Dabei werden
am 25. Geburtstag geschieht, sollte sich bis dahin der Familien-   im Oldenburger Münsterland ganz besondere Riten vollzo-
stand nicht geändert haben. Denn dann erhalten unverheira-         gen: Der angehende Bräutigam verbrennt seine Hose, die Braut
tete junge Frauen für alle Welt sichtbar einen Schachtelkranz      ihren BH. Die Asche wird in einem kleinen Sarg verbuddelt.
und unverheiratete Männer einen Flaschenkranz. Zwei Bei-           Mitunter wird auch ein Gebet gesprochen, angelehnt an das
spiele hängen in der Ausstellung. Winzheim wollte zeigen,          Vaterunser, „bekannte sakarale Muster“, auf die bei diesem
„was das für Monster sind“, meterlang. Das Geburtstagskind         „Übergangsritual“ zurückgegriffen wird, so Winzheim.
muss an diesem Kranz entlanggehen, das sogenannte „Kranz-             Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung steht eine
abtreten“, und dabei Fragen beantworten oder Aufgaben              kleine „Vorgarten-Inszenierung“. Mittendrin ein hölzerner
lösen. Ein von den Gästen verfasstes Gedicht fasst mehr oder       Storch, die Leihgabe einer Clique, „die brauchten den aktuell
weniger erfreuliche Stationen des bisherigen Lebens zusam-         nicht“. Er kündet vom Nachwuchs in einer Familie, genauso
men, mal humorvoll, mal auch derb. Eine abendfüllende Ver-         wie die Wäscheleine mit den Windeln. Manchmal stehen auf
anstaltung, bei der – fast überflüssig zu erwähnen – auch          einem Grundstück auch mehrere Störche, sagt Winzheim,
das eine oder andere alkoholische Getränk konsumiert wird.         einmal hat sie gleich acht gezählt. Was für den Storch gilt, gilt
Bis in die 1970er-Jahre ging mit diesem „Rügebrauch“ tat-          auch für den Kilmerstuten: Auch hier kommen mitunter
sächlich auch eine gesellschaftliche Erwartung einher. „Das        mehrere zusammen. Freunde, Verwandte, Kollegen, Nach-
wird aber nicht mehr so eng gesehen“, sagt Winzheim, allein        barn – die unterschiedlichen sozialen Gruppen überbringen
schon, weil das Eheeintrittsalter immer weiter nach hinten         den jungen Eltern nach der Geburt eines Kindes einen großen
                                                                   Stuten auf einer Leiter – eine alte Tradition, die auch unter
                                                                   jungen Leuten fortlebt.

 14   | kulturland 3.21
Malaika Winzheim, 32, stammt aus Kaarst, nicht
weit weg von Neuss, einer Stadt, „die bekannt ist
für ihr Schützenfest“. Seit Januar 2020 ist sie wis-
senschaftliche Volontärin am Kulturanthropolo-
gischen Institut für das Oldenburger Münsterland.
Im Rahmen dieses Volontariats hat sie die aktu-
elle Sonder­ausstellung zur Jugendkultur erarbeitet.
Wolfgang Stelljes hat mit ihr gesprochen.

Vom Niederrhein ins Oldenburger        Dazu zählt definitiv der Kilmerstuten. Dass an-
Münsterland – muten manche             lässlich der Geburt eines Kindes ein Brot auf
der hier gepflegten Rituale nicht      einer Leiter durch die Gegend getragen wird, das
befremdlich an?                        kennt man nur hier. Ein weiteres Beispiel ist         Die Ergebnisse ihrer Recherchen
Befremdlich würde ich nicht sagen.     sicher auch das Einmehlen, das lässt sich recht       hat Malaika Winzheim in einem
Es ist anders. Den Schachtelkranz      klar auf die Region eingrenzen, mit ein paar          Begleitband zur Sonderausstel-
kannte ich zum Beispiel schon von      Ausläufern Richtung Norden.                           lung zusammengefasst:
Verwandten aus Bayern, da hat das
aber nicht diese Ausmaße. Und als      Bei einem Schützenfest – kann man da von              Zusammen ist man nicht allein – wie
es hier am Anfang hieß, du musst       Jugendkultur sprechen?                                junge Menschen feiern
zum Einmehlen, da dachte ich, ich      Viele Jugendliche sind im Schützenverein aktiv.       Schriftenreihe zur Alltagskultur im
werde veräppelt. Ich war dann live     Und es ist nicht nur das Schützenfest. Man übt        Oldenburger Münsterland, Band 1,
dabei. Da wurden einer jungen Frau     den Schießsport gemeinsam aus, macht Ausflü-          herausgegeben von Christine Aka
bestimmt sechs oder sieben Pa-         ge. Es ist nicht spezifisch jugendlich, es ist eine   Verlag: Museumsdorf Cloppenburg
ckungen Mehl über den Kopf ge-         Mischform. Natürlich gehen die jungen Leute           ISBN 978-3-938061-44-2
schüttet, ein Ereignis von etwa fünf   auch gern aufs Schützenfest, um zu feiern. Man        143 Seiten
Minuten. Die musste erstmal du-        kann fast jedes Wochenende auf ein anderes            12,90 Euro
schen.                                 Schützenfest gehen. Und auch die Schützenfeste
                                       wollen junges Publikum und engagieren DJs. Die
Ein eher junges Ritual ...             jungen Leute überlegen: Fahr ich mit dem Bus
Ja, Anfang der 2000er-Jahre tauch-     in die Stadt und gehe in die Disko oder fahre mit
ten die ersten YouTube-Videos und      dem Rad zum Schützenfest?                             Gehen auch Rituale verloren?
Forenbeiträge auf. Da fing man an,                                                           Ja, der Polterabend, wenn auch
es im Internet zu teilen.              Ist der Alkohol dabei eine heimliche Klammer?         noch nicht vollends. Der Junggesel-
                                       Ich würde sagen: Alkohol ist nicht der Grund,         lenabschied wird immer beliebter,
Was war für Sie die größte             um zusammenzukommen. Für viele ist Alkohol            auch weil es ein anderer Rahmen
Heraus­forderung?                      der Inbegriff von Festlichkeit. Und gerade in der     ist. Da kommt nur ein kleiner, aus-
Dass es bei einigen Themen keine       Jugendzeit ist es normal, sich auszuprobieren.        gewählter Kreis. Und die Ausgestal-
wissenschaftliche Aufarbeitung         Das gehört zu den Aushandlungsprozessen, das          tung ist sehr individuell. Da gibt es
gibt. Das Treppenfegen ist in der      verbindet man mit dem Erwachsenwerden. Viel           viele Möglichkeiten. Das wollen die
Kulturanthropologie, früher Volks-     wichtiger sind die gemeinschaftlichen Prozesse.       jungen Leute. Beim Polterabend ist
kunde, schon diverse Male unter-                                                             der Ablauf klassisch.
sucht worden. Dagegen habe ich für     Die von Ihnen sehr betont werden ...
das Verbrennen von BHs keinerlei       Ja, das ist das Wichtigste. Rituale und Bräuche
wissenschaftliche Quellen gefun-       verbinden die Menschen, schaffen auch ein Hei-
den. Ich habe Hypothesen aufge-        matgefühl. Beispiel Kilmerstuten – die Leute
stellt und versucht, diese durch In-   machen das, weil es das hier gibt – und nur hier
terviews zu verifizieren.              gibt. Außerdem gibt es in der Region ein sehr
                                       ausgeprägtes Vereinswesen. Und es gibt eine
Gibt es Bräuche und Rituale, die       sehr starke Landjugend. Hier hat wirklich jeder
nur im Oldenburger Münsterland         Ort eine eigene Landjugend. Es ist geradezu re-
gepflegt werden?                       gionalspezifisch, dass man als junger Mensch in
                                       der Landjugend ist.

                                                                                                             kulturland 3.21   | 15
­
                                                                                                                    FÖRDER ER

MEHR RAUM
                                                                                                                       JE K T D
                                                                                                                   PRO          HEN
                                                                                                                         URGISC
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                                                                                                                            HAFT
                                                                                                                      LANDSC

für Präsentation industrieller Sachkultur
Erweiterungsbau des Industriemuseums in Lohne
Von Benno Dräger

              n Grimms Märchen Dornröschen kommt es auf          dratmetern jeweils eine Loh­ner Industriebranche in Wechsel­
              den richtigen Zeitpunkt an, die Dornenhecke        ausstellung zeigen konnte. Auf Rat von Prof. Dr. Helmut
              zu durchdringen. Alle Versuche zu einem verfrüh­   Ottenjann vom Museumsdorf Cloppenburg hatte man sich
              ten Zeitpunkt scheitern. Dann gibt die Dornen-     entschlossen, ein Spartenmuseum als Gedächtnis der indus-
              hecke den Weg zum selbstgewählten Zeitpunkt        triellen Sachkultur der Region zu gründen. Das entsprach
              von selbst frei. So ähnlich scheint es bei dem     dem Motto Lohnes als „Stadt der Spe­zialindustrien“. Lohne
              großen Projekt der Erweiterung des Lohner In-      konnte nämlich schon 1801 mit der Her­stellung von Schreib-
              dustriemuseums auch im Jahre 2019 zugegan-         federn aus Gänsekielen eine proto­industrielle Entwicklung
              gen zu sein.                                       vorweisen. Mit den Leitbranchen Tabakverarbeitung, Korken-
                                                                 herstellung sowie Pinsel- und Bürs­tenproduktion mussten
                                                                 aus Lohne im 19. Jahrhundert sig­nifikant weniger Menschen
                                                                 als in anderen Gemeinden Süd­oldenburgs aus wirtschaft-
                                                                 licher Not den Weg der Auswanderung wählen.
                                                                   Nachdem die Skeptiker von der Sinnhaftigkeit eines Mu-
                                                                 seums in Lohne durch viele interessante Aus­stel­lun­gen über-
                                                                 zeugt werden konnten, durfte die Frage nach einer größeren
                                                                 Räumlichkeit gestellt werden. Die Analyse aus dem Jahr 1988
                                                                 von Prof. Dr. Helmut Ottenjann hatte schon für die Vielfalt
                                                                 der Lohner Produktionspalette eine Raumgröße von 1.700
                                                                 Quadratmetern vorgesehen. Aufgrund von großzügigen
                                                                 Spenden aus der Lohner Industrie und der Förderung durch
                                                                 die Stadt Lohne konnte im Jahr 1998 der Grundstein für ei-
                                                                 nen Neubau in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gesetzt und
                                                                 2001 mit ca. 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ein
                                                                 funktional überzeugendes Gebäude errichtet werden. Das
                                                                 Gelände, das der Stiftung Industrie Museum Lohne von der
                                                                 Stadt zur Verfügung gestellt wurde, hat einen interessanten
                                                                 Bezug zur Thematik des Industriemuseums, da dort vormals
                                                                 eine große Korkenfabrik gestanden hat.
                                                                   Das Museum wuchs mit seinen Aufgaben. Die Museums­
                 Das Lohner Industriemuseum wurde im Jahre       pädagogik erhielt einen großen Stellenwert. Außerdem fanden
              1988 in bescheidenem Rahmen aus der Taufe          viele Vortragsveranstaltungen im Museum statt, das sich
              gehoben. Vorher gab es einige vergebliche Ver-     zu einem kulturellen Leuchtturm in der Region entwickelte.
              suche, in Lohne ein Museum zu gründen. Einen       Tagungen, Seminare, regelmäßige Treffen von Vereinen und
              neuen entscheidenden Impuls setzte der Lohner      Gruppen wurden im Museum etabliert, und auch die Unter-
              Heimatverein im Jahre 1984, als er seine Samm-     bringung des Informationspunktes der Stadt Lohne als Tou-
              lung und einen ansehnlichen finanziellen Betrag    rismusbüro konnte 2014 realisiert werden. Die Errichtung
              an die Stadt mit der Bitte übergab, beides für     eines Magazins mit circa 1.500 Quadratmetern Stellfläche war
              eine Museumsgründung zu verwenden. In einem        im Jahr 2004 ein wichtiger Entwicklungsschritt, sodass dort
              ehemali­gen Schulgebäude wurde ein kleines         auch die sachgerechte Konservierung von Nassholz, vor
              Museum eingerichtet, das auf lediglich 140 Qua-    allem historischer Bohlen der Moorwege, aber auch his­to­

 16   | kulturland 3.21
Oben: Außenansicht des
rischer Brunnen und Funde von anderen Insti-        mit unterschiedlichsten Nutzungsvorstellungen.    Erweiterungsbaus des Indus-
                                                                                                      triemuseums._Foto: Bernard
tutionen, vorge­nom­­men werden kann. Durch die     Letztlich setzte sich die Planung der Zweige-     Warnking
logistische Angliederung der Galerie Luzie Upt-     schossigkeit durch, mit der auch aufgrund einer
moor im Jahr 2007 vergrößerte das Museum sei-       Wirtschaftlichkeitsberechnung folgender Bedarf    Links:„Lohner Wand“, Abriss
                                                                                                      der Geschichte Lohnes und
nen Stellenwert und seinen Bekannt­heitsgrad.       des Museums zufriedengestellt werden soll:
                                                                                                      der Region auf Thementafeln
Seit der Einführung der Zertifizierung, eines Gü-   a) ein mit moderner Technik ausgestatteter Vor­   im Vortragsraum._Foto:
tesiegels als „Museums-TÜV“, hat das Lohner           tragsraum für 150 Personen; mehrfach erwies     Bernard Warnking
Museum sich erfolgreich der Prüfung gestellt.         sich der bisherige Seminarraum als entschie-
                                                                                                      Einige Ausstellungs-Begleit-
Aushängeschild sind auch die vielen Publikati-        den zu klein, weshalb Interessierte bei gut     bände des IML._Foto: Bernard
onen, die aus der Arbeit des Museums als um-          besuchten Vorträgen abgewiesen werden muss­     Warnking
fangreiche Begleitbände für Ausstellun­gen oder       ten oder größere Veranstaltungen nicht an­
                                                                                                      Linke Seite: Eröffnung des
als Museumsblätter erschienen sind.                   genommen werden konnten,
                                                                                                      Lohner Industriemuseums
  Die ersten Überlegungen zur Erweiterung des       b) ein Sonderausstellungsraum, sodass die Flä-    1988._Foto: Stadtmedienarchiv
Museums wurden im Jahr 2013 mit einer Archi-          che im Erdgeschoss, auf der bisher Wech­sel­    im Heimatverein Lohne e. V.
tektenzeichnung und einer Kostenschätzung             aus­stellungen präsentiert wurden, für die
angestellt. Es bedurfte vieler Planungen von der      Erweiterung der Dauerausstellung Industrie-
Ein- bis zur Dreigeschossigkeit des Gebäudes          geschichte genutzt werden kann und vor

                                                                                                         kulturland 3.21    | 17
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