Kulturland 0ldenburg - Oldenburgische Landschaft
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
kulturland 0ldenburg oldenburgische landschaft 3.2021 | Nr. 189 Funde aus legitimierten Schiffskaperungen: Prisenpapiere bieten gewaltiges Erkenntnispotenzial Wesermarsch war das Gedächtnis des Oldenburger Landes: Gelegenheitsschriften des Johann Samuel Neumann
Inhalt 2 28 34 8 20 Willkommen im Ballettschule tanzt Sehnsucht nach Oldenburg, Stadt des Von Wangerooge bis Museumsgarten weiter der Bühnenrückkehr Klassizismus? Fedderwardersiel Therese von der Vring Tanzakademie am Die Band Maelføy Sie trotzen der stürmi und die Barke – eine Meer in Wilhelmshaven hat ihre Wurzeln schen See: Seenotret- Spurensuche in der Corona-Krise auch in Ganderkesee tungsstationen an erfinderisch der oldenburgischen Nordseeküste 2 Therese von der Vring und die Barke – eine 32 Petra Knauer: Ausstellung im Elisabeth-Anna- Spurensuche Palais 6 Alte Baukunst im neuen Kirchenführer 34 Seenotrettungsstationen an der oldenburgischen 7 In memoriam: Friedrich Hübner Nordseeküste 7 Izabela Mittwollen: Ausstellung 38 Der geheime Ausrufer – Die erste in Delmen- 8 Tanzakademie am Meer in Wilhelmshaven horst gedruckte Zeitung 11 Wat mööt wi doon, wenn dat brennt? 39 Aper Lieblingsorte 12 Rituale der Jugendkultur 40 Die Gelegenheitsschriften des Johann Samuel Ausstellung im Oldenburger Münsterland Neumann in der Landesbibliothek Oldenburg 16 Erweiterungsbau des Industriemuseums 45 Pekol – Von Ort zu Ort in Lohne 46 Liebeserklärung an die Gitarre 18 Imagebroschüre des KulturNetz Jadebusen Neuenburger Gitarrentage feiern Jubiläum 19 Plattdüütsch Familgen-Sömmerfreitied 2021 48 Abseits der Norm – Die Kunstschule Abraxas 20 Die Band Maelføy aus Ganderkesee 49 Neuerscheinungen 22 Ein Film über das Kurhaus Dangast und die 50 Nachbericht zum FSJ Kultur Menschen, die es prägten 51 Hof Ohlroggen als Kulturzentrum und 23 Auf die Plätze, fertig, LOS! Wohnmöglichkeit 24 Funde aus legitimierten Schiffskaperungen 52 Sporen van Leven – Sporen van Lieden 27 Wiederbelebung des Niedersorbischen 54 750 Jahre Wardenburg 28 Oldenburg, Stadt des Klassizismus? 55 Anerkennung für junge Forscherinnen 31 Land.schafft.Kultur – Filme über Kulturein- 56 Kurzberichte aus der Landschaft richtungen im ländlichen Raum 58 Insa Winklers geschlossene Ausstellung im Elisabeth-Anna-Palais 60 Kurz notiert 65 Wer wir sind und was wir tun Titelfoto: Tanzende Schafe an der Vreschen-Bokeler Brücke in Apen. Schafherr und Schafdame schwingen sich vergnügt über den Deich. Der Künstler Jörg Ridderbusch ist für seine farbenfrohen Stahlskulpturen bekannt und gestaltete die Aper Liebingsorte (siehe Seite 39)._Foto: Sandra Hinrichs. kulturland 3.21
Editorial Impressum kulturland oldenburg Zeitschrift der Oldenburgischen Landschaft ISSN 1862-9652 Foto: Andreas Burmann Herausgegeben von der Oldenburgischen Landschaft Gartenstraße 7, 26122 Oldenburg Liebe Leserin, lieber Leser, Tel. 0441.77918-0 Fax 0441.77918-29 info@oldenburgische-landschaft.de www.oldenburgische-landschaft.de die globalen Herausforderungen der Gegenwart machen vor unserer Region nicht halt. Die damit verbundenen Folgen sind auch im Oldenburger Land Redaktionsschluss deutlich zu spüren, selbst wenn sie bislang moderater als anderswo aus- für Heft 190, 4. Quartal 2021, ist der 1. Oktober 2021. gefallen sind. Noch nie zuvor waren aus globaler Sicht so viele Menschen Erscheint vierteljährlich. auf der Flucht: Sie suchen infolge verheerender Kriege und wirtschaft- lich-sozialer Not ein neues Zuhause. Die Vorhersagen der Klimaforscher Für unverlangt eingesandte Manu- skripte wird keine Haftung übernom- haben sich in diesem Sommer in aller Deutlichkeit bestätigt. Nach drei men. Namentlich gekennzeichnete Jahren großer Trockenheit erleben wir nun in vielen Teilen unseres Lan- Artikel geben nicht unbedingt die Auf- des Rekordniederschläge und regionale Hochwasserkatastrophen von fassung der Redaktion wieder. bislang unbekanntem Ausmaß. Mit der Corona-Pandemie hat sich seit Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen der eingesandten Texte vor. dem Winter 2020 ein Infektionsgeschehen global eingenistet, das nach den rund einhundert Jahre zurückliegenden Erfahrungen mit der Spa- Redaktion: nischen Grippe und den enormen medizinischen Fortschritten für über- verantwortlich i. S. d. P. Dr. Michael Brandt (MB.) wunden galt. Und dass in den demokratisch orientierten Gesellschaften Europas rechtspopulistische bis autokratische Prozesse Fuß fassen konn- Sarah-Christin Siebert (SCS.) ten, lag für die meisten Bürger*innen unseres Landes außerhalb jeder Stefan Meyer (SM.) Matthias Struck (MS.) Vorstellungskraft. Ob wir nun unmittelbar aus der Geschichte nachhaltig Dr. Jörgen Welp (JW.) lernen können, wird von vielen Historiker*innen zurecht bezweifelt. Aber Zukunft braucht Geschichte, benötigt Vermittlung und Bildung, Gestaltung: um zumindest eine kritische Reflexionsfähigkeit gegenüber dem zu ent- mensch und umwelt, 26122 Oldenburg wickeln, was sich offenbar als Kontinuitätsstrang im menschlichen Druck: Zusammenleben behauptet. Dazu gehören unter anderem Rassismus, Anti- Brune-Mettcker, 26382 Wilhelmshaven semitismus sowie ein toleranz- und kooperationsunfähiger Nationalis- Verlag: mus, also Formen eines anthropologisch-gesellschaftlichen Verhaltens, Isensee-Verlag, 26122 Oldenburg das nach Jahrzehnten vermeintlicher Abstinenz auf die Bühne des (all- Erscheint vierteljährlich. tags-)politischen Geschehens zurückgekehrt ist. © 2021 Oldenburgische Landschaft Alle Rechte vorbehalten. Aus dieser Erkenntnis heraus hat die Oldenburgische Landschaft das Jahresabonnement 15 Euro, inkl. Versand. Projekt „Unpolitische Orte? Sportstätten und ihre gesellschaftliche Be- Der Bezug kann mit einer Frist von vier deutung im Oldenburger Land zwischen 1930 und 1970“ initiiert. Mit der Wochen zum Jahresende gekündigt werden. Leitung des Projekts wurde die Kulturwissenschaftlerin Merle Bülter M.A. betraut, die für die nächsten 30 Monate die organisatorischen Zügel in Einzelheft 3,80 €. der Hand hält. Ihren Bericht in diesem Heft des kulturlands (Seite 23) möchte ich Ihnen deshalb besonders ans Herz legen, neben den zahlrei chen anderen lesenswerten Beiträgen, die hoffentlich Ihr Interesse finden. Mit herzlich-optimistischen Grüßen und allen guten Wünschen für Sie persönlich Ihr Uwe Meiners kulturland 3.21 |1
WILLKOMMEN im MUSEUMSGARTEN Therese von der Vring und die Barke – eine Spurensuche Von Barbara Müller 2 | kulturland 3.21
Von oben: Das Gedicht „Nie genug“ wurde mit Holz- buchstaben auf historischem Leinen gedruckt. Zur Spurensuche kann man sich in den Flyer vertiefen. Der Briefwechsel des Künst- lerpaares fasziniert auch noch 100 Jahre später._ Fotos: Heide Pinkall Oben: Das ausdrucksstarke m Frühjahr 2021 wurde in Brake/Unter- Zum Hintergrund Selbstporträt Therese von weser die Welt eines Künstlerpaares auf Die Georg-von-der-Vring-Gesellschaft erinnert der Vrings von 1918 und das Gedicht „Nie genug“ ihres ungewöhnliche Weise erfahrbar: in einer seit zwanzig Jahren nicht nur an den Dichter Ehemannes Georg prägen die pandemiekonformen Garteninstallation und Maler Georg von der Vring (* 1889 in Brake, Atmosphäre im Museumshof. im öffentlichen Museumsgarten des † 1968 in München), ebenso wird auch das Le- Schiffahrtsmuseums, angeregt durch zwei Be- benswerk seiner ersten Ehefrau, der Künstlerin Links: Witterungsbeständig verwahrte Flyer laden zur gebenheiten rund um die „Barke“, die uns un- Therese von der Vring (* 1894 in München, Spurensuche vor Ort und im mittelbar mit Georg und Therese von der Vring † 1927 in Oberstdorf), gewürdigt. 1996 erschien Netz ein. verbinden. eine Schrift des Künstlerhauses Jan Oeltjen, in Zum einen der 100. Jahrestag der 1. Frühjahrs der ihr Werdegang rekonstruiert wurde. Damals ausstellung der „Barke“ am 10. April 1921 im konnte man auf insgesamt 40 Positionen zu- Augusteum in Oldenburg, einer Gruppe nordwest- rückgreifen, darunter Ölgemälde, Aquarelle, Holz- deutscher Künstler, zu deren Mitbegründern das und Linolschnitte sowie 24 Zeichnungen. Diese Ehepaar zählte. Zum anderen war im November entzückende Schrift ist soeben in zweiter Aufla- 2019 ein bisher unbekanntes Gemälde eines ge im Isensee-Verlag neu erschienen. Segelschiffes aufgetaucht, das nach mündlichen Über das Leben und Werk des Ehemannes Georg Angaben von „Resi“ von der Vring im Zusam- von der Vring ist zuletzt in den 1990er-Jahren viel menhang mit der Künstlergruppe die „Barke“ publiziert worden. „Der letzte Meister des Liedes“, gemalt wurde. so bezeichnete Peter Hamm den Dichter in einem kulturland 3.21 |3
Nachruf in der ZEIT. Für manchen Lyrik-Liebhaber ließen sich Während Georg an die Front zurückkehrte, verwundet nicht viele vollkommenere Gedichte aus dem letzten Jahrhun- wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, lebte Therese teils dert denken als die von Georg von der Vring. Sie seien von An- in Freising und teils in Brake. Aus dieser Zeit ist ein leben- fang an klar wie große Musik. Schon damals wurde zitiert, „dass diger, berührender Briefwechsel erhalten. 1918 malte Therese er sich mit seinen Gedichten in eine solche Einsamkeit begeben ein besonders ausdrucksstarkes Selbstporträt, voller Sorge und hinter so viel machtvoll empfundener Natur verschanzt um den Ehemann, das weit über den persönlichen Anlass habe, dass seine Poesie sich ins Gesellige des bewohnten Tages hinausweist. Nach seiner Rückkehr trat Georg 1919 in Jever zurückzusehnen scheine, wie die Toten, denen Odysseus be- am Mariengymnasium eine Stelle als Zeichenlehrer an. Das gegnete, aus der Schattenwelt hinaus nach oben drängten“. Paar lebte zurückgezogen, in ständigem Konflikt mit den Woher nahm der Dichter, der in seinem Leben viel Bitter- Lehrerkollegen. 1920 und 1923 wurden zwei Söhne geboren. nis erfahren hatte, ein Leben lang seine Inspirationen? Nach Kindheit und Jugend in Brake und einer Lehrerausbildung in Du wurdest unsre Mutter dann, Oldenburg ging Georg 1912 an die königliche Kunstschule in Die meine Kinder trug, Berlin. 1914 lernte er dort seine Kommilitonin Therese Ober- Ich saß bei dir und sah dich an, lindober aus Freising kennen - ihr Vater, ein Major, war nach Und tat’s doch nie genug. Berlin versetzt worden. Sie wurden ein Paar. 1916 wurde Georg zum Kriegsdienst eingezogen, 1917 fand in Berlin-Friedenau Am 10. April 1921 erschien zur Eröffnung der ersten Früh- eine Kriegsheirat statt. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt die beiden jahrsausstellung der „Barke“ in der Zeitschrift „Der Zieh- Künstler im Atelier inmitten ihrer Bilder. brunnen“ ein Text, gewissermaßen ein Manifest, vermutlich von Georg geschrieben. Worum geht es? Das Spannungsfeld Nie genug von Heimatkunst und Moderne, der schmerzhaft empfundene Bei meines Lebens Narretein Verlust der gefallenen Freunde und Kameraden. Da ward ich einmal klug, „Nun bitten wir alle ernsthaften Leute, zu uns zu kommen Ich liebte mich in dein Herz hinein, und unsere Arbeiten anzusehen. Vielleicht werden sie uns Und tat’s doch nie genug. nicht stark genug finden. Da geben wir zu bedenken, daß wir der Ueberrest einer Jugend sind, die in Flandern und vor Dein Mund so schön, dein Auge klar, Verdun, am San und am Stochod der Rasen deckt! Die Fröh- War alles, was ich frug, lichsten, Stärksten, Reichsten sind nicht mehr unter uns. Bis dass ich gar verwandelt war, Und doch ist ihr Geist unter uns lebendig, unsichtbar sitzen Und war’s doch nie genug. sie mit uns in der Barke, sind fröhlich mit uns und blicken 4 | kulturland 3.21
Linke Seite: im November 2019 hat die Familie eines Hambur- ger Kunstsammlers dieses Bild einer Barke, Öl auf Mal- karton, 39 cm x 52 cm, zum Kauf angeboten. Es ist – wie viele der bekannten Werke von Therese von der Vring – weder signiert noch datiert. Auf dem Büchertisch der Georg- von-der-Vring-Gesellschaft findet sich auch die neu auf- gelegte Biografie von Therese von der Vring (Isensee-Ver- lag). ins Segel, das sich blähend entfaltet. In ihrem Sinne den Im idyllischen Museumsgarten sollte ein „Raum“ entste- Kurs zu nehmen, ist unser Gelöbnis bei der ersten Ausfahrt. hen, in dem diese Lebensgeschichte kontemplativ nachemp- Die Fahnen flattern! Schiff stoß vom Strand!“ funden werden konnte: die Lebensträume des Künstlerpaares Das 2019 aufgetauchte Bild der Barke ist – wie viele der und die Sinnsuche in einer Künstlergruppe als Versuch, Kriegs bekannten Werke von Therese - weder signiert noch datiert. erfahrungen, Katastrophen und soziale Erschütterungen Bei dem dargestellten Segelschiff handelt es sich um eine zu überwinden. Die überragenden künstlerischen Leistungen Tjalk vom Typ eines Weserkahns. Oben links gibt es eine ovale von Georg und Therese im Lyrischen respektive Malerischen Aussparung in der dunklen Wolkendecke, die das Lichte sollten exemplarisch gezeigt werden. Umgesetzt wurde dies Ocker der Grundierung durchscheinen lässt. Durch diesen durch fünf großformatige mit Bildern und Texten bedruckte Wolkenbruch scheinen Sonnenstrahlen. Die Gemälderestau PVC-Planen, die an den verschiedenen Backsteinfassaden des ratorin erkennt Tiefgang und Leuchtkraft. Der Duktus ist ex- Gebäudeensembles aufgespannt wurden, ergänzt durch eine pressiv und es lässt sich eine feine, harmonische Farbab- Fensterausstellung mit dem Ölgemälde der Barke. stimmung zwischen den Pigmenten Grüne Erde, Preußisch Das Gedicht „Nie Genug“ überragt das Arrangement, es Blau und Lichter Ocker erkennen. Dabei sind Ähnlichkeiten wurde im Original von Peter Vöge in Holzbuchstaben gesetzt mit der Farbkomposition des Selbstporträts von 1918 durch- und gedruckt. Für die Ausstellung wurde es, digital auf ein aus erkennbar. fünf Meter hohes Banner vergrößert, am Kapitänsgiebel des Nach 1922 sind nur noch wenige Werke von Therese über- Anbaus zum Haus Borgstede & Becker montiert: „Nie genug liefert. 1925 erkrankte sie unheilbar an Tuberkulose. Die letzte - Das Gefühl des Mangels, in Anbetracht der Krise nie genug Zeichnung entstand 1926 und zeigt in zarter Strichführung getan zu haben, dieses Gefühl kennt jeder“, meint Peter ihren Sohn Peter bei der Lektüre eines Buches (Z21). Am 4. Mai Vöge, „und deshalb gelinge es so leicht, das Gedicht in die 1927 starb Therese. Sie fand ihre letzte Ruhestätte im Fami bewohnten Tage zu holen, die von ganz anderen Krisen ge- liengrab in Freising. Diesen schmerzhaften Verlust hat Georg zeichnet seien.“ nie mehr verwunden, auch wenn er sich noch zweimal ver- Es gab ein vielseitiges Begleitprogramm zu der mehrmona heiratete. tigen Installation: Die im Garten ausliegenden Flyer führten wie eine Schatzkarte zu weiteren Hintergrundinformationen Und als das Schicksal lauerte, vor Ort oder im Netz. In einer Outdoor-Galerie im Hofdurch- und als der Tod dich schlug, gang wurden Gedichtillustrationen von Schüler*innen des da weint ich hin und trauerte, Gymnasiums Brake gezeigt. Es ging auf den Spuren von und tat’s doch nie genug. Therese zum Pleinairmalen auf die Flussinsel Harriersand (Therese durchschwamm 1918 als erste Frau unbegleitet Seit Thereses Krankheit und späterem Tod widmete sich die Weser). Die Klipperaak Gertrud, Oldersum, ein Traditions- Georg von der Vring nur noch der Schriftstellerei und der Ly- segler Baujahr 1910 mit Druckwerkstatt, machte für drei rik. Sein Antikriegsroman „Soldat Suhren“ wurde ein Best- Wochen im Braker Binnenhafen fest. An Bord und in der Kunst seller. Ihm wurden viele Auszeichnungen zuteil, 1960 wurde schule im Packhaus wurden unter Anleitung des Skippers er Ehrenbürger der Stadt Brake. und Freinet-Pädagogen Peter Vöge Gedichte und Linolstiche gedruckt. Bei der Finissage wurden Briefe und Gedichte von Wie dank ich’s dir? Das Leben hier Georg und Therese von Schüler*innen des Braker Gymnasi- Ist eines Vogels Flug ums vorgetragen. Was ich noch bringe, bring ich dir, Der große Anklang, den die Installation und das Begleit- Doch nie und nie genug. programm bei den unterschiedlichsten Besuchern fand, ist ermutigend und lässt hoffen, dass viele Menschen angespro- chen, angeregt, berührt und sensibilisiert wurden. kulturland 3.21 |5
Blick in den Holler Kirchen- führer._Foto: Oldenburgische Landschaft Sammlung alter und teilweise sogar historischer Aufnahmen der Kirche illustrieren einige davon die bewegte Geschichte des Kirchenbaus. Den wohl erschütterndsten Einblick gibt dabei eine Abbildung des des zerstörten, einstmals so impo- santen Glockenturms, der am 2. Mai 1945 gesprengt wurde, um den vorrückenden Alliierten keinen Aussichtspunkt mit Blick ins nördliche Hinterland zu bieten. Der Turm wurde in der Nachkriegszeit nicht erneuert. Die Glocke fand nach dem Wie deraufbau der durch die Sprengung zum großen Teil schwer beschädigten Kirche einen Platz im neuen Dachreiter, und Alte Baukunst das Erscheinungsbild der Kirche ist seitdem ein völlig anderes als zuvor. Hoffmann machte den ersten Schritt für die neue Informationsbroschüre der Holler Kirche und schrieb in Ab- stimmung mit Pastor Dreyer das erste Manuskript. Die beiden neu entdeckt kennen die Kirche und die Menschen, die mit ihr – teilweise schon lange – leben. „Der laute Knall der Explosion und die gewaltige Staubwolke blieben im Dorf lange in Erinnerung“, weiß Hoffmann im Kirchenführer zu berichten (S. 9). Durch seine Kontaktaufnahme zur Oldenburgischen Neuerscheinung in der Reihe Landschaft und den Anschluss des Projekts an die bereits be- „Kirchen im Oldenburger Land“ stehende Reihe „Kirchen im Oldenburger Land“, die die Landschaft gemeinsam mit dem Isensee-Verlag entwickelt hat, kam zudem ein weiterer Kontakt zustande. Der Architekt Von Sabrina Kolata Achim Knöfel, der ehemals für Kirchenbau, Kunst- und FÖRDER ER Denkmalpflege im Evangelisch-Lutherischen Oberkirchenrat R O JE K TD P EN in Oldenburg zuständig war, kam als Autor hinzu und konnte URGISCH OLDENB LAN SC D HAFT die Publikation mit seinen umfangreichen Kenntnissen über die Kirchenbauten im Oldenburger Land sowie aus der ver- T gleichenden Bauforschung bereichern. Als Architekt konnte er außerdem zwei eigens für diesen Kirchenführer angefer- rotz ihrer exponierten Lage auf einem natürlichen tigte Rekonstruktionszeichnungen erstellen. Damit ist das Sandberg ist die Holler St.-Dionysius-Kirche ein immerhin 40 Seiten umfassende Werk nicht nur ein guter Ein- eher verstecktes Schmuckstück. Von der Holler Landstraße blick für alle, die sich vorab oder während eines Besuches kommend, müssen Besucher aufmerksam auf den Wegweiser des Kirchengebäudes informieren wollen, sondern präsentiert achten, um zu diesem schönen Bauwerk zu gelangen, denn auch den mit dem Projekt einhergegangenen neuesten es liegt weit zwischen den Feldern und von einem Sicht- Stand der Forschung. Kunsthistorisch fundiert und dabei gut schutz aus Linden umgeben. Doch ein Besuch lohnt sich auf verständlich werden auch die noch vorhandenen besonde- jeden Fall. Das macht der am 2. Juni 2021 erschienene Kir- ren Ausstattungstücke vorgestellt: Die Kanzel des berühmten chenführer aus der Reihe „Kirchen im Oldenburger Land“ Bildschnitzers Ludwig Münstermann von 1637 und der so- deutlich. genannte Blutaltar von 1702. Kompakt und übersichtlich trugen die Autoren Achim So wie die bereits in der Reihe erschienenen Broschüren Knöfel, Siegfried Hoffmann und Udo Dreyer dafür alle be- über die Kirchen in Berne, Kirchhatten und Wiefelstede ist kannten Informationen sowie auch neue Erkenntnisse zur auch der Kirchenführer Holle für 4 Euro sowohl beim Isensee Baugeschichte zusammen. Der Fotograf Rolf Christoph Nahr- Verlag als auch in der Kirche beziehungsweise bei der Kir- gang verhalf der Broschüre mit vielen aktuellen Aufnahmen chengemeinde direkt erhältlich. Der nächste gedruckte Kirchen- zu einem ansprechenden und einladenden Erscheinungsbild. führer befindet sich bereits im Entstehungsprozess und Die Oldenburgische Landschaft unterstützte die Kirchen behandelt die St.-Secundus-Kirche in Schwei in der Weser- gemeinde neben einer begleitenden Beratung auch mit einer marsch. Fördersumme von 500 Euro bei der Umsetzung des Publika- Die Oldenburgische Landschaft unterstützt die Reihe der tionsprojektes. Kirchenführer mit Konzept, Layoutvorlage und Beratung. Heimatforscher und Kirchenführer Siegfried Hoffmann wohnt bereits seit vielen Jahren in Holle-Wüsting, ganz St. Dionysius Holle, Isensee Verlag, Oldenburg 2021, 40 Seiten, im Norden des Landkreises Oldenburg. Aus seiner reichen Softcover, Paperback, ISBN 978-3-7308-1770-4, Preis: 4 Euro. 6 | kulturland 3.21
In memoriam: Friedrich Hübner D er ehemalige Kultur- und Sozialde- zernent der Stadt Delmenhorst, Stadt rat a. D. Friedrich Hübner, ist am 27. Juni 2021 im Alter von 78 Jahren überraschend verstorben. verein umsetzte, gehörten unter anderem die Auf- stellung von Bronzemodellen der Delmenhorster Burg und des Rathaus-Ensembles im öffentli- chen Raum oder die Fortführung der Delmen- horster Schriften. Stark gemacht hat er sich Foto: privat Friedrich Hübner war bis 2006 als Stadtrat außerdem für ein touristisches Leitsystem zur bei der Stadt Delmenhorst für Schule, Sport, Ju- Industriegeschichte seiner Heimatstadt. Eng hiermit verbunden war sein gend, Soziales und Kultur zuständig. In dieser Engagement für die Errichtung einer Skulptur einer Textilarbeiterin, die Verantwortung hat er Mitte der 1990er-Jahre symbolisch für den Frauenort Delmenhorst stehen soll. Mit Nachdruck unter anderem maßgeblich die Gründung der unterstützte Hübner schließlich ebenso die Bemühungen, die Grafeng- Museen auf der Nordwolle begleitet. ruft in der Stadtkirche zugänglicher und repräsentativer zu gestalten. Nach dem Eintritt in den Ruhestand blieb er im Als Vorsitzender des Heimatvereines, der ihm ganz besonders am Her- Rahmen eines bemerkenswerten ehrenamtli zen lag, hat er in jüngster Zeit anlässlich des 650-jährigen Stadtrechte chen Engagements eine prägende Persönlichkeit jubiläums von Delmenhorst ein themenbezogenes Jahrbuch hierzu auf den für die Kultur seiner Vaterstadt. In verschiede Weg gebracht sowie eine Vortragsreihe, und er war wichtiger Impuls- nen kulturell ausgerichteten Vereinen hatte er geber für die Übertragung der Stadtrechteurkunde in moderne deutsche über viele Jahre den Vorsitz inne. So war er von Sprache. 2009 bis 2017 Vorsitzender des Freundeskreises Gerade in den letzten Monaten hat er sich noch für eine Reihe von Kul- Haus Coburg. Ab 2017 hatte er den Vorsitz des turveranstaltungen unter Coronabedingungen eingesetzt. Friedrich Hübner Förderkreises Industriemuseum Delmenhorst und hat seine Projekte immer mit freundlicher Hartnäckigkeit erfolgreich des Heimatvereins übernommen, dessen Jahr- zum Ziel gebracht. Mit ihm verliert Delmenhorst einen prägenden Gestalter bücher er zuvor schon seit Längerem als Redak- der städtischen Kulturlandschaft. teur betreute. Zu den zahlreichen Projekten, die er im Rahmen seiner Tätigkeit für den Heimat- Dr. Carsten Jöhnk Izabela Mittwollen: Tatendrang Eindrücke der Ausstellung „Tatendrang“ in der Kulturhalle am Pferdemarkt Oldenburg vom 1. bis 20. Juni 2021 mit der Künstlerin Izabela Mittwollen. Der dazu gehörige Bildband wird auf Seite 49 vorgestellt._Fotos: Elke Syassen kulturland 3.21 |7
BALLETTSCHULE tanzt weiter Tanzakademie am Meer in Wilhelmshaven in der Corona-Krise erfinderisch Von Friedhelm Müller-Düring it Spitzenschuhen oder Schläppchen, Eilks, künstlerische Leiterin des Ballettstudios. gekleidet in einem Tutu aus weißem Eilks und ihre beide Mitstreiterinnen Sarah Helmy (Ballett- Tüll, die Haare zu einem strengen Dutt pädagogin) und Helene von Wedel (Pilates-Trainerin) ließen gebunden. Welche Zuschauerin oder sich allerdings nicht entmutigen, sondern setzten alle Hebel welcher Zuschauer ist nicht fasziniert, in Bewegung, auch weiterhin Unterricht geben zu können. wenn klassische Balletttänzerinnen So waren die Tanzakademie am Meer gemeinsam mit ihrer mit ihrem Auftreten, ihrer Eleganz und ihrem Anmut den Saal Partnerschule CODA - Centre of Dance Arts in Köln die ein- oder die Bühne erfüllen. Die Zeit, als die Primaballerinen zigen Ballettschulen Deutschlands, die im Dezember vergan das Publikum mit ihrer Leichtigkeit und Weiblichkeit verzau genen Jahres noch einmal Live-Prüfungen der Royal Acade berten, ist seit gut einem Jahr ebenfalls in Wilhelmshaven my of Dance in London absolvieren durften. Zwölf Schülerinnen vorbei. Die Corona-Krise hat auch die Tanzakademie am Meer und Schüler konnten ein berufsvorbereitendes Examen er- in der Virchowstraße mitten ins Herz getroffen. „Wir mussten folgreich abschließen. „Tanz gehört auf die Bühne“, betont alle 20 geplanten Veranstaltungen absagen“, sagt Christine Eilks. 8 | kulturland 3.21
In der Corona-Zeit wurden zudem die beiden Ballettsäle auf Vordermann gebracht. Finanziell unterstützt durch die Oldenburgische Landschaft und durch das Bundesprogramm „Neustart Kultur“ wurden neue Böden durch Fachfirmen verlegt. „Wir sind im letzten Jahr großzügig gefördert worden. Das war ein großer Segen für uns“, freut sich Eilks, die eben- falls mit ihren Trainerkolleginnen mit anpackte und den Räu- men unter anderem einen neuen Anstrich verpasste. Gegründet wurde das Ballettstudio im Jahr 1947 von Inge Stoffers in der Parkstraße 6. Die im Krieg zerstörte zweite Etage des Hauses wurde für diese Zwecke ausgebaut. Die Wilhelmshavenerin, die in Berlin ausgebildet worden war, kam nach dem Kriegsende in ihre Heimatstadt zurück und eröffnete die Ballettschule unter schwierigen Nachkriegs bedingungen. Seit 1970 befindet sich die Ballettschule in der Virchowstraße 35. Die ersten in dieser Schule ausgebildeten Tänzerinnen bildeten das Reiseballett „Preciosa“, das von 1951 bis 1962 in vielen Städten Westeuropas gastierte. Die Gastspielreisen der acht jungen Wilhelmshavener Tänzerin nen wurden von Else und Werner Stoffers, den Eltern von Inge Stoffers, geleitet. Über 50 Jahre hat Inge Stoffers mit ihrer Ballettschule das kulturelle Leben in Wilhelmshaven entscheidend mitgeprägt. Sie führte 1978 das System der Royal Academy of Dance (RAD) in ihre Schule ein. Mit mittlerweile über 13.000 Mitgliedern in 89 Ländern ist die Royal Academy of Dance eine der größten und einflussreichsten Organisationen für Tanzausbildung weltweit. Unter anderem setzen ihre Prüfungen Maßstäbe im klassischen Ballett. 1998 wurde unter Mitwirkung von Inge Stoffers die Tanzakademie am Meer als gemeinnützige Gesell- schaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) gegründet. Sie übernahm am 1. Januar 2000 die Fortführung des Ballettstudios unter der künstlerischen Leitung von Ian Owen. Geboren und In Abstimmung mit dem Ordnungsamt, dem Gesundheits- amt und einem Arzt wurden Möglichkeiten erörtert und ge- schaffen, wie die Schülerinnen und Schüler unter Einhaltung aller Corona-Regelungen im Ballettstudio unterrichtet wer- den können. Unterricht wird auf zwei Ebenen erteilt. „Es ist Oben links: Wer es im klas- Oben: Die Dozentinnen der von uns so organisiert, dass wir uns im Ballettstudio nicht sischen Ballett zu etwas brin- Ballettschule am Meer in gen will, muss Talent, Fleiß Wilhelmshaven (von links): einmal begegnen“, sagt Eilks. Neben dem Einzelunterricht in und Enthusiasmus mitbringen. Helen von Wedel, Christine den zwei Tanzsälen bietet das Ballettstudio sogenannten Eilks und Sarah Helmy mit Fernunterricht an. Per Videos auf YouTube, die vom Trainer- einer Gruppe der fortgeschrit- tenen Schülerinnen._Fotos: team mit unterschiedlichen Inhalten und Schwierigkeits- Friedhelm Müller-Düring graden erstellt werden, können die Ballettschülerinnen und -schüler dann zu Hause üben. Über die App Zoom wird zudem Training per Videokonferenz angeboten. kulturland 3.21 |9
aufgewachsen in Wales, absolvierte er mit zwölf Jahren eine Ausbildung an der Royal Ballet School in London. Nach einer Karriere als Profitänzer ließ Owen sich an der Royal Academy of Dance zum Ballettpädagogen umschulen. Nach Stationen in Frankfurt, Bonn und München lernte er 1986 Inge Stoffers kennen, die ihm das Angebot machte, das Ballettstudio Stoffers zu übernehmen. Aber erst elf Jahre später zog der Brite nach Wilhelmshaven und führte die Tanzschule. Vor vier Jahren übernahm Christine Eilks die künstlerisch- pädagogische Leitung der Tanzakademie am Meer. In Sande (Landkreis Friesland) geboren und in Münster wohnend, kannte Eilks Ian Owen bereits aus ihrer Jugendzeit. „Zusam- men haben wir viele spannende Sachen in Wilhelmshaven gemacht“, erinnert sich Eilks, die Anfang der 90er-Jahre das Certificate and Diploma in Teaching der Royal Academy of Dance absolvierte. An der Westfälischen-Wilhelms-Universi- tät Münster studierte sie Germanistik, Philosophie, Theolo gie und Pädagogik. Neben ihrer Aufgabe in der Jadestadt unter- richtet die freie Ballettpädagogin auch im Centre of Dance Arts in Köln, die Partnerschule der Wilhelmshavener. Ziel der Tanzakademie am Meer ist auch unter der Leitung von Christine Eilks die Sicherung des hohen Standards der Ballettausbildung und die Ausweitung des Angebotes der tän zerischen Ausbildung. Die zurzeit 180 Schülerinnen und Schüler dürfen sich auf einen intensiven und manchmal auch anstrengenden Ballettunterricht mit vielen Höhepunkten freuen. Neben vielen Darstellungen im benachbarten Stadt theater Wilhelmshaven oder auf Schloss Gödens trat die Tanzakademie am Meer zusammen mit den Blechbläsern der Jungen Norddeutschen Philharmonie am 1. September 2019 zum 80. Jahrestag der deutschen Kriegserklärung, 1939, auf. Tim Morgenstern erhielt 2018 Auf dem Freigelände des Deutschen Marinemuseums, zwi- den Förderpreis der Olden- burgischen Landschaft._Foto: schen den Kriegsschiffen, präsentierten die jungen Tänzerin Johan Persson nen und Musiker ein abwechslungsreiches Wandelkonzert. Im gleichen Jahr begeisterten die Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie das Publikum mit einer besonderen Stadtfüh- rung. Zum 150. Stadtjubiläum Wilhelmshavens wurden in einer schließlich für die Elmhurst Ballet School in Birmingham Art Wandelgang ausgewählte Punkte in der Südstadt wie (England), wo er seit September 2018 studierte und gerade beispielsweise Küstenmuseum, Christus- und Garnisonkirche, seine Ausbildung mit großem Erfolg beendet hat. Im August Adalbertplatz, Synagogenplatz und Kunsthalle besucht. In führt ihn sein Weg an die Nationaloper Estonia in Tallinn einer außergewöhnlichen Form der Geschichtsvermittlung (Estland). Von der Oldenburgischen Landschaft erhielt Tim wurden historische Erläuterungen mit tänzerischen und Morgenstern 2018 den Förderpreis. darstellerischen Umsetzungen der Geschichte kombiniert. Glücklich ist die Tanzakademie, dass sie seit dem 1. Juni „Das hat allen größte Freude bereitet“, sagt Eilks. wieder Präsenzunterricht geben darf – in Kleingruppen zwar, „Wer es im klassischen Ballett zu etwas bringen will, muss um jedes Risiko zu vermeiden, doch mit umso mehr Energie. Talent, Fleiß und Enthusiasmus mitbringen“, betont Eilks. Die für Juni geplante Vorstellung im Stadttheater war noch Der Konkurrenzdruck durch die Internationalität sei enorm. nicht möglich, doch der Juni 2022 ist bereits fest gebucht. In Man müsse das physisch und mental schaffen können. Einer, einem Sommer-Workshop „Tanz und Schule“ wird die der es geschafft hat, ist Tim Morgenstern. Der Wilhelmshave Ferienzeit genutzt, um gemeinsam schulische Lücken auf- ner begann im Alter von sieben Jahren mit seiner tänzeri zuarbeiten, die die Corona-Zeit entstehen ließ. Das Team schen Ausbildung. Unter der Anleitung von Ian Owen und ist vielseitig, die Großen helfen den Kleinen, es wird gemein- Christine Eilks verfolgte der mittlerweile 20-Jährige sein sam gegessen und natürlich getanzt. „Wir können zum er- Berufsziel professioneller Tänzer engagiert und diszipliniert. sten Mal nach vielen Monaten wieder ein kleines Programm „Tim war täglich hier“, so Eilks. Zwischen 2010 und 2017 zusammenstellen, das im September bei der Landpartie bestand er alle Prüfungen an der Royal Academy of Dance mit auf Schloss Gödens gezeigt wird – ein großes Highlight und Auszeichnung. Gleich vier Ballettschulen hätten Morgenstern riesige Freude für alle Beteiligten. Wieder selbst kreativ zu nach dem Vortanzen gerne aufgenommen. Er entschied sich werden, ist ein großer Reiz“, sagt Eilks. 10 | kulturland 3.21
Wat mööt wi doon, WENN DAT BRENNT? Brandschutzmaterial auf Plattdeutsch und FÖRDER ER Saterfriesisch für die Schulen erschienen PROJE K T D EN URGISCH OLDENB Von links: Stefan Meyer (Oldenburgische HAFT LANDSC Landschaft), Jan-Bernd Burhop (Öffentliche Von Stefan Meyer Versicherung), Dr. Michael Brandt (Oldenbur- gische Landschaft) präsentieren die neuen Schulmaterialien zum Thema Brandschutz._ Foto: Siebert, Oldenburgische Landschaft euer gibt den Menschen werden kann. Denn wo flink is dor en Malöör Wärme und Licht, hilft passeert, wenn in dat Book de lütt Philipp to sien Dat Material för Plattdüütsch beim Zubereiten der Nah- Geburtsdag en Keers anmaken will? is över de Ollnborgsche Landskup rung und hat auch mit dem De Warkkoppel „Platt is cool“ van de Land to betreken: im Juli in Tokio entzündeten Olym skupsverbännen in Neddersassen un dat Regional Stefan Meyer pischen Feuer eine hohe symboli amt für Schule und Bildung hebbt dat Thema Wissenschaftlicher Referent für sche Wirkung für den Menschen. upgrepen un wullt dat Thema Brandschutz un Niederdeutsch und Saterfriesisch Man siet Jahrn brennt de Wälders Plattdüütsch/Saterfresk mit’nanner verbinnen meyer@oldenburgische- in Kalifornien un jüst staht ganze un in de Scholen bringen. Dat lütt Book is över- landschaft.de Kuntreien in Griechenland un de sett wurrn un heet nu „Philipp un sien Rook 0441.779 18 19 Türkei in Flammen. Dat Füer fritt engel“. Dorto gifft dat en Lernkarton in twee allns un trügg blifft Asch un Stoff. Spraken (Plattdeutsch beziehungsweise Sater- Dat Material up Saterfresk is bi de De Minsch mööt för sien Leven friesisch – Hochdeutsch) wo man nich blots de Gemeen Seelterlound to kriegen: bangen ween. Wi brukt also de recht Vokabeln up Platt/Saterfresk lehrn kann. De Schö- Henk Wolf Ümgang mit Füer. Denn so licht lers ward ok wies, wat to doon is, wenn dat Wissenschaftlicher Beauftragter kann ok in us egen Hus ut en lütt brennen deit. „Leven redden – Füer utmaken – für das Saterfriesische Füer en Inferno weern. Saken bargen – sik gegen Unglück wohren“ (Seelterfräiskbeapdraagde) steiht denn ok baven up de Lehrkarton up. wolf@saterland.de Wenn in de School en Füer utbreken deit, denn 04498. 940 100 weet jedeen wat to doon is, de sik vördem dat Brandschutzplakat ankeken hett: Kolen Kopp bewahren, Füermelder bruken un de Füerwehr anpingeln. Denn „Pika weet Bescheed!“. Dat Pla- noch de Spraak lehrn köönt. Ok hier kat is ok up twee Spraken druckt un kann överall wiesen us Heimatspraken, dat se in de Klassenrüümte oder anner öffentlich Hüüs wiss un wahr för ernsthaftig Themen uphungen weern. hellerbest to bruken sind! Wenn Füer nich mehr bitokamen is, denn is An’n 3. Augustmaand is tosamen dat en Gefahr. Dat Füer ok en Segen mit Herrn Jan-Bernd för de Minsch ween kann, weet wi, Burhop van de Landes wenn wi „för wat brennt“. Dat wiest brandkasse der Öffent Um eine frühe Aufklärung der us de Postkaart, de tosamen mit lichen Versicherungen, Brandprävention zu gewährleisten, dat Material maakt wurrn is. „Ik bün „Philipp un sien Rook- haben die Landesbrandkassen in Füer un Flamm för Platt!“ steiht engel“ bi de Ollnborg- Niedersachsen einen innovativen dor up. Un dor hebbt wi ok de Nagel sche Landskup vörstellt Ansatz gewählt, bereits Kinder und up’n Kopp drapen, wat de Warkkoppel „Platt is wurrn. As Brandschutzbeupdragten Jugendliche für das Thema Brand- cool“ egens wull. Dat Kinner un Junglüe sik för mit en Hart för Plattdüütsch liggt schutz zu sensibilisieren. Mit „Phi- us Regional- un Minnerheitenspraken mehr in- Herrn Burhop de Verbinnen twü lipp und sein Rauchengel“ ist ein teresseert, de lehrt un ok in’n Alldag bruken. Mit schen Spraak un Brandprävention kleines Büchlein entstanden, das „Philipp un sien Rookengel“, Lernkartons, Brand düchtig an’t Hart. Mit de Koopera- aufzeigt, wie schnell es zu Hause schutzplakaten un en Postkaart gifft dat nu Mate tion un de Stütt van de Landesbrand zu einem Brandunglück kommen rial up Platt un Saterfresk för de Scholen, wo de kassen in Neddersassen freit sik und was bereits im Vorfeld an ein- Kinner över de Method van’n Immersionsünner- „Platt is cool“, dat wi neie Partners fachen Schutzmaßnahmen getan richt bi en Ut’nannersetten mit en Thema ok för neie Padden funnen hebbt. kulturland 3.21 | 11
RITUALE der Jugendkultur Ausstellung im Oldenburger Münsterland Von Wolfgang Stelljes (Text und Fotos) FÖRDER ER O JE K T D PR CHEN URGIS OLDENB HAFT LANDSC Feste feiern Welche Rituale prägen das Leben von jungen Leuten, speziell in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta? Dieser Frage ist Malaika Winzheim im Rahmen ihres Volontariats am Kultur anthropologischen Institut des Oldenburger Münsterlandes nachgegangen. Die Ergebnisse präsentiert sie auf einer Fläche von gut 60 Quadratmetern im Museumsdorf Cloppenburg. Die Sonderausstellung „Zusammen ist man nicht allein – wie junge Menschen feiern“ ist mindestens bis Ende November zu sehen. Am Anfang des kleinen Rundgangs steht der Abtanzball, ein „Übergangsritual an der Schwelle zum Erwachsenenwer- den“ im Alter von 14 oder 15 Jahren. Der Tanzkurs ist absol- viert, Walzer und Foxtrott gelingen einigermaßen, die Frisur sitzt. „Die meisten Mädchen tragen zum ersten Mal ein schickes Kleid und hohe Schuhe.“ Zwei dieser schicken Klei der wurden zu Ausstellungsobjekten. Viele Jugendliche trin- ken an diesem Abend auch ihr erstes Glas Bier oder Sekt, sagt Winzheim. Keine zwei Jahre später bietet der 16. Geburtstag erneut Anlass für ein Ritual, auf das manch junger Mensch vielleicht sogar ganz gern verzichten würde: das Einmehlen. Ein Foto zeigt, wie eine junge Frau auf dem Schulhof abgefangen und mit Mehl überschüttet wird. Mitunter werden auch ein paar Eier und klebrige Flüssigkeiten hinzugegeben, sagt Winzheim. Es gibt inzwischen Schulordnungen, die derartige Aktionen untersagen, die „Reifeprüfung“ verlagert sich deshalb immer mehr in den privaten Bereich. Was der Freundeskreis ansonsten über das Geburtstagskind denkt, kann man mit- unter großen Schildern oder Bannern entnehmen, die – oft auch zum 18. Geburtstag – gut sichtbar vor dem Wohnhaus aufgestellt werden. 12 | kulturland 3.21
Linke Seite: Eine Packung Oben: Gesammelte Abi- Unten: Am Rande eines Mehl, zweckentfremdet tur-Zeitschriften aus mehreren Abtanzballs: Irgendwann wer- beim 16. Geburtstag eines Jahrzehnten. den sie lästig, diese neuen Mädchens in der Gemeinde Schuhe. Emstek. Zwischen Schule und Schachtelkranz Das nächste Ritual im Leben junger Menschen ist untrennbar verbunden mit der Schule. Mit ihr endet ein zentraler Lebensabschnitt. Schulabschluss bräuche sind „am krassesten“ an Gymnasien ausgeprägt, sagt Winzheim, Stichwort „Mottowoche“, bei der sich alle möglichst fantasievoll verklei- den, Stichwort „Binnenblockade“, bei der Lehrer auf ihrem Weg zum Un- terricht ungewohnte Hindernisse überwinden müssen. Der Abschlussball ist dann ein neuerlicher Anlass, sich in besonderer Weise zurechtzuma- chen. „Was ziehe ich an?“, diese Frage beschäftigt die Abiturientinnen und Abiturienten Wochen und Monate vorher. Die Garderobe wird heute teils im Internet bestellt, das war zu ihren Zeiten noch anders, sagt Winz- heim – die 32-Jährige hat 2008 ihr Abi gemacht. kulturland 3.21 | 13
Ausgewähte Fotos dokumen- Windeln an einer Wäsche tieren: An Anlässen für eine leine: In der Regel erfährt die Feier mangelt es im Oldenbur- Nachbarschaft den Namen ger Münsterland nicht. und das Gewicht des neuen Erdenbürgers. Neben Ritualen, die eng an biografische Ereignisse gekop- gegangen ist. Ähnliche Kranz-Bräuche gibt es im Emsland pelt sind, prägen saisonale Bräuche das Leben junger Men- und Ostfriesland, teils auch mit alten Socken. Ein weiterer schen in ländlichen Regionen. Winzheim hat Fotos auf einer „Rügebrauch“ ist das Treppenfegen am 30. Geburtstag, erst- Wand versammelt, die die Bedeutung sozialer Gruppen, allen mals dokumentiert 1956 in Bremen. Das Pendant für Frauen voran der Landjugend, illustrieren. Gemeinsam richtet man lautet: Klinkenputzen. das Osterfeuer aus, setzt den Pfingstbaum oder baut Stroh- puppen zu Erntedank. Das Ende der Jugend Einen Pfingstbaum vor die Tür gesetzt zu bekommen, da- Wir nähern uns der Ehe und Familiengründung und damit mit müssen ledige Frauen jedes Jahr rechnen. Unverheira- dem Ende der Jugend. Seit den 1990er-Jahren feiert man am teten Männern widerfährt diese Aufmerksamkeit lediglich in Vorabend der Ehe immer häufiger den Junggesellenabschied, Schaltjahren. Fast mutet es an wie ein Probelauf für das, was er hat mehr und mehr den Polterabend abgelöst. Dabei werden am 25. Geburtstag geschieht, sollte sich bis dahin der Familien- im Oldenburger Münsterland ganz besondere Riten vollzo- stand nicht geändert haben. Denn dann erhalten unverheira- gen: Der angehende Bräutigam verbrennt seine Hose, die Braut tete junge Frauen für alle Welt sichtbar einen Schachtelkranz ihren BH. Die Asche wird in einem kleinen Sarg verbuddelt. und unverheiratete Männer einen Flaschenkranz. Zwei Bei- Mitunter wird auch ein Gebet gesprochen, angelehnt an das spiele hängen in der Ausstellung. Winzheim wollte zeigen, Vaterunser, „bekannte sakarale Muster“, auf die bei diesem „was das für Monster sind“, meterlang. Das Geburtstagskind „Übergangsritual“ zurückgegriffen wird, so Winzheim. muss an diesem Kranz entlanggehen, das sogenannte „Kranz- Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung steht eine abtreten“, und dabei Fragen beantworten oder Aufgaben kleine „Vorgarten-Inszenierung“. Mittendrin ein hölzerner lösen. Ein von den Gästen verfasstes Gedicht fasst mehr oder Storch, die Leihgabe einer Clique, „die brauchten den aktuell weniger erfreuliche Stationen des bisherigen Lebens zusam- nicht“. Er kündet vom Nachwuchs in einer Familie, genauso men, mal humorvoll, mal auch derb. Eine abendfüllende Ver- wie die Wäscheleine mit den Windeln. Manchmal stehen auf anstaltung, bei der – fast überflüssig zu erwähnen – auch einem Grundstück auch mehrere Störche, sagt Winzheim, das eine oder andere alkoholische Getränk konsumiert wird. einmal hat sie gleich acht gezählt. Was für den Storch gilt, gilt Bis in die 1970er-Jahre ging mit diesem „Rügebrauch“ tat- auch für den Kilmerstuten: Auch hier kommen mitunter sächlich auch eine gesellschaftliche Erwartung einher. „Das mehrere zusammen. Freunde, Verwandte, Kollegen, Nach- wird aber nicht mehr so eng gesehen“, sagt Winzheim, allein barn – die unterschiedlichen sozialen Gruppen überbringen schon, weil das Eheeintrittsalter immer weiter nach hinten den jungen Eltern nach der Geburt eines Kindes einen großen Stuten auf einer Leiter – eine alte Tradition, die auch unter jungen Leuten fortlebt. 14 | kulturland 3.21
Malaika Winzheim, 32, stammt aus Kaarst, nicht weit weg von Neuss, einer Stadt, „die bekannt ist für ihr Schützenfest“. Seit Januar 2020 ist sie wis- senschaftliche Volontärin am Kulturanthropolo- gischen Institut für das Oldenburger Münsterland. Im Rahmen dieses Volontariats hat sie die aktu- elle Sonderausstellung zur Jugendkultur erarbeitet. Wolfgang Stelljes hat mit ihr gesprochen. Vom Niederrhein ins Oldenburger Dazu zählt definitiv der Kilmerstuten. Dass an- Münsterland – muten manche lässlich der Geburt eines Kindes ein Brot auf der hier gepflegten Rituale nicht einer Leiter durch die Gegend getragen wird, das befremdlich an? kennt man nur hier. Ein weiteres Beispiel ist Die Ergebnisse ihrer Recherchen Befremdlich würde ich nicht sagen. sicher auch das Einmehlen, das lässt sich recht hat Malaika Winzheim in einem Es ist anders. Den Schachtelkranz klar auf die Region eingrenzen, mit ein paar Begleitband zur Sonderausstel- kannte ich zum Beispiel schon von Ausläufern Richtung Norden. lung zusammengefasst: Verwandten aus Bayern, da hat das aber nicht diese Ausmaße. Und als Bei einem Schützenfest – kann man da von Zusammen ist man nicht allein – wie es hier am Anfang hieß, du musst Jugendkultur sprechen? junge Menschen feiern zum Einmehlen, da dachte ich, ich Viele Jugendliche sind im Schützenverein aktiv. Schriftenreihe zur Alltagskultur im werde veräppelt. Ich war dann live Und es ist nicht nur das Schützenfest. Man übt Oldenburger Münsterland, Band 1, dabei. Da wurden einer jungen Frau den Schießsport gemeinsam aus, macht Ausflü- herausgegeben von Christine Aka bestimmt sechs oder sieben Pa- ge. Es ist nicht spezifisch jugendlich, es ist eine Verlag: Museumsdorf Cloppenburg ckungen Mehl über den Kopf ge- Mischform. Natürlich gehen die jungen Leute ISBN 978-3-938061-44-2 schüttet, ein Ereignis von etwa fünf auch gern aufs Schützenfest, um zu feiern. Man 143 Seiten Minuten. Die musste erstmal du- kann fast jedes Wochenende auf ein anderes 12,90 Euro schen. Schützenfest gehen. Und auch die Schützenfeste wollen junges Publikum und engagieren DJs. Die Ein eher junges Ritual ... jungen Leute überlegen: Fahr ich mit dem Bus Ja, Anfang der 2000er-Jahre tauch- in die Stadt und gehe in die Disko oder fahre mit ten die ersten YouTube-Videos und dem Rad zum Schützenfest? Gehen auch Rituale verloren? Forenbeiträge auf. Da fing man an, Ja, der Polterabend, wenn auch es im Internet zu teilen. Ist der Alkohol dabei eine heimliche Klammer? noch nicht vollends. Der Junggesel- Ich würde sagen: Alkohol ist nicht der Grund, lenabschied wird immer beliebter, Was war für Sie die größte um zusammenzukommen. Für viele ist Alkohol auch weil es ein anderer Rahmen Herausforderung? der Inbegriff von Festlichkeit. Und gerade in der ist. Da kommt nur ein kleiner, aus- Dass es bei einigen Themen keine Jugendzeit ist es normal, sich auszuprobieren. gewählter Kreis. Und die Ausgestal- wissenschaftliche Aufarbeitung Das gehört zu den Aushandlungsprozessen, das tung ist sehr individuell. Da gibt es gibt. Das Treppenfegen ist in der verbindet man mit dem Erwachsenwerden. Viel viele Möglichkeiten. Das wollen die Kulturanthropologie, früher Volks- wichtiger sind die gemeinschaftlichen Prozesse. jungen Leute. Beim Polterabend ist kunde, schon diverse Male unter- der Ablauf klassisch. sucht worden. Dagegen habe ich für Die von Ihnen sehr betont werden ... das Verbrennen von BHs keinerlei Ja, das ist das Wichtigste. Rituale und Bräuche wissenschaftliche Quellen gefun- verbinden die Menschen, schaffen auch ein Hei- den. Ich habe Hypothesen aufge- matgefühl. Beispiel Kilmerstuten – die Leute stellt und versucht, diese durch In- machen das, weil es das hier gibt – und nur hier terviews zu verifizieren. gibt. Außerdem gibt es in der Region ein sehr ausgeprägtes Vereinswesen. Und es gibt eine Gibt es Bräuche und Rituale, die sehr starke Landjugend. Hier hat wirklich jeder nur im Oldenburger Münsterland Ort eine eigene Landjugend. Es ist geradezu re- gepflegt werden? gionalspezifisch, dass man als junger Mensch in der Landjugend ist. kulturland 3.21 | 15
FÖRDER ER MEHR RAUM JE K T D PRO HEN URGISC OLDENB HAFT LANDSC für Präsentation industrieller Sachkultur Erweiterungsbau des Industriemuseums in Lohne Von Benno Dräger n Grimms Märchen Dornröschen kommt es auf dratmetern jeweils eine Lohner Industriebranche in Wechsel den richtigen Zeitpunkt an, die Dornenhecke ausstellung zeigen konnte. Auf Rat von Prof. Dr. Helmut zu durchdringen. Alle Versuche zu einem verfrüh Ottenjann vom Museumsdorf Cloppenburg hatte man sich ten Zeitpunkt scheitern. Dann gibt die Dornen- entschlossen, ein Spartenmuseum als Gedächtnis der indus- hecke den Weg zum selbstgewählten Zeitpunkt triellen Sachkultur der Region zu gründen. Das entsprach von selbst frei. So ähnlich scheint es bei dem dem Motto Lohnes als „Stadt der Spezialindustrien“. Lohne großen Projekt der Erweiterung des Lohner In- konnte nämlich schon 1801 mit der Herstellung von Schreib- dustriemuseums auch im Jahre 2019 zugegan- federn aus Gänsekielen eine protoindustrielle Entwicklung gen zu sein. vorweisen. Mit den Leitbranchen Tabakverarbeitung, Korken- herstellung sowie Pinsel- und Bürstenproduktion mussten aus Lohne im 19. Jahrhundert signifikant weniger Menschen als in anderen Gemeinden Südoldenburgs aus wirtschaft- licher Not den Weg der Auswanderung wählen. Nachdem die Skeptiker von der Sinnhaftigkeit eines Mu- seums in Lohne durch viele interessante Ausstellungen über- zeugt werden konnten, durfte die Frage nach einer größeren Räumlichkeit gestellt werden. Die Analyse aus dem Jahr 1988 von Prof. Dr. Helmut Ottenjann hatte schon für die Vielfalt der Lohner Produktionspalette eine Raumgröße von 1.700 Quadratmetern vorgesehen. Aufgrund von großzügigen Spenden aus der Lohner Industrie und der Förderung durch die Stadt Lohne konnte im Jahr 1998 der Grundstein für ei- nen Neubau in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gesetzt und 2001 mit ca. 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ein funktional überzeugendes Gebäude errichtet werden. Das Gelände, das der Stiftung Industrie Museum Lohne von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde, hat einen interessanten Bezug zur Thematik des Industriemuseums, da dort vormals eine große Korkenfabrik gestanden hat. Das Museum wuchs mit seinen Aufgaben. Die Museums Das Lohner Industriemuseum wurde im Jahre pädagogik erhielt einen großen Stellenwert. Außerdem fanden 1988 in bescheidenem Rahmen aus der Taufe viele Vortragsveranstaltungen im Museum statt, das sich gehoben. Vorher gab es einige vergebliche Ver- zu einem kulturellen Leuchtturm in der Region entwickelte. suche, in Lohne ein Museum zu gründen. Einen Tagungen, Seminare, regelmäßige Treffen von Vereinen und neuen entscheidenden Impuls setzte der Lohner Gruppen wurden im Museum etabliert, und auch die Unter- Heimatverein im Jahre 1984, als er seine Samm- bringung des Informationspunktes der Stadt Lohne als Tou- lung und einen ansehnlichen finanziellen Betrag rismusbüro konnte 2014 realisiert werden. Die Errichtung an die Stadt mit der Bitte übergab, beides für eines Magazins mit circa 1.500 Quadratmetern Stellfläche war eine Museumsgründung zu verwenden. In einem im Jahr 2004 ein wichtiger Entwicklungsschritt, sodass dort ehemaligen Schulgebäude wurde ein kleines auch die sachgerechte Konservierung von Nassholz, vor Museum eingerichtet, das auf lediglich 140 Qua- allem historischer Bohlen der Moorwege, aber auch histo 16 | kulturland 3.21
Oben: Außenansicht des rischer Brunnen und Funde von anderen Insti- mit unterschiedlichsten Nutzungsvorstellungen. Erweiterungsbaus des Indus- triemuseums._Foto: Bernard tutionen, vorgenommen werden kann. Durch die Letztlich setzte sich die Planung der Zweige- Warnking logistische Angliederung der Galerie Luzie Upt- schossigkeit durch, mit der auch aufgrund einer moor im Jahr 2007 vergrößerte das Museum sei- Wirtschaftlichkeitsberechnung folgender Bedarf Links:„Lohner Wand“, Abriss der Geschichte Lohnes und nen Stellenwert und seinen Bekanntheitsgrad. des Museums zufriedengestellt werden soll: der Region auf Thementafeln Seit der Einführung der Zertifizierung, eines Gü- a) ein mit moderner Technik ausgestatteter Vor im Vortragsraum._Foto: tesiegels als „Museums-TÜV“, hat das Lohner tragsraum für 150 Personen; mehrfach erwies Bernard Warnking Museum sich erfolgreich der Prüfung gestellt. sich der bisherige Seminarraum als entschie- Einige Ausstellungs-Begleit- Aushängeschild sind auch die vielen Publikati- den zu klein, weshalb Interessierte bei gut bände des IML._Foto: Bernard onen, die aus der Arbeit des Museums als um- besuchten Vorträgen abgewiesen werden muss Warnking fangreiche Begleitbände für Ausstellungen oder ten oder größere Veranstaltungen nicht an Linke Seite: Eröffnung des als Museumsblätter erschienen sind. genommen werden konnten, Lohner Industriemuseums Die ersten Überlegungen zur Erweiterung des b) ein Sonderausstellungsraum, sodass die Flä- 1988._Foto: Stadtmedienarchiv Museums wurden im Jahr 2013 mit einer Archi- che im Erdgeschoss, auf der bisher Wechsel im Heimatverein Lohne e. V. tektenzeichnung und einer Kostenschätzung ausstellungen präsentiert wurden, für die angestellt. Es bedurfte vieler Planungen von der Erweiterung der Dauerausstellung Industrie- Ein- bis zur Dreigeschossigkeit des Gebäudes geschichte genutzt werden kann und vor kulturland 3.21 | 17
Sie können auch lesen