Künstliche Intelligenz - ESG-NACHRICHTEN - ISF München

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Künstliche Intelligenz - ESG-NACHRICHTEN - ISF München
ESG-NACHRICHTEN                          1–3/2020

Künstliche Intelligenz
Ethische Orientierung    Menschenbild 4.0 aus   KI in der Arbeitswelt –   Mensch, Tier, Maschine: Natürliche
 im digitalen Zeitalter   universitärer Sicht    und der Mensch?           und künstliche Intelligenzen
Heinrich Bedford-Strohm   Werner Schneider       Norbert Huchler           Inge Kirsner
Künstliche Intelligenz - ESG-NACHRICHTEN - ISF München
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3
Editorial

Liebe
Leser*innen,

in der DDR gab es ein sehr populäres Kinderlied,      Auch das Thema des Heftes ist nicht das erwartete.
das ich allerdings nie so ganz verstanden hatte:      Vielmehr hat das Thema der letzten Hauptamt-
                                                      lichenkonferenz, die noch kurz vor Corona in
Wenn Mutti früh zur Arbeit geht,                      Augsburg stattfinden konnte, ein solches Echo
Dann bleibe ich zu Haus.                              ausgelöst, dass wir uns spontan entschlossen
Ich binde eine Schürze um                             haben, das Thema der HAK auch zum Thema des
Und feg die Stube aus.                                Heftes zu machen. Passend dazu, stellt die ESG
                                                      Augsburg ihre Arbeit und ihre Geschichte vor.
Das Essen kochen kann ich nicht,                      Des ursprünglich geplanten Themas rites de
Dafür bin ich zu klein.                               passage werden wir uns dann im nächsten Heft
Doch Staub hab ich schon oft gewischt.                annehmen.
Wie wird sich Mutti freun�                            Begegnungen mit Menschen aus und in Indien
                                                      sind längst fester Bestandteil des ESG-Lebens.
Wieso geht das Kind nicht in den Kindergarten?        Neues Terrain erkundete dagegen die ESG Osna-
Oder in die Schule? Jetzt, in Zeiten von Corona,      brück in Vietnam, ein Land, auf das die USA im
ist plötzlich alles klar: Mutti ist alleinerziehend   Vietnamkrieg zwei- bis dreimal mehr Bomben
und systemrelevant (Krankenschwester, Kassie-         abwarfen als im Zweiten Weltkrieg.
rerin in der Kaufhalle) und Kindergärten und          In der Geschäftsstelle herrscht reges Kommen
Schulen sind geschlossen. Dass das Kind mal           und Gehen: neue Kolleginnen stellen sich vor
unbeaufsichtigt zu Hause bleibt, war in Ordnung,      und Anna-Sophie verabschiedet sich.
Helikoptereltern und der Spätgebärenden Tanz          Wir gedenken des 250. Geburtstages Friedrich
ums Kind waren noch nicht erfunden. Und Ober-         Hölderlins und die Löser*innen des Weihnachts-
flächendesinfektion ist ja auch nicht unwichtig.      rätsels brennen sicher schon darauf zu erfahren,
Uns, die wir nicht systemrelevant sind, hat das       ob sie gewonnen haben.
Virus, das praktischerweise an allem schuld ist,
für Monate unbeaufsichtigt ins Home Office            Eine anregende Lektüre wünscht
verbannt und die ansätze erscheinen nun mit
einiger Verzögerung, da sie zwar gedruckt, aber
nicht hätten ausgeliefert werden können.

                                                      Uwe-Karsten Plisch

          1–3 2020
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                                                                                                           Inhalt

Thema: Künstliche Intelligenz
Umschlag Titelmotiv: Franck V. on Unsplash
Umschlagrückseite: Michael Dziedzic on Unsplash

Thema                                                 Verband
6	Ethische Orientierung im digitalen Zeitalter       34 Corinnas Columne
   Ansprache am 17.2.20 bei der ESG-Hauptamtlichen-      In Zeiten von Corona …
   konferenz in Augsburg
    Heinrich Bedford-Strohm                           35	Von allen Seiten umgibst du mich – Mensch und Welt
                                                          im Zeichen der KI
10 Menschenbild 4.0 aus universitärer Sicht               Eindrücke von der Hauptamtlichenkonferenz in Augsburg,
   Grußwort auf der ESG-Hauptamtlichenkonferenz           17.-20. Februar 2020
    Werner Schneider
                                                      37 Studienfahrt der ESG Osnabrück nach Vietnam
13 KI in der Arbeitswelt – und der Mensch?               vom 16. – 30. September 2019
    Norbert Huchler                                      Lore Julius

18 Mensch, Tier, Maschine:                            40 Fachtagung für Mitarbeitende aus
   Natürliche und künstliche Intelligenzen               den Sekretariaten der ESGn
    Inge Kirsner                                         Corinna Hirschberg

22 Lese- und Filmliste für Zeiten, in denen           41 Hello German friends
   man plötzlich Zeit hat ...                            ESG-Indienaustausch 2020
    Inge Kirsner                                         Laura Lehnert und Jan Thelen

24 Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde ...        43 Auf dem Weg zu einer Kirche der
   Bibelarbeit zur HAK 2020 in Augsburg                  Gerechtigkeit und des Friedens
    Uwe-Karsten Plisch                                   ESG-Jugenddelegierte bei der EKD-Synode
                                                         Doreen Dieck

ESG stellt sich vor                                   44 Hackathon #glaubengemeinsam
                                                         Doreen Dieck
32 Campus und Kirche in Augsburg (1970-2020)
    Tabea Baader                                      45 Save the Date
                                                         Einladung zur 6. ordentlichen Vollversammlung des
                                                         Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden
                                                         in Deutschland (ESG)

                                                                                                1–3 2020
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Inhalt

Menschen und Nachrichten                             Ankündigungen
46 Kommen und Gehen                                  57 Kloster auf Zeit für Studierende 2020

                                                     62 Abkürzungsverzeichnis / Impressum

Bücher und Materialien
48 Poetry
    Friedrich Hölderlin (1770-1843)

49 Auflösung Weihnachtsrätsel

50 Mit Studierenden predigen
   Ein Projekt und das Buch dazu
    Matthias Freudenberg

52 Martin Niemöller - Ein Held mit Einschränkungen
    Rezension von Sebastian Dittrich

55 Nicht-Glauben oder Neu-Glauben?
    Rezension von Sebastian Dittrich

Foto: by Michael Dziedzic on Unsplash

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                                                                                             Künstliche Intelligenz                Thema

Ethische Orientierung im
digitalen Zeitalter
Ansprache am 17.2.20 bei der ESG-Hauptamtlichenkonferenz
in Augsburg
Heinrich Bedford-Strohm

Einleitung                                        die Untergangspropheten, die schon bei         als auch im privaten Miteinander. Jede
                                                  der Einführung der Eisenbahn warnten,          dritte Ehe in den USA startet im Netz. Der
Wie nachhaltig die digitale Revolution un-        dass die Geschwindigkeit von 25 km/h           digitale Wandel inspiriert zu ungeahn-
ser persönliches und unser öffentliches           der Menschenseele Verderben sein wird.         ten Fortschrittsphantasien. Ja – sogar das
Leben berührt und verändert hat, kann             Was wir heute brauchen ist eine nüchterne      Menschenbild scheint sich zu verändern.
man sehen, wenn man heute in eine belie-          Analyse der Chancen und Risiken, um die        Der Titel eines in den letzten Jahren in-
bige Zeitung schaut. Wir stehen an vielen         Digitalisierung verantwortlich gestalten       tensiv diskutierten Buches illustriert dies
Stellen vor den Herausforderungen, die            zu können.                                     deutlich: „Homo Deus“ heißt es und wurde
sich aus der digitalen Revolution ergeben.                                                       von Noah Yuval Harari geschrieben.
Manchmal beobachten wir Phänomene                 Die Rasanz der Veränderungen
wie etwa eine zunehmende Erregungskul-                                                           Digitalisierung – das ist meine These – ist
tur, die unserer Demokratie nicht guttut,         Noch in den 70er Jahren erstellte ich als      weder Verheißung noch Verhängnis. Sie
und spüren, dass sie viel mit der digitalen       Schulsprecher meines Gymnasiums, in            muss und kann verantwortlich gestaltet
Revolution zu tun hat, ohne dass wir genau        Handarbeit Plakate und Aufrufe. Einige         werden.
sagen können, warum das so ist.                   dieser Werke habe ich mir aufbewahrt. Der
      Das Phänomen, das wir gegenwärtig           künstlerische Wert bleibt begrenzt. In den     Wer kennt mich am besten? Digitale
erleben, hat schon Emile Durkheim, der            frühen 80er Jahren wurde ich, frisch an der    Allmachtsphantasien
Nestor der französischen Soziologie als           Universität eingeschrieben, stolzer Besitzer
„Anomie“ bezeichnet und analysiert. Bei           einer Schreibmaschine. Bei einem Aus-          Wer kennt mich am besten? Das ist eine
ihm ging es am Ende des 19. Jahrhunderts          tausch-Jahr in Berkeley kam ich erstmals       wichtige Frage. Wenn er mir Gutes will, ist
um die sozialen Folgen der Industrialisie-        mit einer neuen Technologie in Berührung.      es wunderbar, dass er mich kennt. Denn
rung. Durkheim sieht Anomie als einen Zu-         Die studentische Friedensgruppe, in der        er versteht mich und kann mir beistehen.
stand der sozialen Desintegration. Die alte       ich dort aktiv war, lud zu ihren Treffen mit   Wenn er mir böse will, kann er meine
Ordnung geht verloren. Der gesellschaft­          Einladungen, die auf Computern getextet,       Schwächen und Verletzlichkeiten aller-
liche Zusammenhalt gerät in Gefahr. Lange         gelayoutet und professionell ausgedruckt       dings auch ausnutzen.
gewachsene soziale Regeln finden keine            waren. Ich merkte: Computer waren nicht             Wer kennt mich am besten? Ich weiß
Beachtung mehr. Neue Regeln, die mit der          nur etwas für Snobs, die sich einen beson-     nicht, wie Sie diese Frage beantworten
veränderten Situation Schritt zu halten           ders modernen Anstrich geben wollten,          würden. Ich muss nicht lange zögern mit
vermögen, müssen sich erst herausbilden.          sondern ein hilfreiches Mittel, um bürger-     meiner Antwort: meine Frau kennt mich
      Genau in dieser Situation sind wir heute.   schaftliches Engagement wirkungsvoller         am besten. Weit über dreißig Jahre sind wir
Deswegen ist es wichtig, dass wir eine            zu gestalten. Wieder zurück in Deutsch-        schon gemeinsam durchs Leben gegangen.
öffentliche Diskussion um die Ethik der           land begann ich, an meiner Dissertation zu     Sie erkennt, wie es mir geht, manchmal
Digitalisierung führen. Nur so ist es mög-        arbeiten, und kaufte mir meinen ersten         schon, bevor ich es selber weiß.
lich, zwei Versuchungen im Umgang damit           Computer. Schnell wurde er für mich                 Eine Studie, die Facebook vor eini-
nicht zu erliegen: der Verteufelung auf der       unverzichtbar.                                 gen Jahren durchgeführt hat, scheint Stoff
einen Seite und der euphorischen Beju-                 Wenn man mir zu dieser Zeit gesagt        dazu herzugeben, meine Gewissheit in
belung auf der anderen Seite. In unserer          hätte, wie sehr der Computer und die digi-     dieser Hinsicht etwas zu bremsen. Diese
Geschichte hat es ja immer beides gege-           tale Technologie insgesamt unser Leben         Studie hat nämlich ergeben, dass der Al-
ben: Die Fortschrittsoptimisten, die alles        ändern und prägen würden: Ich hätte es         gorithmus von Facebook schon heute
Neue begrüßen und mitunter ein goldenes           noch in den 80er Jahren nicht für möglich      die Persönlichkeit von Menschen besser
Zeitalter, die Befreiung des Menschen und         gehalten. Und doch ist es so gekommen.         einschätzt als deren Freunde, Eltern und
das Ende allen Kummers verheißen. Und             Und das sowohl im öffentlichen Diskurs         Partner. Immerhin 86220 Freiwillige haben

                                                                                                                        1–3 2020
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Thema                 Künstliche Intelligenz

bei der Studie mitgemacht, indem sie einen   Fall sehr präzise, vor welcher grundsätzli-       will mit seiner Luganer Firma NNAISENSE
umfangreichen Fragebogen zu ihrer Per-       chen ethischen Herausforderung in Folge           eine Allzweck-Künstliche Intelligenz ent-
sönlichkeit ausfüllten. Auch ihre Arbeits-   des digitalen Wandels wir uns sehen.              wickeln. Sie soll alle Probleme zu lösen, die
kollegen, Freunde, Familienangehörigen                                                         der Mensch selbst nicht lösen kann. Am
und Partner wurden befragt. Das Erstaun-     Künstliche Intelligenz                            Anfang – so Schmidhuber beim Evange-
liche war, dass der Algorithmus nur zehn                                                       lischen Medienkongress in München – ist
Facebook-Likes benötigte, um die Vorher-     Mit dem Thema Künstliche Intelligenz sind         ein neuronales Netzwerk „dumm wie ein
sagen der Arbeitskollegen zu übertreffen.    wir seit langem vertraut. Aber bisher waren       Baby“. Dann lernt es immer mehr dazu und
70 Likes brauchte er, um die Einschätzun-    es Science-Fiction-Filme, aus denen wir           wird immer intelligenter. Schon jetzt –
gen der Freunde zu toppen. 150, um besser    das Thema kennen. Es zeichnet sich immer          sagt er – gibt es Roboter, die sich selbst
zu sein als die Familienangehörigen. Und     mehr ab, dass manches, was wir bisher             Ziele setzen können, um die Welt zu ver-
300 Likes, um die Vorhersagen der Ehe-       wirklich nur als Fiction gesehen haben,           bessern. Diese Roboter sind kleine Wissen-
partner zu übertreffen.                      tatsächlich Wirklichkeit werden könnte.           schaftler, die mit „künstlicher Neugier“ ihr
     Es gibt gute Gründe, darüber zu er-     Die Verarbeitung der Datenmengen nimmt            Wissen über die Welt erweitern. Schmid-
schrecken, welche Einsicht und so auch       dermaßen rasant zu, dass sie dem mensch-          huber sagt voraus, dass die technologische
Macht diejenigen über uns haben, die über    lichen Gehirn irgendwann ebenbürtig oder          Evolution sich deutlich schneller entwi-
Daten von Milliarden Menschen verfügen.      sogar überlegen sein könnte. In mancher           ckeln werde als die biologische Evolution.
Die Akteure sind für uns verborgen. Sie      Hinsicht gilt das ja bereits jetzt. Aber werden   Menschenähnliche Künstliche Intelligenz
haben kein Gesicht, auch wenn sie „face-     Roboter wirklich irgendwann Bewusstsein           hält er schon in 30 Jahren für möglich.
book“ heißen. Man muss sich das klar-        haben?                                                 Wir sollten auf keinen Fall den ethischen
machen: Ein Unternehmen, das, für uns             Humanoide Roboter kennen wir schon           Wert eines menschendienlichen technolo-
im alltäglichen Kontakt ganz und gar ge-     seit geraumer Zeit. In die Schnittstelle          gischen Fortschritts in Frage stellen. Die
sichtslos, behauptet, es kenne uns besser    zwischen Mensch und Maschine ist in Fol-          Digitalisierung kann segensreiche Wir-
als unsere Ehepartner. Von Eric Schmidt,     ge der Digitalisierung und gerade auch            kung entfalten, wenn sie neue medizini-
ehemals Top-Manager von google und           ihrer medizinischen Anwendungen aber              sche Therapien ermöglicht, wenn durch
alphabet, sind in diesem Zusammenhang        eine bisher nicht gekannte Bewegung               Fernüberwachung eine Herzattacke so
folgende bemerkenswerte Sätze überlie-       gekommen.                                         früh wie möglich entdeckt werden kann,
fert: „We know where you are. We know             2016 feierte der damalige Spitzen-           wenn durch digitale Technik Bewegungs-
where you`ve been. We can more or less       manager von google Sebastian Thrun eu-            einschränkungen überwunden werden
know what you`re thinking about.” Mit        phorisch den neuen digitalen Übermen-             können.
einer solchen öffentlichen Äußerung ist      schen: „durch künstliche Intelligenz wird              Aber die digitale Reproduktion von
eines klar dokumentiert: Durch die un-       es uns möglich sein, noch stärker als bisher      Menschen oder auch Teilen von uns Men-
geahnten Möglichkeiten des Zugriffs auf      über die natürlichen biologischen Grenzen         schen wirft die gleichen schwerwiegen-
unsere Daten droht sich unser Konzept        unserer Sinne und Fähigkeiten hinaus zu           den Fragen auf, wie seinerzeit das Klonen.
von Privatheit fundamental zu verändern.     gehen. Wir werden uns an alles erinnern,          Wieviel menschliche Produktivkraft in der
     Natürlich kann man diskutieren, ob      jeden kennen, wir werden Dinge erschaffen         künstlichen Erschaffung von menschlichem
Schmidts Äußerung auch in Zeiten der         können, die uns jetzt noch völlig unmög-          Leben ist noch vereinbar mit der grund-
Europäischen Datenschutzgrundverord-         lich oder gar undenkbar erscheinen” (zi-          legenden christlichen Überzeugung, dass
nung noch zutrifft. Oder ob seine Worte      tiert bei Precht, 80).                            wir Menschen zum Bilde Gottes geschaffen
nicht eher den Allmachtsphantasien einer          Der deutsche Wissenschaftler Jürgen          sind und nicht zum Bilde eines anderen
digitalen Gründerelite entspringen. Seine    Schmidhuber, der von vielen als „Papst der        Menschen? Wie werde ich als Pfarrer rea­
Äußerungen beschreiben aber in jedem         Künstlichen Intelligenz“ bezeichnet wird,         gieren, wenn ein Roboter, der mit allen Ge-

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                                                                                           Künstliche Intelligenz                 Thema

sichtszügen eines Menschen ausgestattet       Säugetiere und Vögel nutzen, um rasch            wird, sondern für ihn war die Frage: „Cur
ist, mit großer Ernsthaftigkeit ein Taufbe-   Wahrscheinlichkeiten des Überlebens und          Deus homo?“ Warum wurde Gott Mensch?
gehren vor mich bringt?                       der Reproduktion zu berechnen. Gefühle                In Jesus – so seine Antwort – begegnet
     Die Beschäftigung mit den unter-         beruhen nicht auf Intuition, Inspiration         uns die radikale Liebe zum Mitmenschen.
schiedlichen Dimensionen der Digitalisie-     oder Freiheit – sie basieren auf Berech-         Und in Jesus, dem Gekreuzigten und Auf-
rung macht deutlich: Die Theologie ist        nung“ (Harari 2018, 78f.). Angesichts des        erstandenen, begegnet uns verletzte und
aufgefordert, Kernüberzeugungen der           rasanten technologischen Fortschritts, so        versehrte Menschlichkeit. Gottes mensch-
christlichen Anthropologie neu zur Sprache    Harari, werden ausgefeilte Algorithmen in        liche Gestalt weist uns den Weg zum wahren
zu bringen.                                   der Zukunft die gesellschaftliche Kontrolle      Menschsein. Darin hat die Menschenwürde
                                              über uns Menschen erlangen.                      ihren tiefsten Grund.
„Was ist der Mensch, dass du seiner                 Die biblische Tradition redet anders.           Der Mensch – in dieser Annahme kon-
gedenkst?“ Anthropologische                   Sie definiert den Menschen nicht aus sich        vergieren philosophische Überlegungen
Überlegungen                                  selbst heraus, sondern immer zuerst in           mit religiösen Überzeugungen – darf nie-
                                              seiner Zugehörigkeit zu und in seiner Un-        mals allein Mittel zum Zweck sein. Er muss
Für uns als christliche Theologinnen und      terschiedenheit von Gott. Der Mensch ist         immer zugleich Zweck an sich sein. Er hat
Theologen ist das biblische Zeugnis das       „wenig niedriger als Gott“, aber eben doch       eine Würde, die ihm niemand nehmen kann.
Fundament unseres Nachdenkens über die        niedriger. Darin spiegelt sich einerseits das    Was einen Preis hat, so die berühmten
Anthropologie.                                Staunen des Menschen darüber, dass Gott          Worte von Immanuel Kant, „an dessen
     „Wenn ich sehe die Himmel, deiner        ihn zum Herrn gemacht hat „über Gottes           Stelle kann … etwas anderes als Äquivalent
Finger Werk, den Mond und die Sterne, die     Hände Werk“. Andererseits wird dieser            gesetzt werden; was dagegen über allen
du bereitet hast: was ist der Mensch, dass    Mensch zugleich in und trotz dieser Herr-        Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent
du seiner gedenkst, und des Menschen Kind,    schaft über die geschaffene Welt daran           verstattet, das hat eine Würde“. Wie ak-
dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn     erinnert, dass er niedriger als Gott ist, dass   tuell diese Worte im Zeitalter der Digitali-
wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre    er eben kein homo deus ist, sondern ein          sierung sind, ist nun deutlich geworden. Je
und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“        homo sapiens. Wenn er wirklich sapiens           mehr unsere Kommunikation, unser Leben
Die Verse stammen aus Psalm 8. Dieses         ist, dann darin, dass er sich zu unterschei-     überhaupt, in Zeiten der digitalen Trans-
Gebet aus dem Psalter des Alten Testa-        den weiß von und bezogen weiß auf Gott,          formation von der Logik ökonomischer
mentes beantwortet auf seine ganz und         obwohl ihm so viel Macht und Herrschaft          Profitmaximierung getrieben ist, desto
gar eigene Weise diese fundamentale Frage:    in der Schöpfung Gottes gegeben ist. Dass        stärker gerät das grundlegende Konzept von
Was ist der Mensch?                           er bereit ist zur Verantwortung. Verant-         christlicher Menschenwürde unter Druck.
     Es gibt ganze Bibliotheken, die diese    wortung für die Welt, für die Vögel unter             Und ein Weiteres: Die Verletzlichkeit
Frage zu beantworten versuchen: Heute         dem Himmel und die Fische im Meer, die           als konstitutives Element des Menschseins
verstehen manche den Menschen als eine        Gott geschaffen und ihm zur Fürsorge an-         ernstzunehmen, bedeutet eine klare Absage
komplizierte, aber im Prinzip berechen-       vertraut hat, ebenso wie für die Algorith-       an das Menschenbild des Transhumanismus,
bare Algorithmusmaschine, als Spielball       men der Gegenwart, die der Mensch selbst         das hinter vielen der menschlichen All-
komplizierter biochemischer Zufälle, deren    sich erdacht hat.                                machtsphantasien im digitalen Zeitalter
Freiheit nur vorgegaukelt ist. Gefühle – so         „Was ist der Mensch? Der große pro-        steht. Nicht die Perfektion menschlicher
Yuval Noah Harari – sind nicht irgendeine     testantische Theologe Karl Barth hat diese       Existenz ist die Grundlage für das Leben
spezifisch menschliche Eigenschaft und        urmenschliche Frage ganz von dem Men-            des Menschen, sondern die Zusage von
spiegeln keineswegs irgendeine Art von        schen Jesus Christus her beantwortet. Für        Gottes Liebe zu uns Menschen. Auch die
‚freiem Willen‘ wider. „Gefühle sind viel-    ihn richtete sich nicht der Blick auf den        menschliche Endlichkeit bleibt aufgehoben
mehr biochemische Mechanismen, die alle       „Homo Deus“, den Menschen, der zum Gott          in dieser Liebe.

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Thema                 Künstliche Intelligenz

Die berühmte Geschichte von der Vertrei-
bung von Adam und Eva aus dem Paradies
enthält dazu eine wichtige Einsicht. Nach-
dem die beiden vom Baum der Erkenntnis
gegessen haben und aus dem Paradies
vertrieben worden sind, stellt Gott die
Cherubim an den Eingang des Paradieses,      Heinrich Bedford-Strom (4. vl.) zusammen mit Prof. Kovács, Prof. Schneider, Anne Lüters und OKR Blumtritt
um den Weg zu dem anderen Baum, dem          auf der ESG-Hauptamtlichenkonferenz in Augsburg
Baum des Lebens, zu bewachen: „Nun aber,
dass der Mensch nur nicht ausstrecke seine
Hand und nehme auch von dem Baum des         wie sie uns in manchen Entwürfen digitaler            Gestaltung aber können wir nicht an die
Lebens und esse und lebe ewiglich!“ Gott     Welten wieder neu begegnet.                           Roboter delegieren. Für die müssen wir
setzt die Grenze. Der Mensch soll nicht           Unsere Überlegungen zur Anthropo-                Menschen selbst sorgen. Hier liegt die
unsterblich werden. Für mich ist das keine   logie haben gezeigt: Kein Algorithmus                 Grenze, die wir nicht überschreiten dürfen.
Strafe, sondern ein Akt der Liebe Gottes.    kann emergente Prozesse abbilden. Ge-
Als Menschen können und sollen wir wohl      schichte ist ein offener Prozess. Die Vision          Schluss
Grenzen überwinden; eine aber bleibt. Das    einer Welt, in der Algorithmen die Kontrol-           Es ist nicht Google, sondern Gott, zu dem
Ewige bleibt Gott allein vorbehalten.        le über uns Menschen übernehmen, sind                 wir mit Psalm 139 sagen dürfen: „Ich sitze
                                             menschliche Allmachtsphantasien. Wir                  oder stehe auf, so weißt du es; du ver-
Wertschätzung für Emergenz und das           zeigen unser Menschsein genau darin, dass             stehst meine Gedanken von Ferne. Ich
Handeln Gottes in der Welt                   wir Verantwortung übernehmen. Roboter                 gehe oder liege, so bist du um mich und
                                             können keine Verantwortung übernehmen.                siehst alle meine Wege!“ (Psalm 139,2f.).
Ist der Mensch bloß eine Sequenz von Algo-        Gegenüber allen Visionen, die uns                Denn trotz aller Digitalisierung, trotz aller
rithmen? Oder ist er ein Geschöpf Gottes,    Menschen und die uns umgebende Welt                   Algorithmen und Künstlicher Intelligenz –
das sich in dynamischer Kommunikati-         zu einer berechenbaren und transparenten              Gott kennt mich besser als ich mich selbst
on mit Gott und mit seinem Nächsten          Summe von Algorithmen werden lassen                   kenne, weil das am Ende nicht an einer
befindet?                                    wollen – ob man das nun als Verheißung                Datenmenge hängt, die jemand über mich
     Das Konzept der Emergenz, wie es ins-   oder Verhängnis verstehen will – wird                 aufbieten kann, sondern an der Tiefe der
besondere Michael Welker in die Theologie    nicht nur die theologische Anthropologie              Beziehung, die durch Liebe wächst und
eingeführt hat, hilft bei der Beantwortung   immer wieder das Geheimnisvolle, das                  mir mein Geheimnis, meine Besonderheit,
dieser Frage. Emergenz beschreibt in der     Unverfügbare, das Verletzliche und die in             meine Einzigartigkeit lässt. Gott kennt
Wissenschaft das Phänomen einer neuen,       der Beziehungsfähigkeit sich gründende                mich am besten, aber unter allen Men-
bislang unvorhergesehen Ordnungsstruk-       und ausdrückende tiefe Freiheit unseres               schen ist es meine Frau, die mich am bes-
tur. Hier entsteht eine „neue Qualität, …    Menschseins betonen. Liebe lässt sich nicht           ten kennt, – und das soll auch so bleiben.
die nicht aus den Eigenschaften der Kom-     auf Algorithmen reduzieren. Und Liebe ist
ponenten herleitbar ... ist, die aber den-   untrennbar verbunden mit Verantwortung.               Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm ist
noch allein in der Wechselwirkung der             Es gibt keinen Grund, die atemberau­             Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen
Komponenten besteht“ (zitiert nach Wel-      benden Entwicklungen bei den Forschungen              Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der
ker, Reich Gottes 506). Emergenz ist die     zur Künstlichen Intelligenz zu verteufeln.            Evangelischen Kirche in Deutschland.
wissenschaftliche Grundlage für die Kritik   Sie sind weder Verheißung noch Verhäng-
einer simplen szientistischen Verkürzung     nis. Sie können und müssen verantwort-
unserer Lebensrealitäten auf Kausalketten,   lich gestaltet werden. Die verantwortliche

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Menschenbild 4.0 aus universitärer Sicht
Grußwort auf der ESG-Hauptamtlichenkonferenz
Werner Schneider

Sehr geehrter Herr Landesbischof Bedford-            Blockkonstellation von West gegen Ost;                laufen allesamt insoweit nach eingängigen
Strohm, sehr geehrter Herr Kollege Vize­             als junge Erwachsene, dann mehr oder                  Mustern, als der technologische Wandel
präsident Kovács, sehr geehrte Damen                 weniger schon mitten im Leben stehend,                einerseits im Sinne eines Fortschritts mit
und Herren,                                          erlebten sie die große soziopolitische                entsprechenden ‚Paradieserzählungen‘
                                                     Transformation des Zerfalls des Ostblocks;            bzw. Verheißungen und Utopien flankiert
ich darf Sie, auch im Namen der gesamten             und sie werden seit den Nuller-Jahren in              wird, andererseits solche Reden natürlich
Universitätsleitung, herzlich zur Bundes-            einer neuen globalisierten Welt des soge-             umgehend apokalyptische Gegennarrative
Hauptamtlichenkonferenz in der Friedens-             nannten Turbokapitalismus mit all seinen              im Sinne von diversen Weltuntergangssze-
stadt Augsburg begrüßen!                             widersprüchlichen Begleiterscheinungen                narien, Dystopien etc. auf den Plan rufen.
     Ein thematisches Grußwort zum Men-              langsam älter. Und vor allem erleben sie              Wichtig dabei – so Grundwald: Beiden
schenbild 4.0 aus Sicht der(!) Universi-             seit ihrer Kindheit einen immer weiter                gemeinsam sei die Botschaft eines jeweils
täten ist nicht einfach, denn allein schon           sich beschleunigenden und umfassenderen               auf seine Art übermächtig wirkenden
der Blick auf eine(!) Universität zeigt: was         technologischen Wandel – Stichworte wie               Technikdeterminismus, der ausblendet,
könnte die Perspektive dieser Universität            Mediatisierung, Digitalisierung etc. künden           verschleiert, dass wir – wir als Gesellschaft
– gleichsam oberhalb der vielfältigen,               davon.                                                – es sind, die den technologischen Wandel
unterschiedlichen Blickwinkel der Diszi-                  Armin Grunwald, Technikphilosoph                 initiieren und gestalten – leider häufig in
plinen und Fakultätsinteressen – kenn-               und Technikethiker an der Universität                 der dominierenden Sichtweise, dass wir
zeichnen? Und dann noch die Sichtweise               Karlsruhe (auch Jahrgang 1960!), hat Ende             eben nicht(!) gestalten, also nicht(!) agieren,
der – Plural! – Universitäten (mit ihren             Dezember im SZ-Feuilleton (SZ, 27.12.2019)            sondern bestenfalls nicht hinderlich sein
unterschiedlichen Forschungsprofilen etc.)           unter der Überschrift „Gretchenfrage 4.0,             sollten bzw., wenn überhaupt, nur noch
einfangen zu wollen, macht die Sache noch            Wie hältst du’s mit der künstlichen Intelli-          irgendwie reagieren könnten.
schwieriger.                                         genz? Technologiedebatten sind die neuen                    Diese Überlegungen möchte ich auf-
     Gleichwohl werde ich das in den                 Systemdebatten“ 1 einen – wie ich finde               greifen, um die Thematik Mensch und Welt
nächsten Minuten versuchen und möchte                sehr eindrücklichen – Beitrag geliefert, in           im Zeichen der künstlichen Intelligenz aus
aber warnend vorausschicken, dass meine              dem er folgenden Gedanken entwickelt:                 Sicht ‚der Universitäten‘ in den Blick zu
eigene fachliche Herkunft die Soziologie             Mit der Transformation der 1990er – dem               nehmen. Um ‚als Gesellschaft‘ – also nicht
ist und damit wird der Sozialwissenschaft-           Zerfall der Blockaufteilung der Welt, der             nur als Politik, Wirtschaft, Wissenschaft,
ler unweigerlich durch das zu Sagende                Globalisierung etc. – wurden die bis dahin            sondern bspw. auch unter Einbezug der Zi-
hindurchscheinen. Und ich bin Jahrgang               geführten und nun mehr oder weniger ob-               vilgesellschaft u.a. – gestalten zu können,
1960 – das sind die mittlerweile als an-             solet gewordenen politisch-ökonomisch                 d.h. Definitionsmacht, Handlungsmacht,
rollender Pflegeberg gefürchteten Baby-              dominier ten Systemdebatten ersetzt                   Gestaltungsmacht zu behalten bzw. zu-
Boomer, die aber nicht nur das ‚Viele‘ als           durch mehr oder weniger hochfliegen-                  rückzugewinnen, muss KI vor allem ra-
gemeinsames Kohorten-Merkmal haben,                  de Technikdebatten. Die Diskussion um                 dikal entmystifiziert als technologische
sondern auch folgende Sozialisationser-              Künstliche Intelligenz (KI) ist gleichsam             Entwicklung im Sinne eines Forschungs-
fahrung teilen: Sie sind geboren worden              die jüngste Welle dieses veränderten                  gegenstands gesehen werden. Im Rahmen
auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges;                ‚framings‘, dieses Rahmen-Shifts in den               universitärer Grundlagenforschung gilt es,
groß geworden in der alles dominierenden             gesellschaftlichen Diskursen. Diese ver-              Wissen über sie zu erzeugen und darauf

1   Vgl. auch Grunwald, Armin: Gretchenfrage 4.0; Süddeutsche Zeitung, 26.12.2019; https://www.sueddeutsche.de/kultur/kuenstliche-intelligenz-
    gretchenfrage-4-0-1.4736017 (Zugriffsdatum 17.4.2020).

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Thema                      Künstliche Intelligenz

aufbauend zu erkunden, welche Chan-
cen und Risiken mit der Entwicklung und
Weiterentwicklung von KI verbunden sind.
Und natürlich sind wir angehalten, dieses
Wissen weiterzuvermitteln, um neue Ge-
nerationen von WissenschaftlerInnen mit
der Thematik vertraut zu machen.
     Soweit so gut und banal: Dass sich an
der Universität Augsburg unsere Fakultä-
ten für Angewandte Informatik sowie für
Mathematik, Naturwissenschaften und
Technik mit der Thematik auseinanderset-
zen, liegt auf der Hand. Wie nicht zuletzt
der kürzlich – am 3.2.2020 in Garching bei
München – von der Bayerischen Staats-
regierung veranstaltete Hightech Summit               Werner Schneider (vorn links) auf der ESG-Hauptamtlichenkonferenz in Augsburg
zeigt, hat auch die Politik das Thema
längst auf ihrer Agenda. 2 Da bislang jedoch          ließen sich für viele weitere Disziplinen           Menschenbilder als solche, sondern deren
hauptsächlich Schlagworte wie Innovati-               entsprechende Blickwinkel und damit ein-            praktisches, also handlungsrelevantes
on, Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit                 hergehende eigenständige, aber immer im             Einwandern und Ausgreifen in und mit-
oder Standortsicherung – also letztlich               trans- und interdisziplinären Zusammen-             tels gesellschaftlicher Institutionen – und
die ökonomische Nutzbarmachung von                    hang zu verhandelnde Fragestellungen                damit bis hinein die Alltagswelten der
KI – den Diskurs prägten, braucht es eine             benennen.                                           Menschen.
deutlich breitere Diskussion. Dabei geht                   Das Motto der ESG-Hauptamtlichen-                   Zu beachten ist dabei schließlich,
es nicht um das Pflegen von prinzipieller             konferenz „Menschenbild 4.0“ verweist               dass mit KI nicht nur die Frage nach der
Bedenkenträgerei, sondern um das voll-                uns seinerseits nicht zuletzt auf die hohe          Mensch-Maschine-Interaktion neu zu
umfängliche, kritische Ausloten der Mög-              Relevanz philosophisch-ethischer und so-            stellen und zu beantworten ist, sondern
lichkeiten und Grenzen der praktischen                ziologischer Fragestellungen. Ich meine,            sich zum einen vor allem unser (bislang
Ausgestaltung von KI-Einsätzen.                       es lohnt, sich hierfür kurz folgende Über-          mechanistisch dominiertes) ‚Maschinen-
     Hier zeigt sich die Bedeutung der                legungen zu vergegenwärtigen: Technolo-             Verständnis‘ weiter ‚digitalisieren‘ wird.
Volluniversitäten im Hinblick auf die Erfor-          gischer Wandel verändert nicht per se die           Und zum anderen wird die dabei span-
schung und Entwicklung von KI. Es reicht              ‚Natur des Menschen‘, aber die Perspektive          nende Frage nicht so sehr sein, wie der
nicht aus, InformatikerInnen und Ingeni-              des Menschen auf sich selbst und die Welt.          Mensch mit dem technologischen System
eurInnen, bestenfalls noch flankiert vom                   Genauer gesagt: Mit einem technolo-            KI interagieren wird, sondern wie sich KI
kritisch kommentierenden ‚Alibi-Ethiker‘,             gischen Wandel stehen zwar immer schon              in die Mensch-Mensch-Interaktion ein-
das Feld zu überlassen. Vielmehr ist es               vorherrschende Menschenbilder zur Dis-              schreiben wird (z.B. im alltäglichen Aus-
notwendig, eine Vielzahl unterschiedlicher            position, wenngleich sich historisch zeigt,         tausch zwischen Arzt und Patient) ebenso
Disziplinen in die Diskussion einzubinden             dass es eben nicht per se technologischer           wie in die Ver-hältnisse verschiedener
sowie trans- und interdisziplinäre Projekte           Wandel ist, der Menschenbilder verändert.           gesellschaftlicher Gruppen zueinander.
zu fördern, um die Forschung verantwor-               Vielmehr umgekehrt prozessieren gesell-             Sobald KI diesen Weg ‚in die Gesellschaft‘
tungsbewusst und vertrauenswürdig vor-                schaftlichen Diskurse diesen Wandel, in-            gehen wird, werden sich nicht nur Men-
antreiben zu können. Beispielhaft sei auf             dem sie mittels veränderter Sichtweisen             schenbilder weiter verändern, sondern
die Bedeutung der Rechtswissenschaften                des Menschen auf sich und seine Welt im             vor allem und wichtiger: Herrschaftsver-
verwiesen, wenn es darum geht, die durch              Sinne neuer Ideen letztlich überhaupt erst          hältnisse, Machtbeziehungen und soziale
KI neu aufgeworfenen juristischen Fragen              die kulturellen Bedingungen für technolo­           Ungleichheitsstrukturen.
(z.B. bei Unfällen von selbstfahrenden                gische Innovationen und deren praktischen                Es ist vermutlich vergleichsweise
Autos) zu bewerten. Welche rechtlichen                Einsatz schaffen.                                   unstrittig, dass KI-Entwicklungen immer
Grenzen wollen, sollen und müssen wir                      Entscheidend für den gesellschaft-             dann zu begrüßen sind, wenn sie uns bspw.
bei KI-Anwendungen setzen? Analog                     lichen Wandel sind dabei weniger die                medizinische Fortschritte ermöglichen,

2   Vgl. https://www.stmwk.bayern.de/allgemein/meldung/6443/hightech-summit-bayern-bietet-spannende-einblicke-in-die-technologien-von-morgen.html
    (Zugriffsdatum 17.4.2020).
3   Vgl. z.B. https://taz.de/Yuval-Noah-Harari-im-Zukunftsgespraech/!167783/ (Zugriffsdatum 17.4.2020).

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denken wir etwa an die Krebsforschung.           nale und transnationale Arbeitsteilung          eben Volluniversitäten in ihrer disziplinären
Hier kann – ein entsprechendes staatliches       haben wird, mit entsprechenden Implika-         Gesamtheit und die gleichberechtigte
Gesundheitssystem oder hinreichendes             tionen auf die Verteilung materieller und       Perspektive aller Disziplinen. Disziplinen,
Vermögen auf dem privaten Bankkonto              immaterieller Ressourcen und, in weiterer       für die – ebenso wie für die Universitäten
vorausgesetzt – jeder Mensch von den             Folge, auf die Sozialpolitik, Bildungspolitik   – mit der Weiterentwicklung der KI eben-
durch KI ermöglichten, neuartigen An-            etc. Verschärft wird diese Entwicklung          falls neue Herausforderungen, aber auch
wendungen profitieren. Deutlich schwie-          dadurch, dass bereits seit Mitte der 1990er     neue Chancen verbunden sind. Und: Ich
riger wird es hingegen, wenn wir uns in          Jahre – wiederum von den Baby Boomern           selbst bin gar nicht so skeptisch, wenn es
Erinnerung rufen, dass die meisten auf KI        gleichsam selbst miterlebt – eine wachsende     um das Menschenbild 4.0 geht, denn eines
beruhenden Maschinen und Anwendun-               digitale Kluft (digital gap) beziehungsweise    wird sich aus meiner Sicht insbesondere im
gen derzeit für Staaten und Unternehmen          eine digitale Spaltung (digital divide) diag-   Blick auf die ‚Natur des Menschen‘ auch in
entwickelt werden. Denn wem und wozu             nostiziert wurde, wonach sich bestimmte         Zukunft nicht ändern: Menschen werden
dienen diese dann, wenn es sich um tota-         Bevölkerungsgruppen wesentlich in ihrem         zum Menschen, erfahren sich als Men-
litäre Staaten, um rein gewinnorientierte        Zugang zu und ihrer Nutzung von moder-          schen erst im und durch den Austausch
Firmen ohne gesellschaftliches Verant-           nen Technologien unterscheiden. Hier ist        mit anderen Menschen – und nicht mit KI-
wortungsbewusstsein handelt? Wer legt            durch die zunehmende Bedeutung von KI           Systemen; sei es am Lebensbeginn, in der
mit welcher Intention durch selbstlernende       eine weitere Verschärfung von sozialen          Kindheit und Jugend, aber auch über das
Algorithmen und Programmcodes fest,              Ungleichheiten im nationalen und trans-         ganze Erwachsenenalter im Austausch mit
welche Entscheidungen sie treffen sollen?        nationalen Rahmen zu befürchten – mit           dem Lebenspartner, der Familie, Freunden,
Und wie beeinflusst dies das zukünftige          womöglich weitreichenden Folgen für den         Nachbarn, Kollegen etc.; und vor allem
Verhältnis nicht nur von Mensch und Ma-          sozialen Frieden.                               wieder im Alter, in der Krankheit, am Le-
schine, sondern vor allem von Mensch zu               Wer dient im Verhältnis zwischen           bensende. Solange wir dieses nicht aus
Mensch?                                          Mensch und Maschine bzw. im Verhältnis          dem Auge verlieren, mache ich mir keine
      Dem israelischen Historiker Yuval Noah     von Mensch-Mensch-Maschine dann aber            Sorgen um das Menschenbild in Zeiten von
Harari verdanken wir den Hinweis, dass           wem? Muss etwas passieren – und wenn            KI. Wir stecken mittendrin in einem span-
Karl Marx eine sehr viel bessere Leitfigur       ja: was? –, damit ‚der Mensch‘, wenngleich      nenden und keineswegs nur technologi-
als Steven Spielberg sei, was die Gefah-         vielleicht nicht mehr in den selben, uns        schen, sondern vielmehr grundlegenden
ren der KI angehe. 3 Diese Gefahren wären        heute noch selbstverständlich erscheinen-       gesellschaftlichen Wandel und wir sollten
nämlich nicht die autonomen Roboter, die         den Merkmalen als einzigartig und uner-         diesen aufmerksam und informiert – besser:
die Menschheit vernichten wollten (wie die       setzlich gesehen, gleichwohl weiterhin im       kundig gestalten!
Baby Boomer aufgrund ihrer Kino-Erfah-           Zentrum unserer gesellschaftlichen und               Ich darf Sie noch einmal alle in Augs-
rung seit den früheren 1980ern bestens           politischen Aufmerksamkeit bleibt und           burg willkommen heißen und wünsche
vor Augen haben), sondern jene, die un-          demokratische Werte und Institutionen           Ihnen eine gelungene Veranstaltung!
sere Jobs übernähmen. Im 21. Jahrhundert         nicht durch technologische Systeme in           Vielen Dank!
wäre folglich nicht mehr die Ausbeutung          Frage gestellt werden?
eines Teils der Bevölkerung das Problem,              Um diese und weitere Fragen zu be-         Professor Dr. Werner Schneider ist
sondern deren Irrelevanz und damit wo-           antworten brauchen wir, aus Sicht der           Professurinhaber für Soziologie mit
möglich deren Ausschluss aus der ökono-          Universitäten, vor allem (und wie oben          Berücksichtigung der Sozialkunde und
mischen Wertschöpfungskette. Über Har-           bereits benannt) weitergehende, unab-           Vizepräsident der Universität Augsburg
iris Sichtweise lässt sich natürlich trefflich   hängige und nicht nur angewandte, son-
diskutieren, unstrittig erscheint hingegen,      dern Grundlagenforschung – also uni-
dass KI große Auswirkungen auf die natio­        versitäre Forschung. Wir brauchen dazu

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Thema                  Künstliche Intelligenz

KI in der Arbeitswelt
– und der Mensch?
Norbert Huchler

KI wird zunehmend breit eingesetzt. Dabei      bei eGovernment, Versicherungen, Banken       gen sind jedoch wenig tragfähig. Denn
sind die Auswirkungen auf die Menschen,        und administrativen Tätigkeiten allge-        es kommt auf die konkrete Gestaltung
die Arbeit und die Gesellschaft weitest-       mein), den Personalbereich, insbeson-         an, wie sich KI-Systeme nach ihrer Imple-
gehend noch unklar. Um die Potenziale          dere bei der Suche und Beurteilung von        mentierung auswirken. Aber wie kann
und die Risiken des Einsatzes von KI ein-      Bewerber*innen und auch bei der Ver-          sichergestellt werden, dass KI im Sinne
schätzen zu können, ist es wichtig, sich       haltensvorhersage bestehender Beschäf-        einer nachhaltigen Entwicklung des/der
auch mit dem zu beschäftigen, was KI im        tigter („predictive analytics“) und nicht     Einzelnen und der Gesellschaft eingesetzt
Unterscheid zum Menschen kann oder             zuletzt auch die Kundeninteraktion; z.B.      werden? Wie kann mittels KI der Schatz
nicht kann. Erst diese Verschiedenheit         im Callcenter oder durch Kommunikations-      „Datengold“ gehoben und zugleich der
ermöglicht ein komplementäres nach-            programme („bots“).                           Datenschutz gesichert werden? Aber auch:
haltiges Zusammenwirken von Mensch                                                           Welche neuen Machtverschiebungen ent-
und Technik. Dagegen für die Nichtbeach-       Fragen der Auswirkung von KI                  stehen hierdurch in Richtung derer, die
tung dieser Unterschiede zu zahlreichen                                                      über die Systeme und die Daten verfügen?
Folgeproblematiken.                            Dabei sind die Auswirkungen größtenteils           Die Praxis zeigt: Die Antworten auf
                                               noch unklar: Hat KI positive oder negative    diese und viele weitere Fragen hängen
Einsatzbereiche von KI                         Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt? Wie        von der jeweiligen spezifischen Ausge-
                                               verhält sich Stellenabbau durch Rationali-    staltung der Systeme und ihres Einsatzes
Neuere Systeme der Künstlichen Intelli-        sierung zu Stellenaufbau durch neue Ar-       ab. Schon kleinste Variationen können hier
genz (KI), insbesondere lernende Systeme,      beit rund um KI? Wie schnell geschieht        gewünschte Effekte zu ungewünschten
werden zunehmend in der Arbeitswelt ein-       hier der Wandel und was bedeutet das für      umschlagen lassen. Dies macht die Ent-
gesetzt, um Situationen zu erfassen, Daten     Qualifizierung?                               wicklung von (z.B. gesetzlichen) Rahmen-
auszuwerten, Entwicklungen vorherzu-                 Was kennzeichnet die Tätigkeiten, die   regelungen kompliziert und limitiert diese
sagen und Prozesse teilautonom selbst          für, rund um und jenseits von KI weiterhin    eventuell auch.
zu steuern oder gar zu optimieren. Dabei       oder neu benötigt werden? Gibt es eine
stehen zahlreiche Einsatzbereiche von KI       digitale Spaltung zwischen kreativen, inno-   Und der Mensch?
aktuell in der Diskussion: nicht nur „intel-   vativen Berufen und „emotionsbezogenen“
ligente“, lernende, anpassungsfähige und       Berufen, die wenig von KI betroffen sind,     In politischen öffentlichen Papieren heißt
kollaborative Robotersysteme, sondern          auf der einen und übriggebliebenen Hilfs-     es oft schnell und vermeintlich bestimmt:
vor allem sogenannte „Wissensarbeit“           tätigkeiten auf der anderen Seite? Oder       „Die Digitalisierung geht nur mit den Be-
vom Wissensmanagement über Assistenz-          braucht es nicht vielmehr weiterhin Fach-     schäftigten“, „Wir müssen die Menschen
systeme für die Arbeitsorganisation bis        arbeit, um KI-Systeme überhaupt in die        mitnehmen“ und „Die Mitarbeiter stehen
zur Unterstützung einer „datengetriebe-        Praxis zu bringen?                            im Mittelpunkt“. Solche normativen Set-
nen“ Entscheidungsfindung. Dies betrifft             In der breiten Diskussion stehen oft-   zungen sind wichtig, um Orientierung zu
zum Beispiel: KI für die Produktionssteu-      mals die Vorstellungen gegenüber, dass        bieten. Entsprechende „Ethik-Leitfäden“,
erung, -planung und -optimierung, die          KI-Systeme allein durch ihre technische       was KI bewirken oder nicht bewirken soll,
Optimierung der Personaleinsatzplanung         Eigenart also quasi „automatisch“ zu einer    geben einen Rahmen vor und können als
durch Auswertung und Abgleich von Pro-         Aufwertung von Tätigkeiten, Entlastung,       grobe Leitplanken dienen. Aber solange
zessanforderungen mit Personaldaten            Gesundheit und Motivation führen oder         nicht systematisch dargelegt wird, was KI
(Matching von „tasks“ und „skills“), das       im Gegenteil systematisch zu einer Ein­       wirklich kann und was sie nicht kann und
Lagermanagement und die Intralogistik          engung von Handlungsräumen und neuen          wofür der Mensch gebraucht wird und wofür
(autonome Fahrzeuge), die automatisierte       Belastungen (digitaler Taylorismus). Diese    nicht, so lange hängt solchen normativen
Sachbearbeitung („Dunkelverarbeitung“          „technikdeterministischen“ Betrachtun-        Setzungen ein wenig der Charakter eines

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frommen Wunsches an. Wo macht welche           Daher bietet sich ergänzend eine wei-        von KI-Systemen, die sich nicht so einfach
Mensch-Technik-Konstellation auf Dauer         tere Idee an, die der „komplementären        – z.B. über mehr Rechenleistung und Da-
Sinn, sowohl auf arbeits- bzw. betrieblicher   Arbeitsteilung“. Eine Möglichkeit, eine      ten – „beheben“ lassen:
Ebene wie auch für die Gesellschaft? Welche    menschengerechte Gestaltung von KI-
direkten sowie mittel- und längerfristigen     Systemen in Entwicklung und Einsatz nor-     Erfassungs-, Verarbeitungs-, Integrations-
Folgen und unbedachten Nebenfolgen             mativ (wünschenswert) und funktional         und Ressourcenprobleme: Was im Labor,
müssen mit einkalkuliert werden? Dabei         (aus der Sache begründet) abzusichern, ist   in der Simulation oder Einzelumsetzung
ist es fundamental, die Voraussetzungen        die Orientierung an einer Arbeitsteilung     technisch machbar ist, ist nicht genau so in
für einen realistischen Blick auf KI in der    zwischen Mensch und Technik, die auf den     der Breite umsetzbar. Es kommt zu Über-
tatsächlichen praktischen Anwendung zu         jeweiligen Kompetenzen bzw. Eigenschaften    tragungs- und Komplexitätsproblemen
schaffen.                                      beruht. Sie müssen sich also unterscheiden   im Zusammenspiel von Soft- und Hard-
     Wie steht es um die Realisierbarkeit      und sollten sich gewinnbringend wech-        ware (Umwelteinflüsse, Interferenzen,
der „KI-Versprechen“ in Bezug auf Opti-        selseitig (komplementär) ergänzen bzw.       Aufschaukelungen, Unschärfen) und zu
mierung und Praktikabilität? Was kann          bestärken und in ihrer Weiterentwicklung     völlig neuartigen Problematiken bei der
KI? Und was kann KI nicht? Wie wirken          befördern. Die Spielräume und Potenziale     Implementierung in die soziale Umwelt
KI-Systeme mit ihrer komplexen materiel-       eines solchen Ansatzes sind umso größer,     (Interessen, Nutzungs- und Aneignungs-
len und sozialen Anwendungsumgebung            je mehr Differenzen zwischen den jeweili-    formen, Widerstände). Viel diskutiert wer-
zusammen? Wo und wie macht KI im Ge-           gen „Kompetenzen“ an wichtigen Punkten       den Grenzen technischer Erfassbarkeit und
samtsystem Arbeit Sinn?                        des Zusammenwirkens von Mensch und           Ver-arbeitung, die Tücken wahrscheinlich-
                                               Technik ausgemacht werden können. Das        keitsbasierter Bearbeitung unvollständi-
Komplementäre Arbeitsteilung                   heißt, ein solcher Ansatz benötigt eine      ger Informationen (Korrelationen statt
                                               systematische Auseinandersetzung mit         Kausalität, Fehlschlüsse, falsche Pfade).
Um hier voranzukommen, bieten sich             den Grenzen von KI-Systemen, die in der      Immer neue Parameter verschlechtern
begriffliche Hilfskonstrukte an, wie zum       aktuellen Diskussion zu kurz kommt. Erst     auch die Performance von KI/lernenden
Beispiel die Überlegung, dass KI nur die-      über ein Verständnis der Grenzen von KI      Systemen (Datenqualität). KI-Systeme sind
jenige Arbeit automatisieren und dem           kann der Schritt zu einem funktionalen       weiter-hin abhängig von ihrer (Software-
Menschen abnehmen soll, die belastend          Zusammenwirken getan werden.                 bzw. Lern-)Architektur (Nicht-Wissen,
und demotivierend ist, also zum Beispiel                                                    „Vorurteile“). Letztlich spielen dann auch
stark repetitive Arbeit. (Und nicht Routine,   Grenzen von KI                               (Folge-)Kosten und begrenzte Ressourcen
die man sich erst aneignet.) Und dass KI       Seit der Begriff der „künstlichen Intelli-   eine Rolle, nicht nur ökonomische und ma-
dort als „Werkzeug“ bzw. „Assistenzsys-        genz“ geprägt wurde, gibt es auch eine       terielle Ressourcen, sondern zum Beispiel
tem“ wirken soll, wo es um motivierende,       Auseinandersetzung mit den Grenzen           auch die begrenzte menschliche Aufmerk-
qualifizierende und gesunde Arbeit geht.       von KI – insbesondere in Abgrenzung zu       samkeit und die limitierte Komplexität an
Dies stellt eine sinnvolle Zielsetzung zur     „menschlicher Intelligenz“. Je-doch fehlt    Verbindungen jeglicher Art.
Orientierung dar, wird aber so in der Praxis   es hier bislang an einer systematischen
nicht wirksam, da auch qualifizierte Arbeit    Zusammenschau und einer Ausweitung           Logische Probleme, Dilemmata und Neben-
einem ständigen Rationalisierungs- und         über den Vergleich mit dem Menschen          folgen: Hinzu kommen Dilemmata (z.B.
Optimierungsprozess unterworfen ist und        hinaus. Zudem wird hier in der Regel von     „Ironies of Automation“) und Eigenheiten
auch mit eigenen Belastungsaspekten ein-       „noch nicht“ überwundenen Grenzen ge-        technischer Wandlungsprozesse, Neben-
hergeht. Umgekehrt werden die Anforde-         sprochen: „Das KI-System ist an diesem       folgenproblematiken und Risikospiralen,
rungen rund um vermeintlich „einfache“         Punkt noch nicht so gut wie der Mensch,      die für KI noch nicht ausreichend heraus-
Arbeit systematisch unterschätzt.              aber bald …“ Es gibt jedoch auch Grenzen     gearbeitet sind. Zum Beispiel das Dilemma,

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Thema                    Künstliche Intelligenz

                                                  gensinn, Gespür, Könnerschaft, aber auch      leistung. Die KI eignet sich dadurch aber
                                                  die Fähigkeit, Bedeutung und Sinn zuzu-       eben nicht Intuition an. Ebenso verhält
                                                  weisen, bei Widersprüchen dennoch zu          es sich bezüglich menschlicher Kreativi-
                                                  handeln, zu innovieren und auch Fehler        tät und Sinnverstehen im Unterschied zu
                                                  zu machen etc., sind Bereiche, in denen       semantischen Technologien bzw. Ontolo-
                                                  spezifisch menschliche Fähigkeiten, die       gien zur Erstellung oder Auswertung von
                                                  auf nicht explizier- bzw. formalisierbarem    Texten und Bildern. Auch bei motorischen
                                                  implizitem Wissen beruhen offensichtlich      Tätigkeiten wie Schlüsseleinstecken, Fahr-
                                                  werden. Erfahrungswissen und Kompe-           radfahren oder Fußballspielen etc. gehen
                                                  tenzen (im Unterschied zu Qualifikationen)    Menschen gänzlich anders vor als KI-ba-
                                                  sind Bestandteil des Arbeitsvermögens des     sierte bzw. lernenden Robotersysteme. Die
                                                  Menschen, das zu einem ganzheitlichen,        Bearbeitungsprozesse unterscheiden sich
                                                  subjektivierenden und objektivierenden,       systematisch bezüglich Wissensaufbau,
                                                  gegenstandsbezogenen Arbeitshandeln           Wissenszugriff und -verarbeitung, Output
                                                  befähigt – im Unterschied zur maschinellen    bzw. Handeln etc. Die eigentliche Frage ist
                                                  Bearbeitung.                                  dann, was hat sich verändert, wenn eine KI
                                                                                                eine Tätigkeit „über-nimmt“? Was bleibt
                                                  Wenn Grenzen nicht berücksichtigt             liegen? Was kommt hinzu? Mit welchen
                                                  werden – Folgen für die Arbeitswelt           Folgen?
Autonome Systeme und Arbeit
Perspektiven, Herausforderungen und               Nun besteht jedoch das Problem, dass          Substituierungsbias: Ohne eine systema-
Grenzen der Künstlichen Intelligenz in            diese „Grenzen“ dennoch übersehen, ig-        tische Bezugnahme auf die Grenzen von
der Arbeitswelt                                   noriert und über-schritten werden kön-        KI wird auch das Substituierungspotenzial
                                                  nen – mit entsprechenden Folgen für den       systematisch überschätzt. Ursache ist die
dass technische Automatisierung immer             Prozess, das Ergebnis, die Mitarbeiter, das   Konzentration auf die formalen, digital
mit neuer Arbeit einhergeht; vorher, wäh-         Unternehmen, die Gesellschaft.                leicht abbildbaren Kerntätigkeiten und die
renddessen (gewährleistend oder auch                                                            Ausblendung der Komplexität und Unsi-
kompensierend) und danach. Die Voraus-            Dass dies ständig geschieht, zeigt sich       cherheit der Arbeit (z.B. informelle Antei-
setzungen, die Bearbeitung wie auch das           unter anderem an den folgenden Prob­-         le, „stille Leistungen“, Arbeitsvermögen
Ergebnis verändern sich – mit entsprechen-        lembereichen:                                 etc.) sowie die Konzentration auf explizites
den Folgen.                                                                                     Wissen und das Ignorieren von Erfahrung,
                                                  Äquivalentenbias: Technische Teil-Auto-       Kompetenzen, impliziter Kommunikati-
Nicht-Formalisierbarkeit von Teilen huma-         matisierung ist oftmals nur ein funktio-      on etc. Es wird nicht nur die Komplexi-
ner Arbeitskraft: KI ist auf Formalisierung       nales Äquivalent (dasselbe Ziel wird er-      tät der bestehenden Arbeit unterschätzt
(Informatisierung) angewiesen, das heißt:         reicht) menschlicher Arbeit, sehr selten      sondern auch die der Auswirkungen von
auf eine Übersetzung der Wirklichkeit             eine Simulation (Nachahmung des Wegs          KI-Implementierungen. Die reichhaltige
in die „Zeichensprache“ der Maschinen             zur Erreichung des Ziels) von menschlicher    Dynamik des Wandels von Arbeit durch
(01010010). Es gibt eine breite Auseinan-         Arbeit, aber keine technische Aneignung       KI-getriebene Teilautomatisierung mit ih-
dersetzung darüber, was prinzipiell „nicht“       von menschlichen Kompetenzen. So löst         ren Verschiebungen, Neu-schneidungen
übersetzbar in die „Zeichenlogik“ (Daten)         die Go-Spiel-KI (AlphaGO) ein Problem, das    und Umgewichtungen von Arbeit wird
ist. Kreativität, Spieltrieb, Initiative, Spon-   Menschen mit Intuition und Improvisation      nur teilweise erfasst. Die Folge ist eine
tanität, Empathie, Widerständigkeit, Ei-          lösen, mittels enormer Daten und Rechen-      systematische Unterschätzung der „Ge-

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                                                                                               Künstliche Intelligenz                Thema

                                                                                                   Technik dem Menschen ähnlich zu gestal-
                                                                                                   ten (Humanisierung der Technik), ist ja
                                                                                                   nicht nur ein Inspirations- und Innovati-
                                                                                                   onstreiber (von der Natur lernen), son-
                                                                                                   dern basiert auch auf dem Gedanken, dass
                                                                                                   Menschen sich nicht der Technik anpassen
                                                                                                   und so entfremden sollen, sondern dass
                                                                                                   sich die Technik an den Menschen und
                                                                                                   damit an seine Lebenswelt anpassen soll
                                                                                                   – insbesondere an der Schnittstelle, zum
                                                                                                   Beispiel durch intuitive Sprachsteuerung.
                                                                                                   Das Problem ist, dass dieser vor allem
                                                                                                   auf Erleichterung (z.B. Usability) abzie-
                                                                                                   lende Ansatz oftmals mit einer starken
Industrieroboter (KUKA IR 160/60, IR601/60 von 1983), Quelle: wikipedia                            De-Qualifizierung, einer Einengung von
                                                                                                   Aneignungs- und Handlungsmöglichkei-
währleistungsarbeit“, die rund um und                 Selbst-Disziplinierung bzw. -zurichtung      ten und Entmündigung von Kritikfähig-
zwischen der Entwicklung und dem Nut-                 an der Schnittstelle zu KI-Systemen, ge-     keit einhergeht. Zugleich greift auch die
zens von KI-Systemen geschieht. Damit                 rade wenn sie auf intuitive Nutzerfüh-       damit verbundene Idee der Herstellung
geht auch die typische verzerrt-negative              rung und ein auf das Nutzererlebnis aus-     von Akzeptanz, emotionaler Bindung und
Prognose der künftigen Notwendigkeit                  gerichtetes Design setzen. Dies betrifft     Vertrauen über Ähnlichkeit zu kurz. Zum
von Facharbeit einher.                                auch die Anpassung von Entscheidungs-        einen ist es in vielen Kontexten – vor al-
                                                      und Denkstrukturen, zum Beispiel durch       lem im Arbeitszusammenhang – durchaus
Standardisierungsbias: Teilautonome KI-               BigData-basierte Expertensysteme für         rational, in Ähnlichkeit auch ein Bedro-
Systeme funktionieren am besten in hoch               die Entscheidungsfindung in Wirtschaft,      hungspotenzial zu erkennen. Zum anderen
standardisierten Umwelten. Insofern ist               Politik und im Privatleben. Eine einseiti-   kann eben gerade eine komplementäre
ihre Umsetzung begleitet von einem eher               ge Anpassung an ein „datengetriebenes“       – also auf Verschiedenheit basierende –
impliziten ständigen Drang hin zur Stan-              probabilistisches Handeln auf Basis von      Unterstützung durch KI Akzeptanz und
dardisierung bzw. Anpassung der Umwelt                Wahrscheinlichkeiten und auf Kosten von      Vertrauen fördern, wenn sie den Menschen
an die Bedarfe der Technik und einer Re-              Erfahrung, Sinnverständnis und Gespür        „arbeitsteilig“ nützlich ist und positiv in
duktion von Vielfalt. So lässt sich zum Bei-          überträgt geradezu die Defizite techni-      seiner erfahrenen Wirkmächtigkeit be-
spiel das autonome Fahren umso leichter               schen „Handelns“ (Fehlschlüsse, Determi-     fördert. Dabei sind Menschen dazu fähig,
realisieren, je homogener, abgestimmter               niertheit, Architekturabhängigkeit etc.)     Objekte auch unabhängig von Ähnlichkeit
und regelgeleiteter der Verkehr und das               auf das menschliche Handeln und geht auf     zu „subjektivieren“ (wie Subjekte zu be-
Verkehrsverhalten sind. Auch „emotions-               Dauer mit einer Entfremdung vom Gegen-       handeln) und mit ihnen emotionale Bin-
sensible“ KI-Systeme in Bewerbungsge-                 stand und De-Qualifizierung einher.          dungen aufzubauen; wie es sich seit jeher
sprächen werden umso mehr gewünschte                                                               im Umgang mit Maschinen zeigt, vor allem
Resultate produzieren, je mehr sich die               Akzeptanz-, Vertrauens- und Humanisie-       wenn sie durch diese bestärkt werden (Hu-
Menschen in Sprache, Mimik und Ges-                   rungsbias: Dass die Grenzen von KI nicht     manisierung durch Technik).
tik an den von der KI zugrunde Geleg-                 berücksichtigt werden, ist oft auch mit
ten Kategorien orientieren. Dies birgt ein            einem fehlgeleiteten Verständnis von         Risiko- und Verantwortungsbias: Ohne eine
großes Gefahrenpotenzial bezüglich einer              „Humanisierung“ verbunden. Die Idee, die     realistische Einschätzung der Möglichkei-

                                                                                                                          1–3 2020
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