Nachhaltigkeit - TU Dortmund
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15/11 Nachhaltigkeit Klimagerecht planen Visionär führen Energieeffizient fertigen Hochwasser, Hitzewellen, Hurrikane – Wie Führungskräfte ihr Team besser Leichtes Material und clevere Konzepte Wir müssen uns der Natur anpassen motivieren können können den CO2-Ausstoß reduzieren Seite 20 Seite 26 Seite 32
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mundo — 15/11 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, W er sich der Technischen Universität Dortmund über die A45 von Süden her nähert, der sieht keine Fördertürme, keine Kraftwerke, keine Schlote, sondern: Windräder. Drei Windanlagen stehen nahe der Siedlung Salingen, eine weitere in Eichlinghofen. Wo Kilometer unter der Erde noch Steinkohle lagert, wird heute in 100 Metern Lufthöhe Wind als regenera- tive Energiequelle genutzt. Die Windräder sind eines der sichtbarsten Zeichen dafür, dass sich das Ruhrgebiet auf das Thema Nachhaltigkeit eingestellt hat. Auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Dortmund befassen sich mit den unterschiedlichen Aspekten der Nachhaltigkeit – ob ökologisch, ökonomisch oder sozial. Unser Forschungsmagazin präsentiert gleich sechs Lehrstühle der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik, die das Elektroauto in Fahrt bringen. Sie entwickeln intelligente Technik für günstiges Strom tanken und verbrauchsarme Stre- ckenplanung. Professor Dietwald Gruehn kann Kommunen dabei helfen, die Folgen des Klimawandels bei der Stadtplanung zu berücksichtigen. Die Dortmunder Plattform ChemBioTec bündelt Forschungsprojekte zur effizienten Verarbeitung nachwach- sender Rohstoffe. Führungskräfte lernen bei Professor Jens Rowold, dass bildreiche Visionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig motivieren. Juniorprofessor Christoph Schuck begleitet indes die Konsolidierung der Demokratie in Indonesien. Der Fall der einstigen Militärdiktatur verdeutlicht, welch langer Weg Ägypten und Tunesien nach dem Arabischen Frühling noch be- vorsteht. Im Interview stellen wir Ihnen schließlich Professor A. Erman Tekkaya vor, der das Recycling von Aluminium und Stahl verbessern will: Umformen statt Schmelzen lautet seine Strategie – das spart Energie! Kurz, die vorliegende Ausgabe unseres Forschungsmagazins mundo zeigt Ihnen: An der TU Dortmund weht ein frischer Wind für die Nachhaltigkeit. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre! Dortmund, Dezember 2011 Prof. Andrzej Górak, Prorektor Forschung 3
15/11 Nachhaltigkeit Klimagerecht planen Visionär führen EnergieefÐzient fertigen Hochwasser, Hitzewellen, Hurrikane – Wie Führungskräfte ihr Team besser Leichtes Material und clevere Konzepte Wir müssen uns der Natur anpassen motivieren können können den CO2-Ausstoß reduzieren Seite 20 Seite 26 Seite 32 Impressum mundo – das Magazin der Technischen Universität Dortmund Herausgeber Referat Hochschulkommunikation Chefredakti- on Angelika Willers Kontakt Angelika Willers, Tel. (0231) 755-5449, Mail: redaktion.mundo@tu-dortmund.de Redaktionelle Mitarbeit Stephanie Bolsinger, Stefan Burkard, Alexandra Gehrhardt, Greta Hamann, Joachim Hecker, Ole Lünnemann, Eva Prost, Katrin Pinetzki, Aeneas Rooch, Gabriele Scholz, Martina Schlüter, Matthias Steinbrecher Layout und Bildbearbeitung Gabriele Scholz Fotografie Jürgen Huhn Bildnachweis Titelseite Jürgen Huhn, S. 17 Petra Albers/shotshop.com, S. 29 danstar/ shoptshop.com, S. 48/49 Helmar Ernst-Herzig/shotshop.com, S. 31 FranzPfluegl/shotshop.com, S. 26/27 Photodoc/shotshop. com, S. 19 Rüdiger Rebmann/shotshop.com, S. 25 Tom Melorny/shotshop.com, S. 20/21 Erwin Wodicka/shotshop.com, S. 58 Grimme-Institut/Jens Becker, S. 8/9, 46, 62-65 Detlef Podehl, S. 14/15, 23, 24 Rainer Scholz, S.41, 43 Christoph Schuck, S. 66, 67 Ianus Simulation GmbH, S. 68 WDR/Gehle Redaktioneller Beirat Professoren Torsten Bertram, Uwe Clausen, Andreas Hoffjan, Andrzej Górak, Walter Krämer, Holger Wormer, Elisabeth Wacker, Peter Walzel Druck Gebr. Lensing GmbH & Co KG, Dortmund Anzeigen Public Verlagsgesellschaft und Anzeigenagentur mbH, Bingen (www.publicverlag.com) Grafische Kon- zeption grimmdesign, Düsseldorf Erscheinungsweise zweimal jährlich 2
mundo — 15/11 Inhalt In dieser Ausgabe Nachrichten Wissen schafft Praxis Forschungszentrum INVITE eröffnet/ERC Advanced Investigator Grant für Prof. Sebastian Engell/TU koo- Natur und Technik periert mit polnischen Wissenschaftseinrichtungen/ Schlaue Werkstoffe nrwision bleibt an der TU Dortmund/TU Dortmund war Polymer-Experte Jörg Tiller entwickelt mitdenkende mit dabei: Seit 25 Jahren gibt es die .de-Domain/Der Werkstoffe und zaubert mit Kautschuk INNOVATIONSSTANDORT ist ein Ort im Land der Ideen/ Seite 44 Erfolg bei Beobachtung kosmischer Strahlung Seite 4 Musik in den Ohren Im Sonderforschungsbereich 823 wollen Statistiker Hörgeräte konzerttauglich machen Seite 50 Kultur, Gesellschaft und Bildung Titelthema: Nachhaltigkeit Fragen Sie Ihren Medien-Doktor oder Apotheker Journalistik-Webportal überprüft Gesundheits-News Nie mehr schieben! auf Qualität Dortmunder Kompetenzzentrum kümmert sich um Seite 56 die perfekte Infrastruktur für Elektrofahrzeuge Seite 8 Endlose Energiespender Nachwachsende Rohstoffe können mehr als Erdöl und Kohle ersetzen Seite 14 Planen mit dem Klimawandel Hochwasser, Hitzewellen und Hurrikane – Warum wir uns der Natur anpassen müssen mundorama Seite 20 Campus und Köpfe Ich habe einen Traum... – Führen mit Vision Neuberufungen Warum transformationale Führung Mitarbeiterinnen und Seite 62 Mitarbeiter besser motiviert und den Gewinn steigert Seite 26 Ehrungen und Preise Seite 65 Formvollendet CO2 sparen A. Erman Tekkaya macht Profile aus Spänen Die Strömungsexperten und Töpfe aus Waschmaschinen Zwei Absolventen der TU Dortmund haben sich mit Seite 32 Simulationssoftware selbstständig gemacht – das Portfolio wächst Courage ist gut – Ausdauer ist besser Seite 66 Die Dortmunder Politikwissenschaft leistet einen Beitrag, den demokratischen Wandel Indonesiens nachhaltig zu Wissenschaft für Kinder gestalten Elektrischer Reis Seite 38 Seite 68 3
Nachrichten mundo — 15/11 TU und Bayer entwickeln Fabrik der Zukunft [A] Prof. Sebastian Engell [B] Forschungszentrum INVITE Auch unsere Studierenden profitieren tory. Weitere branchenübergreifende eröffnet von INVITE durch praxisbezogene Lehr- Forschungsprojekte beschäftigen sich Die Bayer Technology Services GmbH veranstaltungen und Projektarbeit vor mit neuen modularen Herstellungsme- (BTS) und die Technische Universität Ort«, unterstrich die Rektorin der TU thoden für die Biotechnologie. Daneben Dortmund haben am 21. September Dortmund, Prof. Ursula Gather, die Be- stehen innovative Wege der Umwand- das neue Forschungszentrum INVITE im deutung des 50:50-Joint Ventures zwi- lung und Nutzung von Kohlendioxid im Chempark Leverkusen eröffnet. INVITE schen BTS und der TU Dortmund. Fokus der Wissenschaftler. steht für INnovationen, VIsionen und Infos: www.invite-research.com TEchnologien. Hier sollen ressourcen- Die Grundsteinlegung für das vom Bund [A] schonende, flexible und effiziente Pro- und dem Land NRW mit fünf Millionen duktionskonzepte für die »Fabrik der Euro aus dem Konjunkturpaket II geför- ERC Advanced Investigator Grant Zukunft« entwickelt und getestet wer- derten Forschungsgebäude erfolgte im für Prof. Sebastian Engell den. Im Rahmen der Eröffnung erklärte Oktober 2010. Insgesamt wurden 6,5 Prof. Sebastian Engell vom Lehrstuhl der Geschäftsführer Dr. Thomas Bie- Millionen Euro in das Projekt von Bayer, für Systemdynamik und Prozessfüh- ringer erstmals ein neuartiges Konzept der TU Dortmund und dem Land inves- rung der Fakultät Bio- und Chemieinge- für die pharmazeutische Produktion, tiert, mehr als 20 Mitarbeiterinnen und nieurwesen der TU Dortmund (Principal bei dem Module in einem Baukasten- Mitarbeiter sollen dort auf über 800 Investigator) und Prof. Hans Georg Bock, prinzip im Containerformat aneinander Quadratmetern Technikums-, Labor- Interdisziplinäres Zentrum für Wissen- gereiht werden sollen. und Bürofläche in Zukunft arbeiten. schaftliches Rechnen der Universität Heidelberg (Co-Investigator), erhalten »Eine weitere, wesentliche Verbes- Die TU Dortmund zählt im Bereich Bio- vom Auswahlausschuss des European serung von Produktionsverfahren in und Chemieingenieurwesen zu den Research Council (ERC) ein Advanced punkto Nachhaltigkeit und Ressour- führenden Universitäten in Europa und Investigator Grant. censchonung kann nur mit dem Einsatz arbeitet seit Jahren eng mit Bayer in gänzlich neuer Technologien gelingen«, vielen Forschungs- und Entwicklungs- Engell und Bock, die schon seit Jahren sagte Prof. Wolfgang Plischke, im Bay- kooperationen zusammen. Eines der intensiv auf dem Gebiet der optimie- er-Vorstand zuständig für Innovation, ersten Projekte, das auf die Infrastruk- rungsbasierten Regelung zusammenar- Technologie und Umwelt, vor über 100 tur von INVITE setzt, ist das EU-Projekt beiten, sollen 3,5 Millionen Euro für ihr geladenen Gästen aus Industrie, Politik F3 Factory – Fast, Flexible, Future. Hier Projekt Model-based optimizing control und Wissenschaft. werden die 25 Projektpartner – darun- – from a vision to industrial reality er- ter sieben der führenden europäischen halten. Ziel dieses Projekts ist, Hinder- Die Ergebnisse der Forschungsprojekte Chemieunternehmen – erstmals wett- nisse bei der industriellen Anwendung sollen nicht nur in der Praxis zum Ein- bewerbsübergreifend die Vorteile gro- optimierungsbasierter Regelungen zu satz kommen: Im Rahmen von Aus- und ßer optimierter und kleinerer flexibler beseitigen. Dazu sollen nicht nur Me- Weiterbildungsveranstaltungen sollen Anlagen vereinen. Die Idee: Chemiefa- thoden zur Erhöhung der Robustheit Studierende und Graduierte davon pro- briken werden nach dem Baukasten- und Fehlertoleranz sowie zur Reduzie- fitieren. Diese können in Zukunft bei prinzip konstruiert. Modulare Stan- rung des notwendigen Modellierungs- Besuchen im INVITE-Forschungszen- dard-Apparate werden in Containern aufwands entwickelt und erprobt wer- trum Wissenschaft und Forschung auf zusammengefasst, die wiederum zu den, sondern auch neue Konzepte für höchstem Niveau hautnah erleben. einer kompletten Anlage hintereinan- die Einbeziehung der Anlagenfahrer. »Mit INVITE gelingt der Schulterschluss: der geschaltet werden können. Bei- Außerdem soll die optimierungsbasier- Die TU Dortmund und Industriepartner de Gesellschafter der INVITE GmbH te Regelung auf das An- und Abfahren können nun neuartige Technologien sind Mitglieder des mit 30 Millionen von Anlagen ausgedehnt werden. Die noch effizienter entwickeln – und zwar Euro geförderten und von BTS koordi- Regelungsverfahren sollen unter an- unter realen Produktionsbedingungen. nierten Forschungsprojektes F3 Fac- derem an einer Reaktionskolonne in 4
mundo — 15/11 Nachrichten TU Dortmund und TU Lodz kooperieren [C] nrwision bleibt in Dortmund [D] Kooperation mit dem Lehrstuhl Fluid- vorhaben ein intensiver Wissenschaft- Hochschulen vor. Beabsichtigt sind bei- verfahrenstechnik (Prof. Andrzej Górak) leraustausch zwischen Dortmund und spielsweise Veranstaltungen von Dort- erprobt werden. Der Projektbeginn ist Warschau. Zugleich sollen Studieren- munder Professorinnen und Profes- zum April 2012 vorgesehen. de beider Länder vermehrt die Chance soren für Doktoranden in Polen sowie haben, in dem jeweils anderen Land Summer Schools für Studierende aus Advanced Investigator Grants des ERC Studien- und Auslandserfahrungen zu Polen in Dortmund und gemeinsame sind auf europäischer Ebene die höchst- sammeln. Die Polnische Akademie der Forschungsvorhaben etwa im Bereich dotierten Einzelförderungen in der Wis- Wissenschaften ist ein Zusammen- innovativer Herstellungsverfahren aus senschaft. Sie werden an herausragend schluss mehrerer staatlicher Wissen- nachwachsenden Rohstoffen. ausgewiesene Wissenschaftlerinnen schafts- und Forschungsinstitutionen. Kontakt: Prof. Andrzej Górak, Ruf: und Wissenschaftler vergeben und sol- Das Institute of Physics der Polnischen 755-2323, Mail: andrzej.gorak@bci.tu- len Exzellenz, Dynamik und Kreativität Akademie der Wissenschaften ist über dortmund.de; Prof. Manfred Bayer, Ruf: der europäischen Forschung stärken. Polen hinaus renommiert im Bereich 755-3532, Mail: manfred.bayer@tu- Kontakt: Prof. Sebastian Engell, Ruf: der Grundlagenforschung zur konden- dortmund.de 755-5127, Mail: sebastian.engell@tu- sierten Materie, in der Laserspektro- [C] dortmund.de skopie und in der Halbleiterforschung [B] – einem Spezialgebiet der Dortmunder nrwision bleibt an der Fakultät Physik. TU Dortmund TU kooperiert mit polnischen nrwision – der tv-lernsender für nord- Wissenschaftseinrichtungen In Lodz unterzeichneten die Vertreter rhein-westfalen wird nach dem Be- Die Technische Universität Dortmund der Technischen Universitäten Dort- schluss der Medienkommission der hat zwei Kooperationsverträge mit pol- mund und Lodz einen Kooperationsver- Landesanstalt für Medien NRW vom nischen Wissenschaftseinrichtungen trag über die engere Zusammenarbeit 16. September für weitere vier Jah- geschlossen: mit der Polnischen Akade- der bio- und verfahrenstechnischen re zugelassen und gefördert. Der lan- mie der Wissenschaften und der Tech- Fakultäten beider Hochschulen. »Die desweite Fernsehsender mit Sitz in nischen Universität Lodz. Unterzeich- Kooperation bedeutet einen neuen Dortmund wird weiterhin vom Insti- net wurden beide Abkommen während Schub für die grenzübergreifende For- tut für Journalistik der Technischen eines Polenaufenthalts von Rektorin schung im Bereich der Biotechnolo- Universität Dortmund betrieben. Prof. Ursula Gather und vom Prorektor gie sowie der Verfahrenstechnik und Projektleiter und Journalistik-Professor Forschung Prof. Andrzej Górak mit NRW- stärkt den polnisch-deutschen Wis- Michael Steinbrecher begrüßte den Be- Wissenschaftsministerin Svenja Schul- senschaftleraustausch«, betonte Wis- schluss: »Weil die Idee einfach toll ist. ze. Anlass der Reise vom 2. bis zum 4. senschaftsministerin Svenja Schulze Wo sonst haben Bürgerinnen und Bür- November war das NRW-Polen-Jahr bei der Vertragsunterzeichnung. Die ger wie auch angehende Profis die Mög- 2011/12. Neben offiziellen Gesprächen Fakultät für Umwelt- und Prozessver- lichkeit, selbst Programm zu machen? mit Politikern sowie Vertretern der Pol- fahrenstechnik der TU Lodz und die Davon sind wir alle begeistert!« Auch nischen Akademie der Wissenschaften Fakultät Bio- und Chemieingenieurwe- Ursula Gather, Rektorin der TU Dort- standen Fragen des Forschungstrans- sen der TU Dortmund werden zukünftig mund und Intendantin des Senders, fers und der Forschungskooperation im ihre gemeinsame Forschung im Bereich freute sich über die Verlängerung des Mittelpunkt der Reise. Umwelttechnik intensivieren. Einzelne erfolgreichen Konzepts: »Davon werden Forscherinnen und Forscher der beiden nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in Physiker der TU Dortmund werden zu- Universitäten arbeiten bereits seit mehr Nordrhein-Westfalen profitieren. Eben- künftig verstärkt mit ihren Kollegen der als 20 Jahren zusammen. Zugleich sieht so können die Studierenden am Institut Polnischen Akademie der Wissenschaf- der Kooperationsvertrag einen verstärk- für Journalistik weiterhin Fernsehjour- ten in Warschau kooperieren. Geplant ten Austausch von Wissenschaftle- nalismus unter professionellen Bedin- ist neben gemeinsamen Forschungs- rinnen und Wissenschaftlern beider gungen erlernen.« 5
Nachrichten mundo — 15/11 25 Jahre .de-Domain [E] Ausgezeichnet: DER INNOVATIONSSTANDORT [F] Seit Januar 2009 wird der landesweite paderborn.de und drei weitere wurden bringt Unternehmen und wissenschaft- TV-Lernsender in Dortmund aufgebaut. als erste Domains aus Deutschland mit liche Einrichtungen aus der Region um Alle Bürgerinnen und Bürger in Nord- dieser Kennzeichnung zugelassen. Dortmund, Hamm und dem Kreis Unna rhein-Westfalen können mitmachen Welche Domain tatsächlich als erste zusammen und initiiert gemeinsame und ihre Beiträge ausstrahlen. Jour- registriert wurde, lässt sich heute nicht Projekte. Ziel ist, eine Kultur der Koope- nalistik-Studierende der TU Dortmund mehr nachvollziehen, denn erst 1988 ration zwischen Wirtschaft und Wissen- übernehmen dabei die Programmver- übernahm mit der TU Dortmund eine schaft zu etablieren, um neue Produkte antwortung unter der Leitung von Chef- deutsche Institution die Verwaltung zu entwickeln und Innovationen umzu- redakteur Stefan Malter: »Für unser der .de-Domains: Über das Drittmittel- setzen. Mit ihren sechs Hochschulen, Team ist diese Entscheidung natürlich Projekt EUnet war die Informatikrech- diversen Forschungsinstituten und ein Riesen-Kompliment und ein toller ner-Betriebsgruppe (IRB) der Fakultät zahlreichen Unternehmen bietet die Vertrauensbeweis«. für Informatik für die Vergabe von Do- Region beste Voraussetzungen für eine Kontakt: Stefanie Opitz, nrwision, c/o mainnamen und die Zuweisung von IP- Zusammenarbeit von Wissenschaftlern Institut für Journalistik, Ruf: (0231) 475 Adressen verantwortlich. und Unternehmern. 415-16, Mail: stefanie.opitz@tu-dort- mund.de Mit diesem Projekt wurde an der TU Mit der Auszeichnung ist der Verein für Dortmund der Grundstein für eine In- die regionale Integration von Wirtschaft [C] stitution gelegt, die diese Aufgabe auch und Wissenschaft einer von 365 Preis- heute noch erfüllt: das Deutsche Net- trägern, die jedes Jahr von der Standort- TU Dortmund war mit dabei: Seit work Information Center, kurz DENIC. initiative Deutschland – Land der Ideen 25 Jahren gibt es die .de-Domain Bis 1993 verantwortete die TU Dort- gemeinsam mit der Deutschen Bank Es sind nur zwei Buchstaben, doch sie mund die Verwaltung der deutschen unter der Schirmherrschaft des Bun- zeigen Internetsurfern auf der ganzen Domains. Im Jahr 1994 wechselte DE- despräsidenten Christian Wulff prä- Welt an, welches Land sie gerade an- NIC an das Rechenzentrum der da- miert werden. steuern. Seiten aus Deutschland sind maligen Universität Karlsruhe (heute an der Endung .de zu erkennen – mehr Karlsruher Institut für Technologie). Klaus Ulrich von der Deutschen Bank in als 14,5 Millionen davon gibt es im di- Hier wurde die Top-Level-Domain .de Dortmund zeichnete das Projekt DER gitalen Netz. Vor kurzem haben diese weiter vorangetrieben und professiona- INNOVATIONSSTANDORT – Wirtschaft zwei Buchstaben ihren 25. Geburtstag lisiert. Seit 1998 fungiert die Institution und Wissenschaft vernetzt als Ausge- gefeiert: Am 5. November 1986 wurde als Genossenschaft und hat ihren Sitz wählten Ort 2011 aus. Er betonte: »Die die Domain .de registriert – dieses Da- heute in Frankfurt am Main. Akteure fördern den Austausch zwi- tum markiert die Geburtsstunde des Kontakt: Hans Decker, Fakultät für In- schen Wissenschaft und Wirtschaft Internets in Deutschland. An dieser Ge- formatik, Ruf: 755-2208, Mail: hans.de- mit dem Ziel, am Standort eine Inno- burt war auch die TU Dortmund betei- cker@tu-dortmund.de vationskultur fest zu verankern. Dieser ligt: Die Computerzentren der dama- [E] fruchtbare Austausch ist eine wichtige ligen Universitäten Dortmund und Voraussetzung, um auch in Zukunft als Karlsruhe gaben den Anstoß für die DER INNOVATIONSSTANDORT ist führender Innovationsstandort in der weitere Entwicklung des Internets. Ort im Land der Ideen globalisierten Welt mitspielen zu kön- DER INNOVATIONSSTANDORT e.V. ist nen.« Am 5. November 1986 wurde die Top- Preisträger im bundesweit ausgetra- Level-Domain .de bei der US-ameri- genen Innovationswettbewerb 365 Prof. Ursula Gather, Vorsitzende des kanischen Internet Assigned Numbers Orte im Land der Ideen. Der Verein er- Netzwerks DER INNOVATIONSSTAND- Authority (IANA) in der Datenbank re- hielt die Auszeichnung am 19. Oktober ORT e.V. und Rektorin der TU Dortmund, gistriert. Die Adressen uni-dortmund. im Rahmen der Festveranstaltung 10 nahm die Auszeichnung entgegen und de, uka.de (Universität Karlsruhe), uni- Jahre Wissenschaftstag. Das Netzwerk freute sich über die Anerkennung: »Wir 6
mundo — 15/11 Nachrichten TU-Forscher beobachtet Teilchenkaskaden [G] sind froh, ein Ausgewählter Ort im Land G-APD Cherenkov Telescope) verwert- äußerliche Einflüsse eingeschränkt. Die der Ideen zu sein. Diese bundesweit be- bare Aufnahmen von atmosphärischen nutzbare Beobachtungszeit steigt stark deutende Auszeichnung ist für uns eine Teilchenkaskaden machen, schrieb ihm an. Bestätigung, dass wir mit unserer Initi- sein Doktorand von den kanarischen ative auf dem richtigen Weg sind.« Inseln. »So etwas habe ich noch nie Die Ergebnisse der Messungen kön- erlebt«, so Prof. Rhode, Professor für nen Antworten auf wichtige Fragen in Aus insgesamt 2.600 eingereichten Be- experimentelle Astroteilchenphysik der Astroteilchenphysik, der Kosmo- werbungen überzeugte das Netzwerk an der TU Dortmund. »Normalerwei- logie und der Teilchenphysik bringen: die unabhängige Jury und repräsentiert se braucht man mehrere Wochen vom Aus welchen Quellen kommen die kos- als zukunftsfähige Idee Deutschland ersten Aufstellen eines neuen Tele- mischen Teilchen, die in der Atmosphä- als das Land der Ideen. »In einem roh- skops bis zu dem Moment, in dem man re schneller als das Licht sind? Welche stoffarmen Staat wie Deutschland sind brauchbare Daten bekommt.« Eigenschaften haben die Galaxien, aus einzig Innovationen die Motoren für denen sie kommen? Und welche Hin- Entwicklung und Wachstum. Die Preis- Die Kamera, die an der ETH Zürich zu- dernisse mussten sie auf dem Weg bis träger im Wettbewerb 365 Orte im Land sammengesetzt wurde und pro Sekun- zur Erde überwinden? der Ideen machen mit Leistung und Lei- de mehrere 100 Millionen bis Milliarden denschaft die Zukunftsfähigkeit des Bilder aufnimmt, steht in 2.200 Metern Die von der Kamera aufgezeichneten Standorts Deutschland sichtbar«, so Höhe auf der Insel La Palma. Dort befin- Hochgeschwindigkeitsfilme müssen die Begründung von Klaus Ulrich zum den sich bereits zwei weitere Teleskope, mit neuen Methoden analysiert wer- Engagement der Deutschen Bank. sogenannte MAGIC-Teleskope, an denen den, um den Herkunftsort, die Energie Infos: www.der-innovationsstandort.de die Wissenschaftler der TU Dortmund und die Art des kosmischen Teilchens [F] auch beteiligt sind. festzulegen. In Dortmund erfolgt dies in enger Zusammenarbeit mit dem Dort- Erfolg bei Beobachtung Bereits mit diesen Teleskopen konnte munder Sonderforschungsbereich 876, kosmischer Strahlung man die bläulichen Cherenkov-Blitze in dem schnelle und energiesparende Wissenschaftlern der TU Dortmund ist der Teilchenkaskaden beobachten. Das Methoden zur Datenanalyse entwickelt in Zusammenarbeit mit der Universi- neue Teleskop basiert jedoch nicht werden. tät Würzburg und der ETH Zürich ein mehr wie bei MAGIC auf Photonenver- technischer Durchbruch gelungen: Zum stärker-Röhren, sondern auf Halbleiter- Im Moment sind Prof. Rhode und sei- ersten Mal haben sie mit Hilfe einer detektoren, sogenannten G-APDs (Gei- ne Kollegen im Gespräch mit Wissen- Kamera auf Basis von Halbleiterdetek- germode Avalanche Photo Diodes). schaftlern rund um den Globus. An vie- toren atmosphärische Teilchenkaska- len Orten sind derzeit neue Teleskope den, die beim Zusammentreffen kos- Diese neue Technik bietet zahlreiche geplant, um die Quellen der kosmischen mischer Teilchen hoher Energie mit der Vorteile: G-APDs sind sehr viel robuster Teilchen möglichst lückenlos beobach- Erdatmosphäre entstehen, beobachten gegenüber Sonnenlicht und anderen ten zu können. Die neue Technologie soll können. Diese neue Technologie kann äußeren Einflüssen. Man kann die Pi- dafür zur Verfügung gestellt werden. Ausgangspunkt für weiterführende Er- xelgröße verkleinern und braucht für Kontakt: Prof. Wolfgang Rhode, Ruf: kenntnisse in der Gamma-Astronomie ihren Betrieb keine Hochspannung. Ei- 755-3550, Mail: wolfgang.rhode@tu- und anderen Bereichen sein. ner der größten Vorteile der neuen Tech- dortmund.de nik ist allerdings, dass man sie auch in [G] Als Prof. Wolfgang Rhode am Morgen Nächten benutzen kann, in denen der des 12. Oktobers sein E-Mail-Postfach Mond scheint oder andere Störungsfak- öffnete, staunte er nicht schlecht: Be- toren die Nacht erhellen. Somit können reits in der ersten Nacht konnte das die Wissenschaftler mehr Daten gewin- neue Cherenkov-Teleskop FACT (First nen und sind nicht mehr so stark durch 7
Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 Nie mehr schieben! Dortmunder Kompetenzzentrum kümmert sich um die perfekte Infrastruktur für 8
mundo — 15/11 Thema – Nachhaltigkeit Elektrofahrzeuge 9
Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 A ls Christian Rehtanz mit seinen drei Kindern einmal ein Elektroau- to ausprobierte, kam er ganz schön ins Netze, kurz TIE-IN. Den größten Anteil dieser Fördermittel, rund 4,6 Millionen Euro, erhalten sechs Lehrstühle der Fa- Info Schwitzen: »Papa, da steht, dass wir kultät für Elektrotechnik und Informa- Elektroautos brauchen ein dichtes nur noch 20 Prozent haben. Schaffen tionstechnik an der TU Dortmund. »Mit Stromtankstellennetz und müssen wir es noch bis nach Hause?«, fragte TIE-IN leisten wir gemeinsam mit un- sicher sein. Sonst haben sie auf dem der Sohn. »Ich wusste es in dem Mo- seren Industriepartnern aus der Region Massenmarkt keine Chance. ment selbst nicht«, erzählt der Pro- einen wertvollen Beitrag für das NRW- fessor für Energiesysteme und Ener- Kompetenzzentrum Elektromobilität, Mit 6,5 Millionen Euro fördert das giewirtschaft. Zumal das Elektroauto Infrastruktur und Netze«, erklärt Reh- Land NRW deshalb das Kompetenz- am letzten Berg vor dem Ziel auch noch tanz. »In diesem offenen Kompetenz- zentrum für Elektromobilität an der in den Sparbetrieb schaltete. »Wir sind zentrum bündelt das Land Expertise, TU Dortmund. Die Universität soll dann wirklich nur noch auf den Hof ge- indem sich hier alle kompetenten Ak- damit zur zentralen Anlaufstelle in rollt. Die Batterie war komplett leer.« teure aus Wissenschaft und Wirtschaft allen systemischen Fragen rund um in Nordrhein-Westfalen zusammenfin- das Thema Elektromobilität und In- Damit ist Rehtanz genau das passiert, den und gemeinsam agieren können. frastruktur werden. was die Menschen skeptisch auf das Und unsere Dortmunder Technologie- Thema Elektroauto blicken lässt: Der plattform, mit der wir die gesamte Kette Bis 2013 soll am Campus eine Test- batteriebetriebene Pkw kommt mit dem vom Stromnetz über die Ladestationen und Entwicklungsumgebung ent- heutigen Stand der Technik höchstens und Abrechnungssysteme bis hin zu stehen, in der Wissenschaftler, aber 150 Kilometer weit. Bei einer Umfra- den Bordsystemen abdecken, soll darin auch Energieunternehmen, Herstel- ge des Frankfurter Instituts für Mar- eine zentrale Anlaufstelle in allen sys- ler von Bordsystemen oder Ladesta- kenkontrolle BrandControl unter 700 temtechnischen Fragestellungen dar- tionen Produkte auf Herz und Nieren potenziellen Neuwagenkäufern gaben stellen«, so Rehtanz weiter. Eine solche prüfen können. Möglich sind dann knapp 500 an, nur ein niedriges oder Technologieplattform ist nötig, meint Tests zu elektrischen oder kommu- sehr niedriges Interesse an einem Auto der Leiter von ie³: Immerhin sollen bis nikationstechnischen Anforderun- mit reinem Elektroantrieb zu haben. Von 2020 eine Million Elektroautos über gen, Umweltprüfungen, Prüfungen diesen Elektroauto-Skeptikern nannten Deutschlands Straßen rollen, bis 2030 zur Personensicherheit und zur Si- 51 Prozent eine zu geringe Reichweite sogar fünf Millionen. So lautet das Ziel cherheit der Systeme sowie Tests zur als Hauptgrund. Das zweit- und dritt- der Bundesregierung im Anfang 2011 elektromagnetischen Verträglich- häufigste Argument waren zu teure An- vorgestellten Nationalen Entwicklungs- keit. schaffungskosten (26 Prozent) und we- plan Elektromobilität. nige Tankstellen (19 Prozent). Am Projekt Technologie- und Prüf- plattform für ein Kompetenzzentrum Doch Professor Rehtanz, Leiter des ie³ Grüne Batterie wichtiger für interoperable Elektromobilität, – Institut für Energiesysteme, Energie- als ein TDI-Schriftzug Infrastruktur und Netze (TIE-IN) sind effizienz und Energiewirtschaft, spornte sechs Lehrstühle der Fakultät für sein Erlebnis nur umso mehr an. Der Elektrotechnik und Informations- 43-Jährige ist nämlich Teil des groß an- Genau 2307 Pkws mit Elektroantrieb technik beteiligt: Energiesysteme gelegten Masterplans Elektromobilität waren zum Stichtag 1. Januar 2011 laut und Energiewirtschaft (Prof. C. Reh- Nordrhein-Westfalen. Dieser Master- Kraftfahrt-Bundesamt deutschland- tanz), Elektrische Antriebe und Me- plan sieht vor, im bevölkerungsreichs- weit zugelassen, 501 davon in Nord- chatronik (Prof. S. Kulig), Kommu- ten deutschen Bundesland drei Kom- rhein-Westfalen. Bislang kostete ein nikationsnetze (Prof. C. Wietfeld), petenz- und Entwicklungszentren für Kleinwagen mit Elektroantrieb etwa Regelungssystemtechnik (Prof. T. Elektromobilität zu etablieren: eines 30.000 bis 40.000 Euro. Das ist kaum Bertram), Bordsysteme (Prof. S. Frei) für Batterietechnik, eines für Fahr- erschwinglich für die Generation, der und Energieeffizienz (Prof. J. Myrzik). zeugtechnik/Produktion sowie eines eine grüne Batterie wichtiger ist als ein Kooperationspartner aus der Wirt- für Infrastruktur und Netze. Das zu- roter TDI-Schriftzug. Anfang September schaft sind: AKUVIB Engineering und letzt genannte ist in Dortmund ange- 2011 wurde bei der Internationalen Au- Testing GmbH, EMC Test NRW GmbH, siedelt. 6,5 Millionen Euro aus Mitteln tomobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt Lti DrivES GmbH, RWE Rheinland des Landes NRW und der Europäischen am Main erstmals ein Elektromobil zum Westfalen Netz AG, TÜViT Informati- Union fließen in das dazugehörige Pro- Neuwagenpreis von weniger als 20.000 onstechnik GmbH und das Technolo- jekt Technologie- und Prüfplattform für Euro präsentiert. Wem das immer noch gieZentrum Dortmund. ein Kompetenzzentrum für interopera- zu teuer ist, kann Elektroautos ander- ble Elektromobilität, Infrastruktur und weitig testen, etwa als Dienstwagen, 10
mundo — 15/11 Thema – Nachhaltigkeit beim Carsharing-Anbieter oder als giesystems. »Durch eine übergreifende baren Energiequellen betankt, könnten Leihauto in Tourismusgebieten wie dem Koordination der Ladewünsche unter- sie nicht nur den Kohlendioxidausstoß Allgäu. schiedlicher Fahrer in einer Siedlung im Straßenverkehr senken, sondern könnten die Batterien der Elektroautos wären insgesamt umweltfreundlicher. Spätestens wenn man im Auto sitzt und über Nacht zeitversetzt geladen wer- Das unterstreichen Studien des ADAC, die Batterieanzeige von grün auf rot den, um eine Überlastung des Netzes des Bundesumweltministeriums (BMU) wechselt, stellt sich die Frage: Wann, zu vermeiden«, sagt Wietfeld. »Hierfür und des Heidelberger Instituts für Ener- wo und wie lade ich mein Elektroauto entwickeln wir die entsprechende In- gie- und Umweltforschung. Kommt der am einfachsten auf? Dieser Frage wid- formations- und Kommunikationstech- Strom für die Elektroautos aus einem met sich im TIE-IN-Projekt das Team um nologie.« Steinkohlekraftwerk, fällt die Um- Christian Rehtanz. »In einem normalen weltbilanz für die Batterieflitzer noch Haushalt wird heute schon abends die schlechter aus als für baugleiche Autos maximale elektrische Leistung benö- Elektroautos am besten mit Verbrennungsmotoren. Legt man tigt: Da wird gekocht, der Fernse- über Nacht aufladen aber den Strommix Deutschland, also her oder das Radio eingeschaltet, die die Zusammenstellung an Kraftwer- Waschmaschine angestellt, der Trock- ken, wie sie in Deutschland vorherrscht, ner noch dazu; und der Kühlschrank Nachts die Batterien des Elektroau- zugrunde, sind Elektroautos für weni- und die Lampen sind sowieso an. Wenn tos aufzuladen, sei ohnehin sinnvoll, ger CO2-Ausstoß verantwortlich. In der man jetzt noch das Elektroauto neben sagt Rehtanz: »Da ist das Energienetz Studie des BMU zeigt sich die grüne dem Haus an die Steckdose für den Ra- nicht ausgelastet. Außerdem erzeugen Seite von Elektroautos: Lädt man sie senmäher anschließt, dann verdoppelt Windenergieparks auch nachts Spit- vollständig mit Strom aus erneuerbaren man die Spitzenleistung.« zen, so dass man die gerade gewon- Energiequellen, wird ihr CO2-Ausstoß nene Energie gleich nutzen kann, statt unschlagbar niedrig. Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, zu sie umständlich zwischenspeichern dem Rehtanz seinen Kollegen Professor zu müssen.« Elektroautos werden ja Nützlich können auch Ladesäulen in Christian Wietfeld anruft. Mit seinem nicht nur entwickelt, um auf Diesel und Parkhäusern sein: Während man den Lehrstuhl für Kommunikationsnetze Benzin zu verzichten. Sie sollen auch Tag über arbeitet, hat das Auto genug ist Wietfeld nämlich der Experte für die anderweitig nachhaltig sein: Würden Zeit, seine Batterien wieder aufzula- Vernetzung aller Teilnehmer des Ener- Elektroautos mit Strom aus erneuer- den. Irgendwann soll man an den Lade- säulen auch ganz gezielt seine Wunsch- Prof. Christian Rehtanz will Elektroautos zuverlässiger machen. Parameter einstellen können, sagt Jan Fritz Rettberg. Er leitet das Projekt zum Aufbau des Dortmunder Test- und Prüfzentrums für interoperable Elektro- mobilität. »Dann könnte man der Lade- säule zum Beispiel mitteilen: Lade mein Elektroauto auf, wenn der Strom am preiswertesten ist, und zwar so, dass die Akkus bis 17 Uhr auf mindestens 30 Prozent aufgeladen sind, denn diese Energie wird für die Heimfahrt reichen.« Mit solchen intelligenten Lösungen las- sen sich Stromspitzen abfangen und Kosten sparen. »Der Mensch muss also mit dem Stromnetz kommunizieren können«, sagt der promovierte Kauf- mann Rettberg vom Institut für Energie- systeme, Energieeffizienz und Energie- wirtschaft ie³ an der TU Dortmund. Zur Kommunikation gehören auch sol- che Fragen: Wie weise ich mich an der Ladesäule aus? Wie wird abgerechnet – per EC-Karte wie an der normalen Tankstelle oder wie bei einem Handy 11
Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 mit einer monatlichen Rechnung oder per Prepaidkarte? Um diese Fragen kümmert sich Wietfeld, der Fachmann für Kommunikationsnetze im TIE-IN- Projekt. Das Herzstück des Test- und Prüfzen- trums für interoperable Elektromo- bilität, Infrastruktur und Netze wird schließlich eine Halle im Technologie- zentrum nahe des Dortmunder Campus sein. Im Frühjahr 2012 soll die Halle ihre Tore öffnen. Dann können mittel- ständische Unternehmen dort ihre Neuentwicklungen testen. Damit sind nicht nur die Elektroautos nachhaltig, sondern das Kompetenzzentrum selbst Am Forschungsprojekt beteiligt sind: – immerhin erhält und schafft es neue Arbeitsplätze. »Wenn zum Beispiel je- mand eine neue Ladesäule konzipiert Prof. Dr.-Ing. Prof. h.c. Torsten Bertram, geboren hat, wird die in der Halle aufgebaut, an 1964 in Hilden, studierte von 1985 bis 1990 an der ein eigens eingerichtetes Stromnetz Gerhard-Mercator-Universität Duisburg. Zwischen angeschlossen, mit einem Elektroauto 1990 und 1994 war er Wissenschaftlicher Ange- getestet und dahingehend überprüft, stellter am Fachgebiet für Mess-, Steuer- und Re- ob alle Normen erfüllt sind«, sagt Prof. gelungstechnik und promovierte. 1995 ging er zur Christian Rehtanz. Der Experte für En- Robert Bosch GmbH in die Forschung und Voraus- ergiesysteme hat bereits einen Test- entwicklung. 1998 wechselte er zurück an die Uni- koffer entwickelt, der in Experimenten versität Duisburg, um die Forschungsgruppe Fahr- die Rolle der Ladesäule oder die Rolle zeugsystemtechnik im Fachgebiet Mechatronik zu leiten. 2002 folgte er dem Ruf des Elektroautos mimen kann und dann an die Technische Universität Ilmenau auf die Professur Mechatronik. Seit 2005 misst, wie das echte Gegenüber funk- ist Torsten Bertram Inhaber des Lehrstuhls für Regelungssystemtechnik an der tioniert. TU Dortmund. Prof. Dr.-Ing. Stephan Frei machte sein Abitur Virtuell 1985 in Hanau. Anschließend studierte er Elek- durch das Sauerland trotechnik in Saarbrücken und Berlin. In der Bun- deshauptstadt wurde er 1999 mit einer Arbeit zur elektromagnetischen Verträglichkeit zum Außerdem wird es in den Räumlich- Dr.-Ing. promoviert. Sein Einstieg in die Wirt- keiten des Kompetenzzentrums einen schaft erfolgte 1999 bei Audi. Dort war er für die sogenannten Antriebsstand geben. Entwicklung von Fahrzeugelektronik zuständig. Das ist so etwas wie ein Laufband im Seit 2006 ist er Professor an der TU Dortmund Fitnessstudio, nur für Autos statt Men- und beschäftigt sich mit Fahrzeugelektronik und Bordnetzen. schen und mit allerlei Leistungselek- tronik statt Pulsmesser. »Dieser An- Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. Stefan Kulig hat Elektrotech- triebsstand lässt sich vielfältig nutzen, nik an der Technischen Universität Krakau studiert. zum Beispiel um zu testen, wie sehr 1974 promovierte er dort über Innere Unsymme- sich lange Bergfahrten auf die Batte- trie von elektrischen Synchronmaschinen. 1987 rie auswirken«, sagt Professor Torsten habilitierte er sich zum Thema Über die Auswir- Bertram, der den Lehrstuhl für Rege- kungen von Störfällen in elektrischen Energieüber- lungssystemtechnik innehat. Dazu fah- tragungsnetzen auf Kraftwerksturbosätze an der ren Mitarbeiter von Bertram zunächst Fernuniversität Hagen und erhielt die Venia Legen- mit dem Elektroauto der TU Dortmund di. Von 1971 bis 1995 war er Entwicklungsingenieur eine bestimmte Strecke ab, etwa durch bei der Siemens AG, Bereich Turbogeneratoren. Seit 1996 ist er Inhaber des Lehr- das Sauerland. Die Route wird mitsamt stuhls Elektrische Antriebe und Mechatronik an der TU Dortmund. Angaben zu Steigungen, Gefällen und Kurven in einen Computer eingespeist. 12
mundo — 15/11 Thema – Nachhaltigkeit Diese Daten werden auf den Antriebs- stand übertragen, das Profil lässt sich anwählen, so wie das Bergwander-Pro- fil auf dem Laufband im Fitnessstudio. »Schließlich kann eine Firma ein Elek- troauto mit ihrem neuen Antrieb hier direkt auf den Prüfstand bringen«, sagt Bertram. »Wir fahren die Sauerland- Route virtuell ab und testen dabei, wie der Antrieb belastet wird.« Torsten Bertram beschäftigt noch ein anderes Problem, das sich mit dem Projekt TIE-IN und dem zukünftigen Kompetenzzentrum ein Stück weit lö- sen ließe: »Ein Navigationsgerät im Auto gibt immer nur die kürzeste oder die schnellste Strecke aus – doch wir brauchen nun auch die energie- Prof. Dr.-Ing. Johanna Myrzik ist seit September optimale Route.« Berge, Stop-and-Go 2009 Inhaberin der neuen RWE-Stiftungsprofes- im Stadtverkehr, freie Fahrt oder Stau sur Energieeffizienz an der TU Dortmund. Myrzik auf der Autobahn: Das alles beeinflusst studierte nach dem Abitur 1985 an der TU Darm- die Reichweite der Batterie im Elektro- stadt Elektrotechnik. 1993 wurde sie mit einem auto. Im Winter reichen die Batterien Promotionsstipendium an der Universität Kassel mitunter nur für gut 80 Kilometer. Die ausgezeichnet und dort im Jahr 2000 zum Dr.-Ing. Lithium-Ionen-Akkus sind bei Kälte we- promoviert, anschließend wechselte sie in die Nie- niger leistungsfähig. Zusätzlich zieht derlande. An der Universität Eindhoven arbeitete die Heizung Strom. »Es ist also extrem sie zunächst als Postdoc (wissenschaftliche Forschungstätigkeit nach Beendi- wichtig, mit einem Elektroauto die rich- gung der Promotion), später dann als Associate Professor mit Lehrtätigkeit und tige Fahrstrategie zu wählen«, sagt Forschung zu dezentraler Energieversorgung und Power Quality. Bertram. »Mir schwebt ein Algorithmus für ein Navigationsgerät vor, der warnt, Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz, geboren 1968 in wenn man zu schnell fährt und somit Dortmund, studierte ab 1989 an der TU Dortmund Energie verschleudert. Gut wäre es zu- Elektrotechnik, wo er 1997 promovierte. 2001 er- dem, wenn das Navi eine Route planen hielt er die Venia Legendi für elektrische Ener- kann, bei der Abschnitte für die Ener- gietechnik an der Eidgenössischen Technischen giegewinnung bedacht werden, etwa Hochschule (ETH) Zürich. Von 2000 bis 2007 war er eine längere abschüssige Strecke oder in leitenden Positionen im Bereich Forschung und ein selten befahrenes Autobahnstück.« Entwicklung bei ABB in der Schweiz und in China Das wäre dann eine neue Form des vo- tätig. Seit April 2007 ist Christian Rehtanz Profes- rausschauenden Fahrens: Der Fahrer sor an der TU Dortmund und seit 2011 Leiter des dort neu gegründeten ie³ Insti- achtet nicht mehr nur auf die Ampel in tuts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der Fakultät für 200 Metern und darauf, ob die drei Au- Elektrotechnik und Informationstechnik. tos zwischen ihm und der Ampel brem- sen, sondern auch das Navigations- Prof. Dr.-Ing. Christian Wietfeld, geboren 1966 in gerät schaut voraus und ändert seine Essen, studierte von 1986 bis 1992 Elektrotechnik Empfehlungen je nach Ladestatus und an der RWTH Aachen. Am dortigen Lehrstuhl für Landkarte. Kommunikationsnetze war er anschließend Wis- senschaftlicher Mitarbeiter und promovierte zum Gäbe es bereits dieses Navigationsge- Thema Mobilfunksysteme für die europäische Ver- rät mit Energie-Optimum-Modus, dann kehrsleittechnik. 1997 wechselte er zur Siemens hätten Christian Rehtanz und seine Kin- AG und war zuletzt Leiter Produktlinienmanage- der nicht bangen brauchen, ob sie das ment im Bereich Mobilfunknetze. Seit dem Jahr Elektroauto vielleicht die letzten Meter 2005 ist Christian Wietfeld Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze nach Hause schieben müssen. (CNI) an der TU Dortmund. Stefan Burkard 13
Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 Endlose Energiespender Nachwachsende Rohstoffe können mehr als Erdöl und Kohle ersetzen 14
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Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 E d Bernstein sah die Zukunft ziemlich schwarz. Als Mitautor des Buchs Die Welt in 100 Jahren hatte er 1910 den rasant steigenden Rohstoffhunger der aufstrebenden Industrienationen beobachtet: »Inzwischen verbraucht die Menschheit von Jahr zu Jahr mehr Steinkohle«, stellte Bernstein fest. Ka- men im Jahr 1880 auf einen Deutschen durchschnittlich noch 850 Kilogramm des Schwarzen Goldes, stieg dieser Verbrauch bis 1905 auf rund 1800 Kilo- gramm an. Bernstein folgerte: »Bei glei- cher Steigerung müssten es Anfang des 21. Jahrhunderts über 7000 Kilogramm sein.« Bei der Menge an Energie, die wir jeden Tag verbrauchen, möchte man meinen, Bernstein habe noch zu niedrig kalkuliert. Der tatsächliche Verbrauch für Steinkohle in Deutschland lag um die Jahrtausendwende nach Angaben der Vereinten Nationen aber doch bei „nur“ knapp 5800 Kilogramm pro Kopf. Ein wichtiger Grund dafür: Atomkraft, Erdöl und Erdgas ergänzen und erset- zen heute das Schwarze Gold. »Wir treiben Raubbau mit den Schätzen unserer Erde.« Zur Person »Wir treiben Raubbau mit den Schät- Dr.-Ing. Frank Eiden, geboren 1962 in zen unserer Erde«, warnte Ed Bernstein Gladbeck, studierte an der TU Dort- noch. Tatsächlich verbraucht die Welt- mund Chemie und promovierte dort bevölkerung momentan Jahr für Jahr so 1995 über die Optimierung biotech- viel Erdöl, wie erdgeschichtlich in einer nologischer Prozesse. 1998 gründete Million Jahre gebildet wurde. »Und von er das Beratungsunternehmen Bio- dem geförderten Erdöl werden rund 93 Con in Dortmund. Von 1995 bis 2002 Prozent verheizt. Nur sieben Prozent war er verantwortlicher Projektent- werden stofflich verwertet, also zum wickler bei einer Tochter der Wirt- Beispiel zu Cremes, Kunststoffen und Zur Person schaftsförderung in Hamm und von Medikamenten verarbeitet«, sagt An- M.Sc. Dipl.-Chem. Andreas J. Vorholt, 2002 bis 2006 Geschäftsführer der dreas Vorholt von der Fakultät Bio- und geboren 1982 in Haselünne, studier- regionalen Biotechnologie-Initiative Chemieingenieurwesen an der TU Dort- te von 2003 bis 2008 Chemie an der BioIndustry mit Sitz an der Ruhr-Uni- mund. »Wäre es umgekehrt, würde das TU Dortmund und an der University versität Bochum. Seit 2006 leitet er Erdöl nicht nur noch 40 oder 50 Jahre of Queensland (Australien). Anfang gemeinsam mit Prof. Andreas Schmid reichen, um hochwertige Stoffe herzu- 2011 erhielt er den Grad Master of das Forschungs- und Entwicklungs- stellen, sondern Hunderte von Jahren.« Science der Wirtschaftswissen- Netzwerk ChemBioTec, welches seit Doch irgendwann wird auch der letzte schaften. Seit 2008 promoviert er 2010 von der TU-eigenen BioChem- Brocken Steinkohle und das letzte Bar- zum Thema Hydroaminomethylie- Gate GmbH getragen wird. Außerdem rel Erdöl gefördert, verarbeitet und ver- rung von Fetten am Lehrstuhl für ist Eiden Lehrbeauftragter für indus- braucht sein. Spätestens dann beginnt Technische Chemie A der TU Dort- trielle Biotechnologie an der FH Gel- eine neue Ära: Auf das Zeitalter der Pe- mund. senkirchen. trochemie folgt das Zeitalter der nach- wachsenden Rohstoffe. 16
mundo — 15/11 Thema – Nachhaltigkeit Nachwachsende Rohstoffe sind Pro- ze geschaffen? Und: Wie sieht der mit gesamte Fläche des Landes nicht aus- dukte, die land- oder forstwirtschaftlich dem Anbau verbundene Strukturwandel reichen, um genügend Zuckerrüben an- erzeugt und nicht als Nahrungs- oder in ländlichen Regionen aus? zubauen«, sagt Frank Eiden. Futtermittel verwendet werden. Holz aus den deutschen Wäldern wird zu Pa- Auf rund 2,3 Millionen Hektar werden Der promovierte Bioverfahrenstechni- pier, Zellstoff und Möbelstücken. Hanf- im Jahr 2011 in Deutschland Energie- ker leitet zusammen mit Prof. Andreas fasern gelangen in Dämmstoffe und in und Industriepflanzen geerntet, schätzt Schmid vom Lehrstuhl Biotechnik die In- Textilien. Und Harze sowie Wachse sind die Fachagentur Nachwachsende Roh- itiative ChemBioTec. Das ist eine an der wichtig für die pharmazeutische Indus- stoffe, die vom Bundesministerium für TU Dortmund angesiedelte Plattform trie. Ernährung, Landwirtschaft und Ver- für nachhaltige chemische und bio- braucherschutz ins Leben gerufen wur- technische Produktionsprozesse: Sie de. Damit machen die nachwachsenden fördert Projekte, baut ein Netzwerk mit Mais und Zuckerrüben werden zu Rohstoffe etwa 19 Prozent der Ackerflä- Hochschulforschern und Industriepart- Wärme, Strom und Biosprit che Deutschlands aus. Ein Großteil da- nern auf und hilft bei der Aus- und Wei- von dient der energetischen Nutzung, terbildung. Getragen wird ChemBioTec das heißt der Erzeugung von Wärme, von der 2010 neu gegründeten, univer- Ob nachwachsende Rohstoffe nachhal- Strom und Kraftstoffen – wenngleich sitätseigenen BioChemGate GmbH. tig und umweltfreundlich sind, hängt das nicht immer sonderlich populär von verschiedenen Faktoren ab: Werden ist, wie der E10-Boykott der deutschen »Das Einzigartige an ChemBioTec ist, durch den Einsatz fossile Rohstoffe ge- Autofahrer an den Tankstellen jüngst dass wir nur solche Projekte fördern schont? Werden wirklich weniger Treib- bewies. Hinzu kommt: »Wenn ganz – und zwar mit Mitteln der Deutschen hausgase ausgestoßen? Werden durch Deutschland mit Ethanol aus Zucker- Bundesstiftung Umwelt –, bei denen nachwachsende Rohstoffe Arbeitsplät- rüben fahren würde, dann würde die nachweislich die Nachhaltigkeit im 17
Thema – Nachhaltigkeit mundo — 15/11 Rahmen einer Ökoeffizienz-Analyse produzierte. »Ein positiver Nebenef- quantifiziert wird«, berichtet Eiden. fekt ist, dass die kleinen grünen Algen Das ist natürlich nicht einfach. Immer- bei diesem Prozess außer Sonnenlicht hin ist der Begriff Nachhaltigkeit an auch Kohlendioxid für die Fotosynthe- sich schon schwer zu definieren – wie se verwerten.« Das Verfahren ist also also soll man Nachhaltigkeit dann auch grundsätzlich umweltschonend. Noch noch mit einer Zahl ausdrücken? »Es sind die Mengen an verbrauchtem CO2 gibt tatsächlich Tausende Messgrößen, allerdings relativ gering. die man einbeziehen kann, wenn man Nachhaltigkeit beziffern möchte«, sagt »25 Forschungs- und Entwicklungspro- Eiden und zählt ein paar auf: Wie viel jekte mit insgesamt fast 100 Partnern Abfall wird durch den neuen Prozess hat ChemBioTec in den fünf Jahren sei- eingespart, wie viel Abwasser, wie viel nes Bestehens bereits gefördert«, bilan- Energie? Ist die Energieausbeute bes- ziert Eiden. Ein besonders spannendes ser? Ein Paradebeispiel ist das Vitamin Projekt war das zum allergenfreien Lat- B2, so Eiden: »Um dieses Vitamin her- exhandschuh. Bis zu 17 Prozent des kli- zustellen, hat die Industrie früher acht nischen Personals an Krankenhäusern Produktionsstufen gebraucht. Heute leidet mittlerweile unter einer Latex- wird B2 mit Hilfe von Bakterien produ- allergie: Hervorgerufen wird sie durch ziert. Nun hat man nur noch einen ein- verschiedene Eiweiße im verwendeten zigen Schritt im Herstellungsprozess, Latex aus dem Kautschukbaum Hevea und der ist sauberer und weniger ener- brasiliensis oder durch Stoffe, die bei gieaufwändig als der gesamte Prozess der Verarbeitung des Latex verwendet früher.« werden. Die Eiweiße mit den stärksten allergieauslösenden Eigenschaften kann man aber nicht so einfach aus Mikroalgen nutzen Kohlendioxid dem Kautschuk entfernen. Ohne sie ließen sich aus dem Latex keine Hand- schuhe mehr formen. Deswegen suchte Ein weiteres Nahrungsergänzungsmit- man nach Pflanzen, also nachwachsen- tel wird mittlerweile aus nachwach- den Rohstoffen, aus denen sich Natur- senden Rohstoffen hergestellt: Omega- kautschuk ohne diese Allergene gewin- 3-Fettsäuren. Die Fettsäuren sind gut nen lässt. »Fündig wurde man bei den für das Gehirn; die Werbung verspricht Milchsaftzellen des Russischen Löwen- außerdem positive Wirkungen auf den zahns. Hier zeigt sich, wie pflanzliche Cholesterin- und Blutzuckerspiegel und Biotechnologie konventionelle industri- Schutz vor dem plötzlichen Herztod, elle Produktionsverfahren ersetzen und auch wenn wissenschaftliche Studien ergänzen kann«, sagt Eiden. das bislang nicht eindeutig beweisen konnten. Omega-3-Fettsäuren stecken vor allem in Wildlachs, Makrele, Hering Fette werden als und anderen Kaltwasserfischen. Doch Rohstoff wichtiger Überfischung, Schwermetallbelas- tung und eine saisonal schwankende Fettsäure-Zusammensetzung haben Weltweit werden pro Jahr etwa 130 Mil- Forscher dazu angetrieben, alternati- lionen Tonnen Fette und Öle gewonnen, ve, möglichst rein pflanzliche Quellen vor allem aus gepressten Pflanzen und für den Stoff zu suchen. Sie stießen Abfällen aus der Fleischproduktion. Al- auf Mikroalgen. Ein Forschungsprojekt, lein Soja- und Palmöl machen jeweils das über ChemBioTec finanziert wurde, gut 31 Millionen Tonnen der Jahrespro- ergab: Von verschiedenen Algenarten duktion aus. »Die Fette und Öle werden, war es die Kieselalge Phaedactylum neben den Kohlenhydraten, derzeit als tricornutum, die im Fotobioreaktor das wichtigste nachhaltige Rohstoffe ange- Nahrungsergänzungsmittel am besten sehen«, erklärt Andreas Vorholt: »Fette 18
mundo — 15/11 Thema – Nachhaltigkeit sind sogenannte Triglyceride. Das heißt, an einem Molekül Glycerin hängen drei Fettsäuren wie lange Fransen. Je nach- dem, wie lang diese sind und welche funktionellen Gruppen sie enthalten, lässt sich mit dem Stoff etwas Anderes herstellen.« Der 29-Jährige versucht gerade für seine Doktorarbeit möglichst ökonomisch eine sogenannte Amino- gruppe mit dem Molekül einer Fett- säure zu verbinden. Aminogruppen be- stehen aus einem Stickstoffatom, zwei Wasserstoffatomen und verschiedenen Kohlenstoffgruppen. »Mit diesem neu- en Baustein am Fettmolekül hat die Fettsäure neue technisch interessante Eigenschaften, zum Beispiel für die Her- stellung von Biopolymeren.« Auch für das Glycerin, den anderen Fettbestandteil, suchen Chemiker und Chemieingenieure nach weiteren Ver- wendungsmöglichkeiten. Diese zäh- flüssige farb- und geruchlose Substanz fällt vor allem bei der Biodieselproduk- tion an. Allerdings in solchen Mengen, dass längst nicht alles verbraucht wird, sagt Vorholt: »Die klassischen Anwen- dungsfelder, etwa als Grundlage für Kosmetika oder als Feuchthaltemit- tel in Zigaretten, reichen nicht aus. Es bleiben immer noch Unmengen übrig.« Experimente mit Glycerin sollen deswe- gen neue Anwendungsmöglichkeiten zu Tage fördern. »Zukunft hat Glycerin zum Beispiel als Ausgangsstoff für Oktan Booster in Kraftstoffen oder als Fein- staub verringernder Treibstoffzusatz«, prophezeit Vorholt. »Wichtig ist – nicht zuletzt für die Nachhaltigkeit –, dass sich klassische chemische Synthesewege mit neuen bio-technologischen Schritten ergän- zen«, sagt Frank Eiden. Mikroorganis- men wie Bakterien können und sollten häufiger als Katalysatoren und Mini-Fa- briken genutzt werden. »Die Öl-Chemie hat mehr als 100 Jahre Vorsprung vor der modernen Biotechnologie«, sagt Ei- den. Vielleicht sind dies die 100 Jahre, die 1910 auch Ed Bernstein seiner Zeit voraus war. Stefan Burkard 19
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