PANORAMA Bildung Beratung Arbeitsmarkt - Edudoc CH
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Bildung Beratung Arbeitsmarkt PANORAMA Nr. 4 2019 Interkulturalität Wie interkulturelles Vermitteln in Beratungen funktioniert. Was Auslandsaufenthalte für die Stellensuche bringen. Wie junge Auslandschweizer/innen in der Schweiz Fuss fassen. «Wie die Polymere» Martina Hirayama, Staatssekretärin des SBFI, lobt im Interview mit PANORAMA die Verbundpartnerschaft. | Seite 18 Wer sich jünger fühlt, arbeitet selbstbestimmter Was Job Crafting ist, und wie es wirkt. | Seite 27 Mehr als nur Jobsuche Wie RAV und Berufsberatungen erfolgreich zusammenarbeiten. | Seite 30 1-3_INH_Panorama_DE_4_19.indd 1 08.08.19 10:28
EDITORIAL Von Stefan Krucker, Chefredaktor Interkulturalität FOKUS Entschuldigung, darf ich Sie etwas fragen? 4 Grundlage der menschlichen Kultur | Y. Wüest Wenn Sie in Ihr Adressbuch schauen, wie vie- Was ist Interkulturalität, und wie zeigt sie sich in den RAV? le Personen, die nach der Geburt in die 6 Interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln | I. Wienand Schweiz eingewandert sind, finden Sie dort? Eine berufliche Funktion mit eidgenössischem Fachausweis. Ich tippe auf ein paar wenige, falls Sie 7 «Toleranz zwischen den Kulturen fördern» | Interview: I. Wienand selbst in der Schweiz geboren wurden und Sofija Fuhrer, interkulturelle Dolmetscherin, spricht über ihren Beruf. heute noch dort leben. Und ich vermute auch, dass diese Personen ungefähr den gleichen 8 Studentische Mobilität und Arbeitsmarktfähigkeit | P. Ischer et al. Welche Rolle spielen Auslandsaufenthalte für die Firmen? Bildungsstand haben wie Sie. Und eine ähn- liche politische Einstellung. Eine «Blase» halt, 10 Lost in translation | A. Wenzel nicht im Internet, sondern ganz real. Auslandschweizer/innen ziehen für ihre Ausbildung häufig in die Schweiz. Und doch haben Sie mit Fremden – von 13 Von «roots» zu «routes» | E.-N. Kappus, R. Martins, J. Gut der Herkunft oder von der Einstellung her – Ein CAS vermittelt interkulturelle Kompetenzen für die Berufsbildung. zu tun: beim Einkaufen, bei der Arbeit, im Sport. Und wenn es im Alltag mit zugewan- BERUFSBILDUNG derten Personen Probleme gibt, was soll man 18 «Wie die Polymere» | Interview: D. Fleischmann tun? Ist das etwas anderes, als wenn es mit Im Gespräch mit PANORAMA macht Martina Hirayama, Staatssekretärin Einheimischen Probleme gibt? des SBFI, deutlich, wie wichtig ihr die Verbundpartnerschaft ist. Schnell ist ja jeweils die Rede von den 20 Trends für die Berufsbildung beobachten | I. Trede, B. Aeschlimann kulturellen Unterschieden. Gewiss, die gibt es, Forscherinnen des EHB erklären die Methode des Trendmonitorings und die gilt es zu würdigen und pragmatisch und die ersten Resultate. zu berücksichtigen. Alles andere wäre dumm und arrogant. Also, geben Sie Fremden auch BERUFSBERATUNG Auskunft, wenn die ihre Frage nicht mit «Ent- 24 Würfelmodell zur Analyse von Lebensverläufen | L. Bernardi schuldigung» einleiten. Ein Modell will die Verständigung zwischen Fachleuten aus verschiedenen Gleichzeitig führt der Reflex «kulturelle Disziplinen erleichtern. Unterschiede» nicht selten dazu, dass Diffe- renzen kulturell gedeutet und überinterpre- 26 Nichtlineare Bildungsverläufe im Kanton Waadt | B. Suchaut Zwei Längsschnittstudien werfen Fragen auf. tiert werden, was schnell in die Diskriminie- rung von Zugewanderten mündet. Sollte man 27 Wer sich jünger fühlt, arbeitet selbstbestimmter | N. Nagy, A. Hirschi also in erster Linie von menschlichen und erst Eine Studie zu den Zusammenhängen zwischen subjektivem Alter, in zweiter Linie von kulturellen Unterschieden Job Crafting und Sinnerleben. ausgehen? Vielleicht ja: Mein Nachbar ist mir manchmal genauso fremd wie eine Person ARBEITSMARKT vom anderen Ende der Welt. 30 Mehr als nur Jobsuche | D. Fleischmann Natürlich, das Ganze bleibt eine Gratwan- Wie RAV und Berufsberatungen in mehreren Kantonen erfolgreich derung: Wenn sich Kulturen vermischen, zei- zusammenarbeiten. gen sich Unterschiede. Das erzeugt Reibung, 32 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) | P. Preuss aber auch Kreativität. Dabei bleibt keine aller Ein Wirkungsmodell und der Stand der Umsetzung von BGM Seiten gleich wie zuvor. Das nennt man übri- in der Schweiz. gens Interkulturalität. CARTOON 34 Ich finde ihn eine Bereicherung | Ch. Biedermann Bildstrecke Die grossformatigen Fotos in dieser Ausgabe wurden während eines Trainings des FC Biel- Bienne aufgenommen. PANORAMA 4 | 2019 — 3 1-3_INH_Panorama_DE_4_19.indd 3 08.08.19 10:28
FOKUS Interkulturalität Grundlage der menschlichen Kultur Der Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen führt uns vor Augen, wie stark wir selbst kulturell geprägt sind. Aber nicht selten werden Konflikte als kulturelle Konflikte gedeutet, die in Wahrheit andere Hintergründe haben. Das zeigt sich auch in Beratungsgesprächen in den RAV. Von Yvo Wüest, Trainer für transkulturelle Kompetenz und interkultureller Berater (transcultura.ch) Die Schweiz ist ein Einwanderungsland Tradition; sie gehen uns mit der Zeit derart Stellensuchende Migranten geworden. 1951 betrug die Zahl der stän- in Fleisch und Blut über, dass wir sie erst Eine zentrale Herausforderung für Mitarbei- digen ausländischen Wohnbevölkerung dann als kulturelle Eigenheiten wahrneh- tende in den RAV ist, dass rund ein Drittel 300 000 Personen, 1971 gut eine Million, men, wenn jemand davon abweicht. Geert der Stellensuchenden fremdsprachig ist; 2017 mehr als zwei Millionen. Ihr Anteil Hofstede, eine der Autoritäten der inter- ihre Erstsprache ist keine der vier Amtsspra- an der Bevölkerung beträgt nun über 25 kulturellen Kooperation, spricht von einer chen. Wie viele deswegen nicht in der Lage Prozent. Dadurch erleben immer mehr «kollektiven Programmierung des Geis- sind, den zum Teil komplexen Inhalten der Menschen in der Schweiz interkulturelle tes»; dadurch entstehe ein ganzes System Beratungsgespräche zu folgen, ist schwer zu Begegnungen. Zu ihnen gehören über- von Gepflogenheiten und Bewertungen, sagen. Eine Studie von Interpret bilanziert, durchschnittlich oft Beratende in den RAV das innerhalb einer Gruppe gültig sei. dass RAV-Mitarbeitende «nur sporadisch» oder Mitarbeitende in arbeitsmarktlichen Dennoch sind kulturelle Muster keines- Stellensuchende beraten, die über ungenü- Massnahmen. Denn der Anteil der Auslän- wegs so stark, dass Verständigung ausge- gende Kenntnisse einer Amtssprache verfü- der/innen an den registrierten Arbeitslo- schlossen wäre. Denn zwischen den Kultu- gen. Dabei wird die Verständigung meist sen beträgt 49 Prozent – fast jede oder je- ren gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten mit privaten Übersetzungshilfen oder Ad- der zweite Stellensuchende hat keinen und in der Regel auch Anknüpfungspunkte. hoc-Dolmetschenden sichergestellt. Eine Schweizer Pass. Sie ermöglichen sogenannte interkulturelle andere Möglichkeit sind interkulturell Dol- Dass Begegnungen von Menschen un- Kommunikation. Ohne sie wäre unsere mo- mentschende. Ein RAV-Berater sagt: «Es gibt terschiedlicher Herkunft gelingen, ist ein derne Welt undenkbar. Erst sie macht es immer wieder Stellensuchende, die im Ar- Ergebnis von Interkulturalität. Kulturelle möglich, dass Erfindungen und Entwick- beitsmarkt integriert waren und trotzdem Muster beruhen auf Übereinkunft und lungen ausgetauscht werden. ungenügend Deutsch sprechen. Diese Reali- 4 — PANORAMA 4 | 2019 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 4 08.08.19 10:36
tät müssen wir akzeptieren.» Interkulturell schiedener ethnischer Gruppen und in führen kann, dass gewöhnliche Konflikte Dolmetschende sind zumeist speziell ausge- fremdkultureller Umgebung zu kommu- kulturell fehlgedeutet werden. Dabei sind bildete Migrantinnen und Migranten mit nizieren. Interkulturelle Kompetenzen die Ursachen von sogenannten interkultu- einer hohen Sprachkompetenz (siehe Bei- bestehen aus den folgenden Fähigkeiten, rellen Konflikten selten auf reine kulturelle träge auf Seite 6 und 7). Ihre Dienstleistun- die Günter Friesenhahn in seinem Aufsatz Werteunterschiede zurückzuführen. gen werden in einzelnen Kantonen über die «Interkulturell – ein Begriff macht Karri- Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob man kantonalen Integrationsprogramme des ere» zusammenfasste: Personen mit muslimischem Glauben erlau- Bundes mitfinanziert. • Empathie ben soll, während der Arbeitszeit zu beten. Eine interkulturell Dolmetschende • Interaktionsfreudigkeit Wer vor dieser Frage steht, diskutiert viel- wurde beispielsweise bei Frau D. hinzuge- • Flexibilität leicht, ob es richtig sei, dass sich schweize- zogen. Als die Klientin, die nur gebrochen • Selbstsicherheit und eigenkulturelle Be- rische Institutionen den religiösen Bedürf- Deutsch spricht, sich das erste Mal beim wusstheit nissen von migrierten Personen anpassen RAV anmeldete, wurde sie von einer ehe- • Stresstoleranz oder ob es nicht umgekehrt sein sollte. Aber maligen Arbeitskollegin begleitet. Frau D. • Ambiguitätstoleranz diese Art der Generalisierung des Problems wirkte sehr schüchtern, sagte kaum ein • Bereitschaft, sich auf eine neue Umge- ergibt keinen Sinn. Viel zielführender ist Wort und nahm auch kaum Blickkontakt bung und neue Anforderungen einzulas- ein pragmatisches Vorgehen, ausgehend mit der Amtsperson auf. Für das Erstge- sen von der Zielsetzung des Arbeitseinsatzes spräch organisierte die Personalberaterin • Respekt und Interesse für andere Kultu- und der durch das Beten verbundenen Stö- daher eine interkulturell Dolmetschende. ren rung. Die Berücksichtigung von religiösen Dank dieser Unterstützung gelang es der • Gefühl für angemessenes Handeln Bedürfnissen muss daher in einem ausge- Personalberaterin, Frau D. die Arbeitslo- • Kenntnisse interaktiver, kulturspezifi- wogenen Verhältnis zur Arbeit stehen, soll senentschädigung sowie den Verlauf der scher und sprachlicher Spielregeln die Arbeitsabläufe nicht wesentlich stören Zusammenarbeit und die Fristen zu erklä- • Offenheit und Bereitschaft zur Kommu- und darf die Beziehungen unter den Mitar- ren. Und sie erfuhr ihrerseits, dass der feh- nikation beitenden nicht gefährden. lende oder geringe Blickkontakt auch als Interkulturelle Kompetenzen setzen also Ähnliche Feststellungen gilt es auch ein Zeichen des Respektes gegenüber einer ein Bewusstsein für die eigenen kulturel- auf der politischen Ebene zu machen. In Amtsperson gedeutet werden kann. len Prägungen – und ihre Relativität – vo- der Schweiz werden sozioökonomische Wie sinnvoll der Beizug von interkul- raus. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel Schichtungsfragen oft von migrationspo- turell Dolmetschenden sein kann, weiss eines RAV-Beraters, der einen hoch quali- litischen oder kulturellen Betrachtungen auch der Leiter eines Beschäftigungspro- fizierten IT-Spezialisten aus Pakistan in überlagert. Aber soziale Probleme sollten grammes. Er empfahl einem jungen Mann einen Job vermittelte, für den dieser völlig nicht mit kulturellen Verhaltensweisen aus Somalia eine Abklärung bei einer überqualifiziert war und in dem er letzt- oder gar mangelnder Integrationsbereit- Fachstelle für Behinderungen. Der Klient lich scheiterte. Der Pakistaner hatte gegen schaft gleichgesetzt werden. Eine Überhö- war psychosozial belastet (Tod seines Bru- die Vermittlung keine Einwände erhoben, hung kultureller Gegebenheiten ist mei- ders auf der Flucht, traumatisierende Er- was der RAV-Beratende als Einverständnis nes Erachtens auch die Ursache dafür, dass fahrungen bei der Überfahrt über das deutete. Dabei hatte der Klient schon im das erwähnte interkulturelle Dolmetschen Meer, offenes Misstrauen gegenüber Mit- Gespräch erkannt, dass er für die Stelle in den RAV nur selten eingesetzt wird – menschen und Ämtern). Auf die Anregung nicht geeignet ist, diese Bedenken aber auch heute noch, wie Michael Müller, Ge- des Leiters reagierte er empört: «Ich bin nicht geäussert. In der kollektivistischen schäftsführer von Interpret, auf Anfrage nicht vom bösen Blick getroffen.» In einem pakistanischen Kultur ist Widerspruch sagt. Begründet wird der Verzicht nämlich Gespräch, an dem ein interkultureller Dol- gegenüber einer Amtsperson nämlich ein nicht selten mit der Überlegung, dass mi- metscher teilnahm, zeigte sich, dass in unangebrachtes Verhalten. grierte Personen ohne gute Deutschkennt- Somalia kognitive Beeinträchtigungen als nisse ohnehin keine Chance auf eine Inte- Bestrafung für ein «gottloses Leben» gedeu- Pragmatisches Vorgehen gration in den Arbeitsmarkt hätten – also tet werden. Solche Prägungen gilt es natürlich zu be- zuerst richtig Deutsch lernen sollen. So oft rücksichtigen. Wenn RAV-Beratende aber dieses Argument auch seitens der Wirt- Eine Schlüsselqualifikation von allzu klaren kulturellen Unterschieden schaft genannt wird, so ist darin doch In vielen Bereichen der Arbeitswelt sind ausgehen, besteht gleichzeitig die Gefahr, auch die implizite kulturelle Vorschrift interkulturelle Kompetenzen eine Schlüs- dass sich diese Vorstellungen auch in ihrem verbunden, wie Integration stattzufinden selqualifikation. Darunter verstehen wir Umgang mit den Stellensuchenden wider- habe, nämlich über den Erwerb der deut- die Fähigkeit, in interkulturell geprägten spiegeln. Sie tragen so tendenziell zur Ver- schen Sprache. Aber ist dieser Weg wirk- Arbeitssituationen mit Angehörigen ver- stärkung von Differenzen bei, was dazu lich immer der einzig richtige? PANORAMA 4 | 2019 — 5 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 5 08.08.19 10:36
FOKUS Interkulturalität Höhere Berufsbildung Interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln Interkulturelle Dolmetscherinnen und Vermittler schlagen Brücken zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen. Was hat es mit diesem Beruf auf sich, und welche Ausbildungs- abschlüsse gibt es? Von Isabelle Wienand, Interpret In einem mehrsprachigen und multikultu- Ausgestellte Zertifikate und Fachausweise im Jahr 2018 rellen Land wie der Schweiz leisten inter- Deutsch Französisch Italienisch Total kulturelle Dolmetscherinnen und Vermitt- Zertifikat Interpret (seit 2004) 1054 252 45 1351 ler mit anerkannter Ausbildung einen Eidgenössischer Fachausweis (seit 2009) 86 41 - 127 wesentlichen Beitrag zu einer guten Ver- Quelle: Interpret ständigung zwischen Personen mit Migra- tionshintergrund und schweizerischen Der schweizweit tätige Verein Interpret tenzen: Kenntnisse in einer örtlichen Institutionen wie Spitälern, Schulen, Sozi- setzt sich seit vielen Jahren für die Qualifi- Amtssprache (Deutsch, Französisch, Italie- aldiensten usw. kation und Professionalisierung des inter- nisch, mindestens Niveau B2) und der Dol- kulturellen Dolmetschens und Vermittelns metschsprache (mindestens Niveau C1); Zwei unterschiedliche Tätigkeiten ein. Interkulturelles Dolmetschen bezeich- Techniken des Konsekutivdolmetschens; Interkulturelles Dolmetschen heisst net die mündliche Übertragung (in der Re- Kenntnisse der Strukturen der Schweiz nicht, jedes Wort eins zu eins in eine an- gel Konsekutivdolmetschen, das heisst im und des Herkunftslands, vor allem im Bil- dere Sprache zu übertragen. Das könnte Wechsel mit dem Sprecher) des Gesproche- dungs-, Gesundheits- und Sozialwesen; auch ein Übersetzungsprogramm. Inter- nen von einer Sprache in eine andere unter Kommunikations- und transkulturelle kulturell Dolmetschende und Vermit- Berücksichtigung des sozialen und kultu- Kompetenzen; Reflexionsfähigkeit und Be- telnde übersetzen eine Aussage sinnge- rellen Hintergrunds der Gesprächsteilneh- rufsethik. mäss in eine andere Sprache und sind in menden. Es findet in einer Trialogsituation Der eidgenössische Fachausweis als der Lage, im Austausch zwischen Ge- – einem «Dialog zu dritt» – statt. Dabei Fachperson für interkulturelles Dolmet- sprächspartnern unterschiedlicher Her- kann die/der interkulturell Dolmet- schen und Vermitteln befähigt die Inhabe- kunft kulturelle Konnotationen richtig schende physisch vor Ort sein oder via Te- rinnen und Inhaber zur Dolmetsch- und zu deuten und zu vermitteln. Dabei han- lefon zugeschaltet werden. Vermittlungstätigkeit in verschiedensten deln sie nach berufsethischen Grundsät- Als interkulturelles Vermitteln wird die Bereichen. Die Fachpersonen sind in der zen und halten sich insbesondere an ihre Vermittlung von Wissen und Informationen Lage, ihre interkulturellen Kompetenzen Schweigepflicht. Das Beherrschen von zwischen Angehörigen verschiedener Le- in den verschiedensten Rollen und Situati- zwei Sprachen allein reicht für eine pro- benswelten bezeichnet. Zu den Aufgaben onen einzusetzen. Die Berufsprüfung fin- fessionelle Ausübung des Berufs nicht von interkulturellen Vermittlerinnen und det einmal jährlich statt und setzt sich aus aus, vielmehr bedarf es einer fundierten Vermittlern gehört auch die Begleitung und vier Teilen zusammen: schriftlicher Prü- Ausbildung. Beratung von Personen mit Migrationshin- fungsarbeit; mündlicher Präsentation der tergrund. Prüfungsarbeit und Fachgespräch; Fachge- spräch zum Verhalten in anspruchsvollen Abschlüsse und Kompetenzen beruflichen Situationen; praktischer Prü- Das Ausbildungs- und Qualifizierungssys- fung mit Dolmetschsituation im Trialog. tem von Interpret besteht seit 2004 und ist Interpret gewährleistet, dass die Nor- in das schweizerische System der höheren men und Richtlinien zu den verschiede- Berufsbildung eingebettet. Es kombiniert nen Abschlussniveaus eingehalten werden Ausbildung und praktische Erfahrung und und mit der beruflichen Realität überein- führt zu zwei Abschlussniveaus: einem stimmen. Branchenzertifikat und einem eidgenössi- schen Fachausweis. Das schweizerische Zertifikat Interpret für interkulturell Dol- Dolmetschsituation im Trialog bei einem Arzt. metschende bescheinigt folgende Kompe- www.inter-pret.ch 6 — PANORAMA 4 | 2019 Übersetzung: Martina Amstutz 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 6 08.08.19 10:36
Interview «Toleranz und Verständigung zwischen den Kulturen fördern» Sofija Fuhrer hat den Fachausweis «Fachfrau für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln» erlangt und arbeitet als Dolmetscherin für Bosnisch, Serbisch, Kroatisch und Mazedonisch. Im Interview spricht sie über ihre Motivation und über den Umgang mit schwierigen Gefühlen. Interview: Isabelle Wienand, Interpret Isabelle Wienand: Warum haben Sie die metschen für beide Seiten neutral überset- Berufsprüfung zum Fachausweis zen. Nicht weniger wichtig ist, dass man gemacht? beide Kulturen versteht. Ich zum Beispiel Sofija Fuhrer: Ich bin grundsätzlich sehr lebe in verschiedenen Kulturen gleichzei- neugierig. Nach dem Zertifikat Interpret tig. Ich bezeichne mich aufgrund meiner wollte ich weitere Dolmetschtechniken familiären Herkunft, meiner Ehe mit ei- kennenlernen und vertiefen. Dolmetschen- nem Schweizer und meiner Arbeit als de verfolgen bei ihrer Tätigkeit verschiede- multikulturell. ne Ziele. Ich wollte nicht einfach Sätze von einer Sprache in eine andere übertragen, Welchen Schwierigkeiten begegnen Sie sondern in Gesprächen als Vermittlerin in Ihrem Beruf? auftreten. Ich wollte helfen, mein Wissen Am schwierigsten ist der Umgang mit den und meine Kompetenzen einbringen und eigenen Gefühlen. Als Dolmetscherin eine Zusammenarbeit zwischen Gesprächs- kann ich sie nicht ausklammern. Umso partnern ermöglichen. In den verschiede- wichtiger sind die Supervisionen, da kön- nen Modulen, die wir als Vorbereitung auf nen wir unsere Gefühle und unseren Frust die Berufsprüfung absolvieren, werden ausdrücken und über unsere Misserfolge Themen wie sinngemässes Übersetzen, sprechen. Nach schwierigen Fällen kom- Sofija Fuhrer ist Fachfrau für interkulturelles Unvoreingenommenheit, berufsethische men wir manchmal ins Grübeln. Als Fach- Dolmetschen und Vermitteln mit eidgenössi- schem Fachausweis. Grundsätze und Schweigepflicht behan- personen müssen wir auf Techniken zu- delt. Die Ausbildung hilft uns also, unsere rückgreifen, die uns helfen, mit unseren Kompetenzen zu vervollständigen. Kennt- eigenen Gefühlen und mit den Emotionen neugierig und lerne gerne Sprachen und nisse von Normen und Regeln sind für ein der Gesprächspartner umzugehen. Dol- neue Kulturen kennen, ohne aber meine richtiges Handeln sehr wichtig. Man muss metschende sind immer auch emotional eigene aufzugeben. Integration und Assimi- zum Beispiel wissen, wann man einen Auf- involviert. Wir müssen die verfügbaren lation werden oft verwechselt. Wenn man trag abgeben muss oder wann man ihn gar Ressourcen nutzen, um anderen auf in einem fremden Land lebt, sollte man sich nicht erst annehmen darf, etwa weil man menschliche Art zu helfen. an die verschiedenen Kulturen anpassen. sich ihm nicht gewachsen fühlt. Die Modu- Das heisst aber nicht, dass man die eigene le sind für eine professionelle Berufsaus- Was befriedigt Sie bei Ihrer Arbeit am Herkunft vergessen muss. Die Zugehörigkeit übung unerlässlich. meisten? zu mehreren Kulturen ist eine Bereiche- Wenn es mir gelingt, einer Person zu mehr rung. Sie macht uns kooperativer, verständ- Welches sind Ihrer Meinung nach die Unabhängigkeit zu verhelfen. Das ist mei- nisvoller und toleranter. Als Dolmetscherin grundlegenden Kompetenzen von ne Philosophie. ist es meine Pflicht, die Toleranz und die Fachpersonen für interkulturelles Verständigung zwischen den Kulturen zu Dolmetschen und Vermitteln? Mit Ihrem Beruf tragen Sie zur Verstän- fördern. Ich bin in mehreren Vereinen tätig Zuerst einmal braucht es umfassende digung zwischen den Kulturen in der und begleite Menschen in den verschiedens- Kenntnisse von zwei oder mehreren Spra- Schweiz bei. Was bedeutet für Sie ten Situationen. Dabei versuche ich, ihre chen. Die Übersetzung sollte so genau wie kulturelle Vielfalt? Lebensumstände zu verbessern. Ich helfe möglich sein, und es gilt, das Berufsge- In der Schweiz haben wir das Glück, dass den Menschen, unabhängiger zu werden, heimnis zu wahren. Wichtig ist es auch, es mehrere Sprachen, Dialekte und Kultu- eine Sprache zu lernen und sich inmitten unparteiisch zu sein. In einem Gerichts- ren gibt. Wir begegnen der kulturellen der kulturellen Vielfalt ein bisschen besser prozess zum Beispiel muss man beim Dol- Vielfalt also bereits im Alltag. Ich bin sehr zurechtzufinden. Übersetzung: Martina Amstutz PANORAMA 4 | 2019 — 7 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 7 08.08.19 10:36
FOKUS Interkulturalität Hochschulen Studentische Mobilität und Arbeitsmarktfähigkeit Die internationale Mobilität von Studierenden wird zunehmend gefördert. In der Bildungspolitik des Bundes kommt ihr ein hoher Stellenwert zu. Welche Kompetenzen werden bei einem Aus- landsaufenthalt entwickelt, und inwiefern erleichtern diese den Einstieg in den Arbeitsmarkt? Von Patrick Ischer, Lamia Ben Hamida, Myriam Graber und Thierry Bregnard, Hochschule Arc der HES-SO Neben berufsspezifischen Fachkompeten- Die Interviews mit den Studierenden und der Stellensuche zu nutzen. Sie sind über- zen sind für einen erfolgreichen Einstieg den Absolventinnen und Absolventen zei- zeugt, dass ihnen der Auslandsaufenthalt in den Arbeitsmarkt auch sogenannte gen, dass mit einem Auslandsaufenthalt einen nicht vernachlässigbaren Vorteil überfachliche Kompetenzen (siehe Fokus die folgenden fünf Ziele verfolgt werden: gegenüber anderen Kandidaten verschafft PANORAMA 2/2019) erforderlich. Diese 1. durch neue berufliche Kompetenzen und deshalb in den Bewerbungsunterlagen umfassen einen breiten Katalog an Fähig- den eigenen Einstieg in den Arbeits- und beim Bewerbungsgespräch erwähnt keiten, von sozialen, kommunikativen, markt erleichtern, werden sollte. zwischenmenschlichen und organisatori- 2. den eigenen Horizont erweitern und in Diese Überzeugung teilen die befrag- schen Kompetenzen über Problemlösungs- eine fremde Kultur eintauchen, ten Absolventinnen und Absolventen und Verhandlungsfähigkeit bis hin zu 3. sich dem Unbekannten stellen und da- nicht. Sie vermuten vielmehr, dass Aus- einem guten Zeitmanagement, einer ganz- bei das Spektrum an Verhaltensweisen landserfahrung im Lebenslauf zwar er- heitlichen Betrachtungsweise und geisti- erweitern, um sich in verschiedensten wähnenswert, aber für eine Anstellung ger Offenheit. Werden diese Kompetenzen Situationen zurechtzufinden, nicht zwingend ist. Absolventen aus dem bei der Interaktion mit Menschen unter- 4. eine Fremdsprache lernen, Gesundheitsbereich geben an, dass ein sol- schiedlicher kultureller Orientierung an- 5. das soziale Kontaktnetz erweitern. cher Konkurrenzvorteil aufgrund des aus- gewendet, spricht man von interkulturel- Tatsächlich ermöglicht eine Auslandser- geprägten Fachkräftemangels im Gesund- len Kompetenzen. fahrung die Weiterentwicklung von zahl- heitswesen gar nicht nötig sei. Andere Mit diesen Kompetenzen haben wir reichen Kompetenzen. Die befragten Per- denken, dass die im Ausland erworbenen uns in einer explorativen Studie im Rah- sonen konnten Fremdsprachenkenntnisse Erfahrungen und Kompetenzen vor allem men eines Forschungsprojekts zum Zu- erwerben oder neue Arbeitsmethoden für Personen nützlich sind, die in einem sammenhang zwischen studentischer kennenlernen. Sie gaben zudem an, sie international ausgerichteten Unterneh- Mobilität und Arbeitsmarktfähigkeit be- seien unabhängiger und selbstständiger men arbeiten möchten. Diese Einschät- schäftigt (Projekttitel: «L’employabilité et geworden, hätten an Selbstvertrauen ge- zung wird von einigen der befragten Ar- les compétences transversales et intercul- wonnen und gelernt, sich selbst zu helfen. beitgeber bestätigt. turelles: le rôle de la mobilité internatio- Diese überfachlichen Kompetenzen kön- Die bei der Umfrage berücksichtigten nale dans les institutions de formation»). nen zwar auch schon beim Auszug aus Unternehmen können in drei Kategorien Mit dieser Studie verfolgen wir zwei Ziele: dem Elternhaus erworben werden. Beim eingeteilt werden. Zur ersten Kategorie ge- Wir wollen erstens erfassen, welche Kom- Eintauchen in ein neues soziokulturelles hören drei Institutionen aus dem Gesund- petenzen die Studierenden bei einem in- Umfeld werden jedoch zusätzlich und vor heitsbereich, die keine direkten Kontakte ternationalen Austausch erwerben, und allem die interkulturellen Kompetenzen mit dem Ausland pflegen. Sie sind in der zweitens verstehen, wie sich diese Kompe- erweitert. So gaben alle Befragten an, sie Romandie lokal verankert und regional tenzen auf die Arbeitsmarktfähigkeit aus- hätten ihre Offenheit und Toleranz oder ausgerichtet, und ihre Arbeitssprache ist wirken. Zu diesem Zweck führten wir In- ihre Anpassungs- und Integrationsfähig- folglich Französisch. Interkulturelle Inter- terviews mit 15 aktuellen und ehemaligen keit steigern, ihre Sensibilität und ihr in- aktionen ergeben sich vor allem durch die Studierenden der Bereiche Wirtschaft, terkulturelles Verständnis festigen und verschiedenen Herkunftsländer der Pati- Gesundheit und Ingenieurwesen. Davon sich dadurch von gewissen Stereotypen enten und der Mitarbeitenden. Interkultu- waren sechs noch im Studium, neun hat- und einem ethnozentrischen Weltbild lö- relle Kompetenzen – die hier mit geistiger ten ihr Studium bereits abgeschlossen und sen können. Offenheit, Integration, Austausch und waren in den Arbeitsmarkt eingetreten. Kommunikation verbunden werden – sind Zudem haben wir mit Vertretungen von Ein Vorteil im Lebenslauf? nicht unbedingt erforderlich und werden neun Unternehmen gesprochen, die in den Die meisten befragten Studierenden beab- bei der Rekrutierung nicht besonders be- entsprechenden Bereichen tätig sind. sichtigen, ihre Auslandserfahrungen bei rücksichtigt. Trotzdem ermutigen diese 8 — PANORAMA 4 | 2019 Übersetzung: Rahel Hefti Roth 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 8 08.08.19 10:36
Institutionen die Studierenden zu mehr- wöchigen Aufenthalten in Afrika (um zu lernen, mit dem absoluten Minimum aus- zukommen) oder in Nordeuropa (um inno- vative Methoden im Gesundheitswesen kennenzulernen). Äusserst wichtig sind in dieser Unternehmenskategorie hingegen die anderen überfachlichen Kompetenzen. Fähigkeiten wie Zuhören, Kommunizieren und Verhandeln, Sozialkompetenz und Or- ganisationsfähigkeit (insbesondere Zeit- management), analytisches Denken (das eigene Handeln reflektieren und die eige- nen Grenzen kennen) sowie Problemlöse- kompetenz spielen bei der Auswahl von künftigen Mitarbeitenden eine entschei- dende Rolle. Das Zünglein an der Waage Zur zweiten Kategorie von Unternehmen gehören zwei Westschweizer KMU, die we- Gewisse Firmen rekrutieren nur Mitarbeitende, die Auslandserfahrung gesammelt haben. nig Auslandskontakte haben und deren Arbeitssprache Französisch ist. Obwohl eine der beiden Firmen einige Filialen in Kulturschock erwünscht anderen Kulturen und kann nur in der Frankreich betreibt, legen beide Wert auf Die dritte Kategorie bilden vier stark inter- direkten Auseinandersetzung mit diesen regionale Verankerung und Kenntnisse der national ausgerichtete Unternehmen. Im ausgebildet werden. Deshalb empfehlen sie Lokalkultur. Ähnlich wie bei den Instituti- Gegensatz zu den ersten beiden Kategorien künftigen Mitarbeitenden, bewusst «Kul- onen im Gesundheitsbereich findet inter- ist die Arbeitssprache in diesen Firmen turschocks» herbeizuführen, indem sie kulturelle Interaktion hier hauptsächlich Englisch, und es wird erwartet, dass die einige Zeit in einem «exotischen» Land le- aufgrund der unterschiedlichen Herkunft Mitarbeitenden weitere Fremdsprachen- ben. Neben der interkulturellen Kompe- der Mitarbeitenden statt. Interkulturelle kenntnisse mitbringen. Interkulturelle tenz sind aber auch in dieser Unterneh- Kompetenz im Sinne von gegenseitigem Interaktion findet nicht nur intern, auf- menskategorie alle übrigen überfachlichen Verständnis und Respekt, genauem Zuhö- grund der unterschiedlichen Herkunft der Kompetenzen gefragt. ren und Sensibilität für kulturelle Missver- Mitarbeitenden, sondern auch ausserhalb Unsere Ergebnisse unterstreichen die ständnisse wird aber ebenso geschätzt wie des Unternehmens statt. Alle vier Unter- Bedeutung von Auslandsaufenthalten für Auslandserfahrung, die eine gewisse Rou- nehmen unterhalten enge Kontakte mit den Erwerb und die Weiterentwicklung tine durchbricht. Bei gleichen Kompeten- Niederlassungen, Kunden oder Partnerfir- von interkulturellen Kompetenzen. Wie zen und Gehaltsvorstellungen sind Kandi- men im Ausland und betrachten diese In- diese Kompetenzen von künftigen Arbeit- datinnen und Kandidaten, die einen terkulturalität als Bereicherung, als wert- gebern bewertet werden, ist jedoch situati- Auslandsaufenthalt vorweisen können, im volle strategische Ressource und möglichen onsabhängig. So ist es zwar wichtig, inter- Vorteil. Interkulturelle Kompetenz ist je- Anreiz für Investoren. Diversität, geistige nationale Mobilität zu fördern; können doch keine grundlegende Voraussetzung Offenheit und Heterogenität sind hier Studierende aber aus irgendwelchen Grün- für eine Anstellung, denn auch in dieser wichtige Schlüsselbegriffe für die Image- den keinen Auslandsaufenthalt absolvie- Unternehmenskategorie stehen wiederum bildung. Es erstaunt deshalb nicht, dass ren, müssen sie deswegen beim Eintritt in andere überfachliche Kompetenzen im diese Unternehmen interkulturelle Kom- den Arbeitsmarkt keine grossen Nachteile Vordergrund. Neben den eigentlichen petenzen als unerlässlich bewerten und in Kauf nehmen. Überfachliche Kompeten- Fachkompetenzen sind Gesprächs- und nur Mitarbeitende rekrutieren, die bereits zen im Allgemeinen sind hingegen bei fast Verhandlungskompetenz, die Fähigkeit, Auslandserfahrung in Form von Praktika, allen Arbeitgebern sehr gefragt. Deshalb ist Kundenbedürfnisse zu verstehen, ein Pro- Erasmus-Aufenthalten, Reisen usw. gesam- es wichtig, dass diese Fähigkeiten von den jekt zu leiten, Informationen zu verarbei- melt haben. Für diese Unternehmen steht Bildungsinstitutionen gefördert werden ten und zu analysieren sowie Problemlöse- interkulturelle Kompetenz für Anpas- und dass die RAV über Tools verfügen, um kompetenz am begehrtesten. sungsfähigkeit und Offenheit gegenüber überfachliche Kompetenzen zu bewerten. PANORAMA 4 | 2019 — 9 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 9 08.08.19 10:36
FOKUS Interkulturalität Auslandschweizer im Schweizer Bildungssystem Lost in translation Einige Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, haben einen engen Bezug zur Schweiz, andere kennen sie kaum. Egal, wie fremd oder vertraut ihnen ihr Heimatland ist: Wenn junge Auslandschweizerinnen und -schweizer für eine Ausbildung in die Schweiz kommen, machen sie verschiedenste interkulturelle Erfahrungen. Von Alexander Wenzel, PANORAMA-Redaktor Gemäss den 2018 erhobenen Daten des Bun- schiede im weiteren Sinne können zu Prob- bote. «Die meisten unserer Leistungen sind desamtes für Statistik leben mehr als lemen führen, etwa wenn der Alltag im kostenlos», präzisiert von Gunten. «Wir 760 000 Schweizer Bürgerinnen und Bürger Wohnland und in der Schweiz nach ganz geben auf Deutsch, Französisch, Italie- im Ausland. Das sind über zehn Prozent der anderen Regeln funktioniert. nisch und Englisch, aber auch auf Spa- Personen mit Schweizer Pass. Würden sie Es kommt natürlich darauf an, welchen nisch Auskunft.» zusammen einen Kanton bilden, wäre dies Bezug die Jugendlichen über ihre Staatsan- «Wir bei educationsuisse machen eine gemessen an der Einwohnerzahl der viert- gehörigkeit und Familiengeschichte hinaus erste Triage», erklärt Ruth von Gunten. grösste Kanton nach Zürich, Bern und der zur Schweiz haben, doch die meisten erle- «Personen, die eine individuelle und einge- Waadt. Die Interessen dieser zahlenmässig ben einen Kulturschock. So auch Jonathan hende Beratung wünschen, verweisen wir wichtigen Bevölkerungsgruppe, auch die Tadres, der in Ägypten aufgewachsen ist an die Berufsberatungszentren des Kan- fünfte Schweiz genannt, werden hierzu- und für sein Studium nach Basel kam. «Ich tons Bern.» Seit 2016 arbeitet educationsu- lande von der Auslandschweizer-Organisa- spreche den Thurgauer Dialekt meiner Mut- isse bei der Studien- und Berufsberatung tion (ASO) vertreten. ter», erzählt er. «Das gab mir am Anfang mit dem regionalen Berufsberatungs- und Viele junge Auslandschweizer kommen Halt, Sicherheit und ein Gefühl von Ver- Informationszentrum (BIZ) Bern-Mittel- nach Abschluss der Schulzeit in die Schweiz, trautheit.» Doch das Gefühl erwies sich als land zusammen. Rund 20 Jugendliche ha- um eine Ausbildung zu absolvieren. Dieser trügerisch, zum Beispiel als sich der junge ben sich bisher am BIZ Bern beraten lassen. Wechsel kann eine grosse Herausforderung Mann an einen Bankangestellten wandte, Rachel Chervaz ist eine der Spezialistin- sein, vor allem wenn die kulturellen Unter- weil er nicht wusste, wie man einen Banco- nen, die sich um diese Klienten kümmern: schiede zwischen dem Wohnland und der maten bedient. «Weil ich Schweizerdeutsch Sie berät französischsprachige Ratsu- Schweiz gross sind. Zwar sind zwei Drittel sprach, glaubte er mir das einfach nicht.» chende am BIZ Biel. Chervaz geht mit Ruth der Auslandschweizer/innen in Europa von Gunten einig, dass man nicht nur die wohnhaft, und fast die Hälfte lebt in einem Individuelle Beratung Schweizer Bildungslandschaft, sondern Nachbarland der Schweiz, doch mehrere Junge Auslandschweizer/innen, die hierzu- auch das schweizerische Umfeld im Allge- Hunderttausend Schweizer Bürger wohnen lande eine Ausbildung absolvieren wollen, meinen erklären muss, damit sich die Aus- in weiter entfernten Ländern. Da zudem ein können die Unterstützung des Vereins edu- landschweizer/innen schneller hier einle- Fünftel von ihnen unter 18 Jahre alt ist, cationsuisse in Anspruch nehmen. Der ben. «Oft fühlen sich die jungen Menschen dürften regelmässig zahlreiche junge Aus- Dachverband der 18 anerkannten Schwei- hier ziemlich fremd», stellt die Beraterin landschweizer mit einer schwierigen Aus- zerschulen im Ausland informiert, berät fest. Man müsse auch abklären, ob in der bildungssituation in der Schweiz konfron- und unterstützt junge Auslandschweizer/ Schweiz wohnhafte Angehörige, etwa ein tiert sein. innen sowie die Schüler/innen der Schwei- Elternteil, Geschwister oder auch entfern- Die Schwierigkeiten können auf ver- zerschulen bei einer Ausbildung in der tere Verwandte, Unterstützung bieten schiedenen Ebenen auftreten. So können Schweiz. «2017 haben wir 860 und 2018 könnten. Die meisten Klienten kommen etwa die Unterschiede zwischen den Bil- rund 1000 Anfragen erhalten. Die Hälfte persönlich zu ein oder zwei Gesprächen dungssystemen Probleme verursachen, die davon kam aus Europa, etwa 200 aus La- nach Biel, meist während der Ferien. «Na- sich auch auf die Berufs- und Studienwahl teinamerika», sagt Ruth von Gunten, die türlich wären für eine kontinuierliche Be- auswirken. Besonders wichtig sind hier Fra- bei educationsuisse solche Anfragen be- treuung mehr Treffen wünschenswert», gen rund um die Ausbildungszulassung treut. Der Verband will der erste Ansprech- betont Rachel Chervaz. und die Anerkennung von Schulabschlüs- partner für diese Zielgruppe sein. Per E- Junge Auslandschweizer/innen ziehen sen. Hinzu kommt, dass die jungen Ausland- Mail, Telefon oder im persönlichen in der Regel ein Hochschulstudium einer schweizer/innen eine Landessprache be- Gespräch informieren Ruth von Gunten Berufslehre vor. Dabei entscheiden sie sich herrschen, die Finanzierung der Ausbildung und ihre Kolleginnen die betreffenden Per- mehrheitlich für ein Universitäts- oder sichern und administrative Hürden über- sonen über das Schweizer Bildungssystem ETH-Studium. Die Fachhochschulen und winden müssen. Auch kulturelle Unter- und die finanziellen Unterstützungsange- die Berufsbildung seien weniger bekannt, 10 — PANORAMA 4 | 2019 Übersetzung: Rahel Hefti Roth 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 10 08.08.19 10:36
sagt Ruth von Gunten. Viele gingen davon kenntnisse musste sie dieses aber abbre- zurückgelegt. Nachdem er allmählich aus, dass ein Hochschulstudium in jedem chen. Sie versuchte es mit Lebensmittelwis- seine Liebe zur Fotografie entdeckt hatte, Fall besser sei. Ruth von Gunten erklärt senschaften und Wirtschaft und entschied kam er von seinem Plan ab, in Basel Biolo- ihnen dann die Vorteile des dualen Berufs- sich schliesslich für ein Physiotherapiestu- gie zu studieren; dafür hätte er auch die bildungssystems, vor allem dessen Durch- dium. Während ihre Zulassung geprüft Ergänzungsprüfung ECUS vorbereiten lässigkeit und die Zugangsmöglichkeiten wurde, absolvierte sie ein Praktikum bei müssen. Zunächst hielt er sich mit ver- zur Tertiärbildung. Gerade wenn es Prob- der Spitex in Schönbühl (BE). Als der Zulas- schiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser, leme mit der Hochschulzulassung oder sungsentscheid negativ ausfiel, ergriff sie arbeitete in einer Bar, einer Senffabrik, dem Sprachniveau gebe, könne der Weg die Gelegenheit und begann die Grundbil- einer Spenglerei, bei der Post und beim über eine Berufslehre sinnvoll sein. dung zur Fachfrau Gesundheit EFZ (FaGe) Formel-1-Rennstall McLaren. Schliesslich Von den vier Auslandschweizern, die Ra- bei der Spitex, wo es ihr gut gefiel. Ab 2020 begann er Fotografie an der Kunsthoch- chel Chervaz in den letzten zwei Jahren be- möchte sie sich zur Pflegefachfrau FH oder schule Lausanne (ECAL) zu studieren und raten hat, wollten zwei ein Hochschulstu- beendete seinen Bachelor in Zürich, und dium (an ETH, Universität oder FH) «Ich wusste nicht, wie zwar in Kunst und Medien. Nach der Bera- aufnehmen, zwei wollten eine Berufslehre man einen Bancomaten tung durch Ruth von Gunten entschied er beginnen. Einer davon, ein in Spanien auf- bedient. Weil ich sich anschlies-send für ein Masterstudium gewachsener Schweizer, wählte den Weg Schweizerdeutsch an der Hochschule für Kunst und Design über eine berufliche Grundbildung an die sprach, glaubte mir (HEAD) in Genf, das er im Juni 2019 abge- FH, weil sein Schulabschluss nicht alle Fä- der Bankangestellte schlossen hat. cher umfasste, die für einen direkten Hoch- einfach nicht.» Auch die Wechselfälle der Geschichte schulzugang erforderlich sind. können den Bildungsweg beeinflussen. Jo- Jonathan Tadres, zukünftiger Während der Hochschulzugang mit Lehrer, aufgewachsen in Ägypten nathan Tadres wollte eigentlich ein natur- einem deutschen Abitur, einem französi- wissenschaftliches Fach studieren und mit schen Baccalauréat oder einem Internatio- zur Biomedizinischen Analytikerin HF einem Lehrdiplom abschliessen. Als er im nal Baccalaureate relativ unkompliziert weiterbilden. Dank dem EFZ, das sie seit Januar 2011 an der Deutschen Schule in ist, gelten für andere ausländische Mittel- Juni 2019 in der Tasche hat, dürfte die Zu- Kairo die Abiturprüfungen beginnen schulabschlüsse eine ganze Reihe von Auf- lassung diesmal leichter sein. «Als FaGe bin wollte, kam der Arabische Frühling dazwi- lagen (siehe www.swissuniversities.ch). ich zwar weit von einem Wein-Beruf ent- schen, und Jonathan Tadres wurde von den Fernando Mora Balzaretti beispielsweise fernt», sagt die junge Frau, «aber die Arbeit Schweizer Behörden evakuiert. Im März absolvierte seine Schulzeit in Mexiko und im Labor würde meinem Interesse für Che- konnte er nur kurz nach Ägypten zurück- schloss die gymnasiale Mittelschule mit mie entgegenkommen, das auch bei der kehren, um das Abitur abzulegen. «Die dem Bachillerato ab. Da dieses nicht zur Önologie eine Rolle spielt. Ich denke jeden- Revolution war friedlich», erinnert er sich, Schweizer Matura äquivalent ist, musste er falls, dass man im Leben immer noch Zeit «bis die Plünderer kamen. Wir packten un- die Ergänzungsprüfung der schweizeri- hat, um andere Dinge zu machen.» sere Fotoalben ein in der Angst, nicht schen Hochschulen (ECUS) ablegen, bevor Educationsuisse hat der jungen Frau mehr wiederzukommen. Am nächsten Tag er sich an der Universität St. Gallen ein- bei der Einreichung von Stipendiengesu- kauften wir in Winterthur Kleider nach. schreiben konnte. chen geholfen. Wenn ihre Eltern nicht in Diese schizophrene Erfahrung hat mich der Lage sind, die Ausbildung zu finanzie- geprägt.» Durch das Erlebnis, einander Erstaunliche Bildungswege ren, können Auslandschweizer/innen in nicht zu verstehen und nicht dazuzugehö- Die Berufs- und Studienwahl ist für junge der Regel ein Stipendium bei ihrem Hei- ren, begann er sich dafür zu interessieren, Auslandschweizer manchmal auch deshalb matkanton beantragen. Doch Nathalie wie Sprache und Literatur Erfahrungen komplizierter, weil sie zwischen zwei Län- Joho erfüllte die Voraussetzungen für Aus- des «Andersseins» vermitteln. Er studierte dern und Kulturen stehen. Viele von ihnen bildungsbeiträge ihres Kantons nicht. «Die Germanistik und Anglistik in Basel und probieren zuerst einmal verschiedene Dinge Unterschiede zwischen den Kantonen sind absolvierte nach dem Bachelorabschluss aus, bevor sie ihren Weg finden. gross. Für Auslandschweizer ist es oft ein Masterstudium in deutscher und ver- «Schon als ich sieben war, wollte ich schwierig, diese Eigenheit des Föderalis- gleichender Literaturwissenschaft in Bonn später einmal einen Beruf, der mit Wein mus zu verstehen», erläutert Ruth von Gun- und St Andrews (Schottland). Zurzeit zu tun hat», erzählt beispielsweise Natha- ten, die für Nathalie Joho ein Stipendium knüpft er wieder an sein ursprüngliches lie Joho aus Mexiko. Mit ihrem Bachillerato bei einer Stiftung gefunden hat. Berufsziel an und bildet sich an der PH erhielt sie zwar eine Zulassung zum Öno- Paulo Wirz, der in Brasilien aufge- Nordwestschweiz zur Lehrperson für logiestudium an der Fachhochschule wachsen ist, hat auf der Suche nach sei- Deutsch und Englisch auf der Sekundar- Changins, wegen mangelnder Sprach- nem Berufsziel einen erstaunlichen Weg stufe II weiter. PANORAMA 4 | 2019 — 11 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 11 08.08.19 10:36
Interkulturelle Kompetenzen in der Berufsfachschule Von «roots» zu «routes» Migranten und Migrantinnen bilden eine wichtige Gruppe in der beruflichen Grundbildung. Guter Unterricht erfordert einen bewussten Umgang mit den damit verbundenen kulturellen und sprachlichen Herausforderungen. Die Auseinandersetzung mit migrationspädagogischen Fragen ist in der Ausbildung der Lehrpersonen aber noch nicht selbstverständlich. Von Elke-Nicole Kappus, Ramona Martins und Janine Gut, Pädagogische Hochschule Luzern Der Bericht «Berufsbildung 2030» nennt Situationen und der finanzielle Druck, ausgerichtete Berufsbildung, die diese Migration – neben Digitalisierung, Globa- möglichst schnell Geld zu verdienen. Aufgaben integriert, effizient und selbst- lisierung, steigender Mobilität, Flexibilität Diese Aspekte spiegeln sich in den Aus- verständlich verfolgt, ist noch lange nicht und demografischem Wandel – als einen sagen der Teilnehmenden des Weiterbil- die Norm. Sprach- und Kultursensibilität Megatrend, den es in der Berufsbildung dungsstudiengangs CAS Deutsch als Zweit- bedeutet, dass sich die Lehrpersonen aller künftig vermehrt zu berücksichtigen sprache und Interkulturalität in der drei Lernorte der sprachlichen und kultu- gelte. Schon heute beträgt der Anteil von Berufsbildung (siehe Kasten) der PH Luzern rellen Herausforderungen ihrer verschie- Lernenden mit Migrationshintergrund in wider. Die Teilnehmenden wurden zu den denen Aufgaben bewusst sind und dass sie der beruflichen Grundbildung 21 Prozent, Herausforderungen in ihrem Berufsalltag über Methoden und Instrumente verfü- in den zweijährigen Berufsbildungen (EBA) befragt, die mit der heterogenen Zusam- gar 45 Prozent (Bundesamt für Statistik). mensetzung ihrer Klassen verbunden sind. Migration ist in den letzten Jahren vor Sie sind in Berufsfachschulen, Berufs- und CAS Deutsch als Zweitspra- allem in Hinblick auf die Gruppe der Ju- Weiterbildungszentren oder Brückenange- che und Interkulturalität gendlichen und jungen Erwachsenen, die boten tätig. Sie bestätigen, dass die unter- in der Berufsbildung im Alter von 16 bis 25 Jahren in die Schweiz schiedlichen Sprachkompetenzen die Der fördernde Umgang mit sprachli- einreisen und ihre schulische Sozialisa- Kommunikation im Unterricht bisweilen chen und kulturellen Verschiedenhei- tion nicht in der Schweiz erfahren haben, schwierig machen. Lernende mit mangeln- ten im Unterricht trägt zum Bildungser- in den Fokus des Interesses geraten. Ein den Deutschkenntnissen kämen beson- folg und zur Arbeitsmarktintegration Teil dieser Gruppe weist ein erhöhtes Ri- ders hinsichtlich der berufsspezifischen von Lernenden mit Migrationshinter- siko auf, keine nachobligatorische Ausbil- Fachsprache manchmal an ihre Grenzen. grund bei. Mit dem Weiterbildungsstu- dung zu schaffen, wie eine Bestandsauf- Vornehmlich in den zweijährigen Grund- diengang CAS Deutsch als Zweitsprache nahme zur Bildungsbeteiligung von spät bildungen (EBA) gehörten Lernende aus (DaZ) und Interkulturalität in der eingereisten Jugendlichen und jungen Er- anderen Kulturen, die erst wenige Jahre in Berufsbildung werden schulische und wachsenen des Büro Bass aus dem Jahr 2016 der Schweiz seien, zur Norm. Neben betriebliche Bildungsverantwortliche zeigt. Da Bund und Kantone für 95 Prozent sprachlichen Defiziten brächten die Ler- befähigt, mit kulturellen Unterschieden aller 25-Jährigen in der Schweiz einen Ab- nenden kulturell unterschiedlich geprägte im Unterricht konstruktiv umzugehen schluss auf der Sekundarstufe II anstreben, Vorstellungen über das Berufsverständnis und Deutsch als Zweitsprache effektiv haben die nationalen Gremien der interin- und berufsrelevante Inhalte sowie über zu fördern. Die Kompetenzen zur stitutionellen Zusammenarbeit – Berufsbil- gesellschaftliche Themen (zum Beispiel Unterstützung von DaZ-Lernenden dung, Sozialhilfe, Integrationsförderung Genderfragen) mit. Die sprachlichen und werden durch didaktische Umsetzun- usw. – hier bereits 2012 einen besonderen kulturellen Voraussetzungen führten teil- gen und Praxisgruppen erarbeitet (zum Handlungsbedarf geortet. weise zu ethnischer Gruppenbildung oder Beispiel berufskundlicher Unterricht, sogar zu ethnischen Abgrenzungen. allgemeinbildender Unterricht, überbe- Herausforderungen für Spät eingereiste Jugendliche und triebliche Kurse). Zudem befähigt der die Berufsbildung junge Erwachsene müssen also in kurzer Studiengang die Teilnehmenden, fächer- Als Herausforderungen für die erfolgrei- Zeit sowohl die Alltagssprache als auch die übergreifend als Expertinnen und che Bildungsintegration von spät einge- Bildungs- und Fachsprache erlernen, um Experten für die Förderung von Deutsch reisten Jugendlichen nennt die Bass-Studie in der Berufsbildung bestehen zu können. als Zweitsprache und den Umgang mit vor allem fehlende Sprachkenntnisse und Und sie müssen sich mit der neuen Kultur Interkulturalität in der Ausbildung an die Unkenntnis des Schweizer Bildungssys- auseinandersetzen. Tatsächlich aber ste- ihrer Schule tätig zu sein. Nächster tems; weitere Hürden sind fehlende Schul- hen in der Berufsfachschule dafür nur Start ist im Oktober 2019. bildung, die Unkenntnis des lateinischen wenig Zeit und wenige Gefässe zur Verfü- www.phlu.ch/weiterbildung Alphabets sowie schwierige psychosoziale gung. Eine sprach- und kultursensibel 15:09 PANORAMA 4 | 2019 — 13 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 13 08.08.19 10:36
Publireportage Kompetenzen für die Arbeitswelt messen Was mit der Integrationsagenda ab 2019 für die ganze Schweiz gilt, wird im Kanton Graubünden mit grosser Wirkung bereits praktiziert: eine berufliche Potenzialabklärung für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene. Wie können Sie im Einzelfall die Erkenntnisse aus dem Praxisassessment F bei der beruflichen Integration Ihrer Klienten nutzen? Christoph Buschor: Lebenslauf und Handlungsplan geben Ant- worten darüber woher jemand kommt, was er/sie mitbringt, und welche Ziele er/sie verfolgt. Zudem erhalten wir vom Assessment erste Beurteilungen über vorhandenes Potenzial, berufliches Kön- nen sowie das Arbeits- und das persönliche Verhalten. Zusammen mit den bereits eingegangenen Feedbacks aus den Deutschkur- sen ergibt sich damit ein recht gutes Bild vom Stellensuchenden und dies entscheidet massgeblich über das Wie, Was und Wo der nächsten Schritte. Die Fachstelle Integration integriert mit dem Ansatz supportet employment die meisten Stellensuchenden di- rekt in den ersten Arbeitsmarkt. Können Sie eine Angabe über die Erfolgsquote im Job- Coaching mit Personen, welche zuvor im Praxisassessment F waren, machen? Seit sieben Jahren setzt die Fach- Christoph Buschor: Die Erfolgsquote liegt bei plus/minus 60%. stelle Integration des Kantons Grau- bünden auf das Praxisassessment F der Stiftung SAG. Die fundierte Das Praxisassessment F ist eine dreiwöchige Standortbestimmung zu berufliche Abklärung liefert den den beruflichen Ressourcen, Kompetenzen und Potenzialen von Flücht- Job-Coaches die nötigen Informati- lingen und vorläufig Aufgenommenen. onen, um Flüchtlinge und vorläufig Die Kurswoche dreht sich um die Anforderungen des Arbeitsmarktes und Aufgenommene rasch und dauer- die gängigen Normen am Arbeitsplatz. In zwei Arbeitswochen werden haft im ersten Arbeitsmarkt integ- mit analytischen Instrumenten die kognitiven, sozialen und psychomoto- rieren zu können. Christoph Buschor rischen Kompetenzen der Teilnehmenden gemessen. Im Einzelcoaching ist Jobcoach bei der Fachstelle Inte- entstehen aus den Ergebnissen konkrete Handlungspläne für die Arbeits- gration und weist seine Klienten in integration. Christoph Buschor Job-Coach Fachstelle Integra- das Praxisassessment F der Stiftung Die Zuweiser erhalten nach dem Assessment einen individuellen Hand- tion Kanton Graubünden SAG zu. lungsplan, ein Kompetenzprofil, Vorschläge zu Fördermassnahmen und nächsten Schritten sowie eine Kopie des erstellten Bewerbungsdossiers. Christoph Buschor, Sie haben mit der Stiftung SAG Diese Grundlagen vereinfachen in der Folge die rasche, gezielte und nach- zusammen das Praxisassessment F entwickelt. Welchen haltige Arbeitsintegration zusammen mit dem/der Job-Coach. Stellenwert nimmt es im Integrationsprozess des Kantons Graubünden ein? Christoph Buschor: Nachdem FL und VA Sprachkurse bis zum Niveau A2 besucht haben, starten wir mit einem allgemeinen Informationsanlass zum Thema berufliche Integration. Danach folgt das Assessment, wo gemeinsam mit den Stellensuchenden das notwendige Wissen rund um das Thema «Arbeiten in der Claudia Schwarzenbach, Schweiz» und der persönliche Lebenslauf erarbeitet wird. Dem Angebotsleiterin Praxisassessment F Stellensuchenden und dem Job-Coach dient dies als Grundlage Berchtoldstrasse 3, CH-8610 Uster für das weitere Vorgehen und die individualisierte Zusammen- 044 905 77 00 arbeit mit den Klienten. Das Assessment geniesst ein hohes An- claudia.schwarzenbach@stiftung-sag.ch sehen und hat für den Verlauf des Integrationsprozesses einen www.praxisassessment.ch grossen Stellenwert. www.stiftung-sag.ch 4-15_FOK_Panorama_DE_4_19.indd 14 08.08.19 10:36
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