Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema

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Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
DLR-Kooperationen                           Heute: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

         Straßenverkehrsforschung:
         ein multidisziplinäres Thema                                                                                                                                     121                  Dezember 2008 / G 12625

         Die Bundesanstalt für Straßenwesen          Straßenwesens bei der Ausarbeitung     Projekte und Untersuchungsaufträge
         (BASt) ist ein technisch-wissenschaft-      von Vorschriften und Normen auch       der Europäischen Union, bearbeitet.
         liches Institut. Sie fördert die Entwick-   im internationalen Bereich mit.        Darüber hinaus betreut die BASt mehr
         lung des Straßenwesens und berät                                                   als 300 Projekte, die von externen

                                                                                                                                                                                                                         Ein Haus im Orbit
         das Bundesministerium für Verkehr,          Gegründet wurde die BASt im Jahr       Wissenschaftlern durchgeführt wer-
         Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)            1951, 1983 zog sie von Köln nach       den. So arbeitet die BASt mit dem
         bei verkehrspolitischen Fragestellungen     Bergisch Gladbach. Auf dem rund        Deutschen Zentrum für Luft- und
         auf dem Gebiet des Straßenwesens            20 Hektar großen Gelände befinden      Raumfahrt beispielsweise erfolgreich                                                                                                Seit zehn Jahren Bauen, Forschen und Wohnen
         mit wissenschaftlich fundierten Ent-        sich ein Bürokomplex sowie zehn        bei der Erforschung kooperativer Fahr-                                                                                              auf der Internationalen Raumstation ISS
         scheidungshilfen. Das umfasst alle          Versuchshallen mit teilweise einzig-   zeugsicherheitssysteme zusammen.
         Themen des Straßenbaus, der Stra-           artigen Großversuchsständen. Die
         ßenverkehrstechnik, des Brücken- und        BASt verfügt beispielsweise über ein   Über 400 Mitarbeiterinnen und Mit-
         Ingenieurbaus, der Fahrzeugtechnik          von EuroNCAP (European New Car         arbeiter sind heute bei der BASt be-
         (Emissionen und Energie, aktive und         Assessment Program) anerkanntes        schäftigt. 40 Prozent der Beschäftigten
         passive Fahrzeugsicherheit, Fahrer-         und vom Kraftfahrt-Bundesamt akkre-    sind Frauen. Der Anteil der Teilzeitbe-
         assistenzsysteme et cetera) sowie           ditiertes Prüflabor für Crash-Tests.   schäftigten wächst: Er liegt heute bei
         des Verhaltens und der Sicherheit                                                  über 20 Prozent. In der BASt sind Wis-
         im Straßenverkehr. Die BASt arbeitet        Jährlich werden etwa 300 eigene For-   senschaftlerinnen und Wissenschaft-
         dazu auf sämtlichen Gebieten des            schungsprojekte, zunehmend auch        ler vielfältiger Fachrichtungen tätig:
                                                                                            Ingenieure, Physiker, Geologen, Bio-
                                                                                            logen, Chemiker, Informatiker und
                                                                                            Mathematiker, Betriebs- und Volks-
                                                                                            wirte, Juristen, Mediziner, Pädagogen,
                                                                                            Soziologen und Psychologen. Derzeit
                                                                                            werden 20 Jugendliche in verschie-
                                                                                            denen Berufen ausgebildet, etwa als
                                                                                            Verwaltungsfachangestellte, Fachan-
                                                                                            gestellte für Bürokommunikation,
                                                                                            Chemie- und Physiklaboranten, Bau-
                                                                                            zeichner, Elektroniker und Metallbauer.
                                                                                                                                      DLR NACHRICHTEN MAGAZIN 121

                                                                                            Kontakt:
                                                                                            Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)                                   HALO hebt ab
                                                                                            Postfach 10 01 50
                                                                                            51401 Bergisch Gladbach
                                                                                                                                                                    Das neue Flugzeug für die Atmosphärenforschung ist fertig
                                                                                            Iris Schneidermann                                                      Seite 4
                                                                                            Telefon: 02204 43-181
© BASt

                                                                                            Telefax: 02204 43-674
                                                                                            E-Mail: pr@bast.de
                                                                                                                                                                    Magnesium macht’s möglich
                                                                                            www.bast.de                                                             Fahrzeugleichtbau in Multi-Material-Design
         Die BASt in Bergisch Gladbach
                                                                                                                                                                    Seite 28

         68 | DLR NACHRICHTEN 121
                                                                                                                                                                    Kleine Wirbel mit großer Wirkung
                                                                                                                                                                    Neue Verdichter für Gas- und Dampfkraftwerke
                                                                                                                                                                    Seite 42
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
Inhalt

DLR NACHRICHTEN 121

                                                                                 Bevor ... die Gulfstream G550 als HALO in die For-
Ready for Take Off
                                                                                 schungsflugzeugflotte aufgenommen werden kann,
Start in eine neue Dimension der Forschung
                                                                                 bekommt sie unter anderem neue Unterflügelbehälter.
mit Flugzeugen                                                            4
                                                                                 Seite 4
Ohne Ruckeln und Vibrieren
Adaptronik macht Montage-Roboter noch schneller                         12

Wenn es heiß hergeht
Keramische Materialien für die Raumfahrt                                18

Für den rettenden Atemzug
Strömungsforschung im Dienst der Gesundheit                             24

Magnesium macht’s möglich
Super Light Car – Leichtbau durch
Multi-Material-Design                                                   28

Knautschzonen und Airbags
Mehr Sicherheit für Besatzung und Passagiere
in Hubschraubern                                                        32

Erstflug im Rechner                                                              Bevor ... das Super Light Car gebaut werden kann, muss
Numerische Simulation – das Handwerk                                             das Multi-Material-Design seine Stärke im simulierten Crash
der Ingenieure von heute                                                36       unter Beweis stellen.
                                                                                 Seite 28
Kleine Wirbel mit großer Wirkung
Innovative Verdichter für effektivere Gas-
und Dampfkraftwerke                                                     42

Am Anfang war die Morgenröte
Zehn Jahre im Orbit: Die Internationale
Raumstation ISS                                                         46

Vom Winde verweht
BEXUS – Studenten forschen in luftiger Höhe                             54

Rezensionen                                                             62

DLR-Kooperation:
Die Bundesanstalt für Straßenwesen                                      68

Titelbild: © NASA                                                                Bevor ... Flugzeuge leiser und sparsamer fliegen, werden
                                                                                 die Flugeigenschaften per numerischer Simulation ermittelt.
                                                                                 Die Vision: das virtuelle Flugzeug.
                                                                                 Seite 36

Impressum · DLR NACHRICHTEN – Das Magazin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt · Herausgeber: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
e.V. (DLR) in der Helmholtz-Gemeinschaft · Redaktion: Sabine Göge (ViSdP), Cordula Tegen (Redaktionsleitung) · DLR-Unternehmenskommunikation · Tel.: 02203
601-2116 · Fax: 02203 601-3249 · E-Mail: pressestelle@dlr.de · www.DLR.de/dlr-nachrichten · Hausanschrift: Porz-Wahnheide, Linder Höhe, 51147 Köln · Die fach-
liche Richtigkeit der Beitragsinhalte verantworten die Autoren. · Druck: Druckerei Thierbach, 45478 Mülheim an der Ruhr · Gestaltung: CD Werbeagentur GmbH,
Burgstraße 17, 53842 Troisdorf · ISSN 0937-0420 · Nachdruck nur mit Zustimmung des Herausgebers und Quellenangabe. Hinweis gemäß § 33 Bundesdatenschutz-
gesetz: Die Anschriften der Postbezieher der DLR NACHRICHTEN sind in einer Adressdatei gespeichert, die mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung geführt
wird. · Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier. · Bilder DLR, soweit nicht anders angegeben.
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
           Rudolf, das Rentier, hat ein Geheimnis. Am Rande der
           Ballon-Experimente für Universitätsstudenten – einpräg-
           samer BEXUS genannt – wurde es gelüftet. Zu lesen ist
           das in unserer Reportage ab Seite 54, deren Anlass frei-
           lich ein anderer ist: die BEXUS-Experimente. Der wissen-
           schaftliche Nachwuchs erfährt dabei, was es bedeutet,
           eine Forschungsmission zu planen und durchzuführen.
           Doch es gibt vielerlei Gelegenheiten, sich für Wissen-
           schaft zu begeistern, warum nicht auch beim Starköl, dem
           schwedischen Starkbier, das nach erfolgreicher Mission
           gemeinsam getrunken wurde.

           Zweifellos viel längeren Atem haben die Beteiligten einer
           anderen Mission: Sie währt seit dem 20. November 1998.
           100.000 Forscher und Manager aus aller Welt sind einge-
           bunden. Die Rede ist von der Internationalen Raumstation
           ISS. Sie dient nicht nur der Forschung in Schwerelosig-
           keit, sie ist auch ein Meisterwerk wissenschaftlicher, tech-
           nologischer und politischer Kooperation, das historisch
           ohne Vorbild ist. Unsere Dokumentation fasst zehn Jahre
           ISS zusammen.

           Beim Rückblick lassen wir es nicht bewenden. HALO, in
           Langform High Altitude and Long Range Research Aircraft,
           rückt seiner Fertigstellung näher. Als eines der modernsten
           Forschungsflugzeuge der Welt wird es neue Bereiche in
           der Atmosphärenforschung und Erdbeobachtung er-
           schließen – und ist wiederum ein großes Gemeinschafts-
           projekt, diesmal der deutschen Wissenschaft. Welches Bier
           nach dem Erstflug von HALO im Sommer 2009 getrunken
           wird, bleibt aber ein Geheimnis.

           Zum Jahresende wünsche ich Ihnen schöne Feiertage und
           freuen Sie sich mit uns auf ein ereignisreiches und interes-
           santes Forschungsjahr 2009!

           Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner
           Vorstandsvorsitzender des DLR

                                                                          DLR NACHRICHTEN 120 | 3
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
Start in eine neue Dimension der Forschung mit Flugzeugen

                                                       Von Dr. Helmut Ziereis
                                               sowie Dr. Monika Krautstrunk
                                              und Dr.-Ing. Stefan Kommallein

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Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
F  ebruar 2001 – „Antrag auf Beschaffung und Betrieb eines großen Forschungsflugzeugs für die
   Atmosphärenforschung und Erdbeobachtung – HALO“. So komplex der Titel, so umfassend die
Aufgabe. Heute, knapp acht Jahre nach dem Antrag beim Bundesministerium für Bildung und For-
schung (BMBF), steht die Auslieferung von HALO, einem der modernsten Forschungsflugzeuge der
Welt, an das DLR kurz bevor. Acht Jahre Arbeit für HALO, das heißt: Anträge, Evaluierungen, Finan-
zierungskonzepte, Vertragsverhandlungen. Das heißt Bau und Umbau des Flugzeugs: Entwürfe, Kon-
struktion und Beschaffung von eigens hierfür angefertigten Anbauteilen. Das bedeutet: Errichtung eines
Hangars, Entwurf und Bau von wissenschaftlichen Instrumenten und nicht zuletzt die Planung der
Missionen. – HALO ist mehr als nur ein Flugzeug: HALO steht für ein großes Gemeinschaftsprojekt,
für eine umfassende Infrastruktur, für ein wissenschaftliches System zur Atmosphärenforschung und Erd-
beobachtung.

                                                                             DLR NACHRICHTEN 121 | 5
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
HALO kurz vor seiner Fertigstellung in
 Savannah (USA).

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Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
>> Das Flugzeug                           rung aus 30 Jahren Betrieb des Vor-
                                        Die G550 von Gulfstream, auf der          gängerflugzeugs Falcon 20 einfloss.
                                        HALO basiert, ist als Langstrecken-       Seitdem arbeiten Ingenieure und Wis-
                                        Businessjet konzipiert und weltweit       senschaftler aus Instituten und Ein-
                                        für Geschäftsreisen und Spezialauf-       richtungen des DLR an der Entwick-
                                        gaben im Einsatz. Die G550 verfügt        lung, Auslegung und Umsetzung der
                                        über eine sehr große Reichweite von       für den wissenschaftlichen Flugbe-
                                        bis zu 12.000 Kilometern, kann bis        trieb notwendigen Modifikationen.
                                        zu 15,5 Kilometer Gipfelhöhe errei-
                                        chen und bis zu drei Tonnen Material      Auch Spezialisten von Gulfstream, zu
                                        zuladen. Damit erschließt das Flug-       deren täglichem Geschäft es gehört,
                                        zeug der Wissenschaft neue Bereiche       Businessjets zu einem Special Mission
                                        in der Atmosphärenforschung und in        Aircraft umzubauen, waren erstaunt
                                        der Erdbeobachtung.                       über die Professionalität der DLR-
HALO-Rumpf: Mehr als 20 Öffnungen
wurden in den Rumpf des Flugzeugs                                                 Kollegen, beginnend bei der Defini-
geschnitten, um optische Fenster und    Derzeit schränkt zum Beispiel die         tion der Umbau-Anforderungen. Die
Einlasssysteme aufzunehmen. Diese Ar-
beiten wurden bei der Firma RUAG in
                                        Reichweite der gegenwärtig in             in Deutschland konzipierten Verän-
Oberpfaffenhofen durchgeführt.          Deutschland verfügbaren Forschungs-       derungen am Flugzeug wurden teil-
                                        flugzeuge deren Einsatz stark ein,        weise bei Gulfstream in den USA und
                                        denn interessante Messregionen auf        bei RUAG in Oberpfaffenhofen fertig
                                        unserem Globus sind oft nur mit meh-      gestellt. Der andere Teil wird nach der
                                        reren Zwischenlandungen oder gar          Übernahme des Flugzeugs durch das
                                        nicht erreichbar. Mit HALO rücken je-     DLR in Eigenregie realisiert. So wurden
                                        doch auch abgelegene Gebiete über         in der Kabine Befestigungsschienen
                                        den Ozeanen, selbst die Pole, in          angebracht, für 15 so genannte
                                        „greifbare“ Nähe. Im Vergleich zum        Racks, Messgestelle, die wie Regale
                                        bisherigen DLR-Forschungsflugzeug         bis zu 150 Kilogramm schwere Instru-
                                        Falcon 20 werden mit HALO Reich-          mente aufnehmen können. Auch im
                                        weite, Flugzeit und Zuladung um den       „Kofferraum“ des Flugzeugs musste
                                        Faktor drei gesteigert, die erreichbare   Platz geschaffen werden, um die wis-
                                        Gipfelhöhe liegt zirka 3.000 Meter        senschaftliche Ausrüstung zu instal-
                                        höher als bei der Falcon.                 lieren. Selbst in jenem Teil des Rumpfs,
                                                                                  der sich außerhalb der Druckkabine
                                                                                  befindet, gibt es nun Möglichkeiten
                                        >> Technik für die Wissen-                zum Einbauen von Instrumenten. Für
                                        schaft in der Entwicklung                 einen Businessjet sehr ungewöhnlich,
                                        So außergewöhnlich und notwendig          für ein Forschungsflugzeug absolut
                                        die Flugleistungen der G550 für ein       notwendig, gibt es jetzt am Rumpf
                                        Forschungsflugzeug auch sein mögen,       und unter den Tragflächen Befesti-
                                        als Träger für wissenschaftliche Expe-    gungspunkte für das Anbringen von
                                        rimente taugt sie damit noch lange        Fernerkundungsmessgeräten, Mess-
                                        nicht. Um als fliegende Plattform für     sonden und einen sieben Meter lan-
                                        wissenschaftliche Instrumente dienen      gen Unterrumpfbehälter (Belly Pod),
                                        zu können, musste die Gulfstream          sowie von Unterflügelbehältern mit
                                        aufwändig innerhalb und außerhalb         einer Länge von über vier Metern.
                                        der Kabine modifiziert werden. Bereits    Maßgeschneidert entwickelt und ge-
                                        im Jahr 2001 begann die Definition        baut wurden diese Zusatzeinrichtun-
                                        der für HALO gewünschten Modifi-          gen von der Firma Aerostruktur in
                                        kationen, in die die gesamte Erfah-       Gundelfingen.

                                                                                           DLR NACHRICHTEN 121 | 7
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
meln weitere Erfahrung, um das           >> Der Hangar
                                           Flugzeug in den anstehenden wissen-      Eine G550 ist mit einer Länge und
                                           schaftlichen Missionen und Flugver-      Flügelspannweite von jeweils knapp
                                           suchen zu beherrschen. Zwei Piloten      30 Metern fast so groß wie ein Kurz-
                                           des DLR-Flugbetriebs in Oberpfaffen-     streckenverkehrsflugzeug. Damit ist
                                           hofen wurden bisher auf das Flug-        sie zu groß für die Oberpfaffenhofe-
                                           zeugmuster G550 geschult. Zwei           ner Flugzeughalle. Wenige Meter vom
                                           weitere werden bis zum Sommer            alten Hangar entfernt entsteht seit
                                           2009 folgen.                             Februar 2008 eine neue, multifunk-
                                                                                    tionale Halle für HALO. Neben der
                                           Zur Vorbereitung gehört aber auch        Stellfläche für das Flugzeug bietet sie
                                           eine vertiefende Ausbildung im Test-     Möglichkeiten, die großen Unterflü-
                                           flugbetrieb. Derzeit bereiten sich ein   gel- und den Unterrumpfbehälter auf-
 Hangar: Seit Februar 2008 wird für HALO
 am Standort des DLR in Oberpfaffenhofen   Testpilot und ein Flugversuchsinge-      zunehmen. Hinzu kommen Wartungs-
 ein neuer Hangar errichtet.               nieur in Kalifornien auf der National    einrichtungen, Büros, Lager und
                                           Test Pilot School in der Mojave Wüste    natürlich auch Räume und Labore
                                           in mehrmonatigen Lehrgängen auf          für die wissenschaftlichen Nutzer.
                                           die kommenden großen Flugversuchs-       Für jeweils mehrere Wochen werden
Der größte Teil der Instrumente wird       programme mit HALO vor. Für den          diese hier Möglichkeiten finden, um
sich jedoch innerhalb der Kabine be-       Flugbetrieb auf der Heimatbasis be-      ihre Instrumente zu präparieren, zu
finden. Praktisch berührungsfrei un-       deutet das Fehlen dieser Kollegen        kalibrieren und in die Messgestelle
tersuchen Fernerkundungsmessgeräte         einen höheren Planungsaufwand:           zu integrieren.
wie Laser und Infrarotdetektoren die       Weitere Personen sind umzuschulen,
Atmosphäre. Dazu mussten vier gro-         personelle Unterstützung vom Flug-
ße Öffnungen mit einem Durchmes-           betrieb Braunschweig und von exter-      >> Die Infrastruktur
ser von 50 Zentimetern oben und            nen Piloten muss organisiert werden.     Mit der Übernahme des Flugzeugs
unten in den Rumpf geschnitten wer-        Neben dem fliegenden Personal müs-       und des Hangars ist das System HALO
den. Diese nehmen spezielle optische       sen auch das technische Personal und     aber noch lange nicht einsatzbereit.
Gläser für die Beobachtung auf. Zu-        die Prüfer entsprechend ausgebildet      Zunächst muss noch die Basisinstru-
sätzlich werden vier Seitenfenster         werden.                                  mentierung in das Flugzeug integriert
durch optische Gläser ersetzt, um die                                               werden. Dazu gehören Messeinrich-
Messung nicht zu verfälschen. Mehr         HALO ist nicht nur moderner, sondern     tungen zur hochpräzisen Druck-, Tem-
als 20 weitere Durchbrüche im Flug-        vor allem auch größer und schwerer       peratur- und Windmessung. Die damit
zeugrumpf können Einlässe komplexer        als die anderen Flugzeuge im DLR in      gewonnenen Daten sowie die Para-
Rohrsysteme aufnehmen, mit denen           Oberpfaffenhofen. Das setzt natürlich    meter des Flugzeugs selbst, seine
die Luft von außen zu den Instru-          andere Maßstäbe für das so genannte      Lage in Raum und Zeit werden auf
menten in der Kabine geleitet wird.        „Ground Support Equipment“. Das          einer Messanlage aufgezeichnet und
                                           fängt an bei höheren Leitern, leis-      den Nutzern zur Verfügung gestellt.
                                           tungsfähigeren Schleppern, stärkerer     Außenanbauten wie Unterflügel- und
>> Technik für die Wissen-                 externer Stromversorgung und hört        Unterrumpfbehälter haben Einfluss
schaft und im Betrieb                      bei einem neuen, für HALO passen-        auf das Schwingungsverhalten eines
HALO erfordert für die fliegenden Be-      den Flugzeughangar auf. Daneben          Flugzeugs. Dieser Einfluss muss durch
satzungen umfangreiche Einweisun-          sind noch viele andere Voraussetzun-     Bodenschwingungstests und durch
gen und Schulungen am Simulator.           gen zu erfüllen: Die Dokumentation       Rechnungen untersucht werden, da-
Nach dem erfolgreichen Abschluss           zum Flugzeug ist zu pflegen. Sonder-     mit es im Flug nicht zu gefährlichen
der gesetzlichen Ausbildungsvorgaben       betriebsmittel, Spezialwerkzeuge und     Schwingungserscheinungen – dem
vertiefen die Piloten bei gewerblichen     Ersatzteile müssen vorgehalten wer-      sogenannten Flattern – kommt. Und
Betreibern von Gulfstream-Flugzeugen       den. Entsprechende Instandhaltungs-      bevor HALO die endgültige Zulas-
im Training ihre Kenntnisse und sam-       und Prüfprogramme müssen vorhan-         sung und Freigabe vom Luftfahrt-
                                           den sein.

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Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
Vorgänger und Nachfolger – Das Forschungsflugzeug Falcon begrüßte den neuen Versuchsträger G 550
über den Alpen auf seinem Weg zur Umrüstung nach Oberpfaffenhofen.

Blick in die offene Kabine während des Umbaus bei RUAG im Jahr 2006 – der Rumpf musste aufwändig modifiziert werden.
Straßenverkehrsforschung: ein multidisziplinäres Thema
Die Firma Aerostruktur aus Gundelfingen entwickelt und baut für HALO die Träger für die
   Partikelmesssonden (links) und Unterflügelbehälter (rechts).

bundesamt erhält, sind zudem um-            Verfügung stehenden Mitarbeitern.            Gesellschaft kommen der Konstruk-
fangreiche Flugversuche mit diesen          HALO-Partner werden deshalb in den           tion und dem Bau neuer Instrumente
Komponenten durchzuführen. Diese            Zulassungsprozess integriert. Für den        für HALO zugute.
werden, verteilt auf mehrere Flug-          späteren Betrieb müssen sich alle Ent-
versuchsabschnitte, im Jahr 2009            wicklungs- und Musterprüfingenieure          Dazu gehört ein Wolkenradar, das un-
erfolgen. Erst wenn diese Tests keine       des Entwicklungsbetriebs und ganz            ter dem Rumpf befestigt wird. Es wird
Beeinträchtigung des Flugverhaltens         besonders diejenigen, die im Flugbe-         unter Federführung der Universität
und damit der Sicherheit des Flug-          trieb später direkt am und mit dem           Hamburg in Zusammenarbeit mit dem
zeugs aufzeigen, können die Außen-          Flugzeug arbeiten werden, speziell           DLR in Oberpfaffenhofen entwickelt
laststationen für die Wissenschaft          vorbereiten.                                 und soll unter anderem die Tröpfchen-
eingesetzt werden.                                                                       größe in den Wolken bestimmen. Das
                                                                                         Max-Planck-Institut für Chemie in
Normalerweise werden im Jahr 50 bis         >> Die Instrumente                           Mainz konstruiert gemeinsam mit
60 Zulassungen vom Entwicklungs-            HALO wird der Forschung neue Mög-            Kollegen vom Forschungszentrum
betrieb für den gesamten Flugbetrieb        lichkeiten eröffnen. Zwar kann man           Jülich ein Messsystem, das auf laser-
realisiert. Allein der Betrieb von HALO     auch mit Instrumenten, die bereits           induzierter Fluoreszenz beruht. Damit
erfordert für die ersten vier Demo-         auf der Falcon oder anderen For-             können hochgenau die geringen Kon-
Missionen in den Jahren 2009 und            schungsflugzeugen geflogen sind,             zentrationen von Hydroxyl-Radikalen
2010 das Zulassen von 40 Experi-            Messungen durchführen, aber das              in der Luft erfasst werden. Diese che-
menten. So müssen zum Beispiel die          wäre wie „Alter Wein in neuen                mischen Verbindungen spielen eine
Einbauten in der Kabine einer Be-           Schläuchen“. Die großen Möglichkei-          wichtige Rolle bei Abbaureaktionen
schleunigung von 9 g in Flugrichtung        ten von HALO haben die Entwicklung           und in den Umwandlungsprozessen
standhalten, ohne sich in ihre Be-          einer ganzen Reihe neuer Messgeräte          in der Atmosphäre.
standteile zu zerlegen. Eine der größ-      angestoßen. Millionenschwere Förde-
ten Herausforderungen des Projekts          rungen durch die Helmholtz-Gemein-           Das Institut für Physik der Atmosphäre
HALO ist der ambitionierte Zeitplan         schaft, die Deutsche Forschungsge-           des DLR in Oberpfaffenhofen steuert
und dessen Realisierung mit den zur         meinschaft und die Max-Planck-               eine ganze Reihe neuer Messsysteme

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für HALO bei: Massenspektrometer          auch zu einem idealen Träger für Auf-
für die Messung von atmosphärischer       gaben aus dem Bereich der Erdfern-
Salpeter- und Salzsäure; Detektoren       erkundung, so in der Beobachtung          Die ersten vier
für den Nachweis von Stickoxiden,         der Landnutzung und des Wasser-           Demo-Missionen
Kohlenmonoxid, Ozon und Kohlen-           kreislaufs, aber auch in der Geophy-
dioxid; Fernerkundungsmesssysteme,        sik bei der Bestimmung des Gravita-       >> omo
                                                                                    Oxidation Mechanism Observations
die mit Lasern Schwebestoffe, Wind,       tions- und Magnetfelds der Erde.
Ozon und Wasserdampf detektieren,                                                   Max-Planck-Institut für Chemie Mainz,
                                                                                    Forschungszentrum Jülich
und Sensoren, die die Größenvertei-
                                                                                    Die Selbstreinigungskraft und
lung, Anzahl und Zusammensetzung          >> Die Partner                            Oxidationsfähigkeit der Troposphäre
von Luft getragenen Partikeln be-         HALO wird eine attraktive Plattform
stimmen.                                  für den Einsatz auf dem Gebiet der        >> ml-cirrus
                                                                                    Formation, Lifetime
                                          Atmosphärenforschung und Erdbe-           Properties and Radiative/Chemical Impact
                                          obachtung werden. Im Sommer 2007          of Mid-Latitude Cirrus Clouds
>> Die Wissenschaft                       haben führende wissenschaftliche          DLR Oberpfaffenhofen
Die wissenschaftlichen Fragestellun-      Einrichtungen aus Deutschland eine        Bildungsmechanismen von Zirren und ihre
gen standen von Beginn an im Zen-         Vereinbarung über die wissenschaft-       Bedeutung für das Klima
                                                                                    Einfluss des Flugverkehrs auf die Bildung
trum des Projekts. Sie waren die          liche Zusammenarbeit bei der For-         von Eiswolken
Triebfeder für HALO. So ist es auch       schung mit HALO geschlossen.
keine Überraschung, dass bereits vor      Dadurch ist bereits vor der Inbetrieb-    >> polstracc
                                                                                    The Polar Stratosphere in a Changing Climate
der eigentlichen Inbetriebnahme zahl-     nahme die wissenschaftliche Nutzung
reiche Missionsvorschläge unterbrei-      auf absehbare Zeit sichergestellt.        Forschungszentrum Karlsruhe

tet wurden. Aus den mehr als 50 Vor-      HALO wird auch im 7. Rahmenpro-           Auswirkungen des sich wandelnden Klimas auf
                                                                                    den Ozonabbau in der arktischen Stratosphäre
schlägen hat der wissenschaftliche        gramm der EU im Projekt EUFAR
Lenkungsausschuss zehn Missionen          (European Fleet for Airborne Re-          >> tacts
                                                                                    Transport and Composition in
als so genannte Demonstrationsmis-        search), das ab 2010 läuft, dabei sein.   the Upper Troposphere
sionen ausgewählt. Neben diesen
                                                                                    Universität Frankfurt
zunächst nationalen Forschungsvor-        Für das HALO-Team sind die Arbeiten
                                                                                    Austauschprozesse von Spurenstoffen
haben gibt es bereits eine Reihe von      mit der Übernahme des neuen Flug-         zwischen Troposphäre und Stratosphäre
Missionen, die europäische Partner        zeugs nicht etwa abgeschlossen.
innerhalb von EU-geförderten Pro-         Eigentlich beginnen sie erst. Der erste
jekten einbeziehen.                       Flug mit einer wissenschaftlichen
                                          Nutzlast ist für den Sommer 2009 vor-
Die wissenschaftlichen Fragen, die mit    gesehen.
HALO beantwortet werden sollen,
sind vielfältig: Wie verändert sich die
Selbstreinigungskapazität der Tropo-      Autoren:                                  Partner
sphäre? Wie werden Spurenstoffe von       Dr. Helmut Ziereis,
der Troposphäre in die Stratosphäre       Projektleiter HALO, DLR-Institut für      >> Deutsche Forschungsgemeinschaft
transportiert? Welchen Einfluss hat       Physik der Atmosphäre,                    >> Max-Planck-Gesellschaft
der Flugverkehr auf die Bildung von       Dr. Monika Krautstrunk,
                                                                                    >> Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Zirruswolken? Welche Regionen sind        DLR-Flugbetriebe Oberpfaffenhofen,
                                                                                    >> Forschungszentrum Jülich
besonders sensitiv in Bezug auf die       Dr.-Ing. Stefan Kommallein,
Bildung von Extremwetterereignissen?      DLR-Entwicklungsbetrieb.                  >> Forschungszentrum Karlsruhe
Aber nicht nur Themen aus dem Be-                                                   >> Leibniz Institut für Troposphärenforschung
reich der Atmosphärenforschung sol-
                                                                                    >> GeoForschungsZentrum Potsdam
len mit HALO untersucht werden. Die
große Reichweite und die umfang-
reichen Modifikationen machen HALO

                                                                                           DLR NACHRICHTEN 121 | 11
Ohne Ruckeln
und Vibrieren
Adaptronik macht Montage-Roboter noch schneller
Von Stephan Algermissen

Das Rattern der vorbeifahrenden Straßenbahn weckt den Städter vor dem Auf-
stehen, das Rumpeln der Waschmaschine im Bad stört deren Besitzer und den
Mieter darunter gleich mit – Schwingungen und Vibrationen sind unerwünschte
Nebeneffekte technischer Geräte. Oft nehmen wir das Ruckeln, Klappern oder
Surren gar nicht mehr bewusst wahr, denn der Mensch hat gelernt, störende
Geräusche auszublenden. Was für den Menschen gilt, trifft auf die Technik nicht
zu. Maschinen oder Leichtbaustrukturen können unerwünschte Schwingungen
nicht einfach ausblenden. Noch nicht. Wissenschaftler und Konstrukteure be-
dienen sich der Adaptronik, um Schwingungen einzudämmen. Dazu benötigt
man Sensoren, die an oder in einer Maschine angebracht sind, um die Schwin-
gungen dieser zu messen, Regler, die einkommende Signale auswerten und Ge-
genschwingungen berechnen, sowie Aktuatoren, also Stellglieder, die diese in
die Bauteile der Maschine einleiten. Durch die Überlagerung von Schwingung
und Gegenschwingung lässt sich diese auslöschen. Das Vibrieren hört auf. Wis-
senschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt nutzen die Adap-
tronik für schwingungsarme Roboter.

12 | DLR NACHRICHTEN 121
Aktive Struktur auf
            den Kopf gestellt im
            Testgestell (Mehrfach-
            belichtung)

DLR NACHRICHTEN 121 | 13
S   eit 15 Jahren forschen DLR-Wis-
    senschaftler auf dem interdiszi-
plinären Gebiet der Adaptronik. In
                                            Robotern, wie sie aus der Automobil-
                                            industrie bekannt sind. Deren Aufbau
                                            ähnelt typischerweise dem mensch-
                                                                                         Steifigkeit der Komponenten bei ge-
                                                                                         ringerem Gewicht. Durch die Kombi-
                                                                                         nation von Parallelarbeitsweise und
zahlreichen Anwendungen, sei es in          lichen Arm und besitzt sich abwech-          Leichtbau entsteht eine neue, sehr
der Luftfahrt oder in der Medizintech-      selnde Glieder und Antriebe. Bei Pa-         leistungsfähige Klasse von Robotern,
nik, gelang es, die Funktionsweise          rallelrobotern jedoch sind sämtliche         die im Betrieb sehr hohe Geschwin-
der Adaptronik zu zeigen. Seit acht         Antriebe im Gestell des Roboters             digkeiten und Beschleunigungen er-
Jahren erarbeitet das DLR auch Lö-          fixiert. Bewegt sich der Roboter, so         reicht. Das hohe Bewegungstempo,
sungen, mit denen Schwingungen              bewegen sich nur Glieder und Gelen-          insbesondere beim Abbremsen vor
bei Robotern reduziert werden. Als          ke. Antriebe müssen nicht mitgenom-          der Platzierung eines Bauteils, regt
Projektpartner im Sonderforschungs-         men werden. Das mitzubewegende               allerdings die Roboterstruktur durch
bereich (SFB) 562 „Robotersysteme           Gewicht ist somit deutlich geringer.         die wirkenden Massenkräfte zu star-
für Handhabung und Montage“ der             Dieser wichtigste Unterschied der Ro-        ken Schwingungen an. Die Schwin-
Deutschen Forschungsgemeinschaft            botertypen befähigt die Parallelrobo-        gungen brauchen eine gewisse Zeit,
(DFG) ist das DLR zuständig für die         ter, eine Nutzlast schneller von einem       um wieder abzuklingen. Erst danach
Entwicklung und den Bau aktiver             Ort zu einem anderen zu befördern,           kann das Bauteil positionsgenau plat-
Komponenten, für die Regelungstech-         als ein vergleichbarer serieller Robo-       ziert werden. Der gewonnene Zeitvor-
nik der Adaptronik und für die Erstel-      ter das kann. Das prädestiniert den          sprung durch die höhere Geschwin-
lung mathematischer Modelle zur             Parallelroboter für Einsatzfälle, in         digkeit wird durch die Wartezeit
Beschreibung der Schwingungseigen-          denen schnell und präzise Bauteile           wieder zunichte gemacht. An dieser
schaften von Robotern.                      bewegt werden müssen, wie etwa               Stelle kommt die Adaptronik ins Spiel:

Spezielle Spezies
                                            bei der Montage von Mobiltelefonen.          Wie lassen sich die Schwingungen

Parallelroboter
                                                                                         messen? Wie leitet man die Gegen-
                                            Damit die Parallelroboter eine höhere        schwingungen ein, und wie sehen
                                            Nutzlast tragen können, ersetzt man          diese überhaupt aus? Mit diesen Fra-
Es sind ganz spezielle Roboter, um          metallische Strukturkomponenten              gestellungen haben sich Wissen-
die es dabei geht, so genannte Pa-          durch Bauteile aus carbonfaserver-           schaftler im DLR beschäftigt und
rallelroboter. Sie unterscheiden sich       stärktem Kunststoff (CfK). Dieser            Konzepte zur Schwingungsreduktion
von den weiter verbreiteten seriellen       Werkstoff hat den Vorteil gleicher           bei Parallelrobotern erforscht. Das Er-

Piezofolienmodule sind in der Lage, Schwingungen von Strukturen anzuregen oder auch zu messen.
Sie können in verschiedensten Formen hergestellt und aufgrund ihrer Flexibilität auf gekrümmte Oberflächen aufgebracht werden.

14 | DLR NACHRICHTEN 121
Sonderforschungsbereich (SFB) 562
„Robotersysteme für Handhabung und Montage“
Das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik befasst                    zu genau bestimmten Schwingungen
sich gemeinsam mit sieben Instituten der TU Braunschweig im Rahmen                   anregen, ohne dass große Motoren
des SFB mit der Erarbeitung von methoden-, komponenten- und system-                  oder Getriebe an die Roboterstruktur
bezogenen Grundlagen für die Entwicklung hochdynamischer Parallel-                   gebaut werden müssen?
roboter mit adaptronischen Komponenten. (www.tu-bs.de/sfb562)
                                                                                     Wissenschaftler des DLR arbeiten seit
                                                                                     Langem an innovativen Lösungen zur
                                                                                     „Aktivierung“ von Strukturen. Als
                                                                                     besonders geeignete Werkstoffe für
                                                                                     Aktuatoren haben sich Piezokerami-
gebnis dieser Arbeit konnte an einem         schleunigungssensor direkt innerhalb    ken erwiesen. Piezokeramiken sind
realen Roboter umgesetzt und erfolg-         des Endeffektors angebracht. Er ist     unter anderem bekannt aus Piezo-
reich getestet werden. Der aktuelle          in der Lage, die Schwingungen in        feuerzeugen, wo durch Druck auf die
Versuchsträger des Sonderforschungs-         drei Raumrichtungen zu erfassen.        Keramik eine hohe Spannung erzeugt

                                             Keramik erzeugt
bereichs 562 ist der Parallelroboter                                                 wird. Entlädt sich diese Spannung

                                             Schwingungen
TRIGLIDE. Sein Endeffektor, also der                                                 über einen Lichtbogen, dann entzün-
Ort, an dem der Greifer für die Bau-                                                 det sich das Gas des Feuerzeugs. Der
teile angebracht ist, kann in allen drei                                             umgekehrte Effekt wird in den Aktua-
Raumrichtungen bewegt werden. Drei           Um die Schwingungen einer Struktur      toren genutzt: Beim Anlegen einer
Linearantriebe beschleunigen ihn auf         aktiv zu beruhigen, muss man die        elektrischen Spannung dehnt sich die
einen Spitzenwert von 10 g, dem              Struktur zunächst zu Schwingungen       Piezokeramik und erzeugt eine Kraft.
zehnfachen der Erdbeschleunigung.            anregen können. Denn ob sich die        Bereits Piezoplättchen mit einer Dicke
                                             Schwingungen wirklich reduzieren        von nur einem halben Millimeter rei-
Dabei muss die Regelung in der Lage          lassen, ist eine Frage des richtigen    chen aus, um die Roboterstruktur
sein, Störungen in geeigneter Art und        Zeitpunkts der Anregung. Das Ziel ist   von TRIGLIDE zu geeigneten Gegen-
Weise zu beurteilen. Dazu werden die         die Überlagerung von Schwingung         schwingungen anzuregen. Zum bes-
Schwingungen des Endeffektors ge-            und Gegenschwingung, sodass sie         seren Einbau werden die Piezoplätt-
messen, weil dort das Bauteil gehalten       sich am Ende auslöschen. Doch wie       chen in Kunststoff eingekapselt. Die
wird. Zu diesem Zweck ist ein Be-            kann man überhaupt eine Struktur        entstehenden Piezofolienaktuatoren
                                                                                     werden mit speziellem Klebstoff mit
                                                                                     der Roboterstruktur verbunden. So
                                                                                     wird es möglich, leichte Aktuatoren
                                                                                     direkt auf oder sogar in die zu beru-
                                                                                     higende Struktur zu bringen.

                                                                                     Erstmal kräftig
                                                                                     durchschütteln ...
                                                                                     Der Parallelroboter sollte nun in der
                                                                                     Lage sein, mit den Sensoren die Stö-
                                                                                     rungen zu erfassen und mit den Ak-
                                                                                     tuatoren dagegen zu arbeiten. Es
                                                                                     fehlt jedoch noch eine Instanz, die
                                                                                     Sensoren und Aktuatoren koordiniert.
                                                                                     Dieses Verbindungsglied ist die Re-
                                                                                     gelung. Beim TRIGLIDE besteht die
                                                                                     Regelung aus einem handelsüblichen
                                                                                     Personal Computer mit einem spe-

Gelenkkette des Parallelroboters TRIGLIDE mit zwei aktiven Stäben, die außen mit
Piezofolienmodulen beklebt sind

                                                                                            DLR NACHRICHTEN 121 | 15
Aktuatoren                              Roboter                   Sensoren

ziellen Echtzeit-Betriebssystem                                                                                                Schwingungsverhalten bestimmt
und Modulen zur Ein- und Aus-                                                        Regelung
                                                                                                                               wurde. Das Schwingungsverhal-
gabe von Signalen. Den Kern der                                                                                                ten von Robotern ist jedoch ab-
Regelung bildet ein mathemati-                                                                                                 hängig von der Position des End-
sches Gleichungssystem, das den                Schematischer Aufbau des Adaptroniksystems                                      effektors. Fährt der Roboter in
aktuellen Schwingungszustand                                                                                                   eine andere Position, so verschie-
der Struktur aus den Sensorsignalen              regelrecht durchgeschüttelt. Die Be-                                      ben sich seine Resonanzfrequenzen
schätzt und auf dieser Basis die aus-            schleunigungen des Endeffektors in                                        und der Regler ist nicht mehr in der
zugebenden Aktuatorsignale berech-               allen drei Raumrichtungen werden                                          Lage, den Schwingungszustand ex-
net. Damit ist auch schon die Heraus-            vom Regelungssystem zeitgleich auf-                                       akt zu berechnen. Die Folge:
forderung bei der Auslegung einer                gezeichnet. Aus den Aktuator- und                                         Störschwingungen werden nicht in
Regelung beschrieben: Der aktuelle               Sensorsignalen schätzt ein Algorith-                                      dem Maße reduziert wie ge-
Schwingungszustand kann von dem                  mus zur Systemidentifikation das                                          wünscht. Um die Schwingungen
Regler nur korrekt geschätzt werden,             Schwingungsverhalten der TRIGLIDE-                                        dennoch zu mindern, messen die
wenn er „weiß“, wie das Schwin-                  Struktur und hinterlegt dieses Wissen                                     Wissenschaftler das Schwingungs-
gungsverhalten der Struktur ist. Es              in Form eines mathematischen Glei-                                        verhalten des Roboters an zehn Posi-
gibt Frequenzen – die so genannten               chungssystems. Ein weiterer Algorith-                                     tionen des Endeffektors, den so
Resonanzfrequenzen –, bei denen                  mus definiert die Reglerauslegung. In                                     genannten Arbeitspunkten. Zwi-
der Roboter stärker in Schwingun-                ihn fließt die vom Regler zu erfüllende                                   schen diesen Punkten wird das Ver-
gen gerät als bei anderen. Vor der               Randbedingung ein, zum Beispiel wie                                       halten der Struktur aus dem der drei
Auslegung einer Regelung steht so-               viel Spannung die Aktuatoren maxi-                                        nächstgelegenen Punkte berechnet.
mit zunächst der Schritt der Schwin-             mal erhalten dürfen, ebenso das Wis-                                      Analog dazu müssen zehn Regler
gungsanalyse, auch Systemidentifi-               sen über das Schwingungsverhalten.                                        gemäß dem Verhalten in den zehn

                                                 Ein Regler reicht nicht
kation genannt. Was liegt näher, als                                                                                       Arbeitspunkten ausgelegt werden. Im
die bereits vorhandenen Sensoren und                                                                                       Betrieb steht der Parallelroboter na-
Aktuatoren zur Analyse zu verwen-                                                                                          türlich nicht still, sondern bewegt sich
den. Die Roboterstruktur wird für die            Würde man den so ausgelegten Reg-                                         auf programmierten Bahnen durch
Systemidentifikation von allen Piezo-            ler in den Parallelroboter einbauen,                                      den Arbeitsraum. Das bedeutet, der
folienaktuatoren gleichzeitig für 17             wäre die Schwingungsreduzierung in                                        Regler kann erst wie gewünscht wir-
Sekunden von einem Rauschsignal                  jener Position am besten, in der das                                      ken, wenn die Regler aus den nächst-

                                                                                                                                                               1

                                                                                                        1                                                      0,9
                                                                                                                           2
                                                                                         3                                                                     0,8
                                                                                                            4
                                                                                                                               5                               0,7
                                                                                                6
                                                                                 8                               7                                             0,6
                                                  Regleranteile α [ ]

                                                                         1
                                                                                                    9
  Für den gesamten Arbeitsraum wer-                                                                                   10                                       0,5
 den zehn Regler benötigt. Innerhalb
 ihres jeweiligen Bereiches (Regleran-
                                                                        0,5                                                                                    0,4
  teil = 1) ist ein Regler allein aktiv. In
  den Übergangsbereichen (Regleran-
                                                                                                                                       200
                                                                                                                                                               0,3
        teil < 1) sind die benachbarten
                 Regler gemeinsam aktiv                                  0
                                                                                                                                   0                           0,2
                                                                                                                                        z [mm]
                                                                              -200                                                                             0,1
                                                                                      -100
                                                                                                    0                          -200
                                                                                                        100
                                                                                                                  200                                          0
                                                                                     γ [mm]
16 | DLR NACHRICHTEN 121
Der Parallelroboter TRIGLIDE mit aktiver Struktur

gelegenen Arbeitspunkten kombiniert           Nach größeren Wartungsarbeiten, die     PC von TRIGLIDE hinterlegt. Eine Neu-
werden. Die besondere Herausforde-            zum Beispiel ein Auseinander- und Zu-   kalibrierung der Regelung ist dann
rung ist die zu gewährende Stabilität         sammenbauen erfordern, muss das         für den Roboterbediener ohne großen
beim Umschalten zwischen den drei             Schwingungsverhalten neu identifi-      Zeitaufwand möglich.
Reglern. Ein im DLR entwickelter An-          ziert und die Regelung neu ausgelegt
satz lieferte den Nachweis dafür, dass        werden. Im industriellen Umfeld muss
die Stabilität gewährt werden kann.           die Adaptronik kontinuierlich laufen,   Autor
Die Berechnung der Regler findet auf          aufwändiges neues Einmessen durch       Dipl.-Ing. Stephan Algermissen aus dem
dem Regelungssystem tausendmal pro            Experten ist nicht praktikabel.         DLR-Institut für Faserverbundleichtbau
Sekunde statt.                                                                        und Adaptronik ist im Sonderforschungs-

TRIGLIDE stellt
                                              Abhilfe schafft da ein von den DLR-     bereich 562 für die Systemidentifikation

sich selber ein
                                              Wissenschaftlern entwickelter auto-     und die Regelungstechnik der Adaptro-
                                              matischer Algorithmus, der es dem       nik zuständig.
                                              System erlaubt, sich selbstständig
Das Schwingungsverhalten eines Pa-            einzustellen. Dabei sind komplizierte
rallelroboters ist sehr sensitiv gegen-       Identifikations- und Auslegungsalgo-
über Änderungen an der Struktur.              rithmen automatisiert und auf dem

                                                                                             DLR NACHRICHTEN 121 | 17
18 | DLR NACHRICHTEN 121
Wenn es heiß hergeht
  Keramische                 Materialien                 für      die        Raumfahrt
Von Prof. Heinz Voggenreiter

D    as Ziel ist ehrgeizig: Die Ingenieure und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und
     Raumfahrt wollen die Leistungsfähigkeit von Wiedereintrittsfahrzeugen und Fluggeräten ent-
scheidend verbessern. Gelingen soll das mit neuen keramischen Werkstoffen, so genannten faser-
keramischen Verbundmaterialien. Zugleich treiben neue Leichtbauweisen die technische Evolution
hinsichtlich der Funktionalität, der Schadenstoleranz und der Herstellbarkeit voran. Anhand erfolg-
reicher Entwicklungen, aufwändiger Versuche und Flugeinsätze in der Raumfahrt, aber auch in der
Luftfahrt und der Verkehrstechnik, konnten mit industriellen und universitären Partnern die Vorteile
keramischer Werkstoffe als Hochtemperaturwerkstoff bereits eindrucksvoll gezeigt werden.

                                                                    Der Autor ist Direktor der DLR-Institute
                                                                    für Bauweisen- und Konstruktionsfor-
                                                                    schung sowie für Werkstoff-Forschung.

                                                                    Als weitere Experten für keramische
                                                                    Materialen in der Raumfahrt haben an
                                                                    diesem Beitrag mitgewirkt:
                                                                    Dr. Hermann Hald, Leiter der Abteilung
                                                                    „Raumfahrt Systemintegration“ und
                                                                    Hendrik Weihs, Leiter des DLR-Projektes
                                                                    „SHEFEX-II“, beide vom Institut für Bau-
                                                                    weisen- und Konstruktionsforschung.
                                                                    Dr. Jürgen Göring, Leiter der Abteilung
                                                                    „Keramische Struktur- und Funktions-
                                                                    werkstoffe“ und Bernhard Heidenreich,
                                                                    Leiter der Abteilung „Keramische Ver-
                                                                    bundstrukturen“, beide vom Institut für
                                                                    Bauweisen- und Konstruktionsforschung.

                                                                            DLR NACHRICHTEN 121 | 19
Schon seit Ende der 1980er Jahre
                                           sammeln die Ingenieure und Wissen-
                                           schaftler des DLR-Instituts für Bau-
                                           weisen- und Konstruktionsforschung
                                           in Stuttgart und des DLR-Instituts für
                                           Werkstoff-Forschung in Köln umfang-
                                           reiche Erfahrungen im Umgang mit
                                           den kohlenstofffaserverstärkten und
                                           oxidfaserverstärkten Verbundkerami-
                                           ken. Faserkeramiken zeichnen sich
X-38: Nasenkappe nach der Integration      im Gegensatz zu den metallischen
an X-38 in Houston im Oktober 2001
                                           Werkstoffen durch eine wesentlich
X-38 war als Technologie-Demonstrator      geringere Dichte aus und sind auch
der NASA für das Rettungsboot CRV          im Temperaturbereich von 1.300 bis
(Crew Return Vehicle) für die inter-
nationale Raumstation ISS vorgesehen.      1.800 Grad Celsius (°C) mechanisch
Platziert auf einer Trägerrakete sollte    noch voll belastbar.
später eine Weiterentwicklung zu einem
eigenständigen Crew Transport Vehicle
(CTV) möglich sein. Innerhalb des natio-   Diese ernorm leichten Verbundwerk-
nalen TETRA Programms (Technologien        stoffe werden daher überwiegend
für zukünftige Raumtransportsysteme)
wurden wesentliche Bauteile für das
                                           für den Hochtemperatureinsatz ent-
Thermalschutzsystem des Raumgleiters       wickelt und lassen sich durch Modifi-
X-38 entwickelt, getestet, qualifiziert    kationen in den Ausgangsmaterialien
und an die NASA ausgeliefert. Neben
der deutschen Industrie war auch das       und Herstellprozessen gezielt für
DLR in die Entwicklung von Bauteilen       die spezifischen Einsatzbedingungen
eingebunden.
                                           konditionieren. Neben der guten
                                           Hochtemperaturfestigkeit sorgt die
                                           geringe thermische Ausdehnung für
                                           eine hohe Formbeständigkeit bei
                                           extremsten Temperaturen verbunden
                                           mit exzellenter Thermoschockbestän-
                                           digkeit.

                                           Besonders hervorzuheben ist die für
                                           einen keramischen Werkstoff hohe
SHEMIC: ein facettiertes Konzept für REX
                                           Schadenstoleranz. Das von der kon-
                                           ventionellen Keramik bekannte sprö-
Das SHEMIC Konzept (Sharp Edge             de Bruchversagen wird durch das
Microgravity Capsule) ist ein Vorschlag
für eine wieder verwendbare, frei flie-    Zusammenspiel der Kohlenstofffasern
gende Forschungskapsel für Experimente     und der Matrix vermieden. Die Ver-
unter Schwerelosigkeit. SHEMIC nutzt
konsequent alle im SHEFEX-Programm
                                           bundkeramik widersetzt sich dem
entwickelten und qualifizierten Techno-    Bruch, in dem die entstehenden Risse
logien und kombiniert kostengünstige       durch die Fasern im Wachstum behin-
Bauweisen mit guten aerodynamischen
Eigenschaften, die eine kontrollierte      dert werden. Der Fachmann spricht
Rückkehr ermöglichen. Für die For-         hier von einem quasi-duktilen Ver-
schung unter Schwerelosigkeit soll dem
                                           halten.
Experimentator für mehrere Tage eine
sehr gute Forschungsumgebung mit
möglichst geringen Restbeschleunigun-      Wie gelangen diese verstärkenden
gen bei vertretbaren Missionskosten
angeboten werden.                          Fasern ins Material? C-Faser ver-
                                           stärkte Keramiken werden zunächst

                                                                                    Wiedereintrittsfähiger Flugkörper SHEFEX – die
                                                                                    zweistufige Trägerrakete auf der Startrampe

20 | DLR NACHRICHTEN 121
als Faserverbundkunststoff (FVK) her-    baut und getestet. Die Verfahrens-
gestellt. Dessen Wärmebehandlung         technik, die Designkonzepte und die
bei einer Temperatur von mehr als        ausgeklügelten Verbindungselemente
1.600 °C in Stickstoffatmosphäre und     zwischen der heißen Außenhaut und
eine anschließende Infiltration mit      der kalten metallischen Unterstruktur
Silizium wandelt den Kunststoff in       des Raumfahrzeugs stellen weltweit
eine C-Faser verstärkte SiC-Keramik      anerkannte Schlüsseltechnologien
um. Für die oxidische Faserkeramik       dar. Das Potenzial der Faserkeramik
werden Oxidfaserbündel, in der Regel     zeigte sich zudem bei der Realisie-
Aluminiumoxid, mit einer keramik-        rung und Qualifizierung der Nasen-      Effusiv gekühlte Verbundwerkstoff-
                                                                                 Mikrobrennkammer – mit einer Dichte
haltigen Emulsion infiltriert und zum    kappe für den NASA-Raumgleiter
                                                                                 zwischen 1,3 und 1,6 g/cm3 sind die Ver-
Bauteil gewickelt. Im nachfolgenden      X-38 sowie bei der erfolgreich im       bund-Werkstoffe etwa fünf mal leichter
Sinterprozess entsteht die Faserkera-    atmosphärischen Wiedereintritt ge-      als die heute eingesetzten Metalle
mik.                                     flogenen TPS-Struktur auf der Außen-
                                         struktur der russischen Raumkapsel
Das skizzierte Eigenschaftsprofil der    FOTON-M2. Ziel dieser Entwicklun-
Faserkeramik macht diese Werkstoff-      gen war ein möglichst robustes und
klasse zu einem idealen Kandidaten       schadenstolerantes Gesamtsystem,
für die Anwendung in wiedereintritts-    das unter operationellen Bedingungen
fähigen Raumfahrzeugen. Robuste,         zuverlässig arbeitet.
schadenstolerante und leichte Ther-
malschutzsysteme (Thermal Protection     Die außergewöhnlichen Eigenschaften
System – TPS) ermöglichen dem            der Faserkeramiken führten im Zu-
Raumfahrzeug einen unbeschadeten         sammenspiel mit neuesten aerody-
Wiedereintritt in die Atmosphäre der     namischen Erkenntnissen zu grund-
Erde oder anderer Planeten. Die faser-   legend neuen Designkonzepten
keramischen Eigenschaften erlauben       zukünftiger wiedereintrittsfähiger
den Konstrukteuren, dabei völlig         Raumfahrzeuge. Die Auflösung der
neue Wege beim Strukturdesign zu         bisherigen aerodynamisch gekrümm-
beschreiten. Bis dahin ist es jedoch     ten Formen in eine facettierte Bau-
ein weiter Weg in der Materialent-       weise mit wenigen ebenen Struktur-
                                                                                 Belastungstest einer Hochleistungsbrems-
wicklung und der Materialanalyse.        bereichen und scharfen Vorderkanten     scheibe aus Faserverstärkter Keramik
So lassen Anteil, Lage und die Län-      ermöglicht eine signifikante Einspa-
ge der Fasern eine gezielte Einstel-     rung bei den Herstellungs- und War-
lung der Materialeigenschaften zu        tungskosten und verbessert die aero-
und beeinflussen damit das Bauteil-      dynamischen Eigenschaften.
design. Die Eignung des resultieren-
den Materials für den Wiedereintritt     Die resultierenden Temperaturüber-
muss sich schließlich im Plasmawind-     höhungen an den Facettenkanten
kanal unter wiedereintrittsähnlichen     können dabei weitgehend von den
Bedingungen erweisen.                    Faserkeramiken ertragen werden. Die
                                         extrem belasteten Vorderkanten er-
Ende der 90er Jahre wurden im Auf-       fordern jedoch entweder innovative
trag der europäischen Raumfahrtbe-       Kühltechniken oder einfache Bau-
hörde ESA die Grundlagen für eine        weisen für ablative Strukturelemente.
großflächig einsetzbare TPS-Struktur     Faserkeramiken ermöglichen durch
aus faserkeramischen Paneelen, Be-       ihre Mikroporosität und ihr gut-        Keramische Radbremsscheibe mit einem
                                                                                 Durchmesser von 720 mm für Hochge-
festigungselementen, flexiblen Dich-     mütiges Erosionsverhalten auch bei      schwindigkeitszüge mit gefügten Kraft-
tungen und Isolation entwickelt, ge-     extremen thermischen Überlasten         einleitungselementen

                                                                                      DLR NACHRICHTEN 121 | 21
vielversprechende Möglichkeiten, die     Wärmeflüsse erzeugt, die die Struk-      Teleskoprohre dar. Ein solches Tele-
in Testanlagen schon nachgewiesen        turen auf über 1.800 °C erhitzen. In     skoprohr wird derzeit für den Laser-
wurden.                                  Kombination mit dem Staudruck von        kommunikationsterminal (LCT) der
                                         bis zu vier bar stellt das eine enorme   TerraSAR-X-Mission eingesetzt und
Die Forschungsarbeiten zu den Wie-       thermomechanische Belastung für          wurde in Kooperation mit der Firma
dereintrittsstrukturen gipfelten 2005    die faserkeramischen Strukturen dar.     Zeiss Optroniks entwickelt. Die aus
in der Entwicklung und im Flug des                                                Faserkeramik endkonturnah gefertigte
Fluggeräts SHEFEX-I (Sharp Edge Flight   SHEFEX-II ist ein weiterer, wichtiger    Rohrstruktur von 150 Millimetern
Experiment). Durch diese Flugmission     Schritt innerhalb der programmati-       Durchmesser und zwei Millimetern
konnte neben der Gewinnung aero-         schen Strategie zur Hyperschall- und     Wandstärke eignet sich auf Grund
dynamischer Flugdaten die Funktio-       Wiedereintritts-Technologieentwick-      ihres ausdehnungsarmen Verhaltens
nalität des neuen Facettendesign-Prin-   lung, die in der nächsten Dekade in      bestens, um mittels Laser Daten zu
zips nachgewiesen werden. Auf der        der Entwicklung einer wieder ver-        einer Basisstation zur Erde zu über-
Basis der ersten Erkenntnisse dieses     wendbaren Forschungsplattform REX        tragen.
20 Sekunden dauernden Wiederein-         (Returnable Experiment) münden
trittsflugs von SHEFEX-I bei Mach 6      könnte.
wird dieses Strukturkonzept konse-
quent vorangetrieben. Der in der         Das Anwendungsfeld der Faserkera-
Entwicklung befindliche leistungs-       mik erstreckt sich über die Thermal-
gesteigerte Experimentalflugkörper       schutzsysteme hinaus. In der Antriebs-
SHEFEX-II zeichnet sich durch eine       technologie werden neue effusiv
Verdoppelung der Geschwindigkeit         gekühlte Raketenbrennkammer-
sowie Dauer des nutzbaren Zeitfen-       bauweisen mit dem Ziel entwickelt,
sters beim Wiedereintritt aus und        Gewicht und Kosten zu senken
wird voraussichtlich 2010 abheben.       und eine höhere Lebensdauer
Neben der Erweiterung des Flugbe-        der Triebwerke zu erreichen.
reichs wird die Nutzlastspitze gegen-    Diese Technologien werden
über SHEFEX-I deutlich vergrößert.       in enger Zusammenarbeit
Ein Schlüsselexperiment ist dabei ein    zwischen DLR und EADS-
Flugregelungssystem mit keramischen      Astrium im Forschungs-
Steuerflossen (Canards), das in der      netzwerk „Propulsion
Eintrittsphase eine aerodynamische       2010“ untersucht und
Flugkontrolle ermöglicht.                entwickelt und sollen
                                         anhand eines Technologie-
Die Experimentphase beginnt mit          demonstrators verifiziert werden.
dem Eintritt in zirka 100 Kilometern
Höhe und während der Messphase           Ein weiteres, noch nicht vollständig
wird etwa 11- bis 12-fache Schallge-     erschlossenes Anwendungsfeld
schwindigkeit (etwa drei Kilometer       stellen die ausdehnungs-
pro Sekunde) erreicht. Bei dieser        armen Strukturen für
hohen Machzahl werden besonders          Spiegelträger oder
an der Nutzlastspitze sowie an den       hochsteife
scharfen Vorderkanten der Canards
und Stabilisierungsflossen extreme

22 | DLR NACHRICHTEN 121
Teleskoprohr für ein Laserkommunikations-
terminal für TerraSAR-X (Zeiss Optroniks)

   Wiedereintrittsfähiger
   Flugkörper SHEFEX
   Folgende DLR-Institute und -Einrich-
   tungen sind an SHEFEX-II beteiligt:
   - Institut für Aerodynamik und
     Strömungstechnik, Braunschweig
     und Göttingen und Abteilung
     Windkanäle, Köln
   - Institut für Bauweisen- und
     Konstruktionsforschung, Stuttgart
   - Institut für Flugsystemtechnik,
     Braunschweig
   - Institut für Werkstoff-Forschung,
     Köln
   - Institut für Raumfahrtsysteme,
     Bremen
   - Mobile Raketenbasis (MORABA),
     Raumflugbetrieb und Astronauten
     training, Oberpfaffenhofen

23 | DLR NACHRICHTEN 119
Für den
rettenden Atemzug
Strömungsforschung im Dienst der Gesundheit
                                                                      Von Lars Krenkel

V    on medizinischen Anwendungen der Luft- und Raumfahrtforschung war in DLR-Publikationen
     schon des Öfteren zu lesen. Seien es humanphysiologische Experimente in Schwerelosigkeit oder
neue Materialien beispielsweise für die Herzchirurgie. Diesmal ist von strömungsmechanischen For-
schungsarbeiten zu berichten, die einer noch wirksameren und schonenderen künstlichen Beatmung
bei akutem Lungenversagen zugute kommen sollen. DLR-Wissenschaftler bringen in ein interdisziplinäres
Schwerpunktprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ihre Kompetenz bei der Bildverarbeitung
sowie der experimentellen und numerischen Untersuchung von Strömungsprozessen ein.

Im DLR-Institut für Aerodynamik und        borenen- und Kinderheilkunde (Neo-        nischen Transportmechanismen im
Strömungstechnik in Göttingen be-          natologie/Pädiatrie) bereits etabliert.   Zusammenhang mit der Hochfre-
schäftigt sich die Abteilung Fluidsys-     In der Erwachsenenmedizin findet          quenz-Oszillationsventilation im Detail.
teme auch mit der Verbesserung der         sie vorwiegend bei Patienten mit          Sie wollen die Einfluss- und Regelpa-
künstlichen Beatmung. Die soge-            akutem Lungenversagen Anwendung,          rameter genauer identifizieren. Wenn
nannte Hochfrequenz-Oszillationsven-       bisher jedoch ausschließlich als „Res-    sich diese Beatmungsstrategie als
tilation (HFOV) ist seit den 60er Jahren   cue-Methode“, also als letztes Mittel     Methode etablieren soll, müssen die
als Lungen schonendes Verfahren            der Wahl. DLR-Wissenschaftler unter-      komplexen Transportvorgänge noch
bekannt und hat sich in der Neuge-         suchen nun die strömungsmecha-            besser verstanden werden, um die

24 | DLR NACHRICHTEN 121
Sauerstoffanreicherung und die
Ventilation der Lunge optimieren
zu können.

Um diese komplexe strömungsme-
chanisch-medizinische Thematik best-
möglich und unter Nutzung modern-
ster Methoden bearbeiten zu können,
wird das Projekt im Rahmen des von
der Deutschen Forschungsgemein-
schaft (DFG) geförderten Forschungs-
schwerpunkts „Protektive Beatmung“
in interdisziplinären Forschungsgrup-
pen bearbeitet. In der interdisziplinä-
ren Gruppe aus Medizinern und Na-
                                                                       Schematische Darstellung der Geometrierekonstruktion
turwissenschaftlern arbeiten neben
dem DLR das Universitätsklinikum
Mainz mit seiner Klinik für Anästhe-
siologie und der Klinik für Radiologie,
Bereich medizinische Physik, sowie
der Hersteller für Beatmungsgeräte        die Geometrien aus einer Serie von      optischer Messverfahren, wie der
VIASYS GmbH Höchberg zusammen.            computertomographischen (CT)            Particle-Image-Velocimetry (PIV),
                                          Schnittbildern rekonstruiert. Somit     einem berührungslosen Geschwin-
Die DLR-Wissenschaftler haben dabei       ist es möglich, die reale Geometrie     digkeitsmessverfahren, verwendet.
die Aufgabe, die komplexen Strö-          der Atemwege eines Menschen aus
mungsvorgänge und Transportme-            einem hochauflösenden CT-Daten-         In Zusammenarbeit mit den Partnern
chanismen in den zentralen Atem-          satz zu rekonstruieren. Ein so ge-      des Universitätsklinikums Mainz wer-
wegen der Lunge numerisch und             nanntes Oberflächengitter dient im      den des Weiteren neuere Methoden
experimentell zu untersuchen. Als         weiteren Verlauf als Ausgangsbasis      zur Geschwindigkeitsmessung mittels
Zentrale Atemwege werden die obe-         sowohl zur Erstellung eines Silikon-    Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)
ren bronchialen Abschnitte der Lunge      ausgussmodells für die Experimente      unter Verwendung eines identischen
bezeichnet. Ausgehend von der Luft-       als auch zur Erzeugung von Volu-        Abgussmodells getestet und mit ex-
röhre (Trachea) verzweigen sich die       men-Rechengittern für die numeri-       perimentellen und numerischen Daten
Atemwege in der Lunge zunehmend.          sche Simulation.                        des DLR verglichen. Die Besonderheit
Die Anzahl der Verzweigungen ent-                                                 des gemeinsamen Projektes zur Opti-
lang eines Bronchienastes wird dabei      Die experimentelle Modellfertigung      mierung der Hochfrequenz-Oszilla-
als „Generation“ bezeichnet. In dem       erfolgt mittels moderner Rapid-Pro-     tionsventilation besteht somit in der
Forschungsprojekt sind Untersuchun-       totyping-Verfahren. Dabei wird zu-      Anwendung verschiedener experi-
gen bis in den Bereich der achten         nächst ein positives Wachs-Modell       menteller Verfahren aus der klassi-
Generation geplant.                       erstellt. Dieses dient im nachfolgen-   schen Strömungsmesstechnik und
                                          den Schritt als Kern für ein Silikon-   moderner Methoden aus der Medizin
Um realistische Ausgangsdaten von         modell. Nach dem Aushärten des          im Zusammenspiel mit numerischen
den Lungengeometrien sowohl für           Silikons wird der Wachs-Kern her-       Strömungsberechnungen.
die numerischen Simulationen als          ausgeschmolzen und es entsteht ein
auch für die experimentellen Unter-       optisch transparentes Abbild der zen-   Erst kürzlich konnten große Teile der
suchungen zu bekommen, wurde              tralen Atemwege. Dieses Modell          experimentellen und numerischen
zunächst ein vom DLR entwickeltes         wird dann zur Untersuchung der Strö-    Prozesskette anhand eines verein-
bildgebendes Verfahren angewandt.         mungsverhältnisse bei unterschied-      fachten Plexiglasmodells erprobt wer-
Mit ihm werden nahezu automatisch         lichen Randbedingungen mittels          den. Dabei wurden die Strömung in

                                                                                          DLR NACHRICHTEN 121 | 25
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