Die Digitalisierung als Chance Generation Zukunft - 32 Einsparfaktor "Müll" - IHK-Siegen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
6/17 96. JAHRGANG A 4791 INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMER SIEGEN WIRTSCHAFTSREPORT SIEGEN · OLPE · WITTGENSTEIN REPORT 2 46 32 als Chance Die Digitalisierung Generation Zukunft Einsparfaktor „Müll“
Wir leben die Region. Weil wir Visionen fördern, um neue Aussichten zu schaffen. Das ist unsere Kultur. Seit 175 Jahren. Wir leben die Region – seit 1842. In Siegen, Freudenberg, Kreuztal, Netphen und Wilnsdorf begleitet die Sparkasse Siegen die Menschen in der Region und ihre Ideen, die heimische Wirtschaft und den technologischen Fortschritt. sparkasse-siegen.de
2 36 48 Die IHK Siegen online: Liebe Leser, www.ihk-siegen.de Industrie 4.0 – ein Schlagwort, das zahlrei- Interpretationen das sein können, stellen schon heute wieder an seine Grenzen. Ab che Unternehmer schon gar nicht mehr wir Ihnen in unserer Titelgeschichte ab Seite 48 schildert Geschäftsführer Frank hören mögen. Nicht etwa, weil die soge- Seite 2 vor. Hustadt sein Erfolgsrezept. nannte vierte industrielle Revolution für ih- Nicht minder spannend ist der Traum, vom Im Erwerbsleben spielt für die Arbeitneh- re Unternehmen nicht von Belang wäre. Auszubildenden zum Chef einer mittelstän- mer selbst wie auch für die Arbeitgeber die Ganz im Gegenteil. Sie wissen sehr wohl, dischen Firma zu reifen. Nicht möglich? psychische Gesundheit eine immer größere dass unter Industrie 4.0 eine weitestgehend Doch! Dann ist es eine Ausnahme? Mag Rolle. Derzeit geht man davon aus, dass selbstorganisierte Produktion möglich wer- sein. Jedenfalls legt die HTI Hortmann KG rund 13 Prozent aller Arbeitsunfähigkeits- den soll, dass Menschen, Maschinen, Lo- ab Seite 32 ein gutes Beispiel dafür ab, wie tage auf psychische Erkrankungen zurück- gistik, Produkte unmittelbar miteinander sich Mitarbeiter innerhalb eines Unterneh- zuführen sind. Die Folgen sind immens: sehr kommunizieren und kooperieren werden. mens verantwortliche Positionen erarbeiten lange Krankschreibungen, Unternehmen ver- Und sie sind sich bewusst, dass sie diese können. lieren vorzeitig Mitarbeiter. Mit welchen Entwicklung nicht verschlafen dürfen. Zahl- Maßnahmen man frühzeitig gegensteuern reiche Unternehmer können schlicht mit Ebenfalls eine Bilderbuchentwicklung legte kann, erfahren Sie ab Seite 50. dem zugegebenermaßen inzwischen über- die Tecnorm GmbH & Co. KG hin. Der Spe- strapazierten Oberbegriff „Industrie 4.0“ zialist für Norm-, Präzisions- und Zeich- Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen nichts oder nur wenig anfangen. Denn für nungsteile wurde erst 2006 als H&T-Norm jeden Unternehmer und jedes Unterneh- gegründet, übernahm 2008 die Firma Tec- Ihre Redaktion men hat er eine andere Bedeutung. Welche norm aus dem Raum Plettenberg und stößt REPORT In dieser Ausgabe Juni 2017 Titelgeschichte ab Seite 2 „Speerspitze des Nachrichten für die Praxis 56 deutschen Mittelstandes“ 30 Industrie 4.0 – Auszeichnungen, Jubiläen Die Digitalisierung als Chance HTI Hortmann: Generation Zukunft 32 und Geburtstage 59 Schlemmen an historischem Ort 36 Bücher 59 Aktuell ab Seite 12 P&B: Einsparfaktor „Müll“ 46 Konjunkturklima so gut wie Börsen ab Seite 60 lange nicht mehr 14 Tecnorm – Alles aus einer Hand 48 Recyclingbörse 60 Wirtschaft will Siegerland-Flughafen Psychische Gesundheit: Unternehmensnachfolgebörse 60 unterstützen 18 Betriebliche Herausforderung steigt 50 Handels- und Kongress für Marketing und IT 2017 22 Existenzgründung: Genossenschaftsregister 61 Mit Beteiligungskapital zum Erfolg 52 IHKs und DGB gründen erstes Kultur 70 regionales Bündnis 27 Innovationsstrategie 54 Kommentiert – Notiert 72 Berichte ab Seite 30 Wirtschaft in der Region 40 Impressum 72 REPORT 6/17 1
Maschinen denken mit und kommunizieren miteinander, Fertigungs- und IT-Technik verschmelzen, und der Laptop gibt Bescheid, welches Ersatzteil an der Maschine bestellt wird, damit die Produktion nicht gefährdet ist. Was sich für manchen eher noch nach „Betrieb der Zukunft“ anhört, ist mehr als Science-Fiction: In vielen Unter- nehmen in Siegen-Wittgenstein und im Sauerland ist die moderne Technologie, die unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ verstanden wird und reale Betriebsobjekte mit virtuellen Datenwelten vernetzt, längst Standard. Denn nach Mechanisierung, Massen- produktion und Automatisierung bietet die Digitalisierung neben der Herausforderung vor allem eines: neue Möglichkeiten.
Z u den Vorreiterunternehmen in Sachen Industrie 4.0 zählt die Invers GmbH in Netphen. Umso überraschender ist es, wenn neue Informations-Techniken entwickelt worden – auch im Bereich Kommunikation und Funk-Kommunikation –, dass man solche halten konnte, damit man keinen Schlüssel mehr brauchte, um die Tür zu öffnen, war das der neueste Schrei.“ man Gründer Uwe Latsch fragt, was er un- Daten heute für wenig Geld austauschen ter dem Begriff versteht: „Konkret könnte könne. Weil die Funktechnik heute immer Dass die Invers GmbH überhaupt im Jahr ich gar nicht sagen, was Industrie 4.0 be- stromsparender, immer leistungsfähiger, im- 1996 von ihm gegründet wurde, geht ge- deutet“, gibt er zu. „Für mer zuverlässiger wer- nau darauf zurück, dass er selbst kein eige- mich ist das ein Mar- de, könne man darüber nes Auto hatte und als wissenschaftlicher keting-Schlagwort oder „Der neueste nachdenken, dass Ma- Mitarbeiter immer mit dem Fahrrad zur Uni eine von der Politik Schrei“ schinen miteinander ar- nach Siegen fuhr. „Irgendwann kamen wir kreierte Bezeichnung.“ beiten und kommunizie- auf die Idee, ein Auto mit ein paar Leuten Dabei handele es sich seiner Ansicht nach ren, die bislang nicht miteinander vernetzt zu teilen. Und weil wir als Techniker das bei dem, was man unter Industrie 4.0 ver- waren. Auch Invers selbst profitiere letzt- Teilen korrekt abrechnen wollten, haben stehe, noch nicht einmal um eine „industri- endlich mit seiner Technik für Carsharing – wir zuerst einen Bordcomputer entwickelt elle Revolution“. „Für mich ist alles, was in also fürs „Autoteilen“ – von dieser Weiter- und dann die entsprechende Software“, er- nächster Zukunft in diesem Bereich pas- entwicklung. „Viele Dinge sind heute viel zählt er und gibt lachend zu: „Wahrschein- siert, eher eine Evolution, eine ganz nor- einfacher als vor 20 Jahren. Und die End- lich wäre es einfacher gewesen, sich ein male Weiterentwicklung“, sagt der Ge- kunden, die unser System benutzen, bekom- Auto zu kaufen!“ Denn ein wirkliches Inter- schäftsführer. Die Invers GmbH in Netphen men natürlich einen viel besseren Service net habe es damals noch nicht gegeben, erst ist Marktführer in Sachen Carsharing-Tech- als damals.“ Heute können Menschen, die recht kein Smartphone. „Trotzdem konnte nologie, also für die gemeinschaftliche Nut- kein eigenes Auto haben und Kunde bei ei- man zu der Zeit Daten zwischen Auto und zung von Autos. Heute sind mehr als 55.000 nem Carsharing-Anbieter sind, auf einer Computer übertragen – das haben wir ge- Fahrzeuge in über 20 Ländern mit der Tech- Karte auf ihrem Smartphone sehen, wo das macht“, schildert er. Mit Erfolg: Dank per- nologie aus dem Siegerland unterwegs. nächste freie Auto steht und es mit ihrem manenter Innovation hat sich Invers mitt- Smartphone sofort öffnen und losfahren. lerweile zum weltweiten Marktführer für Schon vor 20 Jahren hätte man seiner An- „Das war früher undenkbar“, erinnert sich Carsharing-Technologie entwickelt. Heute sicht nach jede Maschine miteinander ver- der Elektroingenieur. „Da sind wir in eine werden mit der Technologie aus Netphen netzen können. „Es wäre halt nur viel zu Telefonzelle gegangen, haben ein Callcen- nicht nur zahlreiche Carsharing-Flotten kompliziert und zu teuer gewesen – deswe- ter angerufen und gefragt, wo steht ein Au- betrieben, sondern auch Fuhrparks von Un- gen hat es keiner gemacht“, sagt Latsch. In to. Und als es dann kontaktlose Chipkarten ternehmen und öffentlichen Einrichtun- den letzten Jahren seien jedoch so viele gab, die man an die Windschutzscheibe gen. » Für Geschäftsführer Uwe Latsch ist die Digitalisierung in den Betrieben eine Evolution statt einer Revolution. „In 20 Jahren wird es wieder neue Dinge geben, die wir uns heute nicht vorstellen können.“ 4 REPORT 6/17
Rupprecht Kemper ist überzeugt, dass die industrielle Entwicklung für sein Unternehmen eindeutig „Teil der Zukunft“ ist. « Als Beispiel nennt er die neue Fabrik mit vollautomatischem Lager- und Montage- system, das komplett datengesteuert ist. Die Technologie, die aus Software und In- Prozesse zu optimieren und konkurrenz- Für Rupprecht Kemper, Geschäftsführer des Car-Technologie besteht, wird in Deutsch- fähig zu bleiben. Und wenn man feststellt, weltweit tätigen Familienunternehmens land entwickelt und produziert. Darüber es lohnt sich, Maschine und Teile miteinan- Gebrüder Kemper GmbH & Co. KG aus Olpe, hinaus ist das Unternehmen inzwischen mit der zu vernetzen, werden sie es sicherlich stellt sich die Frage nach der Bedeutung einem Standort in Vancouver international auch tun – ohne dass sie es gleich ‚Industrie von „Industrie 4.0“ gar nicht erst. „Es ist ei- vertreten und beschäftigt mehr als 80 Mit- 4.0‘ nennen.“ Seine Bi- ne ganz große Chance“, arbeiter. Nicht nur die Erwartungen und Ansprüche der Kunden, auch die Komple- lanz – ganz gleich, wie auch immer man diese „Ein Teil sagt er. Eine mögliche Gefahr könne er ledig- xität vor allem der Software sei dabei ge- aktuelle Evolution oder unserer Zukunft“ lich im Bereich Daten- stiegen. „Natürlich ist es heute leichter als Revolution auch be- sicherheit sehen. Doch noch vor 20 Jahren, eine solche Technologie zeichnet: „Auch in 20 Jahren wird es wieder auch dieser Aspekt ließe sich in einem Ge- auf Basis der bestehenden Standardisie- neue Dinge geben, die wir uns heute nicht samtkonzept entsprechend berücksichtigen. rung zu entwickeln“, gibt Latsch zu. „Aber vorstellen können. Ich denke, Fortschritt ist Nur der Begriff „Industrie 4.0“ gefalle ihm letztendlich ist es immer noch so, dass man, auf keinen Fall schädlich. Er bedeutet dabei „überhaupt nicht“: „Die Bezeichnung ‚digi- wenn man mit diesen modernen Techniken immer wieder neue Herausforderungen – tale Wertschöpfung‘ oder ‚Digital Enginee- arbeitet, sehr viele Spezialisten braucht, die aber auch Chancen.“ ring‘ ist viel zutreffender“, meint der IHK- diese überhaupt beherrschen. Es ist nicht damit getan, dass man ein billiges Funkmo- dul kauft – und dann funktioniert das! Es gehört ein ganzes System dazu. Wenn man sich überlegt, dass wir vor 20 Jahren einen Programmierer hatten und jetzt 50 haben, dann fragt man sich doch: Wenn alles so einfach geworden ist, warum braucht man dann so viele Leute?“ Deshalb hätten es sicherlich andere Branchen schwerer, „bei einem solchen Fortschritt mitzuhalten“, weil sie natürlich nicht die Spezialisten im Haus hätten, die überblicken könnten, was sinn- voll für ihr Geschäftsmodell sei. „Die, die jetzt klassisch im Siegerland in der Stahl- industrie tätig sind, müssen sich dazu Spe- zialisten heranholen“, ist Uwe Latsch über- zeugt. Doch auf jeden Fall biete eine solche Ent- wicklung Chancen. „Schon jetzt arbeitet doch jeder Unternehmer, der eine Gießerei oder eine Stahlverarbeitung hat, ständig daran, REPORT 6/17 5
Vizepräsident. „Es geht nur darum, dass Da- beschreibt Kemper, „bei dem die Mitarbei- Angst herrscht, man könnte seinen Arbeits- tentechnologie mit in die Produktionspro- ter detailliert auf dem Bildschirm verfolgen platz verlieren, haben wir nicht feststellen zesse eingebunden wird. Dabei handelt es können, wo sich welches Produkt, welche können“, berichtet der Geschäftsführer. sich um eine ganz normale technische Wei- Kiste, welches Teil gerade befindet.“ Für Gleichwohl räumt er ein, dass das Unterneh- terentwicklung der Datentechnik und Ro- diese komplett vernetz- men durch die techni- botertechnik der 90er Jahre – und keines- falls um eine große technische Revolution, te Fertigung habe Kem- per entsprechende Lie- Agieren sche Weiterentwicklung auch Rationalisierungs- wie es heute dargestellt wird.“ feranten gehabt und die statt reagieren effekte erzielen konnte. Mitarbeiter auf dem „Aber dadurch wurde Für sein Unternehmen, das sich in die drei System, das sie inzwischen mühelos beherr- kein einziger Mitarbeiter entlassen“, betont Geschäftsbereiche Gebäudetechnik, Guss- schen, entsprechend schulen lassen. Angst Rupprecht Kemper. „Sie sind lediglich an und Walzprodukte gliedert, sei diese indus- vor der neuen Technik, vor neuen Aufgaben anderen Stellen im Betrieb eingesetzt wor- trielle Entwicklung eindeutig „Teil unserer oder vielleicht sogar vor einem Stellenab- den.“ Zukunft“. Das beste Beispiel dafür stelle die bau durch die Digitalisierung hätten die neue Fabrik dar, die im April des vergange- Kollegen nicht gehabt. „Sie haben die Schu- Derzeit beschäftigt das Unternehmen 785 nen Jahres in Betrieb genommen wurde. lungen sehr offen aufgenommen und ge- Mitarbeiter in Olpe, weltweit sind es 890. „Ein vollautomatisches Lager- und Monta- sagt, das müsse sein, weil es technischer Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, gesystem, das komplett datengesteuert ist“, Fortschritt sei. Dass da irgendwo eine große sei es wichtig, mit der technologischen Ent- Prorektor Prof. Dr.-Ing. Peter Haring Bolívar „Digitalisierung ist kein Selbstzweck“ Der Elektrotechnikingenieur Prof. Dr.-Ing. vernachlässigt worden ist. Wenn man Poli- Peter Haring Bolívar ist an der Universität tik mobilisieren möchte, hat der Begriff Siegen am Lehrstuhl Höchstfrequenztechnik „Revolution“ natürlich eine höhere Bedeu- und Quantenelektronik tätig und Prorektor tung, ist publikumswirksamer und deshalb für Forschung und wissenschaftlichen Nach- nützlicher. Aber letztendlich ist es ein gra- wuchs. Der WIRTSCHAFTSREPORT sprach mit dueller Prozess, den jeder, jedes Unterneh- ihm darüber, welche Chancen und Risiken men für sich selbst übersetzen und sich fra- die Digitalisierung bietet – und was dies für gen muss: Was bedeutet es für mich und ab die Unternehmen in der Region bedeutet. wann ist es eine Chance, ab wann verän- dern sich die Produkte, die ich entwickle. Ist diese „vierte industrielle Revolution“ Ob so etwas erfolgreich umgesetzt wird, wirklich so revolutionär? hängt aber nicht nur davon ab, wie weit die Nun ja, eigentlich ist das nichts Neues. Im Produktion automatisierbar ist. Auch die Kontext der Automatisierung findet so et- menschliche Komponente spielt eine Rolle. was schon seit Langem statt. Aber weil die Das heißt: Wie weit kommt die Arbeitneh- Medien immer verfügbarer, kostengünsti- merschaft mit, um den Prozess effektiv mit- ger und leistungsfähiger werden, und sich zugestalten? Es geht nicht nur um den Kauf der Einsatz zunehmend auch in weiteren von Anlagen und die Verknüpfung von Da- Bereichen der Produktion weiter lohnen ten, sondern auch um die Nutzbarmachung, wird, schreitet diese Entwicklung natürlich um die Möglichkeit, die Mitarbeiter mitein- ist der Prozess nicht so leicht automatisier- voran. zubeziehen. Letztendlich wollen doch alle die bar. Die großen Anlagenhersteller müssen Fachkräfte, die in unserer Region begrenzt sich natürlich Gedanken machen, wie sie Dann wäre es also eher eine Evolution den Wunsch nach einer viel besseren Über- statt eine Revolution, was da gerade pas- vorhanden sind, effektiver nutzen können. wachung, Datenversorgung und Austausch siert? In welchem Stadium befinden sich denn von Produktionsdaten in ihre Anlagen inte- Ja! Das mag eine unpopuläre Meinung sein, die Unternehmen in der Region auf diesem grieren können. Denn der Kunde wird das aber es ist tatsächlich eine Evolution. Au- Weg? wollen. Deshalb stellen sich hier andere tomatisierung machen wir seit 30 Jahren. Viele sind schon ganz enorm weit. Gerade Fragen als für die Massenteileproduzenten. Sie ist jetzt eben plötzlich nur sehr kosten- die Branchen, die Massenteilefertigung an- Immer geht es jedoch darum: Was kann ich günstig geworden, und deshalb ist es jetzt bieten, der klassische Automobilzulieferer. an neuen Produkten ermöglichen und wie denkbar, die Automatisierung in vielen wei- Die Attendorner können ihre komplette Pro- kann ich sie leistungsfähiger machen? Man teren Bereichen von produzierenden Unter- duktion weltweit im Halbstunden-Takt ak- muss die Zeit nutzen und sollte sie sich nehmen zu implementieren. Wobei man tualisieren, das ist jetzt schon möglich! Bei nehmen, ohne in Panik zu verfallen. Aber auch sagen muss, dass die Investitionen in Unternehmen allerdings, die Einzelprodukte verschlafen sollte es keiner. Notfalls sollte Informationstechnologie in Europa sträflich herstellen, wo nichts von der Stange kommt, man externe Beratung in Anspruch nehmen. 6 REPORT 6/17
» Die Geschäftsführer der Tracto-Technik Wolfgang Schmidt (Inhaber), Timotheus Hofmeister (CEO), Meinolf Rameil (CTO) und Uwe Prinz (CMO) in der neuen Grundomat-Montage, deren Herzstück ein automatisches System zur Montage der Erdraketen ist. wicklung Schritt zu halten. „Sonst wird man ist dabei der zentrale Faktor der Wachs- Dienstleistungen als auch Produktion und abgehängt“, warnt Kemper. Bundesweit je- tumsstrategie: „Die Digitalisierung ist ein Logistik. Die Auswirkungen seien bereits doch, so habe er kürzlich bei einer Umfrage Schlüsselbaustein, mit dem wir Tracto-Tech- jetzt in allen Unternehmensbereichen er- gelesen, beschäftigten nik fit für die Zukunft kennbar. „Unter dem Begriff ‚Werkstruktur- sich nur 30 bis 40 Pro- Digitalisierung machen. Sie ermöglicht planung‘ erfolgte bei uns die Neuorganisa- zent der Unternehmen uns, unseren Kunden tion von interner Struktur, Abläufen und mit der Digitalisierung als Schlüssel noch innovativere Pro- Herstellungsprozessen, um sie noch pro- in den Betrieben. Rup- dukte und herausragen- duktiver und effizienter zu machen“, er- precht Kemper ist überzeugt, dass man im dere Dienstleistungen anzubieten“, erklärt läutert Schmidt. „Dazu wird die Montage südwestfälischen Raum jedoch „ganz gut Inhaber Wolfgang Schmidt. Die Digitalisie- aller grabenloser Systeme, die bisher in ver- aufgestellt“ sei. „Das mag man in anderen rung betrifft dabei sowohl Produkte und schiedenen Werken erfolgt, bis Ende 2017 Regionen anders sehen, doch hier bei uns, wo doch sehr viel Innovationskraft in den Unternehmen steckt, setzt man sich sehr intensiv mit diesem Thema auseinander, dass man datentechnische Vernetzung auch an- wendet, wo es Sinn macht.“ Etwas anderes bliebe den Unternehmen auch eigentlich gar nicht übrig, um langfristig am Markt bestehen zu können: „Wenn man Innova- tionen nicht mitmacht, werden sie irgend- wann von außen aufdiktiert. Dann muss man reagieren. Und das wollen wir nicht! Wir wollen lieber agieren!“ Auch für den Spezialmaschinenhersteller Tracto-Technik GmbH & Co. KG aus Lenne- stadt ist die Digitalisierung ein großer und bereits realer Themenkomplex, der unter dem Begriff „Fit4Future“ vorangetrieben wird. Gezielte Strategien sollen das Unternehmen im Rahmen der Industrie 4.0 für die Zukunft rüsten – die größtmögliche Digitalisierung REPORT 6/17 7
» Die Digitalisierung hat in den Betrieben schon längst Einzug gehalten, ist sich Sabine Bechheim von der IHK sicher. Dort werden Unternehmen mit Informations- veranstaltungen, Ideen zur Qualifizierung von Mitarbeitern und Informationen zur IT-Sicherheit unterstützt. am Standort in Lennestadt-Saalhausen zu- Tracto-Technik bereits heute alle relevan- zung aller Komponenten über Cloud-Ser- sammengelegt und um ein neues, hochmo- ten Medien über eine zentrale Plattform di- vices. dernes Logistikzentrum ergänzt. Zur Förde- gital zur Verfügung. „Zudem wird ein elek- Auch Sabine Bechheim, Leiterin des Referats rung der Innovationskraft wird parallel für tronischer Produktkonfigurator bald dafür Gründung, Finanzierung und Branchenini- die Bereiche Konstruktion sowie Forschung sorgen, dass die Kunden passgenaue Ange- tiativen bei der IHK Siegen, ist überzeugt, und Entwicklung ein neues Technologie- bote in verschiedenen Sprachen blitzschnell dass der Prozess der Digitalisierung in der zentrum als zukünftige Innovationszentrale auf Knopfdruck erhalten“, sagt Wolfgang südwestfälischen Industrie „natürlich längst am Standort in Lennestadt-Langenei ge- Schmidt. Weitere Bausteine der digitalen in den Unternehmen angekommen“ sei. baut.“ Vertriebsstrategie sind Finanzierungsmög- Denn die Bedeutung digital gesteuerter Fer- Bereits im Frühjahr 2014 wurde mit der lichkeiten, Servicepakete und neue Abrech- tigung, digitaler Serviceleistungen oder di- Umsetzung der Zukunftsvision begonnen. nungsmodelle wie beispielsweise „Pay-Per- gital aufgewerteter Produkte sei für die gut Hier spiele die Digitalisierung in zweierlei Use“. aufgestellten Industrieunternehmen in der Hinsicht eine zentrale Rolle, so der Ge- Nicht nur der Herstellungsprozess der gra- Region offensichtlich. „Und doch muss da schäftsführer. „Sie führt einerseits dazu, benlosen Systeme der Tracto-Technik wird jedes Unternehmen seinen eigenen Weg ge- dass der Kunde aufgrund der vielseitigen durch digitale Prozesse optimiert, auch hen, ein Patentrezept gibt es nicht“, meint Informationsmöglichkeiten eine besonders die Maschinen selbst – sie werden durch Bechheim. Durch die Vernetzung bekämen hohe Erwartungshaltung an Produkte und die Digitalisierung benutzerfreundlicher. Prozesse und Produkte eine neue Qualität. Dienstleistungen hat, „Funktionen wie Fern- Auch die Kundenbeziehungen änderten sich. andererseits ist sie der Transparenz wartung und Bohrda- Das nötige IT- und Kommunikations-Know- Schlüsselfaktor um die- tenprotokollierung ge- how dazu müsse ihrer Ansicht nach natür- se Anforderungen der und Effektivität hören bereits heute zum lich vorhanden sein – oder eingekauft wer- Kunden weltweit so um- Standard, die Bohran- den. „Dabei sollten Betriebe jedoch auch auf fassend wie möglich erfüllen zu können.“ lagen der Zukunft werden jedoch noch smar- die eigene Kompetenz im Kerngeschäft ver- Um dem Kunden die beste Gesamtlösung ter und vollautomatisch“, führt Schmidt trauen“, rät die Referatsleiterin. Von der IHK für die entspreche Aufgabe zu bieten, wür- weiter aus. Stichworte sind hier autonomes Siegen gibt es auf diesem Weg übrigens Hil- den alle internen und externen vertriebli- Fahren per GPS, Erfassung aller Umge- fe: Sie unterstützt die Unternehmen zum Bei- chen Prozesse transparenter, effektiver und bungsdaten mittels Sensortechnik zur selbst- spiel mit Informationsveranstaltungen, Ideen schneller gemacht. So stünden Vertrieb, ständigen Anpassung des Bohrvorgangs an zur Qualifizierung von Mitarbeitern und In- Händlern und Schwestergesellschaften der die jeweiligen Bedingungen und Vernet- formationen zur IT-Sicherheit. ksp/ck 8 REPORT 6/17
Aus der Sicht eines Dienstleisters: Patrick Schulte, Geschäftsführer „billiton internet services GmbH“ Siegen Das, was unter „Industrie 4.0“ verstanden ginale Kosten sind.“ Auch in Siegen-Witt- wird, ist für die billiton internet services genstein und im Sauerland werde seiner GmbH in Siegen alles andere als neu. „Was Ansicht nach „Industrie 4.0“ positiv einge- wir machen, ist seit jeher mehr als eine stuft. „Ich beobachte, dass sich viele Unter- reine inhaltslastige Internetseite gewe- nehmen darüber Gedanken machen, es als sen“, so Geschäftsführer Patrick Schulte. wichtiges Thema betrachten und als Chan- „Es war immer schon eine Funktion und ce sehen. Viele Mittelständler erkennen, Anbindung von Drittsystemen.“ Das fängt dass dieser kreative Prozess eine Sache an mit einem Online-Shop oder einem einen ganzen Schritt weiterbringen kann.“ Produktions-Steuerungssystem und geht In vielen Bereichen werde damit bereits ex- bis dahin, dass die Experten der Agentur perimentiert, auf ganz unterschiedliche tatsächlich Hardware für die Steuerung Weise. „Einige haben eigene Abteilungen, und Prüfung vor Ort beim Endkunden ent- um etwas auszuprobieren und Erfahrungen wickeln. „Das können Pumpensteuerun- zu sammeln, andere gehen mit Externen an gen sein, Ventilsteuerungen oder was das Thema heran oder suchen die Koopera- auch immer“, erläutert der Geschäftsfüh- tion mit der Universität.“ rer. „Man kann alles messen, überall gibt es Möglichkeiten. Und wenn nicht, kann Auch billiton selbst profitiere von Industrie man die schaffen.“ Das alles in einen Pro- 4.0: „Das Interesse an komplexeren digita- zess zu gießen, verlange jedoch vielfältige len Anwendungen ist größer geworden“, so Kenntnisse. „Meistens haben die Kunden Schulte. „Das ist exakt das, was wir immer nur eine grobe Idee. Sie haben zwar ein schon gemacht haben. Insofern ist diese Art Brainstorming-Modus mit uns gehen, Wissen darüber, was sie sehr gut können, Entwicklung natürlich sehr positiv für uns.“ dass sie einmal sagen: ‚Wir sprechen eini- aber sie wissen natürlich nicht, wie sie Doch gerade weil es sich immer um ein sehr ge Stunden über die Möglichkeiten und das Ganze stärker digitalisieren können.“ komplexes Thema handle, wenn es darum überlegen dann, was man daraus machen Doch gerade darum gehe es: Innovation gehe, neue Anwendungsmöglichkeiten in kann, bevor es intern zu lange zu dem zu betreiben, um dem Kunden zusätzli- Betrieben zu schaffen, setze dies ein be- Man-müsste-mal kommt.‘“ Auf der ande- chen Service oder Vorteile gegenüber dem sonderes Verhältnis zum Kunden voraus: „Er ren Seite glaubt der Informatiker nicht, Mitbewerber zu bieten. Das Internet brin- muss sich mit uns auf einen langen Weg dass die Unternehmen nun schon unter ge dabei vollkommen neue Anwendungs- begeben, auf dem man sich partnerschaft- einem besonderen zeitlichen Druck stün- möglichkeiten für Webtechnologie mit lich verhält. Dazu gehört auch Vertrauen“, den. „Man sollte nicht denken, dass man sich. Das Spektrum reiche von Produk- erklärt der Geschäftsführer. Auch wenn nicht mehr zu lange warten darf. Es ist tions- und Verbrauchsstatistiken bis hin zu die Siegerländer Neuem gegenüber auf- nicht so, dass der Zug schon bald ab- Fernkonfiguration und Fernüberwachung geschlossener seien als man vermute, hat gefahren ist. Aber je früher man sich mit von Geräten. Doch um diese Möglichkei- der billiton-Chef für die Zukunft einen dem Thema beschäftigt, umso besser natür- ten zu nutzen, ist ein kreativer Prozess Wunsch: „Dass die Kunden auch in eine lich.“ erforderlich. „Es ist ja nicht so, dass ein Kunde sagt: ‚Wir wollen telefonieren, ich brauche einen Telefonanschluss‘“, erläu- tert Schulte. Eher gehe es darum, gemein- sam Ideen zu entwickeln, die realisierbar sind und das Produkt im Markt einzigartig machen – durch den Mehrwert, der mit- hilfe zusätzlicher Services für den Anwen- der geschaffen wird. Die Technik selbst sei in einem Unterneh- men für das Management eher unwichtig. „Die muss eh funktionieren“, weiß der Ex- perte. „Aber wenn ein Hersteller noch tolle Analysen macht und Daten verknüpft, kann das vielleicht der Grund sein, warum diese Firma den Auftrag erhält. Und dabei handelt es sich nur um eine Software- Komponente, die ich oben draufsetze – was im Vergleich zu den Maschinen mar- REPORT 6/17 9
Aus der Sicht eines Dienstleisters: Ulf Lück, Geschäftsführer „Conception GmbH“ Siegen dungen wie Webs, Apps & Software, die tige Start-ups, die unabhängig und ohne durch die zahlreichen Endgeräte und die kurzfristigen Umsatzdruck arbeiten“, er- immer besser werdende Internet-Verfüg- klärt Lück. Conception habe zum Beispiel barkeit ermöglicht werden.“ vor über zwei Jahren die conception lab GmbH gegründet und konnte so neue Ar- Bei Conception spielt Digitalisierung eine beitsmethoden lernen, eigene Produkte doppelte Rolle: Einerseits berät das Unter- entwickeln und neue Märkte erschließen. nehmen andere Betriebe bei ihren Digita- lisierungsvorhaben – zum Beispiel bei der Als problematisch erachtet Lück allerdings Entwicklung von smarten Produkten und die Reduzierung der Digitalisierung auf digitalen Services – und setzt diese dann um. Industrie 4.0. „Das ist mir zu kurz gedacht, Andererseits nutzt Conception die Digitali- da hier vor allem Kosteneinsparung und sierung dazu, das eigene Geschäftsmodell Rationalisierung angestrebt werden.“ Der weiterzuentwickeln – zum Beispiel mit eige- größte Nutzen von Industrie 4.0, nämlich nen Software-Produkten wie dem Schu- das Verwerten von durch die Vernetzung lungssystem MYNDCORE. gewonnenen Daten von Maschinen, Pro- dukten und Nutzern (Kunden) werde bei Digitalisierung ist für Ulf Lück aber auch vielen Unternehmen noch nicht erreicht. eine strategische Herausforderung, bei der „Probleme sehe ich in einigen Bereichen: die zentrale Frage lautet: Wie kann ein Un- Fehlende Strukturen, um ‚digital innova- ternehmen mit Hilfe digitaler Technologien tiv‘ zu werden, das ‚Wie-fangen-wir-an- zukunftssicher gemacht werden, in dem es Problem‘ oder fehlendes Personal bezie- zum Beispiel neue digitale Geschäftsideen, hungsweise fehlende Partner, um nur smarte Produkte oder nutzbringende digi- einige zu nennen. Wir beobachten aber tale Services für seine Kunden entwickelt? zunehmend die intensive Absicht vieler „Unter anderem mit dieser Frage beschäf- Unternehmen, sich dem Thema Digitali- tigen wir uns im Auftrag unserer Kunden. sierung zu widmen und das in allen drei Digitalisierung bietet enorme Chancen für oben genannten Bereichen.“ Um im inter- Change-Management, Innovationen und nationalen Umfeld Erfolg zu haben, reich- neue Wertschöpfungsmöglichkeiten und ten „German Engineering“ und ein Top-Pro- eben nicht nur für Kosteneinsparung. Unter- dukt allein nicht mehr aus. Unternehmen nehmen müssen ohnehin permanent über- müssten ihren Kunden vom Produkt über legen, womit sie in fünf oder zehn Jahren nutzbringende Services bis hin zur Ver- Für Ulf Lück, den Geschäftsführer der Con- Geld verdienen – und warum sollten digi- marktung herausragende Erlebnisse bie- ception GmbH in Siegen, besteht Digitali- tale Ideen und Modelle nicht dabei hel- ten. „Und da bietet Digitalisierung beinahe sierung aus drei Säulen: erstens aus neuen fen?“, führt der Geschäftsführer an. Um unendliche Möglichkeiten“, ist sich Lück Formen der Zusammenarbeit in Unterneh- solche neuen Geschäfts-, Produkt- oder sicher. men (digitale Arbeitswelten), zweitens aus Service-Ideen zu generieren, müssten Vernetzung und fortschreitender Automa- Unternehmen allerdings Freiräume tisierung von Produktionsabläufen (Indus- schaffen, die nicht durch das Ta- trie 4.0) und drittens aus der Entwicklung gesgeschäft eingeschränkt wer- neuer Geschäftsideen, Produkte und Ser- den. Letztlich sind dafür Maßnah- vices. „Digitalisierung ist ja eigentlich kein men notwendig, bei denen unter neues Phänomen, wenn man zum Beispiel Umständen zu Beginn noch kein an die E-Mail- oder Informations-Techno- Return on Investment absehbar ist. logie im Allgemeinen denkt, die es seit „Das ist für viele Unternehmen Jahrzehnten gibt und im Endeffekt analo- natürlich erst mal ein Problem. Die ge Prozesse abgelöst hat“, erläutert Lück. meisten tun sich aufgrund beste- „Auch im Produktionsumfeld gibt es schon hender Strukturen, Abläufe und lange digitale Anwendungen wie Robotik, Mitarbeiter schwer mit diesem Sensorik und Automatisierung. Neu sind ‚freien Denken‘. Deshalb ent- die Möglichkeiten, Produktions- und Nut- stehen bei einigen Firmen zer-Daten zu generieren, diese auszuwer- neue Positionen wie zum ten und daraus automatisierte, gewinn- Beispiel der ‚Chief Digital bringende Maßnahmen abzuleiten. Und Officer (CDO)‘, neue Abtei- relativ neu sind auch die vielen Anwen- lungen oder sogar rich- 10
Wir fördern das Gute in NRW. Sabine Baumann-Duvenbeck und ihr Kraftpaket – unterstützt durch die Fördermittel der NRW.BANK. Die Stärke mittelständischer Unternehmen ist ein wichtiger Motor der Wirtschaft in unserer Region. Eine Eigenschaft, die es wert ist, gefördert zu werden. Z.B. durch den NRW.BANK.Effizienzkredit: Zinsgünstige Darlehen von 25.000 bis 5 Millionen Euro für Modernisierungen, die Ihre Anlagen zukunftsfähig machen. Sprechen Sie mit uns über Ihre unternehmerischen Ziele. www.nrwbank.de/staerke
Aktuell ZDW neu aufgestellt Potenziale der Digitalisierung in Südwestfalen erschließen Im September 2016 wurde das Zentrum für Wirrwarrs und der Komplexität in den digi- die Digitalisierung der Wirtschaft Südwest- talen Kanälen um, sie müssen die „Custo- falen e. V. (ZDW) als Verein gegründet und mer Journey“ nachvollziehen. So bieten die so auf neue Füße gestellt. Im Verwaltungs- digitalen Kanäle enorme Möglichkeiten, rat ist die Universität Siegen mit Prof. An- den Kunden zielgenau zu adressieren und dreas Dutzi und Prof. Ralph Dreher ebenso mehr über sein Verhalten zu erfahren – digi- vertreten wie die regionale Wirtschaft mit tal wie analog. Um die tatsächliche Kennt- Harald Peter (Sparkasse Siegen), Cornelie nis der „Customer Journey“ steht es bei- Rothmaler-Schön (Vorländer GmbH & Co. spielsweise in Kliniken eher schlecht. KG) und Konstantin Slawinski (Slawinski & Co. GmbH). Der Vorstand besteht aus Daniel Was ist für die erfolgreiche Umsetzung Schnitzler (Siegener Mittelstandsinstitut der einer digitalen Agenda wichtig? Universität Siegen) und Dr. Christian Stof- Das liegt meiner Meinung nach auf der Hand. fers (St. Marienkrankenhaus Siegen). Mit Die interne Kultur ist wesentlich, wenn es ihm sprach der WIRTSCHAFTSREPORT über gilt, die digitalen Herausforderungen zu meis- die Ziele und Möglichkeiten, die das ZDW tern. Sperrige Prozesse und ausgeprägtes für die regionale Wirtschaft bietet. Hierarchiedenken bremsen die Entscheider wesentlich auf ihrem Weg der digitalen Nutzen Unternehmen die Chancen der Transformation hin zu Industrie 4.0 aus. Digitalisierung? Das Thema Digitalisierung sollte für Ent- An wen könnten sich die Entscheider in scheider höchste Priorität genießen. Gele- den Unternehmen orientieren? Das ist schwierig. Den Kundenerwartungen gentlich werden die Potenziale übersehen, und der Kultur des „Jetzt und Sofort“ ge- Es ist schwer, den eigenen Status der Digita- die mit dem Thema verbunden sind. Dabei recht zu werden, stellt das Unternehmen lisierung einzuschätzen. Bei einem Vergleich ist die digitale Transformation kein Science- vor enorme Herausforderungen. Das fängt mit den digitalen Protagonisten sehen sich Fiction, vielmehr liegen die meisten Tech- schon bei der Online-Bestellung an und die meisten als Verlierer; im eigenen „Saft“, nologien schon vor und müssen lediglich geht weiter bei der Prozessgestaltung in- also dem Vergleich mit anderen Unterneh- eingesetzt werden. nerhalb des Unternehmens und endet ganz men der gleichen Branche, wächst das sicher nicht bei der Überleitung in den Wie verhält es sich mit dem „Kundenver- Selbstbewusstsein. Doch bietet dies nur eine nachfolgenden Fertigungsbereich. Das ZDW ständnis“ in den Unternehmen? scheinbare Sicherheit, da ein Unternehmen plant für 2017 mehrere Veranstaltungen, so mit einem innovativen Geschäftsmodell Um die Chancen der Digitalisierung zu nut- zum Beispiel zu den Themen „Interne Logi- schnell den Markt aufrollen kann. zen, sind noch einige Herausforderungen stik“ und „Einkauf“. Hier können Unterneh- zu meistern. Zuvorderst treibt die Unter- Kann ein Unternehmen einen Rückstand men sich wichtige Hinweise für die Gestal- nehmen die Steuerung des vermeintlichen aufholen? tung im eigenen Betrieb holen. Technik, die bewegt. Erich Schäfer GmbH & Co. KG Förder- und Antriebstechnik seit 1950 Käner Straße 11 I 57074 Siegen I Germany Fon +49 (0)2737/ 501-0 I Fax +49 (0)2737/ 501-100 info@e-schaefer-kg.de I www.e-schaefer-kg.de 12 REPORT 6/17
Aktuell Kommentar Bitte keine Hängepartien! NRW hat gewählt. Ein monatelanger die Abgeordneten in den nächsten Jahren in in welcher Konstellati- Wahlkampf liegt hinter uns. Anke Fuchs- die Pflicht nehmen wird. Die Unternehmen on am Ende in Düssel- Dreisbach (CDU), Jens Kamieth (CDU), Jo- wollen eine berechenbare Schul- und Bil- dorf regiert wird. hannes Remmel (Grüne) und Jochen Ritter dungspolitik, vor allem mehr Dampf beim Alle gewählten Abge- (CDU) vertreten zukünftig die Interessen Ausbau der Infrastruktur und weniger Büro- ordneten sind daher der heimischen Region im Düsseldorfer kratie. Das jedenfalls ergab eine IHK-Um- aufgerufen, im Parla- Landtag. Siegen-Wittgenstein und Olpe frage im Vorfeld der Wahl, an der sich im ment noch stärker für die Interessen Süd- haben im neuen Landtag mit vier Abgeord- April über 350 Firmen beteiligten. Bei den westfalens zu streiten. Hier schlägt das in- neten einen Vertreter weniger als in der Flächen sollte sich mehr tun, vor allem bei dustrielle Herz Nordrhein-Westfalens. letzten Legislaturperiode. Unter den vier den Verkehrswegen und in der Breitband- Gerade deswegen hemmen die unbestreit- Abgeordneten befinden sich zwei, die erst- Infrastruktur. Schließlich ermöglichen neue baren Standortnachteile bei Straßen, mals das Düsseldorfer Parkett betreten. Technologien und online-basierte Netz- Flächen, Schwertransporten und Breit- Beide Faktoren dürften zumindest zu- werke erhebliche Effizienzsteigerungen in band die weitere wirtschaftliche Entwick- nächst das heimische Gewicht in der der Produktion, aber auch in der Logistik und lung. Die heimische Wirtschaft erwartet Landeshauptstadt reduzieren. Andererseits im Vertrieb. Je schneller die Unternehmen hier mehr Dynamik. Mehr konkret verbes- stehen nach wie vor drei Abgeordnete in die damit verbundenen Chancen nutzen, sernde Tat als nur rückwärtsgewandte Er- den Reihen einer Regierungsfraktion; und desto geringer ist die Gefahr, dass sie auf klärungen dessen, was alles nicht geht. zwar unabhängig davon, welche Koalition den Märkten abgehängt werden. Leider Das wird die wesentliche Aufgabe unserer am Ende das Land regiert – eine schwarz- fehlen in etlichen Industrie- und Gewer- Abgeordneten sein, die im Übrigen ebenso gelbe oder (trotz aller „Ausschließeritis“) begebieten nach wie vor leistungsfähige nachdrücklich dafür streiten sollten, dass eine große. Unklar erscheint derzeit, wie Breitbandanbindungen. Bei den Produkten es möglichst schnell eine handlungsfähige sich diese neue Konstellation für die regio- jedoch „Champions League“ und zugleich Landesregierung gibt. Hängepartien, die nal relevanten Projekte auswirkt. bei Flächen, Straßen und Breitband „Kreis- wegen der Pflege persönlicher Eitelkeiten Klar ist indessen, was sich aus Sicht der klasse“ – das wird auf Dauer nicht gehen. gespielt werden, helfen schließlich nie- Wirtschaft ändern sollte und wofür man Und zwar vollkommen unabhängig davon, mandem. Klaus Gräbener Qualität ist unsere Verpflichtung | Schnelligkeit unser Auftrag | Erfahrung unsere Stärke. Wenn das Ziel noch nicht zu sehen ist, wissen wir, wo es liegt. OTTO QUAST – Ihr Partner für wirtschaftliches Bauen. Ankommen. Fertigbau Lindenberg Ingenieurbau · Hochbau · Straßen- und Tiefbau · Bauwerterhaltung · Spezialtiefbau An der Autobahn 16–30 Fertigelemente aus Beton: Wände · Decken · Räume · Schlüsselfertiges Bauen für 57258 Freudenberg Telefon 02734 490-0 Handel, Industrie und Verwaltung Info unter: 0800 OTTO QUAST oder 0800 6886 78278 Telefax 02734 490-460 email fbl@quast.de www.quast.de
Aktuell IHK-Umfrage Konjunkturklima so gut wie lange nicht mehr tionistisch motivierte Aussagen untergra- ben“, schränkt IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener ein und empfiehlt bei aller Freude über die aktuelle Lage einen Tritt auf die Euphorie-Bremse. Momentan melden indessen knapp neun von zehn Industriebetrieben Produktionsaus- lastungen von über 70 Prozent. 56 Prozent können Spitzenauslastungen (über 85 Pro- zent) vorweisen. „Das sind schon stramme Werte. Die Auftragseingänge werden deut- lich positiver beurteilt als noch zu Jahres- anfang. Vom Export erhoffen sich die Firmen trotz bestehender Risiken weitere positive Impulse“, verdeutlicht Felix G. Hensel. Ge- rade der industrielle Auslandsumsatz hat im ersten Quartal des laufenden Jahres einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht. Bis Fast jedes zweite Unternehmen bezeichnet seine aktuelle Lage als gut. Der Blick in die zum Februar 2017 lag das regionale Aus- Zukunft ist verhalten optimistisch. landsplus bei 15,4 Prozent. Damit verbes- serte sich der gesamte Umsatz um 6,7 Pro- „Die Stimmung in der Wirtschaft hellte sich stigeren Entwicklung aus, nur 9 Prozent zent. Der Inlandsumsatz verzeichnet einen in den letzten Wochen merklich auf. Der seien skeptisch. Getragen wird die deutlich Zuwachs von 5,7 Prozent. Im Kreis Siegen- Konjunkturklimaindex stieg um weitere verbesserte Stimmung insbesondere durch Wittgenstein ist der Umsatz mit einem Plus acht Zähler auf 128 Punkte an. Dieses die Industrie und das Baugewerbe. Auch der von 14,2 Prozent spürbar angestiegen. Das Niveau erreichte er zuletzt im März 2007. Großhandel fühlt sich etwas besser als zu darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, Besonders die Lageeinschätzungen ent- Jahresbeginn. Im Einzelhandel und im Dienst- dass es nicht in allen Bereichen rund läuft. wickeln sich weiter positiv. Fast jedes leistungsgewerbe ist demgegenüber eher Im Kreis Olpe ging der Industrieumsatz um zweite antwortende Unternehmen gibt zur- eine Seitwärtsbewegung zu beobachten. 3,2 Prozent zurück, allerdings von einem zeit eine gute Lage an, nur 8 Prozent eine Das aber nach wie vor auf hohem Niveau, höheren Niveau als im Nachbarkreis. schlechte.“ Mit diesen Worten fasst IHK- ergänzt IHK-Vizepräsident Jost Schneider, In beiden regionalen Kreisen beurteilt die Präsident Felix G. Hensel die Ergebnisse der der zugleich hervorhebt, dass fast jeder Industrie ihre Lage jedoch besser als zuvor. jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer dritte Einzelhändler gute Geschäfte meldet, Klaus Gräbener: „Im Kreis Olpe spielen die zusammen, an der sich knapp 360 Unter- jedoch nur 16 Prozent ungünstige: „Die Autozulieferer eine dominierende Rolle. In nehmen beteiligten. Der Blick nach vorne Rahmenbedingungen für den Konsum sind dieser Sparte brummt es nach wie vor. Die bleibe verhalten optimistisch. Immerhin ge- weiterhin gut: Geringe Arbeitslosigkeit, ho- Einschätzungen dort sind nach wie vor po- he ein Viertel aller Betriebe von einer gün- he Beschäftigung und gestiegene Einkom- sitiver als die aus Siegen-Wittgenstein. Die men. Allerdings drücken die internationalen Schere zwischen beiden Kreisen könnte sich Unsicherheiten auch etwas auf die Ver- daher noch weiter öffnen. Die Unterneh- braucherstimmung“, bringt Schneider die men im Südsauerland erwarten kurz- und Stimmungslage im regionalen Handel auf mittelfristig einen noch besseren Verlauf, den Punkt. die Betriebe in Siegen-Wittgenstein zeigen In der Industrie beschreiben 55 Prozent der sich demgegenüber nur verhalten zuver- Powered by STULZ Unternehmen ihre Lage als gut und nur 7 sichtlich.“ Im für die heimische Wirtschafts- Prozent als schlecht. Die Erwartungen in struktur wichtigen Maschinenbau fällt die der Industrie verbesserten sich indessen Umsatzentwicklung am Jahresanfang sehr nicht durchgreifend. Die unternehmeri- unterschiedlich aus. Der Export stieg um schen Aussagen zu den Inlandsinvestitio- 25,1 Prozent, der Inlandsumsatz sank um nen bleiben jedoch ein dicker Wermuts- 33,6 Prozent. Insgesamt verbuchte der Ma- bleiben Sie tropfen. Zwar möchte ein Drittel künftig schinenbau in den ersten beiden Monaten mehr dafür ausgeben, aber knapp ein Fünf- ein Umsatzminus von 7,7 Prozent. In der tel plant weniger ein. „Die Lage ist über al- Metallerzeugung und -bearbeitung wurde Luft-Luft-Wärmepumpen – die clevere und kostengünstige les gesehen wirklich gut. Die Investitions- im laufenden Jahr ein Plus von 13,8 Prozent Lösung. Bei Ihrem Kälte-Klima-Fachbetrieb: zurückhaltung verdeutlicht jedoch das erzielt, bei den Herstellern von Metall- Problem. Zahlreiche Unternehmen trauen erzeugnissen – vorwiegend Autozulieferer dem Braten nicht wirklich. Dazu sind die – ein Plus von 8,8 Prozent. Noch aber sind geopolitischen Unsicherheiten zu ausge- die Umsatzdaten nicht belastbar genug, um Kreuztaler Straße 25 · 57250 Netphen Tel. 0271-76031 · www.mammut-kaelte.de prägt. Das Zutrauen in einen fairen Welt- eine gesicherte Prognose für das Jahr 2017 handel wird nahezu täglich durch protek- abgeben zu können. 14 REPORT 6/17
Aktuell Nachruf Hans Werner Kocherscheidt † Die Region Wittgenstein verliert mit Hans Werner Kocherscheidt eine der profiliertesten Unternehmerpersön- lichkeiten. Er hat sich um seine Heimat, um die Wirtschaft und um die Men- schen in Wittgenstein verdient ge- macht. Die Mitarbeiter der EJOT-Gruppe mit Hauptsitz in Bad Berleburg trauern um ihren Senior-Chef. Im Alter von 88 Jahren ist am Karfreitag Hans Werner Kocherscheidt nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Er war ein Unternehmer, der nahezu 60 Jahre die Geschicke der EJOT-Gruppe maßgeblich mitgestaltete. Er ent- wickelte sich im Laufe dieser Jahr- zehnte zugleich zu einem wahrhaften Streiter für die Belange Wittgensteins insgesamt. Hans Werner Kocher- scheidt kam nach seinem juristischen Studium Ende der 50er Jahre ins Wittgensteiner Land. Eines seiner Hauptanliegen bestand darin, dass Wittgenstein nicht abgehängt wird. Daher trat er nachhaltig über Jahr- zehnte hinweg für eine verbesserte infrastrukturelle Anbindung dieser Teilregion ein. Die bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung der EJOT-Gruppe wäre ohne das vom ihm geschaffene Fundament nicht mög- lich gewesen. Wittgenstein verliert einen erfolgreichen Unternehmer, ei- ne große Persönlichkeit und zugleich einen seiner größten Förderer. REPORT 6/17 15
Aktuell IHK-Diskussionsveranstaltung Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit „Grundsätzliches Ziel des Jobcenters ist“, so Achim Otto in seinem Diskussionsbeitrag, „die Flüchtlinge nicht in spezielle Flücht- lingsqualifizierungen zu stecken, sondern in ‚normale‘. Dadurch funktioniert die Inte- gration besser.“ Ein wichtiger Punkt dabei: Betriebspraktika. So früh wie möglich müs- se eine berufsbegleitende Qualifizierung stattfinden. Otto erhofft sich deshalb, mehr Unternehmen ließen sich genau darauf ein. IHK-Geschäftsführer Klaus Fenster fügte hinzu: „Wir haben im Berufsbildungszen- trum die Erfahrung gemacht, dass der Wille, Flüchtlinge zu integrieren und auch auszu- bilden, groß ist.“ Er ergänzte: „Der nächste Schritt ist jetzt, Betriebe systematisch nach Praktikumsplätzen zu fragen.“ IHK-Geschäftsführer Klaus Fenster (links) diskutierte mit Experten über bereits durchge- Einen Schritt früher setzt das kommunale führte Integrationsmaßnahmen und mögliche zukünftige Schwerpunkte. Integrationszentrum des Kreises Siegen- Wittgenstein an: die Integration der Kinder und Jugendlichen in den Schulen. In einem „Die Einreise von Flüchtlingen nach Deutsch- tegration Point Siegen. Er befindet sich in Gespräch sucht Friederike Schlehbusch die land hatte im Jahr 2015 ihren Höhepunkt. den Räumen des Jobcenters. Seine Aufga- passende Schulform aus. Aber auch hier Seitdem sind die Zahlen deutlich rückläufig be: Flüchtlinge so früh wie möglich in den wird ein Problem offenkundig: „Wir haben – das mag vor allem am Flüchtlingspakt Ausbildungs- und Arbeitsmarkt integrieren. das mit der Sprache unterschätzt“, sagte zwischen der EU und der Türkei liegen. Die- Eine der Grundvoraussetzungen dafür ist sie im Rahmen der IHK-Veranstaltung. Für ser Rückgang der Zahlen veranlasst bereits die entsprechende Förderung, insbesondere Kinder und Jugendliche sei es schwierig, einige Kommunen, einen Teil ihrer Unter- im Bereich der Sprache, aber auch auf an- Deutsch zu lernen. Normalerweise bräuchte bringungseinrichtungen für Flüchtlinge zu deren Gebieten. „Die ersten kommen gerade man sechs bis acht Jahre, um eine Sprache schließen. Heißt das, die Arbeit ist getan? aus den Qualifizierungsmaßnahmen zurück“, soweit zu beherrschen, dass man im Unter- Nein – denn auch, wenn nicht mehr ganz berichtete Nina Appel. Sie ist im Integration richt mitkäme. Das sei Grundvoraussetzung, so viele Menschen aus dem Iran, dem Irak, Point für die Arbeitsagentur zuständig und um zum Beispiel die gymnasiale Oberstufe Syrien oder Afghanistan zu uns kommen, führte weiter aus: „Die Sprachkenntnisse zu meistern. „Bei den meisten besteht aller- geht die Integration derjenigen, die gekom- entwickeln sich dabei schlechter als ge- dings der unbedingte Wunsch, ein Gymna- men sind, jetzt erst richtig los.“ Mit die- dacht.“ sium zu besuchen“, verdeutlichte Friederike sem Eingangsstatement eröffnete IHK-Ge- Schlehbusch weiter. „Sehr wenige schaffen schäftsführer Klaus Fenster die Diskussions- Das Jobcenter betreut momentan 1.400 das – derzeit sind es vier. Wenn man das den veranstaltung „Integration von Flüchtlingen Kunden im Integration Point und zusätzlich Kindern und Jugendlichen kundtut, sinkt die in Ausbildung und Arbeit“ in den Räumen ca. 500 geflüchtete Menschen in den re- Motivation ganz schnell.“ Am Ende der Ver- der Industrie- und Handelskammer Siegen. gionalen Anlaufstellen. An den Integration anstaltung kristallisierten sich zwei wesent- Experten des Kreises Siegen-Wittgenstein, Point vermittelt werden die Geflüchteten liche Gesichtspunkte heraus, die für eine er- der Bildungsträger, der Agentur für Arbeit vor allem über die Städte und Gemeinden folgreiche Integration von Flüchtlingen in und des Jobcenters berichteten dazu aus in Siegen-Wittgenstein und Olpe. Hier Ausbildung und Arbeit unabdingbar sind ihrer Arbeit. Es ging um eine erste Bilanz der äußerte Nina Appel den Wunsch, dass die und in Zukunft verstärkt behandelt werden schon durchgeführten Integrationsmaß- Kommunen mit genug Informationsmate- müssen: Zum einen geht es um die Förder- nahmen und eine Erörterung möglicher rial ausgestattet werden, um zu einer bes- maßnahmen. Diese müssen so abgestimmt Schwerpunkte und Bedarfe der nächsten seren Vermittlung beizutragen. Eine andere werden, dass keine zeitlichen Lücken zwi- Jahre. Rund 60 Teilnehmer waren der Ein- Anregung kam aus dem Teilnehmerkreis. schen ihnen entstehen. So wird verhindert, ladung durch die IHK Siegen und den Kreis André Schmidt von der Stadt Siegen kriti- dass Flüchtlinge das Erlernte durch die be- Siegen-Wittgenstein gefolgt. Aktuell gibt sierte den zentralen Standort: „Wer zum sagte zeitliche Trennung wieder vergessen. es laut Martin Schreier von der Ausländer- Beispiel aus Wittgenstein kommt, hat es Zum anderen geht es um Betriebspraktika. behörde des Kreises 1228 Asylbewerber in unglaublich schwer, nach Siegen zu gelan- „Eine berufliche Qualifizierung muss in den Siegen-Wittgenstein (die Stadt Siegen er- gen. Es wäre besser, wenn der Integration Betrieben stattfinden“, resümierte IHK-Ge- hebt eigene Zahlen). Davon haben 455 Per- Point in die Kommunen reinginge.“ Achim schäftsführer Klaus Fenster. Denn nur durch sonen gute Bleibeperspektiven. Otto vom Jobcenter in Siegen merkte an, eine Kombination aus Arbeit und Qualifika- Die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge dass die Betreuung bereits teilweise in der tion lernten Flüchtlinge die Arbeitswelt ken- und Zuwanderer – die mit hoher Wahr- Fläche erfolge. Darüber hinaus biete der nen und könnten eigene Ziele entwickeln. scheinlichkeit bleiben dürfen oder zumin- Integration Point bedarfsabhängig Sprech- „Sie haben dann eine Perspektive vor Au- dest eine Duldung bekommen – ist der In- stunden vor Ort an. gen“, so Fenster abschließend. 16 REPORT 6/17
Sie können auch lesen