Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 66. Jahrgang August + September 2022 D o p - alt-katholisch.de
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Christen heute 2022/8+9 Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 66. Jahrgang · August + September 2022 er mm o p p elnu D 3 Frieden schaffen 15 Entschieden für Frieden mit oder ohne Waffen? von Petra Gramer von Raimund Heidrich 18 Das HUMAN-Projekt 5 „Sie erlernen nicht von Brigitte Glaab 28 Gott mit uns? mehr den Krieg“ von Christian Weber von Gerhard Ruisch 20 Willst du Recht behalten oder glücklich sein? 31 Krieg und Frieden 9 Die Ukraine und ihre von Lydia Ruisch von Jutta Respondek orthodoxe(n) Kirche(n) heute von Urs von Arx 23 Leo Tolstois „Krieg und Frieden“ 45 Aufbruch wagen – Frieden leben von Christian Weber von Britta Jacob-Janewers 12 Die Orthodoxie, der Krieg in der Ukraine und die Ökumene 26 Mangelbewusstsein bedingt Krieg 47 Krieg von Georgios Vlantis von Francine Schwertfeger von Georg Spindler
Lage geflüchteter Kinder Todesstrafe für Kontakt mit Israelis Pläne für Familiennachzug verschlechtert Mit grosser Mehrheit hat das unzureichend Die weltweite Lage geflüchte- irakische Parlament einem Gesetz- Die beiden grossen Kirchen ter Kinder hat sich in den vergange- entwurf zugestimmt, der jeden Kon- haben enttäuscht auf die Pläne von Namen & Nachrichten nen 12 Monaten deutlich verschlech- takt zu israelischen Personen oder Bundesinnenministerin Nancy Faeser tert. Darauf macht die internationale Institutionen unter Strafe stellt. Den (SPD) für begrenzte Erleichterungen Hilfsorganisation World Vision in Personen, die einen solchen Kontakt beim Familiennachzug reagiert. Nach einem Bericht aufmerksam. So konn- knüpfen, drohen die Todesstrafe oder ihren Plänen soll bei der Familienzu- ten bei 82 Prozent der Kinder nicht lebenslange Haft. sammenführung mit in Deutschland einmal Grundbedürfnisse wie Nah- tätigen Fachkräften aus dem Ausland rung, medizinische Versorgung oder Weitere Ausgestaltung des künftig auf den Nachweis deutscher Unterkunft gedeckt werden. Atomwaffenverbotsvertrags Sprachkenntnisse verzichtet werden. Die erste Staatenkonferenz „Kinder und Ehegatten von Personen Oberstes Gericht der USA stärkt des UN-Vertrags zum Verbot von Atom- mit humanitärem Aufenthaltsrecht Recht von Waffenbesitzern waffen in Wien wurde Ende Juni müssen diese hohe Hürde jedoch wei- Der Supreme Court der USA hat erfolgreich abgeschlossen. Es nahmen terhin nehmen“, sagte Stephan Iro im in einem weitreichenden Urteil das 49 Vertragsstaaten teil, und 34 Staa- Namen der EKD. Die Differenzierung Recht von Waffenbesitzern zum ten waren beobachtend anwesend. zwischen IT-Spezialisten und Flücht- Tragen ihrer Waffe in der Öffentlich- Die Staaten verdeutlichten mit ihrem lingen sei nicht nachvollziehbar. keit gestärkt. Mit sechs zu drei Stim- Engagement eindrücklich, dass sie Zudem sei es gerade für Angehörige men erklärten die Richterinnen und die Renaissance des nuklearen Wett- von Schutzberechtigten in Krisen- Richter eine seit mehr als 100 Jahren rüstens ablehnen. Im Zentrum der ländern wie Afghanistan oder Syrien geltende restriktive Vorschrift im Bun- Konferenz stand die Stärkung der kaum möglich, auch nur einfache desstaat New York zum Waffentragen humanitären Sicherheit. Stimmen aus Deutschkenntnisse zu erlernen, so der für verfassungswidrig. Das Gesetz der Zivilgesellschaft, insbesondere Leiter des Katholischen Büros in Ber- hatte vorgeschrieben, dass Waffenbe- der Betroffenen von Atomwaffentests lin, Karl Jüsten. sitzer für eine Lizenz zum Tragen von und -einsätzen kamen zu Wort. Die Pistolen und Revolvern in der Öffent- Bundesregierung hat nur als Beob- Religionsfreiheit in lichkeit besonders zwingende Gründe achterin an der Konferenz teilgenom- Hongkong gefährdet vorbringen müssen. Laut dem Urteil men; sie ist der Ansicht, dass sie dem Nach Ansicht des anglikani- widerspricht das der US-Verfassung, in Vertrag nicht beitreten kann, solange schen Priesters und ehemaligen der es heißt, dass der Staat „das Recht die NATO eine Strategie der nuklearen britischen Verteidigungsministers des Volkes, Waffen zu besitzen und zu Abschreckung verfolgt. Jonathan Aitken steht die Religions- Titelbild: gamagapix, Pixabay. Bildbearbeitung durch John Grantham zur Darstellung tragen“, nicht beeinträchtigen darf. freiheit in Hongkong „als nächstes auf Durch das Urteil sind auch Waffen- Griechenland setzt Geflüchtete der Abschussliste der zerstörerischen kontrollgesetze in anderen Bundes- bei Pushbacks ein Kräfte“ des Regimes der Kommunis- eines Z, das zum Zeichen der russischen Invasion der Ukraine geworden ist. staaten in Gefahr. An der EU-Aussengrenze set- tischen Partei Chinas von Präsident zen griechische Polizeibeamte Flücht- Xi Jinping. Dieser sei „ideologisch linge offenbar als Handlanger für ein marxistischer Nationalist und Kirche im Radio illegale Rückführungen ein. Einem politisch ein brutaler Kontrollfreak“, Team aus ReporterInnen ist es nach sagte Aitken. „Er ist rücksichtslos „Abendgedanken“ monatelangen Recherchen gelun- darin, alle zum Schweigen zu bringen, SWR4 BW + RP gen, mit sechs Männern zu sprechen, die ihre Meinungsfreiheit ausüben, 1.-5. August die an den sogenannten Pushbacks geschweige denn demonstrieren, um 18:57 Uhr beteiligt gewesen waren. Sie hätten andere Ansichten als die des Regimes Dekan Joachim Sohn unabhängig voneinander angegeben, zu unterstützen.“ Xi und sein Regime Furtwangen zu gewaltsamen Zurückweisungen in seien religiösen Gruppen besonders „Religionsgemeinschaften“ die Türkei gedrängt worden zu sein. feindlich gesinnt. Die Christen auf NDR Info Im Gegenzug seien ihnen Aufenthalts- dem chinesischen Festland seien jetzt Sonntag, 7. August papiere versprochen worden. Auch mit der schlimmsten Verfolgung seit 7:15 bis 7:30 Uhr drei griechische Polizeibeamte hät- Maos Kulturrevolution in den 1960er Andacht zum Thema „Frieden“ ten den Journalisten den Einsatz von Jahren konfrontiert. Pfarrer Walter Jungbauer Flüchtlingen bestätigt. Die Aktionen Hamburg würden von der Polizei als so gefähr- lich eingeschätzt, dass diese dafür ver- mehrt Geflüchtete einspanne, um die eigenen Beamten zu schützen. fortgesetzt auf Seite 61 5 2 Christen heute
Frieden schaffen mit oder ohne Waffen? Leichen- und Schuttberge sein? Ich will den Vergleich nicht weiter bemühen und konzentriere mich lieber auf die Beschreibung der aktuellen Lage. Anfang Februar sprach Putin von normalen Manö- vern, die man an der ukrainischen Grenze abhalte, und Ein kritischer Zwischenruf führte die mehrfach angereisten Spitzenpolitiker Euro- Vo n R aimun d Heidr ich pas bewusst in die Irre. Er genoss offensichtlich am langen Tisch, der die Gesprächspartner demütigend klein wie Raimund W er die Position „Frieden schaffen Bittsteller erscheinen ließ, dass sie zu bloßen Zuhörern sei- Heidrich ohne Waffen“ für richtig hält, ist erst einmal ner schein-historischen Visionen vom notwendigen Wie- ist Mitglied der Gemeinde ethisch im Vorteil. Nicht er muss sich rechtfer- deraufblühen eines russischen Großreiches schrumpften. Dortmund tigen, sondern derjenige, der „Frieden schaffen mit Waf- Da war der Krieg schon längst eine beschlossene Sache, wie fen“ für das Gebot der Stunde hält, wobei man doch schon ja auch der amerikanische Geheimdienst immer wieder indirekt spürt, dass das eigentlich kaum klappen kann. verlauten ließ. Aber denken wir den Impuls „Frieden schaffen ohne Waf- Seit dem 24. Februar 2022 geht Putin unter Bruch fen“ zu Ende. des Völkerrechts, so festgestellt vom Weltgerichtshof in Würde ein Verzicht auf Waffen der Ukraine Frieden Den Haag, mit großer Brutalität gegen den souveränen Foto oben: Pixabay bringen? Wohl kaum. Und hat man nicht durch massive Staat Ukraine vor, bombardiert auch bewusst zivile Ziele Waffengewalt Hitler besiegen und so das Massenmorden wie Schulen und Krankenhäuser, lässt Zivilisten foltern stoppen können und müssen? Die Kapitulation Hitler- und hinrichten, macht ganze Städte wie Mariupol dem Deutschlands war zwar noch kein Friede, aber die Waffen Erdboden gleich. Fluchtkorridore werden immer wie- schwiegen erst einmal. Aber Putin ist kein Hitler, wird der blockiert oder die Flüchtlinge werden ausschließ- man einwenden können. Wie hoch aber müssen denn lich auf russisch kontrolliertes Gebiet geleitet, um sie von Editorial und die ihrer Kirchen, sowohl aus der So konnten wir zulassen, dass einzelne Sicht eines orthodoxen Theologen wie Beiträge deutlich länger sind als sonst aus der Sicht eines christkatholischen üblich – eine Möglichkeit, einmal ein E inem Thema, das wohl langjährigen Streiters für die Öku- Thema zu vertiefen. allen Menschen in Europa der- mene mit der Orthodoxie; Tolstois Nicht jeder Artikel wird die zeit auf den Nägeln brennt, ist Buch „Krieg und Frieden“, das dieser Zustimmung aller finden, aber diese diese Doppelausgabe von Christen Ausgabe den Namen gab. Historische Zeitschrift möchte ja auch kein Kate- heute gewidmet: Krieg und Frieden. Konflikte und der sich nach der Präsi- chismus sein, sondern Denkanstöße Uns hier in Deutschland ist – zumin- dentenwahl anbahnende Konflikt auf und Diskussionsbeiträge liefern. Auch dest in der allgemeinen Wahrneh- den Philippinen werden aufgegriffen sind die Menschen, die die Artikel Gerhard Ruisch mung – seit fast 80 Jahren kein Krieg und Friedensinitiativen vorgestellt. geschrieben haben, nicht in allen ist Pfarrvikar in mehr so nahegekommen wie der in Wie immer gibt es Aktuelles aus unse- Punkten derselben Meinung, doch Freiburg der Ukraine; entsprechend treibt er rer Kirche und Buchvorstellungen, gerade die verschiedenen Akzente uns um. Ich bin dankbar, dass viele gleich zwei „Ansichtssachen“, dazu machen es ja interessant. Und das sehr unterschiedliche Autorinnen und zwei Beiträge über unsere Synodalität. erhofft sich die Redaktion: dass die Autoren ebenso verschiedene Aspekte Da es sich bei diesem Heft um Artikel Sie interessieren. des Themas bearbeitet haben, etwa eine Doppelnummer für August und Herzlich grüßt grundsätzlich die Frage um Krieg September handelt, gab es nicht die Ihr Gerhard Ruisch Foto: und Frieden aus christlicher Perspek- Platzprobleme, wie wir sie in den letz- tive; speziell die ukrainische Situation ten Monaten immer wieder hatten. 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 3
dort nach Russland zu entführen. Mittlerweile handelt es Menschrechten in Russland selbst, das brutale Vorgehen sich um mehr als eine Million Menschen. Die eroberten der Polizei gegen Kritiker bis hin zu Mordversuchen (Ale- Gebiete werden entgegen allem Völkerrecht sofort russifi- xei Nawalny), die grotesk-willkürlichen Gerichtsverfahren, ziert und russische Pässe werden ausgegeben. die Verhängung von martialischen Strafen für die bloße Ziele der Bombardements sind immer wieder ukraini- Ausübung anerkannter Bürgerrechte hätte uns schon längst sche Kulturdenkmäler, gerade auch Kirchen. Weizenvor- aufschrecken lassen müssen. Stattdessen wurde die wirt- räte werden vernichtet oder gestohlen oder deren Ausfuhr schaftliche Kooperation bis hin zur Abhängigkeit voran- wird behindert. Putin nimmt dadurch eine weltweite getrieben und der Bau der Nordstream-2-Pipeline als „rein Hungernot bewusst in Kauf: Hunger als Waffe. Das alles wirtschaftlich“ verharmlost, wodurch wir Deutsche uns wird begleitet von einem Cyberkrieg und der diploma- Putin schlichtweg ausgeliefert haben. tischen Offensive zur Spaltung Europas (z. B. mit Hilfe Der immer wieder vorgebrachte Vorwurf, man hätte von Ungarn und Serbien). Putin ist offensichtlich bereit, vor Waffenlieferungen der Diplomatie eine Chance geben alle rechtlichen und moralischen Grenzen zu überschrei- sollen, ist grotesk. Vor Kriegsbeginn ließen hochrangige ten. Auch gegenüber seinem eigenen Volk kennt er keine Politiker Europas keine Chance aus, nach Moskau zu rei- Gnade und schickt kaum ausgebildete Rekruten in den sen, um von Angesicht zu Angesicht mit Putin zu sprechen Donbass. und ihn von einem Krieg abzuhalten. Der diplomatische Wiedererrichtung des Großreichs Kanal ist bis heute offen und wird zumindest telefonisch Offensichtlich hat Putin den Zerfall der Sowjetunion immer wieder genutzt. Man muss sich klar machen, dass nie verkraftet. Er sagte kürzlich, dass er sich auf den Spu- Putin nie gewillt war, sich ernsthaft auf Friedensgespräche ren von Zar Peter dem Großen wähnt. Von daher will er einzulassen. In großen Monologen beschreibt er immer alle einmal russisch gewesenen Gebiete „heimholen“. Es wieder seine Vision vom bedrohten russischen Großreich, ist daher folgerichtig, dass er der Ukraine jedes Recht auf das es zu verteidigen und wiederherzustellen gilt. Das Foto rechts: Graffiti in Paris von seth_globepainter, Instagram, Eigenstaatlichkeit abspricht. Dabei hat Russland 1994 die „Antanzenlassen“ der politischen Führungskräfte Europas Souveränität der Ukraine ausdrücklich anerkannt, wor- genoss er offensichtlich wie ein neuer Zar. auf die Ukraine auf ihre Atomwaffen verzichtete und sie Auch die öfter vorgebrachte Scheinlösung, man solle aufgenommen durch @StreetArtUtopia auf Twitter. an Russland weitergab. Auch nach 1994 hat Russland, und doch Putin den Donbass „um des lieben Friedens willen“ Foto links: Rasande Tyskar, „Stop Putin“, Flickr. auch Putin selbst, die Staatlichkeit der Ukraine nicht in überlassen, verkennt die Lage. Ähnlich wurde schon bei der Frage gestellt. völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim 2014 argumen- Die zaristische Vision macht nun Putin auch für tiert. Die lasche und inkonsequente Reaktion des Westens andere Staaten gefährlich. Belarus hat er ja schon unter hat offensichtlich den Appetit Putins erst recht angeregt. seiner Kontrolle. Seine brutalen Vernichtungskriege in So ist klar, dass er seine Vision vom russischen Großreich Tschetschenien und in Georgien, in Syrien (sogar mit dem weiter im Blick hat und schon die Republik Moldau ins Einsatz von geächteten Chemiewaffen) und auch in Libyen Visier nimmt. Putin nachgeben heißt letztlich Selbstauf- und seit 2014 im Donbass im Osten der Ukraine haben gabe, nicht nur der Ukraine, sondern auch der europäi- wir letztlich oft einfach übersehen. Selbst die Besetzung schen Friedensordnung nach dem 2. Weltkrieg. der Krim wurde nach halbherzigen Sanktionen letztlich de facto hingenommen. Verhandeln sinnlos Die gerichtlich (!) als Mord im Auftrag des russi- Verhandlungen mit Putin sind daher augenblicklich schen Staates entlarvte Tötung des Georgiers Selimchan unmöglich. Es besteht sogar die Gefahr, dass er einen Waf- Changoschwili 2019 in Berlin wurde letztlich einfach fenstillstand nur dazu nutzt, um seine Truppen nachzurüs- von uns übergangen. Der kontinuierliche Abbau von ten und in eine bessere Position zu bringen. Das Vertrauen 4 Christen heute
zu Putin, der alle Hemmungen hat fallen lassen, ist völlig Sicherheitsexpertin Dr. Claudia Major von der Stiftung aufgebraucht. Einen für ihn „gesichtswahrenden Ausweg“ Wissenschaft und Politik vertritt klar die Auffassung, dass zu suchen, ist angesichts seiner Brutalität und der großen Putin diesen Krieg nicht gewinnen darf, weil sonst Gewalt Zahl seiner Opfer einfach nur zynisch. und Krieg als Mittel der Politik wieder hoffähig gemacht Putin lebt offensichtlich in Selbstisolierung, in einer würden. Für die amerikanische Historikerin Anne Apple- selbstproduzierten Blase, in einer selbstgemachten Schein- baum ist die militärische Niederlage Putins die Vorausset- Wirklichkeit. Unter diesen Voraussetzungen empfindet zung für echte Friedenverhandlungen. er sein Handeln als vernünftig, logisch und moralisch gerechtfertigt, zumal er religiös vom orthodoxen Patriar- Friedensarbeit chen Kyrill ausdrücklich unterstützt wird. „Frieden schaffen ohne Waffen“ wird erst voll nach Wir müssen uns aber klar machen, dass Putin eben Beendigung des Krieges möglich sein. Ein Schweigen der nicht Russland ist, sondern Kopf einer skrupellosen Oli- Waffen ist noch lange kein Frieden, wie wir Deutsche nach garchen-Schicht, die das russische Volk Stück für Stück dem 2. Weltkrieg haben sehen müssen. Es dauerte Jahre, bis politisch entmündigt hat, es wirtschaftlich ausplündert Annäherung und Versöhnung möglich wurden, wie gerade und gesellschaftlich knebelt. Er hält sich nur an der Macht, das Beispiel Polen zeigt, wo Willy Brandt die ersten, ent- indem er die kritische Presse gleichgeschaltet oder ver- scheidenden Schritte bis hin zum Kniefall ging. boten hat und auf allen Kanälen seine Lügen verbreitet. Aber auch schon jetzt zu Kriegszeiten ist in kleinen Das Justizwesen ist ganz in seiner Hand und spricht Will- Schritten nicht-militärische, zivile Friedensarbeit möglich kür-Urteile. Die Strafen liefern die völlig zu Unrecht Ver- und notwendig, indem konkrete Hilfen für die Bevölke- urteilten jahrelanger Folter und Terror aus. Gefahr droht rung im Kriegsgebiet unterstützt, vernetzt und auch orga- aber Putin und seinem Regime tatsächlich, und zwar von nisiert werden. Außerdem wäre es weitblickend, die bislang der eigenen Bevölkerung in ihrer Sehnsucht nach einer bestehenden zivilen Kontakte, z. B. die Städterpartner- den Menschenrechten verpflichteten demokratischen schaften, aufrechtzuerhalten, auch wenn die russischen Gesellschaft. Partner wegen des staatlich verordneten Maulkorbs in Krieg darf sich nicht lohnen. Die UNO-Vollversamm- ihren Aktivitäten massiv behindert werden. Gerade wenn lung hat den Angriff Russlands mit großer Mehrheit ver- in diesen Zeiten oft vom Rüstungshaushalt gesprochen urteilt und den sofortigen Abzug der russischen Truppen wird: Wäre es nicht unbedingt notwendig, zumindest Bild: Logo der Friedensbewegung und der Ökumenischen verlangt. Daher kann es mit Putin in der Sache keinerlei zehn Prozent davon für die zivile Friedensarbeit zu reser- Kompromiss geben. Jedes Nachgeben würde er zudem vieren?! Waffen können hoffentlich einen Despoten stop- nicht nur als Zeichen der Schwäche interpretieren, son- pen, aber Frieden schaffen geht nur ohne Waffen. n dern auch als Aufforderung, so weiterzumachen. Die kommen wir da hin? Was können wir „Sie erlernen nicht ganz praktisch tun? Friedensdekade der DDR ab 1979 „Sie haben Mose und die Propheten“ mehr den Krieg“ Dass wir die Frage überhaupt stellen müssen, wohin die Richtung gehen soll, ist eigentlich erschütternd. Vo n Ger h ar d Ruisch „Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören“, lässt Jesus V or fast 20 Jahren, 2003, in der Kirche, sondern sei ein Kenn- Abraham im Gleichnis vom reichen habe ich am Alt-Katholi- zeichen unserer derzeitigen Gesell- Prasser und armen Lazarus sagen (Lk ken-Kongress in Prag teil- schaft: In ihr ist es „kalt vor Nachsicht 16,29). Bei Mose und den Propheten, genommen. Dort hat der damalige und Geduld“, so zitierte er den Öster- Schweizer Bischof Hans Gerny ein reicher Anton Kuh. Es gibt also so viel Referat gehalten. Er stellte fest, dass Toleranz, dass es davon schon wieder die Christinnen und Christen, und kalt wird, weil sie aus Gleichgül- die alt-katholischen ganz besonders, tigkeit den Anderen gegenüber dazu neigen, zu allem Ja und Amen entspringt. zu sagen. Für ihn entspringt das einer, Eine Zukunft für unsere wie er sagte, „Wellness-Theologie“, Kirche hat er nur gesehen, die aus einem falschen Gottesbild wenn es gelingt, diese kommt: Gott wird nur noch als lieb Gleichgültigkeit zu über- und gut gesehen; alle Bibelstellen, die winden. Da ist die erste Gott auch als strengen, unverständ- Frage: Was sollen wir tun? lichen, weltüberlegenen Gott sehen, Wohin kann und soll die werden vernachlässigt. Dieses Ja-und- Richtung gehen? Und die Amen-Sagen finde sich aber nicht nur zweite Frage ist dann: Wie 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 5
da ist eigentlich schon alles gesagt, mitgehen mit deinem Gott.“ Gerech- wir wirklich uns nicht überlegen und was wir wissen müssen, und Jesus hat tigkeit, Geschwisterlichkeit und den besser fühlen würden, sondern alle es noch einmal vertieft und unter- Weg mit Gott gehen in Demut, dem Völker als Geschwister ansehen. Was strichen. Für meinen alten Lehrer Mut zu dienen. Die Reihenfolge ist der Dien-Mut ausmachen würde, die im Alten Testament an der Uni Frei- spannend: zuerst die Gerechtigkeit Bereitschaft, nicht nur Herren, son- burg, Alfons Deissler, stand einer der und Geschwisterlichkeit unter den dern auch Diener zu sein, so wie Jesus entscheidenden Sätze, der alles ent- Menschen und dann der Weg mit gesagt hat: „Der Menschensohn ist hält, beim Propheten Micha. Er ist Gott. Es ist so einfach, und x-fach nicht gekommen, um sich bedienen ein jüngerer Zeitgenosse des Prophe- bläuen es die Propheten ein, und doch zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk ten Jesaja, hat vor über 2.700 Jahren muss Jesus so viele Jahrhunderte spä- 10,45). Jesus sagt, das Reich Gottes ist gewirkt. Micha schildert das – litera- ter dasselbe wieder sagen: Die Liebe risch genial – als ein Streitgespräch zu Gott, zu den Mitmenschen und zwischen Gott und seinem Volk, ja zu sich selbst, das ist alles, worauf es eine Gerichtsverhandlung. Alles wird ankommt. aufgezählt, was Gott für sein Volk Nun sollte man meinen, was getan hat, das Herausführen aus der Micha schon vor über 2700 Jahren Bild: „Guernica“, Pablo Picasso, 1937. Aus Wikimedia Commons. Sklaverei in Ägypten, die Entsendung gesagt hat, was Jesus so deutlich wie- von Propheten, die das Volk führen. derholt und betont hat, das ist längst Dann die Frage: Was habe ich dir nur für uns erledigt und selbstverständ- getan, mein Volk, dass du mich so lich. Erschreckend ist, dass es wie- schlecht behandelst? der vergessen ist. Es ist, als sei da ein Das Volk reagiert zerknirscht. Es Fehler im menschlichen Gehirn, der will es Gott ja recht machen. Es fragt: diesen so einfachen Zusammenhang Was sollen wir nur tun, Gott, dass du ausblendet. nahe. Würden wir seinem Wort und mit uns zufrieden bist? Sollen wir dir dem der alten Propheten folgen, wäre einjährige Kälber als Brandopfer dar- Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit es noch viel näher. bringen? Sollen wir dir Tausende von und Dien-Mut So lange schon wissen wir Men- Widdern opfern? Ja sollen wir Men- Dieses so alte Rezept würde schen, was gut ist. Ja nicht nur das, schenopfer darbringen, unsere eigenen jedenfalls unsere Welt verändern. Stel- auch das, „was Gott von uns erwar- Kinder? len wir uns vor, wie unsere Welt wäre, tet“. Es wird Zeit, dass wir damit Fast verrückt ist das, auf alles wenn wir wirklich gerechtere Struk- beginnen, es zu leben. Und damit sind kommen sie, sogar auf Menschenop- turen in der Weltwirtschaft durchset- wir beim eigentlichen Knackpunkt fer. Aber das Einfachste, das Nahelie- zen würden – die reichen christlichen angelangt, bei der Frage, ob wir kon- gendste fällt ihnen nicht ein: „Es ist Europäer und die reichen christlichen kret etwas tun können, wir in unserer dir gesagt worden, o Mensch, was gut Amerikaner gemeinsam könnten das kleinen Kirche, in unseren kleinen ist und was der Herr von dir erwar- leicht. Wenn die Menschen in armen Gemeinden. Denn wenn wir warten tet: Gerechtigkeit üben, den Bruder- Ländern gerecht bezahlt würden für wollen, bis Europa, Japan, Kanada und sinn lieben und in Dienmut gehen ihre Arbeit und für ihre Rohstoffe – die USA die Weltwirtschaftsordnung mit deinem Gott“, so hat Deissler wie schnell da Hunger und Elend in ändern, dann können wir lange war- es übersetzt (lange vor der Gender- der Welt gebannt wären, wie leicht da ten, trotz aller Versprechungen beim Debatte – Micha 6,8). Die erneuerte Gewalt und Terrorismus der Boden G-7-Gipfel Ende Juni. Ob wir etwas Einheitsübersetzung übersetzt auch entzogen wäre. Stellen wir uns vor, wie tun können, ohne dass uns gleich sehr schön, aber schwächer: „Achtsam das die Welt verändern würde, wenn wieder die altbekannte Lähmung 6 Christen heute
überfällt angesichts der Größe der aber un-verschämt, ohne uns ständig Gott auf seiner Seite haben will, muss Aufgabe: Ach Gott, wir sind ja so zu schämen für das, was und wie wir für den Frieden leben. arm, so klein, so schwach. sind. Jesus hat das getan. Und er hat Da wäre über die Gerechtig- Ich möchte nun aber nicht auf die erfahren, dass für den Frieden und keit zu sprechen. Unsere Kleinheit Gerechtigkeit und nicht auf den Weg für die Liebe einzutreten nicht unbe- birgt auch ihre Chancen. Wir kön- mit Gott näher eingehen, sondern dingt dazu führt, dass man vor Gewalt nen einander kennen. Wir können auf das, was Micha chesed nennt, den gefeit ist, ganz im Gegenteil, er hat uns für diejenigen interessieren, die „Brudersinn“, die Geschwisterlichkeit. sich Feinde gemacht. Diese aber nicht kommen können. Wir kön- Es drängt sich mir auf, weil der Ein- haben vor Gewalt nicht zurückge- nen Kontakt miteinander halten und druck des Ukraine-Krieges so über- schreckt. An Ostern zeigt sich, wie Gott Partei ergreift. Nicht, indem er in einen Kampf eingreift und der „bes- seren“ Seite den Sieg verleiht. Aber Bild mittig: „Sturz der rebellierenden Engel“, Pieter Bruegel der Ältere, 1562. Bild rechts: Abbott Handerson Thayer (1849-1921), „Angel“, 1887. Beide aus Wikimedia Commons. indem er nicht zulässt, dass das Leben verliert. Das mag uns oft zu wenig sein. Wir hätten gerne, dass er seine Engel schickt und die Kriegstreiber ent- machtet. Gottes Weg ist ein ande- rer, mühsamerer, langsamerer. Er sucht den Zugang zu den Herzen der Menschen und möchte, dass sie sich ändern. Er will sie lehren, Hass zu überwinden und Friede und Liebe zu leben. Jesus hat das getan, und in denen nachgehen, die sich aus Frust, wältigend ist und in der Folge auch einer gewalttätigen Welt hat er leiden aus Scham (z. B. wegen ihrer Armut), das Nachdenken darüber, wie das müssen. Aber er hat die Welt verän- wegen Depression zurückziehen. Da möglich ist, dass die Menschheit noch dert. Wenn viele ihm auf seinem Weg könnten Gemeinden vieles tun, ganz immer nicht weiter ist, als Konflikte folgen, im Tun, nicht nur im Reden, klein und leistbar. Es stellt sich die mit Gewalt zu lösen, und das auch dann erhält diese Welt ein anderes Frage nach den Schwerpunkten der noch zum Teil mit dem Segen der Kir- Gesicht, liebevoller und friedlicher. Gemeindearbeit. Sind wir bereit, für che. Wie kann man nur heute immer Dass dies gelingt, dazu gibt Gott sei- soziale Aufgaben Geld auszugeben noch meinen, man könne in einem nen Geist. Hier liegt vielleicht die oder haben die Ausgaben für Liturgie, Krieg Gott auf seiner Seite haben? Die wichtigste Zukunftsaufgabe der christ- Katechese und Bau bereits alles Geld Erfahrung auch dieses Krieges wie- lichen Kirchen. Sie war natürlich aufgefressen? der ist: Gott ist nicht auf Seiten einer auch in den vergangenen Jahrhunder- Zu sprechen wäre darüber, wie Kriegspartei. Die alte Vorstellung des ten schon wichtig, aber sie ist auch wir unseren Weg gehen mit Gott, Volkes Israel, dass Gott der Feldherr die große Aufgabe für diese Zeit des welche Tiefe unsere Gottesdienste seines Volkes ist, sie ist nicht zu hal- Rückfalls in Gewalt. und unsere Gebete erreichen, wie wir ten. Gott ist auf Seiten des Friedens. zu einer Spiritualität finden, die echt Das ist es, was er will. Keiner kann ihn Dem Frieden dienen ist und nicht aufgesetzt wirkt. Wie für seinen ach so gerechten Kampf Uns ist gesagt, was Gott will, seit wir den Mut aufbringen, Zeugnis reklamieren, schon gar nicht der, der den Zeiten des Propheten Micha: dass von dem abzulegen, was uns wichtig ein anderes Volk überfallen hat. Denn wir Gerechtigkeit üben, Geschwis- ist, nicht unverschämt aufdringlich, gerechte Kriege gibt es nicht. Wer terlichkeit lieben und in Dienmut 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 7
den Weg mit Gott gehen. Wer soll als zuvor. Aber ist es nicht auffällig, die von einer breiten Mehrheit getra- da anfangen, Wege des Friedens zu dass man in praktisch allen Ländern gen und geübt wird, der einzige Weg. gehen, wenn nicht wir? Dass die der Welt, sogar im Vatikan mit der Die breite Mehrheit allerdings Ukraine mit Waffenlieferungen unter- Schweizergarde, für den Krieg übt, kann erst nach und nach entstehen. stützt werden sollte, leuchtet heute dass es aber einigen wenigen Pazifis- Doch damit anzufangen, das wäre Bild: „Taube“, Pablo Picasso, 1949. Aus Wikimedia Commons. den meisten Menschen ein, unab- ten überlassen ist, für den Frieden zu doch zuerst die Aufgabe derer, denen hängig von ihrem Glauben oder ihrer üben? gesagt ist, was Gott von ihnen erwar- Weltanschauung. Unsere christliche Vor allem US-amerikanische tet. Ich stelle mir das ganz praktisch Aufgabe ist, es nicht dabei zu belas- Psychologen – am bekanntesten ist vor: dass in unseren Gemeindezentren sen, sondern daran zu erinnern, dass Marshall Rosenberg – haben gewalt- neben Bibel- und Mutter-Kind-Krei- es auch gewaltfreie Mittel gibt, für die freie Konfliktregelungsstrategien sen auch Gruppen zusammenkom- Organisationen wie der Zivile Frie- entwickelt und führen richtige Trai- men, die geschwisterlichen Umgang densdienst oder Eirene stehen. (Ich ningskurse für Verständigung und üben, dass dort Kurse stattfinden, behaupte nicht, dass nur Christen Überwindung der Aggression zwi- wie man Konflikte ohne Gewalt löst, sich für gewaltfreien Widerstand und schen Feinden oder Gegnern durch (s. wie man sich verständigt, wenn man gewaltfreie Wege zur Verständigung genauer im Artikel von Lydia Ruisch). verschiedener Meinung ist, wie man einsetzen, aber ich behaupte, dass Wäre nicht das christlich, dass wir, Kritik anbringt, die nicht verletzt, es unsere Aufgabe auf jeden Fall ist, wenn wir schon nicht so weit sind, sondern angenommen werden kann. wenn wir uns noch auf Jesus Christus dass wir den Krieg nicht mehr lernen, Dabei geht es mir gerade nicht berufen können wollen.) uns dafür einsetzen, dass noch viel um die ständige aufgesetzte Freund- Dazu kommt: Gerade beim Frie- mehr Menschen den Frieden lernen lichkeit, die einem in manchen christ- den ist es so, dass jede und jeder zual- und damit schon im Kindergarten lichen Kreisen begegnet. Sie ist ein lererst bei sich selbst anfangen muss anfangen? Wenn es dahin kommen Deckmäntelchen, unter das so man- und in seinem Umkreis. Wie? könnte, dass Gewaltfreiheit zu einer ches gekehrt wird und bei dem es einem schlecht werden kann, wenn man mal darunter schaut. Paulus sagt: „Die Liebe sei ohne Heuchelei“ (Röm 12,9). Dahin gilt es zu finden und das kann man üben, dass man zu einer Liebe findet, die aus dem Ringen mit- einander entsteht, die auch wachsen kann unter Menschen, die einander nicht von Anbeginn grün sind, denn Freunde kann man sich aussuchen, aber die Brüder und Schwestern in der Familie und in der Gemeinde nicht. Es geht um Überwindung falscher Freundlichkeit ebenso wie um Über- windung von Misstrauen, übler Nach- rede und kleinen Gemeinheiten im Umgang miteinander. Andere Übungen zum Christ- sein könnten dazu kommen: wie man gut zuhört, wie man auf Trauernde zugeht, wie man Schwerkranke und Sterbende begleitet, wie man mit Pubertierenden umgeht. Das Beste daran ist, dass wir gar nicht erst den- Ebenfalls im Michabuch (4,3) selbstverständlichen ethischen Forde- ken müssen: Wir sind so arm, so klein, und wortgleich bei Jesaja (2,4) steht rung wird, welche schon die Kleins- so wenige. Denn das kann man nur der vielzitierte Satz: „Dann werden ten lernen, dann wäre das wirklich ein mit wenigen üben. Das bringt keinen sie ihre Schwerter zu Pflugscharen Schritt, der Gottes Gebot mehr Recht Wladimir Putin zum Umdenken und umschmieden und ihre Lanzen zu verschafft. ändert keine Weltwirtschaftsordnung. Winzermessern. Sie erheben nicht Natürlich ist das kein Rezept Aber an dieser Stelle ändert es die mehr das Schwert, Nation gegen gegenüber einem gewissenlosen Mann Welt. Nation, und sie erlernen nicht mehr wie Wladimir Putin. Solange es solche „Man erlernt nicht mehr den den Krieg.“ Weit sind wir davon ent- Menschen gibt, wird es ohne Gegen- Krieg“ ist weit entfernt. „Man übt fernt, natürlich wird trainiert für den wehr nicht gehen. Aber wenn diese schon für den Frieden“ ist immerhin Krieg, auch in unserem Land, mit Welt als Ganzes friedlicher werden ein Anfang. n einem Krieg in der Nähe sogar mehr soll, dann ist eine Kultur des Friedens, 8 Christen heute
kriegerischen Auseinandersetzungen in Tschetschenien (mit der weitge- henden Zerstörung der Hauptstadt Grosny im Jahr 2000), in Georgien (2008) und im ostukrainischen „Don- bass“ (2014), sowie auch die Annexion der Krim (2014). An die Stelle des einen sowjeti- schen Staates trat zunächst die Ende 1991 entstandene GUS, die „Gemein- schaft unabhängiger Staaten“. Zu ihr gehörten die flächenmäßig riesige Russische Föderation (mit Putin als heutigem Präsidenten, der Ende 1999 auf Boris Jelzin folgte), die osteuropäi- schen Staaten der Ukraine (bis 2014), Belarus (Weißrussland) und Moldau, sowie acht weitere frühere Sowjet- republiken im Kaukasus (Armenien, zeitweise auch Georgien, Aserbeid- schan) und in Zentralasien (Kasachs- tan u. a.). Die GUS spielte freilich bald keine Rolle mehr, da ihre Staaten mit der Zeit neuen politischen Orientie- rungen folgten. Nicht zur GUS zählten die um dieselbe Zeit ebenfalls unab- Dr. Urs von Arx ist emeritierter Die Ukraine und ihre hängig gewordenen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die Professor für Neues Testament, orthodoxe(n) Kirche(n) heute seit dem 18 Jh. meist unter russischer Homiletik und Herrschaft standen. Geschichte Eine weitere Ablösung von der des Alt- Vo n Ur s von Ar x Sowjetunion betrifft die Länder, die Katholizismus mit ihr durch den 1955 gegründeten am Institut für Z christkatholische um Verständnis der Situation der ortho- sogenannten Warschauer Pakt verbunden waren, einem Theologie der doxen Kirche in der Ukraine ist es hilfreich, „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegen- Universität Bern zunächst einen Blick auf die seit den 1990er-Jahren seitigen Beistand“, der ein Gegenstück zum Nordatlantik- eingetretenen politischen Veränderungen in Russland zu pakt NATO bildete. Von ihnen gehören heute zur EU (wie werfen, denn die gegenwärtige kirchliche Situation in der auch die baltischen Staaten): Polen, Tschechien, Slowakei, Ukraine ist stark von ihr bestimmt. Ungarn (alle seit 2004), Rumänien und Bulgarien (seit 2007); Albanien trat schon 1968 aus dem Warschauer Pakt 1. Der Zusammenbruch der aus. Mehrere dieser europäischen Länder sind zudem Teil Sowjetunion und ihre Folgen der NATO. Der von Wladimir Putin am 24. Februar 2022 ausgelöste Diese knappe Zusammenstellung territorialer und Überfall der „Streitkräfte der Russischen Föderation“ staatlicher Veränderungen im erwähnten Zeitraum macht auf das Nachbarland Ukraine und die von ihm vorgän- vielleicht am einfachsten verständlich, warum das Regime gig in einer Rede als gerecht und notwendig behaupteten Putin und weitere Kreise, die es bewusst oder fatalistisch Begründungen für die „militärische Spezialoperation“ – unterstützen, im Ende der Sowjetunion eine katastro- Foto: Die Wladimir-Kathedrale in Kiew etwa die Abwehr nazistischer Umtriebe und die Verhütung phale Entwicklung sehen. Dies betrifft nicht etwa das von Völkermord – stehen in geschichtlich näheren und gescheiterte Programm der (kirchenfeindlichen) kommu- entfernteren Kontexten, in denen auch die Orthodoxe Kir- nistischen Ideologie, sondern den früheren Status eines che dieser Länder stand und immer noch steht. Imperiums, einer Weltmacht, sei es in Gestalt der Sowjet- Das entscheidende Ereignis der jüngeren Vergangen- union oder besser noch des vorangegangenen Zarenreichs heit ist der Zusammenbruch der Sowjetunion (UdSSR) in seit Peter dem Großen (17./18. Jh.). Angesichts der wach- den Jahren 1989-1991. Putin hat dies 2005 als „die größte senden Attraktivität, welche Werte wie Demokratie und geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeich- Freiheit und damit verbundene zivilgesellschaftliche Äuße- net – eine Einschätzung, die man für sein Denken abso- rungsmöglichkeiten auf Bevölkerungsgruppen der frühe- lut ernst nehmen muss: Er sieht sie im Zusammenhang ren Sowjetunion ausüben, lässt sich leicht nachvollziehen, mit politischen Entwicklungen und Grenzziehungen, dass der Verlust von Macht und Größe als tiefgehende zivi- die entschlossen zu korrigieren sind. Davon zeugen die lisatorische Kränkung empfunden wird. 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 9
2. Die Orthodoxe Kirche in der staatlich der alten Bezeichnung für das, welches dem späteren russi- unabhängigen Ukraine schen Imperium vorausging, wurden vom Patriarchen von Vergleichbare Kategorien von Macht und Größe, verbun- Konstantinopel geweiht. Später verlagerte sich der Schwer- den mit einer Angst vor Verlusten, scheinen nun auch im punkt der Kiewer Rus’ in den Norden, zuerst nach Nowgo- Spiel zu sein, wenn wir einen Blick darauf werfen, wie die rod, dann nach dem aufstrebenden Moskau, das sich damit Russische Orthodoxe Kirche, zumal das Moskauer Patriar- staatlich und kirchlich als imperiales Erbe der „Kiewer chat, auf die kirchlichen Auswirkungen der neuen staatli- Rus’“ verstand. chen Unabhängigkeit der Ukraine reagiert hat. Diese einsträngige Sicht kommt eindrücklich zum In den frühen 1990er-Jahren kam es in der Ukraini- Ausdruck mit der Errichtung der zwei mächtigen Denkmä- schen Orthodoxen Kirche, die – mit einer gewissen inne- ler des hl. Wladimir: 1853 in Kiew am Ufer des Dnjepr und ren Autonomie – seit langem zum Patriarchat Moskau vor allem 2016 in Moskau vor den Kremlmauern; die Ein- gehörte, zu einer Spaltung. Eine treibende Kraft war der weihung nahm Putin mit dem ehemaligen prorussischen 1990 vom Moskauer Patriarchen Alexij II. zum „Metropo- ukrainischen Staatspräsidenten Janukowitsch vor. In dieser liten von Kiew und der ganzen Ukraine“ eingesetzte Filaret Rückerinnerung bilden Großrussen, Weißrussen und die – (Denysenko), der im Blick auf die neue politische Situation oft Kleinrussen genannten – Ukrainer ein untrennbares die von ihm geleitete Kirche als vom Moskauer Patriarchat Brudervolk mit einer gemeinsamen religiösen und politi- unabhängig erklärte. Er verstand diese als Fortsetzung der schen Vergangenheit. [Siehe Bild 1.] im ausgehenden 9. Jh. in Kiew ent- standenen und vom Patriarchat Kon- stantinopel organisierten orthodoxen Kirche. Das Moskauer Patriarchat verurteilte diesen Schritt und erklärte Filaret und seine Anhängerschaft zu Schismatikern und als außerhalb des Heils stehend. Es setzte für die große Anzahl der weiterhin zu Moskau hal- tenden ukrainischen Bistümer einen neuen Primas, d. h. Erstbischof, ein. Die nunmehr zwei konkurrierenden Gemeinschaften mit gleichem Namen können durch die Hinzufügung „Mos- kauer Patriarchat“ bzw. „Kiewer Pat- riarchat“ unterschieden werden (im Folgenden abgekürzt: UOK-MP und UOK-KP). Daneben gab es drittens noch die kleine Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK), die 1921 Bild 1. Einweihung des Denkmals für den Hl. Wladimir den Großen am 4.11.2016 in der kurzen Zeit einer politischen in Moskau zum „Tag der nationalen Einheit“. Am Rednerpult Wladimir Putin, Unabhängigkeit der Ukraine vor ihrer hinter ihm (mit weißer Kopfbedeckung) der Patriarch von Moskau, Kyrill. Eingliederung in die Sowjetunion entstanden ist. Sie überlebte in der nordamerikanischen Diaspora und wurde in der Ukraine Es gibt aber für die Ukraine noch eine andere, viel zuletzt 1990 reaktiviert. Sie war an der Entstehung der differenziertere historische Rückerinnerung, in der berück- UOK-KP im Juni 1992 mitbeteiligt. Auch sie galt für das MP sichtigt wird, dass die Vorfahren der heutigen Ukrainer als schismatisch. [Bewusst nicht erwähnt: die Ukrainische während Jahrhunderten in unterschiedlichen Staaten leb- Griechisch-Katholische Kirche.] ten. Genannt seien nur das Großfürstentum Litauen, das Königreich Polen, das Kosaken-Hetmanat, das Russische Unterschiedlich normierte geschichtliche und das Habsburger sowie das Osmanische Reich. 1922 Rückerinnerungen gab es erstmals so etwas wie feste Grenzen der Ukraine, Hinter dieser mit den Ortsnamen Kiew und Mos- und zwar als Sowjetrepublik. All dies kann hier nicht kau verbundenen Kontroversen stehen zwei teils identi- näher ausgeführt werden, das Weitere betrifft die jüngsten sche, teils unterschiedliche geschichtliche Narrative. Der Entwicklungen. gemeinsame Ausgangspunkt ist die sog. „Taufe Russlands“ im Jahr 988, deren Tausendjahrfeier 1988 feierlich began- 3. Neuere Entwicklungen gen wurde. Gemeint ist damit die Hinwendung des Ruri- Im Zug der mit den Namen „Orange Revolution“ (2004) kidenfürsten Wladimir des Großen, der die Tochter des und „Euromaidan“ (2013/14) verbundenen Bewegungen oströmischen Kaisers heiratete, zum Christentum und der für eine verstärkte Ausrichtung einer eigenständigen Ukra- von ihm angeordneten Taufe der Bevölkerung Kiews im ine auf europäische Vorstellungen von Rechtsstaat und Dnjepr. Die ersten Metropoliten der sog. „Kiewer Rus’“, Demokratie kam – mitinitiiert durch die Staatspräsidenten 10 Christen heute
Wiktor Juschtschenko (2005-2010) bzw. Petro Poro- Bevölkerung des Reichs, die als eine einzige „Nation“ schenko (2014-2019) – auch die Kirche des „Ökumeni- (millet) betrachtet wurde, verantwortlich war. schen Patriarchats“ von Konstantinopel ins Spiel. Vom Ökumenischen Patriarchen wurde erwartet, dass er ein Es sei noch ergänzt, dass der seit Ende des 6. Jh. nachweis- Verfahren einleite, das eine vereinigte Orthodoxe Kirche bare Ausdruck „ökumenischer“ Patriarch für den Bischof der Ukraine zur Autokephalie führe, das heißt zur höchs- von Konstantinopel auf einen geographisch universalen ten Stufe von kirchlicher Eigenständigkeit im Rahmen der Bereich seines Amtes (die „bewohnte“ Welt) hinweist, synodalen Gemeinschaft aller orthodoxen Kirchen. Der nicht auf die heutige Ökumene im Dienst der Verständi- griechische Ausdruck deutet an, dass die betreffende Kir- gung unter getrennten Konfessionen. che ihr Haupt selbst wählt, der als Erster unter Gleichen Was im Verlauf dieses Verfahrens vom Herbst 2018 (nämlich Mitbischöfen) Patriarch, Erzbischof oder Metro- bis in den Frühling 2019 alles geschah, kann hier aus Platz- polit genannt wird. gründen nur verkürzt aufgezählt werden. Erwähnt sei die Diese Erwartung hat mit folgenden geschichtlichen Einwilligung des Ökumenischen Patriarchats im Oktober Ereignissen zu tun: 2018, der Orthodoxen Kirche in der Ukraine die Autoke- phalie, also einen vom Moskauer Patriarchat unabhängigen a. Im Jahr 330 errichtete Kaiser Konstantin der Status, zu gewähren. Zugleich hat es dessen Kirchenstra- Große anstelle von Rom in der griechischen Stadt fen gegen die UOK-KP und ihren bisherigen Ersthierarchen Filaret aufgehoben. Am 15. Dezember 2019 beschlossen auf einer Vereini- gungssynode in Kiew die UOK-KP, die UAOK und Teile der UOK-MP, sich zur „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ (OKU) zu vereinigen; zum Erstbischof mit dem Titel Metropolit von Kiew wurde Epifanij (Dumenko) gewählt; er galt als vertrauter bischöflicher Mit- arbeiter von Filaret. [Siehe Bild 2.] Am 6. Januar 2020 übergab der Ökumenische Patriarch Bart- holomaios in Konstantinopel den sogenannten Tomos (Dekret) der Autokephalie an Metropolit Epifa- nij; hier wie schon vorher in Kiew war der ukrainische Staatspräsident Poro- schenko anwesend. [Siehe Bild 3.] Dass dem ganzen Prozess bis heute kein durchschlagender Erfolg Bild 2. Auf der Vereinigungssynode am 15.12.2019 in der Sophienkathedrale beschieden war, hat nicht nur mit den von Kiew war auch der damalige ukrainische Staatspräsident Poroschenko heftigen Anschuldigungen des Mos- (links im Bild) anwesend. Rechts Metropolit Filaret, in der Mitte der Vertreter kauer Patriarchats zu tun, das das Vor- des Ökumenischen Patriarchats, Metropolit Emmanuel (Adamakis). gehen des Ökumenischen Patriarchats als widerrechtliches Eindringen in sein Byzantion am Bosporus eine neue kaiserliche „kanonisches“ Territorium verurteilte und die Kirchenge- Residenz, die nach ihm benannt wurde; meinschaft suspendierte, sondern auch mit widersprüch- b. im Jahr 381 legte das 2. Ökumenische Konzil im lichen Äußerungen und Verhaltensweisen Filarets. Eine Kanon 3 fest, dass der Bischof von Konstantinopel besondere Rolle spielt zudem ein geschichtlicher Streit- nach dem Bischof von Rom den zweiten Platz punkt: Hat die Orthodoxe Kirche des aufstrebenden mos- einnehme, mit der Begründung, Konstantinopel kowitischen Zarenreichs, die 1589 von Konstantinopel die sei (als Kaiserstadt) das Neue Rom; Autokephalie erwirkte und somit den Status eines Patriar- c. im Zug einer weitgehenden Entfremdung zwischen chats erhielt, im Jahr 1686 vom Ökumenischen Patriarchat östlichen („orthodoxen“) und westlichen („katho- auch die vollständige Kirchenhoheit über die orthodoxe lischen“) Kirchengebieten nahm der Bischof von Kirche in Kiew und ihren Metropoliten erhalten? Oder ist Konstantinopel in der Liste der mittlerweile Patriar- diese letztlich beim Ökumenischen Patriarchen geblieben? chate genannten angesehensten orthodoxen Kirchen Das ganze Autokephalie-Verfahren im Blick auf die den ersten Platz vor Alexandrien, Antiochien und Ukraine hat zu unterschiedlichen Beurteilungen seitens Jerusalem ein; d) nach der Eroberung Konstantinopels der – bisher unbestritten 14 – autokephalen Kirchen durch die Osmanen (1453) wuchs dem dortigen geführt; einige haben zugestimmt, andere sich eines Urteils Patriarchen eine besondere Stellung zu, weil er gegen- enthalten, wieder andere es rundweg abgelehnt. über dem Sultan in Istanbul für die gesamte christliche 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 11
Dass eine Behandlung der Thematik bei dem „Gro- und dem russischen Volk unverzüglich zu beenden. Der ßen und Heiligen Konzil“ auf Kreta im Jahr 2016 nicht Krieg zwischen beiden wiederhole die Sünde von Kain, der zustande kam, kann nicht überraschen. Dies hat auch mit aus Neid seinen eigenen Bruder umbrachte. Dieser Krieg der ordnungs- und machtpolitischen Rivalität zwischen der sei weder vor Gott noch vor den Menschen zu rechtferti- Kirche des Ökumenischen Patriarchats und der Russischen gen. Seine Kirche verteidige die Souveränität und territo- Orthodoxen Kirche zu tun, die ihre eigene Geschichte hat. riale Unversehrtheit der Ukraine. Dazu gehört z. B. die Prophetie eines russischen Mönchs Auf eine vergleichbar klare Aussage des Patriarchen (um 1510), dass nach dem Untergang des oströmischen Kyrill von Moskau wartet man seitdem vergeblich. Wie Reichs (1453) Moskau das dritte Rom sei, nach welchem immer man das erklären und „verstehen“ will, der vom rus- es bis zum Ende der Welt kein weiteres mehr geben werde. sischen Präsidenten im Februar ausgelöste Krieg gegen die Entsprechend solle der Moskauer Patriarch in der synoda- Ukraine stellt für den weltweiten innerorthodoxen Zusam- len Gemeinschaft der autokephalen Kirche mit den ent- menhalt und das damit verbundene gemeinsame Zeugnis sprechenden Vorrechten der Erste sein. für das Evangelium Christi eine gewaltige Herausforderung Man kann in diesem Zusam- menhang auch noch auf das heutige Wappen der Russischen Föderation verweisen, wo der oströmische Dop- peladler die gekreuzten Symbole von Hammer und Sichel leninistischer Herkunft abgelöst hat. Der Anspruch der russischen Orthodoxie auf beson- deres Gehör kommt gelegentlich auch durch den Hinweis zum Ausdruck, dass sie rund die Hälfte aller Orthodo- xen auf der Welt umfasse. 4. Vorläufiges Fazit Für die Ukraine bleibt als vorläufi- ges Fazit, dass es nach wie vor zwei getrennte orthodoxe Kirchen gibt, die eine mit einer rechtlichen Anbindung an Moskau (UOK-MP), die andere mit einer an Konstantinopel (OUK). Die Ersthierarchen der beiden Kirchen Bild 3. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios unterzeichnet wandten sich unmittelbar nach dem den „Tomos“, in dem der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) die Beginn des Kriegs an die Öffentlich- Autokephalie gewährt wird. Rechts hinter ihm Metropolit Epiphanj. keit. Dass Metropolit Epifanij von der OUK den russischen Überfall verurteilte, war zu erwarten. dar – auch mit Auswirkungen auf die christliche Ökumene. Bemerkenswert ist hingegen die Reaktion von Metropolit Wie weit sind wir entfernt von der Vision von „Europa als Onufrij (Beresowskij), der 2014 nach dem Tod seines Vor- gemeinsamem Haus“, die in der Endphase des orthodox– gängers zum Primas der UOK-MP gewählt worden war. Er alt-katholischen Dialogs von beiden Seiten begrüßt wurde! forderte, es sei der Bruderkrieg zwischen dem ukrainischen n Die Orthodoxie, der Krieg in I. Die religiöse Landschaft der Ukraine der Ukraine und die Ökumene Die Orthodoxie wird in der Ukraine grundsätzlich in zwei Kirchen gelebt: Einerseits gibt es die unabhängige (in Von Geo rgios V l a n t is der Sprache der Orthodoxie: autoke- phale) Orthodoxe Kirche der Ukra- U m die 70 Prozent der der Russisch-Orthodoxen Kirche hat ine (OKU), mit Metropolit Epiphanj Ukrainer:innen sind ortho- sogar eine schwierige, aber auch not- Dumenko als Oberhaupt. Diese Kir- doxen Glaubens. Die Tra- wendige interchristliche Diskussion che steht Russland und seiner Kirche gik des Kriegs stellt für die Ostkirche veranlasst: Darf man eine Kirche bzw. äußerst kritisch gegenüber und betont eine der größten Herausforderungen Kirchenleitung als Teil der ökumeni- die Eigenständigkeit der ukrainischen der letzten Jahrzehnte dar, nicht nur schen Familie wahrnehmen, wenn sie Nation. Entstanden ist sie erst 2018, innerukrainisch, sondern auch auf der einen Krieg theologisch zu untermau- nachdem der Ökumenische Patriarch panorthodoxen Ebene. Die Haltung ern scheint? Bartholomaios, das Ehrenoberhaupt 12 Christen heute
der Orthodoxie, ein Konzil in Kiew der Krim), haben aber auch die UOK- Haltung der UOK-MP der OKU gegen- einberufen hat, dessen Ziel die Hei- MP und ihr Oberhaupt, Metropolit über. Zum ersten Mal wird Dialog- lung des langjährigen innerukraini- Onufrij, den Krieg scharf verurteilt. bereitschaft signalisiert, wenn auch schen Schismas sein sollte. Der Weg Seit dem Beginn dieser Tragödie unter Bedingungen. Die OKU hat sich zur Anerkennung dieser Kirche von beobachtet man eine tiefe Erschütte- bereit erklärt, in den Dialog einzustei- der ganzen orthodoxen Kirchen- rung innerhalb der UOK-MP. Sowohl gen, jedoch ohne Vorbedingungen. gemeinschaft scheint schwierig; die Aggression Russlands als auch die Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte inzwischen ist sie in voller Gemein- unterstützende Haltung der Leitung die OKU den Übertritt von Bischö- schaft mit den Kirchen von Kons- der Russischen Orthodoxen Kirche fen, Gemeinden und Mitgliedern der tantinopel, Alexandrien, Zypern und haben den Wunsch auf Trennung von UOK-MP in die OKU kirchenrechtlich Griechenland. Moskau sehr deutlich gemacht. Etli- erleichtert. „Unsere Türen sind offen“, Georgios Vlantis Stark ist ebenfalls die Ukraini- che Bischöfe haben in den vergange- war von Anfang an seitens der OKU zu ist griechisch- sche Orthodoxe Kirche (UOK-MP), nen Monaten aufgehört, Patriarch hören, gleichzeitig war aber die har- orthodoxer Theologe und sche Kritik gegen die andere Kirche Geschäftsführer sehr deutlich. Jedenfalls scheint der der Arbeits Weg zu einer wirklichen Versöhnung gemeinschaft immer noch lang und holprig. Vieles Christlicher hängt von der Entwicklung des Krie- Kirchen in Bayern ges und der Klärung des kirchenrecht- lichen Status der UOK-MP ab. Die toxische Situation von zwei weiterhin angefeindeten orthodoxen Kirchen innerhalb der versöhnungsbedürftigen ukrainischen Gesellschaft wird aller- dings nach dem Krieg schwer erträg- lich sein. III. Stimmen aus der Panorthodoxie und der Ökumene Wie haben die orthodoxen Kirchen in der ganzen Welt auf den Krieg reagiert? Alle sind darüber einig, dass der Krieg kein akzeptables Mittel zur Ruinen des Iwerskij-Klosters, Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (Moskauer Problemlösung sein darf. Alle betonen Patriarchat), Donbass 2015. Aus Wikimedia Commons. die Notwendigkeit des Gebets gerade in diesen finsteren Zeiten. Mehrere mit Metropolit Onufrij Beresow- Kyrills bei der Liturgie zu gedenken, haben finanzielle und materielle skij als ihrem Oberhaupt. Sie galt als Priester schrieben offene Protestbriefe Unterstützung für die Ukrainer:innen autonome Kirche des Moskauer Pat- gegen den russischen Patriarchen; angeboten. Ihre Reaktionen unter- riarchats. Vor dem Krieg hob sie die mehr als 400 Kirchengemeinden scheiden sich allerdings in der Bereit- Einheit von Russen und Ukrainern sind seit Kriegsbeginn in die OKU schaft, Russland als Aggressor klar zu besonders hervor, stand dem Westen übergetreten. benennen. Das Ökumenische Patriar- und der Ökumene kritisch gegenüber, Die UOK-MP befindet sich auf chat, die Oberhäupter der Kirchen verstand sich als die einzige legitime der Suche nach einem neuen, in der von Alexandrien, Zypern und Grie- Ausdrucksform der Orthodoxie in der angegriffenen Ukraine vertretbaren chenland, auch Rumänien haben es Ukraine und nahm die Autokephale Narrativ. Am 27. Mai beschloss ein getan; Kirchen, die näher zu Russland Kirche als schismatisch wahr. im Eilverfahren einberufenes Lan- stehen wie Antiochien oder Serbien deskonzil der UOK-MP Änderungen waren viel zurückhaltender und woll- II. Die orthodoxen Kirchen in ihres Statuts, die ihre Unabhängigkeit ten die Ebene abstrakter Äußerungen der Ukraine und der Krieg von Moskau deutlich machen. Seit und Wünsche nicht verlassen. Als der Krieg begonnen hat, wurde dem 29. Mai verhält sich Metropolit In großen Teilen der übrigen niemand von den scharfen Tönen Onufrij auf der liturgischen Ebene wie christlichen Welt bildet die scharfe überrascht, die die OKU wählte, um das Oberhaupt einer autokephalen namentliche Verurteilung Russlands den Krieg zu verurteilen. Als die Kirche. Die UOK-MP hat zwar konse- als Aggressor die Regel. Fassungslosig- russischen Panzer auf ukrainischen quent den Begriff in ihren Beschlüssen keit und Empörung bestimmen die Boden vorrückten und trotz der lang- vermieden, de facto geht es aber um Reaktionen vieler in der ökumeni- jährigen Zurückhaltung gegenüber eine selbsterklärte Autokephalie. schen Gemeinschaft, was die Haltung der russischen Aggression gegen die In den Beschlüssen des 27. Mai des russischen Patriarchen angeht. Ukraine (z. B. im Fall der Annexion stellt man einen Wechsel in der Mehrere wichtige Persönlichkeiten 6 6 . J a h r g a n g + A u g u s t + S e p t e m b e r 2 0 2 2 13
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