Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview

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Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
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Brandenburgisches

Ärzteblatt                                                                                                7 - 8 | 2020
Offizielles Mitteilungsblatt der Landesärztekammer Brandenburg | 30. Jahrgang | Juli – August 2020

                  Krisen-Management:
            Ursula Nonnemacher im Interview
                                                                                                        Seite 5
     Foto: MSGIV

                                                  Recht auf selbstbestimmtes             Wahl zur Kammerversammlung
                                                  Sterben                                9. Legislaturperiode
                                                  Seiten 8-10                            Seite 12

                                                  Informationen zum                      Prüfungstermine für
                                                  elektronischen Arztausweis             Medizinische Fachangestellte
                                                  Seiten 15-16                           Seiten 18-19
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
Jetzt online verfügbar: Ärzte Selbsthilfe Alkohol
                                             • 2-Minuten Schnelltest zur Einschätzung des eigenen Alkoholkonsums
                                             • Online-Programm zur Reduktion des Alkoholkonsums
                                             www.aerzteselbsthilfealkohol.de
                              Ein Angebot der Landesärztekammer Brandenburg und der salus kliniken

                                               Hilfe für suchtgefährdete Kolleginnen und Kollegen
                              Die Vertrauenspersonen der Landesärztekammer Brandenburg beraten und begleiten kollegial, auf Wunsch auch anonym.
                              Bitte bei E-Mails in der Betreffzeile „Hilfsprogramm“ angeben.

                                  Reto Cina, 16835 Lindow, Tel.: 033933 88110, cina@salus-lindow.de
 Weitere Informationen
unter „Arzt und Gesund-           Dr. med. Jürgen Hein, 17291 Prenzlau, Tel.: 03984 808604, jue.hein@web.de
               heit“ auf
        www.laekb.de              PD Dr. med. Maria-Christiane Jockers-Scherübl, 16761 Hennigsdorf, Tel.: 03302 5454211, jockers@oberhavel-kliniken.de
                                  Dr. med. Timo Krüger, 16761 Hennigsdorf, Tel.: 03302 5454211, timo.krueger@oberhavel-kliniken.de
                                  Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Johannes Lindenmeyer, 16835 Lindow, Tel.: 033933 88110, lindenmeyer@salus-lindow.de
                                  Dipl.-Med. Manfred Schimann, 03046 Cottbus, mschimann@web.de
                                  Prof. Dr. med. Ulrich Schwantes, 16766 Kremmen, Tel.: 033055 22488, ulrich.schwantes@praxis-schwante.de

Impressum                                               Redaktion                                               Das Brandenburgische Ärzteblatt erscheint
                                                        Landesärztekammer Brandenburg                           monatlich
Inhaber und Verleger                                    Anja Zimmermann M.A.                                    (Doppelnummer Juli/August).
Landesärztekammer Brandenburg                           Pappelallee 5, 14469 Potsdam                            Bezugsgebühr (ab Ausgabe 4/2010):
Präsident: Dipl.-Med. Frank-Ullrich Schulz              Telefon: 0331 505605-525                                jährlich € 35,00; ermäßigter Preis für Studenten
Pappelallee 5, 14469 Potsdam                            Telefax: 0331 505605-538                                € 17,50. Einzelpreis € 3,35.
Telefon: 0331 505605-520                                E-Mail: aerzteblatt@laekb.de                            Bestellungen bitte an die Druckerei Schiemenz
Telefax: 0331 505605-769                                                                                        GmbH, Byhlener Straße 3, 03044 Cottbus.
                                                                                                                Die Kündigungsfrist für Abonnements beträgt
                                                        Repro, Satz, Druck, Herstellung,
Herausgeber                                                                                                     sechs Wochen zum Ende des Kalenderjahres. Für
                                                        Verlagswesen
Dipl.-Med. Frank-Ullrich Schulz                                                                                 die Mitglieder der Brandenburgischen Ärztekam-
                                                        Druckerei Schiemenz GmbH
                                                                                                                mer ist der Bezugspreis mit dem Mitgliedsbeitrag
                                                        Byhlener Straße 3, 03044 Cottbus
                                                                                                                abgegolten.
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den Herausgeber zu richten. Für mit Autoren­            Telefax 0355 87707-128
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licher und standespolitischer Art sowie Artikel,                                                                Wenn Sie Ihre Texte im Word erfassen, achten
                                                        Vertrieb
die die Kennzeichnung „Pressemitteilung von …“                                                                  Sie bitte darauf, die Texte im txt- oder doc-For-
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Umschlag mit Rückporto beiliegt. Mit der Annah-
me von Originalbeiträgen zur Veröffentlichung
erwirbt der Herausgeber das uneingeschränkte
Verfügungsrecht. Änderungen redaktioneller Art
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Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
Brandenburgisches

            Ärzteblatt
            Offizielles Mitteilungsblatt der Landesärztekammer Brandenburg | 30. Jahrgang | Juli – August 2020                                                                                                       7 – 8 | 2020
              KAMMERINFORMATIONEN / GESUNDHEITSPOLITIK
            Interview mit Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
            Grundgesetz garantiert Recht auf selbstbestimmtes Sterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
            Neue Musterweiterbildungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
            Wahl zur Kammerversammlung der 9. Legislaturperiode (2021 – 2026) . . . . 12
            Zum Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
            Corona und die Werte in der Medizin – Eine Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
            Der elektronische Arztausweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
            30 Jahre LÄKB – Interview mit Dr. med. Udo Wolter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
            Prüfungstermine für MFA – Herbst und Winter 2020/21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Seite 5     Bewerbungsfrist für Gesundheitspreis Brandenburg verlängert .. . . . . . . . . . . . . . . 19
             AKTUELL
           Empfang Marburger Bund Berlin-Brandenburg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
           Schulterschluss der Herzmedizin – Wir dulden keinen Rassismus .. . . . . . . . . . . . . 21
           Hartmannbund: Kassen in die Pflicht nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
           Gesundheitspolitischer Arbeitskreis der CDU .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
           Leben und arbeiten in Zeiten der Pandemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
           7. Brandenburger Krebskongress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
           Datenanalyse aus dem Klinischen Krebsregister für Brandenburg . . . . . . . . . . . . . 27
           Zeit im Wandel – Technisches Schnupper-Webinar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
           Neuer BZgA-Leitfaden – Alkoholkonsum früh ansprechen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Seite 22
             ARZT UND RECHT
            Von Fall zu Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
            Steuertipp .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
              FORTBILDUNG
            Fortbildungsangebote für Ärzte und MFA/MTRA .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                             34
            Update Suchtmedizin .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                         35
            KKRBB – Einladung zur 1. entitätenspezifischen Qualitätskonferenz .. . . . . . . .                                                                                                         36
            Zertifizierte Kasuistik – Folge 65 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                      37
              PERSONALIA
Seite 23    Wir gratulieren zum Geburtstag im Juli und August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
              REZENSIERT
           „Wegbereiter der Diabetologie in Deutschland“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
              WEITERE RUBRIKEN
            Editorial .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
            Das Siechenheim Eilanghof bei Reppen (Rzepin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
            Kurse und Fortbildungsangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
            KVBB informiert .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
            LAGV: Infektionsschutz/Impfschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

                                                                                                                         Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020 |                                             3
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
EDITORIAL

                                   Liebe Kolleginnen und Kollegen,

                                     viele von Ihnen haben in diesen Mo-       teilweise in der unmittelbaren Patien-    alarmierend. Ein verschleppter Herzin-
                                   naten sicher ihren Urlaub geplant.          tenversorgung mitzuwirken.                farkt oder ein zu spät entdeckter Tu-
                                   Nicht für jeden wird dieser Sommer so         Weil wir dieses gut funktionierende     mor sind in der Regel sehr viel folgen-
                                   verlaufen, wie er es gewohnt ist.           Gesundheitssystem haben, können           reicher als eine Corona-Infektion.
                                     Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat            wir jetzt mit Umsicht und mit Vor-          Es bleiben aber noch ungelöste Fra-
                                   nicht nur unsere Urlaubsplanung ver-        sicht einen Weg in die Normalität         gen für die Zukunft. Die Krisenpräven-
                                   ändert, es hat unsere Welt verändert.       wagen. Unter den wirklich guten Vor­      tion in Deutschland hat sich als unzu-
                                   Es hat unsere unmittelbare Lebens-          aussetzungen in Deutschland sind          reichend erwiesen. Fehlende Schutz-
                                   wirklichkeit in nie dagewesener Weise       die zahlreichen Demonstrationen ge-       kleidung und Atemschutz­masken stel-
                                   beeinflusst – und tut es noch immer.        gen die Schutzmaßnahmen für mich          len eine Gefahr für alle in der Patien­
                                     Vieles wird uns in Erinnerung bleiben:    unverständlich. Die Coronakrise ruft      tenversorgung tätigen Kollegen dar.
                Dipl.-Med.         die Bilder aus italienischen Kranken-       Verschwörungstheoretiker und selbst       Die Abhängigkeiten von Lieferketten
      Frank Ullrich Schulz,        häusern, die absurden Dementis aus          ernannte Whistleblower auf den Plan,      für Schutzkleidung und Atemmasken
Präsident der Landesärzte­
     kammer Brandenburg
                                   Amerika und Brasilien oder einen kaum       die der Politik und der Wissenschaft      sowie dringend benötigte Medikamen-
             Foto: Elmar Esser     für möglich gehaltenen Lockdown des         finstere Machenschaften vorwerfen.        te aus dem nichteuropäischen Ausland
                                   gesellschaftlichen und wirtschaftlichen       Man könnte dies auch Präventionspa-     müssen unverzüglich beendet werden.
                                   Lebens in Deutschland. Während das          radox nennen: Der Erfolg von Vorsicht,      Der Öffentliche Gesundheitsdienst
                                   Land in einer Art künstlichem Koma          Vorsorge und engagierten Medizinern       braucht qualifizierte Kräfte im ärztli-
                                   war, arbeitete das Gesundheitssystem        und medizinischem Personal bestärkt       chen und nichtärztlichen Bereich, die
                                   auf Hochtouren und ich denke, das           den Eindruck, dass die Bedrohung so       gut ausgebildet sind und auch ad-
                                   hat in Deutschland den Unterschied          groß ja nicht gewesen sein kann. Eben     äquat bezahlt werden. Hier hat die
                                   gemacht.                                    dieser Erfolg gibt den Verschwörungs-     Corona-Krise das traurige Ergebnis des
                                     Die ambulanten und stationären Kol-       theoretikern noch Wasser auf ihre         Sparzwanges offenbart.
                                   leginnen und Kollegen haben mit dem         Mühlen.                                     Niemand ist gegen rationale Spar-
                                   Ministerium für Soziales, Gesundheit,         Für besonders gefährlich halte ich      samkeit bei der Krankenhausplanung
                                   Integration und Verbraucherschutz           Verschwörungstheorien, die von ärzt-      und -finanzierung. Profitorientiertes
                                   des Landes Brandenburg und dem Öf-          lichen Kollegen in die Welt getragen      Denken passt aber auf keinen Fall zu
                                   fentlichen Gesundheitsdienst Hand in        werden. Hier entsteht eine nicht zu       unserem Gesundheitssystem. Kran-
                                   Hand gearbeitet. Diese Form der Zu-         rechtfertigende Verunsicherung der        kenhäuser sind, wie Arztpraxen, Ein-
                                   sammenarbeit und des gemeinsamen            Patienten und letztendlich der Bevölke­   richtungen der Daseinsvorsorge, für
                                   Vertrauens ist nicht selbstverständlich.    rung, durch welche nicht nur die Un-      deren Funktionieren der Staat durch
                                   Dafür möchte ich mich bei Ihnen allen       zufriedenheit mit der Situation an sich   verantwortbare Rahmenbedingungen
                                   herzlich bedanken.                          befeuert wird. Bei vielen Patienten       zu garantieren hat.
                                     So konnten unter anderem mit unse-        führt es zur Unsicherheit, im Bedarfs-      Eine Rückbesinnung auf diese Grund-
                                   rer Hilfe die Absolventen des zehnten       fall einen Arzt aufzusuchen, aus Angst,   sätze muss das prioritäre Ziel der
                                   Fachsemesters der MHB die schriftliche      sich dabei mit COVID-19 anzustecken.      künftigen Gesundheitspolitik sein.
                                   M2-Prüfung ablegen und die MFA-Prü-           Ein gesundes Maß an Skepsis scheint     Die Landesärztekammer Brandenburg
                                   fungen konnten stattfinden.                 mir grundsätzlich angebracht. Richtig     wird noch in diesem Jahr im Rahmen
                                     In unserem Haus wurden die                ist: In der akuten Phase einer Pandemie   eines Symposiums Impulse setzen, die
                                   Facharztprüfungen und die Fach-             kann man immer nur „auf Sicht fah-        die dringend notwendige gesamtge-
                                   sprachtests, wenn auch unter Sicher-        ren“. Aber wenn die Sicht besser wird,    sellschaftliche Diskussion über eine
                                   heitsauflagen, weiter durchgeführt          dann darf man auch wieder etwas Gas       patientenorientierte Zukunft unseres
                                   und nicht zuletzt unsere Kammerver-         geben. Man sollte es sogar, weil sonst    Gesundheitssystems mit voranbringen
                                   sammlung im Juni. Unter großem or-          der Rückstau immer größer wird und        sollen.
                                   ganisatorischen Aufwand haben wir           das dann wieder zu neuen Problemen
                                   die neue Weiterbildungsordnung ver-         führt.                                     Ich wünsche uns allen eine Zeit des
                                   abschiedet.                                   Die Infektionszahlen entwickeln         Durchatmens, einen schönen Sommer
                                     Die Landesärztekammer Branden-            sich auf eine Art und Weise, die gut      und eine schöne Urlaubszeit.
                                   burg hat einen Aufruf an Kolleginnen        zu handhaben ist. Deshalb ist auch
                                   und Kollegen im Ruhestand gestartet,        die Rückkehr zur Regelversorgung in
                                   sich unterstützend einzubringen. Rund       den Praxen und die Wiederaufnahme
                                   70 Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand         elektiver Eingriffe in den Kliniken das
                                   sind diesem gefolgt und haben sich be-      Gebot der Stunde. Die teils drastischen   ■ Ihr Frank-Ullrich Schulz
                                   reit erklärt, in der telefonischen Coro-    Rückgänge an Patienten, welche man-
                                   na-Beratung von Patienten, aber auch        che Facharztgruppen verzeichnen, sind

                           4     | Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

GESUNDHEITSMINISTERIN URSULA NONNEMACHER

„Das Virus führt uns unsere gesellschaftlichen Defizite
vor Augen“

 Ökonomisierung, Deglobalisie-          das kann man gar nicht hoch genug
rung, Klimawandel, Verschwö-            loben. Vor kurzem gab es einen Ex-
rungstheorien – das Management          pertenrat, die „Leere-Betten-Pauscha-
der Corona-Pandemie umfasst ein         le“ noch einmal zu überprüfen. Man
weites Spektrum und beinhaltet          hat gewisse Modifizierungen in fünf
ein permanentes Nachjustieren           Kategorien vorgeschlagen. Im Land
getroffener Maßnahmen durch             Brandenburg haben wir diese Mo-
die Politik. Ursula Nonnemacher,        difizierungen nach Rücksprache mit
Ministerin für Soziales, Gesund-        der Landeskrankenhausgesellschaft
heit, Integration und Verbraucher-      als adäquat bewertet. Ich kenne die
schutz des Landes Brandenburg           Klagen der Schwerpunktversorger, die
erläutert in einem Interview für        sich schlecht behandelt fühlten, aber
das Brandenburgische Ärzteblatt         es ist immer schwierig, allen gerecht
die Schwierigkeiten, die Coro-          zu werden. Im Großen und Ganzen                                                           Brandenburgs Gesund-
                                                                                                                                  heitsministerin Ursula
na-Krise politisch zu lenken und        würde ich sagen, hat Deutschland                                                          Nonnemacher
gibt einen Überblick über einige        eine gute Figur abgegeben. Die Maß-                                                       Foto: Henrik Rauch, MSGIV
aus der Krise getroffene Erkennt-       gabe war, die Überlastung unseres
nisse und sich daraus ergebende         Gesundheitssystems zu verhüten, al-      Vorhaltekosten, Personalvergütung bis
Chancen und Möglichkeiten.              len Patienten ausreichende, qualita-     hin zur Abkehr vom DRG-System, die
                                        tiv hochwertige Versorgung zur Ver-      von einigen verstärkt gefordert wird,
Halten Sie die Finanzierungspläne, fügung zu stellen, Triage-Szenen zu           ist nun neu entfacht worden und wir
unter anderem die 560 Euro „Lee- vermeiden. Das ist hundertprozentig             müssen uns ihr auch weiterhin stellen.
re-Betten-Pauschale“ für Kliniken, gelungen.
die im Zuge der Corona-Pandemie                                                  Weg von der Ökonomisierung des
von Bund und Ländern entwickelt Die vor der Pandemie von Bundes-                 Gesundheitswesens – hin zum Pa-
wurden, für ausreichend oder gesundheitsminister Jens Spahn                      tientenwohl: in den vergangenen
muss nach Ihrer Meinung, auch im vorgeschlagene bundesweite Re-                  Jahren gab es verschiedene Mo-
Hinblick auf zukünftige mögliche duzierung von Krankenhäusern                    delle, um Kliniken „effektiver“ zu
Pandemie-Situationen, nachjus- hätte sicher nicht zu dieser Ein-                 machen. Wie kann das Patienten-
tiert werden?                           schätzung geführt.                       wohl wieder in den Vordergrund
Ursula Nonnemacher: Dieses Virus Wir im Land Brandenburg standen                 rücken ohne finanzielle Engpässe
hat Anfang Januar die Weltbühne dieser sogenannten Flurbereinigung               zu erzeugen?
betreten und hat ein pandemisches sowieso immer schon kritisch gegen-            Wir sind in den letzten Jahren zu sehr
Geschehen von kaum vergleichbarem über, weil wir uns in einem großen             in die Schiene des Finanzierungsas-
Ausmaß ausgelöst. Man konnte auf Flächenland mit unseren 54 Kranken-             pektes geraten. Wenn finanziell nicht
keine einschlägigen Erfahrungen zu- häusern an verschiedenen Standorten          mehr darstellbar ist, in einer altern-
rückgreifen, ähnlich wie damals bei nie als überversorgt gesehen haben.          den Gesellschaft Kinderkliniken vorrä-
der Spanischen Grippe 1918/19. Es Ich denke, diese Pandemie hat uns              tig zu halten oder wenn Geburtshilfe
musste in der sehr schwierigen Situ- jetzt vor Augen geführt, was für ei-        großflächig schließt, die ja zur Grund-
ation eines exponentiellen Anstieges nen unglaublichen Schatz wir auch           versorgung der Bevölkerung gehört,
von Infektionsgeschehen gehandelt an unseren Krankenhäusern haben.               dann muss man kritisch hinterfra-
werden. Ich finde, dass letztendlich Um eine solche pandemische Lage             gen, ob das der richtige Weg ist. Wir
gut gehandelt wurde, denn immerhin zu bewältigen, bedarf es eines gut            dürfen nicht nur auf DRGs schauen
haben die Instrumente des Kranken- funktionierenden Gesundheitssystems           oder auf den Case-Mix-Index, um
haus-Entlastungsgesetzes dazu ge- sowohl in ambulanter als auch in               das wirtschaftliche Überleben un-
führt, dass die Kliniken ihrem Auftrag, stationärer Hinsicht. Ich bin der Mei-   serer Krankenhäuser zu garantieren,
sehr schnell Betten frei zu räumen nung, dass Deutschland auch hier im           sondern wir müssen sehen, dass sie
und damit Behandlungskapazitäten internationalen Vergleich eine ausge-           auch unabhängig davon finanziert
zur Verfügung zu stellen, nachkom- sprochen gute Figur abgegeben hat.            werden können. Wir erleben gerade,
men konnten.                            Wir haben die Krise bisher gut bewäl-    wie wichtig es ist, flexibel auf andere
Die Hilfen von Bund, Ländern und tigt. Der Wert der Krankenhäuser ist            Bedarfe einzugehen, aber die Struk-
Kommunen wurden beherzt, schnell uns dadurch noch einmal bewusst                 turen müssen dafür bereitgestellt und
und konsequent ergriffen – ich finde, geworden, und die Diskussion um            nicht infrage gestellt werden.

                                                                                    Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020 |   5
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

      Um die zukünftige Versorgung                haben wir hier andere Arbeitsschutz-     Produktionen im Rahmen der EU zu
      mit Medikamenten und Schutz-                standards, andere Umweltstandards,       befördern, wohlwissend, dass es we-
      ausrüstung auch im Pandemiefall             andere Produktionsverhältnisse. Das      gen der höheren Produktionskosten
      sicherzustellen, muss auch über             wird einige Produkte verteuern, aber     dafür auch finanzieller Anreize be-
      Deglobalisierungsmaßnahmen                  die Gesellschaft muss sich überlegen,    darf. Das ist ein guter Weg, und ich
      nachgedacht werden. Ärzte äu-               ob sie für diese Versorgungssicherheit   setze insbesondere auf europäische
      ßern schon jetzt die Befürchtung,           auch einen entsprechenden Preis be-      Zusammenarbeit. Nicht jedes Land
      dass eine ausreichende Versor-              zahlt.                                   muss dabei alles machen, aber man
      gung mit bestimmten Medika-                 Dasselbe sehen wir auf dem Arznei-       muss gemeinsam etwas vorhalten.
      menten unter Umständen nicht                mittelmarkt. Schon seit vielen Jahren    Wobei wir allerdings zu Beginn der
      mehr gewährleistet werden kann,             gibt es immer wieder Klagen, dass        Hochphase der Krise oder im Shut-
      wenn die Produktion außerhalb               bestimmte Arzneimittel schwer liefer-    down gemerkt haben, dass bedau-
      Deutschlands und Europas statt-             bar sind. Auch an dieser Stelle muss     erlicherweise sehr schnell nationale
      findet. Wie kann hier eine De­              man darüber nachdenken, dass die         Egoismen wieder zum Tragen kamen,
      globalisierung stattfinden, die             entsprechenden Stoffe im europäi-        die sich in Exportstopps in europä-
      am Ende auch bezahlbar bleibt?              schen Raum produziert und vorge-         ische Nachbarländer äußerten oder
      Zudem hätte eine wirtschaftliche            halten werden sollten. Wenn man          in der Requirierung von knappen Lie-
      Deglobalisierung auch positive              einzelne Produkte in einer einzigen      ferungen die unterwegs waren. Das
      Auswirkungen auf den Klimawan-              Firma weltweit herstellt und es bricht   ist verständlich in einer solchen Krise,
      del. Welche Möglichkeiten bzw.              dort eine Havarie aus, dann ist die      aber auch da müsste die europäische
      Maßnahmen sehen Sie, um künf-               Welt abhängig von diesem einen Pro-      Zusammenarbeit deutlich gefördert
      tig wirtschaftliche Interessen mit          duktionsstandort und wir müssen na-      werden. Man muss sich gemeinsamer
      Klimafreundlichkeit zu verbinden            türlich auch berücksichtigen, dass wir   Problemlösungsstrategien bewusst
      bzw. an dieser Stelle Kompatibili-          durch diese Art der Produktion vie-      werden.
      tät herzustellen?                           les in die dritte Welt verlagern. Dort
      Ich denke, diese Corona-Pandemie,           tauchen dann die Klagen auf über         Im Zuge des Managements von
      dieses Virus führt uns an ganz vie-         sehr schlechte Umwelt- und Arbeits-      COVID-19 hat der Öffentliche
      len Stellen der Gesellschaft vor, wo        schutzstandards. Fabriken in Bangla-     Gesundheitsdienst eine tragen-
      strukturelle Probleme bestehen. Es ist      desch, die einstürzen mit Tausenden      de Rolle gespielt und tut es auch
      ein gigantischer Belastungstest für         von Arbeitern, das können wir nicht      weiterhin. Seit vielen Jahren wird,
      viele Problemlagen. Man muss genau          ausblenden.                              nicht nur von Ärztegewerkschaf-
      betrachten, warum in bestimmten             Eine internationale Arbeitsteilung       ten, immer wieder eine Stärkung
      Verhältnissen besonders häufig In-          können wir hier nicht komplett zu-       des ÖGD gefordert – personell
      fektionen auftauchen. Beispielsweise        rückschrauben und wir werden auch        und finanziell.
      die Nähe und Enge in Gemeinschafts-         die Deglobalisierung nicht so weit vo-   Wir haben gemerkt, wie dringend
      unterkünften für Asylsuchende oder          rantreiben können, dass internationa-    notwendig so eine Struktur wie der
      die unzuträglichen Unterbringungs-          le Handelsbeziehungen und Lieferket-     ÖGD ist. Was für eine unglaublich
      bedingungen von Saisonarbeitern.            ten keine Rolle mehr spielen. Zumin-     wichtige Rolle er spielt und was er in
      Hier hat man erkannt, dass das Virus        dest muss man aber die Strukturen        der pandemischen Situation geleistet
      ein Indikator ist. Man muss heraus-         und Zustände immer wieder kritisch       hat und weiterhin leistet. Wir haben
      finden, was dort in diesem Zusam-           überprüfen und in Teilen auch wieder     festgestellt, dass der ÖGD personell
      menhang nicht funktioniert. So sehen        umgestalten.                             dringend verstärkt werden muss. Dies
      wir das jetzt auch bei der Versor-                                                   muss einerseits durch eine Steigerung
      gungssicherheit und der Ausstattung         Bei dem Gedanken spielen auch            der Attraktivität für die ärztlichen
      mit persönlicher Schutzausrüstung           die internationalen Beziehungen          Mitarbeiter passieren. In der Regel
      sowie bei Medikamentenengpäs-               eine Rolle, die durch Degloba-           wird in diesem Bereich deutlich we-
      sen. In Bezug auf eine persönliche          lisierungsmaßnahmen Schaden              niger verdient als beispielsweise in
      Schutzausrüstung gab es innerhalb           nehmen können. Wie kann man              Krankenhäusern, da müssen wir drin-
      der Corona-Pandemie natürlich eine          eine „Arbeitsteilung“ konfliktfrei       gend nachziehen. Brandenburg hat in
      beispiellose Nachfrage auf dem Welt-        gestalten?                               der Vergangenheit versucht, Anreize
      markt. Aber es hat uns noch einmal          Ich weiß die internationale Zusam-       über die Akademie für Öffentliches
      vor Augen geführt, wie abhängig wir         menarbeit oder auch die Vorteile ei-     Gesundheitswesen zu schaffen, über
      von diesen internationalen Lieferket-       ner globalisierten Welt sehr zu schät-   die Stärkung von Fortbildungsange-
      ten sind und dass aus Deutschland           zen. Und ich befürworte auch die         boten. Aber ich denke, da ist noch
      zu viel ausgelagert worden ist. Man         europäische Zusammenarbeit. Aber         Luft nach oben und es betrifft natür-
      sollte anstreben, dass zumindest für        auch da müssen wir einen vernünf-        lich auch das andere Fachpersonal
      den europäischen Markt auch wie-            tigen Mittelweg finden. Ich denke,       des ÖGD. Unsere Gesundheitsämter
      der in Europa produziert wird. Das          die Bundesregierung hat mit ihren        mussten im Zuge der Pandemie zum
      ist natürlich auch mit Einschränkun-        Konjunkturpaketen und auch schon         Teil erheblich durch andere Mitarbei-
      gen verbunden. Die Produktionskos-          vorher im Corona-Kabinett einen          tende aus der Kreisverwaltung ver-
      ten sind hier natürlich höher. Zudem        Aktionsplan aufgelegt, inländische       stärkt werden. Das war schwierig,

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Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

weil sie keine Vorkenntnisse hatten.      zu tun, die erstmal beängstigen, die
Trotzdem haben sie sich aber in die       unerklärt sind. Nur ganz allmählich
Aufgabe gestürzt. Ich möchte mich         wird unser Wissen darüber größer.
an dieser Stelle herzlich dafür bedan-    Am Anfang hatten wir kaum gesi-
ken, dass sie die Herausforderung         cherte Erkenntnisse. Solche Unsicher-
angenommen haben. Aber wir haben          heiten machen Angst und beflügeln
auch durch Studierende unterstützt,       solche Irrationalismen. Man muss von
die im ÖGD Praktika abgeleistet ha-       politischer Seite aus versuchen, durch
ben, bis hin zu Soldaten der Bun-         immer wieder klares, transparentes
                                                                                                                                   Im Gespräch mit
deswehr, die hier im Land bei der         Handeln und durch Aufklärung dage-                                                       Ursula Nonnemacher
Kontaktnachverfolgung ausgeholfen         gen anzugehen. Das ist der Bundes-                                                       Foto: Gabriel Hesse
haben. Auch da kann ich nur sagen:        republik und dem Land Brandenburg
Herzlichen Dank! Das war Hilfe, derer     bisher gut gelungen.                    haben. In Brandenburg haben wir ei-
wir dringend bedurften, aber insge-                                               nen Rettungsschirm über 2 Mrd. Euro
samt müssen wir uns der weiteren          Trotzdem wird es Verlierer geben für Coronafolgen aufgespannt. Das
Stärkung dieser Struktur annehmen.        nach der Krise…                         Kurzarbeitergeld ist verlängert wor-
                                          Wir wissen alle, dass wir noch nicht den. Natürlich wird der Staat nicht
Die Unzufriedenheit in der Bevöl-         durch die Pandemie gekommen sind. jede individuelle Betroffenheit 100 %
kerung, ausgelöst durch die Si-           Wir haben jetzt im Moment eine sehr kompensieren können, aber ich den-
cherheitsmaßnahmen der Bundes-            erfreuliche Phase der Stabilisierung ke, wir bieten ein sehr gutes, soziales
sowie Landesregierung (-en) im            auf sehr, sehr niedrigem Niveau. Das Netz an. Ich finde, die Bundesrepublik
Zuge von COVID-19, wächst. Ver-           Infektionsgeschehen in Brandenburg hat sich mit den sozialen Netzen als
schwörungstheoretiker befeuern            ist momentan kaum noch nachzuwei- belastungsfähig erwiesen. Natürlich
Skeptiker und Pessimisten. Schon          sen, die Neuinfektionsinzidenz liegt haben wir hier einen Einbruch der
vor der Pandemie Unzufriedene             bei 0,8 pro 100.000 Einwohnern über Exportrate um 30 %, einen Rück-
werden noch unzufriedener. Un-            sieben Tage (Stand: 10. Juni 2020, gang des Bruttosozialproduktes – es
tersuchungen belegen, dass sich           Anm. der Redaktion). Das ist ausge- ist eine sehr, sehr große Krise. Aber
Gesellschaften, die sich in Krisen-       sprochen niedrig und liegt deutlich insgesamt glaube ich schon, dass die
situationen befinden, häufig ra-          unter dem ebenfalls sehr niedrigen Gesellschaft das gemeinsam bewälti-
dikalisieren. Wie schätzen Sie als        Bundesdurchschnitt.                     gen kann. Natürlich müssen wir auf
(Gesundheits-) Politikerin des Lan-       Ich denke, durch diesen sehr konse- politischer Ebene auch weiterhin im-
des Brandenburg diese Situation           quenten Shutdown haben wir uns mer wieder nachjustieren.
ein und welche politischen Maß-           eine gute Position erarbeitet. Wir Das Virus führt uns unsere gesell-
nahmen erachten Sie als wichtig,          wissen nicht, ob die Infiziertenrate schaftlichen Defizite vor Augen. Dabei
um mögliche Radikalisierungen             irgendwann wieder ansteigt.             denke ich in erste Linie an das Thema
dauerhaft zu vermeiden?                   Zudem gibt es ständig politische Kri- Digitalisierung. Da hätten wir schon
Hygienedemonstrationen, Verschwö-         sen. Wir hatten die Finanzkrise durch weiter sein können und müssen. In
rungstheorien, Unzufriedenheit, De-       den Zusammenbruch des Bankensek- der Phase des Shutdowns haben wir
monstrationen gegen die Corona-Dik-       tors, wir stecken in einer sehr bedroh- gemerkt, wie sehr wir auf die Digita-
tatur: all diese Dinge bauten sich zu     lichen Langzeitkrise, der Klimakrise, lisierung angewiesen waren. Auch in
Beginn der Lockerungen auf. Das hat       die mich weiterhin sehr stark beun- der Gleichstellungspolitik oder inner-
mich beunruhigt und nachdenklich          ruhigt. Sie kann nicht, wie diese Pan- halb der Bildungsdebatte hätten wir
gemacht. Inzwischen ebbt es aber          demie irgendwann, mit einer Impfung eigentlich schon weiter sein müssen.
schon wieder ab.                          oder einem Medikament oder durch Wir haben in vielen Bereichen noch
Sicherheitsmaßnahmen zurückzufah-         eine Durchseuchung der Bevölkerung immer erhebliche Defizite, die unter
ren ist teilweise noch anspruchsvoller,   zum Stillstand gebracht werden. Aber dem Fokus des Corona-Virus deutlich
als das Reingehen in einen Lockdown.      in jeder Krise und in jedem Umbruch an die Oberfläche kommen. Man hat
Man hat auf politischer Ebene sehr        hat man Arbeitslosigkeit oder auch sich diese Krise nicht gewünscht, man
schwierige Entscheidungen zu tref-        neue      Unternehmensgründungen. muss aber auch schauen, welche Er-
fen: Welche Zeitabschnitte nimmt          Man hat immer Verlierer und Gewin- kenntnisse sie bietet, beispielsweise
man? Was lockert man? In welchem          ner und ich finde, auch da hat die um bestimmte, durchaus positive
Abstand? Trotz aller Schwierigkei-        Bundesrepublik als Sozialstaat, der Entwicklungen auch weiterhin zu for-
ten finde ich aber, dass es uns ganz      funktioniert, sehr viele Angebote cieren.
gut gelingt. Die Verschwörungsthe-        gemacht. Wir haben Rettungsschir-
orie, hier sei eine Corona-Diktatur       me, Hilfspakete, Konjunkturpakete
am Werke, hat viele Menschen nicht        sowohl im Bund als auch im Land ■ Das Gespräch führte Anja Zimmermann M.A.
überzeugt. Verschwörungstheoretiker       von beispiellosem Ausmaß. Gerade
hat es gerade in Krisenzeiten und be-     das 130 Mrd.-Euro-Konjunkturpaket
sonders auch bei Seuchengeschehen         oder allein das Krankenhaus-Entlas-
immer gegeben. Wir haben es auch          tungsgesetz wird bis Ende September
bei COVID-19 mit vielen neuen Dingen      10 Mrd. Euro Umfang angenommen

                                                                                     Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020 |   7
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

      GRUNDGESETZ GARANTIERT RECHT AUF SELBSTBESTIMMTES STERBEN

      Nach Urteil des Verfassungsgerichts muss Politik
      die Sterbehilfe neu regeln

       Mit einem viel beachteten Ur-               Organisationen unter Strafe zu stellen        Selbstbestimmung von Staat und Ge-
      teil erklärte der zweite Senat des           – ganz gleich ob mit kommerzieller            sellschaft zu respektieren.“
      Bundesverfassungsgerichts am                 oder nichtkommerzieller Absicht. Nur
      26. Februar 2020 den § 217 des               in Einzelfällen beziehungsweise durch           Mit dieser Begründung hat der Zweite
      Strafgesetzbuches, also das Ge-              Angehörige oder dem Sterbewilligen            Senat entschieden, dass das in § 217
      setz gegen geschäftsmäßige Ster-             nahestehende Personen sollte die Hilfe        des Strafgesetzbuchs (StGB) normier-
      behilfe, für verfassungswidrig.              zur Selbsttötung wie zuvor erlaubt blei-      te Verbot der geschäftsmäßigen För-
      Damit wird die Diskussion neu                ben. Der Antrag erhielt in der dritten        derung der Selbsttötung gegen das
      eröffnet.                                    Lesung am 6. November 2015 mit 360            Grundgesetz verstößt und nichtig ist,
                                                   zu 233 Stimmen bei neun Enthaltun-            weil es die Möglichkeiten einer assis-
        Kontrovers diskutiert wurden die           gen schließlich die absolute Mehrheit         tierten Selbsttötung faktisch weitge-
      möglichen Einschränkungen der Ster-          der abgegebenen Stimmen. Das Ge-              hend ausschließt. Hieraus folgt nicht,
      behilfe auch im Deutschen Bundes-            setz trat am 1. Dezember 2015 in Kraft.       dass es dem Gesetzgeber von Verfas-
      tag von Anfang an. Denn das Thema            Damit war insbesondere den Sterbehil-         sungs wegen untersagt ist, die Suizid-
      ist gerade in Deutschland mit seiner         fevereinen die rechtliche Grundlage für       hilfe zu regulieren. Er muss dabei aber
      Euthanasie-Geschichte       besonders        ihr Handeln entzogen. Gerade die letz-        sicherstellen, dass dem Recht des Ein-
      sensibel. Und so verwunderte es auch         te Feststellung wird teilweise als sehr       zelnen, sein Leben selbstbestimmt zu
      nicht, dass für die abschließende Ab-        weitgehend kritisiert.                        beenden, hinreichend Raum zur Entfal-
      stimmung im Deutschen Bundestag                                                            tung und Umsetzung verbleibt.“
      der so genannte Fraktionszwang au-                    Recht auf
      ßer Kraft gesetzt wurde. 2012 war             selbstbestimmtes Sterben                      Existenzielle Grundfragen
      eine entsprechende Gesetzesinitiative                                                              des Daseins
                                                      in jeder Lebensphase
      bereits gescheitert.
                                                    Der Widerstand der Gegner war                  Der Präsident des Bundesverfassungs-
       Vier Gesetzentwürfe, die von frakti-        damit nicht gebrochen. Mehr als ein           gerichts, Andreas Voßkuhle, räumte zu
      onsübergreifenden Gruppen vorgelegt          Dutzend Klagen wurden beim Bundes-            Beginn der Urteilsverkündung ein, die
      worden waren, lagen der Diskussion           verfassungsgericht eingereicht. Über          Entscheidung sei den Richtern nicht
      im Plenum zugrunde. Deren Bandbrei-          sechs davon verhandelten die Verfas-          leichtgefallen. Es handele sich um ein
      te reichte von einem strafbewehrten          sungsrichter. Darunter war eine Klage         hoch emotionales und „seit der Anti-
      Komplettverbot der Anstiftung und            des Vereins „Sterbehilfe Deutschland“         ke“ kontrovers diskutiertes Thema, das
      Beihilfe zur Selbsttötung für Ärzte,         sowie auch Beschwerden von Ärzten,            mit den „existenziellen Grundfragen“
      Selbsthilfevereine und auch Angehöri-        die um die Betreuung Schwerstkranker          des menschlichen Daseins verknüpft
      ge bis hin zu einer so genannten „po-        und Sterbender fürchten und das Ge-           sei.
      sitivrechtlichen Liberalisierung der Hilfe   setz auf seine Verfassungsmäßigkeit
      zum Suizid“.                                 prüfen lassen wollten. Am 26. Februar           Und damit traf der damalige Präsi-
                                                   erfolgte das Urteil des BVerfG, das           dent des obersten deutschen Gerichts
                 Gesetz                            dem Gesetz attestierte, nicht verfas-         genau den Punkt. Darf ein Mensch
          ohne Fraktionszwang                      sungsgemäß zu sein.                           selbstbestimmt entscheiden, wann
                                                                                                 und wie er stirbt? Wer darf ihm dazu
          mit absoluter Mehrheit
                                                    Im Urteil heißt es: „Das allgemeine          verhelfen – Ärzte, Angehörige, der
               beschlossen                         Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1           Staat? Das Thema berührt nicht nur
        Nach einer gut einjährigen auch ge-        in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)           rechtliche Grundsatzfragen, sondern
      sellschaftlichen Diskussion sprach sich      umfasst ein Recht auf selbstbestimm-          auch heikle ethische, moralische und
      der Bundestag bei der Entscheidung           tes Sterben. Dieses Recht schließt die        teilweise auch religiöse Aspekte. Umso
      am 2. Juli 2015 über die vier Alterna-       Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen        wichtiger schien Voßkuhle die Beto-
      tiven – überraschenderweise bereits          und hierbei auf die freiwillige Hilfe Drit-   nung, dass die Richter es nicht gewagt
      in der ersten Abstimmung – für einen         ter zurückzugreifen. Die in Wahrneh-          haben, über diese Überzeugungen „zu
      Antrag aus, den Michael Brand (CDU/          mung dieses Rechts getroffene Ent-            befinden“. Ihre Aufgabe sei es ledig-
      CSU), Kerstin Griese (SPD) sowie 208         scheidung des Einzelnen, seinem Leben         lich gewesen, die Verfassungsmäßig-
      weiteren Abgeordneten eingebracht            entsprechend seinem Verständnis von           keit zu prüfen. Die Hilfe dürfe, hieß
      hatten. Dieser sprach sich dafür aus,        Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der         es weiter, auch nicht davon abhängig
      die geschäftsmäßige Suizidassistenz          eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist      gemacht werden, ob etwa eine un-
      durch Ärzte, Einzelpersonen oder             im Ausgangspunkt als Akt autonomer            heilbare Krankheit vorliegt. Das Recht

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Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
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auf selbstbestimmtes Sterben bestehe Gefahren für die Selbstbestimmung                Scharfe Kritik übte zudem die Deut-
in jeder Lebensphase eines Menschen. ausgehen können. Es führt außerdem              sche Palliativ Stiftung. Das Urteil set-
                                        aus, dass dem Gesetzgeber zum Schutz         ze das Selbstbestimmungsrecht der
  Obwohl der § 217 Strafgesetzbuch dieser Selbstbestimmung über das ei-              ohnehin Starken über den Schutz der
primär auf Sterbehilfevereine zielte, gene Leben in Bezug auf organisierte           Schwächsten. In einer ökonomisier-
fühlten sich auch Teile der Ärzteschaft Suizidhilfe ein breites Spektrum an          ten Gesellschaft werde so das Sterben
seit der Neuregulierung kriminalisiert Möglichkeiten von Einschränkungen             über kurz oder lang zur Pflicht. Die
und klagten über Rechtsunsicherheit. offensteht. Diese könnten ausdrücklich          Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie
Der Begriff „geschäftsmäßig“ bedeu- auch im Strafrecht verankert oder durch          und Psychotherapie, Psychosomatik
tet juristisch „wiederholt“ beziehungs- strafrechtliche Sanktionierung von Ver-      und Nervenheilkunde (DGPPN) sah die
weise „auf Wiederholung ausgelegt“ stößen abgesichert werden. Das heuti-             Gefahr, dass auf die Psychiater eine
– und nicht auf Profit/Gewinn, wie der ge Urteil ist deshalb als Auftrag an den      neue Rolle als Gutachter und damit
Begriff „gewerbsmäßig“. Da Ärzte aber Gesetzgeber zu verstehen, diese Mög-           Entscheider zukomme.
durchaus wiederholt um Sterbehilfe lichkeiten auszuloten und rechtssicher
gebeten werden, zog sich ein Teil aus auszugestalten. Die Gesellschaft als            Sterbehilfe darf nicht zum
Angst vor Strafverfolgung zurück.       Ganzes muss Mittel und Wege finden,               Regelfall werden!
                                        die verhindern, dass die organisierte
  Das BVerfG hat auch den klagenden Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Nor-           Die Landesärztekammer Brandenburg
Ärzten Recht gegeben. Insbesondere malisierung des Suizids führt.“                   wies in einer Erklärung darauf hin,
legten die Verfassungsrichter Wert dar-                                              dass der Gesetzgeber weiterhin in der
auf, dass das Recht auf selbstbestimm- Positiv hervorzuheben sei die Bestäti-        Pflicht sei, für die Beihilfe zur Selbsttö-
tes Sterben, die Freiheit einschließe, gung des Gerichts, dass auch zukünftig        tung klare Regelungen und notwendi-
sich das Leben zu nehmen und dabei keine Ärztin und kein Arzt zur Mitwir-            ge Einschränkungen festzulegen. Dabei
Angebote von Dritten in Anspruch zu kung an einer Selbsttötung verpflichtet          geht die Kammer davon aus, dass der
nehmen – und zwar unabhängig von werden könne. Die Aufgabe von Ärz-                  Deutsche Bundestag das Thema mit
der Schwere einer Erkrankung. Gleich- tinnen und Ärzten sei es, unter Ach-           der gleichen Sensibilität wieder auf-
zeitig stellten die Verfassungsrichter tung des Selbstbestimmungsrechts              greifen wird, die er auch 2015 bei der
klar, dass der Gesetzgeber sehr wohl des Patienten Leben zu erhalten, Ge-            Verabschiedung des Gesetzes gezeigt
das Recht habe, die Suizidbeihilfe zu sundheit zu schützen und wiederher-            hatte. Dies gelte hoffentlich auch für
regulieren, solange er dabei dafür Sor- zustellen sowie Leiden zu lindern und        die gesamtgesellschaftliche Diskussion,
ge trage, dass das Recht des Einzelnen Sterbenden bis zu ihrem Tod beizu-            die in Folge des Urteils wiedereinset-
auf Beendigung seines Lebens gewahrt stehen. Die Beihilfe zum Suizid gehört          zen werde. An der von der Bundesärz-
bleibe. In diesem Zusammenhang reg- unverändert grundsätzlich nicht zu den           tekammer angekündigten Diskussion
te das BVerfG zum Beispiel auch Ände- Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.             über das ärztliche Berufsrecht werde
rungen des Berufsrechts der Ärzte und Soweit das Gericht auf die Konsistenz          sich die Landesärztekammer Branden-
Apotheker sowie des Arzneimittel- und des ärztlichen Berufsrechts abhebe,            burg mit großer Sorgfalt und Augen-
Betäubungsmittelrechts an. Zudem werde eine innerärztliche Debatte zur               maß beteiligen.
könne der Gesetzgeber Aufklärungs- Anpassung des ärztlichen Berufsrechts
und Wartepflichten sowie Erlaubnis- erforderlich sein. Wie diese ausgehen             Begrüßt wurde das Urteil dagegen
vorbehalte einführen. Tätig werden wird, ist noch völlig offen. Denn auch            von den Klägern. Der Verein Sterbehil-
muss er jetzt aber auf jeden Fall.      das Bundesverfassungsgericht konsta-         fe Deutschland kündigte unmittelbar
                                        tierte in seiner Urteilsbegründung, dass     danach an, seine Tätigkeit wieder auf-
    Keine Verpflichtung für             Ärzte bislang nur wenig Bereitschaft         zunehmen. Die Deutsche Gesellschaft
      Ärzte zur Sterbehilfe             zeigen, Suizidhilfe zu leisten.              für Humanes Sterben bezeichnete den
                                                                                     Karlsruher Spruch gar als Sternstunde
 Das Urteil stellt aber auch ausdrücklich      Eine Erklärung hierfür lieferte Prof. des Verfassungsrechts.
klar, dass Ärzte nicht zur Suizidhilfe ver-   Dr. med. Lukas Radbruch, Präsident
pflichtet werden dürfen. Hierzu haben         der Deutschen Gesellschaft für Palli-    FDP fordert Bewilligung
bereits kurz nach dem Urteil viele Orga-      ativmedizin (DGP) im Deutschen Ärz-             von tödlichen
nisationen ihre Kommentare formuliert.        teblatt. ,,Viele Menschen wissen gar
                                                                                             Medikamenten
Der Präsident der Bundesärztekammer           nicht, welche Möglichkeiten sie haben,
(BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, erklärte:         zum Beispiel mit dem Abbruch oder Und inzwischen ist auch das BfArM
„Das Bundesverfassungsgericht hat             dem Verzicht von lebenserhaltenden ins Visier geraten. In Folge des Ver-
dem Selbstbestimmungsrecht am Ende            Behandlungsmaßnahmen", sagte er. fassungsgerichtsurteils zum Recht auf
des Lebens weiten Raum zugespro-              Selbst eine künstliche Beatmung müsse selbstbestimmtes Sterben dringt die
chen. Gleichwohl sieht es aber auch           beendet werden, wenn der betroffene FDP im Bundestag darauf, dass sui-
die Notwendigkeit für eine gesetzge-          Patient dies wünsche. ,,Wir brauchen zidwillige Menschen tödliche Medi-
berische Regulierung der Beihilfe zur         deshalb mehr Informationen über die kamente bewilligt bekommen. „Trotz
Selbsttötung. So weist das Gericht da-        bestehenden Möglichkeiten, keine of- eines erheblichen Anstiegs an Anträ-
rauf hin, dass von einem unregulierten        fene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe gen auf Erteilung einer Erlaubnis zum
Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe          zum Suizid.“.                          Erwerb eines tödlichen Medikaments

                                                                                         Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020 |   9
Krisen-Management: Ursula Nonnemacher im Interview
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

                             zum Suizid, wird kein einziger Antrag        Arzneimittel und Medizinprodukte töd- Tötung eines Menschen – sei es von
                             bewilligt, und Widersprüche werden           liche Medikamente beantragt werden.   eigener oder fremder Hand – durch
                             kategorisch zurückgewiesen“, sagte die       Bislang weise die dem Bundesgesund-   staatliche Handlungen aktiv zu unter-
                             FDP-Gesundheitsexpertin Katrin Hel-          heitsministerium unterstellte Behörde stützen“. Die Regierung verwies auch
                             ling-Plahr der Rheinischen Post am 30.       solche Anträge zurück, wie aus einer  darauf, dass das Gericht ihr aufge-
                             Mai. Die Bundesregierung ignoriere die       Antwort der Bundesregierung auf eine  geben habe, einen Gesetzesrahmen
                             höchstrichterliche Rechtsprechung.           Kleine Anfrage der FDP-Fraktion her-  für die Suizidbeihilfe zu schaffen. Die
                                                                          vorgehe.                              FDP-Politikerin spricht von Hinhalte-
                              Staat und Gesellschaft müssten ak-                                                taktik. Der Ton im folgenden Gesetz-
                             zeptieren, wenn der Einzelne nicht             Die Bundesregierung habe argumen- gebungsverfahren könnte also deutlich
                             mehr leben wolle, hieß es. Nun ste-          tiert, dass „die starke Lebensschutz­ rauer werden.
                             he die Regierung unter Zugzwang,             orientierung des Grundgesetzes ein
                             die Möglichkeiten zum Suizid in ei-          gewichtiges Argument für die Positi-
                             nem neuen Gesetz zu regeln. Grund-           on“ sei, „dass es grundsätzlich nicht ■ Elmar Esser
                             sätzlich können beim Bundesamt für           Aufgabe des Staates“ sein könne, „die

                              PRÄSIDENTENLOGBUCH

                              Sterbehilfe auch künftig keine ärztliche Regelaufgabe
                                So weitreichend das Bundesverfas-         Richtungweisend ist nach meiner
                              sungsgericht das Recht auf selbstbe-        festen Überzeugung die Kernaussage
                              stimmtes Sterben in jeder Lebenspha-        der ärztlichen Berufsordnung in Über-
                              se beurteilt hat, so klar bleibt: Auch      einstimmung mit der Bundesärzteord-
                              nach dem Urteil kann kein Arzt zur Su-      nung. Dort heißt es in § 1: „Ärztinnen
                              izidbeihilfe verpflichtet werden. Nicht     und Ärzte dienen der Gesundheit des
                              zuletzt, um Patienten ebenso wie            einzelnen Menschen und der Bevölke-
                              die Kolleginnen und Kollegen vor fal-       rung.
                              schen Erwartungshaltungen zu schüt-
                              zen, muss daher eine innerberufliche         Zugleich ist die gesellschaftliche
                              Debatte stattfinden, die eng mit der        Diskussion zur Suizidbeihilfe bei der
                              Diskussion in Politik und Gesellschaft      Weiterentwicklung des Berufsrechts
                              verknüpft ist. Und dabei wird es im         zu berücksichtigen. Da das Gericht
                              Kern um nicht weniger als die Rolle         klargestellt hat, dass Ärzte zur Suizid­
                              des Arztes insgesamt gehen.                 assistenz nicht verpflichtet werden
                                                                          können, müssen die Berufsordnungen
                              Aktuell sieht die Mehrzahl der Berufs-      zukünftig eindeutig klarstellen, dass
          Dipl.-Med.         ordnungen der Landesärztekammern             die Suizidbeihilfe keine ärztliche Auf-
Frank-Ullrich Schulz,
 Präsident der LÄKB
                             restriktive Regelungen zur ärztlichen        gabe ist. Der Gesetzgeber muss nach
       Foto: Elmar Esser     Beteiligung am Suizid vor. Das Bun-          Wegen suchen, dass weder Patienten
                             desverfassungsgericht hat diese Vor-         noch Ärzte der Erwartungshaltung be-
                             schriften zwar nicht juristisch beurteilt.   gegnen, dass der assistierte Suizid als Garantenpflicht. Und auf diese will
                             Dennoch werden im Urteil Zweifel an          normale ärztliche Leistung angesehen nach meiner festen Überzeugung der
                             den unterschiedlichen Regelungen er-         wird.                                    weit überwiegende Teil der Patienten
                             kennbar. Die Gremien der Ärztekam-                                                    auch künftig vertrauen dürfen.
                             mern auf Bundes- und Landesebene              Gesellschaftliche Position kann auch
                             stehen nun vor der anspruchsvollen           künftig nicht sein, Suizide von Patien-
                             Aufgabe, die Berufsordnungen mit             ten und anderen verzweifelten oder ■ Mit besten kollegialen Grüßen!
                             den Aussagen des Urteils abzuglei-           lebensmüden Menschen als Ausdruck          Ihr Frank-Ullrich Schulz
                             chen und zu diskutieren. Aufgrund der        der Selbstbestimmung fraglos hinzu-
                             unzweifelhaft gleichzeitig startenden        nehmen. Vielmehr muss es insbeson-
                             gesamtgesellschaftlichen Diskussion          dere Ärzten darum gehen, Schwerst-
                             werden sie bei der Weiterentwicklung         kranken das Leiden durch Palliativme-
                             des Berufsrechts im besonderen Fokus         dizin zu erleichtern und Suizidwillige
                             der Öffentlichkeit stehen.                   durch gezielte Suizidprävention und
                                                                          ggfs. psychische und psychiatrische
                                Hier sind klare und auch mu-              Unterstützung von ihrem Sterbe-
                              tige    Positionierungen gefragt.           wunsch abzubringen. Wir haben eine

                   10      | Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

KOMPETENZBASIERT UND ZUKUNFTSORIENTIERT

Kammerversammlung beschließt neue
Weiterbildungsordnung

 Mit überwältigender Mehrheit
hat die Kammerversammlung der
Landesärztekammer       Branden-
burg in ihrer Sitzung am 20. Juni
die neue Weiterbildungsordnung
(WBO) beschlossen. Bis auf we-
nige Änderungen setzten die De-
legierten damit die 2018 von der
Bundesärztekammer verabschie-
dete neue Muster-Weiterbildungs-
ordnung um.

  „Ich freue mich, dass es uns trotz der                                                                                          Es gab eine konstruktive
                                                                                                                                  Diskussion zwischen den
Corona-Beschränkungen gelungen                                                                                                    Delegierten.
ist, unseren bereits vor der Pandemie                                                                                             Fotos: Anja Zimmermann M.A.
aufgestellten Zeitplan einzuhalten“, er-
klärte Kammerpräsident Frank-Ullrich
Schulz dazu. Aufgrund der geltenden
Abstands- und Hygieneregelungen
fand die Sitzung der Kammerversamm-
lung nicht im Haus der Ärzteschaft,
sondern im großen Hörsaal der Uni-
versität Potsdam statt, der auch unter
den aktuellen Bedingungen genügend
Platz für eine Veranstaltung dieser Grö-
ßenordnung mit über 80 Delegierten
bietet.

 Die neue Weiterbildungsordnung ori-
entiert sich primär an der Vermittlung                                                                                            Dipl.-Med. Frank-Ullrich
und dem Nachweis von Kompetenzen.                                                                                                 Schulz
Mit ihr wird gleichzeitig auch das elek-
tronische Logbuch verpflichtend ein- der Delegierten nicht in die neue WBO      befinden, können in einer Übergangs-
geführt. Zudem stehen künftig mehr übernommen.                                  zeit wählen, ob sie diese nach der al-
Weiterbildungsmöglichkeiten im am-                                              ten oder der neuen WBO abschließen
bulanten Bereich zur Verfügung.           Die neue Weiterbildungsordnung        möchten.
                                         tritt nach der Genehmigung durch das
 Die neue Weiterbildungsordnung Ministerium für Soziales, Gesundheit,            Nach der umfangreichen Debatte der
enthält insgesamt 13 neue bzw. ange- Integration und Verbraucherschutz          Muster-Weiterbildungsordnung in der
passte Zusatzweiterbildungen. Die Zu- des Landes Brandenburg laut vorge-        Bundesärztekammer und den Fach-
satzbezeichnung Homöopathie wurde sehenem Zeitplan Ende Juli in Kraft.          gesellschaften wurde über die WBO
nach Diskussion und Beschlussfassung Ärzte, die sich bereits in Weiterbildung   auch in den Gremien der Landesärz-
                                                                                tekammer Brandenburg diskutiert. Die
                                                                                Prüfungsausschüsse der Landesärzte-
                                                                                kammer bekamen Gelegenheit zur um-
                                                                                fassenden Stellungnahme.

                                                                                 Die WBO wird zeitnah auf der Inter-
                                                                                netseite der LÄKB (www.laekb.de)
                                                                                veröffentlicht.
                                                                                                                                  Unter Einhaltung der
                                                                                                                                  Schutzmaßnahmen konn-
                                                                                                                                  te die Kammerversamm-
                                                                                ■ Elmar Esser                                     lung stattfinden.

                                                                                    Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020 |   11
KAMMERINFORMATIONEN/GESUNDHEITSPOLITIK

       WAHL ZUR KAMMERVERSAMMLUNG DER 9. LEGISLATURPERIODE (2021 – 2026)

       Grundlagen des Wahlverfahrens

        Im Oktober 2020 beginnt das                Einreichung von Wahlvorschlägen auf-         innerhalb einer Wahlliste einzelne Per-
       letzte Vierteljahr der aktuellen            fordern und auf die einzuhaltenden           sonen durch Ankreuzen unterstützt
       vierjährigen Wahlperiode der Kam-           Voraussetzungen hinweisen. Hierbei           werden.
       merversammlung der Landesärzte-             wird zugleich bekannt geben, wie vie-         Die Wählerin/der Wähler legt seinen
       kammer Brandenburg, womit Neu-              le Mitglieder voraussichtlich zu wählen      Stimmzettel in den Wahlumschlag,
       wahlen anzusetzen sind. Als Wahl-           sind, welchen Inhalt und welche Form         verschließt diesen und übersendet ihn
       tag wurde durch den Vorstand der            die Wahlvorschläge haben müssen,             im beigefügten Wahlbriefumschlag,
       Landesärztekammer Brandenburg               wie viele Unterschriften und welche          der gleichfalls zu verschließen ist, der
       der 20. Januar 2021 festgelegt.             weiteren Erklärungen dem Wahl-Vor-           Wahlleiterin so rechtzeitig, dass dieser
       Die Wahl wird schriftlich als Brief-        schlag beizufügen sind und wo bis spä-       bis zum 20. Januar 2021, 17:00 Uhr
       wahl durchgeführt. Spätestens am            testens acht Wochen vor dem Wahltag          eingeht. Verspätet eingegangene
       o. g. Wahltag, 17:00 Uhr, müssen            bis 18:00 Uhr die Wahlvorschläge ein-        Wahlbriefe können nicht mehr berück-
       die Wahlbriefe bei der Wahlleiterin         gereicht werden können.                      sichtigt werden.
       eingegangen sein.                             Aufgrund der Bedeutung der Form-            Anschließend wird der Wahlausschuss
                                                   vorschriften wird in einer der nächsten      die Stimmen auszählen und das end-
         Zunächst wird aus dem Verzeichnis         Ausgaben des Brandenburgischen Ärz-          gültige Wahlergebnis feststellen.
       der Kammerangehörigen ein Wähler-           teblattes in einem gesonderten Beitrag
       verzeichnis erstellt, in das die wahl-      über Form und Inhalt der Wahlvor-              Die Gewählten werden von der Wahl-
       berechtigten Kammerangehörigen in           schläge informiert.                          leiterin benachrichtigt und aufgefor-
       alphabetischer Reihenfolge mit Fami-          Die vom Wahlausschuss zugelassenen         dert, innerhalb von 10 Tagen schriftlich
       lienname, Vorname, Geburtsdatum             Wahlvorschläge werden dann öffent-           zu erklären, ob sie die Wahl anneh-
       und privater Anschrift eingetragen          lich durch Aushang im Carl-Thiem-Kli-        men. Gibt das gewählte Kammermit-
       werden. Das Wählerverzeichnis liegt         nikum Cottbus, Klinikum Frankfurt/           glied bis zum Ablauf der gesetzten Frist
       in der Zeit vom 20. Oktober 2020            Oder, Klinikum Ernst von Bergmann
       bis einschließlich 2. November 2020         Potsdam und in den Ruppiner Kliniken
       in der Zeit von 9:00 bis 16:00 Uhr im       Neuruppin sowie im Brandenburgi-
       Carl-Thiem-Klinikum Cottbus, im Klini-      schen Ärzteblatt bekannt gegeben.
       kum Frankfurt/Oder, im Klinikum Ernst
       von Bergmann Potsdam und in den              Bis spätestens zum 23. Dezember                                              Akademie für ärztliche Fortbildung
       Ruppiner Kliniken Neuruppin zur Ein-        2020 wird sodann jeder/jedem im
       sicht seitens der Kammerangehörigen         Wählerverzeichnis geführten Wahlbe-
                                                                                                                             INTENSIV-
       aus. Darüber hinaus wird das Wäh-           rechtigten an dessen Privatanschrift
       lerverzeichnis auch in den beiden Ge-       zugesandt:
                                                                                                                             VORBEREITUNG
       schäftsstellen der Landesärztekammer        1. ein Stimmzettel,                                                       KENNTNISPRÜFUNG
       Brandenburg (Dreifertstraße 12, 03044       2. ein verschließbarer Wahlumschlag
       Cottbus sowie Pappelallee 5, 14469             für den Stimmzettel mit dem Auf-
       Potsdam) ausliegen.                            druck „Stimmzettel",
         Soweit ein Kammerangehöriger das          3. ein freigemachter verschließbarer
       Wählerverzeichnis für unrichtig oder           Wahlbriefumschlag mit der Anschrift
       unvollständig hält, kann er innerhalb          der Wahlleiterin und der Nummer,
                                                                                                                             22. - 24. Oktober 2020
       der Auslegungsfrist Einspruch einle-           unter der die/der Wahlberechtigte
       gen. Der Einspruch ist schriftlich oder        im Wählerverzeichnis eingetragen ist.
       zur Niederschrift in der Geschäftsstelle
                                                                                              Foto: Anja Zimmermann M.A. -

       der Landesärztekammer Brandenburg,           Die Wahl ist an die Wahlvorschläge
       Pappelallee 5, 14469 Potsdam, z. H.         gebunden. Die/der Wahlberechtig-
       der Wahlleiterin, einzulegen und soll       te kennzeichnet persönlich auf dem
       eine Begründung enthalten.                  Stimmzettel den Listen- oder Einzel
         Die Wahlleiterin schließt das Wähler-     Wahlvorschlag, dem sie/er ihre/seine
       verzeichnis spätestens zwei Wochen          Stimme geben will.                                                        Veranstaltungsort:
                                                                                                                             Landesärztekammer Brandenburg
       nach Ende der Auslegungsfrist mit Fest-                                                                               Pappelallee 5
                                                                                                                             14469 Potsdam
       stellung der Zahl aller Eintragungen ab.
                                            Jede Wählerin/jeder Wähler hat
                                                                                                                             Wissenschaftlicher Leiter:
                                           nur eine Stimme, darf also nur einen                                              Dr. med. Reinhold Schrambke
        Spätestens zehn Wochen vor dem Wahlvorschlag ankreuzen, sonst ist
       Wahltag wird die Wahlleiterin durch der Stimmzettel insgesamt ungültig.
       öffentliche Bekanntmachung zur Ebenso zur Ungültigkeit führt, wenn

12   | Brandenburgisches Ärzteblatt 7 – 8 • 2020
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