Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft

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Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
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0ldenburg
                                        oldenburgische
                                            landschaft
                                        2.2019 | Nr. 180

Vögel füttern – pro & contra
Wie füttert man richtig?

Neue Sicht auf eine totgesagte Stadt
Schichten und Spuren in Wilhelmshaven
Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
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   2|19

 Inhalt

                                                 16                                                                       48

2                                                                        24                      26
Mahnmal, Dokumenta­          Symbiose von Tra­di­        Rhythmus, Dynamik      „Wo Müürn fallt, fleegt   Natur aus Stein und
tionszentrum, Hotel –        tion und Moderne            und eine überwälti-     Harten hoog“ –           Bronze
oder einfach nur eine        Kultureller „Hochsom-       gende Farbkraft         Freiheit und überwun-    Udo Reimann
Insel                        mer“ im Oldenburger         Arbeiten von Ernst      dene Grenzen
Langlütjen II – die Fes-     Land                        Wilhelm Nay auf Papier PLATTart-Festival im
tungsinsel in der Weser                                                          Oldenburger Land

                         6   Landschaftstag in Wildeshausen                  34 Neue Sicht auf eine totgesagte Stadt
                         7   Förderpreis „Forschung Regional“                37 Spuren im Oldenburger Land –
                         8   Vögel füttern – pro & contra                       Zeitzeugengespräch der AG Vertriebene
                        10   Plattdeutsch in der Pflege                      38 Gründung der Sektion Gartendenkmalpflege
                        12   Die Bildhauerin Anna Maria Strackerjan          39 Dachbodenfund
                        15   Literaturtage in Varel und Dangast              40 Fritz Fuhrken – Maler der verschollenen
                        20   Sonderausstellung im Museum Moor-                  Generation
                             seer Mühle                                      42 Theaterstück „Neurosige Tieden“
                        23   Neuerscheinungen                                   der Speelkoppel Neenweg
                        26   PLATTart-Festival im Oldenburger                43 Ein Internetportal für die Heimatkunde
                             Land                                            44 Kostümführung mit Marthe und Fine
                        29   Abschlusslesung im saterfriesischen             46 Auftakt der Jugendtheatertage
                             Lesewettbewerb                                  51 Gertrudenkirchhof in Oldenburg
                        29   Tagung „Kultur im ländlichen Raum:              52 Hartmut Wiesner – Wild wachsen, nach vorne
                             Herausforderungen und Chancen“                     sehen, weitermachen
                        30   Kulturfestival „Land aufs Herz“                 54 Amtspraxis im Kirchspiel Visbek zwischen
                        33   Klönsnack mit Tee                                  1814 und 1831
                                                                             56 kurz notiert
                                                                             61 „Dat Blatt is good un kann so blieven“
                                                                                Auswertung der Evaluierung

Titelbild:

Die Kaiser-Wilhelm-Brücke ist eines der schönsten Bau-
werke Wilhelmshavens. Die Stadt feierte derzeit ihr
150-jähriges Bestehen. Lesen Sie mehr zu ihrem kultur­
historischem Potential und den Herausforderungen
baukultureller Gestaltung ab Seite 34 in diesem Heft.
Foto: Stefan Klink; aus: „Baudenkmäler im Oldenburger
Land“, hrsg. von der Oldenburgischen Landschaft, Wil-
helmshaven 2017

  Inhalt
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                                                                                                                   2|19

                                            Editorial
Impressum

kulturland Oldenburg
Zeitschrift der
Oldenburgischen Landschaft
ISSN 1862-9652

Herausgegeben von der
Oldenburgischen Landschaft                 Liebe Leserin, lieber Leser,                         Foto: Oldenburgische Land-
Gartenstraße 7, 26122 Oldenburg                                                                 schaft
Tel. 0441 77 91 8-0
Fax 0441 77 91 8-29
info@oldenburgische-landschaft.de          der Landschaftstag in der Alexanderkirche in Wildeshausen ist vorüber.
www.oldenburgische-landschaft.de           Er war aus Sicht vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine gute Mischung
Redaktionsschluss
                                           der Themen, die uns in der Landschaft beschäftigen: Kultur, Tradition und
für Heft 181, 3. Quartal 2019,             Natur!
ist der 1. 7. 2019.                           Er war aber auch der Start in unsere Veranstaltungsreihe, die wir exklusiv
Erscheint vierteljährlich.                 für unsere Einzelmitglieder durchführen wollen. Wir freuen uns auf eine
Für unverlangt eingesandte Manuskripte
                                           rege Teilnahme.
wird keine Haftung übernommen.                Wie ein blau-roter Faden zieht sich unser Engagement für den ländlichen
Nament­lich gekennzeichnete Artikel        Raum durch viele der letzten Veranstaltungen: Im Mai sprachen wir in Sta-
geben nicht unbedingt die Auffassung der   pelfeld mit Kulturschaffenden aus dem ländlichen Raum über die bürokra-
Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich das Recht auf
                                           tischen Hürden, die die Kulturarbeit auf dem Lande manchmal sehr kom-
Kürzungen der eingesandten Texte vor.      pliziert machen. Das große Echo auf diese Veranstaltung zeigt uns, dass es
                                           sinnvoll ist, dieses Thema weiter zu vertiefen.
Redaktion:                                    Im März fand außerdem unser renommiertes Kulturfestival PLATTart
verantwortlich i. S. d. P.
Michael Brandt (MB.)
                                           unter dem Motto „Wi sünd so free!“ statt. Der 30-jährige Fall der Mauer bot
                                           Anlass, sich mit aktuellen Themen auf Niederdeutsch zu beschäftigen.
Sarah-Christin Siebert (SCS.)                 Daneben haben wir gemeinsam mit der Stadt Westerstede und dem
Stefan Meyer (SM.)                         Lokalsender Oeins eine Kooperation gestartet, bei der es darum geht, die
Matthias Struck (MS.)
                                           Kulturschaffenden im ländlichen Raum besser zu vernetzen. Gerade beim
Gestaltung:                                Lokalsender Oeins werden Sie viele Aktivitäten zum Thema Kultur und
mensch und umwelt, 26122 Oldenburg         Oldenburger Land finden – reinschauen lohnt sich.
                                              Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.
Druck:
Brune-Mettcker, 26382 Wilhelmshaven
                                           Thomas Kossendey
Verlag:                                    Präsident
Isensee-Verlag, 26122 Oldenburg
Erscheint vierteljährlich.
© 2019 Oldenburgische Landschaft
Alle Rechte vorbehalten.
Jahresabonnement 15,- €, inkl. Versand.
Der Bezug kann mit einer Frist von
vier Wochen zum Jahresende gekün­digt
werden.                                                                                         Schloss Augustenburg, ein
                                                                                                ehemaliger Wohnsitz eines
Einzelheft 3,80 €.                                                                              Familienzweigs des Hauses
                                                                                                Oldenburg. Foto: Jörgen
                                                                                                Welp, Oldenburgische
                                                                                                Landschaft

                                           Vom 12. bis 14. Juli 2019 findet über den Oldenburger Landesverein die
                                           ­Exkursion „Auf den Spuren der Plöner und Gottorfer Herzöge. Zwei Linien
                                            des Hauses Oldenburg in Schleswig-Holstein“ unter Leitung von Dr. Jörgen
                                           Welp und Jörg Memmer (Flensburg) in Zusammenarbeit mit der Akademie
                                           Sankelmark statt. Die Reise ist bereits ausgebucht.

                                                                                                        Editorial | 1
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             Mahnmal,
             Dokumentationszentrum,
             Hotel –
             oder einfach nur eine Insel
             Langlütjen II – die Festungsinsel in der Weser
             Von Wolfgang Stelljes

W
                       asserstraße 5298, Außenweser – das ist      die Wesermündung sichern wollte. Alles musste per Schiff her-
                       die offizielle Anschrift von Langlütjen II. beigeschafft werden. 100 Mann Besatzung sollten hier bis zu
                       Eine künstliche Insel, fast oval und kaum vier Monate autark leben können. Auf der Insel gab es drehbare
                       größer als zwei Fussballfelder. Und eine Panzertürme mit riesigen Kanonen von Krupp, 28-cm-Geschütze.
                       Insel mit besonderer Geschichte.            Die sind dann aber ziemlich schnell eingerostet, so Köhne.
                          Zweimal war ich in meinem Leben auf „Man muss davon ausgehen, dass die Dinger nie im Einsatz wa-
Langlütjen II, ziemlich oft, wenn man bedenkt, dass dieses         ren. Hier ist einmal geschossen worden und dann nie wieder.“
Eiland in der Wesermündung vor Bremerhaven eigentlich nicht        Die Kanonen sind längst weg, sie wurden nach dem Ersten
betreten werden darf. Und dass es geradezu lebensgefährlich        Weltkrieg von den Siegermächten demontiert. Geblieben ist
ist, es auf eigene Faust zu versuchen, wenn man sich in dieser das Mauerwerk. Und an dem nagte der Zahn der Zeit, vor allem
feuchtgrauen Gegend nicht auskennt. Deshalb habe ich mich          Sturmfluten setzten der Insel zu. Theodor Köhne befürchtete
beim ersten Mal – das war vor gut 20 Jahren – Theodor Köhne gar, dass sie eines Tages ganz von der Landkarte verschwinden
anvertraut. Köhne arbeitet als geprüfter Wattführer, schon         könnte. Die Insel hatte schlicht keine Funk­tion mehr, auch nicht
seit 1986. Seine Touren starten am Deich von Tettens, einem        für die Schifffahrt, sie lag abseits der Fahrrinne.

                                                                   Insel im Angebot
alten Wurtendorf mit reetgedeckten Häusern. Der große Vor-
teil: Köhne kennt sich aus mit den Gezeiten, weiß also, wann
man sich gefahrlos auf den Weg machen kann. Und was noch           Das zweite Mal näherte ich mich Langlütjen II im Herbst 2005.
viel wichtiger ist: Köhne kennt jeden Priel, also jeden Wasser-    Zu dieser Zeit machte die Insel Schlagzeilen, weil der Bund –
lauf im Watt. Fast fünf Stunden dauerte die Tour, bei der wir      genauer: die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Neben-
durch tiefen Schlick waten mussten und den Kleineren unter         stelle Oldenburg – sie verkaufen wollte. Erwartet wurde ein
uns im tiefsten Priel das Wasser fast bis zum Hals stand.          Mindestangebot von 100.000 Euro, eigentlich ein Schnäppchen.
   Von Köhne erfuhr ich, dass Langlütjen II ein künstliches        Das Gleiche galt für die Schwesterinsel Langlütjen I, auch sie
Eiland ist und in den Jahren von 1872 bis 1876 auf Eichenholz-     war für 100.000 Euro zu haben. „Zum Verkauf stehen zwei einzig-
pfählen errichtet wurde. Langlütjen II war eines von vier Forts, artige Inseln, auf denen sich ein Stück deutscher Geschichte
mit denen der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens             mit der Frische der Nordseeluft vermengt“, hieß es etwas

  2 | Natur und Umwelt
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   Blick vom Deich in Tettens
   (Butjadingen) auf die
   Wesermündung am Rande
   des Nationalparks Nieder-
   sächsisches Wattenmeer.
   Die kleine Insel Langlütjen II
   wirkt eher unscheinbar.
   Foto: Wolfgang Stelljes

   Aus der Luft besonders gut
   erkennbar: der Charakter
   der künstlichen Festungs-
   insel. Foto: P. A. Kroehnert

Natur und Umwelt | 3
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blumig im Verkaufsexposé. Die Sache hatte aller-                                        Insel als Abenteuerspielplatz. Sogar
dings einen Haken, und den kannte auch die                                              ihre Anwesenheitszeiten hatten sie
Behörde: Beide Inseln „liegen inmitten des Natio-                                       notiert.
nalparks Niedersächsisches Wattenmeer in der
Wesermündung“. Noch dazu schränkte auch der                                             „KZ unter dem Meer“
Denkmalschutz die Nutzungsmöglichkeiten                                                 All das wirkte besonders makaber,
weiter ein. Es handele sich um „eine einzigartige                                       weil die Nationalsozialisten Lang­
militärische Anlage in Deutschland aus der Mitte                                        lütjen II schon kurz nach ihrer Macht-
des 19. Jahrhunderts“, hatte das Niedersächsische    Foto: Wolfgang Stelljes            übernahme als sogenanntes Schutz-
Landesamt für Denkmalpflege noch 1996 mit                                               haftlager genutzt hatten. Es wurde
                                                     Wattwanderung
Blick auf Langlütjen II festgestellt. Und doch gab                                      am 9. September 1933 eingerichtet –
es eine ganze Reihe von Kaufinteressenten.           Im Rahmen der „Nordenhamer         für Häftlinge, die zuvor im KZ Miß-
   Einer von ihnen war Christoph Gerecke, ein jun-   Stadtrundgänge“ bietet der Watt-   ler in Bremen-Findorff untergebracht
ger Landwirt aus der Nähe von Cuxhaven. Ihn          führer Theodor Köhne auch 2019     waren, also mitten im Stadtgebiet.
konnte ich 2005 zusammen mit einem Fernseh-          Touren nach Langlütjen II an.      Nach Langlütjen II kamen die, „die
team auf die Insel begleiten, das Wasser- und        Zwischen dem 29. Juni und dem      wegen ihrer politischen Tätigkeit
Schifffahrtsamt Bremerhaven setzte uns mit einem     7. September sind insgesamt        und ihrer Einstellung gegen den na-
Boot über. Die Insel präsentierte sich in einem      sieben Wattwanderungen vorge-      tionalen Staat als besonders gefähr-
traurigen Zustand. Auf den ersten Blick wirkte sie   sehen. Die Zeiten wechseln, denn   lich anzusehen sind“, so ein Bericht
grün, Birke, Schafgabe, Holunder und Glocken-        die Tour ist tideabhängig, auch    in der bereits gleichgeschalteten
blumen hatten hier eine Heimat gefunden. Doch        muss das Wetter mitspielen.        Presse. Isoliert wurden hier Dutzen-
aus dem Grün ragten Mauerreste. Überall lag          Anmeldungen und weitere Infos:
                                                                                        de von Männern, darunter auch der
Schutt herum. Unten, in den dunklen Kasematten       Nordenham Marketing &
                                                                                        Gewerkschafter und Sozialdemokrat
mit ihren gewölbten Decken, bröckelte das Zie-       Touristik e. V.
                                                                                        Gerhard van Heukelum, der spätere
gelmauerwerk. Das Licht unserer Taschenlampe         Telefon 04731 93640
                                                                                        Oberbürgermeister von Bremerha-
fiel auf eine Wand, auf der jemand SS-Runen hin-     www.nordenham.de
                                                                                        ven. Langlütjen II hatte für die Gesta-
terlassen hatte. Offenbar nutzten Neonazis die                                          po einen entscheidenden Vorteil:

  4 | Natur und Umwelt
Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
kulturland
                                                                                                                                2|19

                                                                                                             Linke Seite: Die Insel
Abgelegener konnte ein Lager kaum sein. Und             Menge Geld, um das Ufer der Insel zu sichern, zu     Lang­lütjen II darf nur mit
                                                                                                             Genehmigung oder in
 doch ließ sich nicht verheimlichen, was hier ge-       groß war die Gefahr einer Überflutung. Bis heute     Begleitung von Wattführer
 schah. So sollen die Schreie von misshandelten         dient Langlütjen II dem Küstenschutz. Eine tou­-     Theodor Köhne betreten
 Gefangenen weit zu hören gewesen sein. Und             ris­t ische Nutzung, wie sie Jens-Torsten Bausch     werden. Foto: Nordenham
 wenn sich ein Boot der Insel zu sehr näherte, fielen   vorschwebt, steht allerdings nach wie vor in den     Marketing & Touristik e. V.
 Schüsse. Ein Häftling ertrug die Schikane nicht        Sternen – zu sehr reibt sich das Vorhaben mit dem,   Daneben: Das Mauerwerk
 und erhängte sich. Es dauerte nicht lange, und         was Ämter und Behörden für die Insel vorsehen.       der Festungsinsel ist inzwi-
 die Leute sprachen von der „Teufelsinsel“ oder dem     Und so ist er inzwischen „ein wenig mutlos“,         schen fast 150 Jahre alt.
„KZ unter dem Meer“. Am 25. Januar 1934, nach           was die Realisierung des Projekts betrifft, sagt     Die Kanonen wurden nach
                                                                                                             dem Ersten Weltkrieg von
 nicht einmal fünf Monaten, lösten die National-        Bausch. „Im Moment ruht es.“ Es ist eine Ruhe,       den Siegermächten
 sozialisten das KZ Langlütjen II wieder auf.           von der zumindest die Vogelwelt profitiert. Die      demontiert. Fotos: Wolf-
                                                                                                             gang Stelljes
Ein Hotel im Nationalpark?
                                                        Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer weist
                                                        darauf hin, dass in den Ruinen von Lang­lütjen II
Christoph Gerecke, der junge Landwirt aus der           unter anderem „die stark gefährdete Flusssee-
Nähe von Cuxhaven, kannte die Geschichte des            schwalbe“ brütet. Auch haben Ornithologen hier
Lagers und wollte aus Lang­lütjen II ein „Museum        eine Löffler-Kolonie ausgemacht.
und Mahnmal“ machen. Doch den Zuschlag be-                 All jene, die sich vor Ort einen eigenen Ein-
kam im Januar 2006 ein anderer: der Bremer Kauf-        druck verschaffen möchten, wenden sich am bes-
mann Jens-Torsten Bausch. Sein Plan: Ein Hotel          ten an Theodor Köhne (siehe Kasten). Er darf
mit Blick über das Watt und auf den Containerter-       weiter Besuchergruppen nach Langlütjen II füh-
minal in Bremerhaven. Und dazu ein „Dokumen-            ren, auch mit Erlaubnis des neuen Eigentümers.
tationszentrum“, das über den Nationalpark,             Für den inzwischen 79-Jährigen ist es allerdings
aber auch die Schrecken der Nazi-Herrschaft in-         die letzte Saison, nur bis zum Herbst wird er
formiert. Der neue Eigentümer investierte eine          noch Touren als Wattführer anbieten. Dann spült
                                                        er sich noch einmal gründlich den grauen Schlick
                                                        von den Füßen. Und dann, sagt Köhne, müssen
                                                        andere ran.

                                                                                                        Natur und Umwelt | 5
Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
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  2|19

Landschaftstag in                                                                       Rahmenprogramm
                                                                                        Den musikalischen Rahmen der

Wildeshausen
                                                                                        Festveranstaltung gestaltete der
                                                                                        Gospelchor Joyful Voices unter der
                                                                                        Leitung von Kirchenmusiker und

Mehr als 250 Mitglieder und Gäste
                                                                                        Komponist Ralf Grössler.
                                                                                           Im Anschluss an die Veranstal-

kamen in Alexanderkirche zusammen
                                                                                        tung hatten die Teilnehmer des
                                                                                        Landschaftstages Gelegenheit, die
                                                                                        Stadt Wildeshausen, die älteste
                                                                                        Stadt des Oldenburger Landes, im
                                                                                        Rahmen einer historischen Stadt-
Red. An einem ganz besonderen Tagungsort kamen am 16. März mehr als 250 Mitglieder      führung kennenzulernen.
und Gäste zum Landschaftstag 2019 der Oldenburgischen Landschaft zusammen: Sie            Auf dem Landschaftstag zeichnet
trafen sich in der altehrwürdigen Wildeshauser Alexanderkirche im Landkreis Olden-      die Oldenburgische Landschaft
burg, der größten mittelalterlichen Kirche des Oldenburger Landes.                      Menschen aus dem gastgebenden
   Der Landschaftstag der Oldenburgischen Landschaft findet immer im Frühjahr statt,    Landkreis beziehungsweise aus der
und zwar rotierend in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt des Oldenburger      gastgebenden kreisfreien Stadt
Landes.                                                                                 aus, die sich um das Oldenburger
   In seiner Begrüßung ging Landschaftspräsident Thomas Kossendey auf die drei          Land verdient gemacht haben.

                                                                                        Ehrennadel für
Leitsätze der Oldenburgischen Landschaft „Kultur fördern, Tradition pflegen, Natur
schützen“ ein und nannte Beispiele für entsprechende Projekte der Landschaft. „Zur
Traditionspflege gehört auch die Erinnerung an herausragende und zukunftweisende        Folker von Hagen und
historische Ereignisse“, erklärte Kossendey. „So koordiniert die Landschaft ein Netz-   Angela Hillen
werkprojekt zum demokratischen Aufbruch im Nordwesten, der mit der Revolution von
1918 vor hundert Jahren begann.“                                                        Für seinen Einsatz für den Denkmal-

Festvortrag
                                                                                        schutz erhielt der frühere Baudezer-
                                                                                        nent des Landkreises Oldenburg,
Anstelle eines Festvortrags lasen die Oldenburger Historikerin Prof. Dr. Gunilla Bud-   Folker von Hagen, die Ehrennadel.
de und die Rasteder Schauspielerin Sylvia Meining aus Frauenbriefen aus drei Jahr­      Die Plattdeutschbeauftragte des
hunderten und stellten Charlotte Sophie von Aldenburg-Bentinck, Helene Lange und        Landkreises Oldenburg, Angela Hil-
Hannah Arendt vor. Alle drei bedeutenden Frauen haben einen unmittelbaren oder          len, erhielt die Ehrennadel für ihr
mittelbaren Oldenburg-Bezug. Anlass für dieses Format war das Jubiläum „100 Jahre       Engagement für die plattdeutsche
Frauenwahlrecht“.                                                                       Sprache.

  6 | Aus der Landschaft
Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
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                                                                                                                           2|19

Landschaftsmedaille                                        Förderpreis „Forschung Regional“
für Ernst-August Bode
 Der langjährige Kommunalpolitiker und „Platt-
 deutschaktivist“ Ernst-August Bode erhielt die
 Landschaftsmedaille der Oldenburgischen Land-
 schaft. Landschaftspräsident Thomas Kossendey
 bezeichnete ihn in seiner Laudatio als „Vollblut-
 Plattdeutschen“ und als „Vollblut-Oldenburger“.
„Immer wieder hat sich Ernst-August Bode nach-
 drücklich für die Belange seiner Heimat, das Ol-
 denburger Land, eingesetzt, politisch und kul­
 turell. Dafür sind wir ihm alle sehr dankbar“, so
 Kossendey.
                                                           Preisträger Johannes Birk, Landschaftspräsident Thomas Kossendey,
                                                           Preisträger Yulian Ide (von links). Foto: Jörgen Welp, Oldenburgische
                                                           Landschaft

                                                           Red. Die Oldenburgische Landschaft prämierte die Arbeiten
                                                           zweier Nachwuchswissenschaftler mit dem Förderpreis „For-
                                                           schung Regional“, die sich mit oldenburgischen Themen
                                                           befassen.
                                                               Den Förderpreis „Forschung Regional“ erhielt Johannes
                                                           Birk für seine Bachelorarbeit „Lokale Amtspraxis im Herzog-
                                                           tum Oldenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein
                                                           Beispiel aus dem Kirchspiel Visbek (Amt Vechta)“. Die Arbeit
                                                           ist an der Universität Oldenburg im Fach Geschichte entstanden.
                                                           Birk widmet sich in seiner Untersuchung der Verwaltung auf
                                                           dem Land, und zwar auf der untersten Ebene. Dabei nimmt er
                                                           die Verwaltungspraxis von Kirchspielsvögten in den näheren
                                                           Blick. Diese nahmen nach seinen Ergebnissen eine Mittlerrolle
                                                           zwischen dem Staat und der bäuerlichen Gesellschaft ein.
                                                           Die Kirchspiele waren die Vorläufer der heutigen Gemeinden.
                                                               In der vorliegenden Ausgabe von „kulturland oldenburg“
                                                           schreibt Johannes Birk zur Quellenlage seiner Forschung.
                                                               Den Förderpreis „Forschung Regional“ erhielt Yulian Ide
                                                           für seine Masterarbeit „Schort.stories. Ein literaturanthropo-
                                                           logisches Experiment auf dem Land vor dem Hintergrund der
                                                           Heimatliteraturtradition in Friesland“. Die Arbeit ist an der
Linke Seite: Ein ganz        Preisträger und Geehrte       Freien Universität Berlin im Fach Angewandte Literaturwissen-
besonderer Tagungsort:       des Landschaftstags 2019:     schaft entstanden. Ide befasst sich im Rahmen eines Experi-
die Wildeshauser Alexan­     Johannes Birk (Förderpreis
derkirche.                   „Forschung Regional“),
                                                           ments, das sagt der Titel ja bereits, mit der regionalen Literatur
                             Yulian Ide (Förderpreis       im nordwestdeutschen Raum in und um Schortens im Land-
Diese Seite von oben: Die    „Forschung Regional), Fol-    kreis Friesland. Der Verfasser stellt die Frage, ob es einen Markt
Redner des Landschafts-      ker von Hagen (Ehrenna-       für moderne Heimatliteratur gibt.
tags 2019: Sylvia Meining,   del), Angela Hillen (Ehren-
Landrat Carsten Harings,     nadel), Ernst-August Bode
                                                              Ausgangspunkt seiner Masterarbeit war eine Postkarten-
stellvertretende Bürger-     (Landschaftsmedaille),        aktion im Jahr 2015 in Schortens, in deren Zusammenhang die
meisterin Evelyn Goos-       Landschaftspräsident Tho-     Webseite www.schortstories.weebly.com entstanden ist. Das
mann, Landschaftspräsi-      mas Kossendey (von links).    gedruckte Buch mit den daraus entstandenen Geschichten ist
dent Thomas Kossendey,       Fotos: Jörgen Welp, Olden-
Landschafts­geschäfts­       burgische Landschaft
                                                           bei epubli erschienen (ISBN 978-3-7375-6490-8).
führer Dr. Michael Brandt,                                     Der Förderpreis „Forschung Regional“ der Oldenburgischen
Prof. Dr. Gunilla Budde,                                   Landschaft ist mit jeweils 500 Euro dotiert.
Pastor Markus Löwe (von
links).

                                                                                                  Aus der Landschaft | 7
Kulturland 0ldenburg - Vögel füttern - pro & contra - Oldenburgische Landschaft
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                                                                  Was wird durch die Gartenvogel-Fütterung erreicht?

Vögel füttern –                                                   Einige Vogelkundler sehen allerdings in der Fütterung ein
                                                                  Problem: Vogelfütterung im Garten erreicht selten mehr als

pro & contra
                                                                  zehn bis 15 Vogel­arten. Diese haben bereits stabile oder wach-
                                                                  sende Populationen, keine ist in ihrem Bestand gefährdet.
                                                                  Futterstellen werden also kaum von denjenigen Vögeln genutzt,
                                                                  die Schutz brauchen. Man kann füttern, es lenkt aber von
Von Jörg Grützmann                                                wirklichen Problemen ab. Über 90 Prozent der heimischen Brut-
                                                                  vogelarten, vor allem die seltenen und bedrohten Arten,
                                                                  kommen gar nicht ans Futterhäuschen. Während häufige
                                                                  Arten wie Meisen und Amseln am Futterhäuschen wie im
                                                                  Paradies leben, haben Vogelarten, denen es besonders schlecht
Tagung der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft                   geht, kaum etwas davon. Im Gegenteil: Die Winterfütterung
im Herbst 2018                                                    verschafft häufigen und an den Menschen angepassten Arten
Einmal jährlich findet die Tagung der Oldenburger Ornitho­        einen weiteren Kon­k urrenzvorteil.
logen statt. Bis zu 100 Vogelexperten diskutieren regelmäßig         Der starke Rückgang vieler Vogelarten ist nicht auf den win-
über die Vogelbestände des Oldenburger Landes sowie über          terlichen Nahrungsengpass zurückzuführen. Daran sind sie
den Schutz von Gebieten. Im Herbst 2018 kamen 70 Vogelkund-       seit Urzeiten angepasst. Die Wintervögel überwintern von Na-
ler im Museum für Natur und Mensch in Oldenburg zusam-            tur aus bei uns in Mitteleuropa, sie kommen mit den winterli-
men – die unterschiedlichen Themen sollen hier im kulturland      chen Verhältnissen gut zurecht. Entscheidend ist, ob die Vögel
vorgestellt werden, um sie einer breiten interessierten Öffent-   einen geeigneten Lebensraum für sich finden. Der Rückgang
lichkeit zur Kenntnis zu geben.                                   vieler heimischer Vogelarten geht auf den Verlust oder die Ver-
   Ein großes Thema war und bleibt die Fütterung von Vögeln.      schlechterung ihrer Lebensräume zurück. Ernsthaft bedrohte
                                                                  Vogelarten kann eine Winterfütterung nicht retten.
Gartenvogel-Fütterung – ein sehr altes Thema                         Vielmehr entsteht im nächsten Frühjahr ein noch härterer
Mit dem Einsetzen der winterlichen Witterung verspüren viele      Konkurrenzkampf um Nahrung und Brutplätze, da auch
Vogelliebhaber das Bedürfnis, für das Überleben ihrer gefie-      schwache und kranke Vögel den Winter durch die Fütterung
derten Freunde zu sorgen. Das allgemeine Denken hierzu ist        überlebt haben. Vögel, die Winterfutter nicht annehmen oder
tief verankert in der Vermenschlichung tierischer Not und         nicht hier überwintern, geraten weiter ins Hintertreffen: Die
dem Bedürfnis, vermeintlich notleidenden Mitgeschöpfen vor        ankommenden Arten stoßen auf weniger Nistplätze. Die Gar-
der Haustür helfen zu müssen. Peter Berthold beschreibt in        tenvogel-Fütterung führt nur zum Häufigerwerden eh schon
seinem Buch „Vögel füttern – aber richtig“ gefühlvoll die Lage    weniger, aber häufig vorkommender Arten. Die anderen wer-
im heimischen Garten: „Wir ziehen uns eine bunte, reizend         den – ohne dass es bemerkt wird (denn es kommen ja immer
anzuschauende Vogelschar direkt in unseren Garten hinein.“        viele Vögel zum Futterplatz) – verdrängt.

  8 | Natur und Umwelt
kulturland
                                                                                                                           2|19

                                                                                                         Vögel im heimischen Gar-
                                                                                                         ten – hier Meisen, Buchfin-
                                                                                                         ken und Rotkehlchen (von
                                                                                                         links) werden gerne von
                                                                                                         den Menschen gefüttert.
                                                                                                         Welche Konsequenzen das
                                                                                                         hat, ist wenig bekannt.
                                                                                                         Fotos: Pixabay

Wie füttert man richtig?                             Viele Menschen haben ein tiefes Bedürfnis, zu helfen, einfach etwas zu
                                                   tun. So ist der nächste Schritt oft der, den eigenen, häufig viel zu eintönigen
Wer trotzdem Vögel füttern will, sollte einige     Garten nun auch vogelfreundlich zu gestalten. Das eine tun und das andere
Aspekte beachten.                                  nicht lassen – unter diesem Motto könnten sich Winterfütterung und Natur-
• Nur bei dauerhaft geschlossener, hoher           schutz treffen.
  Schneedecke und gleichzeitigem Frost unter
  minus fünf Grad füttern.                         Wie können wir den Vögeln wirklich besser helfen?
• Auf Sauberkeit am Futterplatz achten, da         Jeder Gartenbesitzer kann schon auf kleinsten Flächen viel für den Vogel-
  sich sonst Krankheiten verbreiten. Die Futter-   schutz leisten: Gartenstauden, Altgras oder Disteln sollten im Herbst
  stelle am besten täglich reinigen.               stehen gelassen werden, da darin viele Insektenlarven überwintern – ein
• Futter nie auf den Boden werfen. Es ver-         Leckerbissen für viele Vögel. An den Stauden sind immer wieder Körner-
  mischt sich sonst mit dem Kot der Vögel          fresser wie Finken zu beobachten, wie sie an den Samenständen picken.
  und kann besonders bei mildem Wetter             Auch liegengelassenes Laub und Komposthaufen bieten Vögeln ein reich-
  zu tödlichen Vogelkrankheiten führen. Wir        haltiges Nahrungsangebot.
  empfehlen ein Futtersilo.                           Echter Vogelschutz ist der Erhalt strukturreicher Landschaften und der
• Liegt ein toter Vogel an der Futterstelle,       Schutz natürlicher Lebensräume. Mit seinem Einkaufsverhalten kann jeder
  könnte das ein Zeichen für eine Infektions-      Wirtschaftsformen unterstützen, die ein lebendiges Landschaftsmosaik
  krankheit unter den Vögeln sein. Futter­         anstatt ausgeräumter Agrarlandschaften der industriellen Landwirtschaft
  stelle abbauen, gründlich reinigen und erst      fördern. Der Kauf von regionalen und biologisch angebauten Produkten
  nach zehn Tagen wieder füttern.                  hilft, strukturreiche Landschaften mit Lebensraum für viele verschiedene
• Nie Speisereste füttern, da sie Gewürze          Vogelarten zu erhalten.
  und Salz enthalten, die zum Tod der Vögel
  führen können.                                   Lernen und Verstehen – das kostenlose Bildungsprogramm der
• Als Vogelfutter geeignet sind Sonnenblumen-      Gartenvogelwelt
  kerne, Hanf, Hirse, Getreidekörner, Fett-        Dieser Aspekt gilt besonders für Kinder und Jugendliche, die immer weni-
  Kleie-Gemische, Haferflocken, Obst, Rosinen,     ger Gelegenheit zu eigenen Beobachtungen und Erlebnissen in der Natur
  Futterringe und Futterknödel, Kokosnuss-         haben. Nicht selten weckt der Spaß dann auch das Interesse, selber aktiv zu
  hälften mit Rinderfett oder Rindertalgstücke.    werden und sich im Naturschutz zu engagieren. Hier kann die gut gemein-
                                                   te Füt­terung sehr positiv auf den Menschen selbst wirken.
Weitere Hinweise: Die LBV-Broschüre „Natur­           Übersehen werden darf jedoch nicht, dass heute weitreichendere Maß-
erlebnis Vogelfütterung – Was, Wann, Wie“          nahmen notwendig sind, um den Rückgang gefährdeter Vogelarten zu
gibt wertvolle Tipps für das Thema (Heraus­        stoppen. Im Artenschutz muss deshalb Priorität haben, was die Vielfalt in
geber: Landesbund für Vogelschutz Bayern).         unserer Kulturlandschaft wirksam und möglichst langfristig fördert. Ge-
                                                   zielte Agrarumweltprogramme zählen ebenso dazu wie Maßnahmen zur
                                                   Pestizidreduktion, die Förderung angepasster Mahdtermine oder das zeit-
                                                   weise Belassen von Stoppelfeldern nach der Ernte. Grundlage des Vogel-
                                                   schutzes muss die Erhaltung, die Schaffung und die Pflege geeigneter Le-
                                                   bensräume sein.

                                                                                                    Natur und Umwelt | 9
kulturland
  2|19

Herzenssprache öffnet Türen und Herzen
  förde der
      je k t
            r­       Plattdeutsch in der Pflege
 pr o       ischen
       urg
 oldenb chaf t
    lands            Von Katrin Zempel-Bley

„J            ede Muttersprache, auch Plattdeutsch,
              ist gesundheitsfördernd“, ist Hella
              Einemann-Gräbert, Pflegepädagogin
              an den Berufsbildenden Schulen
              (BBS) Wildeshausen, überzeugt. Die
              59-Jährige bildet Pflegekräfte aus
und hält sich deshalb häufig in Pflegeheimen, oft
auch mit demenziell erkrankten Bewohnern, auf.
Bei vielen von ihnen ist Plattdeutsch die Mutter-
                                                                                    „Die Menschen freuen sich, wenn sie in ihrer Her-
                                                                                     zenssprache angesprochen werden. Es kann aber
                                                                                     durchaus vorkommen, dass sie die Pflegekräfte
                                                                                     mal verbessern, aber das ist nie böse gemeint.“
                                                                                         Die Pflegepädagogin kann sich bestens in die
                                                                                     Pflegebedürftigen hineinversetzen. „Meine Her-
                                                                                     zenssprache ist auch Plattdeutsch. Eine wunder-
                                                                                     bare Sprache, mit der sich übrigens viele Dinge
                                                                                     des Lebens so gut ausdrücken lassen. Sie hat nicht
sprache. Hella Einemann-Gräbert spricht auch                                         die Härte wie unser Hochdeutsch“, sagt sie.
von „Herzenssprache“, weil sie buchstäblich Her-                                    Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Landkreis
zen öffnet und Menschen zum Sprechen bringt.                                         Oldenburg, wurde in ihrer Familie nur Platt-
   Gerade in der Pflege ist eine funktionierende      Hella Einemann-Gräbert         deutsch gesprochen. „Hochdeutsch war für meine
Kommunikation besonders wichtig. Denn nur             (oben) hat für Plattdeutsch    Eltern Teufelszeug. Das lernte ich von den anderen
                                                      in der Pflege gesorgt.
über das Gespräch erfahren Pflegekräfte, wie es       Foto: Katrin Zempel-Bley
                                                                                     Kindern auf der Straße“, erzählt sie.
den ihnen anvertrauten Menschen geht, ob sie                                             Sprache bedeutet für die Pflegepädagogin
etwas bedrückt, erfreut, ob sie Schmerzen oder        Rechte Seite (von oben)        Beziehung, Vertrauen und Angst nehmen. „Wenn
Wünsche haben. Hella Einemann-Gräbert hatte           In der Kooperationsein-        Menschen miteinander sprechen, entstehen
                                                      richtung „Haus Beckeln“ in
vor über zehn Jahren ein zentrales Erlebnis mit       Beckeln wird fleißig Platt-
                                                                                     Schwingungen und Bilder. Sprechen wir in unse-
einer dementen Bewohnerin, von der gesagt wurde,      deutsch gesprochen. Hier       rer Muttersprache, fühlen wir uns sicher, behei-
sie spricht so gut wie gar nicht mehr. „Ich habe      unterhalten sich Bewoh-        matet, und es kann sogar sein, dass uns wohlig
sie spontan auf Plattdeutsch angesprochen und         nerin Minna Ebel und Aus-      ums Herz wird“, macht sie deutlich. Das beob-
                                                      zubildende Melanie Hacke.
sie hat sofort auf Plattdeutsch geantwortet. Un-      Foto: Hella Einemann-Grä-
                                                                                     achten nicht nur Hella Einemann-Gräbert, son-
ser Gespräch dauerte eine halbe Stunde, und es        bert                           dern auch ihre Pflegeschüler und das Personal
hat sich herausgestellt, die Muttersprache wirkte                                    der Pflegeeinrichtungen, mit denen sie in en-
wie eine Zaubersprache. Da ist auch mir das Herz      Plattdeutsch-Sprachdozen-      gem Kontakt steht.
                                                      tin Dette Zingler (3. von
aufgegangen.“                                         links) an den Berufsbilden-
                                                                                        „Uns würde es doch nicht anders ergehen. Stel-

Plattdüütsch in de Pleeg                              den Schulen Wildeshausen       len Sie sich vor, wir sind weit entfernt von zu Hause,
                                                      mit Schülern der Berufs-       niemand spricht unsere Sprache, und plötzlich
Daraufhin hat sie der Gedanke, Plattdüütsch in        fachschule Klasse 3, die       kommt jemand, der sie spricht. Das ist ein sehr
                                                      anhand von Fallbeispielen
de Pleeg (Plattdeutsch in der Pflege) zu verankern,   in Rollenspielen Pflege-
                                                                                     schönes Gefühl. Genauso ergeht es den Pflege-
nicht mehr losgelassen. „Denn die Erfahrungen         und Betreuungssituatio-        bedürftigen, und wenn sie zudem dement sind,
im Pflegealltag haben deutlich gezeigt, dass der      nen lösen, und das mög-        ist das noch viel bedeutsamer“, macht sie klar.
Zugang zu pflegebedürftigen Menschen, deren           lichst in plattdeutscher          „Innere Unruhe und Anspannung, was bei ih-
                                                      Sprache. Foto: Hella Eine-
Muttersprache Plattdeutsch ist, stark profitiert,     mann-Gräbert
                                                                                     nen häufig vorkommt, können mit Hilfe ihrer
wenn die Pflegekraft mit ihnen Plattdeutsch                                          Muttersprache herabgesetzt, Krisen und Trauer
spricht“, sagt die 59-Jährige. „Sprache wird buch-    Wortschatzbroschüre mit        besser bewältigt werden. Zudem kann ein Ver-
stäblich zum Türöffner und erleichtert und ver-       Alltagsbegriffen, Fachaus-     wirrtheitszustand/Delir bei verängstigten Patien-
                                                      drücken und Redewendun-
bessert die Beziehung zwischen dem Pflegebe-          gen, hrsg. vom Landkreis
                                                                                     ten im postoperativen Zustand durch eine gute
dürftigen und der Pflegekraft. Dabei kommt            Oldenburg 2017.                Begleitung in der Erstsprache minimiert oder so-
es überhaupt nicht auf einen perfekten Sprachge-                                     gar verhindert werden“, sagt Hella Einemann-
brauch an“, betont Hella Einemann-Gräbert.                                           Gräbert und wünscht sich, dass auch Kranken-

  10 | Platt:düütsch
kulturland
                                                                                                                            2|19

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                                                                                              Engagement nach Kräften unter-
                                                                                              stützt und sie bereits mit dem Kunst-
                                                                                              und Kulturpreis ausgezeichnet hat.
                                                                                              Darüber hinaus wurden Sprach-CDs
                                                                                              und Videoclips erstellt und Fortbil-
                                                                                              dungen organisiert. Das alles führte
                                                                                              schließlich dazu, dass die Wildes-
                                                                                              hauser Schule die erste berufsbilden-
                                                                                              de „Plattdüütsch School in Nedder-
                                                                                              sassen“ geworden ist.
                                                                                                 Den angehenden Pflegekräften ge-
                                                                                              fällt der Unterricht auf Plattdeutsch,
                                                                                              denn sie wissen längst, die Sprache
                                                                                              kann vor allem in schwierigen pflege-
                                                                                              rischen Situationen wie eine Brücke
                                                                                              sein, weil sie Vertrautheit schafft
                                                                                              und manchmal wirkt wie Medizin.
                                                                                              Inzwischen wird Hella Einemann-
                                                                                              Gräbert von der Kollegin Dette Zing-
                                                                                              ler unterstützt, die Plattdeutsch
                                                                                              unterrichtet. Im nächsten Jahr geht
                                                                                              die engagierte Lehrkraft in den
                                                                                              Ruhestand. Ihr Ziel, Plattdeutsch an
                                                                                              der Schule zu implementieren, hat
                                                                                              sie erreicht. Ruhe wird in ihrem Le-
                                                                                              ben aber nicht ausbrechen. Die lei-
häuser ihrem Pflegepersonal Plattdeutsch in der    Unterstützung der Oldenburgischen          denschaftlich Plattdeutsch sprechen-
Pflege anbieten würden.                             Landschaft die Übersetzungshilfe          de Pflegepädagogin, die von sich

Energie und Engagement
                                                   „Plattdeutsch in der Pflege“. Eine klei-   sagt, schon immer sozial getickt zu
                                                    ne Wortschatzbroschüre für Berufe         haben, denkt über plattdeutsches
Hella Einemann-Gräbert steckt voller Energie.       im Gesundheitswesen mit Alltags-          Kabarett nach und hat bereits kon-
Ist sie erst einmal von etwas überzeugt, muss       begriffen, Fachausdrücken, Rede-          krete Pläne, die sie jedoch erst spä-
sie es umsetzen. Dabei geht sie durchaus unkon- wendungen sowie Hinweisen zur                 ter verrät.
ventionelle Wege. „Ich habe einfach mal drei       Aussprache und Grammatik.
Wochen mit meinen Schülern im Unterricht Platt        „Die Verantwortlichen in der Ol-
gesprochen, und das ging prima. Dann habe           denburgischen Landschaft haben
ich ein pädagogisches Konzept entwickelt und        schnell die Bedeutung des Vorha-
das weitere Vorgehen mit meiner Schulleitung        bens erkannt“, freut sich Hella Eine-
besprochen“, berichtet sie weiter. Inzwischen gibt mann-Gräbert, die nach über zehn
es an den BBS Wildeshausen ein entsprechendes       Jahren Arbeit über ein großes Netz-
Cur­riculum. Darüber hinaus entwickelte sie mit werk verfügt. Zu diesem gehört auch

                                                                                                            Platt:düütsch | 11
kulturland
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                                      Ihre Skulpturen sollten
                                      etwas erzählen
                                     Die Bildhauerin Anna Maria Strackerjan
                                     (1919–1980)
                                     Von Jürgen Weichardt

I
      hre Ateliers waren seit Ende der Fünfzigerjahre Treff-      Wohl hatte sie in München noch eine an der Formenstrenge
      punkte mit Künstlern und Freunden der Kunst sowie        des 19. Jahrhunderts orientierte klassische Bildhauer-Ausbil-
      Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sie wurden     dung erhalten; doch die ältesten in Fotografien überlieferten
      Orte der Diskussion und warben für ein positives Mei-    Arbeiten, Gipsmodelle von 1942 mit Themen wie „Flüchtlinge“
      nungsbild zur aktuellen Kunst. Vor 100 Jahren, am 23.    und „Der verlorene Sohn“, lassen, sofern die Datierung stimmt,
      Februar 1919 geboren, war Anna Maria Strackerjan die     frühe Kenntnis von Arbeiten von Käthe Kollwitz und Ernst
Künstlerin in Oldenburg, die die Skulptur in die Moderne       Barlach vermuten.
überführt hat. Zugleich überwand sie die unsichtbare Grenze       Anna Maria Strackerjans Werk zeigt mehrere stilistische
zwischen Künstler- und bürgerlicher Gesellschaft. Geholfen     Phasen, die zwischen einer Annäherung an eine realistische
hat, dass Anna Maria Strackerjan aus einer alten Oldenburger   menschliche Gestalt und einer möglichst weit gefassten Abs-
Familie stammte, aus der im 19. Jahrhundert namhafte Päda-     traktion schwanken. Eine differenzierende Rolle spielen dabei
gogen, Bibliothekare und regionale Politiker hervorgetreten    die Materialien wie Bronze, Eisen, Terrakotta, Gips über Draht
waren.                                                         sowie die Gattungen wie Statuen, Reliefs, Kleinplastiken und
                                                               nicht zuletzt die Orte öffentlicher Präsentation wie Parks, Stra-

     Zwischen einer Annäherung
                                                               ßen, Plätze, Hauswände oder Türen.
                                                                  Ab 1951 erarbeitet Anna Maria Strackerjan Plastiken mit
                                                               Themen menschlicher Tätigkeit wie „Sängerin“, „Lesende“
     an eine realistische menschliche                          oder „Sitzende“, traditionelle Motive, denen sie aber eine eigen-
                                                               ständige Form gegeben hat. Besonders in Eisenstatuen von
     Gestalt und einer möglichst                               1952 verzichtet sie ganz auf körperliche Volumina; sie scheint
                                                               die Körperhaltung aus einem Eisenband gebogen und aus­
     weit gefassten Abstraktion                                geschnitten zu haben und erreicht dadurch eine hohe Abstrak-
                                                               tion. Zum ersten Mal hat sie sich jener Grenze zur Ungegen-
                                                               ständlichkeit genähert, die ältere Kollegen wie Julio Gonzales
                                                               oder Karl Hartung schon überschritten hatten. Eine Christo-
   Nach ihrer Schulzeit in Oldenburg ließ sich Anna Maria      phorus-Statue in Bronze bedeutete dann die Rückkehr zu huma-
Strackerjan zunächst als Buchhändlerin in Hamburg und Ber-     nistischen Stoffen, die ihr Werk in der Folgezeit prägen sollten.
lin ausbilden, um dann noch während des Krieges in Mün­-       Diese Bronze wurde 1954 vom Niedersächsischen Kultusminis-
chen mit dem Kunststudium zu beginnen. Nach dem Krieg war      terium erworben. Mit ihr und anderen Werken jener Zeit hatte
sie als Werklehrerin in Einrichtungen der amerikanischen       Anna Maria Strackerjan zu einer Darstellung gefunden, bei der
Besatzung tätig und überstand so die ersten Nachkriegsjahre,   die Flächigkeit der vorausgegangenen Eisenfiguren mit einer
bis sie 1950 in Stockholm bei dem vor den Nazis emigrierten    sanfteren, der menschlichen Silhouette entsprechenden Kon-
Bildhauer Karl Helbig ihr Studium fortsetzen konnte. Nach      tur verbunden wurde.
dessen Tod 1951 kehrte Anna Maria Strackerjan nach Olden-         Es lag nahe, dass die ständige Beschäftigung mit der mensch-
burg zurück.                                                   lichen Figur die Künstlerin von der schlichten Glätte wieder

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kulturland
                                                                                             2|19

Porträtaufnahme von
Tõnis Käo, ca. Ende der
60er-Jahre (linke Seite).
Tõnis Käo war Produkt­
                               wegführte zu einer Annäherung an körpernahe
designer, später Vorsitzen-    Formen. Ein Beispiel ist das Mädchenpaar, das
der des Deutschen Werk-        die EWE als „Mädchengruppe“ 1954 erworben
bundes.                        hat. Im gleichen Jahr schuf die Künstlerin auch
„Schuh“ (oben), Kulturpreis
                               eine Bronze „Kleines Mädchen“, ein Werk, bei
der Oldenburgischen Land-      dem die Form wieder körperlicher und die Ober-
schaft für Gertrud Meyer-      fläche der Bronze stärker reliefiert wurde, also
Denkmann, sie war in           gegenüber den glatten Eisenplastiken ein Schritt
Oldenburg die beste
Freundin Anna Maria Stra-
                               in Richtung einer realistischen Figuration.
ckerjans. Foto: Hartmut           Zwischen 1954 und 1960 war Anna Maria Stra-
Witte                          ckerjan vorwiegend mit öffentlichen Aufträgen
                               beschäftigt: Mit strengen Mädchenfiguren für die
„Daphne“ (rechts), Modell
für die Auftragsarbeit für
                               EWE, mit einer „Mutter und Kind“-Skulptur aus
das Staatstheater (diese       Sandstein für eine Kaserne fand sie zunächst zu
war aufgestellt im oberen      einer weichen Realismus-Darstellung, die auch
Foyer, seit vielen Jahren im   in Reliefs etwa für die Tafeln der Gedenk-Instal-
Depot). Foto: Hartmut
Witte
                               lation im Alten Gymnasium zum Ausdruck kam.
                                  Eine Sonderstellung inmitten figurativer Men-
                               schen- und Tier-Motive, erinnert sei an die „Kra­
                               niche“ im Schlossgarten, nimmt das Leobschütz-
                               Denkmal ein, ein schlichter Stein, der nach oben
                               schmaler wird und auf einer Seite die Inschrift
                               zur Erinnerung an die bis 1945 deutsche Stadt
                               trägt. Doch allmählich wagte die Künstlerin auch
                               in Auftrags- und Wettbewerbsarbeiten, sich vom
                               Realismus zu entfernen: Der leider zerstörte Wand-
                               brunnen im Pavillon des Schlossgartens deutete

                                                                                    Porträt | 13
kulturland
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1958 mit „Blätter“ eine Lockerheit
der Komposition an, die entfernt an
Calders Mobiles erinnerte. Und die
späteren Brunnen im Herbartgang
zeigten in ihrem Mittelteil schlichte
Fantasieformen. Aber die figuren-
freie Abstraktion war nicht ihr Weg.
Anna Maria Strackerjans Skulpturen
sollten etwas zu erzählen haben, nicht
zuletzt aus dem humanistischen
Erbe der europäischen Geschichte,
aber ohne dabei auf die klassisch-
klassizistischen Standards zurück-
greifen zu müssen. Das zeigt sich
an den Arbeiten, die ab 1960 entstan-
den sind.
   In den von Wettbewerbszwängen
freien Atelierarbeiten standen in den
späten Fünfzigerjahren zunächst
neue Materialerfahrungen mit Terra-
kotta-Tierfiguren im Mittelpunkt.
Dann entstanden neue Plastiken mit
der menschlichen Figur, „Liegende“
und „Etruskerin“, 1960, gleichfalls
eine liegende Figur, vielleicht thema­
tisch angeregt von den mächtigen
Bronzen Henry Moores, die damals
die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Anna Maria Strackerjan war infor-        Die „Fromme Helene“ in
miert, aber sie suchte, das neu gewer-   der Wilhelm-Busch-Straße      Das letzte Jahrzehnt ihres Schaffens fällt in eine Zeit, in der
                                         in Oldenburg entstand
tete traditionelle Thema „Liegende“      1969. Sie bezieht sich
                                                                     Philosophen wie Derrida und Foucault von der „Postmoderne“
nach eigenen Formvorstellungen zu        auf die gleichnamige        gesprochen haben, kein Stilbegriff, sondern im Gegenteil ein
entwickeln. Die Gestalt blieb nach-      Geschichte von Wilhelm      Ausdruck für eine Befreiung vom Zwang zum Stil, der für
vollziehbar, doch die Anatomie wurde     Busch (1832–1908), in       Anna Maria Strackerjan ohnehin keine allzu große Bedeutung
                                         der er die Bigotterie des
von autonomen plastischen Linien         Bürgertums karikiert.
                                                                     hatte. In dieser Zeit entstanden im Atelier einige große Werke
und Durchbrüchen bedrängt. Die fast      Foto: Hartmut Witte

                                                                           Die figurenfreie Abstraktion
reliefartige Gruppenplastik „Män-
ner tragen Kinder“, 1960, zeigt die-
sen erneuten Auflösungsprozess
der körperlichen Form und damit
                                                                          war nicht ihr Weg
den neuen Schritt zur Abstraktion
am deutlichsten.                                                      wie „Römischer Kaiser“ und „Infantin“ aus Gips und Draht-
   Manchmal hat die Bildhauerin                                       geflechten, was ihnen ein fragiles Aussehen gab. In vielerlei
ältere Motive wieder aufgegriffen:                                    Hinsicht ist diese optische Brüchigkeit Teil der Aussage über
1954 hatte sie ein „Schreitendes                                     Vergänglichkeit und Ruhm.
Paar“ mit Gleichklang und Paralle-                                       In ihren Kleinplastiken vom „Torso“, 1962, bis zur Kleider-
len geformt, 1961 bewegen sich die                                    reihe, 1976, wird die Hülle zum Träger der Form, nicht der
beiden Gestalten aufeinander zu,                                      Körper. Beim „Torso“ ist es noch die Haut des Oberkörpers,
statt Harmonie nun eher ein deutli-                                   bei den Kleidern die schöne Vielfalt der Draperie und bei der
cher Unterschied.                                                    „Daphne“ das Geäst des Baumes. Was geblieben ist, wird von
                                                                     Bernd Wagenfeld, der zusammen mit Anne Wagenfeld einen
                                                                      ersten retrospektiven Bildkatalog geschaffen hat, bewahrt. Frei
                                                                      nach Hölderlin: „Was aber bleibet, das stiften die Künstler“.

  14 | Porträt
kulturland
                                                                                                                               2|19

Literaturtage in Varel                                    r­
                                                    förde der
                                                                               Obwohl sie eine lange Tradition haben, sind

und Dangast
                                                         t                  die Niedersächsischen Landesliteraturtage alles
                                                   projek ischen
                                                     urg
                                               oldenb chaf t                andere als traditionell. Vielmehr erfinden sie
                                                  lands
                                                                            sich, inspiriert vom Genius Loci, jedesmal neu.
20 Autoren kommen an den Jadebusen                                          So ist es auch diesmal, unter der künstlerischen
                                                                            Leitung des Vareler Autors Achim Engstler. Wir
                                                                            werden Lyrik in der Turmloge der Vareler Schloss-
                      Red. Seit mehr als 50 Jahren werden vom Verband       kirche hören, Krimis im Dangaster Kurhaus, kurze
                      deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) Prosa im Franz-Radziwill-Haus, Erzählungen
                      in Niedersachsen und Bremen die Niedersächsi-         auf der Vareler Schleuseninsel, es gibt eine Roman-
                      schen Landesliteraturtage veranstaltet. Viermal Lesung in einer alten Vareler Fabrik, und es wird
                      gastierten die Literaturtage bisher in unserer        erstmalig der Gerd-Lüpke-Preis für die beste platt-
                      Region, in Oldenburg, Jever, Dangast und zuletzt, deutsche Kurzgeschichte verliehen. Mit dabei
                      organisiert von Regine Kölpin, in Sande und           sind so renommierte Autorinnen und Autoren wie
                      Neustadtgödens. In diesem Jahr findet die viertä- Marion Poschmann, Georg Klein, Gerhard Hen-
                      gige Veranstaltung unter dem Titel „Horizonte“        schel, Guntram Vesper, Ga­briela Jaskulla, Susanne
                      in Varel und Dangast statt. Zwanzig Autorinnen        Kliem und Jochen Schimmang. Infos unter:
                      und Autoren werden vom 19. bis zum 22. Septem- www.literaturtage-niedersachsen.com/
                      ber am Jadebusen aus ihren aktuellen Texten
                      lesen und für Gespräche zur Verfügung stehen.

 PROGRAMM

DONNERSTAG, 19. SEPTEMBER 2019, 20 UHR                              SAMSTAG, 21. SEPTEMBER 2019, 13 UHR
Waisenstift, Waisenhausstraße 19, 26316 Varel                       Treffpunkt Schlossplatz, 26316 Varel
Eröffnungsveranstaltung „Horizonte der Literatur“ (Eintritt frei)   Literarischer Stadtgang (Teilnahme kostenlos)
Mit dem Landrat des Landkreises Friesland, Sven Ambrosy,            Mit Helga von Eßen und Karl-Heinz Martinß
dem Bürgermeister der Stadt Varel, Gerd-Christian Wagner,
der Vorsitzenden des VS Niedersachsen/Bremen, Sabine Pri-           SAMSTAG, 21. SEPTEMBER 2019, 15 UHR
lop, der PEN-Präsidentin Regula Venske und der vielfach aus-        Turmloge der Vareler Schlosskirche, Schloßplatz, 26316 Varel
gezeichneten Autorin Marion Poschmann, die aus ihren Wer-           „Vershorizonte“. Lyrik (Eintritt 10/8 €)
ken lesen wird.                                                      Mit Inge Buck, Annette Hagemann und Christian Lehnert
Moderation: Achim Engstler. Musik: „Violino classico“                Moderation: Astrid Dehe. Musik: Kammerchor der Schloss­
                                                                     kirche Varel, Leitung Dorothee Bauer
FREITAG, 20. SEPTEMBER 2019, 16 UHR
Weltnaturerbeportal, Edo-Wiemken-Straße 61, 26316 Varel             SAMSTAG, 21. SEPTEMBER 2019, 20 UHR
Verleihung des Gerd-Lüpke-Preises für die beste plattdeut-          Winicker & Lieber, Hansastraße 1, 26316 Varel
sche Kurzgeschichte zum Thema „Nich to glöven“                      Literatur in der Fabrik „Einblicke“ (Eintritt 12/10 €)
Lesung der Preisträger (Eintritt frei)                              Mit Georg Klein und Gerhard Henschel
                                                                    Moderation: Esther Willbrandt
FREITAG, 20. SEPTEMBER 2019, 20 UHR
Kurhaus Dangast, An der Rennweide 46, 26316 Varel                   SONNTAG, 22. SEPTEMBER 2019, 11.30 UHR
„Killing You Softly“. Krimi-Nacht (Eintritt 10/8 €)                  Franz-Radziwill-Haus, Sielstraße 3, 26316 Varel
Mit den Crime-Ladies Susanne Kliem und Tatjana Kruse                „Worthorizonte“. Kurze Prosa (Eintritt 10/8 €)
Musik: „Kleinstadtblues“                                             Mit Sudabeh Mohafez und Guntram Vesper
                                                                     Moderation: Konstanze Radziwill/Achim Engstler
SAMSTAG, 21. SEPTEMBER 2019, 11 UHR
 Bücherei der St.-Bonifatius-Kirche, 26316 Varel                    SONNTAG, 22. SEPTEMBER 2019, 15 UHR
„Vareler lesen Vareler Texte“ (Eintritt frei)                       Bistro Vareler Schleuse, Am Hafen 80, 26316 Varel
 Gelesen, geslamt und vorgestellt werden Texte aus vier Jahr-       Literatur auf der Schleuseninsel „Bis zum Horizont und weiter“
 hunderten                                                          (Eintritt 8/6 €)
 Moderation: Godehard Gottwald                                      Mit Gabriela Jaskulla und Jochen Schimmang

                                                                                                                    Literatur | 15
kulturland
  2|19

Zum 150-jährigen Jubi­läum der Seehafenstadt Wilhelmshaven darf ein Brillantfeuerwerk nicht fehlen. Im Vordergrund die Kaiser-Wilhelm-Brücke.
Foto: Rainer Ganske

Symbiose von Tradition                                                                                             Unverkennbar: Michel aus
                                                                                                                   Lönneberga, der blonde
                                                                                                                   Lausbub auf dem Titel des

und Moderne
                                                                                                                   Programmflyers der Frei-
                                                                                                                   lichtbühne Lohne. Foto:
                                                                                                                   Freilichtbühne Lohne

Kultureller „Hochsommer“
im Oldenburger Land                                                                   Freilichtbühne Lohne
                                                                                      Auf der Freilichtbühne Lohne (Kreis Vechta)
Von Günter Alvensleben                                                                herrscht in dieser Spielsaison „Der nackte Wahn-
                                                                                      sinn“. Das Stück von Michael Frayn, das dar-
                                                                                      stellt, wie Schauspieler eine Boulevardkomödie
                                                                                      proben, sich aber in einem gruppendynami-
Die Sommerzeit im Oldenburger Land ist immer wieder geprägt                           schen Zerrüttungsprozess verstricken, hat Re-
von einem vielfältigen, niveauvollen Kulturangebot und das                            gisseur Mark Spitzauer tiefgründig umgesetzt.
zumeist unter freiem Himmel. Vom Jadebusen bis zum südli-                             Vom 24. August bis 14. September haben die
chen Oldenburger Münsterland stehen zahlreiche erlebenswerte,                         Besucher Gelegenheit, diesen herrlichen Wahn-
hochkarätige Veranstaltungen im Kulturkalender. Neben den                             sinn mitzuer­leben. Für junge Theaterbesucher
zugkräftigen professionellen Angeboten tragen vor allem auch                          hat man „Michel aus Lönneberga“, die Schmunzel-
die Programme von kulturschaffenden Vereinen, deren Mit-                              geschichte von Astrid Lindgren, bis zum 11. Au-
glieder sich ehrenamtlich, begeistert, engagiert und gekonnt                          gust auf den Spielplan gesetzt. Und wer kann
einbringen, zum kulturellen „Hochsommer“ im Oldenburger                               Missgeschick, Schabernack und allerlei Unfug
Land bei. Dazu gehören Freilichttheater, die für ihre brillanten                      von Michel Svensson, dem blonden Lausbuben,
Inszenierungen bekannt sind, Musik- und Brauchtumsveran-                              besser ins rechte Licht rücken, als der seit Jah-
staltungen sowie exzellente Sonderevents. Das breitgefächerte                         ren für seine einfallsreichen Inszenierungen be-
Veranstaltungsspektrum spricht alle Generationen und Bevöl-                           liebte Regisseur René Schack. In diesem Jahr
kerungskreise an. Nachfolgend einige „Einblendungen“.                                 gab es auch schon ein Experimentiertheater mit

  16 | Kultureller Sommer
kulturland
                                                                                                                                     2|19

einem Stück von Kindern geschrieben        vielseitige Schauspielerin und Regisseurin, das           Stadt Oldenburg
und gespielt: „Der 35. Mai“. Jeweils       aufwendige Stück einstudiert. Etwas lustiger             Selbstverständlich kann man sich
bis zu 40 ehrenamtliche Darsteller         und entspannter geht es bei „Pippi Langstrumpf“          auch wieder auf den „Oldenburger
und dazu zahlreiche ehrenamtliche          (21. Juni bis 6. Juli), dem Klassiker von Astrid         Kultursommer“ freuen. An zwölf
Helfer sorgen für den erfolgreichen        Lindgren, zu. Die Regisseurin Inge Misegades-            Tagen, vom 17. bis 28. Juli, wartet
Ablauf der Spielzeit. Der Zuschauer-       Kroll, die alljährlich in Westerstede das Winter-        Oldenburg mit einem vielfältigen,
raum (780 Sitzplätze) ist überdacht.       märchen inszeniert, freut sich auf ihre erste Regie-     ausgefeilten Kulturprogramm auf.
www.fblohne.de                             arbeit unter freiem Himmel. Auch in Westerstede          Die Innenstadt präsentiert sich wie-
                                           spielt das ehrenamtliche Element eine bedeuten-          der als ein extravagantes Open-Air-
                                           de Rolle. Beide Stücke sind mit 45 Darstellern           Kulturzentrum mit international
                                           besetzt. Die Besuchertribüne ist mit einer Über-         ausgerichteten Konzerten, Theater,
                                           dachung gegen Wind und Wetter geschützt.                 Sonderausstellungen, Lesungen,
                                           www.freilichttheater.info                                Open-Air-Kino, einzigartigen Show-
                                                                                                    darbietungen und mit besonderen

                                           Rastede
                                            Pauken und Trompeten
                                            stehen auch in diesem
                                            Sommer im Ammerlän-
Hochherrschaftlich geht es in Westerste-    der Residenzort Rastede
de auf dem Alten Markt zu. Das schicke      im Vordergrund. Wenn
Brautpaar (Stephanie van Doorn, Andreas
Petzold) im Stück „Die Braut von Fiken-
                                            vom 28. bis 30. Juni im
solt“. Foto: Touristik Westerstede         Umfeld des Residenz-
                                            schlosses die „64. Inter-
Freilichttheatergemeinschaft                nationalen Musiktage“ Das Konzert mit der Gruppe KC Roberts & The Live Revolution gehört
Westerstede                                 und gleichzeitig der           mit zu den Höhepunkten des „Oldenburger Kultursommers“. Foto:
                                                                          Kultur­etage Oldenburg
Auf den Pfad der Geschichte begibt         „14. European Open
sich in der Ammerländer Kreisstadt,         Championship“ der „World Association of Mar- Familien- und Kinderprogrammen.
gefördert von der Oldenburgischen           ching Show Bands“ (WAMSB) unter der Schirm-                 Besondere Höhepunkte sind unter
Landschaft, die Freilichttheater­           herrschaft von Christian Herzog von Oldenburg anderem das Eröffnungskonzert „Les
gemeinschaft Westerstede mit dem            im Veranstaltungskalender stehen, dann zeigen               Amazones d’Afrique“ (World Music
Schauspiel „Die Braut von Fikensolt“       71 Fanfaren- und Spielmannszüge, Showbands, Afrika), die Konzerte mit den Grup-
und greift damit ein heimatgeschicht-       Drum Corps, Konzertbands und Musikgruppen                   pen „KC Roberts & The Live Revo­
liches Thema auf, das sich mit ei-          aus Deutschland, Holland, Polen, Belgien, Thai- lution“ (19. Juni) und „Rupa & The
nem vor 350 Jahren (am 6. Oktober                                                                                   April Fishes“ (25. Juli)
1669) datierten Ereignis befasst.                                                                                    sowie mit Rocky Dawu-
Vom 22. Juni bis zum 7. Juli verwan-                                                                                 ni (Afrobeat, 20. Juli).
delt sich der Alte Markt zu Füßen                                                                                   Auch der Globale Lokal-
der St.-Petri-Kirche in eine Welt des                                                                                tag, „Global Lokal“
Adels mit Rittern, Knappen, Burg-                                                                                   (21. Juli), der Mi­g ra­
herren, Junkern, Brautjungfern,                                                                                      tions­gruppen und loka-
Hofleuten und Gesinde sowie mit                                                                                      len Bands gewidmet
Soldaten, Henker und Zigeunerin.                                                                                     ist, und vor allem die
Dabei fehlen auch Kampfszenen und                                                                                   „Musik für Kids“ „Blind-
fröhliche Festszenen nicht. Es geht         Die „Internationalen Musiktage“ in Rastede, ein faszinierendes Hör- und fische“, Toni Geiling
der Sage nach um einen Giftmord,            Seherlebnis, ziehen vor allem bei den großen Musikshows und Marsch-      und Wolkenorchester,
                                            paraden die Besucher in ihren Bann. Foto: Rasteder Musiktage
der in Wahrheit ein „normaler“ Er-                                                                                  (28. Juli), gehören zu
stickungstod war. Das Stück der be-         land und Malaysia ihr Können auf höchstem Niveau. den Spitzendarbietungen. Alles in
kannten Autorin Erika-Janna Peter-         An dem farbenfrohen und abwechslungsreichen                  allem ein Kultursommer nicht nur
sen stand bereits 1972 und 1975 mit         Musikspektakel nehmen über 3100 Musiker teil                zum Zuschauen, sondern zum Erle-
dem erfolgreichen Oldenburger Re-           und üben bereits für die Teilnahme an der 2021              ben und Mitmachen.
gisseur Rudolf Plent auf dem Spiel-         in Rastede stattfindenden „Weltmeisterschaft                www.kulturetage.de
plan. In diesem Jahr hat Elke Münch         der WAMSB“.
(Wilhelmshaven), eine künstlerisch          www.rastedermusiktage.de

                                                                                                           Kultureller Sommer | 17
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