Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
Zeitschrift der        Hessen
  für Erziehung, Bildung, Forschung

64. Jahr       Heft 4        April 2011

       TITELTHEMA
           Selbstständige Schule
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
GEW HESSEN                                                                                                                             HLZ 4/2011             2

                                                                                                                Zeitschrift der GEW Hessen
                                                                                                                für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                ISSN 0935-0489

                                                                                              I     M       P      R       E      S      S      U      M
                                                                                              Herausgeber:
                                                                                              Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                              Landesverband Hessen
                                                                                              Zimmerweg 12
                                                                                              60325 Frankfurt/Main
                                                                                              Telefon (0 69) 9 71 29 30
                                                                                              Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                                                              E-Mail: info@gew-hessen.de
                                                                                              Homepage: www.gew-hessen.de
                                                                                              Verantwortlicher Redakteur:
                                                                                              Harald Freiling
                                                                                              Klingenberger Str. 13
                                                                                              60599 Frankfurt am Main
                                                                                              Telefon (0 69) 63 62 69
                                                                                              Fax (0 69) 6 31 37 75
                                                                                              E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                                                                                              Mitarbeit:
                                                                                              Christoph Baumann (Bildung), Joachim Euler (Aus- und
                                                                                              Fortbildung), Ulla Hess (Mitbestimmung), Michael Köditz
                                                                                              (Sozialpädagogik), Annette Loycke (Recht), Carmen Lud-
                                                                                              wig (Hochschule), Karin Schüßler (Bildung), Andreas
                                                                                              Staets (Hochschule), Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd
                                                                                              Turk (Tarifpolitik und Gewerkschaften)

                    Neu bei der GEW Hessen                                                    Gestaltung:
                                                                                              Michael Heckert, Harald Knöfel

     Zwei neue Kollegen haben ihre Arbeit        rechts). Der studierte Medien- und           Titelthema: Harald Freiling
     in der Landesgeschäftsstelle aufge-         Kulturwissenschaftler war zuvor als          Illustrationen:
     nommen. Tobias Cepok (27) ist seit dem      Wissenschaftlicher Mitarbeiter im hes-       Träger & Träger (Titel, S. 7, 15), Thomas Plaßmann (S. 13),
                                                                                              Dieter Tonn (S. 15), Ruth Ullenboom (S. 4)
     15. Februar als Jugendbildungsrefe-         sischen Landtag tätig sowie im
     rent für die GEW Hessen tätig (Foto         Sprecherrat der Stipendiatinnen und          Fotos:
                                                                                              arbeiterfotografie.com (S. 23, 33), digitalstock (S. 21, 27),
     links). Bisher war der studierte Poli-      Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-             Harald Freiling (S. 10,11)
     tikwissenschaftler als wissenschaftli-      Stiftung und im Vorstand des freien          Verlag:
     che Hilfskraft beschäftigt. Politisch ak-   zusammenschlusses von studentInnen-          Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
     tiv ist er seit über einem Jahrzehnt,       schaften (fzs) aktiv. Er ist Mitherausge-    Niederstedter Weg 5
                                                                                              61348 Bad Homburg
     zuletzt war er AStA-Referent und un-        ber der Bücher „Denkanstöße“ gegen
     terstützte die GEW ehrenamtlich. Jetzt      die neoliberale Zurichtung von Bil-          Anzeigenverwaltung:
                                                                                              Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
     arbeitet er für die Interessen der Lehr-    dung, Hochschule und Wissenschaft            Edith Hestert
     kräfte im Vorbereitungsdienst, Studie-      und „Netzwerk der Macht“ über die            Postfach 19 44
     renden, Auszubildenden und jungen           Bertelsmann-Stiftung. Für die GEW            61289 Bad Homburg
                                                                                              Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
     Erwerbstätigen in Schulen und Hoch-         Hessen wird er Stellungnahmen ent-           E-Mail: mlverlag@wsth.de
     schulen.                                    werfen, den ehrenamtlichen Gremien
                                                                                              Erfüllungsort und Gerichtsstand:
         Jens Wernicke (33) arbeitet seit        zuarbeiten sowie die Erstellung der          Bad Homburg
     dem 1. März als Referent der GEW            regelmäßig erscheinenden Publikatio-
                                                                                              Bezugspreis:
     Hessen für Bildungspolitik (Foto            nen professionell unterstützen.              Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließ-
                                                                                              lich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die
                                                                                              Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten.
                                                                                              Zuschriften:
      Aus dem Inhalt                                                                          Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird
                                                  S. 16 Verfassungsrechtliche Grenzen         keine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentli-
      Rubriken                                    S. 18 Selbstverantwortung plus              chung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Nament-
                                                                                              lich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Mei-
      S. 4 Spot(t)light                                                                       nung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen.
                                                  Einzelbeiträge
      S. 5 Briefe
      S. 6 Meldungen                              S.   20   Konfusion um Kerncurriculum
      S. 33 Recht: Versammlungsfreiheit           S.   22   Bundeswehr und Schule             Redaktionsschluss:
      S. 34 Recht: Jahressonderzahlung            S.   24   Studentische Hilfskräfte          Jeweils am 5. des Vormonats
      S. 36 Magazin                               S.   26   Achim Meyer auf der Heyde:
                                                            Hochschulen zwischen
      Titelthema: Selbstständige Schule                     Inklusion und Exzellenz
                                                                                              Nachdruck:
                                                                                              Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
      S. 7 Der Gesetzentwurf                      S.   28   Rechtsextremismus in Hessen (2)   gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigen-
      S. 9 HLZ-Streitgespräch                     S.   30   Lehrproben anno 1976              teils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge-
                                                                                              nehmigung der Redaktion und des Verlages.
      S. 12 Lernmittelfreiheit in Gefahr          S.   31   Beratung in Berufsschulen
      S. 14 Erfahrungen mit dem Schulbudget       S.   32   Asyl für Homayon Sadri!           Druck:
                                                                                              Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH
      S. 15 Das Kleine Schulbudget                S.   35   Supervision für Lehrkräfte        Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
3     HLZ 4/2011                                                                                                 KOMMENTAR

                                                           Eine Schule für alle
    Kultusministerin Henzler und die Inklusion
    Die „eine Schule für alle“ ist eine starke Schule. Dies ist   vorlage zur Schulgesetznovelle den Anspruch auf
    vielfach belegt, nicht nur durch die PISA-Vergleichs-         inklusiven Unterricht nicht entsprechend der UN-
    studien, sondern vor allem durch die Erfahrungen in           Konvention umsetzt und keine Regelungen trifft, um die
    den skandinavischen Ländern.                                  Voraussetzungen für inklusiven Unterricht zu schaffen,
        Stark sind die Schülerinnen und Schüler, die mit          folgendermaßen: Zum einen ermögliche die UN-Kon-
    ihren individuellen Stärken und Schwächen angenom-            vention „kein individuelles Recht“ und schaffe „keinen
    men und gefördert werden, mit welchen Stärken oder            einklagbaren Rechtsanspruch im Individualfall“, son-
    Schwächen sie auch immer ankommen.                            dern fordere lediglich die Länder auf, „die Möglichkei-
        Stark sind auch die Lehrkräfte, die „ihren“ Schü-         ten für Inklusion zu schaffen“. Zum anderen werde
    lerinnen und Schülern gerecht werden können und               Hessen „vermutlich Ende März eine Schuldenbremse in
    deren Beruf auf hohe Anerkennung trifft. Stark ist auch       der Verfassung beschließen“.
    ein Schulsystem, das Unterstützung und Förderung der             Kultusministerin Henzler spricht der Konvention
    Individuen durch multiprofessionelle Teams an Schulen         und den ihr zugrundeliegenden Menschenrechten ihre
    gewährleistet.                                                universelle Gültigkeit ab. Sie verweigert für eine un-
        Stark ist aber auch eine Gesellschaft, die allen eine     absehbare Zeit die Umsetzung der Konvention im
    bestmögliche Beteiligung und Teilhabe ermöglichen will        Bildungsbereich. Jenseits aller Lippenbekenntnisse von
    und sich daher ein inklusives Schulwesen leistet.             CDU und FDP zeigt dies deutlich: Die Politik zu Lasten
        Die GEW setzt sich seit Jahren für eine gemeinsame        sozial benachteiligter Gruppen und der Arbeitnehme-
    Schule für alle Kinder ein – eben für ein integratives        rinnen und Arbeitnehmer, die Verteilung von unten
    Bildungssystem auf allen Ebenen, wie es die UN-               nach oben, der weitere Raubbau an sozialen Errungen-
    Konvention über die Rechte von Menschen mit Behin-            schaften und der Staatsabbau sollen in eine neue, noch
    derungen (Behindertenrechtskonvention) einfordert. Die        grausamere Runde gehen, als wir sie von der Agenda
    Unterzeichnung der UN-Konvention und insbesondere             2010 kennen. Die „Schuldenbremse“ wird genau so
    des Artikels 24 verpflichtet Deutschland, ein Schul-          instrumentalisiert, wie dies das Bündnis „Handlungs-
    wesen „ohne Diskriminierung und auf der Grundlage             fähiges Hessen“ anprangert.
    von Chancengleichheit“ zu schaffen, die „äußeren                 Dieser Politik werden wir als GEW Hessen auch
    Bedingungen für die Verwirklichung des Rechts“ her-           weiterhin vehement und solidarisch entgegentreten und
    zustellen und „lebenspraktische Fertigkeiten und sozia-       für unsere Leitidee gleicher Lebens- und Bildungschan-
    le Kompetenzen“ zu vermitteln, um die „volle und              cen und die dafür erforderlichen Bedingungen kämp-
    gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als             fen.
    Mitglieder der Gemeinschaft“ zu ermöglichen.
        Diese Konvention mit ihren demokratischen und
    emanzipatorischen Inhalten ist für die Rechte der
    Behinderten ein großer Erfolg. Für das deutsche
    Schulwesen klingt es nach einer Revolution. Eine
    demokratische Gesellschaft, die ihre soziale Verant-
    wortung ernst nimmt, muss sich ein inklusives Schul-
    wesen leisten wollen und können. Genau dies wollen
    vornehmlich konservative Politikerinnen und Politiker
    offensichtlich nicht.
                                                                                                Karola Stötzel
        Im Februar beantwortete Kultusministerin Doro-                                          stellvertretende Vorsitzende
    thea Henzler (FDP) die Frage, warum die Koalitions-                                         der GEW Hessen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT                                                                                                             HLZ 4/2011       4

      Die Kunst der Präsentation                                                              hast du zwei Wochen Zeit gewonnen, in
                                                                                              denen du deinen Text Wort für Wort
                                                                                              auswendig lernen kannst. Was sollst du
                                                                                              tun in deiner Not? Die Lehrkraft will ja
                                                                                              nicht, dass du einfach vom Blatt abliest.
      In der 10. Klasse sollst du ganz überra-   drohten Walen kann man auch in der           Am besten entgehst du eventuellen
      schend ein Referat halten. Ups, Referat    Oberschule brillieren. Vielleicht borgt      mündlichen Peinlichkeiten, wenn dir
      heißt ja jetzt „Präsentation“. Du kannst   dir dein Kumpel vom Kickboxen seinen         jemand aus der Sippe eine Power-
      dich dunkel an Projektwochen erin-         Aufsatz über „Bahnwärter Thiel“. Er hat      Point-Präsentation basteln kann, in der
      nern, in denen ihr eure „Methoden-         dafür immerhin eine Zwei bekommen.           die Überschriften buchstabenweise aus
      kompetenz“ erweitern durftet. An The-      Im Internet findest du zu jedem Thema        dem Nirvana purzeln, sich Bilder und
      men wie „Runddörfer im Mittelalter“        ausgearbeitete Texte. Für ein paar Euro      Grafiken mosaikartig zusammensetzen
      und „Du und die Fledermaus“ habt ihr       kannst du ganze Diplomarbeiten run-          und später wieder in ihre Einzelteile
      mit lustig beklebten Plakaten „präsen-     terladen. Aber Vorsicht! Manche Leh-         zerfallen. Medienfeuerwerke beein-
      tieren“ geübt. Du hattest damals ganz      rer sind so raffiniert, dass sie auffällig   drucken alle Lehrer! Und nicht nur die.
      andere Interessen. Dein Lehrer wollte      elaborierte Passagen bei Google ein-         Vielleicht hast du schon mal von die-
      dich abholen, wo du standest, aber du      geben und den Originaltext aufspüren.        sem effektvollen Power-Point-Auftritt
      hattest keine Lust mitzugehen. Nun be-     Sie reagieren dann ausgesprochen hu-         des amerikanischen Außenministers
      schwerst du dich zu Hause, dass du         morlos. Üb beizeiten vorm Spiegel, da-       Powell vor der UNO gehört? Erwähne
      überfallartig etwas können musst, was      mit du schwer beleidigt reagieren            nebenbei, dass du gern ein White Board
      du nie gelernt hast. Deine Eltern holen    kannst, wenn dein Lehrer von Betrug          zum Einsatz gebracht hättest, aber lei-
      die Gebetsmühle vom Schrank und re-        spricht. Du hast wirklich keine Ah-          der verfüge deine Anstalt ja nicht über
      gen sich über unfähiges Lehrpersonal       nung, wer dein geistiges Eigentum auf        zeitgemäßes Equipment. Wenn sich in
      auf. Vati fordert in einem couragierten    www.clevere-schueler.de gestellt hat!        deinem sozialen Umfeld niemand mit
      Brief an die Lokalzeitung Fortbil-         Wenn du solche unliebsamen Ausein-           Power-Point auskennt, greif auf Film-
      dungszwang für alle Lehrer über Vier-      andersetzungen vermeiden willst, bau         ausschnitte zurück. Ach was, zeig ein-
      zig. Mutti kauft dir einen teuren Video-   in deine Internet-Beute sprachliche          fach den ganzen Film. Denken ist müh-
      kurs „Präsentationstechniken in der        Entgleisungen und Rechtschreibklop-          sam, die Macht der Bilder aber unbestrit-
      modernen Wirtschaft“. Aber das ist gar     per ein.                                     ten. Verteil umfangreiche „Handouts“
      nicht nötig. Alles Wichtige lernst du          Der Termin für deine Präsentation        und sorgsam gefaltete Flyer, um über
      hier! Völlig kostenlos.                    rückt näher. Beim ersten Mal sagst du        Wissenslücken hinwegzutäuschen. Dei-
          Deine Deutschlehrerin hat das The-     treuherzig, dass du die Unterlagen bei       ne Lehrerin ist sichtlich gerührt über
      ma freigestellt. Das ist doch schon mal    deiner Oma vergessen hast. Beim Er-          die Arbeit, die in deinem Plakat steckt.
      fein. Du hast bestimmt noch irgendwo       satztermin bist du indisponiert. In der      Wie bei einem Adventskalender ist hin-
      ein Referat aus der 4. Klasse. Mit be-     nächsten Stunde fehlt die Lehrerin. So       ter einzelnen Türchen verborgen, was
                                                                                              deine große Schwester wichtig fand. So
                                                                                              engagierte Schüler kann man unmög-
                                                                                              lich mit einer Fünf abspeisen, selbst
                                                                                              wenn sie ihr Thema nur unzulänglich
                                                                                              beherrschen.
                                                                                                  Blöd sind Zwischenfragen. Sprich
                                                                                              deshalb vorher eindringlich mit eurem
                                                                                              Musterschüler, damit er die Klappe
                                                                                              hält. Etwaige Unsicherheiten während
                                                                                              des Vortrags übergehst du, indem du
                                                                                              schnell und undeutlich redest. Beim
                                                                                              dritten Nachfragen gibt selbst der hart-
                                                                                              näckigste Lehrer auf. Wenn nicht, sind
                                                                                              Hustenanfälle, Black-outs und Kreis-
                                                                                              laufschwächen angesagt. Erzähl der
                                                                                              Lehrerin anschließend mit Tränen in
                                                                                              den Augen, dass du Liebeskummer
                                                                                              hast. Gut machen sich auch häusliche
                                                                                              Alkoholprobleme. Pech hast du aller-
                                                                                              dings, wenn du in der Oberstufe an die-
                                                                                              sen alten Knaster gerätst, der Bildung
                                                                                              statt Kompetenzen vermitteln will und
                                                                                              von Humboldt schwärmt. Den kannst
                                                                                              du leider mit Power-Point überhaupt
                                                                                              nicht beeindrucken, der will Gliede-
                                                                                              rungen und Argumentationslinien statt
                                                                                              gut getimter Effekte. Viel Glück!
                                                                                              Gabriele Frydrych
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
5      HLZ 4/2011                                                                                                                        BRIEFE

    Betr.: HLZ 3/2011                                Was ergibt sich aus der Abschaffung     Schneider vom Paritätischen Wohl-
    Allendorfer Appell                           der Auslese? Wir müssen als GEW-Mit-        fahrtsverband. Selbst wenn man die Zu-
                                                 glieder unser Lehrerbild ändern, denn       schüsse für die Mitgliedschaft in einem
    Keine Grundlage für die GEW                  wir sind alle mit Benotung, Überprü-        Sportverein, das warme kostenlose Mit-
    Schon zum zweiten Mal ruft die HLZ           fung, Beratung bei Schulwechsel an          tagessen – in einer hoffentlich vorhan-
    dazu auf, den Allendorfer Appell zu          diesem Auslesesystem beteiligt, schrei-     denen Mensa – und die Bereitstellung
    unterschreiben, in der HLZ 1-2/2011 in       ben Vergleichsarbeiten, obwohl wir da-      der Gelder für Schulausflüge, Nachhilfe-
    Verbindung mit einem zweiseitigen            gegen sind, geben Noten auch in Fä-         und Musikunterricht begrüßt, erscheint
    Artikel des GEW-Kollegen und Initia-         chern wie Kunst, Musik, Sport, obwohl       es völlig unsinnig und überbürokra-
    tors des Appells Johannes Batton, im         wir den Schaden für groß halten und so      tisch, für jede dieser Maßnahmen einen
    Heft 3/2011 in Verbindung mit einer          weiter. Machen wir uns nichts vor: Das      einzelnen Antrag zu stellen. Die Abrech-
    Stellungnahme des GEW-Landesvor-             prägt uns. Also müssen wir uns auf den      nung und Auszahlung der Gelder ge-
    stands zur Inklusion, die wenigstens         Weg machen, die Voraussetzungen in          schieht in ebenso wenig nachvollzieh-
    klarstellt, dass die GEW für eine Schu-      unserer pädagogischen und didakti-          barer Art. Millionen werden für büro-
    le für alle eintritt. Der Allendorfer Ap-    schen Arbeit für inklusives Arbeiten        kratische Vorgänge und Verteilungen
    pell ist nicht mehr als das, was er von      prüfen und herausfinden, wie sie geför-     verschwendet, zumal der monatliche
    sich behauptet, eben ein Appell: Er ap-      dert und gestärkt werden können. Und        Förderbetrag für Mitgliedschaften in
    pelliert                                     wir müssen uns der exklusiven Elemen-       Vereinen, Musikschulen oder vergleich-
    • an die Kultusministerin und an den         te unserer Arbeit bewusst werden, die       bare Aktivitäten gerade einmal 10 Euro
    Landtag, sie mögen doch vernünftig           oft unseren Umgang mit Schülerinnen         im Monat beträgt. Ganztagsschulen und
    sein und die Inklusion anständig um-         und Schülern und unsere Sichtweise auf      Pädagogen vor Ort, neu einzustellende
    setzen,                                      sie prägen und Schritte zur Inklusion er-   professionelle Sozialarbeiter und viele
    • an das Deutsche Institut für Men-          schweren.                                   ehrenamtliche örtliche Helfer und Orga-
    schenrechte und an die Eltern behin-             Wenn Förderschulen und Hauptschu-       nisationen sollten großzügige finanziel-
    derter Kinder, obwohl sich genau diese       len abgeschafft werden, das Gymnasium       le Mittel erhalten und darüber verfügen
    beiden Kräfte sehr vehement für die          nicht mehr als das „heilige Bollwerk“       dürfen. Sie wissen fachkundig und sach-
    Menschenrechte einsetzen,                    angesehen werden kann, wenn wir wirk-       gerecht, wie und wo man Kindern, die
    • an die Eltern nicht behinderter Kin-       lich für eine Schule für alle eintreten,    bedürftig sind, am schnellsten und be-
    der. obwohl es der GEW besser zu Ge-         müssen auch alle im Bildungssektor Ar-      sten helfen kann. Kritisch sind auch die
    sicht stehen würde, ihnen gleichberech-      beitenden eine produktive Auseinander-      sogenannten Betreuungsgelder zu se-
    tigt gegenüberzutreten, deren Verdien-       setzung über ihre Bildungsarbeit führen:    hen, die in Milliardenhöhe als Prämien
    ste zu würdigen, statt an sie zu             Wer kann und muss da von wem was ler-       an die Eltern gezahlt werden sollen, die
    „appellieren“,                               nen? Für eine solche solidarische Aus-      ihre Kinder aus den Kindergärten fern-
    • an die Kolleginnen und Kollegen,           einandersetzung sind wir in der GEW         halten. Hier stellt sich erneut die Frage
    sie sollen etwas tun, wofür die GEW          prädestiniert, doch der Allendorfer Ap-     der Gerechtigkeit in unserem Bildungs-
    ohnehin stets eintritt, nämlich „Über-       pell gibt auf all diese Fragen keine Ant-   wesen. Es bleibt leider der Eindruck,
    forderungssituationen nicht hinzuneh-        worten. Und er schadet der GEW, weil er     dass Gerechtigkeit für alle Kinder und
    men“ (ein schönes Wort!), ohne Farbe         eindeutige Aussagen für die Inklusion       Jugendlichen in Deutschland noch im-
    zu bekennen, ob diese jetzt für die          vermeidet und von Befürwortern und          mer eine Utopie bleibt! Jedenfalls sind
    Inklusion oder doch besser dagegen           Gegnern der Inklusion gleichermaßen         die derzeitigen Bildungspakete und ihre
    sein sollen.                                 unterschrieben werden kann.                 Wirkung eine unsinnige Geldausgabe in
        Wir brauchen keine Appelle, son-             Wir sollten für die Demokratisierung    Milliardenhöhe.
    dern eine grundsätzliche Haltung! Und        unserer Schulen und unseres Bildungs-       Heinrich Nitschke, Usingen
    die ist in der GEW strittig, ohne dass       systems kämpfen, für die Inklusion und
    darüber eine offene Auseinanderset-          gegen ihre Gegner, egal ob sie im Kul-
    zung geführt wird. Das ist nicht sonder-     tusministerium sitzen oder in der GEW!
    lich produktiv.                              Chris Ortmeyer, Frankfurt, Grundschul-      Betr.: HLZ 3/2011
        Die GEW muss zunächst ihre Haltung       lehrer seit 1974                            Schuldenbremse
    inhaltlich bestimmen: Wir müssen die                                                     Habt ihr sie noch alle?
    Inklusion unterstützen, weil wir sie rich-
    tig finden, weil wir stets für Menschen-                                                 Ich habe Kinder und Enkel und lebe in
    rechte eintreten, weil die daraus resul-                                                 einem Land mit Schulden, die täglich
                                                 Betr.: Kinderarmut                          steigen. Sie wollen nicht bremsen beim
    tierenden Änderungen im deutschen
    Schulsystem den demokratischen Ziel-         Bildungspaket ist Mogelpackung              Schuldenmachen? Sie wollen unsere
    setzungen der GEW entsprechen. Dazu          Nach langem Hin und Her wurden im           Kinder und Enkel weiter in Schulden
    müssen wir die Auseinandersetzung in         Rahmen der Hartz-IV-Reformen die so-        treiben? Seien Sie Vorbild und sparen
    und zwischen den verschiedenen Grup-         genannten Bildungspakete für alle be-       Sie bei Einrichtungen und Zuwendun-
    pierungen innerhalb der GEW führen:          nachteiligten Kinder und Jugendlichen       gen. Machen Sie Ihren Job und weisen
    Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter,      verabschiedet. Wohlfahrtsverbände und       Sie unbedingt auf wichtige Bildung
    sozialpädagogische Fachkräfte, Lehr-         Lehrerorganisationen halten den Inhalt      hin. Nur bitte keine neuen Schulden
    kräfte an Förderschulen, Grundschulen,       dieser unsozialen Pakete für eine Mo-       machen, die Kinder und Kindeskinder
    Gesamtschulen, Haupt- und Realschulen        gelpackung und Beleg für „skandalöses       bezahlen müssen!
    und Gymnasien.                               Desinteresse an Kindern“, so Dr. Ulrich     Heinz Wehner, Friedrichsdorf
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
MELDUNGEN                                                                                                                 HLZ 4/2011       6

           2012: Bildungsabbau
           geht weiter                                 Tarifrunde 2011 in Hessen                    Inklusion nach Kassenlage

     GEW-Vorsitzender Jochen Nagel zeigt        Nach dem Warnstreik am 28. Februar            In einem Interview mit der FAZ ließ
     sich angesichts des Haushaltsentwurfs      2011 und der Tarifeinigung mit der            Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP)
     der Landesregierung für das Jahr 2012      „Tarifgemeinschaft deutscher Länder“          am 28. 2. die Katze aus dem Sack und
     besorgt: Die Regierung plane für das       (TdL) am 10. März 2011 in Potsdam             setzte sich damit in klaren Widerspruch
     nächste Jahr im Bereich Schulen und        setzten Gewerkschaften und Land Hes-          zur UN-Behindertenrechtskonvention: Ei-
     Hochschulen Kürzungen in Höhe von          sen die Tarifverhandlungen für die Be-        nen individuellen „einklagbaren Rechts-
     rund 140 Millionen Euro. Damit sollen      schäftigten im hessischen Landesdienst        anspruch“ auf die Unterrichtung an einer
     die Kürzungen im Bildungsbereich           fort. Am 16. und 21. März 2011 trafen         allgemeinen Schule werde es für Eltern
     nicht nur fortgesetzt werden, sondern      sich beide Seiten auf Arbeitsgruppen-         behinderter Kinder nicht geben. Schließ-
     mit einer Kürzung von 75 Millionen         ebene. Dabei konnten im Lichte der            lich müsse man „auch im Blick behalten,
     Euro gegenüber 2011 verdoppelt wer-        Tarifeinigung von Potsdam, die vorbe-         dass Hessen vermutlich Ende März eine
     den.                                       haltlich einer Mitgliederbefragung für        Schuldenbremse in der Verfassung be-
         Weiter erklärte Jochen Nagel: „Je-     die Tarifbeschäftigten aller anderen          schließen wird“. Ob das die Gerichte auch
     der kann sich gut vorstellen, wohin eine   Bundesländer gilt, etliche strittige          so sehen?
     Fortsetzung dieser Schuldenbremsen-        Punkte ausgeräumt werden. Die ent-
     politik, die systematisch auf Einnahmen    scheidende Verhandlungsrunde in Hes-
     verzichtet und bei der sozialen Infra-     sen ist für den 4. und 5. April 2011 in             www.schule.dgb.de
     struktur kürzt sowie investives Han-       Wiesbaden angesetzt. Dann stehen die
     deln des Staates ausschließt, im Bil-      Entgelterhöhung und andere big points
     dungs- und im Sozialbereich führen         eines möglichen Tarifvertrages auf der        Die gewerkschaftsübergreifende Initiative
     wird. Hinzu kommt dann auch noch,          Agenda. Anders als in Potsdam wird            „Schule und Arbeitswelt“ hat eine neue
     dass den Beschäftigten eine angemes-       Anfang April die inhaltliche Ausgestal-       Internetseite. Auf www.schule.dgb.de in-
     sene Bezahlung vorenthalten wird.          tung eines Eingruppierungstarifvertra-        formieren der DGB und die Gewerk-
     Nachwuchswerbung, Arbeitszufrieden-        ges („Entgeltordnung“) aber noch keine        schaften IG BCE, IG Metall, GEW und
     heit und damit schließlich die Qualität    Rolle spielen. Die GEW informiert über        ver.di über gemeinsame Arbeitsschwer-
     von Bildung werden dieser Politik ge-      das Ergebnis, unter anderem im Internet       punkte und Veranstaltungen. Sie stellen
     opfert.“                                   unter www.gew-hessen.de.                      regionale Projekte vor und bieten Lehre-
                                                                                              rinnen und Lehrern Materialien für ihren
                                                                                              Unterricht. Die Internetseite lebt von den
                                                                                              Aktivitäten der gewerkschaftlichen Kol-
                                                                                              legen und Kolleginnen vor Ort. Auf der
                 Staatliche Schulämter erhalten!                                              Seite „Materialien“ liegt erstmals eine
                                                                                              thematisch sortierte Übersicht von
                                                                                              Unterrichtsmaterialien der Gewerkschaf-
     In gemeinsamen Erklärungen haben                Auf einer gemeinsamen Pressekonfe-
                                                                                              ten auf Bundes- und Länderebene vor.
     sich die Personalräte der Beschäftigten    renz der Personalräte bekräftigten Bur-
     der Staatlichen Schulämter zusammen        kard Schuldt und Renate Döbler vom
     mit den jeweiligen Gesamtpersonal-         Personalrat des Schulamts, Ziel der In-
     räten der Lehrerinnen und Lehrer           itiative sei der Erhalt aller 15 Standorte,         Proteste gegen Leiharbeit
     (GPRLL) für den Erhalt aller 15 Schul-     denn „Wohnortnähe und Bezug zur Re-
                                                gion“ seien für die täglichen Aufgaben
                                                                                              Die Personalversammlung der Werner-
                                                und Leistungen der Staatlichen Schul-
                                                                                              Heisenberg-Schule in Rüsselsheim un-
                                                ämter von entscheidender Bedeutung.
                                                                                              terstützte den DGB-Aktionstag gegen
                                                Für den GPRLL verwies Hartmut Möller
                                                                                              Leiharbeit und die Forderung nach Equal
                                                auf „gewaltige neue Aufgaben“, die mit
                                                                                              Pay, also gleicher Bezahlung für gleiche
                                                der selbständigen Schule, den neuen
                                                                                              Arbeit vom ersten Tag der Beschäftigung
                                                Mittelstufenschulen und der Inklusion
                                                                                              an, und schloss sich der Forderung an,
                                                auf die Schulen zukommen: Man könne
                                                                                              „die Leiharbeit auf das wirtschaftlich
                                                aber „nicht neue Baustellen schaffen und
                                                                                              unbedingt notwendige Maß zu begren-
                                                gleichzeitig das Gerüst einreißen“.
                                                                                              zen, um der weiteren Entsolidarisierung
                                                     Auch für den GEW-Landesvorsitzen-
                                                                                              der Belegschaften Einhalt zu gebieten“.
                                                den Jochen Nagel passt es in keiner Weise
                                                                                              Gleichzeitig verwies die Personalver-
                                                zusammen, „die Selbständigkeit von
                                                                                              sammlung auf den Entwurf zur Änderung
     ämter in Hessen ausgesprochen. Unter       Schulen voranzutreiben und gleichzei-
                                                                                              des Hessischen Schulgesetzes, der in
     dem Motto „Schulen brauchen Unter-         tig die Staatlichen Schulämter als Unter-
                                                                                              § 15 b vorsieht, Leiharbeit auch im Schul-
     stützung vor Ort“ machten Personalrat      stützungs-, Service- und Aufsichtsein-
                                                                                              dienst zu ermöglichen (HLZ S. 8). Schüler
     und Gesamtpersonalrat des Staatlichen      richtungen in der Fläche abzubauen“.
                                                                                              und Schülerinnen seien „aber keine
     Schulamtes in Marburg den Anfang,          Eine Antwort der Kultusministerin auf
                                                                                              Werkstücke, die beziehungslos von im-
     dem sich andere in einer wahren Pro-       den Offenen Brief der Personalräte lag bei
                                                                                              mer wieder neuen Kräften ‚unterrichtet’
     testwelle anschlossen.                     Redaktionsschluss noch nicht vor.
                                                                                              werden können“.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
7      HLZ 4/2011                                                               TITELTHEMA: SELBSTSTÄNDIGE SCHULE

                                              Gesetzentwurf unter der Lupe
    Wie stellt sich die Landesregierung die „selbstständige Schule“ vor?
    Noch vor der Sommerpause soll der Landtag abschließend                Der neue § 127d erwähnt zusätzlich die Möglichkeit, „von
    über den Entwurf der Landesregierung zur Änderung des                 den Regelungen zur Versetzungsentscheidung zugunsten der
    Hessischen Schulgesetzes (HSchG) beschließen, der in Bezug            Schülerinnen und Schüler abzuweichen, sofern die Bildungs-
    auf die „selbstständige Schule“ noch einmal gegenüber dem             standards (...) eingehalten werden“. Der neue § 15b ermög-
    Vorentwurf vom Herbst 2010 (HLZ 12/2010) ergänzt wurde.               licht Verträge mit „Anbietern von Personaldienstleistungen“
    Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, berufliche Schulen        (HLZ S. 8).
    in „rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts“ umzu-                 Die GEW hat in ihren Stellungnahmen stets auf die
    wandeln und damit weitgehend aus der staatlichen Verant-              Problematik hingewiesen, dass solche Spielräume, beispiels-
    wortung zu entlassen (HLZ S.18). Der folgende Artikel gibt            weise bei der Bildung von Lerngruppen, nur dann sinnvoll
    einen Überblick über die geplanten Gesetzesänderungen.                genutzt werden können, wenn dafür auch zusätzliche Res-
                                                                          sourcen zur Verfügung gestellt werden. Dass der alte § 127c
    Um die Selbstständigkeit von Schulen zu fördern, wird                 nie genutzt wurde, war vor allem auf den realistischen Blick
    wesentlich der bereits bisher bestehende § 127 zur „Selbst-           der Schulen auf die damit verbundenen „Nullsummen-Spie-
    verwaltung und Selbstständigkeit der Schule“ geändert. Die            le“ und die drohende Verlagerung der Verantwortung für die
    Schulen sollen „im Rahmen der staatlichen Verantwortung               Mängelverwaltung auf die einzelne Schule zurückzuführen.
    und der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ Aufgaben „in             Dort wo Schulen pädagogische Freiheiten nutzen wollten, um
    der Planung und Durchführung des Unterrichts und des                  die Vergabe von Ziffernnoten auszusetzen, äußere Differen-
    Schullebens, in der Erziehung sowie in der Leitung, Organi-           zierung an Gesamtschulen abzubauen oder das gemeinsame
    sation und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten“                  Lernen zu fördern, wurden sie regelmäßig zurückgepfiffen.
    selbstständig wahrnehmen können (§ 127 Abs. 1), „Modelle                  Das alte Schulprogramm ist weiterhin Bestandteil des
    erweiterter Selbstverwaltung und Eigenverantwortung sowie             HSchG, allerdings entfällt die Genehmigungspflicht durch
    rechtlicher Selbstständigkeit erproben und sich (...) in selbst-      das Schulamt, indem § 127b Abs. 4 gestrichen werden soll.
    ständige Schulen umwandeln“ können (§ 127 Abs. 4). Eine               Allerdings bleibt auch die „selbstständige Schule“ an § 2
    Verpflichtung soll es nicht geben, allerdings will Kultusmi-          HSchG (Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule) und § 3
    nisterin Henzler die angestrebte höhere Lehrerzuweisung               HSchG (Grundsätze für die Verwirklichung) gebunden. Drin-
    (100 Prozent + X) auf Schulen begrenzen, die diesen Weg               gend müssten auch das „Recht auf schulische Bildung“ (§ 1
    gehen. Ein erster Schritt der Verwaltung ist die Bereitstellung       HSchG) und der gleichberechtigte Zugang unabhängig von
    eines „Kleinen Budgets“ zur eigenen Bewirtschaftung (HLZ              „Geschlecht, Behinderung, Herkunftsland oder Religionsbe-
    S. 14), das bereits seit Januar 2011 beantragt werden kann,           kenntnis“ und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen
    ohne dass dafür das Schulgesetz geändert wurde. Rechts-               Stellung der Eltern in diesen Verpflichtungskatalog aufge-
    grundlage ist der alte § 127a zur Bereitstellung von Mitteln          nommen werden.
    zur Eigenbewirtschaftung durch die Schulen im Rahmen der
    Beschlüsse von Gesamt- und Schulkonferenz (§ 127a Abs. 3).

          Selbstständige Verwaltung des Mangels?
    Voraussetzungen für die Umwandlung in eine „selbstständige
    Schule“ sind eine „Konzeption der Gesamtkonferenz“ (§ 127d
    Abs. 7), ein Beschluss der Schulkonferenz, die Zustimmung des
    Schulträgers (Abs. 8) und die Genehmigung durch das HKM
    „auf der Grundlage einer Stellungnahme des zuständigen
    Staatlichen Schulamts“ (Abs. 9). Danach sollen die „selbst-
    ständigen Schulen“ Entscheidungsrechte nach dem ebenfalls
    schon lange bestehenden „Experimentierparagraphen“ 127c
    nutzen können, der allerdings in der Vergangenheit nie genutzt
    wurde. Nach § 127c Abs. 1 können „selbständige Schulen“
    „abweichend von den bestehenden Rechtsvorschriften bei der Stellen-
    bewirtschaftung, Personalverwaltung, Sachmittelverwaltung sowie
    in der Unterrichtsorganisation und inhaltlichen Ausgestaltung des
    Unterrichts selbstständige Entscheidungen treffen. Abweichungen
    bei der Unterrichtsorganisation und -gestaltung sind insbesondere
    bei der Bildung von Lerngruppen, bei Formen der äußeren Differen-
    zierung, der Ausgestaltung der Leistungsnachweise sowie bei den
    Lehrplänen und Stundentafeln zulässig, sofern die Standards der
    Bildungsgänge eingehalten werden.“
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                                                                 HLZ 4/2011        8

         Die GEW sieht die Gefahr, dass sich „selbstständige              Eine solche Schule wird dann betriebsförmig organisiert
     Schulen“ angesichts einer wachsenden Schulkonkurrenz im          sein müssen – mit allem, was man aus der Privatwirtschaft
     gegliederten Schulwesen vor allem über die Auslese von           kennt: Die Schulleitung wird zur „Geschäftsführung“, die
     Schülerinnen und Schülern „profilieren“ und der Staat seine      Lehrkräfte zum „anstaltseigenen Personal“ und das Schulpro-
     verfassungsmäßige Verantwortung aufgibt, qualitativ glei-        gramm zur „Satzung“. Oberstes Beschlussorgan ist ein „Ver-
     che Bedingungen und damit Chancengleichheit herbeizufüh-         waltungsrat“, die Rechnungsprüfung erfolgt durch das
     ren (HLZ S. 16).                                                 Rechnungsprüfungsamt des kommunalen Schulträgers oder
         Die Verselbstständigung von Schulen erhöht deshalb die       durch den Landesrechnungshof. Hier jetzt nicht mehr von
     Verpflichtung des Staates, die Einhaltung von sozial- und        einer „Verbetriebswirtschaftlichung von Schule“ zu spre-
     rechtsstaatlichen Standards sicherzustellen, das heißt auch      chen, dürfte auch den hartnäckigsten Verfechtern der „selbst-
     die „selbstständigen Schulen“ zu kontrollieren. Wenn sich        ständigen Schule“ schwer fallen.
     gleichzeitig in Hessen die Pläne zum Abbau der Schulaufsicht                                 Harald Freiling, HLZ-Redakteur
     konkretisieren, ist absehbar, wie die Landesregierung ge-
     denkt, diese Aufgabe auch wahrzunehmen.
                                                                       Im Wortlaut: Personaldienstleistungen (§15b)
              Selbstständige berufliche Schulen                       (1) Kann eine vollständige Unterrichtsversorgung oder die Erfüllung
                                                                      des Bildungs- und Erziehungsauftrags aufgrund besonderer Um-
     „Selbstständige berufliche Schulen“ sollen darüber hinaus        stände der Schule nicht gewährleistet werden, können Verträge mit
     das Recht erhalten, die bestehende Schulverfassung aufzuhe-      Anbietern von Personaldienstleistungen geschlossen werden, so-
     ben und „die Entscheidungs- und Anhörungsrechte der              fern diese den Einsatz qualifizierten Personals gewährleisten.
     Schulkonferenz“ sowie „einzelne Entscheidungsrechte der          (2) Das Nähere über den Einsatz der externen Kräfte nach Abs. 1
     Gesamtkonferenz“ auf einen Schulvorstand zu übertragen           regelt eine Rechtsverordnung, die insbesondere Bestimmungen
     und die Gesamtkonferenz „durch ein Schulplenum“ zu erset-        enthält über
     zen (§ 127d Abs. 3). Noch weitergehend ist die Möglichkeit,      1. die Voraussetzungen für den Einsatz externer Kräfte,
                                                                      2. die an die Anbieter von Personaldienstleistungen zu stellenden
     dass sich berufliche Schulen in „rechtsfähige Anstalten des
                                                                      Anforderungen,
     öffentlichen Rechts umwandeln“ können, wenn sie „zusätz-
                                                                      3. Inhalt und Abschluss der Arbeitnehmerüberlassungsverträge,
     lich zu ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag im Verbund         4. die allgemeinen Anforderungen an die fachliche und persönliche
     mit anderen öffentlichen oder privaten Bildungsdienstleistern    Eignung der externen Kräfte und das Verfahren zu deren Feststellung,
     Maßnahmen der beruflichen und allgemeinen Fort- und              5. die besonderen Anforderungen an die fachliche und persönliche
     Weiterbildung“ durchführen und somit auf dem Bildungs-           Eignung der externen Kräfte für den Einsatz in den naturwissen-
     markt als kommerzielle Wettbewerber auftreten (§127e). Für       schaftlichen und technischen Fächern, im Sportunterricht und im
     eine solche Umwandlung sind die Zustimmung des Schulträ-         Religionsunterricht,
     gers und der Schulkonferenz erforderlich. Die Gesamt-            6. die Rechte und Pflichten der externen Kräfte und ihre Eingliede-
     konferenz ist lediglich anzuhören (§ 127d Abs. 2).               rung in den Schulbetrieb.

                                  GEW-Positionen zur Schulverfassung
     Schule ist kein Betrieb und Schüler sind keine Kunden.           Schule die Entscheidungsrechte der Gesamtkonferenzen
     Schulen als staatliche Bildungsanstalten erfüllen einen staat-   sichern und ausbauen. Hierzu gehört, dass gerade in
     lichen Bildungsauftrag und orientieren sich somit an den         großen Schulen die Entscheidungen der Gesamtkonferenz
     gesellschaftlichen Vorgaben und Werten, die in Grundgesetz       (bzw. des Plenums) durch andere Gremien (Schulvorstand,
     und Verfassung des Landes festgelegt sind. Schule hat die        Hauptausschuss, andere Ausschüsse) vorbereitet werden,
     Aufgabe, möglichst allen jungen Menschen zu einem mög-           um zielgerichtete Diskussionen und Entscheidungsfindun-
     lichst hohen Bildungsniveau zu verhelfen. Im Gegensatz           gen zu ermöglichen. Diese anderen Gremien dienen somit
     dazu ist der Markt immer auch mit Konkurrenz verbunden,          der Beschlussfassung in der Gesamtkonferenz, sie ersetzen
     die Gewinner und Verlierer erzeugt. Während durch Koope-         diese jedoch nicht. Eine Delegation von Entscheidungs-
     ration zwischen Schulen Synergieeffekte durch gegenseiti-        rechten, die die gesamte Schule betreffen, kann allenfalls in
     ges Lernen und Abbau von Doppelungen zu erwarten sind,           Einzelfällen erfolgen und muss durch die Gesamtkonferenz
     geht bei Konkurrenz auf dem Markt viel Energie durch             wieder rückgängig gemacht werden können. Eine Delega-
     Marketingmaßnahmen verloren.                                     tion von Entscheidungsrechten, die nur bestimmte Berei-
         Schule als Institution des demokratischen Staates muss       che betreffen, kann nur an entsprechende Konferenzen
     demokratisch und darf nicht betriebswirtschaftlich verfasst      erfolgen.
     sein. Wir lehnen eine Form von Schule ab, deren Personal in          Im Sinne eines Ausbaus demokratischer Strukturen im
     „führende und gestaltende“ Manager und ausführende               Bildungswesen tritt die GEW Hessen auch für eine umfassen-
     „Unterrichtsbeamte“ aufgeteilt wird. Zu unserem grundlegen-      dere Partizipation der Schülerinnen und Schüler sowie der
     den Verständnis von Professionalität im Bildungswesen gehört     Erziehungsberechtigten und des nicht-pädagogischen Per-
     die umfassende demokratische Teilnahme des pädagogischen         sonals an den Entscheidungsprozessen ein. Dabei muss die
     Personals an allen institutionellen Entscheidungsprozessen.      professionelle Verantwortung des Kollegiums bedacht wer-
         Im Sinne dieses ganzheitlichen Verständnisses von            den und gesichert bleiben. (Beschluss des GEW-Landesvor-
     Professionalität muss die Verfassung einer demokratischen        stands)
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
9      HLZ 4/2011                                                                                                               TITELTHEMA

                                                                         Selbstständige Schule
    Die HLZ im Streitgespräch mit Befürwortern und Kritikern
    An dem Streitgespräch der HLZ zum Thema „Selbstständige Schule“      • Herbert Storn, Berufsschullehrer, Vorsitzender des GEW-Bezirks-
    nahmen teil:                                                         verbands Frankfurt und Mitglied im Hauptpersonalrat der Lehrerin-
    • Martin Günther, Abteilungsleiter im Hessischen Kultusminis-        nen und Lehrer (HPRLL)
    terium, bis 2005 Schulleiter des Wolfgang-Ernst-Gymnasiums in        • Gerd Turk, bis 2009 Fachbereichsleiter an der Albert-Einstein-
    Büdingen                                                             Schule in Schwalbach, Mitglied des HPRLL und Teamvorsitzender
    • Alfred Harnischfeger, bis Ende 2010 Mitglied der Stabsstelle       im Referat Tarif, Besoldung und Beamtenrecht im GEW-Landesvor-
    „Selbstständige Schule“ im Hessischen Kultusministerium, bis         stand
    2009 Schulleiter der Integrierten Gesamtschule Kelsterbach und von       Die Gesprächsleitung hatte HLZ-Redakteur Harald Freiling.
    1977-1983 Landesvorsitzender der GEW Hessen

     HLZ: Hessische Schulen sollen mehr Freiheit bekommen. Ich           ist auch aus meiner Sicht sinnvoll. Das kann man auch heute
    frage: „Freiheit wovon?“ An welchen Stellen sind Schulen zur         schon tun. Aber schon bei der Klassenbildung fängt es an. Die
    Zeit gegängelt und in ihren Entfaltungsmöglichkeiten zum             bisherigen Vorgaben, dass in einer zweizügigen Schule mit
    Nutzen der Schülerinnen und Schüler eingeschränkt, so dass           36 Schülerinnen und Schülern zwei Klassen gebildet werden,
    sie in die „Selbstständigkeit“ entlassen werden müssen?              ist doch auch ein Schutz der Schule. Wenn man zukünftig nur
    Storn: Freiheit ist sicher ein positiv besetzter Begriff, und        eine Klasse mit 36 Kindern bilden und mit den frei werdenden
    auch die GEW war immer für eine größere Selbstständigkeit            Ressourcen ein schönes Projekt machen darf, dann geht das
    von Schulen, vor allem im Sinn der pädagogischen Freiheit.           auf Kosten der Lehrer und der Schüler dieser Klasse. Deshalb
    Aber ich erinnere auch an unsere Kritik an den vielen                sind Standards sinnvoll und notwendig. Sie müssen in einer
    überflüssigen Anweisungen und Verwaltungsvorschriften,               Demokratie durch die Parlamente definiert und dürfen nicht
    wann Kollegien einen Betriebsausflug machen können oder              in das Belieben von Schulleitungen gestellt werden...
    wann es hitzefrei gibt – und das, während das Kultusministe-         Harnischfeger: ... aber an der demokratisch verfassten Schule
    rium eine selbstständige Schule proklamiert! Doch heute              will doch niemand etwas ändern. Kein Schulleiter wird ein
    verfolgt die Verlagerung der Verantwortung einen ganz                solches Vorhaben gegen das Votum der Gesamtkonferenz,
    anderen Zweck, nämlich die Reduzierung der Kosten, vor               der Schulkonferenz oder des Personalrats durchsetzen kön-
    allem der Personalkosten.                                            nen.
    Günther: Diesen Zusammenhang sehe ich gar nicht. Mögli-              Günther: Die Landesregierung vertritt nicht die Position, dass
    cherweise gibt es eine zeitliche Koinzidenz der Einspar-             die Freiheit der Schule die Freiheit des Schulleiters ist. Die
    notwendigkeiten und der Bemühungen um eine größere                   Rechte der Gesamtkonferenz tasten wir nicht an. Selbst-
    Selbstständigkeit von Schulen, aber es gibt keinen Kausalzu-         ständige Schule funktioniert nur, wenn die Schulgemeinde
    sammenhang. Zu der Frage, wo Schulen mehr Selbstständig-             mitgenommen wird.
    keit brauchen, fällt mir aus meiner Zeit als Schulleiter einiges     Turk: Ich habe von der in der Demokratie unverzichtbaren
    ein. Ich hätte mir mehr Freiheit bei der Gruppenbildung              Verantwortung und Zuständigkeit des Staates für die öffent-
    gewünscht, bei der Ausgestaltung der Stundentafel oder bei           liche Schule gesprochen, die in der Verfassung verankert ist.
    der Auswahl des Personals.                                           Daneben gibt es die Regeln für die Partizipation von Lehrern,
    Harnischfeger: Die Klagen über Gängelung, über zu viel               Eltern und Schülern in der Schule, die wir wollen, die aber
    Bürokratie kamen doch vor allem von den Gewerkschaften               nicht die staatliche Verantwortung und Standards ersetzen
    und Personalräten. Die enge Führung der Schulen durch die            kann.
    Bildungsverwaltung hat uns nicht wirklich weiter gebracht.           Storn: Und genau da sehe ich die Gefahr, dass die Standards
    Ich denke da zum Beispiel an die Lehrplandiskussionen.               im Rahmen der Ökonomisierung von Schulen aufgeweicht
    Deshalb finde ich es gut, dass den Schulen jetzt neue                werden. Ich befürchte, dass das Geld für die einzelnen
    Freiräume eröffnet werden sollen. Aber für die pädagogische          Aufgaben nicht mehr reichen wird, wenn alles in einem
    Weiterentwicklung brauche ich auch finanzielle Ressourcen.           Globalbudget zusammengefasst und dann scheibchenweise
    Da ist für mich die Umwandlung von Stellen in Mittel ein             gekürzt wird. Beim „Kleinen Budget“ sind die Lehr- und
    wichtiger Punkt, um auch anderes Personal zu beschäftigen,           Lernmittel neben den Vertretungsmitteln der größte Posten.
    aber auch das Ziel der Landesregierung, die Personalversor-          Wenn man für die Fortbildung gerade mal 40 Euro pro Jahr
    gung auf 105 Prozent zu verbessern.                                  und Lehrkraft hat, wenn die IT-Mittel und das Geld für
    Turk: Ich denke, wir müssen die pädagogischen Entscheidun-           Reisekosten vorne und hinten nicht reichen, liegt der Griff in
    gen, die unabhängig vom Budget sind, und die Personal- und           die Kasse für Bücher und Lehrmittel nahe...
    Budgetverantwortung, die selbstständige Schulen bekom-               Harnischfeger: ... und wo ist das das Problem, wenn man noch
    men sollen, voneinander trennen. Dass man beispielsweise             genug Atlanten aus dem letzten Jahr hat und einen Teil der
    vom 45-Minuten-Rhythmus abweichen oder Stunden im                    Lernmittel-Gelder für einen begrenzten Zeitraum anderwei-
    Rahmen einer Jahresstundentafel anders verteilen kann, das           tig verwendet?
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                                                           HLZ 4/2011      10

     Storn: Die Lernmittelfreiheit steht in der Verfassung.           der Auswahl der Lektüre. Viel mehr als früher ist heute
     Harnischfeger: Auch das will niemand ändern. Ich sag es          vorgeschrieben und erzwingt das viel beklagte teaching to
     noch einmal: Das kann der Schulleiter nicht nach                 the test.
     Gutsherrenart entscheiden. Es gibt einen Haushaltsaus-           HLZ: Seit Kultusminister Holzapfel gehört die Förderung der
     schuss, eine Schulkonferenz, in der die Eltern mitbestim-        „Selbstständigkeit von Schulen“ zum Repertoire hessischer
     men. Ihr redet die ganze Zeit über Schulleiter, die die          Schulpolitik. Schon lange gibt es einen § 127a über die
     Freiheiten missbrauchen wollen. Ich sehe diesen Miss-            „Grundsätze der Selbstverwaltung“, einen „Experimentier-
     brauch nicht, und im Notfall gibt es ja auch noch eine           paragraphen“ 127c, einen Modellversuch SV-plus an Be-
     Schulaufsicht. Ihr redet viel zu viel von den Schulleitern,      ruflichen Schulen ... Was ist das Neue an dem vorliegenden
     die andere über den Tisch ziehen wollen. Ich kenne viel          Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes?
     mehr Schulleiter, die mit ihrem Kollegium im Interesse der
     Kinder an einem Strang ziehen...                                 Günther: Das neue Gesetz will jeder Schule, die ein Konzept
                                                                      vorlegt und selbstständige Schule werden will, Sicherheit
     Günther: ... und ich wundere mich über die Staatsgläubigkeit     geben. Dann kann sie beispielsweise Schritte zur Reduzie-
     von Gewerkschaftern, als würde man in Wiesbaden immer            rung der Sitzenbleiberquote einleiten oder Leistungsnach-
     alles richtig machen und in den Schulen immer alles falsch.      weise anders organisieren...
     Das kenne ich von der GEW und den Personalräten bisher
     anders. Da habe ich immer gehört, dass unsere Entscheidun-       HLZ: ...Können die Grundschulen dann auch nach Klasse 1
     gen basisfern und wenig durchdacht sind. Um aber keinen          wieder auf Zeugnisse mit Ziffernoten verzichten?
     Zweifel zu lassen: Die von Ihnen geforderten zentralen
                                                                      Günther: ... das weiß ich noch nicht, das hängt auch von der
     Normen und Standards will niemand antasten. Wir wollen
                                                                      Verordnung ab.
     nicht die Leitplanken beseitigen, aber mehr Gestaltungs-
     spielraum an die Schulen geben.                                  Harnischfeger: Für mich ist
     Turk: Aber zur gleichen Zeit soll die Schulaufsicht demon-       das wirklich Neue, dass die
     tiert werden. Vielleicht sagen Sie ja heute noch etwas zu den    Selbstständigkeit endlich auf
     Plänen zur Zusammenlegung der Schulämter ... Es gibt bei         den Weg kommt. Ich war
     mir überhaupt kein Misstrauen gegenüber den Schulen und          auch überrascht, wie wenig
     ihren Gremien und wahrlich kein Urvertrauen in Regierun-         dazu im Gesetz geändert
     gen! Aber wir müssen doch mal betrachten, um welche              werden muss, dass der ge-
     Freiheiten es in einem System der Mängelverwaltung ei-           nannte § 127c jetzt auf viele
     gentlich geht. Freiheit hat nicht nur eine rechtliche Dimen-     Schulen übertragen werden
     sion, was man darf und was man nicht darf, sondern es geht       kann, mit der Verantwor-
     auch um die Frage, welche Spielräume ich habe, um                tung für Stellenbewirtschaf-
     zwischen verschiedenen Alternativen auswählen zu kön-            tung, Personalverwaltung und
     nen. Wenn es genügend Reisemittel und genügend Geld für          Unterrichtsgestaltung. Und
     Personal, Fortbildung und Bücher gäbe, dann gäbe es einen        das alles auf der Grundlage einer Konzeption und eines
     realen Gestaltungsspielraum, dann wäre es auch attraktiv,        Schulprogramms, das nicht mehr vom Schulamt genehmigt
     an den Schulen über die Verwendung zusätzlicher Mittel zu        werden muss. Mich bewegt dabei die Frage, warum das alles
     entscheiden. Aber die Realität sieht anders aus. Angesichts      so lange gedauert hat: Das Grundsatzpapier des Deutschen
     der eklatanten Unterfinanzierung der Schulen geht es dann        Bildungsrats stammt aus dem Jahr 1973 und der Juristentag
     nur noch um die Selbstverwaltung des Mangels mit dem             hat schon 1976 mehr Selbstständigkeit und mehr Partizi-
     angenehmen Nebeneffekt, dass der Staat die Verantwortung         pation an den Schulen gefordert: Man kann Menschen nur
     an die Schulen abtritt, zum Beispiel für alte und zerfledderte   für das verantwortlich machen, was sie auch beeinflussen
     Bücher...                                                        können.

     Günther: ...keine Angst, die Eltern werden sich auch in          Storn: Über all das kann man diskutieren. Aber schauen wir
     Zukunft zuerst bei uns beschweren. Aber Sie haben recht:         uns doch mal die Realitäten von SV-plus an den Beruflichen
     Echte Gestaltungsmöglichkeiten gibt es erst, wenn wir eine       Schulen an, dem Vorbild für die selbstständige Schule. Da
     Lehrerversorgung von mehr als 100 Prozent haben. Wir             geht es unter anderem um die externe Zertifizierung von
     wollen nicht nur pädagogische, sondern auch ökonomische          Schulen und um eine veränderte Schulverfassung, in der es
                              Spielräume schaffen. An unserem         nicht mehr, sondern weniger Partizipation gibt, weil die
                              ehrgeizigen Ziel einer 105-pro-         Rechte der Gesamtkonferenz auf den Schulvorstand übertra-
                              zentigen Zuweisung bis zum Ende         gen werden oder – wie es der Schulgesetzentwurf vorsieht –
                              der Legislaturperiode können uns        in einer rechtfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts auf
                              auch die Gewerkschaften messen.         einen Beirat mit außerschulischen Entscheidungsträgern auch
                                                                      aus der Wirtschaft...
                                Turk: Aber gleichzeitig werden
                                die pädagogischen Freiheiten          Günther: ... aber das alles geht doch nur mit einer breiten
                                immer weiter abgebaut. Das hat        Zustimmung vor Ort. Wir haben keine berufliche Schule
                                sehr viel mit den zentralen           gezwungen, SV-plus-Schule zu werden, und wir werden
                                Abschlussprüfungen und dem            keine Schule zwingen, das Kleine Schulbudget zu nutzen
                                Zentralabitur zu tun. Noch nie        oder selbstständige Schule zu werden. Wir wollen Chancen
                                war ein Deutschlehrer in der          schaffen, aber offensichtlich trauen Sie den Leuten vor Ort
                                Oberstufe so eingeschränkt bei        weniger zu als wir...
11     HLZ 4/2011                                                                                                         TITELTHEMA

     Storn: ...Sie unterschätzen das massive Informationsgefälle in   Turk: Aber das tun Sie doch ständig, wenn Sie einer Schule
     den Schulen...                                                   beispielsweise beim Mathewettbewerb öffentlich attestieren,
     Günther: ... da ist doch die GEW davor...                        dass sich ihre Schülerinnen und Schüler im untersten Quartil
                                                                      befinden.
     Storn: Wenn Sie es mit der Verlagerung der Verantwortung
                                                                      Storn: Für mich hat die Politik der
     auf die Einzelschule ernst meinen, müssen Sie auch die
                                                                      selbstständigen Schule sehr viel
     Personalräte stärken und ihnen die notwendigen Ressourcen
                                                                      mit dem Konkurrenzgedanken,
     für die erweiterten Aufgaben zuweisen.
                                                                      mit marktwirtschaftlichem Den-
     Turk: In der Tat wünschen wir uns mehr Kolleginnen und           ken zu tun. Die Vertreter der Kos-
     Kollegen, die sich um ihre Angelegenheiten kümmern. Aber         ten-Leistungsrechnung wollen die
     auch demokratische Entscheidungen der Schulen können             Schulen der Konkurrenz um ein
     keine Standards ersetzen und auch eine demokratische             günstiges Verhältnis von Kosten
     Mehrheitsentscheidung legitimiert nicht die Beschäftigung        und Ertrag unterwerfen, man will
     von unterbezahlten, rechtlosen Hilfslehrern, die das Kollegi-    die Steuerung durch entsprechen-
     um von Aufsichten oder Mehrarbeit entlasten. Es ist für mich     de Kennziffern und will den
     kein Zufall, dass gleichzeitig mit der Erweiterung der           Bildungsbereich für private An-
     Selbstständigkeit der Schulen auch die Leiharbeit an Schulen     bieter öffnen. Die Schulen für Er-
     im Gesetz verankert werden soll...                               wachsene wurden bereits 2005 mit Methoden zur „Effizienz-
     Harnischfeger: ...und dann ist es die Aufgabe der Gewerk-        messung“ konfrontiert. Sie zwingen zu Schuleingangsüber-
     schaften und Personalräte für ordentliche Arbeitsverhältnis-     prüfungen, weil junge Erwachsene mit komplizierten
     se zu sorgen. Prekäre Beschäftigung hat in Schulen nichts zu     Bildungsbiografien möglicherweise später die Erfolgskenn-
     suchen. Und das Wort Leiharbeit kommt im Gesetzentwurf gar       zahlen verschlechtern. Wenn man so die Kosten der Einzel-
     nicht vor...                                                     schule erhebt, dann wird man eine Entwicklung wie in England
                                                                      oder in den USA haben, wo Schulen, die aufgrund der Lage in
     HLZ: ... „Anbieter von Personaldienstleistungen“ heißt es im     einem sozialen Brennpunkt zu viel kosten oder mit ihrem
     neuen § 15b...                                                   Budget nicht zurechtkommen, zu weiteren Kürzungen ge-
     Turk: ... was sicher ein Euphemismus ist...                      zwungen oder geschlossen werden.
     Günther: ... aber das ist doch auch nichts Neues. Wir räumen     Günther: Aber wer will denn so was? Wir wollen nicht über
     den Schulen im Rahmen des 10-Prozent-Erlasse schon länger        Kosten steuern, sondern über Ziele. Wir wollen uns mit einer
     die Möglichkeit ein, dass sie auch anderes Personal einstellen   solchen Schule zusammensetzen und überlegen, was sie
     können, aber nur dann, wenn sie die Lehrerstellen auf Grund      braucht, um ihre Ergebnisse zu verbessern, um weniger
     von Personalmangel nicht vollständig besetzen können. Die        Sitzenbleiber, um weniger Jugendliche ohne Schulabschluss
     Alternative wäre dann, den Unterricht ausfallen zu lassen.       zu haben.
     Wenn Sie keinen Lehrer mehr über die Rangliste finden,           Turk: Die Verantwortung für die Standards, für gute Lehr-
     nutzen wir auch heute schon Campuservice und andere              und Lernvoraussetzungen trägt nicht die Einzelschule, son-
     Personaldienstleister.                                           dern der Staat, dessen Vertreter sich dafür bei Wahlen
      HLZ: „Konkurrenz belebt das Geschäft“ ist eine landläufige      rechtfertigen müssen. Es muss dabei bleiben, dass Schulen
     Aussage. Gilt das auch für Schulen?                              bestimmte Dinge einfach nicht machen dürfen, auch wenn
                                                                      sich dadurch ihre Position im Konkurrenzkampf verbessern
     Harnischfeger: Es gibt eine gesunde Konkurrenz, wenn sich
                                                                      würde...
     Schulen ein Profil geben und um die besten pädagogischen
     Konzepte wetteifern, und es gibt eine ungesunde Konkur-          Harnischfeger: ...ich halte das für ausgesprochen struktur-
     renz auf der Grundlage eines Rankings. Ich lehne jedes           konservativ, wenn du dem Staat mehr zutraust als der
     öffentliche Ranking von Schulen ab, mindestens so lange,         einzelnen Schule vor Ort...
     wie es keinen Sozialindex gibt. Der Vergleich einer Schule       Turk: ... genau nicht, ich spreche hier von den Grundlagen der
     im Frankfurter Gallusviertel mit einer Schule in Königstein      Demokratie und des Sozialstaats.
     ist unzulässig.                                                   HLZ: Ich möchte gern in einer Schlussrunde nach dem
      HLZ: Von der Einführung eines Sozialindexes hat man             Zusammenhang zwischen einer größeren Eigenständigkeit
     allerdings schon lange nicht mehr gehört.                        von Schulen und der Verbesserung der Qualität von Lehr- und
                                                                      Lernprozessen fragen...
                                         Günther: Er wird kom-
                                         men, aber ich will Sie       Harnischfeger: Ich kenne in der Tat keine Studie, die einen
                                         auf die Schwierigkeit        solchen Zusammenhang belegt. Aber es gibt zum Beispiel
                                         hinweisen, dass Schulen      eine große Studie, die einen engen Zusammenhang zwischen
                                         einen „negativen So-         der Lesekompetenz und dem Lehrereinsatz dokumentiert, der
                                         zialindex“, der ihnen        Innovationsbereitschaft, der Arbeit in Teams und der regio-
                                         eine bessere Mittelver-      nalen Unterstützungskultur. Das ist die Richtung, die mir
                                         zuweisung verschaffen        vorschwebt.
                                         sol, trotzdem mögli-         Turk: Aber was hat das mit der selbstständigen Schule zu tun?
                                         cherweise als einen zu-      Ich sehe keinen zwingenden Zusammenhang zwischen selbst-
                                         sätzlichen Makel, als        ständiger Schule und Qualitätsverbesserung. PISA 2000
                                         Abstempelung empfin-         konnte ihn nicht finden und auch nicht die hochkarätige
                                         den können.                  Arbeitsgruppe des Kultusministeriums zur „Eigenverant-
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