Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft

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Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
4. Quartal 2020; ISSN 1435-4098; Einzelpreis: € 5,–

aktuell                                               4|2020
                                                        Ausgabe 127

Störungen im Wald
Ökologische Perspektiven

Das Magazin der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
im Zentrum Wald-Forst-Holz Weihenstephan
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Inhalt

             		Störungsökologie                                                        		 Wald & Mehr
               9 Bitte stören – Wälder in Bewegung                                      35 Schadholzmenge 2019 auf Rekordhoch
             		 Anke Jentsch und Andreas von Heßberg                                   		 Holger Hastreiter

              13 Katastrophen für den Menschen –                                        38 Die Robinie online kennengelernt
             		 Segen für die Biodiversität                                            		 Johann Wild

             		 Jörg Müller und Torben Hilmers
                                                                                       40 Einflussstrategien für eine EU-Forstpolitik
              16 Wie gestört ist Europas Wald?                                         		 Kathrin Böhling

             		 Rupert Seidl und Cornelius Senf
                                                                                       43 »Dürremonitoring« im Wald:
             20 Pionierbaumarten im Klimawandel –                                      		 Bitte immer den Beipackzettel lesen!
             		 standörtliche und waldbauliche Aspekte                                 		 Lothar Zimmermann und Stephan Raspe

             		 Wolfram Rothkegel, Ottmar Ruppert und Hans-Joachim Klemmt
                                                                                       46 LWF Printmedien erneut im Urteil der Praxis
              24 Geschädigte Laubbäume sicher fällen                                   		 Michael Suda, Anika Gaggermeier und Florian Schmid

             		 Thomas Fottner und Michael Bossenmaier
                                                                                       49 Eichen-Monumente
                                                                                       		 Michael Mößnang

9                                                                            16
Bitte stören – Wälder in Bewegung: Nichts in der Natur ist so beständig      Wie gestört ist Europas Wald?: Zum ersten Mal liegt eine quantitative
wie Veränderung. Sie ist der Motor für Evolution und Wachstum. Stö­          Beschreibung der Störungsregimes des europäischen Waldes vor.
rungen, ob schleichend oder abrupt, sind der Treibstoff dieser Dynamik.      Die Analysen dokumentieren große räumliche Unterschiede im Stö­
Die junge Wissenschaft »Störungsökologie« versucht, die Einflüsse            rungsregime, zeigen aber auch konsistente Trends wie ein Ansteigen
von Störungen zu analysieren und zu bewerten. Foto: H. Lemme, LWF            der Störungshäufigkeit auf. Foto: C. Senf

             Titelseite: Störungen im Wald – ob groß- oder klein­flächig –
              entwickeln sich auch immer zu Hotspots der Arten­vielfalt.
             Eine junge Wissenschaft untersucht die Bedeutung von
             Störungsereignissen in unserer Umwelt, wie zum Beispiel
             in Waldökosystemen. Foto: M. Mößnang

2    LWF aktuell 4 |2020
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Editorial

		Rubriken
                                            Kalender Seite 29
    4 Meldungen                            Forstliche Veranstaltungen
                                            auf einen Blick
27 Zentrum Wald-Forst-Holz

    31 Amt für Waldgenetik

50 Holzwerkstatt

52 Waldklimastationen

55 Medien

56 Impressum
                                                                         Liebe Leserinnen und Leser,

		Gesprächsstoff                                                         auf Störungen können wir alle gut und gerne verzichten. Stören-
                                                                         friede sind keineswegs willkommen. Das gilt nicht nur zu Hause
    6 »Panta rhei« Alles in Bewegung                                     oder im Büro. Das gilt erst recht im Wald, haben doch Wald, Wald-
		 Dr. Peter Pröbstle im Interview
                                                                         besitzer und Forstleute in den letzten Jahren bereits genug mit
                                                                        Störungen und Störenfrieden zu tun. Und dennoch hat alles seine
                                                                         zwei Seiten. Vermittelt uns der Hefttitel auf den ersten Blick doch
                                                                         (Zer-)Störung, so werden wir auf den zweiten Blick– hinein in un-
                                                                         ser Heft – erkennen, dass Störungen in unserer Natur auch »Po-
                                                                         sitives« bewirken können. Eine junge Wissenschaft geht diesen
                                                                         eher doch unerwünschten Ereignissen immer mehr auf den Grund:
                                                                         Die »Störungsökologie« sagt uns: Störungen sind sehr wichtig
                                                                         und sie gehören in vielen Lebensgemeinschaften und Ökosys-
                                                                         temen einfach dazu. Sie fördern die Vielfalt, insbesondere die
                                                                         Artenvielfalt. Und Vielfalt fördert Stabilität und Resilienz unserer
                                                                         Natur. Mehr dazu finden Sie in unserer neuen Ausgabe. Lehnen Sie
                                                                         sich daher zurück und blättern Sie in einer ruhigen Stunde in der
                                                                         LWF aktuell. Aber lassen Sie sich bitte nicht stören.

                                                                         Bevor wir jedoch in dieses spannende Thema einsteigen, darf
                                                                         ich Ihnen den neuen Leiter der Bayerischen Landesanstalt für
                                                                         Wald und Forstwirtschaft vorstellen. Seit August leitet Dr. Peter
                                                                         Pröbstle, der ehemalige Bereichsleiter Forsten aus Fürth, die LWF.
                                                                         In einem Interview konnte ich ihn zu seinen ersten Erfahrungen,
                                                                         aber auch zu seinen zukünftigen Zielen befragen.

35                                                                       Ihr

Schadholzmenge 2019 auf Rekordhoch: Und wieder einmal sind
die Schadholzmengen gegenüber dem Vorjahr angestiegen.
Borkenkäfer, Hitze und Trockenheit waren die Hauptverant­
                                                                         Michael Mößnang
                                                                         Chefredakteur
wortlichen für den hohen Schadholzanfall. Foto: B. Mittermeier

                                                                                                                   4 |2020 LWF aktuell        3
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Meldungen

»Klimakönner« im Portrait
                                                       Gemeinsam mit dem neuen Leiter der LWF,
                                                                                                                                                      Muster eines Pflanzen­
                                                       Dr. Peter Pröbstle, stellte Bayerns Forst­                                                     passes Quelle: LFL
                                                       ministerin Michaela Kaniber den Band II
                                                       der Praxishilfe »Klima-Boden-Baumarten-
                                                       wahl« in München vor. Das übersichtliche                            Visum-Pflicht
                                                       Kompendium erweitert die im vergangenen
                                                       Sommer erstmals veröffentlichte Praxishil-                          für Pflanzen
                                                       fe um weitere 16 Baumarten. Darunter sind
                                                       auch solche, die bereits in anderen Regio-                          Die Generalversammlung der Ver-
                                                       nen der Welt ihre Trockenheits- und Hitze-                          einten Nationen hat das Jahr 2020
                                                       resistenz bewiesen haben, wie beispiels-                            zum «Internationalen Jahr der
Gemeinsam präsentierten Ministerin Michaela            weise die Japanische Lärche oder die Rot­                           Pflanzengesundheit» (IYPH = In-
Kaniber und der Leiter der LWF, Dr. Peter Pröbstle,
den Band II der Praxishilfe »Klima-Boden-Baum­
                                                       eiche. Anhand anschaulich aufbereiteter                             ternational Year of Plant Health)
artenwahl«. Foto: Pia Regnet, StMELF                   Steckbriefe werden zu diesen Baumarten                              erklärt. Damit wollen die UN auf
                                                       das Klimarisiko, Waldschutzfragen oder                              eine Problematik aufmerksam
­ elche Baumarten können dem Klima der
W                                                      eine mögliche Holzverwendung näher be-                              machen, die mit dem globalen
Zukunft standhalten? Um den Waldbesit-                 leuchtet. Beide Bände können über die                               Handel verbunden ist. Der welt-
zerinnen und Waldbesitzern die Entschei-               Homepage der LWF bezogen werden.  red                              weite Warenverkehr mit Pflanzen
dung zu erleichtern, hat die Bayerische                www.lwf.bayern.de/publikationen/praxishilfe                         und Pflanzenerzeugnissen führt
Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft                                                                                 dazu, dass mit diesen zahlreiche
(LWF) umfangreiche Praxishilfen erarbeitet.                                                                                Schädlinge in andere Länder ein-
                                                                                                                           geschleppt werden, wo sie unter
                                                                                                                           Umständen erhebliche Schäden an
                                                                                                                           der Natur verursachen können, die
                                                                                                                           auf diese Schadorganismen nicht
        WSL-Direktor Konrad Steffen tödlich verunglückt                                                                    eingestellt ist. Um die Risiken sol-
                                                                                                                           cher Gefahren zu reduzieren, wur-
        Prof. Dr. Konrad Steffen, der seit 2012 die Eidg. Forschungsanstalt für Wald,                                      de unter anderem in der EU der
        Schnee und Landschaft WSL leitete, ist am 8. August 2020 bei Forschungsar-                                         Pflanzengesundheitspass einge-
        beiten im »Swiss Camp« nahe Ilulissat im Osten Grönlands im Alter von 68                                           führt. Er ist ein amtliches Etikett
                               Jahren tödlich verunglückt. Wie die WSL-Direktion                                           für die Verbringung von Pflanzen
                               mitteilte, ist Konrad Steffen in der Nähe der For-                                          und Pflanzenerzeugnissen inner-
                               schungsbasis Swiss Camp in eine mit Wasser gefüllte                                         halb der Europäischen Union. Mit
                               Gletscherspalte gestürzt und dort ums Leben gekom-                                          seiner Ausstellung wird bestätigt,
                               men. Konrad Steffen war ein Pionier in der Erforschung                                      dass die Pflanzen und Pflanzener-
                               des Klimawandels und hielt sich regelmäßig zu For-                                          zeugnisse frei sind von Unions-
                               schungszwecken in Arktis und Antarktis auf. Der                                             quarantäneschädlingen.
                               Schweizer Glaziologe war u. a. auch Professor am Insti-                                                            M. Mößnang, LWF
                               tute for Atmosphere & Climate der ETH Zürich und Pro-                                       www.lfl.bayern.de/ips/pflanzengesundheit
                               fessor im Fachbereich Architecture, Civil and Environ-
                               mental Engineering an der EPF in Lausanne.          red
Foto: WSL

Waldbrandprävention wird gefördert
Aufgrund der hohen Temperaturen                  rund 11,3 Millionen Euro. Die Gelder
und der Trockenheit in den vergan-               stammen aus dem gemeinschaftlich
genen Jahren kommt es in Deutsch-                finanzierten Waldklimafonds (WKF),
land vermehrt zu Waldbränden. Um                 der von der Fachagentur Nachwach-
diese Gefahr zu minimieren und ziel-             sende Rohstoffe (FNR) als Projektträ-
gerichtet zu bekämpfen, fördern die              ger unterstützt wird. Bei 1.708 Wald-
Bun­desministerien für Ernährung und             bränden waren im Jahr 2018 bundes-
Landwirtschaft (BMEL) sowie Um-                  weit 2.349 Hektar Wald verbrannt.
welt, Naturschutz und nukleare Si-               Das ist laut BMEL die größte Wald-
cherheit (BMU) insgesamt 22 For-                 brandfläche seit 26 Jahren. FNR
schungsvorhaben. Die Projekte star-              www.kiwuh.de/service/presse/
teten bundesweit zum 1. Mai und                  themendossier-waldbrand/
haben ein Volumen von insgesamt                                                               Foto: J. Schröder, Landesforst Mecklenburg‑Vorpommern

4     LWF aktuell 4 |2020
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Meldungen

Die Aue als »Wasserreiniger«
Das Aueninstitut der Katholischen Universität Ingolstadt-Eich-
stätt (KU) untersucht seit vielen Jahren das Ökosystem der Fluss-
auen. In einem neuen Forschungsprojekt geht nun das Aueninsti-
tut den Fragen nach, welchen Beitrag Auen entlang der Donau für
die Wasserqualität haben und wie sich die vielfältigen Interessen
bei der Auen-Bewirtschaftung über die zahlreichen Ländergren-
zen hinweg berücksichtigen lassen? Unter der Leitung des Auen-
instituts sucht ein Konsortium mit über 20 Institutionen aus den
zehn Donau-Anrainerstaaten in dem Projekt »Improving water
quality in the Danube system by ecosystem service based integra-
tive management (IDES)« bis Ende 2022 nach den Antworten auf                  Der Naturwald »Buchenwälder in der südlichen Frankenalb«
                                                                              erstreckt sich bis an den Donaudurchbruch bei Weltenburg.
diese Fragen.                                                 red
                                                                              Foto: F. Brundke, StMELF
www.ku.de/mgf/geographie/angewandte-physische-geographie

                                                                              5.000 Hektar Naturwälder für Bayern
                                                                              Bayerns Forstverwaltung will vier größere staatliche Wald-
                                                                              gebiete Bayerns als Naturwälder ausweisen und damit
                                                                              dauerhaft unter Schutz stellen: drei ökologisch besonders
                                                                              wertvolle Buchen-Mischwälder im Steigerwald, auf der
                                                                              Fränkischen Platte bei Würzburg und der Frankenalb bei
                                                                              Kelheim sowie weite Teile der Isar-Auwälder zwischen
                                                                              München und Landshut. Fast 5.000 Hektar werden damit
                                                                              ab sofort nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt. Die neu-
                                                                              en Naturwälder sind Teil eines bayernweiten Netzwerks,
                                                                              das in den bayerischen Staatswäldern eingerichtet wird.
                                                                              Der große ökologische Wert und die einzigartige biologi-
                                                                              sche Vielfalt in den künftigen Naturwäldern sind maßgeb-
                                                                              lich auch der vorausschauenden und schonenden Wald-
                                                                              bewirtschaftung durch die Bayerischen Staatsforsten zu
                                                                              verdanken.                                             red

                                                                              www.forst.bayern.de/naturwaelder
Foto: KU, Christian Klenk

    Goldschakale entdecken Deutschland
    Von der Öffentlichkeit unbemerkt,        50 cm und einem Gewicht von 10 bis
    hat der nacht- und dämmerungsakti-       15 kg deutlich kleiner als der Wolf. Zu
    ve Goldschakal nun auch Mitteleuro-      erkennen ist er auch an seiner bis zu
    pa für sich entdeckt. Im Schatten des    30 cm langen Rute, die in einer dunk-
    von der Bevölkerung deutlich stärker     len Luntenspitze endet, und an sei-
    wahrgenommenen Wolfes breitet            nem gelblich­grauen Balg. Goldscha-
    sich der Goldschakal wohl auch in        kale ernähren sich ähnlich wie die
    Deutschland immer weiter aus. Gold-      Füchse von Kleintieren, wagen sich
    schakale sind von Südasien über den      aber aufgrund ihrer Größe auch an
    Nahen Osten bis zur Balkanhalbinsel      größere Beutetiere wie Frischlinge,
    verbreitet. Der erste deutsche Nach-     Rehe oder Schafe. Sein größter Feind
    weis gelang 1997 in der Niederlausitz,   ist der Wolf. Wolf und Schakal schlie-
    der zweite 2007 in Brandenburg.          ßen sich in aller Regel aus. Mit dem
    Seither wurden Goldschakale 2012         Goldschakal beschäftigt sich intensiv
    und seit 2014 jedes Jahr gesichtet. Er   die BoKU Wien in dem Projekt: »Der
    ist etwas größer als der Fuchs, aber     Gold­schakal in Österreich«.        red
    mit einer Schulterhöhe von bis zu        www.goldschakal.at
                                                                                           Foto: J. Hatlauf, www.goldschakal.at

                                                                                                                                  4 |2020 LWF aktuell   5
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Gesprächsstoff

»Panta rhei«
       Alles in Bewegung
Seit August leitet der Erlanger Forst­direktor
Dr. Peter Pröbstle die Geschicke der LWF
Michael Mößnang im Gespräch mit Dr. Peter Pröbstle
Am 1. August 2020 übernahm Dr. Peter Pröbstle
                                                                                        Der neue LWF-Leiter mit seiner Leitungs-»Crew« (v.l.n.r.):
die Leitung der Bayerischen Landesanstalt für                                           Dr. Andreas Hahn, Roland Schreiber, Dr. Herbert Borchert,
                                                                                        Alois Zollner, Dirk Schmechel, Dr. Peter Pröbstle, Stefan Tretter,
Wald und Forstwirtschaft (LWF). Sein Vorgänger                                          Kurt Amereller, Dr. Hans-Joachim Klemmt und Rudi Seitz
                                                                                        Foto: C. Josten, ZWFH
Olaf Schmidt war Ende Juli nach mehr als 20
Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden.                                        erinnere, gibt es viele. Aber ganz besonders gerne
                                                                                     denke ich an mein Abschiedsfest im Foyer mit fast
Doch auch Pröbstle ist an der LWF kein Unbe-                                         allen Kolleginnen und Kollegen zurück, das damals
kannter. Vor 25 Jahren arbeitete er zwei Jahre als                                   bis tief in die Nacht ging …

»rechte Hand« des LWF-Präsidenten Dr. Günter                                         Welche Aufgaben hatten Sie denn damals
                                                                                     konkret an der Landesanstalt?
Braun. Dadurch hat er die LWF mit all ihren Auf-                                     Mein damaliger Dienstposten war unglaublich vielfäl-
gaben und Herausforderungen bestens kennen-                                          tig: Als persönlicher Mitarbeiter des LWF-Präsiden-
gelernt – mitsamt den Erwartungen, die man                                           ten Dr. Günter Braun hatte ich sehr viel mit Perso-
                                                                                     nal, Haushalt und der gesamten Verwaltung der LWF
schon damals in die Forschungsanstalt setzte.                                        zu tun – Aufgaben, die mir heute noch viel Freude
                                                                                     machen. Als Sachbearbeiter für das Forschungsku-
                                                                                     ratorium hatte ich umfassenden Einblick »in« die
                             LWF aktuell: Herr Dr. Pröbstle, Sie waren bereits von   Forschungsförderung und die Ansprüche und Wün-
                             1995 bis 1997 an der LWF. Welche Erinnerungen sind      sche der Praxis »an« die forstliche Forschung. Zu-
                             Ihnen geblieben?                                        dem bekam ich damals vom Präsidenten den Auftrag,
                             Dr. Pröbstle: Ich habe nur beste Erinnerungen an        zwei im Entstehen begriffene LWF-Publikationsrei-
                             diese Jahre. Nach einigen Monaten an der Oberforst-     hen weiterzuentwickeln: »Berichte aus der LWF«
                             direktion München waren dies ja meine ersten Be-        und »LWF aktuell«. Sie sehen, wir hatten schon da-
                             rufsjahre in der Staatsforstverwaltung. Allerdings      mals das Ziel, die forstliche Öffentlichkeit über For-
                             muss ich zugeben, dass ich gar nicht so gerne an die    schungsergebnisse zu informieren, auch wenn wir
                             LWF gekommen bin. Ich hatte nach meinem Studi-          aus heutiger Sicht bei der Umsetzung natürlich noch
                             um bereits vier Jahre am Lehrstuhl für Bodenkun-
                             de der LMU gearbeitet und dort promoviert. Nach
                             Referendarzeit und Staatsexamen wollte ich daher
                             schnellstmöglich an ein Forstamt in die Praxis und
15 Jahre lang leitete        nicht wieder in die Forschung. Allerdings durfte ich
Dr. Pröbstle die forst­
lichen Geschicke am          an der LWF eine extrem hohe Fachkompetenz erle-
AELF Fürth. Foto: http://    ben, die mit einer unglaublichen Kollegialität und
www.berufenet.arbeitsagen-
                             Hilfsbereitschaft verbunden war. Kein Wunder, dass
tur.de.
                             ich erneut traurig war, als ich die LWF bereits nach
                             zwei Jahren wieder verlassen musste. Konkrete Er-
                             eignisse an der LWF, an die ich mich gerne zurück-

                »Fast ein bisschen wie Heimkommen,                                   Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber mit Dr. Peter Pröbstle
                                                                                     bei der Amtsübergabe zum neuen LWF-Leiter Foto: StMELF
                wenn auch erst nach 24 Jahren!«

6     LWF aktuell 4 |2020
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Gesprächsstoff

                                                                               »Tief beeindruckt bin ich
                                                                               vom unglaublichen Engagement
                                                                               der LWF-Beschäftigten«

                                                         bekannte Gesichter begegnen. Insofern ist es fast ein
                                                         bisschen wie »Heimkommen«, wenn auch erst nach
                                                         24 Jahren! Aktuell nicht so schön finde ich allerdings
                                                         die vielen leeren Büros, da viele aus der Belegschaft    Auf dem Regionalen
                                                                                                                  Waldbesitzertag in
                                                         sich noch im Homeoffice befinden. Ich hoffe sehr,        Forchheim 2015 führte
                                                         dass wir bald wieder zu einem normalen, intensiven       Dr. Pröbstle die Bayeri­
                                                         »LWF-Leben« zurückfinden können.                         sche Waldkönigin Isa­
                                                                                                                  bella Wimmer über das
                                                         Ob im Homeoffice oder in Präsenz: Tief beein-            Ausstellungsgelände.
                                                         druckt bin ich vom unglaublichen Engagement der          Foto: G. Schießl, AELF Bamberg
                                                         LWF-Beschäftigten. Teilweise werden E-Mails am
                                                         Wochenende oder sogar mitten in der Nacht beant-
                                                         wortet! Natürlich zeugt das von großem Verantwor-
                                                         tungsbewusstsein und einer starken Identifikation
                                                         mit der LWF. Bei aller Bewunderung und Anerken-
                                                         nung müssen wir alle aber dennoch auf eine gesunde
                                                         Work-Life-Balance achten.
in den Kinderschuhen steckten. Für LWF aktuell half
es mir aber schon, dass ich als Mitarbeiter des Präsi-   Jetzt richten wir den Blick nach vorne: Unter Ihrem
denten über neue Entwicklungen in der Staatsforst-       Vorgänger hat die LWF ihre Strategie bis Ende 2024
verwaltung meist sehr gut informiert war.                fortgeschrieben. Gibt es Punkte, die für Sie beson­
Darüber hinaus bat mich Dr. Braun aufgrund mei-          ders wichtig oder sogar entscheidend sind?
ner Laborerfahrungen an der Universität, kommissa-       Die Aufgabe ist klar: Die LWF muss bestehende wis-
risch das Zentrallabor der LWF zu leiten. Gerade in      senschaftliche Erkenntnisse sammeln, Forschungslü-
diesem Arbeitsbereich habe ich die akkurate, zuver-      cken frühzeitig erkennen und mit eigener Forschung
lässige und engagierte Arbeit unserer dortigen Kol-      gegensteuern. Doch damit alleine ist es nicht getan:
leginnen und Kollegen sehr schätzen gelernt. Auch        Die wissenschaftlich fundierten Fakten müssen wir
wenn sich die Namen dieser Mitarbeiterinnen und          in leicht verständlicher Form an die Politik, die Ver-
Mitarbeiter meist nicht in den Publikationen finden      waltung, die Staatsforsten, aber auch an die Wald-
– ohne ihre exakte Arbeitsweise gäbe es viele For-       besitzerinnen und Waldbesitzer als seriöse Entschei-
schungsergebnisse und Veröffentlichungen gar nicht!      dungsgrundlage vermitteln. Das klingt viel einfacher,
                                                         als es wirklich ist. Gerade in Zeiten von »Fake News«
Gestatten Sie mir noch eine Frage zurück in die –        und »Alternativer Fakten« werden Institutionen wie
wenn auch jüngste – Vergangenheit. Sie sind zwar         die LWF dringend benötigt: Forschungseinrichtun-
noch keine »ersten 100 Tage« im Amt, aber wie bli­       gen, denen man vertrauen kann. Für das Vertrauen ist
cken Sie auf Ihre ersten 50 Tage Amtszeit zurück?        auch eine gewisse Unabhängigkeit der Landesanstalt
Die sind extrem schnell vergangen. Dabei müssen          erforderlich. Es freut mich sehr, dass diese uns von     Immer auch mit Überzeu­
                                                                                                                  gung politisch unterwegs:
Sie berücksichtigen, dass ich bis jetzt meine bishe-     der Forstministerin und dem Leiter der Forstverwal-      In seinen Funktionen als
rigen Aufgaben als Bereichsleiter Forsten am AELF        tung explizit zugesichert wurde. Jetzt müssen aber wir   VHBB-Vorstand und stell­
Fürth-Erlangen weiter kommissarisch wahrgenom-           auch dafür sorgen, dass unsere wissenschaftlichen Er-    vertretender Landesvor­
                                                                                                                  sitzender des BDF Bayern
men habe. Trotz dieser Doppelbelastung hatte ich in      kenntnisse viele hören und verstehen können.             überreichte Dr. Pröbstle
den letzten Wochen die Möglichkeit, mich persön-                                                                  im März 2013 das Thesen­
lich von meinen Netzwerkpartnern in der Metropol-        Damit ist ja schon fast meine nächste Frage              papier »Nachhaltige Forst­
                                                                                                                  politik für Bayerns Wälder
region Nürnberg zu verabschieden. Vor allem aber         beantwortet. Wohin, glauben Sie, müsste sich              und Bayerns Bürger«.
konnte ich mich gebührend von meinen Kolleginnen         die LWF künftig entwickeln?                              (v.l.n.r.: Regierungsprä­
und Kollegen am Forstamt Erlangen verabschieden,         Präsident Olaf Schmidt hat die LWF bereits sehr gut      sident Dr. E. Ehmann,
                                                                                                                  Dr. P. Pröbstle und Innen­
die mir wirklich sehr ans Herz gewachsen sind.           auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet, nicht zu-       minister J. Herrmann)
                                                         letzt durch die schon erwähnte LWF-Strategie. Aber       Foto: Archiv VHBB

Und in der LWF, was waren hier Ihre intensivsten         wir dürfen nicht stehen bleiben, denn alles ist im-
Eindrücke in den ersten acht Wochen?                     mer in Bewegung, alles ist im Fließen: »Panta rhei«.
Beeindruckt hat mich der herzliche Empfang und           Deswegen werden wir immer nachsteuern, wann im-
wie offen die Kolleginnen und Kollegen meinen            mer es erforderlich ist. In jedem Fall muss jedoch die
Ideen und Änderungsvorschlägen gegenüberstehen.          LWF ihre hohe Wissenschaftskompetenz und ihre
Der Einstieg ist mir aber vielleicht auch deswegen       Präsenz in den Wissenschaftsmedien aufrechterhal-
so leicht gefallen, weil mir hier auf dem Flur ständig   ten. Im Kreis der deutschen und internationalen Or-

                                                                                                             4 |2020 LWF aktuell              7
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Gesprächsstoff

                                                                                                                      »Panta rhei: Wir werden nachsteuern,
                                                                                                                      wann immer es erforderlich ist«

                                                                                                                Wie kann die LWF den Wandel von Wald und
                                                                                                                Forstwirtschaft mitgestalten?
                                                                                                                Die Rahmenbedingungen für unsere Wälder ändern
                                                                                                                sich rasant, natürlich durch den dramatischen Kli-
                                                                                                                mawandel, aber ebenso durch die stark veränder-
                                                                                                                ten Ansprüche der Gesellschaft. Als forstliche For-
                                                                                                                schungsanstalt muss die LWF daher Ideen entwi-
                                                                                                                ckeln, wie Bayerns Wälder der Zukunft aussehen
                                                                                                                können. Dabei geht es nicht nur um eine Verände-
                                                                                                                rung der Baumartenpalette oder der Waldbauver-
                                                                                                                fahren. Darüber hinaus werden wir beispielsweise
Im Mai 2019 enthüllte Dr. Pröbstle zusammen mit der Familie Sinner im Sebalder Reichswald den                   auch unsere sozioempirischen Untersuchungen aus-
Gedenkstein für Karl Friedrich Sinner, den ehemaligen Leiter des Forstamts Nürnberg und spä­
teren Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald. (v.l.n.r.: Claudius Sinner (Sohn), Prof. Dr. Hu­               weiten müssen, um daraus Empfehlungen für die
bert Weiger (BUND), StMin a.D. Eberhard Sinner (Bruder), FD Dr. Peter Pröbstle, Johannes Wurm                   forstliche Praxis ableiten zu können. Doch die Her-
(Forstbetrieb Nürnberg), Rose Sinner (Witwe), Katharina Sinner (Tochter). Foto: R. Straußberger, BN             ausforderungen sind noch viel umfassender: Digita-
                                                                                                                lisierung, Fernerkundung, Geografische Informati-
                                 ganisationen forstlicher Forschung spielt die LWF                              onssysteme und andere Technologien eröffnen völlig
                                 eine wichtige Rolle und muss weiterhin als kompe-                              neue Möglichkeiten. Hier muss die LWF praxisrei-
                                 tenter Kooperationspartner wahrgenommen und ge-                                fe Anwendungen entwickeln. Weitere künftig noch
                                 schätzt werden. Deswegen müssen wir unsere her-                                mehr gefragte Kernkompetenzen der LWF sind die
                                 vorragende Forschung unvermindert weiterführen                                 Waldökologie und der Waldschutz. Kohlenstoffspei-
                                 und in einzelnen Bereichen, wie zum Beispiel der                               cherung und Wasserqualität sind weitere wichtige
                                 Wildbiologie, unser Profil sogar noch schärfen.                                Fragen. Außerdem kann die LWF wertvolle Beiträ-
                                 Wie schon erwähnt, müssen wir unsere Ergebnisse                                ge zur waldbezogenen Umweltbildung, zum gesell-
                                 dann zielgruppengerecht und verständlich präsen-                               schaftlichen Dialog und zur Partizipation von Bür-
                                 tieren. Die Verständlichkeit ist dabei aber nur eine                           gerinnen und Bürgern leisten.
                                 Seite der Medaille: Wir müssen auch die Medien ver-
                                 wenden, die zu unserer jeweiligen Zielgruppe passen.                           Was haben Sie in Ihren ersten zwei Monaten
                                 Dies sind oft die klassischen Printmedien oder auch                            an der LWF bereits geändert?
Den Umgang mit dem               das Internet. In diesem Bereich sind wir beispielswei-                         Zunächst einmal gilt es klarzustellen: Olaf Schmidt
Zuwachsbohrer hat
Dr. Pröbstle auch nach           se mit unseren Merkblättern, den Praxishilfen, LWF                             hat ein wohl bestelltes Haus hinterlassen. Da stehen
30 Jahren nicht verlernt.        aktuell, unserer Homepage oder mit waldwissen.net                              keine akuten Probleme an, und dafür bin ich ihm
Hier zieht er gerade ei­
nen Bohrkern einer Kie­          bereits sehr gut aufgestellt. Bei den sozialen Medien                          sehr dankbar. An meinem ersten Arbeitstag habe ich
fer im Marteloskop Pop­          haben wir aber sicher noch Optimierungspotenzial.                              allen Abteilungsleitern gesagt, dass ich mir viel Zeit
penwind (AELF Fürth).
Foto: http://www.berufenet.
                                                                                                                nehmen möchte, um mich in die Strukturen an der
arbeitsagentur.de                                                                                               LWF einzuarbeiten und die Beschäftigten persönlich
                                                                                                                näher kennenzulernen. Dabei hinterfrage ich aber
                                                                                                                vieles, um die Zusammenhänge zu verstehen. Und
Dr. Peter Pröbstle wurde 1964 in Erlangen geboren. Nach dem
Studium der Forstwissenschaften an der Ludwig-Maximili-                                                         das werde ich sicher in den nächsten Monaten noch
ans-Universität in München arbeitete er vier Jahre als wissen­                                                  weiter tun. Ob ich dann dem Leitungsteam Änderun-
schaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bodenkunde. In die-                                                   gen vorschlage? Lassen Sie sich einfach überraschen.
ser Zeit hatte er die technische Leitung des interdisziplinären
Höglwald-Projekts inne. In der nachfolgenden zweijährigen
                                                                                                                Haben Sie spezielle Wünsche an LWF aktuell?
Referendarzeit beendete er auch seine Dissertation. Nach dem
Staatsexamen schrieb Dr. Pröbstle an der damaligen Ober­                                                        Auch da möchte ich mich gerne noch zurückhalten.
forstdirektion München die waldbauliche Rahmenrichtlinie                                                        Ein Anliegen hätte ich aber schon: Um eine noch grö-
für die Jungmoräne. Nach seiner zweijährigen Tätigkeit an der                                                   ßere Leserschaft zu erreichen, sollten wir eventuell
LWF war er sieben Jahre lang am Staatsministerium im Refe-                                                      noch verständlicher formulieren – und uns manch-
rat für Aus- und Fortbildung, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit Foto: C. Josten, ZWFH
                                                                                                                mal vielleicht auch ein klein wenig kürzer fassen.
und Waldpädagogik tätig. 2002 übernahm er die stellvertre-
tende Leitung des Forstamts Eltmann im Landkreis Haßberge und 2005 die Leitung des
Bereichs Forsten am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürth. Mit der Er-                            Gut, dann nehme ich Sie beim Wort und beschließe
nennung zum Leiter der LWF ab August 2020 trat er als weiterer stellvertretender Lan-                           damit unser Gespräch. Vielen Dank, viel Glück und
desvorsitzender des BDF¹ Bayern zurück. Seine berufsverbandliche Arbeit als forstliches                         viel Erfolg beim Leiten unserer Landesanstalt.
Landesvorstandsmitglied des VHBB² führt er weiter. Dr. Peter Pröbstle ist verheiratet und
hat einen 16-jährigen Sohn.                                                                                     Das Gespräch führte Michael Mößnang, Abteilung Wissenstransfer, Öffentlichkeits-
                                                                                                                arbeit, Waldpädagogik der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft.
1 Bund Deutscher Forstleute 2 Verband der höheren Verwaltungsbeamtinnen und Verwaltungsbeamten in Bayern e.V.   Kontakt: Michael.Moessnang@lwf.bayern.de

8      LWF aktuell 4 |2020
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Störungsökologie

           Bitte stören – Wälder in Bewegung
           Walddynamik und Artenvielfalt verbinden sich in der Störungsökologie
           mit Wetterextremen und Insektenkalamitäten zu einer experimentellen
           und modellierenden Zukunftsforschung

Anke Jentsch und Andreas von Heßberg                                                                                           del derzeit mit einer Zunahme der Häu-
In der Natur ist nichts so beständig wie die Dynamik und die Veränderung. Ohne                                                 figkeit und Intensität verschiedener Ex­
Dynamik und Veränderung wären Evolution und Wachstum nicht möglich. Verände­                                                   tremereignisse einhergeht und Störun-
rungen in Wäldern können schleichend und durch für die Sinne des Menschen kaum                                                 gen häufig miteinander interagieren, sind
wahrnehmbare Prozesse entstehen. Derzeit werden sie jedoch zunehmend durch                                                     ihre kumulativen und synergistischen
ex­treme Wetterereignisse und ihre Folgen wie Dürre, Borkenkäferkalamitäten und                                                Effekte Gegenstand der aktuellen For-
Waldbrände katalysiert. Solche Störungen und ihre Interaktionen sind zeitlich und                                              schung. Exogen verursachte Störungskas-
räumlich klar abgegrenzte Auslenkungen der Bezugsdynamik. Doch sie verändern sich                                              kaden sind dabei aufgrund ihrer Abhän-
rasant und lokal sehr unterschiedlich mit dem Klimawandel und der Nutzungspraxis,                                              gigkeit von benachbarten oder synchro-
lassen Vorhandenes vergehen und Neues entstehen, gehören als Störungsregime                                                    nen Ereignissen weniger vorhersehbar
zum Prozessgeschehen der Walddynamik. – »Wohin soll das führen?« und »Wie kann                                                 als einfache und endogene Interaktionen.
es gelingen?« fragen derzeit Wissenschaftler im Sinne der forstlichen Zukunfts­                                                Diese Unterscheidungen tragen dazu bei,
forschung und Waldbauern im Sinne einer nachhaltigen Nutzung unserer Wälder.                                                   regionale Störungsregime zu definieren,
                                                                                                                               und die Wahrnehmung von Risiken so-
                                                                                                                               wie die Optionen für Interventionen des
Ob in Natur- und Landschaftsschutzge-           artenarmen oder gleichförmigen Fichten-                                        Waldmanagements aufzuzeigen.
bieten oder in intensiv genutzten Wirt-         wald ein artenreicher und heterogener Pi-
schaftswäldern – prägende und kataly-           onier-Mischwald entstehen. Je nach Stär-                                       Zukunftsforschung zur Widerstands­
sierende, natürliche oder anthropogene          ke und Häufigkeit der Ereignisse erhalten                                      fähigkeit europäischer Waldbaumarten
Störungsregime gibt es überall. So be-          oder verändern Störungen die vorhande-                                         Die lokalen Zunahmen extremer Wetter-
obachten wir nur zeitlich begrenzte Sta-        ne Struktur- und Artenvielfalt also stär-                                      ereignisse wie Dürren, Hitzewellen, Stark­
bilitätszustände, bevor die nächste Stö-        ker oder schwächer, länger oder kürzer.                                        regen und Spätfröste im Rahmen des
rung wie ein Puls das System dynamisiert        Wenn die Störungen kleinräumig oder                                            globalen Klimawandels werden auch in
(Jentsch & White 2019). Folglich können         gering sind, bleibt die bestehende Wald-                                       Mitteleuropa immer stärker spürbar. Be-
Waldökosysteme nicht unabhängig von             struktur bestehen. Sind die Störung aller-                                     sonders die Land- und Forstwirtschaft
den ihnen innewohnenden Störungsre-             dings häufig oder stark, ergeben sich Ver-                                     wird durch solche, oft überraschend auf-
gimen betrachtet werden. Die dreidimen-         änderungen in der Bestandstruktur und                                          tretenden Naturrisiken mit ihren teils
sionale Struktur des Waldes, welche wir         in der Artenzusammensetzung (Jentsch                                           massiven Auswirkungen auf Ökosystem-
oft als relativ statisch empfinden, ist stets   et al. 2019).                                                                  funktionen und Ertrag vor große Heraus-
verknüpft mit der vierten Dimension, der        Die Dynamik und die Auswirkungen                                               forderungen gestellt. Entsprechend sind
Zeit.                                           solcher Störungsinteraktionen auf Öko-                                         in den letzten Jahren neue Forschungs-
                                                systeme werden in einem gerade neu er-                                         projekte entwickelt worden, welche mit
Störungen für dynamische Stabilität             schienen Übersichtsartikel thematisiert                                        ungewöhnlichen Experimenten oder
oder als Katalysatoren für Veränderung?         (Burton et al. 2020). Da der globale Wan-                                      im Rahmen ökologischer Modellierung
Paradoxerweise bieten gerade die Stö-
rungsregime eine dynamische Stabilität                                                  Kriterien für Störungsereignisse
in großräumigen Waldökosystemen. Ent-
                                                   Referenzdynamik/Biomasse [%]

scheidend für ihre Auswirkungen und die                                           100
                                                                                                                                                      1 Drei Kriterien für
anschließenden Erholungsvorgänge sind
                                                                                                                                                     die Definition eines
die Magnitude und die Häufigkeit der                                                                                                                 Störungsereignisses: 1)
                                                                                                    Störung

Störungsereignisse sowie die Sensibili-                                                                                                              Diskreter Anfang und
tät der betroffenen Artengemeinschaften.                                                                                                             Dauer (Abruptheit), 2)
                                                                                                                                                     kurze Dauer relativ zur
Bestimmte Störungen können weitere                                                                                                                   Lebensspanne der domi­
Störungen zur Folge haben, z. B. Borken-                                                                                                             nanten Organismen oder
käferkalamitäten nach einer extremen                                                                                                                 Ökosysteme und 3) Stär­
                                                                                                                                                     ke/Magnitude als antei­
Dürre während eines besonders trocke-                                                                                                                lige Veränderung einer
nen Sommers, welche wiederum mit                                                   0
                                                                                                                                                     Messgröße, wie z. B. Bio­
Waldbränden oder Sturmwurf einherge-                                                                                                  Zeit           masse. Ein Störungsre­
                                                                                                                                                     gime ist die Summe aller
hen können. In Folge dieser interagieren-                                                  Abruptheit         Dauer   Stärke                         Störungsereignisse in
den Störungsereignisse kann aus einem                                                                                                                einer Landschaft.

                                                                                                                                                4 |2020 LWF aktuell        9
Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Störungsökologie

 2 Stürme wie »Kyrill«                                                                           in borealen und gemäßigten Regionen än-
oder »Kolle« haben                                                                               dern werden. Spätfrostereignisse im Mai
lokal für viel Totholz in
den Wäldern gesorgt –                                                                            werden in Deutschland immer wieder
typische Vorbedingun­                                                                            auftreten, ihre Häufigkeit, aber auch ihre
gen für die Interaktion                                                                          interannuelle Unregelmäßigkeit nahezu
mit weiteren Störungen
wie Borkenkäferkalami­                                                                           konstant bleiben. Zugleich könnte aber
täten Foto: H. Lemme, LWF                                                                        die Empfindlichkeit vieler Baumarten ge-
                                                                                                 genüber Spätfrost zunehmen. Denn auf-
                                                                                                 grund unserer wärmer werdenden Winter
                                                                                                 und der daher früher einsetzenden Blatt-
                                                                                                 und Blütenentwicklung, sowie des vorge-
                                                                                                 zogenen Blühbeginns können Spätfröste
                                                                                                 bei manchen Arten zu massiven Schäden
                                                                                                 führen. Spätfrostschäden hängen in Zu-
                                                                                                 kunft also stark vom Temperaturverlauf
                                                                                                 des vorhergehenden Winters ab.
                                                                                                 Zu unterscheiden sind biogeografische,
die nahe Zukunft vorwegnehmen und            re Exposition gegenüber Trockenheit und             phänologische und phylogenetische Un-
sich mit den ökologischen Auswirkun-         Erwärmung in einigen Fällen zu Unter-               terschiede in der Spätfrostempfindlich-
gen extremer Wetterereignisse beschäfti-     schieden in der Spätfrostempfindlichkeit            keit der Baumarten. Im Ökologisch-Bota-
gen. Beispielsweise wird derzeit mit gro-    (Thiel et al. 2014).                                nischen Garten der Uni Bayreuth haben
ßer Leidenschaft von Wissenschaftlern                                                            Wissenschaftler 170 verschiedene, auf der
der Professur für Störungsökologie und       Verbreitung und Frühjahrs­phänologie                gesamten Nordhalbkugel vorkommende
Vegetationsdynamik an der Universität        bestimmen Spätfrost­empfindlichkeit                 Baumarten auf Frostschäden nach einem
Bayreuth an der Bedeutung von Baumar-        Kälteereignisse bestimmen die Verbrei-              extremen Spätfrostereignis im Mai 2011
tenvielfalt, von komplementären Eigen-       tungsgrenzen von Gehölzarten. Beson-                untersucht (Muffler et al. 2016). Merkma-
schaften, von Herkunft und innerartli-       ders Spätfrost im Frühjahr ist ein klimati-         le des Verbreitungsgebiets, klimatische
cher Diversität für die Waldresilienz ge-    sches Extrem mit hoher ökologischer und             Ursprungsparameter und phänologische
genüber Extremereignissen geforscht. Es      evolutionärer Bedeutung. Kälteereignis-             Strategien wurden mit der Empfindlich-
wird das Wetter mit seinen Kapriolen do-     se bestimmen beispielsweise die Verbrei-            keit gegenüber dem Spätfrostereignis in
kumentiert, Pflanzen und Tiere in ihrer      tungsareale verschiedener Pflanzenarten,            Verbindung gebracht. Interessanterwei-
Widerstandsfähigkeit und ihren gemein-       z. B. die der heimischen Buche, einer der           se war die nördliche Verbreitungsgrenze
schaftlichen Strategien quantifiziert,       wichtigsten Laubbaumarten Mitteleuro-
Ökosysteme und Stoffflüsse vermessen         pas. Trotz der globalen Klimaerwärmung
und Landschaften entlang von ökologi-        ist nicht zu erwarten, dass sich Auftreten
schen Gradienten analysiert.                 und Intensität von Spätfrostereignissen

Extreme Wetterereignisse und
                                                      3 Zunehmend interagieren Wissenschaft­
phytophage Insekten                                  ler als »Scientists for Future« auch mit
Untersuchungen zur Widerstandsfähig-                 Politikern, Forstwirten und Jugendbewe­
keit zahlreicher europäischer Waldbaum­              gungen für Pflanzaktio­nen in sogenannten
                                                     Klima-Wäldern oder Versuchsfeldern mit
arten gegenüber Wetterextremen und phy­-             verschiedenen heimischen und nicht-
tophagen Insekten werden derzeit drin-               heimischen Baum­arten. Fotos: A. Jentsch
gend gebraucht. Dabei spielen der Winter-
klimawandel und das Auftreten von Spät-
frostereignissen für die saisonal geprägte
Walddynamik in Mitteleuropa eine beson-
dere Rolle (Kreyling 2014). Wissenschaft-
ler der Uni Bayreuth gehen dabei auch
solch spannenden Fragen nach, ob die
Dürre- und Spätfrostempfindlichkeit von
Bäumen von früheren Wettererfahrungen
im Jugendstadium beeinflusst wird und
ob Jungpflanzen aus kontinentaleren Her-
kunftsgebieten Mitteleuropas eine höhe-
re Resistenz aufweisen. Erste Ergebnisse
zeigen lokale Anpassungen verschiedener
Ökotypen an Wetterextreme (Kreyling et
al. 2011, 2012, 2014). Ebenso führt frühe-

10    LWF aktuell 4 |2020
Störungsökologie

und das kontinentale Verbreitungsgebiet
der Arten negativ mit der Spätfrostemp-
findlichkeit korrelierten. Die wichtigste
erklärende Variable der Spätfrostempfind-
lichkeit war die durchschnittliche Mai-
Minimumtemperatur in den Herkunfts-
gebieten der Arten (51,7 % der erklärten
Varianz). Die phylogenetische Verwandt-
schaft und die phänologische Strategie
der jeweiligen Baumart erklärte zusätzli-
                                                                                             4 (li.) Vorbereitung von Jungbäumen verschiedener
che Varianz in der Empfindlichkeit gegen-
                                                                                            Baumarten für experimentelle Gradienten-Analysen
über dem Spätfrostereignis. Frosttoleran-                                                   zur Spätfrosttoleranz im Mai 2020. Ein mehrstündi­
te Arten zeigten im Durchschnitt einen                                                      ges, frühmorgendliches Frostereignis wird in einem
zwei Wochen früheren Blattaustrieb als                                                      Kühlcontainer mit einer stufenweisen Temperatur­
                                                                                            regulierung simuliert. (re.) Frostschäden an frisch
frostempfindliche Arten. Die Merkmale                                                       ausgetriebenBuchenblättern im Fichtel­gebirge Mitte
des Verbreitungsgebiets und die vorherr-                                                    Mai 2020 Fotos: (li.): M. Schuchardt, (re.) A. Jentsch
schenden Klimaparameter in den heimi-         teren Standort zu einer erhöhten Morta-
schen Verbreitungsgebieten der Arten ste-     lität. Die Überlebensrate war am kälte-       (sub-)mediterranen Arten Schwarzkie-
hen also in engem Zusammenhang mit            ren Versuchsstandort generell geringer        fer (Pinus nigra) oder die Libanon-Zeder
ihrer Anfälligkeit für Spätfrostschäden       als am wärmeren Standort. Es zeigte sich      (Cedrus libani) diskutiert. Die Empfind-
im Frühjahr. Die spätfrostempfindlichen       jedoch kein Unterschied in der Winter-        lichkeiten dieser Arten gegenüber Win-
Arten entfalten ihre Blätter später als to-   frosttoleranz zwischen Populationen aus       tertemperaturen oder Spätfrösten sind
lerantere Arten, und die Spätfrosttole-       zentralen und marginalen Verbreitungs-        allerdings noch zu bewerten, da kalte
ranz ist phylogenetisch konserviert. Da-      gebieten am wärmeren Standort. Dort           Extreme, die von Natur aus die pol-
her kann die Spätfrostempfindlichkeit die     un­terschied sich die Spätfrosttoleranz im    wärts gerichtete Verbreitungs­grenze von
natürliche und anthropogen unterstützte       April zwischen den Buchenpopulationen         Waldbäumen bestimmen, nicht dem
Migration von Gehölzarten unter der glo-      hauptsächlich aufgrund phänologischer         allgemeinen Erwärmungstrend folgen. In
balen Erwärmung gefährden.                    Unterschiede beim Knospenaufbruch.            einem weiteren Experiment an der Uni-
                                              Interessanterweise konnte die erhöhte         versität Bayreuth wurden daher Jung­
Marginale Baumarten-Populationen              Spätfrosttoleranz von Individuen, die im      bäume von Schwarzkiefern aus acht
für die Forstwirtschaft                       vorangegangenen Sommer Trockenstress          euro­päischen Provenienzen verschiede­
Lokale Anpassungen von Waldbäumen             erlebt hatten, auch durch phänologische       nen Klimawandel-Szenarien mit Trocken­
an Umweltbedingungen sind von großer          Verschiebungen erklärt werden. Beide          heit und Erwärmung ausgesetzt und die
ökologischer Bedeutung in der Forstwirt-      Experimente lieferten Hinweise auf eine       Kältetoleranz bestimmt (Kreyling et al.
schaft der Zukunft, da die Verbreitungs-      lokale Anpassung an den Frost, mit stär-      2014). Tatsächlich unterschied sich die
gebiete von Baumarten ihre Reaktionen         keren Reaktionen in Randpopulationen.         Kältetoleranz der Nadeln verschiedener
auf den Klimawandel beeinflussen. Ein         Größere lokale Anpassungen an Wetter-         Herkunftspopulationen der Schwarzkie-
erhöhter Umweltstress kann bei einer ver-     extreme in marginalen Populationen zei-       fer um 10 °C, und es wurde eine lokale
minderten genetischen Durchmischung           gen das Potenzial solcher Populationen        Anpassung an die tolerierbare Minimum-
aufgrund der Isolation zu stärkeren lo-       für die Anpassung an zukünftige Klima­        Temperatur gefunden. Die Kältetoleranz
kalen Anpassungen von marginalen als          szenarien. Für die Waldmodellierung be-       wurde zusätzlich durch extreme Som-
zentralen Populationen führen. Entspre-       deutet dies, dass lokale Anpassungen von      mertrockenheit, die die Kältetoleranz im
chend ist es wichtig, die Empfindlichkeit     Baumpopulationen an Arealrändern bei          folgenden Winter um durchschnittlich
der Populationen verschiedener europä-        Projektionen von Arealverschiebungen          3,9 °C erhöhte, und durch die Sommer­
ischer Schlüsselbaumarten, wie z. B. der      berücksichtigt werden sollten, da sie die     erwärmung, die die Kältetoleranz um
Buche (Fagus sylvatica), gegenüber typi-      realisierte Nische über die derzeitigen Er-   3,4 °C erhöhte, beeinflusst. Eine ganz-
schen Wetterextremen wie Winterfrost          wartungen hinaus erweitern, die meist         jährige Erwärmung hatte keinen signifi-
und Sommertrockenheit experimentell           auf typischen, zentralen Populationen ei-     kanten Einfluss auf die Kältetoleranz der
zu untersuchen.                               ner bestimmten Art beruhen.                   Scharzkiefern. Die Kältetoleranz hing
Erste Experimente mit marginalen und                                                        mit dem Gehalt und der Zusammenset-
zentralen Buchenpopulationen unter            Baumarten aus wärmeren und                    zung von Kohlenhydraten, Fettsäuren
kontinuierlicher Wärmebehandlung an           trockeneren Klimazonen                        und Alkanen in den Nadeln zusammen.
einem kälteren und feuchteren Stand-          Eine forstwirtschaftliche Anpassung           Jungpflanzen der Schwarzkiefer (Pinus
ort, und mit manipulierter Sommerdür-         an die Auswirkungen der Klimaerwär-           nigra) zeigten eine vergleichbare Kälte-
re an einem wärmeren und trockeneren          mung könnte die Einführung von Baum­          toleranz wie Jungpflanzen von in Mit-
Standort haben in Süddeutschland be-          arten aus wärmeren und trockeneren            teleuropa heimischen Arten wie Wald-
reits stattgefunden (Kreyling et al. 2012).   Klimazonen an trockene Waldstandor-           kiefer (Pinus sylvestris), Gemeine Fichte
Winterfrost führte bei vielen der einge-      te im gemäßigten Mitteleuropa darstel-        (Picea abies), Rotbuche (Fagus sylvatica)
topften Buchen-Jungpflanzen an dem käl-       len. Derzeit werden beispielsweise die        und Traubeneiche (Quercus petraea). Die

                                                                                                                  4 |2020 LWF aktuell          11
Störungsökologie

             5 Wahrscheinlichkeit von Spätfrost­                                                                                        a                                                                            b
            schäden für 16 Gattungen von 105 Ge­
                                                                                    Mittl. Breitengradverteilung                                           Nördlichstes Vorkommen
            hölzarten der nördlichen Hemisphäre
            und a) der mittleren Breitenverteilung

                                                        Anteil Frostschäden
            und b) dem nördlichsten Vorkommen.                                       Magnolia
                                                                                                   Castanea                                                     Magnolia                Quercus
            Die Wahrscheinlichkeit von Spätfrost­                             1,0                                                                    1,0
                                                                                                          Fraxinus                                                         Castanea                  Fraxinus
            schäden wird als Anteil der Arten in­                                           Quercus
            nerhalb jeder Gattung mit sichtbaren                                                           Rhododendron                                                                Rhododendron
                                                                              0,8                                                                    0,8
            Spätfrostschäden im Ökologisch-Bo­
                                                                                                        Chamaecyparis                                                      Chamaecyparis
            tanischen Garten der Universität Bay­
                                                                              0,6                                                                    0,6
            reuth im Mai 2011 dargestellt.                                                                     Abies                                                                                   Abies
            Quelle: Muffler et al. 2016, verändert
                                                                              0,4                                                                    0,4                                          Amelanchier
                                                                                                   Carpinus              Amelanchier                                               Carpinus
Kältetoleranz der Feinwurzeln von Pinus                                                         Picea                   Larix    Sorbus                                    Picea                     Sorbus
                                                                                                                                                                                                                    Larix
                                                                              0,2                                                                    0,2
nigra betrug durchschnittlich –16,5 °C                                                                        Acer               Betula                                                       Acer     Betula
                                                                                                                 Pinus                                                                                Pinus
gegenüber durchschnittlich –23,8 °C bei                                        0
                                                                                                                                Alnus
                                                                                                                                                       0
                                                                                                                                                                                                       Alnus
Nadeln.                                                                         30        35        40        45        50      55        60               35    40    45      50       55    60      65       70        75

                                                                                      Nadelbäume                         [° nördl. Breite]                                                         [° nördl. Breite]
Trockenstress: eine Frage der Herkunft                                                Laubbäume
und der innerartlichen Vielfalt
Bemerkenswerterweise hatte eine expe-
rimentell simulierte Erwärmung keinen                an die verschiedenen Facetten des Kli-                                                 Literatur
                                                                                                                                            Burton, P.J.; Jentsch, A.; Walker (2020): The Ecology of Distur-
positiven Einfluss auf den Zuwachs der               mawandels zu erhalten. Neuere Experi-                                                  bance Interactions: characterization, prediction and the potential
Schwarzkiefer, sondern verringerte in                mente zur Dürre-Resistenz von Buchen                                                   of cascading effects. Bioscience. In press. doi.org/10.1890/ES15-
                                                                                                                                            00058.1
Kombination mit der Dürrebehandlung                  (Fagus sylvatica) und anderen Baumar-                                                  Jentsch, A. (2013): Störungsökologie – da kommt Bewegung auf!
die Überlebensrate. Individuen, die der              ten aus unterschiedlichen Provenienzen                                                 AFZ-DerWald 15: S. 4–5
                                                                                                                                            Jentsch, A.; White, P.S. (2019): A theory of pulse dynamics and
Erwärmungsbehandlung ausgesetzt wa-                  ihres europäischen Verbreitungsgebiets                                                 disturbance in ecology. Ecology 100(7). e02734
ren, zeigten einen früheren Beginn der                                                                                                      Jentsch, A.; Seidl, R.; Wohlgemuth, T. (2019): Störungen und Stö-
                                                     zeigen sogar, dass genetische Unterschie-                                              rungsregime. In: Wohlgemuth T, Jentsch A, Seidl R (Hrsg.) Stö-
Nadelentwicklung. Bei Pinus nigra konn-              de innerhalb einer Art bei Dürrestress                                                 rungsökologie (UTB 5018), Verlag Haupt, Stuttgart, S. 21–44
                                                                                                                                            Kreyling, J. (2014): Winter climate change: a critical factor for tem-
te insgesamt keine signifikante lokale               eine größere Rolle für die Resistenz spie-                                             perate ecosystem performance. Ecology, 91(7), 2010: S. 1939–1948
Anpassung an Wasserstress und Erwär-                 len könnten als Unterschiede zwischen                                                  Kreyling, J.; Buhk, C.; Backhaus, S.; Hallinger, M.; Huber, G.; Hu­
                                                                                                                                            ber, L.; Jentsch, A.; Konnert, M.; Thiel, D.; Wilmking, M.; Beier­
mung nachgewiesen werden (Thiel et al.               verschiedenen Baumarten (Kreyling et                                                   kuhnlein, C. (2014): Local adaptations to frost are stronger in mar-
2014). Wir empfehlen daher, dass eine                                                                                                       ginal than central populations of Fagus sylvatica L. Ecology and
                                                     al. 2011). Aufgrund dieser Erkenntnisse                                                Evolution 4(5): S. 594–605
Einführung von Baumarten aus wärme-                  schlagen wir auch für unsere Wirtschafts-                                              Kreyling, J.; Huber, G.; Konnert, M.; Thiel, D.; Wellstein, C.;
                                                                                                                                            Jentsch. A.; Beierkuhnlein, C. (2011): Innerartliche Plastizität und
ren und trockeneren Regionen mit ei-                 wälder eine Erhöhung der Artenvielfalt                                                 lokale Anpassungen von Waldbäumen. Die innerartliche Vielfalt ist
ner hohen genetischen Vielfalt einher-               und der inner­artlichen genetischen Viel-                                              ein Schlüsselkriterium für eine erfolgreiche Klimaanpassung. LWF
                                                                                                                                            aktuell 85: S. 12–14
geht, um eine hohe Anpassungsfähigkeit               falt als vielversprechende Anpassungs-                                                 Kreyling, J.; Thiel, D.; Nagy, L.; Huber, G.; Konnert, M.; Jentsch,
                                                                                                                                            A.; Beierkuhnlein, C. (2012): Late frost sensitivity of juvenile Fagus
                                                     strategie an die Auswirkungen des Kli-                                                 sylvatica L. differs between southern Germany and Bulgaria and
                                                     mawandels vor.                                                                         depends on preceding air temperature. European Journal of Forest
                                                                                                                                            Research 131(3): S.717–725
                                                                                                                                            Muffler, L.; Beierkuhnlein, C.; Aas, G.; Jentsch, A.; Schweiger,
                                                     Die Störungsökologie inspiriert                                                      A.H.; Zohner, C.; Kreyling, C. (2016): Distribution ranges and spring
                                                                                                                                            phenology explain late frost sensitivity of 170 woody plants from
                                                     die Wald- und Klimaforschung                                                           the Northern hemisphere Global Ecology and Biogeography 25(9):
                                                                                                                                            S. 1061–1071
                                                     Die oben genannten Erkenntnisse bieten                                                 Schuldt, B.; Buras, A.; Arend, M.; Vitasse,Y.; Beierkuhnlein, C.;
                                                     ein gutes Beispiel dafür, wie Forschungs­                                              Damm, A.; Gharun, M.; Grams, T.E.E.; Hauck, M.; Hajek, P.; Hart­
                                                                                                                                            mann H.; Hiltbrunner, E.; Hoch, G.; Holloway-Phillips, M.; Körner,
                                                     aktivitäten aus der Störungsökologie zu                                               Ch.; Larysch, E.; Lübbe, T.; Nelson, D.B.; Khamen, A. (2020): A first
                                                     Biodiversität, Vegetationsdynamik und                                                 assessment of the impact of the extreme 2018 summer drought on
                                                                                                                                            Central European Forests. Basic and Applied Ecology 45, S. 86-103
                                                     Landschaftsökologie sich zunehmend mit                                                Thiel, D.; Kreyling, J.; Backhaus, S; Beierkuhnlein, C.; Buhk, C.;
                                                                                                                                            Egen, K.; Huber, G.; Konnert, M.; Nagy, L.; Jentsch, A. (2014):
                                                     solchen aus der experimentellen und mo-                                                Different reactions of central and marginal provenances of Fagus
                                                     dellierenden Klimaforschung verbinden                                                  sylvatica to experimental drought. European Journal of Forest Re-
                                                                                                                                            search 133: S. 247–260
                                                     zum Verständnis der Auswirkungen und                                                   Wohlgemuth, T.; Jentsch, A.; Seidl, R. (2019): Störungsökologie
                                                     der Bedeutung von Wetterextremen, von                                                  (UTB 5018). Verlag Haupt, Stuttgart. 396 S.

                                                     Borkenkäfer-Massenvermehrungen oder
                                                                                                                                            Autoren
                                                     von ausgedehnten Windwürfen (Jentsch                                                  Prof. Dr. Anke Jentsch ist Professorin für Störungsökologie an
                                                     2013; Jentsch & White 2019; Wohlgemuth                                                 der Universität Bayreuth. Sie forscht zu Pulsdynamik und Biodiver-
                                                                                                                                            sität, Naturrisiken und Klimawandel. Der Schwerpunkt ihres
                                                     et al. 2019; Seidl & Senf 2020 sowie Müller                                            wissenschaftlichen Interesses liegt im Verständnis der Dynamik
                                                                                                                                            von Ökosystemen und der Resilienz von Lebensgemeinschaften.
                                                     & Hilmers 2020 in diesem Heft). Daraus                                                 Ihre Arbeiten umfassen umfangreiche Freilandexperimente und
                                                     ergeben sich vielfältige, praxisrelevante                                             Geländestudien in Mitteleuropa zu den Auswirkungen von Wetter-
                                                                                                                                            extremen und Ökosystemfunktionen.
                                                     Erkenntnisse zum Prozessschutz in Wäl-                                                 Dr. Andreas von Heßberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
                                                     dern, zum Forstmanagement und zur Se-                                                  Professur für Störungsökologie und weitgereister Freilandökologe.
                                                                                                                                            Er ist langjähriger Waldbauer und beschäftigt sich mit Naturver­
 6 Wurzeln der Jungpflanzen von Schwarzkiefern
                                                     lektion von Baumarten und Herkunftsge-                                                 jüngung und Klimawandel.
(Pinus nigra) unter verschiedenen Temperatur-                                                                                               Kontakt: anke.jentsch@uni-bayreuth.de
und Niederschlagsregimen. Foto: D. Thiel             bieten für die Stabilität der europäischen
                                                     Wälder angesichts des Klimawandels.

12    LWF aktuell 4 |2020
Störungsökologie

                     Katastrophen für den Menschen –
                     Segen für die Biodiversität
                     Von der erhöhten Baumsterblichkeit durch zahlreiche Störungen
                     gehen wichtige Impulse für Artenschutz und Biodiversität aus

Jörg Müller und Torben Hilmers                                                 1 Wenn Bäume oder Wald­

Die steigende Mortalität von Waldbäumen stellt                                bestände absterben, stehen
                                                                              Waldbesitzer immer vor der
Manager und Gesellschaft vor große Herausforde­                               Frage, wie sie mit einer solchen
rungen. Allerdings leitet diese Mortalität für viele                          »Störung« umgehen sollten.
bedrohte Waldarten aktuell eine positive Trend­                               Oft ist etwas mehr »Gelassen­
                                                                              heit« durchaus angebracht, da
wende ein. Daher sollten Chancen zum Schutz                                   Störungen immer auch – was
der Biodiversität jetzt nicht leichtfertig vergeben                           Biodiversität im Wald betrifft –
werden.                                                                       ihr positiven Seiten haben.
                                                                              Foto: M. Mößnang

Frühe Sukzessionsphasen –                              Tote Bäume bieten wichtigen Lebensraum
das vergessene Habitat                                 Ein zweiter Effekt ist die Anreicherung
Wie von der Wissenschaft schon länge-                  von Totholz, eine Struktur, die im Zuge
re Zeit vorhergesagt, nehmen natürliche                der Bewirtschaftung über Jahrhunderte
Störungen wie Feuer, Insektenfraß und                  immer seltener geworden ist (Seibold et
Windwürfe immer weiter zu (Seidl et al.                al. 2015). Im Gegenzug sind viele Arten
2011). Dies gilt global auch für tempera-              mit Bindung an Totholz auf Roten Listen
te Breiten (Sommerfeld et al. 2018). Die               gelandet (Grove 2002). Die letzte Bundes-
rasche Auflichtung des Kronendachs hat                 waldinventur hat sehr deutlich gezeigt,
viele Folgen für den Wald als Lebens-                  dass der Anstieg beim Totholz vor allem
raum. Hier ist zunächst das Entstehen                  auf Nadelholz zurückzuführen ist: häu-
von Lücken im Wald zu nennen. Ohne                     fig Ergebnis unvollständiger Räumungen.
Vorausverjüngung kann die Sonne bis                    So konnte in der Schweiz gezeigt werden,
zum Waldboden dringen. In Folge dessen                 dass geräumte Windwurfflächen in Wirt-
finden sich viele Pflanzen und Tierarten               schaftswäldern im Schnitt 75 m³/ha Tot-
ein (Hilmers et al. 2018). Verjüngung un-              holz aufweisen (Priewasser et al. 2013).                        gert absterben, wie es häufig nach Feuer
ter Schirm und gleichmäßige Durchfors-                 Dieser Wert liegt weit über den üblich                          zu beobachten ist. Hierzu wurde experi-
tungen sowie das Fehlen alter Wälder                   angestrebten Werten in genutzten Wäl-                           mentell gezeigt, dass gerade die Totholz-
haben diese frühe Sukzessionsphase in                  dern (Neft 2006; Müller & Bütler 2010).                         vielfalt der Schlüssel für eine hohe Insek-
Deutschland selten werden lassen (Hil-                 Darüber hinaus führen Störungen häufig                          tenvielfalt ist (Seibold et al. 2016).
mers et al. 2018). Auch im Naturschutz                 – wenn auch nicht immer – zu sehr viel-
hat man diese artenreichste Phase stark                fältigen Totholzstrukturen, insbesondere                         2 Artenvielfalt im Wald entlang der Wald­
vernachlässigt (Swanson et al. 2011).                  dann, wenn betroffene Bäume zeitverzö-                          entwicklungsphasen (verändert nach Hilmers et al. 2018)

                   Artenreichtum und Waldentwicklungsphasen
        max.

                                                                                                                                                                       Fauna
                                                                                                                                                                       Flora

                                                                                                                                                                       Pilze
   Artenvielfalt

         min.
                        Lücke     Verjüngung   Etablierung   Frühes Optimum       Mittleres Optimum   Spätes Optimum        Plenterphase       Terminalphase      Zerfallsphase

                                                                                                                                               4 |2020 LWF aktuell                13
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