Aktuell Störungen im Wald Ökologische Perspektiven - 4|2020 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
4. Quartal 2020; ISSN 1435-4098; Einzelpreis: € 5,– aktuell 4|2020 Ausgabe 127 Störungen im Wald Ökologische Perspektiven Das Magazin der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft im Zentrum Wald-Forst-Holz Weihenstephan
Inhalt Störungsökologie Wald & Mehr 9 Bitte stören – Wälder in Bewegung 35 Schadholzmenge 2019 auf Rekordhoch Anke Jentsch und Andreas von Heßberg Holger Hastreiter 13 Katastrophen für den Menschen – 38 Die Robinie online kennengelernt Segen für die Biodiversität Johann Wild Jörg Müller und Torben Hilmers 40 Einflussstrategien für eine EU-Forstpolitik 16 Wie gestört ist Europas Wald? Kathrin Böhling Rupert Seidl und Cornelius Senf 43 »Dürremonitoring« im Wald: 20 Pionierbaumarten im Klimawandel – Bitte immer den Beipackzettel lesen! standörtliche und waldbauliche Aspekte Lothar Zimmermann und Stephan Raspe Wolfram Rothkegel, Ottmar Ruppert und Hans-Joachim Klemmt 46 LWF Printmedien erneut im Urteil der Praxis 24 Geschädigte Laubbäume sicher fällen Michael Suda, Anika Gaggermeier und Florian Schmid Thomas Fottner und Michael Bossenmaier 49 Eichen-Monumente Michael Mößnang 9 16 Bitte stören – Wälder in Bewegung: Nichts in der Natur ist so beständig Wie gestört ist Europas Wald?: Zum ersten Mal liegt eine quantitative wie Veränderung. Sie ist der Motor für Evolution und Wachstum. Stö Beschreibung der Störungsregimes des europäischen Waldes vor. rungen, ob schleichend oder abrupt, sind der Treibstoff dieser Dynamik. Die Analysen dokumentieren große räumliche Unterschiede im Stö Die junge Wissenschaft »Störungsökologie« versucht, die Einflüsse rungsregime, zeigen aber auch konsistente Trends wie ein Ansteigen von Störungen zu analysieren und zu bewerten. Foto: H. Lemme, LWF der Störungshäufigkeit auf. Foto: C. Senf Titelseite: Störungen im Wald – ob groß- oder kleinflächig – entwickeln sich auch immer zu Hotspots der Artenvielfalt. Eine junge Wissenschaft untersucht die Bedeutung von Störungsereignissen in unserer Umwelt, wie zum Beispiel in Waldökosystemen. Foto: M. Mößnang 2 LWF aktuell 4 |2020
Editorial Rubriken Kalender Seite 29 4 Meldungen Forstliche Veranstaltungen auf einen Blick 27 Zentrum Wald-Forst-Holz 31 Amt für Waldgenetik 50 Holzwerkstatt 52 Waldklimastationen 55 Medien 56 Impressum Liebe Leserinnen und Leser, Gesprächsstoff auf Störungen können wir alle gut und gerne verzichten. Stören- friede sind keineswegs willkommen. Das gilt nicht nur zu Hause 6 »Panta rhei« Alles in Bewegung oder im Büro. Das gilt erst recht im Wald, haben doch Wald, Wald- Dr. Peter Pröbstle im Interview besitzer und Forstleute in den letzten Jahren bereits genug mit Störungen und Störenfrieden zu tun. Und dennoch hat alles seine zwei Seiten. Vermittelt uns der Hefttitel auf den ersten Blick doch (Zer-)Störung, so werden wir auf den zweiten Blick– hinein in un- ser Heft – erkennen, dass Störungen in unserer Natur auch »Po- sitives« bewirken können. Eine junge Wissenschaft geht diesen eher doch unerwünschten Ereignissen immer mehr auf den Grund: Die »Störungsökologie« sagt uns: Störungen sind sehr wichtig und sie gehören in vielen Lebensgemeinschaften und Ökosys- temen einfach dazu. Sie fördern die Vielfalt, insbesondere die Artenvielfalt. Und Vielfalt fördert Stabilität und Resilienz unserer Natur. Mehr dazu finden Sie in unserer neuen Ausgabe. Lehnen Sie sich daher zurück und blättern Sie in einer ruhigen Stunde in der LWF aktuell. Aber lassen Sie sich bitte nicht stören. Bevor wir jedoch in dieses spannende Thema einsteigen, darf ich Ihnen den neuen Leiter der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft vorstellen. Seit August leitet Dr. Peter Pröbstle, der ehemalige Bereichsleiter Forsten aus Fürth, die LWF. In einem Interview konnte ich ihn zu seinen ersten Erfahrungen, aber auch zu seinen zukünftigen Zielen befragen. 35 Ihr Schadholzmenge 2019 auf Rekordhoch: Und wieder einmal sind die Schadholzmengen gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Borkenkäfer, Hitze und Trockenheit waren die Hauptverant Michael Mößnang Chefredakteur wortlichen für den hohen Schadholzanfall. Foto: B. Mittermeier 4 |2020 LWF aktuell 3
Meldungen »Klimakönner« im Portrait Gemeinsam mit dem neuen Leiter der LWF, Muster eines Pflanzen Dr. Peter Pröbstle, stellte Bayerns Forst passes Quelle: LFL ministerin Michaela Kaniber den Band II der Praxishilfe »Klima-Boden-Baumarten- wahl« in München vor. Das übersichtliche Visum-Pflicht Kompendium erweitert die im vergangenen Sommer erstmals veröffentlichte Praxishil- für Pflanzen fe um weitere 16 Baumarten. Darunter sind auch solche, die bereits in anderen Regio- Die Generalversammlung der Ver- nen der Welt ihre Trockenheits- und Hitze- einten Nationen hat das Jahr 2020 resistenz bewiesen haben, wie beispiels- zum «Internationalen Jahr der Gemeinsam präsentierten Ministerin Michaela weise die Japanische Lärche oder die Rot Pflanzengesundheit» (IYPH = In- Kaniber und der Leiter der LWF, Dr. Peter Pröbstle, den Band II der Praxishilfe »Klima-Boden-Baum eiche. Anhand anschaulich aufbereiteter ternational Year of Plant Health) artenwahl«. Foto: Pia Regnet, StMELF Steckbriefe werden zu diesen Baumarten erklärt. Damit wollen die UN auf das Klimarisiko, Waldschutzfragen oder eine Problematik aufmerksam elche Baumarten können dem Klima der W eine mögliche Holzverwendung näher be- machen, die mit dem globalen Zukunft standhalten? Um den Waldbesit- leuchtet. Beide Bände können über die Handel verbunden ist. Der welt- zerinnen und Waldbesitzern die Entschei- Homepage der LWF bezogen werden. red weite Warenverkehr mit Pflanzen dung zu erleichtern, hat die Bayerische www.lwf.bayern.de/publikationen/praxishilfe und Pflanzenerzeugnissen führt Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft dazu, dass mit diesen zahlreiche (LWF) umfangreiche Praxishilfen erarbeitet. Schädlinge in andere Länder ein- geschleppt werden, wo sie unter Umständen erhebliche Schäden an der Natur verursachen können, die auf diese Schadorganismen nicht WSL-Direktor Konrad Steffen tödlich verunglückt eingestellt ist. Um die Risiken sol- cher Gefahren zu reduzieren, wur- Prof. Dr. Konrad Steffen, der seit 2012 die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, de unter anderem in der EU der Schnee und Landschaft WSL leitete, ist am 8. August 2020 bei Forschungsar- Pflanzengesundheitspass einge- beiten im »Swiss Camp« nahe Ilulissat im Osten Grönlands im Alter von 68 führt. Er ist ein amtliches Etikett Jahren tödlich verunglückt. Wie die WSL-Direktion für die Verbringung von Pflanzen mitteilte, ist Konrad Steffen in der Nähe der For- und Pflanzenerzeugnissen inner- schungsbasis Swiss Camp in eine mit Wasser gefüllte halb der Europäischen Union. Mit Gletscherspalte gestürzt und dort ums Leben gekom- seiner Ausstellung wird bestätigt, men. Konrad Steffen war ein Pionier in der Erforschung dass die Pflanzen und Pflanzener- des Klimawandels und hielt sich regelmäßig zu For- zeugnisse frei sind von Unions- schungszwecken in Arktis und Antarktis auf. Der quarantäneschädlingen. Schweizer Glaziologe war u. a. auch Professor am Insti- M. Mößnang, LWF tute for Atmosphere & Climate der ETH Zürich und Pro- www.lfl.bayern.de/ips/pflanzengesundheit fessor im Fachbereich Architecture, Civil and Environ- mental Engineering an der EPF in Lausanne. red Foto: WSL Waldbrandprävention wird gefördert Aufgrund der hohen Temperaturen rund 11,3 Millionen Euro. Die Gelder und der Trockenheit in den vergan- stammen aus dem gemeinschaftlich genen Jahren kommt es in Deutsch- finanzierten Waldklimafonds (WKF), land vermehrt zu Waldbränden. Um der von der Fachagentur Nachwach- diese Gefahr zu minimieren und ziel- sende Rohstoffe (FNR) als Projektträ- gerichtet zu bekämpfen, fördern die ger unterstützt wird. Bei 1.708 Wald- Bundesministerien für Ernährung und bränden waren im Jahr 2018 bundes- Landwirtschaft (BMEL) sowie Um- weit 2.349 Hektar Wald verbrannt. welt, Naturschutz und nukleare Si- Das ist laut BMEL die größte Wald- cherheit (BMU) insgesamt 22 For- brandfläche seit 26 Jahren. FNR schungsvorhaben. Die Projekte star- www.kiwuh.de/service/presse/ teten bundesweit zum 1. Mai und themendossier-waldbrand/ haben ein Volumen von insgesamt Foto: J. Schröder, Landesforst Mecklenburg‑Vorpommern 4 LWF aktuell 4 |2020
Meldungen Die Aue als »Wasserreiniger« Das Aueninstitut der Katholischen Universität Ingolstadt-Eich- stätt (KU) untersucht seit vielen Jahren das Ökosystem der Fluss- auen. In einem neuen Forschungsprojekt geht nun das Aueninsti- tut den Fragen nach, welchen Beitrag Auen entlang der Donau für die Wasserqualität haben und wie sich die vielfältigen Interessen bei der Auen-Bewirtschaftung über die zahlreichen Ländergren- zen hinweg berücksichtigen lassen? Unter der Leitung des Auen- instituts sucht ein Konsortium mit über 20 Institutionen aus den zehn Donau-Anrainerstaaten in dem Projekt »Improving water quality in the Danube system by ecosystem service based integra- tive management (IDES)« bis Ende 2022 nach den Antworten auf Der Naturwald »Buchenwälder in der südlichen Frankenalb« erstreckt sich bis an den Donaudurchbruch bei Weltenburg. diese Fragen. red Foto: F. Brundke, StMELF www.ku.de/mgf/geographie/angewandte-physische-geographie 5.000 Hektar Naturwälder für Bayern Bayerns Forstverwaltung will vier größere staatliche Wald- gebiete Bayerns als Naturwälder ausweisen und damit dauerhaft unter Schutz stellen: drei ökologisch besonders wertvolle Buchen-Mischwälder im Steigerwald, auf der Fränkischen Platte bei Würzburg und der Frankenalb bei Kelheim sowie weite Teile der Isar-Auwälder zwischen München und Landshut. Fast 5.000 Hektar werden damit ab sofort nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt. Die neu- en Naturwälder sind Teil eines bayernweiten Netzwerks, das in den bayerischen Staatswäldern eingerichtet wird. Der große ökologische Wert und die einzigartige biologi- sche Vielfalt in den künftigen Naturwäldern sind maßgeb- lich auch der vorausschauenden und schonenden Wald- bewirtschaftung durch die Bayerischen Staatsforsten zu verdanken. red www.forst.bayern.de/naturwaelder Foto: KU, Christian Klenk Goldschakale entdecken Deutschland Von der Öffentlichkeit unbemerkt, 50 cm und einem Gewicht von 10 bis hat der nacht- und dämmerungsakti- 15 kg deutlich kleiner als der Wolf. Zu ve Goldschakal nun auch Mitteleuro- erkennen ist er auch an seiner bis zu pa für sich entdeckt. Im Schatten des 30 cm langen Rute, die in einer dunk- von der Bevölkerung deutlich stärker len Luntenspitze endet, und an sei- wahrgenommenen Wolfes breitet nem gelblichgrauen Balg. Goldscha- sich der Goldschakal wohl auch in kale ernähren sich ähnlich wie die Deutschland immer weiter aus. Gold- Füchse von Kleintieren, wagen sich schakale sind von Südasien über den aber aufgrund ihrer Größe auch an Nahen Osten bis zur Balkanhalbinsel größere Beutetiere wie Frischlinge, verbreitet. Der erste deutsche Nach- Rehe oder Schafe. Sein größter Feind weis gelang 1997 in der Niederlausitz, ist der Wolf. Wolf und Schakal schlie- der zweite 2007 in Brandenburg. ßen sich in aller Regel aus. Mit dem Seither wurden Goldschakale 2012 Goldschakal beschäftigt sich intensiv und seit 2014 jedes Jahr gesichtet. Er die BoKU Wien in dem Projekt: »Der ist etwas größer als der Fuchs, aber Goldschakal in Österreich«. red mit einer Schulterhöhe von bis zu www.goldschakal.at Foto: J. Hatlauf, www.goldschakal.at 4 |2020 LWF aktuell 5
Gesprächsstoff »Panta rhei« Alles in Bewegung Seit August leitet der Erlanger Forstdirektor Dr. Peter Pröbstle die Geschicke der LWF Michael Mößnang im Gespräch mit Dr. Peter Pröbstle Am 1. August 2020 übernahm Dr. Peter Pröbstle Der neue LWF-Leiter mit seiner Leitungs-»Crew« (v.l.n.r.): die Leitung der Bayerischen Landesanstalt für Dr. Andreas Hahn, Roland Schreiber, Dr. Herbert Borchert, Alois Zollner, Dirk Schmechel, Dr. Peter Pröbstle, Stefan Tretter, Wald und Forstwirtschaft (LWF). Sein Vorgänger Kurt Amereller, Dr. Hans-Joachim Klemmt und Rudi Seitz Foto: C. Josten, ZWFH Olaf Schmidt war Ende Juli nach mehr als 20 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden. erinnere, gibt es viele. Aber ganz besonders gerne denke ich an mein Abschiedsfest im Foyer mit fast Doch auch Pröbstle ist an der LWF kein Unbe- allen Kolleginnen und Kollegen zurück, das damals kannter. Vor 25 Jahren arbeitete er zwei Jahre als bis tief in die Nacht ging … »rechte Hand« des LWF-Präsidenten Dr. Günter Welche Aufgaben hatten Sie denn damals konkret an der Landesanstalt? Braun. Dadurch hat er die LWF mit all ihren Auf- Mein damaliger Dienstposten war unglaublich vielfäl- gaben und Herausforderungen bestens kennen- tig: Als persönlicher Mitarbeiter des LWF-Präsiden- gelernt – mitsamt den Erwartungen, die man ten Dr. Günter Braun hatte ich sehr viel mit Perso- nal, Haushalt und der gesamten Verwaltung der LWF schon damals in die Forschungsanstalt setzte. zu tun – Aufgaben, die mir heute noch viel Freude machen. Als Sachbearbeiter für das Forschungsku- ratorium hatte ich umfassenden Einblick »in« die LWF aktuell: Herr Dr. Pröbstle, Sie waren bereits von Forschungsförderung und die Ansprüche und Wün- 1995 bis 1997 an der LWF. Welche Erinnerungen sind sche der Praxis »an« die forstliche Forschung. Zu- Ihnen geblieben? dem bekam ich damals vom Präsidenten den Auftrag, Dr. Pröbstle: Ich habe nur beste Erinnerungen an zwei im Entstehen begriffene LWF-Publikationsrei- diese Jahre. Nach einigen Monaten an der Oberforst- hen weiterzuentwickeln: »Berichte aus der LWF« direktion München waren dies ja meine ersten Be- und »LWF aktuell«. Sie sehen, wir hatten schon da- rufsjahre in der Staatsforstverwaltung. Allerdings mals das Ziel, die forstliche Öffentlichkeit über For- muss ich zugeben, dass ich gar nicht so gerne an die schungsergebnisse zu informieren, auch wenn wir LWF gekommen bin. Ich hatte nach meinem Studi- aus heutiger Sicht bei der Umsetzung natürlich noch um bereits vier Jahre am Lehrstuhl für Bodenkun- de der LMU gearbeitet und dort promoviert. Nach Referendarzeit und Staatsexamen wollte ich daher schnellstmöglich an ein Forstamt in die Praxis und 15 Jahre lang leitete nicht wieder in die Forschung. Allerdings durfte ich Dr. Pröbstle die forst lichen Geschicke am an der LWF eine extrem hohe Fachkompetenz erle- AELF Fürth. Foto: http:// ben, die mit einer unglaublichen Kollegialität und www.berufenet.arbeitsagen- Hilfsbereitschaft verbunden war. Kein Wunder, dass tur.de. ich erneut traurig war, als ich die LWF bereits nach zwei Jahren wieder verlassen musste. Konkrete Er- eignisse an der LWF, an die ich mich gerne zurück- »Fast ein bisschen wie Heimkommen, Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber mit Dr. Peter Pröbstle bei der Amtsübergabe zum neuen LWF-Leiter Foto: StMELF wenn auch erst nach 24 Jahren!« 6 LWF aktuell 4 |2020
Gesprächsstoff »Tief beeindruckt bin ich vom unglaublichen Engagement der LWF-Beschäftigten« bekannte Gesichter begegnen. Insofern ist es fast ein bisschen wie »Heimkommen«, wenn auch erst nach 24 Jahren! Aktuell nicht so schön finde ich allerdings die vielen leeren Büros, da viele aus der Belegschaft Auf dem Regionalen Waldbesitzertag in sich noch im Homeoffice befinden. Ich hoffe sehr, Forchheim 2015 führte dass wir bald wieder zu einem normalen, intensiven Dr. Pröbstle die Bayeri »LWF-Leben« zurückfinden können. sche Waldkönigin Isa bella Wimmer über das Ob im Homeoffice oder in Präsenz: Tief beein- Ausstellungsgelände. druckt bin ich vom unglaublichen Engagement der Foto: G. Schießl, AELF Bamberg LWF-Beschäftigten. Teilweise werden E-Mails am Wochenende oder sogar mitten in der Nacht beant- wortet! Natürlich zeugt das von großem Verantwor- tungsbewusstsein und einer starken Identifikation mit der LWF. Bei aller Bewunderung und Anerken- nung müssen wir alle aber dennoch auf eine gesunde Work-Life-Balance achten. in den Kinderschuhen steckten. Für LWF aktuell half es mir aber schon, dass ich als Mitarbeiter des Präsi- Jetzt richten wir den Blick nach vorne: Unter Ihrem denten über neue Entwicklungen in der Staatsforst- Vorgänger hat die LWF ihre Strategie bis Ende 2024 verwaltung meist sehr gut informiert war. fortgeschrieben. Gibt es Punkte, die für Sie beson Darüber hinaus bat mich Dr. Braun aufgrund mei- ders wichtig oder sogar entscheidend sind? ner Laborerfahrungen an der Universität, kommissa- Die Aufgabe ist klar: Die LWF muss bestehende wis- risch das Zentrallabor der LWF zu leiten. Gerade in senschaftliche Erkenntnisse sammeln, Forschungslü- diesem Arbeitsbereich habe ich die akkurate, zuver- cken frühzeitig erkennen und mit eigener Forschung lässige und engagierte Arbeit unserer dortigen Kol- gegensteuern. Doch damit alleine ist es nicht getan: leginnen und Kollegen sehr schätzen gelernt. Auch Die wissenschaftlich fundierten Fakten müssen wir wenn sich die Namen dieser Mitarbeiterinnen und in leicht verständlicher Form an die Politik, die Ver- Mitarbeiter meist nicht in den Publikationen finden waltung, die Staatsforsten, aber auch an die Wald- – ohne ihre exakte Arbeitsweise gäbe es viele For- besitzerinnen und Waldbesitzer als seriöse Entschei- schungsergebnisse und Veröffentlichungen gar nicht! dungsgrundlage vermitteln. Das klingt viel einfacher, als es wirklich ist. Gerade in Zeiten von »Fake News« Gestatten Sie mir noch eine Frage zurück in die – und »Alternativer Fakten« werden Institutionen wie wenn auch jüngste – Vergangenheit. Sie sind zwar die LWF dringend benötigt: Forschungseinrichtun- noch keine »ersten 100 Tage« im Amt, aber wie bli gen, denen man vertrauen kann. Für das Vertrauen ist cken Sie auf Ihre ersten 50 Tage Amtszeit zurück? auch eine gewisse Unabhängigkeit der Landesanstalt Die sind extrem schnell vergangen. Dabei müssen erforderlich. Es freut mich sehr, dass diese uns von Immer auch mit Überzeu gung politisch unterwegs: Sie berücksichtigen, dass ich bis jetzt meine bishe- der Forstministerin und dem Leiter der Forstverwal- In seinen Funktionen als rigen Aufgaben als Bereichsleiter Forsten am AELF tung explizit zugesichert wurde. Jetzt müssen aber wir VHBB-Vorstand und stell Fürth-Erlangen weiter kommissarisch wahrgenom- auch dafür sorgen, dass unsere wissenschaftlichen Er- vertretender Landesvor sitzender des BDF Bayern men habe. Trotz dieser Doppelbelastung hatte ich in kenntnisse viele hören und verstehen können. überreichte Dr. Pröbstle den letzten Wochen die Möglichkeit, mich persön- im März 2013 das Thesen lich von meinen Netzwerkpartnern in der Metropol- Damit ist ja schon fast meine nächste Frage papier »Nachhaltige Forst politik für Bayerns Wälder region Nürnberg zu verabschieden. Vor allem aber beantwortet. Wohin, glauben Sie, müsste sich und Bayerns Bürger«. konnte ich mich gebührend von meinen Kolleginnen die LWF künftig entwickeln? (v.l.n.r.: Regierungsprä und Kollegen am Forstamt Erlangen verabschieden, Präsident Olaf Schmidt hat die LWF bereits sehr gut sident Dr. E. Ehmann, Dr. P. Pröbstle und Innen die mir wirklich sehr ans Herz gewachsen sind. auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet, nicht zu- minister J. Herrmann) letzt durch die schon erwähnte LWF-Strategie. Aber Foto: Archiv VHBB Und in der LWF, was waren hier Ihre intensivsten wir dürfen nicht stehen bleiben, denn alles ist im- Eindrücke in den ersten acht Wochen? mer in Bewegung, alles ist im Fließen: »Panta rhei«. Beeindruckt hat mich der herzliche Empfang und Deswegen werden wir immer nachsteuern, wann im- wie offen die Kolleginnen und Kollegen meinen mer es erforderlich ist. In jedem Fall muss jedoch die Ideen und Änderungsvorschlägen gegenüberstehen. LWF ihre hohe Wissenschaftskompetenz und ihre Der Einstieg ist mir aber vielleicht auch deswegen Präsenz in den Wissenschaftsmedien aufrechterhal- so leicht gefallen, weil mir hier auf dem Flur ständig ten. Im Kreis der deutschen und internationalen Or- 4 |2020 LWF aktuell 7
Gesprächsstoff »Panta rhei: Wir werden nachsteuern, wann immer es erforderlich ist« Wie kann die LWF den Wandel von Wald und Forstwirtschaft mitgestalten? Die Rahmenbedingungen für unsere Wälder ändern sich rasant, natürlich durch den dramatischen Kli- mawandel, aber ebenso durch die stark veränder- ten Ansprüche der Gesellschaft. Als forstliche For- schungsanstalt muss die LWF daher Ideen entwi- ckeln, wie Bayerns Wälder der Zukunft aussehen können. Dabei geht es nicht nur um eine Verände- rung der Baumartenpalette oder der Waldbauver- fahren. Darüber hinaus werden wir beispielsweise Im Mai 2019 enthüllte Dr. Pröbstle zusammen mit der Familie Sinner im Sebalder Reichswald den auch unsere sozioempirischen Untersuchungen aus- Gedenkstein für Karl Friedrich Sinner, den ehemaligen Leiter des Forstamts Nürnberg und spä teren Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald. (v.l.n.r.: Claudius Sinner (Sohn), Prof. Dr. Hu weiten müssen, um daraus Empfehlungen für die bert Weiger (BUND), StMin a.D. Eberhard Sinner (Bruder), FD Dr. Peter Pröbstle, Johannes Wurm forstliche Praxis ableiten zu können. Doch die Her- (Forstbetrieb Nürnberg), Rose Sinner (Witwe), Katharina Sinner (Tochter). Foto: R. Straußberger, BN ausforderungen sind noch viel umfassender: Digita- lisierung, Fernerkundung, Geografische Informati- ganisationen forstlicher Forschung spielt die LWF onssysteme und andere Technologien eröffnen völlig eine wichtige Rolle und muss weiterhin als kompe- neue Möglichkeiten. Hier muss die LWF praxisrei- tenter Kooperationspartner wahrgenommen und ge- fe Anwendungen entwickeln. Weitere künftig noch schätzt werden. Deswegen müssen wir unsere her- mehr gefragte Kernkompetenzen der LWF sind die vorragende Forschung unvermindert weiterführen Waldökologie und der Waldschutz. Kohlenstoffspei- und in einzelnen Bereichen, wie zum Beispiel der cherung und Wasserqualität sind weitere wichtige Wildbiologie, unser Profil sogar noch schärfen. Fragen. Außerdem kann die LWF wertvolle Beiträ- Wie schon erwähnt, müssen wir unsere Ergebnisse ge zur waldbezogenen Umweltbildung, zum gesell- dann zielgruppengerecht und verständlich präsen- schaftlichen Dialog und zur Partizipation von Bür- tieren. Die Verständlichkeit ist dabei aber nur eine gerinnen und Bürgern leisten. Seite der Medaille: Wir müssen auch die Medien ver- wenden, die zu unserer jeweiligen Zielgruppe passen. Was haben Sie in Ihren ersten zwei Monaten Dies sind oft die klassischen Printmedien oder auch an der LWF bereits geändert? Den Umgang mit dem das Internet. In diesem Bereich sind wir beispielswei- Zunächst einmal gilt es klarzustellen: Olaf Schmidt Zuwachsbohrer hat Dr. Pröbstle auch nach se mit unseren Merkblättern, den Praxishilfen, LWF hat ein wohl bestelltes Haus hinterlassen. Da stehen 30 Jahren nicht verlernt. aktuell, unserer Homepage oder mit waldwissen.net keine akuten Probleme an, und dafür bin ich ihm Hier zieht er gerade ei nen Bohrkern einer Kie bereits sehr gut aufgestellt. Bei den sozialen Medien sehr dankbar. An meinem ersten Arbeitstag habe ich fer im Marteloskop Pop haben wir aber sicher noch Optimierungspotenzial. allen Abteilungsleitern gesagt, dass ich mir viel Zeit penwind (AELF Fürth). Foto: http://www.berufenet. nehmen möchte, um mich in die Strukturen an der arbeitsagentur.de LWF einzuarbeiten und die Beschäftigten persönlich näher kennenzulernen. Dabei hinterfrage ich aber vieles, um die Zusammenhänge zu verstehen. Und Dr. Peter Pröbstle wurde 1964 in Erlangen geboren. Nach dem Studium der Forstwissenschaften an der Ludwig-Maximili- das werde ich sicher in den nächsten Monaten noch ans-Universität in München arbeitete er vier Jahre als wissen weiter tun. Ob ich dann dem Leitungsteam Änderun- schaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bodenkunde. In die- gen vorschlage? Lassen Sie sich einfach überraschen. ser Zeit hatte er die technische Leitung des interdisziplinären Höglwald-Projekts inne. In der nachfolgenden zweijährigen Haben Sie spezielle Wünsche an LWF aktuell? Referendarzeit beendete er auch seine Dissertation. Nach dem Staatsexamen schrieb Dr. Pröbstle an der damaligen Ober Auch da möchte ich mich gerne noch zurückhalten. forstdirektion München die waldbauliche Rahmenrichtlinie Ein Anliegen hätte ich aber schon: Um eine noch grö- für die Jungmoräne. Nach seiner zweijährigen Tätigkeit an der ßere Leserschaft zu erreichen, sollten wir eventuell LWF war er sieben Jahre lang am Staatsministerium im Refe- noch verständlicher formulieren – und uns manch- rat für Aus- und Fortbildung, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit Foto: C. Josten, ZWFH mal vielleicht auch ein klein wenig kürzer fassen. und Waldpädagogik tätig. 2002 übernahm er die stellvertre- tende Leitung des Forstamts Eltmann im Landkreis Haßberge und 2005 die Leitung des Bereichs Forsten am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürth. Mit der Er- Gut, dann nehme ich Sie beim Wort und beschließe nennung zum Leiter der LWF ab August 2020 trat er als weiterer stellvertretender Lan- damit unser Gespräch. Vielen Dank, viel Glück und desvorsitzender des BDF¹ Bayern zurück. Seine berufsverbandliche Arbeit als forstliches viel Erfolg beim Leiten unserer Landesanstalt. Landesvorstandsmitglied des VHBB² führt er weiter. Dr. Peter Pröbstle ist verheiratet und hat einen 16-jährigen Sohn. Das Gespräch führte Michael Mößnang, Abteilung Wissenstransfer, Öffentlichkeits- arbeit, Waldpädagogik der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. 1 Bund Deutscher Forstleute 2 Verband der höheren Verwaltungsbeamtinnen und Verwaltungsbeamten in Bayern e.V. Kontakt: Michael.Moessnang@lwf.bayern.de 8 LWF aktuell 4 |2020
Störungsökologie Bitte stören – Wälder in Bewegung Walddynamik und Artenvielfalt verbinden sich in der Störungsökologie mit Wetterextremen und Insektenkalamitäten zu einer experimentellen und modellierenden Zukunftsforschung Anke Jentsch und Andreas von Heßberg del derzeit mit einer Zunahme der Häu- In der Natur ist nichts so beständig wie die Dynamik und die Veränderung. Ohne figkeit und Intensität verschiedener Ex Dynamik und Veränderung wären Evolution und Wachstum nicht möglich. Verände tremereignisse einhergeht und Störun- rungen in Wäldern können schleichend und durch für die Sinne des Menschen kaum gen häufig miteinander interagieren, sind wahrnehmbare Prozesse entstehen. Derzeit werden sie jedoch zunehmend durch ihre kumulativen und synergistischen extreme Wetterereignisse und ihre Folgen wie Dürre, Borkenkäferkalamitäten und Effekte Gegenstand der aktuellen For- Waldbrände katalysiert. Solche Störungen und ihre Interaktionen sind zeitlich und schung. Exogen verursachte Störungskas- räumlich klar abgegrenzte Auslenkungen der Bezugsdynamik. Doch sie verändern sich kaden sind dabei aufgrund ihrer Abhän- rasant und lokal sehr unterschiedlich mit dem Klimawandel und der Nutzungspraxis, gigkeit von benachbarten oder synchro- lassen Vorhandenes vergehen und Neues entstehen, gehören als Störungsregime nen Ereignissen weniger vorhersehbar zum Prozessgeschehen der Walddynamik. – »Wohin soll das führen?« und »Wie kann als einfache und endogene Interaktionen. es gelingen?« fragen derzeit Wissenschaftler im Sinne der forstlichen Zukunfts Diese Unterscheidungen tragen dazu bei, forschung und Waldbauern im Sinne einer nachhaltigen Nutzung unserer Wälder. regionale Störungsregime zu definieren, und die Wahrnehmung von Risiken so- wie die Optionen für Interventionen des Ob in Natur- und Landschaftsschutzge- artenarmen oder gleichförmigen Fichten- Waldmanagements aufzuzeigen. bieten oder in intensiv genutzten Wirt- wald ein artenreicher und heterogener Pi- schaftswäldern – prägende und kataly- onier-Mischwald entstehen. Je nach Stär- Zukunftsforschung zur Widerstands sierende, natürliche oder anthropogene ke und Häufigkeit der Ereignisse erhalten fähigkeit europäischer Waldbaumarten Störungsregime gibt es überall. So be- oder verändern Störungen die vorhande- Die lokalen Zunahmen extremer Wetter- obachten wir nur zeitlich begrenzte Sta- ne Struktur- und Artenvielfalt also stär- ereignisse wie Dürren, Hitzewellen, Stark bilitätszustände, bevor die nächste Stö- ker oder schwächer, länger oder kürzer. regen und Spätfröste im Rahmen des rung wie ein Puls das System dynamisiert Wenn die Störungen kleinräumig oder globalen Klimawandels werden auch in (Jentsch & White 2019). Folglich können gering sind, bleibt die bestehende Wald- Mitteleuropa immer stärker spürbar. Be- Waldökosysteme nicht unabhängig von struktur bestehen. Sind die Störung aller- sonders die Land- und Forstwirtschaft den ihnen innewohnenden Störungsre- dings häufig oder stark, ergeben sich Ver- wird durch solche, oft überraschend auf- gimen betrachtet werden. Die dreidimen- änderungen in der Bestandstruktur und tretenden Naturrisiken mit ihren teils sionale Struktur des Waldes, welche wir in der Artenzusammensetzung (Jentsch massiven Auswirkungen auf Ökosystem- oft als relativ statisch empfinden, ist stets et al. 2019). funktionen und Ertrag vor große Heraus- verknüpft mit der vierten Dimension, der Die Dynamik und die Auswirkungen forderungen gestellt. Entsprechend sind Zeit. solcher Störungsinteraktionen auf Öko- in den letzten Jahren neue Forschungs- systeme werden in einem gerade neu er- projekte entwickelt worden, welche mit Störungen für dynamische Stabilität schienen Übersichtsartikel thematisiert ungewöhnlichen Experimenten oder oder als Katalysatoren für Veränderung? (Burton et al. 2020). Da der globale Wan- im Rahmen ökologischer Modellierung Paradoxerweise bieten gerade die Stö- rungsregime eine dynamische Stabilität Kriterien für Störungsereignisse in großräumigen Waldökosystemen. Ent- Referenzdynamik/Biomasse [%] scheidend für ihre Auswirkungen und die 100 1 Drei Kriterien für anschließenden Erholungsvorgänge sind die Definition eines die Magnitude und die Häufigkeit der Störungsereignisses: 1) Störung Störungsereignisse sowie die Sensibili- Diskreter Anfang und tät der betroffenen Artengemeinschaften. Dauer (Abruptheit), 2) kurze Dauer relativ zur Bestimmte Störungen können weitere Lebensspanne der domi Störungen zur Folge haben, z. B. Borken- nanten Organismen oder käferkalamitäten nach einer extremen Ökosysteme und 3) Stär ke/Magnitude als antei Dürre während eines besonders trocke- lige Veränderung einer nen Sommers, welche wiederum mit 0 Messgröße, wie z. B. Bio Waldbränden oder Sturmwurf einherge- Zeit masse. Ein Störungsre gime ist die Summe aller hen können. In Folge dieser interagieren- Abruptheit Dauer Stärke Störungsereignisse in den Störungsereignisse kann aus einem einer Landschaft. 4 |2020 LWF aktuell 9
Störungsökologie 2 Stürme wie »Kyrill« in borealen und gemäßigten Regionen än- oder »Kolle« haben dern werden. Spätfrostereignisse im Mai lokal für viel Totholz in den Wäldern gesorgt – werden in Deutschland immer wieder typische Vorbedingun auftreten, ihre Häufigkeit, aber auch ihre gen für die Interaktion interannuelle Unregelmäßigkeit nahezu mit weiteren Störungen wie Borkenkäferkalami konstant bleiben. Zugleich könnte aber täten Foto: H. Lemme, LWF die Empfindlichkeit vieler Baumarten ge- genüber Spätfrost zunehmen. Denn auf- grund unserer wärmer werdenden Winter und der daher früher einsetzenden Blatt- und Blütenentwicklung, sowie des vorge- zogenen Blühbeginns können Spätfröste bei manchen Arten zu massiven Schäden führen. Spätfrostschäden hängen in Zu- kunft also stark vom Temperaturverlauf des vorhergehenden Winters ab. Zu unterscheiden sind biogeografische, die nahe Zukunft vorwegnehmen und re Exposition gegenüber Trockenheit und phänologische und phylogenetische Un- sich mit den ökologischen Auswirkun- Erwärmung in einigen Fällen zu Unter- terschiede in der Spätfrostempfindlich- gen extremer Wetterereignisse beschäfti- schieden in der Spätfrostempfindlichkeit keit der Baumarten. Im Ökologisch-Bota- gen. Beispielsweise wird derzeit mit gro- (Thiel et al. 2014). nischen Garten der Uni Bayreuth haben ßer Leidenschaft von Wissenschaftlern Wissenschaftler 170 verschiedene, auf der der Professur für Störungsökologie und Verbreitung und Frühjahrsphänologie gesamten Nordhalbkugel vorkommende Vegetationsdynamik an der Universität bestimmen Spätfrostempfindlichkeit Baumarten auf Frostschäden nach einem Bayreuth an der Bedeutung von Baumar- Kälteereignisse bestimmen die Verbrei- extremen Spätfrostereignis im Mai 2011 tenvielfalt, von komplementären Eigen- tungsgrenzen von Gehölzarten. Beson- untersucht (Muffler et al. 2016). Merkma- schaften, von Herkunft und innerartli- ders Spätfrost im Frühjahr ist ein klimati- le des Verbreitungsgebiets, klimatische cher Diversität für die Waldresilienz ge- sches Extrem mit hoher ökologischer und Ursprungsparameter und phänologische genüber Extremereignissen geforscht. Es evolutionärer Bedeutung. Kälteereignis- Strategien wurden mit der Empfindlich- wird das Wetter mit seinen Kapriolen do- se bestimmen beispielsweise die Verbrei- keit gegenüber dem Spätfrostereignis in kumentiert, Pflanzen und Tiere in ihrer tungsareale verschiedener Pflanzenarten, Verbindung gebracht. Interessanterwei- Widerstandsfähigkeit und ihren gemein- z. B. die der heimischen Buche, einer der se war die nördliche Verbreitungsgrenze schaftlichen Strategien quantifiziert, wichtigsten Laubbaumarten Mitteleuro- Ökosysteme und Stoffflüsse vermessen pas. Trotz der globalen Klimaerwärmung und Landschaften entlang von ökologi- ist nicht zu erwarten, dass sich Auftreten schen Gradienten analysiert. und Intensität von Spätfrostereignissen Extreme Wetterereignisse und 3 Zunehmend interagieren Wissenschaft phytophage Insekten ler als »Scientists for Future« auch mit Untersuchungen zur Widerstandsfähig- Politikern, Forstwirten und Jugendbewe keit zahlreicher europäischer Waldbaum gungen für Pflanzaktionen in sogenannten Klima-Wäldern oder Versuchsfeldern mit arten gegenüber Wetterextremen und phy- verschiedenen heimischen und nicht- tophagen Insekten werden derzeit drin- heimischen Baumarten. Fotos: A. Jentsch gend gebraucht. Dabei spielen der Winter- klimawandel und das Auftreten von Spät- frostereignissen für die saisonal geprägte Walddynamik in Mitteleuropa eine beson- dere Rolle (Kreyling 2014). Wissenschaft- ler der Uni Bayreuth gehen dabei auch solch spannenden Fragen nach, ob die Dürre- und Spätfrostempfindlichkeit von Bäumen von früheren Wettererfahrungen im Jugendstadium beeinflusst wird und ob Jungpflanzen aus kontinentaleren Her- kunftsgebieten Mitteleuropas eine höhe- re Resistenz aufweisen. Erste Ergebnisse zeigen lokale Anpassungen verschiedener Ökotypen an Wetterextreme (Kreyling et al. 2011, 2012, 2014). Ebenso führt frühe- 10 LWF aktuell 4 |2020
Störungsökologie und das kontinentale Verbreitungsgebiet der Arten negativ mit der Spätfrostemp- findlichkeit korrelierten. Die wichtigste erklärende Variable der Spätfrostempfind- lichkeit war die durchschnittliche Mai- Minimumtemperatur in den Herkunfts- gebieten der Arten (51,7 % der erklärten Varianz). Die phylogenetische Verwandt- schaft und die phänologische Strategie der jeweiligen Baumart erklärte zusätzli- 4 (li.) Vorbereitung von Jungbäumen verschiedener che Varianz in der Empfindlichkeit gegen- Baumarten für experimentelle Gradienten-Analysen über dem Spätfrostereignis. Frosttoleran- zur Spätfrosttoleranz im Mai 2020. Ein mehrstündi te Arten zeigten im Durchschnitt einen ges, frühmorgendliches Frostereignis wird in einem zwei Wochen früheren Blattaustrieb als Kühlcontainer mit einer stufenweisen Temperatur regulierung simuliert. (re.) Frostschäden an frisch frostempfindliche Arten. Die Merkmale ausgetriebenBuchenblättern im Fichtelgebirge Mitte des Verbreitungsgebiets und die vorherr- Mai 2020 Fotos: (li.): M. Schuchardt, (re.) A. Jentsch schenden Klimaparameter in den heimi- teren Standort zu einer erhöhten Morta- schen Verbreitungsgebieten der Arten ste- lität. Die Überlebensrate war am kälte- (sub-)mediterranen Arten Schwarzkie- hen also in engem Zusammenhang mit ren Versuchsstandort generell geringer fer (Pinus nigra) oder die Libanon-Zeder ihrer Anfälligkeit für Spätfrostschäden als am wärmeren Standort. Es zeigte sich (Cedrus libani) diskutiert. Die Empfind- im Frühjahr. Die spätfrostempfindlichen jedoch kein Unterschied in der Winter- lichkeiten dieser Arten gegenüber Win- Arten entfalten ihre Blätter später als to- frosttoleranz zwischen Populationen aus tertemperaturen oder Spätfrösten sind lerantere Arten, und die Spätfrosttole- zentralen und marginalen Verbreitungs- allerdings noch zu bewerten, da kalte ranz ist phylogenetisch konserviert. Da- gebieten am wärmeren Standort. Dort Extreme, die von Natur aus die pol- her kann die Spätfrostempfindlichkeit die unterschied sich die Spätfrosttoleranz im wärts gerichtete Verbreitungsgrenze von natürliche und anthropogen unterstützte April zwischen den Buchenpopulationen Waldbäumen bestimmen, nicht dem Migration von Gehölzarten unter der glo- hauptsächlich aufgrund phänologischer allgemeinen Erwärmungstrend folgen. In balen Erwärmung gefährden. Unterschiede beim Knospenaufbruch. einem weiteren Experiment an der Uni- Interessanterweise konnte die erhöhte versität Bayreuth wurden daher Jung Marginale Baumarten-Populationen Spätfrosttoleranz von Individuen, die im bäume von Schwarzkiefern aus acht für die Forstwirtschaft vorangegangenen Sommer Trockenstress europäischen Provenienzen verschiede Lokale Anpassungen von Waldbäumen erlebt hatten, auch durch phänologische nen Klimawandel-Szenarien mit Trocken an Umweltbedingungen sind von großer Verschiebungen erklärt werden. Beide heit und Erwärmung ausgesetzt und die ökologischer Bedeutung in der Forstwirt- Experimente lieferten Hinweise auf eine Kältetoleranz bestimmt (Kreyling et al. schaft der Zukunft, da die Verbreitungs- lokale Anpassung an den Frost, mit stär- 2014). Tatsächlich unterschied sich die gebiete von Baumarten ihre Reaktionen keren Reaktionen in Randpopulationen. Kältetoleranz der Nadeln verschiedener auf den Klimawandel beeinflussen. Ein Größere lokale Anpassungen an Wetter- Herkunftspopulationen der Schwarzkie- erhöhter Umweltstress kann bei einer ver- extreme in marginalen Populationen zei- fer um 10 °C, und es wurde eine lokale minderten genetischen Durchmischung gen das Potenzial solcher Populationen Anpassung an die tolerierbare Minimum- aufgrund der Isolation zu stärkeren lo- für die Anpassung an zukünftige Klima Temperatur gefunden. Die Kältetoleranz kalen Anpassungen von marginalen als szenarien. Für die Waldmodellierung be- wurde zusätzlich durch extreme Som- zentralen Populationen führen. Entspre- deutet dies, dass lokale Anpassungen von mertrockenheit, die die Kältetoleranz im chend ist es wichtig, die Empfindlichkeit Baumpopulationen an Arealrändern bei folgenden Winter um durchschnittlich der Populationen verschiedener europä- Projektionen von Arealverschiebungen 3,9 °C erhöhte, und durch die Sommer ischer Schlüsselbaumarten, wie z. B. der berücksichtigt werden sollten, da sie die erwärmung, die die Kältetoleranz um Buche (Fagus sylvatica), gegenüber typi- realisierte Nische über die derzeitigen Er- 3,4 °C erhöhte, beeinflusst. Eine ganz- schen Wetterextremen wie Winterfrost wartungen hinaus erweitern, die meist jährige Erwärmung hatte keinen signifi- und Sommertrockenheit experimentell auf typischen, zentralen Populationen ei- kanten Einfluss auf die Kältetoleranz der zu untersuchen. ner bestimmten Art beruhen. Scharzkiefern. Die Kältetoleranz hing Erste Experimente mit marginalen und mit dem Gehalt und der Zusammenset- zentralen Buchenpopulationen unter Baumarten aus wärmeren und zung von Kohlenhydraten, Fettsäuren kontinuierlicher Wärmebehandlung an trockeneren Klimazonen und Alkanen in den Nadeln zusammen. einem kälteren und feuchteren Stand- Eine forstwirtschaftliche Anpassung Jungpflanzen der Schwarzkiefer (Pinus ort, und mit manipulierter Sommerdür- an die Auswirkungen der Klimaerwär- nigra) zeigten eine vergleichbare Kälte- re an einem wärmeren und trockeneren mung könnte die Einführung von Baum toleranz wie Jungpflanzen von in Mit- Standort haben in Süddeutschland be- arten aus wärmeren und trockeneren teleuropa heimischen Arten wie Wald- reits stattgefunden (Kreyling et al. 2012). Klimazonen an trockene Waldstandor- kiefer (Pinus sylvestris), Gemeine Fichte Winterfrost führte bei vielen der einge- te im gemäßigten Mitteleuropa darstel- (Picea abies), Rotbuche (Fagus sylvatica) topften Buchen-Jungpflanzen an dem käl- len. Derzeit werden beispielsweise die und Traubeneiche (Quercus petraea). Die 4 |2020 LWF aktuell 11
Störungsökologie 5 Wahrscheinlichkeit von Spätfrost a b schäden für 16 Gattungen von 105 Ge Mittl. Breitengradverteilung Nördlichstes Vorkommen hölzarten der nördlichen Hemisphäre und a) der mittleren Breitenverteilung Anteil Frostschäden und b) dem nördlichsten Vorkommen. Magnolia Castanea Magnolia Quercus Die Wahrscheinlichkeit von Spätfrost 1,0 1,0 Fraxinus Castanea Fraxinus schäden wird als Anteil der Arten in Quercus nerhalb jeder Gattung mit sichtbaren Rhododendron Rhododendron 0,8 0,8 Spätfrostschäden im Ökologisch-Bo Chamaecyparis Chamaecyparis tanischen Garten der Universität Bay 0,6 0,6 reuth im Mai 2011 dargestellt. Abies Abies Quelle: Muffler et al. 2016, verändert 0,4 0,4 Amelanchier Carpinus Amelanchier Carpinus Kältetoleranz der Feinwurzeln von Pinus Picea Larix Sorbus Picea Sorbus Larix 0,2 0,2 nigra betrug durchschnittlich –16,5 °C Acer Betula Acer Betula Pinus Pinus gegenüber durchschnittlich –23,8 °C bei 0 Alnus 0 Alnus Nadeln. 30 35 40 45 50 55 60 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Nadelbäume [° nördl. Breite] [° nördl. Breite] Trockenstress: eine Frage der Herkunft Laubbäume und der innerartlichen Vielfalt Bemerkenswerterweise hatte eine expe- rimentell simulierte Erwärmung keinen an die verschiedenen Facetten des Kli- Literatur Burton, P.J.; Jentsch, A.; Walker (2020): The Ecology of Distur- positiven Einfluss auf den Zuwachs der mawandels zu erhalten. Neuere Experi- bance Interactions: characterization, prediction and the potential Schwarzkiefer, sondern verringerte in mente zur Dürre-Resistenz von Buchen of cascading effects. Bioscience. In press. doi.org/10.1890/ES15- 00058.1 Kombination mit der Dürrebehandlung (Fagus sylvatica) und anderen Baumar- Jentsch, A. (2013): Störungsökologie – da kommt Bewegung auf! die Überlebensrate. Individuen, die der ten aus unterschiedlichen Provenienzen AFZ-DerWald 15: S. 4–5 Jentsch, A.; White, P.S. (2019): A theory of pulse dynamics and Erwärmungsbehandlung ausgesetzt wa- ihres europäischen Verbreitungsgebiets disturbance in ecology. Ecology 100(7). e02734 ren, zeigten einen früheren Beginn der Jentsch, A.; Seidl, R.; Wohlgemuth, T. (2019): Störungen und Stö- zeigen sogar, dass genetische Unterschie- rungsregime. In: Wohlgemuth T, Jentsch A, Seidl R (Hrsg.) Stö- Nadelentwicklung. Bei Pinus nigra konn- de innerhalb einer Art bei Dürrestress rungsökologie (UTB 5018), Verlag Haupt, Stuttgart, S. 21–44 Kreyling, J. (2014): Winter climate change: a critical factor for tem- te insgesamt keine signifikante lokale eine größere Rolle für die Resistenz spie- perate ecosystem performance. Ecology, 91(7), 2010: S. 1939–1948 Anpassung an Wasserstress und Erwär- len könnten als Unterschiede zwischen Kreyling, J.; Buhk, C.; Backhaus, S.; Hallinger, M.; Huber, G.; Hu ber, L.; Jentsch, A.; Konnert, M.; Thiel, D.; Wilmking, M.; Beier mung nachgewiesen werden (Thiel et al. verschiedenen Baumarten (Kreyling et kuhnlein, C. (2014): Local adaptations to frost are stronger in mar- 2014). Wir empfehlen daher, dass eine ginal than central populations of Fagus sylvatica L. Ecology and al. 2011). Aufgrund dieser Erkenntnisse Evolution 4(5): S. 594–605 Einführung von Baumarten aus wärme- schlagen wir auch für unsere Wirtschafts- Kreyling, J.; Huber, G.; Konnert, M.; Thiel, D.; Wellstein, C.; Jentsch. A.; Beierkuhnlein, C. (2011): Innerartliche Plastizität und ren und trockeneren Regionen mit ei- wälder eine Erhöhung der Artenvielfalt lokale Anpassungen von Waldbäumen. Die innerartliche Vielfalt ist ner hohen genetischen Vielfalt einher- und der innerartlichen genetischen Viel- ein Schlüsselkriterium für eine erfolgreiche Klimaanpassung. LWF aktuell 85: S. 12–14 geht, um eine hohe Anpassungsfähigkeit falt als vielversprechende Anpassungs- Kreyling, J.; Thiel, D.; Nagy, L.; Huber, G.; Konnert, M.; Jentsch, A.; Beierkuhnlein, C. (2012): Late frost sensitivity of juvenile Fagus strategie an die Auswirkungen des Kli- sylvatica L. differs between southern Germany and Bulgaria and mawandels vor. depends on preceding air temperature. European Journal of Forest Research 131(3): S.717–725 Muffler, L.; Beierkuhnlein, C.; Aas, G.; Jentsch, A.; Schweiger, Die Störungsökologie inspiriert A.H.; Zohner, C.; Kreyling, C. (2016): Distribution ranges and spring phenology explain late frost sensitivity of 170 woody plants from die Wald- und Klimaforschung the Northern hemisphere Global Ecology and Biogeography 25(9): S. 1061–1071 Die oben genannten Erkenntnisse bieten Schuldt, B.; Buras, A.; Arend, M.; Vitasse,Y.; Beierkuhnlein, C.; ein gutes Beispiel dafür, wie Forschungs Damm, A.; Gharun, M.; Grams, T.E.E.; Hauck, M.; Hajek, P.; Hart mann H.; Hiltbrunner, E.; Hoch, G.; Holloway-Phillips, M.; Körner, aktivitäten aus der Störungsökologie zu Ch.; Larysch, E.; Lübbe, T.; Nelson, D.B.; Khamen, A. (2020): A first Biodiversität, Vegetationsdynamik und assessment of the impact of the extreme 2018 summer drought on Central European Forests. Basic and Applied Ecology 45, S. 86-103 Landschaftsökologie sich zunehmend mit Thiel, D.; Kreyling, J.; Backhaus, S; Beierkuhnlein, C.; Buhk, C.; Egen, K.; Huber, G.; Konnert, M.; Nagy, L.; Jentsch, A. (2014): solchen aus der experimentellen und mo- Different reactions of central and marginal provenances of Fagus dellierenden Klimaforschung verbinden sylvatica to experimental drought. European Journal of Forest Re- search 133: S. 247–260 zum Verständnis der Auswirkungen und Wohlgemuth, T.; Jentsch, A.; Seidl, R. (2019): Störungsökologie der Bedeutung von Wetterextremen, von (UTB 5018). Verlag Haupt, Stuttgart. 396 S. Borkenkäfer-Massenvermehrungen oder Autoren von ausgedehnten Windwürfen (Jentsch Prof. Dr. Anke Jentsch ist Professorin für Störungsökologie an 2013; Jentsch & White 2019; Wohlgemuth der Universität Bayreuth. Sie forscht zu Pulsdynamik und Biodiver- sität, Naturrisiken und Klimawandel. Der Schwerpunkt ihres et al. 2019; Seidl & Senf 2020 sowie Müller wissenschaftlichen Interesses liegt im Verständnis der Dynamik von Ökosystemen und der Resilienz von Lebensgemeinschaften. & Hilmers 2020 in diesem Heft). Daraus Ihre Arbeiten umfassen umfangreiche Freilandexperimente und ergeben sich vielfältige, praxisrelevante Geländestudien in Mitteleuropa zu den Auswirkungen von Wetter- extremen und Ökosystemfunktionen. Erkenntnisse zum Prozessschutz in Wäl- Dr. Andreas von Heßberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der dern, zum Forstmanagement und zur Se- Professur für Störungsökologie und weitgereister Freilandökologe. Er ist langjähriger Waldbauer und beschäftigt sich mit Naturver 6 Wurzeln der Jungpflanzen von Schwarzkiefern lektion von Baumarten und Herkunftsge- jüngung und Klimawandel. (Pinus nigra) unter verschiedenen Temperatur- Kontakt: anke.jentsch@uni-bayreuth.de und Niederschlagsregimen. Foto: D. Thiel bieten für die Stabilität der europäischen Wälder angesichts des Klimawandels. 12 LWF aktuell 4 |2020
Störungsökologie Katastrophen für den Menschen – Segen für die Biodiversität Von der erhöhten Baumsterblichkeit durch zahlreiche Störungen gehen wichtige Impulse für Artenschutz und Biodiversität aus Jörg Müller und Torben Hilmers 1 Wenn Bäume oder Wald Die steigende Mortalität von Waldbäumen stellt bestände absterben, stehen Waldbesitzer immer vor der Manager und Gesellschaft vor große Herausforde Frage, wie sie mit einer solchen rungen. Allerdings leitet diese Mortalität für viele »Störung« umgehen sollten. bedrohte Waldarten aktuell eine positive Trend Oft ist etwas mehr »Gelassen heit« durchaus angebracht, da wende ein. Daher sollten Chancen zum Schutz Störungen immer auch – was der Biodiversität jetzt nicht leichtfertig vergeben Biodiversität im Wald betrifft – werden. ihr positiven Seiten haben. Foto: M. Mößnang Frühe Sukzessionsphasen – Tote Bäume bieten wichtigen Lebensraum das vergessene Habitat Ein zweiter Effekt ist die Anreicherung Wie von der Wissenschaft schon länge- von Totholz, eine Struktur, die im Zuge re Zeit vorhergesagt, nehmen natürliche der Bewirtschaftung über Jahrhunderte Störungen wie Feuer, Insektenfraß und immer seltener geworden ist (Seibold et Windwürfe immer weiter zu (Seidl et al. al. 2015). Im Gegenzug sind viele Arten 2011). Dies gilt global auch für tempera- mit Bindung an Totholz auf Roten Listen te Breiten (Sommerfeld et al. 2018). Die gelandet (Grove 2002). Die letzte Bundes- rasche Auflichtung des Kronendachs hat waldinventur hat sehr deutlich gezeigt, viele Folgen für den Wald als Lebens- dass der Anstieg beim Totholz vor allem raum. Hier ist zunächst das Entstehen auf Nadelholz zurückzuführen ist: häu- von Lücken im Wald zu nennen. Ohne fig Ergebnis unvollständiger Räumungen. Vorausverjüngung kann die Sonne bis So konnte in der Schweiz gezeigt werden, zum Waldboden dringen. In Folge dessen dass geräumte Windwurfflächen in Wirt- finden sich viele Pflanzen und Tierarten schaftswäldern im Schnitt 75 m³/ha Tot- ein (Hilmers et al. 2018). Verjüngung un- holz aufweisen (Priewasser et al. 2013). gert absterben, wie es häufig nach Feuer ter Schirm und gleichmäßige Durchfors- Dieser Wert liegt weit über den üblich zu beobachten ist. Hierzu wurde experi- tungen sowie das Fehlen alter Wälder angestrebten Werten in genutzten Wäl- mentell gezeigt, dass gerade die Totholz- haben diese frühe Sukzessionsphase in dern (Neft 2006; Müller & Bütler 2010). vielfalt der Schlüssel für eine hohe Insek- Deutschland selten werden lassen (Hil- Darüber hinaus führen Störungen häufig tenvielfalt ist (Seibold et al. 2016). mers et al. 2018). Auch im Naturschutz – wenn auch nicht immer – zu sehr viel- hat man diese artenreichste Phase stark fältigen Totholzstrukturen, insbesondere 2 Artenvielfalt im Wald entlang der Wald vernachlässigt (Swanson et al. 2011). dann, wenn betroffene Bäume zeitverzö- entwicklungsphasen (verändert nach Hilmers et al. 2018) Artenreichtum und Waldentwicklungsphasen max. Fauna Flora Pilze Artenvielfalt min. Lücke Verjüngung Etablierung Frühes Optimum Mittleres Optimum Spätes Optimum Plenterphase Terminalphase Zerfallsphase 4 |2020 LWF aktuell 13
Sie können auch lesen