ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
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10. Jahrgang . Ausgabe 2 . November 2014 FORSCHUNG & TECHNIK Stromnetze in Zeiten der Energiewende Seiten 30-33 RECHT & WIRTSCHAFT Markt oder Staat? Seiten 38-41 KULTUR & REGIONEN Thema Energietechnologien und ENERGIE Energiewandel in Afrika Seiten 46-49
Grusswort Liebe Leserinnen und Leser, I ch freue mich, Sie zu einer neuen Ausgabe un- seres Universitätsmagazins SPEKTRUM begrü- ßen zu dürfen, das sich diesmal ganz dem Thema Besonders stolz ist die Universität Bayreuth jedoch darauf, dass das für die Zukunft so wichtige The- mengebiet „Energie“ nicht – wie vielleicht andern- „Energie“ widmet. orts – nur aus natur- und ingenieurwissenschaftli- cher Sicht betrachtet wird. Vielmehr sind rechts-, An der Universität Bayreuth ist die Forschung auf wirtschafts- und kulturwissenschaftliche Forschungs- diesem Gebiet unter anderem im aufstrebenden fragen in die Beschäftigung mit diesem Zukunfts- Profilfeld „Energieforschung und Energietechnolo- thema eingebettet. Deswegen entstammen die gie“ verankert. Unsere Profilfelder sind strategisch Beiträge in dieser SPEKTRUM-Ausgabe nicht nur ausgewählte fächerübergreifende Schwerpunkte, den Bereichen Forschung und Technik, sondern be- die neben unseren hervorragend ausgewiesenen leuchten das Thema auch aus der Perspektive der Fachdisziplinen ausschlaggebend für den ausge- Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und gehen zeichneten Ruf unserer Universität in Forschung auf kulturelle und regionale Aspekte ein. Prof. Dr. Stefan Leible, und Lehre sind. Aufgeteilt in die bereits etablier- Präsident der Universität ten Advanced Fields und die jüngeren Emerging Die Vielzahl der an unserer Universität bearbei- Bayreuth. Fields bündeln wir dort unsere interdisziplinären teten Projekte zum Thema „Energie“, von der in- Kompetenzen und erzeugen Synergien. ternationalen Ebene bis zur Regionalforschung, ist wirklich eindrucksvoll. Davon können Sie sich beim Lesen des vorliegenden SPEKTRUM-Hefts selbst überzeugen – dabei stellen die abgedruck- ten Beiträge nur eine Auswahl dar. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und viele neue Erkenntnisse! Ihr Prof. Dr. Stefan Leible Präsident der Universität Bayreuth 2 Ausgabe 2 . 2014
Editorial K ein Tag vergeht, ohne dass in der Zeitung, im Fernsehen und in anderen Medien über das Thema „Energie“ berichtet und diskutiert wird. im Angebot von Wind- und Sonnenenergie zum Beispiel durch Speicher und Lastmanagement aus- zugleichen. Bis heute unterschätzt wird auch die Meist sind damit Ärger und Sorgen verbunden: gesellschaftspolitische Bedeutung der Energiewen- persönlich, wenn Strom, Gas, Öl und Kraftstoffe de: Wie weit will und kann man Großkraftwerke teurer werden; auf kommunaler und regionaler durch eine dezentrale Struktur, Energiekonzerne Ebene, etwa wenn man fürchtet, dass Windkraftan- durch kommunale, oft genossenschaftliche Initia- lagen oder Stromtrassen die Landschaft nachteilig tiven ersetzen? verändern; national, wenn man sich um eine siche- re und preislich akzeptable Energieversorgung des Bereits diese Beispiele zeigen, dass Energiefragen Industriestandorts Deutschland sorgt; nicht zuletzt nicht nur wichtig, sondern auch kompliziert, viel- aber auch global, wenn man an begrenzte fossile fältig und interdisziplinär sind. – Wer wäre also Ressourcen und drohende Klimaveränderungen besser geeignet als unsere Universität Bayreuth bei einem zugleich weltweit anzustrebenden men- mit ihrem Profilfeld „Energieforschung und Ener- Prof. Dr.-Ing. Dieter schengerechten Grundwohlstand denkt. gietechnologie“, durch Forschung, Entwicklung Brüggemann leitet den Lehrstuhl für Technische Thermo- und Lehre zur Lösung zumindest einiger der He- dynamik und Transportprozesse Der in Deutschland geprägte, inzwischen internati- rausforderungen beizutragen? (LTTT) und ist Direktor des Zent- onal bekannte Begriff der „Energiewende“ fordert rums für Energietechnik (ZET) an der Universität Bayreuth. nicht nur eine vollständige Abkehr von der Kern- Dass die ausgewählten Beiträge in diesem Heft Sie energie, sondern auch eine schrittweise Senkung informieren und anregen, wünscht des Verbrauchs fossiler Energieträger. Dies alles soll durch erneuerbare Energien und eine effizien- Ihr tere Nutzung gelingen. Zunächst weniger bedacht hatte man die damit verbundene Notwendigkeit, die sehr großen naturbedingten Schwankungen Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann Sprecher des Profilfelds „Energieforschung und Energietechnologie“ Impressum Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth Auflage: Redaktionsleitung: 3.000 Stück Christian Wißler (V.i.S.d.P.) Druck: Herausgeber: bonitasprint gmbh, Würzburg Universität Bayreuth Stabsabteilung PMK – Presse, Satz und Layout: Marketing und Kommunikation GAUBE media agentur, Bayreuth 95440 Bayreuth Telefon (09 21) 5 07 14 41 Christian Wißler M.A., Telefon (09 21) 55 - 53 56 / - 53 24 spektrum@gaube-media.de Fachwirt Public Relations (BAW), Stabsabteilung PMK der Telefax (09 21) 55 - 53 25 Bildquellen-Kennzeichnung: Universität Bayreuth, Wissen- Fotos Titelseite, Editorialseiten: pressestelle@uni-bayreuth.de sst: www.shutterstock.com schaftskommunikation. sst. Inhaltsverzeichnis: u.a. Chris- topher Halloran / Shutterstock.com Alle Beiträge sind bei Quellenangaben und Belegexemplaren frei zur Veröffentlichung. und fineart-collection / fotolia.com. Ausgabe 2 . 2014 3
Thema ENERGIE 2 Grußwort Prof. Dr. Stefan Leible Präsident der Universität Bayreuth 3 Editorial Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann Forschung & Technik I Sprecher des Profilfelds „Energie- forschung und Energietechnologie“ 10 Die Natur als Vorbild: Licht sammeln und verwerten 3 Impressum Grundlagenforschung für neue 4 Inhaltsverzeichnis Wege der Energieerzeugung 26 Kontrollierte Kernfusion Eine vielversprechende Energiequelle und ein spannendes Forschungsgebiet 14 30 Stromnetze in Zeiten Mit hocheffizienten, auf Folien gedruckten Photovoltaikzellen hat die Solarenergie Zukunft. der Energiewende Neue Herausforderungen bei der Energieübertragung Energie global 14 Organische Solarzellen und über große Entfernungen Hybridsolarzellen Polymerforschung für die 6 Energieversorgung Umwandlung von Solarenergie Recht & Wirtschaft im 21. Jahrhundert 18 Fracking – vorwärts Technische, soziale und mit Mut zum Risiko? 34 Wettbewerb im Energiesektor ökonomische Aspekte Eine Abwägung aus umwelt- durch Regulierung der wissenschaftlicher Sicht Energienetze Europäische Erfolgsgeschichte 22 Flüssige Kraftstoffe aus CO2 und bleibende Herausforderung und regenerativem Strom Ein zukunftsweisender 18 Forschungsansatz zur Sicherung 38 Markt oder Staat ? Die Energiebranche zwischen Fracking: eine verantwortbare Technologie? der Energieversorgung Wettbewerb und Regulierung 4 Ausgabe 2 . 2014
Inhaltsverzeichnis 58 Mit dem „Energiespiel Bayern“ können sich auch Schülerinnen und Schüler mit Fragen der Energie- versorgung vertraut machen. Forschung & Technik II 54 Erneuerbare Energien im ländlichen Raum 62 Das Zentrum für Potenziale für die regionale Energietechnik (ZET) Wertschöpfung Von der Grundlagenforschung bis zu neuen Produkten und Verfahren 66 Neue Wege der dezentralen Stromerzeugung Von der Geothermie zur industriellen Abwärme 70 Energiegewinnung aus Biogas Ein Beitrag zur Energiewende 74 Energieeffiziente Fabriken Ethik „Green Factory Bayreuth“ – ein Beispiel für die Kooperation von Forschung und Wirtschaft 42 Gerechtigkeit in der 78 Neue Werkstoffe steigern Energieversorgung die Energieeffizienz Eine ethische Herausforderung Innovative Entwicklungen aus der Materialwissenschaft 86 TechnologieAllianzOberfranken Kultur & Regionen (TAO) 70 Forschungskooperationen 46 Energietechnologien und Wohin entwickelt sich die Biogas-Technologie? in den Schwerpunktfeldern Energiewandel in Afrika Von Anlagen wird künftig ein hohes Maß an Energie und Mobilität Flexibilität gefordert. Kulturelle und anthropologische Aspekte von Innovationen 48 Elektrifizierung des Sudans Schule Ein umstrittenes Mega-Energieprojekt 58 Erneuerbare Energien 50 Bioenergie-Potenziale im Schulunterricht in Ostafrika Moderne Unterrichtskonzepte 78 Entwicklungsgeographische Perspek- zu Müllverbrennungsenergie Polymerschaum aus Pflanzen – ein vielversprechen- des Material auch für die Einsparung von Energie. tiven künftiger Energieversorgung und Erneuerbaren Energien Ausgabe 2 . 2014 5
Energie global Dieter Brüggemann Andreas Jess Energieversorgung im 21. Jahrhundert Technische, soziale und ökonomische Aspekte Der rasant steigende Energiebedarf in den Mega- städten zählt zu den weltweiten Herausforderungen im 21. Jahrhundert (Foto: Naufal MQ / Shutterstock.com). 6
Der Energieverbrauch Industriestaaten (OECD) 42 Prozent, obwohl der Autoren im weltweiten Vergleich Anteil an der Weltbevölkerung nur 18 Prozent aus- P macht. Entsprechend umgekehrt ist die Situation in rimärenergie (PE) ist die Energie, die ur- Asien, Lateinamerika und besonders in Afrika. Die sprünglich als Brennstoff (Kohle, Erdöl, Erd- Zahlen des jährlichen Pro-Kopf-Energieverbrauchs gas, Biomasse) oder als Wasserkraft, Kernenergie, einiger Länder unterstreichen dieses Ungleich- Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht. Sie gewicht: In den USA liegt dieser bei 7,1 toe, in wird durch Umwandlungsprozesse, die mit Verlus- Deutschland bei 3,7 toe, wohingegen er in China ten behaftet sind, in Sekundärenergieträger wie und Brasilien (noch) bei 1,8 bzw. 1,4 toe, in Indien Strom oder in Kraftstoffe wie Benzin und Dieselöl und Äthiopien bei nur 0,6 bzw. 0,4 toe liegt. umgewandelt. Durch eine wiederum mit Verlusten verbundene Übertragung zum Verbraucher wird sie schließlich zur nutzbaren Endenergie. Energie und Wohlstand: Wieviel steht jedem Menschen zu? Prof. Dr.-Ing. Dieter Brügge- Abbildung 1 zeigt die Anteile einzelner Primärener- mann leitet den Lehrstuhl gieträger am deutschen sowie am weltweiten Pri- Wie hoch ist der Energieverbrauch, den jeder für Technische Thermodynamik und Transportprozesse (LTTT) und ist Di- märenergieverbrauch. Es wird deutlich, dass bereits Mensch für einen ausreichenden Wohlstand benö- rektor des Zentrums für Energietech- heute schon regenerative Energien in Deutschland tigt? Um diese Frage zu beantworten, ist der Human nik (ZET) an der Universität Bayreuth. (mit einem Anteil von 16 Prozent) eine im weltwei- Development Index (HDI) der Vereinten Nationen ten Vergleich (mit durchschnittlich etwa 8 Prozent) hilfreich. Es handelt sich dabei um einen Wohlstands- deutlich größere Rolle spielen. Allerdings sind fos- indikator, der mit jeweils gleicher Gewichtung das sile Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) derzeit Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftkorrigiert), die me- immer noch die dominierenden PE-Träger (D: 76 dizinische Versorgung (Lebenserwartung) und den Prozent, Welt: 81 Prozent). Der Rest wird durch Bildungsgrad eines Landes berücksichtigt. Bei Ent- Kernenergie und vor allem in Entwicklungsländern wicklungsländern ist der HDI kleiner als 0,5; bei noch durch die sogenannte traditionelle Biomasse Schwellenländern liegt er zwischen 0,5 und 0,8; gedeckt, die zumeist mit der Abholzung bestehen- bei Industrieländern ist der HDI größer als 0,8. der Wälder verbunden ist und daher nicht als rege- nerativ und klimaneutral betrachtet werden kann. In Ländern, die einen HDI-Wert größer als 0,8 er- reicht haben, liegt der jährliche PE-Verbrauch bei Um den Energieverbrauch eines Landes oder einer mindestens etwa 2 toe pro Kopf (siehe Abb. 2). Ein Region zu charakterisieren und Energieträger ver- höherer Verbrauch führt allerdings nicht zu einer Prof. Dr.-Ing. Andreas Jess ist gleichen zu können, werden häufig Rohöläquiva- merklichen Steigung des HDI, also des Wohlstands Inhaber des Lehrstuhls für Chemische Verfahrenstechnik an der lente verwendet. 1 Tonne Erdöl (1 toe) entspricht und Wohlergehens. Dies ist ein deutlicher Hinweis Universität Bayreuth. einer Energie von 42 Mio. kJ (Kilojoule) oder 42 GJ darauf, dass hier eine Grenze erreicht wird, von der (Gigajoule). Der derzeitige deutsche PE-Verbrauch an eine weitere Steigerung des Energieverbrauchs beträgt 310 Mio. toe pro Jahr; weltweit sind es nicht zu rechtfertigen ist. Regionen und Länder, 13 Mrd. toe. die einen Wert von 2 toe deutlich überschreiten – wie etwa Nordamerika, Australien, Japan und Der Primärenergieverbrauch ist regional sehr un- Europa, darunter auch Deutschland – sollten sich gleich verteilt (Tabelle 1): So beträgt der Anteil daher in der Pflicht sehen, Maßnahmen für eine am globalen Energieverbrauch der wohlhabenden noch effizientere Energienutzung zu ergreifen. Abb. 1: Anteile einzelner Energieträger am Primärenergieverbrauch (PEV) in 4,2 % trad. Biomasse Deutschland und weltweit 2013. Bei der hier Kernenergie (7,6 %) (6,7 %) verwendeten Substitutionsmethode wird Erdgas Wasser (1,7 %) angenommen, dass der Strom aus den Ener- 22,2 % 20,6 %) gieträgern, denen kein Heizwert beigemessen werden kann (Kernkraft, Wasserkraft, Wind und Kohle regenerativ Biomasse (8,5 %) 6,3 % Photovoltaik) die entsprechende Stromer- 23,9 % 16,3 % 27,8 % 8,5 % zeugung in konventionellen Kraftwerken mit einem Wirkungsgrad von rund 40 Prozent Wind (3,9 %) Erdöl 30,6 % 1,1 % substituiert, d.h. 1 kWh Strom = 2,5 kWh PE. 31,6 % Solar (2,2 %) 0,9 % Berechnungen (A. Jess) auf der Basis der Anga- 0,2 % ben von BP (Statistical Review of World Energy) und der International Energy Agency (IEA). Ausgabe 2 . 2014 7
Energie Global Anteil an der Anteil am globalen Region Weltbevölkerung Primärenergieverbrauch OECD 18% 42% (1,9 toe) verbraucht. Falls die Weltbevölkerung, wie prognostiziert, also bis zum Jahr 2050 auf 9 Mrd. ehemalige UDSSR & 56% 5% 26% 9% Menschen ansteigt, ist davon auszugehen, dass der nicht-OECD-Europa 4 toe pro Kopf und Jahr globale Energieverbrauch von derzeit 13 Mrd. auf Mittlerer Osten 3% 5% mindestens 17 Mrd. toe pro Jahr ansteigt. Asien 52% 34% 44% Lateinamerika 7% 74% 5% 1,1 toe pro Kopf und Jahr Grenzen des Verbrauchs fossiler Afrika 15% 5% Energieträger: Reserven und Ressourcen 100% Welt 100% 100% 100% Reserven eines Energieträgers sind die derzeit ge- 1,9 toe pro Kopf und Jahr sicherten und wirtschaftlich abbaubaren Vorräte; Ressourcen sind die zusätzlich nachgewiesenen und vermuteten Vorräte. Abbildung 3 zeigt die entspre- chenden Werte für die fossilen Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle in Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff (C). Berücksichtigt man die derzeitigen jährlichen Verbrauchszahlen (3,4 Gt Kohlenstoff in Form von Erdöl, 2 Gt als Erdgas und 4 Gt als Kohle) ergeben sich auf der Basis der Reserven sogenannte statische Reichweiten von 53 Jahren für Erdöl, 59 Jahren für Erdgas und 140 Jahren für Kohle. Legt man die Ressourcen zugrunde, kommt man auf deutlich hö- here Werte von 170 Jahren für Erdöl, 1.000 Jahren für Erdgas und 3.000 Jahren für Kohle. Die letztge- nannten Werte sind sicherlich viel zu optimistisch, da man nur einen geringen Anteil der Ressourcen wirtschaftlich und technisch nutzen können wird. Aber die häufig zu lesende baldige Verknappung der fossilen Energieträger ist unbegründet. ↑ Wohlergehen: Human Development Index (2012) Es gibt aber mindestens zwei andere gute Gründe, → jährlicher Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch in ausgewählten Ländern in toe (2010/11) die für eine deutlich verminderten Verbrauch fos- siler Energien sprechen: Tabelle 1: Regionale Verteilung des glo- Eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs in balen Primärenergieverbrauchs (2011). den Industrieländern ist auch deshalb angezeigt, Die Reserven von Erdöl und Erdgas konzen- Daten: International Energy Agency (IEA), Key World Energy Statistics 2013. weil zu erwarten ist, dass der Wohlstand in einigen trieren sich auf wenige Regionen (vor allem Entwicklungs- und Schwellenländern – zum Bei- Mittlerer Osten, Russland), die aus europäi- Abb. 2: Wohlergehen im Verhältnis zum spiel in China, Indien oder Brasilien – in den kom- scher Sicht politisch problematisch sind oder jährlichen Pro-Kopf-Primärenergiever- menden Jahrzehnten steigen wird. Abbildung 2 werden können. brauch. Um den Maximalwert 1 zu erreichen, wäre eine Lebenserwartung von 84 Jahren, zeigt zwei bemerkenswerte Ausnahmen vom (ge- Vermutlich weitaus bedeutsamer sind die von eine durchschnittliche Bildungs-/Schulbe- strichelt angedeuteten) Trend: Sowohl Russland der Mehrzahl der Klimaexperten prognostizier- suchsdauer von 13 Jahren und ein jährliches (und auch andere Länder der ehemaligen UdSSR) ten Folgen eines gleichbleibend hohen Anteils Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen von 87.000 Dollar erforderlich; alle drei Faktoren als auch Südafrika haben einen im Vergleich zum fossiler Energieträger am globalen PE-Ver- werden gleich gewichtet. HDI-Daten aus: Uni- Wohlergehen (HDI < 0,8) besonders hohen jähr- brauch: Die in Form von Kohlendioxid gebun- ted Nations Development Programme (UNDP), lichen Pro-Kopf-Energieverbrauch von rund 3 bzw. dene Masse an Kohlenstoff in der Erdatmo- Human Development Report 2013. 5 toe, also eine geringe Energieeffizienz. sphäre liegt derzeit bei 850 Gt (Abb. 3). Ohne eine drastische Senkung dieses fossilen Anteils Ungeachtet einer gewissen Streubreite lässt sich aus wird diese im Jahr 2050 bei über 1.000 Gt lie- Abbildung 2 eines klar entnehmen: Es scheint ein gen. Die Folge wäre – so die Prognosen des Verbrauch von ungefähr 2 toe/Jahr für einen ausrei- International Panel of Climate Change (IPCC) chenden Lebensstandard erforderlich zu sein. Inter- – eine Erhöhung der globalen Mitteltempe- essanterweise entspricht dieser Wert ungefähr dem ratur um 2°C gegenüber dem Beginn der in- Wert, den im weltweiten Durchschnitt jeder Mensch dustriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Um 8 Ausgabe 2 . 2014
Energie Global die Klimaerwärmung zumindest langfristig zu Reserven (gesicherte, Ressourcen (zusätzlich Abb. 3: Reserven und derzeit wirtschaftlich nachgewiesene und Ressourcen fossiler begrenzen, wird daher eine möglichst weitge- abbaubare Vorräte) in Gt C vermutete Vorräte) in Gt C Energieträger. Eigene hende Umstellung von fossilen hin zu alterna- Berechnungen (A. Jess) auf tiven Energieträgern angestrebt. der Basis der Angaben von Schaub, G., Turek, T.: Energy flows, material cycles and global development. Sprin- Energiepolitische Entscheidungen ger, Heidelberg, 2011, und von anderen Quellen. im internationalen Vergleich Die meisten Staaten stimmen den genannten Zielen zwar grundsätzlich zu, unternehmen aber sehr unterschiedliche Anstrengungen, um diese zu erreichen. Dies sollte nicht überraschen, denn bereits die Ausgangslage, also der bisherige An- teil der erneuerbaren im Vergleich zu fossilen und nuklearen Energien ist sehr unterschiedlich. Dies hängt zum Teil mit natürlichen Gegebenheiten Abb. 4: Zeitliche (z.B. Wasserkraft) zusammen und ist zum Teil auf Entwicklung der die unterschiedliche gesellschaftliche Akzeptanz Anteile fossiler, nuklearer energiepolitischer Entscheidungen (z.B. Kernener- und regenerativer Energien am Primärenergieverbrauch gie) zurückzuführen. ausgewählter Staaten von 1965 bis heute (Kreis) in Solche Unterschiede werden in Abbildung 4 sicht- 5-Jahresschritten (Punkte). Die Eckpunkte im Dreiecks- bar, in der die Wege ausgewählter Staaten im Ener- diagramm stehen jeweils giemix dargestellt sind. So erkennt man, dass die für 100 Prozent fossile, deutsche „Energiewende“ tatsächlich zu einer drasti- nukleare und regenerative Energien. Für Deutschland schen Änderung geführt hat und nach Beschlusslage ist zudem ein Trendszenario weiter führen wird (gestrichelter Verlauf), während bis 2050 dargestellt. Daten: z.B. die USA sich deutlich weniger verändert haben. BP 2014; Prognos/EWI/GWS 2014; Umrechnung gemäß Substitutionsmethode (vgl. dazu Abb. 1). Werden wir energieeffizienter? Ein Schlüssel zur weiteren positiven Entwicklung der Energiesituation liegt zweifellos in der Erhöhung der Energieeffizienz in allen Bereichen. Tabelle 2 zeigt sehr deutlich, dass wir im Wesentlichen durch tech- nische Entwicklungen bereits erhebliche Fortschritte erzielt haben. Es ist noch unklar, ob auch in privaten Kann man ein Fazit ziehen? Haushalten und im straßengebundenen Individual- Stromerzeugung – 10,7% verkehr Änderungen des Nutzerverhaltens eine grö- Die Energieversorgung bei weltweit wachsendem (kWh Strom) ßere Rolle spielen werden. Bedarf ist eine wichtige Frage und wird dies auch Stromverbrauch noch lange Zeit bleiben. Sie ist nicht allein tech- – 10,9% (E Bruttoinlandsprodukt) Häufig allerdings werden Effizienzsteigerungen, nisch zu lösen, sondern erfordert die Einbeziehung vieler weiterer Aspekte. Diese sind unter Anderem Industrie die durch technischen Fortschritt erreicht wurden, – 19,3% (E Bruttoproduktionswert) überdeckt; und zwar dadurch, dass zugleich höhere wirtschaftlicher Natur (Energie muss bezahlbar sein), Anforderungen an die Leistung gestellt werden. Ein politisch bedingt (z.B. Abhängigkeiten von anderen Gewerbe, Handel und Beispiel hierfür bietet der Pkw: Der Antrieb unserer Staaten), aber auch ethisch motiviert (z.B. wachsen- Dienstleistungen – 33,3% Autos ist heute sehr viel effizienter als vor drei, vier der Energiebedarf für einen globalen Wohlstand). (E Bruttowertschöpfung) oder fünf Jahrzehnten. Allerdings ist das heutige Private Haushalte Durchschnittsfahrzeug auch deutlich leistungsstär- – 24,0% (m2 Wohnfläche) ker, schwerer und mit zahlreichen Komponenten für Tabelle 2: Der Energieverbrauch in Relation zu den in Klammern angegebenen Bezugsgrößen ist in Verkehr Sicherheit und Komfort ausgestattet, was die mögli- – 32,0% Deutschland zwischen 1990 und 2012 deutlich gesunken (Tonnen- und Personen-km) che Kraftstoffeinsparung kompensiert. (Daten: BMWi 2014). Ausgabe 2 . 2014 9
Forschung & Technik I Jürgen Köhler Die Natur als Vorbild: Licht sammeln und verwerten Grundlagenforschung für neue Wege der Energieerzeugung Wie lässt sich die Energie des Sonnenlichts möglichst effizient in elektrische oder chemische Energie umwandeln und verwerten? Pflanzen und Bakterien liefern dafür wertvolle Anhaltspunkte (sst).
D synthese sehr erfolgreich vor. Pflanzen, Algen und Autor ie Energiemenge, die während einer Stun- einige Bakteriengruppen sind in der Lage, Sonnen- de von der Sonne auf die Erde einstrahlt, strahlung unter den unterschiedlichsten Lebensbe- entspricht in etwa der Energiemenge, die von der dingungen einzufangen und umzusetzen. gesamten Menschheit im Verlauf eines Jahres ver- braucht wird. Wenn man sich dies vor Augen führt, Wenn ein Molekül eines für Solarzellen geeigneten dann wundert es nicht, dass beim Umbau der organischen Materials ein Lichtteilchen (Photon) Energiewirtschaft Solarzellen eine wichtige Rolle absorbiert, übernimmt es die Energie des Photons. spielen. Jedoch sind die heute üblichen Photovol- Dadurch gerät es in einen angeregten Zustand. taikanlagen, die aus hochreinen Halbleitermateria- Leider findet ein solcher Absorptionsvorgang un- lien bestehen, sehr rohstoff- und energieintensiv in ter normaler Sonneneinstrahlung nur ca. 1-mal der Herstellung. Daher sind sie gerade für Entwick- pro Sekunde pro Molekül statt – viel zu selten, um lungsländer, in denen oft sehr viel Sonnenlicht zur eine effiziente Energieversorgung zu gewährleis- Verfügung stehen würde, unerschwinglich. ten. Die Zahl der Photonen, die von der Sonne zur Erde gelangen, ist zwar unvorstellbar groß, doch Prof. Dr. Jürgen Köhler ist sind die Moleküle auch unvorstellbar klein, so dass Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik IV und Sprecher sich beide Effekte kompensieren. des Graduiertenkollegs 1640 „Photo- physik synthetischer und biologi- „Können wir scher multichromophorer Systeme“ an der Universität Bayreuth. „Lichternte“ in der Natur von der Natur lernen, Energie aus Licht Bei der Photosynthese hat die Natur dieses Prob- lem gelöst, indem sie Light Harvesting (Lichternte) zu gewinnen?“ betreibt und das Licht in speziellen Strukturen sam- melt. Eine Schlüsselfunktion haben dabei Proteine, Abb. 1 und 2: Gleichartige Probleme, gleichartige Lösungen. Links: Para- die als „Licht-Antennen“ fungieren; sie werden da- bolspiegel (Antenne) zur Sammlung von Große Hoffnungen setzt man deshalb auf Solarzel- her auch als Antennenproteine bezeichnet. Jedes Sonnenstrahlung für die Erwärmung von len der nächsten Generation, die aus organischen dieser Proteine enthält eine Vielzahl von Farbstoff- Wasser. Rechts: Mutmaßliche Anordnung von Pigment-Protein-Komplexen (Antennen- Materialien aufgebaut sind. Dass organische Mate- molekülen (Pigmenten). Die Farbstoffmoleküle proteinen) in der Membran von photosyn- rie zu diesem Zweck durchaus geeignet ist, macht nehmen Lichtenergie auf und übertragen diese mit thetischen Bakterien. Die grün markierten uns die Natur seit Jahrmilliarden mit der Photo- extrem hoher Geschwindigkeit auf benachbarte Strukturen enthalten zahlreiche Pigmente, die die Funktion haben, Licht zu absorbieren. Die aufgenommene Energie wird in die Mitte zur rot markierten Struktur geleitet, wo eine Ladungstrennung ausgelöst wird. Ausgabe 2 . 2014 11
Forschung & Technik I Farbstoffmoleküle: zunächst auf Moleküle inner- halb desselben Antennenproteins, dann auf Mole- Grundlagenforschung für Solarzellen der Zukunft: küle in einem angrenzenden Antennenprotein. So durchläuft die absorbierte Lichtenergie eine Kette ein DFG-gefördertes Graduiertenkolleg mehrerer Antennenproteine, bis sie schließlich in einem Reaktionszentrum ankommt. Hier werden die Prozesse der Photosynthese in Gang gesetzt, die aus der Lichtenergie chemische Energie erzeu- gen. Mit dieser Arbeitsteilung zwischen den „Licht- Antennen“ und einem Reaktionszentrum gelingt es Pflanzen und einigen Bakterienarten, die Ener- gie des Sonnenlichts, dem sie in der Natur aus- gesetzt sind, in chemische Energie zu verwandeln. Gegenstand aktueller Forschung ist die Frage, ob die Prozesse der Sammlung und Verwertung von Licht, wie sie in Pflanzen und Bakterien ablaufen, als Blaupause für neue Formen der Energiegewin- nung dienen können. In einer gemeinsamen Initiative, dem Graduiertenkolleg 1640, arbeiten seit Oktober 2010 zahl- reiche Bayreuther Forschungsgruppen aus der Bioinformatik, der Chemie und der Physik zum Experimentell kann man solche Vorgänge mit den Thema „Photophysik synthetischer und biologischer multichromophorer Systeme“. Als Chro- verschiedensten Methoden der Laserspektrosko- mophore bezeichnet man Moleküle, die in Wechselwirkung mit Licht treten können – also ge- pie untersuchen. Dazu muss man wissen, dass die nau solche Moleküle, wie sie für die Entwicklung von Solarzellen der nächsten Generation rele- oben beschriebenen Energie- und Ladungstrans- vant sind. Der Weg hin zur Entwicklung von Solarmodulen aus organischen Materialien ist noch ferprozesse auf einer ultraschnellen Zeitskala von sehr weit. Es bedarf der interdisziplinären Grundlagenforschung, wie sie in Bayreuth betrieben einigen Pikosekunden ablaufen. Daher kommen wird, um das komplexe Zusammenspiel der zugrunde liegenden Prozesse zu entschlüsseln. hier spezielle Laser zum Einsatz, die ultrakurze Im- pulse aussenden können. Eine Pikosekunde ist eine Diese Initiative wurde bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 3,1 Mio. Billionstel Sekunde (10-12 s). In dieser Zeit legt ein Euro gefördert. Eingebettet in die hervorragende Forschungsinfrastruktur an der Universität Lichtstrahl eine Strecke von nur 0,3 mm zurück. Bayreuth, bietet sie derzeit 25 jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein interdis- Zum Vergleich: Vom Mond bis zur Erde benötigt ziplinäres Ausbildungsprogramm und vermittelt Schlüsselqualifikationen jenseits des natur- ein Lichtstrahl nur unwesentlich länger als eine Se- wissenschaftlichen Fachwissens. Bislang sind rund 70 Publikationen in renommierten, interna- kunde. tional begutachteten Fachzeitschriften daraus hervorgegangen. • www.multichromophores.uni-bayreuth.de Abb. 3: Laserspektroskopie in einem Physiklabor der Universität Bayreuth. 12 Ausgabe 2 . 2014
Forschung & Technik I Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Forschung zur Solarenergie Neue Einsichten in den Energietransport An der Universität Bayreuth werden aber nicht nur biologische Systeme untersucht, um aus pflanzli- Dr. Richard Hildner, der heute an der Universität Bayreuth forscht, chen Lichtsammelprozessen neue Erkenntnisse für hat während seiner Zeit als Postdoktorand am Institute for Photo- den Bau organischer Solarzellen abzuleiten. Es nic Sciences (ICFO) in Casteldefels (Spanien) überraschende Ent- werden ebenso auch Lichtsammelprozesse in che- deckungen gemacht: misch synthetisierten Systemen erforscht und da- raufhin getestet, ob man aus ihnen einfache und Wenn Lichtenergie ihren Weg durch die Antennenmoleküle bis zugleich kostengünstige Solarzellen bauen kann. zum Reaktionszentrum nimmt, arbeiten die Farbstoffmolekü- Dabei kann es sehr aufwändig sein, Moleküle mit le in einem gleichmäßigen Takt: ein Phänomen, das die Physik den geforderten Eigenschaften im Labor herzustel- als quantenmechanisch kohärenten Transport bezeichnet. Auf Dr. Richard Hildner ist len und anschließend zu erproben. Eine alternative diese Weise kann sich die Energie wie eine Welle ungehindert für seine herausra- durch ein Antennenprotein bewegen. genden Forschungsarbeiten Vorgehensweise besteht darin, gewisse Eigenschaf- mit dem Wissenschaftspreis ten von Molekülgruppen theoretisch – sozusagen Die Lichtenergie durchläuft keineswegs immer die gleichen 2014 des Universitätsver- am Reißbrett – zu untersuchen und dann gezielt Ketten von Farbstoffmolekülen auf ihrem Weg durch die An- eins Bayreuth ausgezeich- tennenproteine. Die Transportwege ändern sich ständig. net worden. 2013 erhielt Voraussagen über deren Eignung zu treffen. er den Sturge Prize, eine bedeutende Auszeichnung Daher berühren sich Forschungsarbeiten zum Light Variabilität der Transportwege und Kohärenz – diese Kombination für den wissenschaftlichen ist für den Energietransport in Pflanzen und Bakterien charakte- Nachwuchs auf dem Gebiet Harvesting, das in Pflanzen und Bakterien abläuft, der Physik. mit neuen Projekten in der Polymerwissenschaft, ristisch. die auf die Konzeption hocheffizienter Solarzel- len abzielen.1 Insgesamt sind an der Universität Wie sich bei diesen Forschungsarbeiten herausstellte, erfüllt Bayreuth verschiedene Arbeitsgruppen aus der diese Kombination einen biologischen Zweck: Die Energie findet Physik und der Chemie mit Lichtsammelprozessen immer den jeweils günstigsten Pfad durch ein Antennenprotein. befasst. Einige sind dabei eher in der Grundlagen- Dies trägt wesentlich dazu bei, dass der Transport der Lichtenergie forschung angesiedelt, andere interessieren sich auch dann effizient verläuft, wenn sich bestimmte Voraussetzun- stärker für konkrete technische Anwendungen. Das gen ändern – sei es, dass die Temperatur schwankt; sei es, dass sich gemeinsame Ziel ist es, möglichst genau zu verste- die innere Struktur der Antennenproteine ändert. hen, welche Vorgänge in Lichtsammelstrukturen ablaufen und wie diese von den Eigenschaften der 1 Im folgenden Beitrag von Prof. Dr. Mukundan verwendeten Moleküle abhängen. Thelakkat werden einige dieser Forschungsar- beiten an der Universität Bayreuth vorgestellt. Internationale Konferenzreihe: „Lichternte“ auf Kloster Banz Forschung auf dem Gebiet des Light Harvesting lebt von der Zusammenarbeit von Fachleuten aus unterschiedlichen Diszi- plinen, insbesondere der Biologie, Chemie und Physik, und vom wechselseitigen Austausch neuer Forschungsideen und -kon- zepte. Zu diesem Zweck veranstalten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an der Universität Bayreuth zu Fragen der Energiegewinnung aus Licht arbeiten, regelmäßig eine internati- onale Konferenz. Sie findet seit 2007 im Zweijahresrhythmus un- ter dem Leitthema „Light-Harvesting Processes (LHP)“ auf Kloster Banz statt. Mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler aus allen Kontinenten nehmen jedesmal daran teil. • Termin für das nächste Treffen: 8. bis 12. März 2015 Kloster Banz bei Bad Staffelstein. • Weitere Informationen: www.lhp-bayreuth.de Foto: Simon Koopmann, CC-BY-SA-2.0-DE Ausgabe 2 . 2014 13
Forschung & Technik I Mukundan Thelakkat Organische Solarzellen und Hybridsolarzellen Polymerforschung für die Umwandlung von Solarenergie Organische Photovoltaikzellen auf bedruck- ten Folien werden im Rahmen des europäi- schen Projekts LARGECELLS im Freien getestet. 14
W Abb. 1: Auch im indischen Bangalore wurden Module gedruckter organischer enn es um die effiziente und kosten- Photovoltaikzellen getestet. Hier: Aufbau günstige Erzeugung von Solarstrom eines Experiments. geht, gibt es heute vielversprechende Alternativen zu klassischen Siliziumzellen: Organische Solarzellen aus Kunststoff und Hybridsolarzellen, die im groß- flächigen Format mit so genannten „Roll to Roll“- Druckverfahren (R2R) hergestellt werden können. Unter Hybridsolarzellen versteht man die Verwen- dung einer Kombination von anorganischen und organischen Halbleitermaterialien. An diesen zu- kunftsweisenden Technologien war und ist die Uni- versität Bayreuth mit mehreren Projekten beteiligt. Autor LARGECELLS – ein europäisch-indisches Projekt Organische Photovoltaikzellen (OPV), die aus Kunststoff bestehen, eignen sich ideal für die An- wendung auf Textilien oder im Bauwesen, da sie sehr leicht, flexibel und großflächig einsetzbar sind. Damit diese OPV-Zellen wettbewerbsfähiger werden, müssen sie eine noch höhere Energieef- innovative Ideen, tragfähige neue Konzepte und fizienz und Lebensdauer aufweisen. Zudem ist es Forschungskooperationen, die von Synergie-Effek- erforderlich, dass großflächige Module mittels op- ten erheblich profitierten. timierter „Roll to Roll“-Druckverfahren hergestellt werden, um die Produktionskosten zu senken. Um die Energieeffizienz der OPV-Zellen zu erhöhen, Prof. Dr. Mukundan Thelakkat haben die an LARGECELLS beteiligten Wissenschaft- leitet die Arbeitsgruppe „An- Diesen Herausforderungen stellt sich das Projekt lerinnen und Wissenschaftler neue, für Solarzellen gewandte Funktionspolymere“ am Lehrstuhl Makromolekulare Chemie I LARGECELLS, das im September 2010 an den Start besonders geeignete polymere Funktionsmateriali- (Leitung: Prof. Dr. Hans-Werner ging. Im Rahmen des 7. Forschungsrahmenpro- en hergestellt. Vor allem durch die Synthese licht- Schmidt). gramms der Europäischen Union wurde das ge- absorbierender Donormaterialien ist es gelungen, meinsame Projekt mit Indien über vier Jahre mit eine höhere Effizienz in der Energieumwandlung zu 1,64 Mio. Euro gefördert. An dem von Prof. Dr. erreichen. Der Wirkungsgrad der Solarzellen, d.h. Mukundan Thelakkat geleiteten Konsortium der das in Prozent dargestellte Verhältnis von erzeugter EU waren zusammen mit der Universität Bayreuth elektrischer Energie zur einfallenden Lichtenergie, auch die TU Eindhoven (Niederlande), Dänemarks konnte so bedeutend gesteigert werden. Technische Universität (DTU) und die Ben-Gurion Universität (Israel) beteiligt. Das indische Konsor- Insbesondere wurde im Rahmen von LARGECELLS Abb. 2: Mit organischen tium hingegen wurde separat vom Department Photovoltaikzellen ein Polymer auf der Basis eines Diketopyrrolopyr- bedruckte Folie. of Science and Technology – einer Abteilung im rols entwickelt. Es handelt sich hierbei um den indischen Wissenschaftsministerium – gefördert. Farbstoff, dem Ferraris ihre rote Farbe verdanken. Insgesamt nahmen fünf hochkarätige wissenschaft- Im Labor konnte damit ein Wirkungsgrad von 7,4 liche Institutionen aus Indien teil, die bei der Erfor- Prozent erzielt werden. Durch die Realisierung von schung neuer Materialien für Solarzellen und bei übergeordneten Solarzellen, die zwei oder mehr deren Erprobung im Freien sehr eng mit ihren EU- Solarzellen aus verschiedenen Materialien enthal- Partnern kooperierten. Darüber hinaus entwickelte ten, ließ sich der Wirkungsgrad auf 8,9 Prozent sich ein lebhafter Austausch sowohl von Wissen- (bei Tandem-Zellen) bzw. auf 9,6 Prozent (bei schaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch auf Triple-Zellen) steigern. Außerdem erreichte das der Ebene der Studierenden. Einige Studierende Projekt einen Wirkungsgrad von rund 4 Prozent aus Indien bzw. der EU haben Forschungsaufent- bei R2R-gedruckten großflächigen flexiblen Solar- halte von bis zu drei Monaten an den jeweiligen zellen, die ohne das relativ teure Indiumzinnoxid Partnerinstitutionen absolviert. So entstanden (indium tin oxide, ITO) auskommen. Ausgabe 2 . 2014 15
Forschung & Technik I Die Steigerung der Energieeffizienz war aber nur satz der Nanotechnologie. Gemeinsam wollen sie ein Aspekt von LARGECELLS. Die Forschungsarbei- umweltschonende Anwendungen entwickeln, und ten zielten zugleich darauf ab, die Lebensdauer der zwar in den drei Schwerpunkten „Organische Pho- Solarmodule zu erhöhen. Um die Langzeitstabili- tovoltaik“, „Energiespeicher“ und „Thermoelektrizi- tät der neuen OPV-Zellen zu testen, wurden diese tät“. Im Rahmen dieses Projektverbunds, den der Module verschiedenen Testszenarien unterzogen Freistaat Bayern mit knapp drei Millionen Euro – nicht nur im Labor, sondern auch im Freien, wo finanziert, starteten zehn Einzelprojekte im Jahr zu Testzwecken eine künstliche beschleunigte Alte- 2013. rung der OPV-Zellen herbeigeführt wurde. Insge- samt wurden die neuen OPV-Solarmodule 9.000 Eines dieser Projekte ist an der Universität Bay- Stunden lang in Outdoor-Anlagen getestet. Die Er- reuth angesiedelt.1 Es zielt darauf ab, die Ver- gebnisse dieser Tests werden die weitere Entwick- träglichkeit von Komponenten für die organische lung optimierter Trägermaterialien unterstützen. Photovoltaik zu verbessern. Es befasst sich insbe- sondere mit leicht verfügbaren und unbedenkli- chen Stoffen, die es ermöglichen, auf den großflä- UMWELTnanoTECH – chigen Einsatz ressourcen- und energieintensiver ein Bayerischer Projektverbund Materialien zu verzichten. Zu diesem Zweck sollen Abb. 3: Chemische Synthese und Reini- Nanostrukturen in organischen Solarzellen und gung von Materialien in einem Labor Unter dem Dach des Bayerischen Projektverbunds Hybridsolarzellen kontrolliert und damit deren der Universität Bayreuth. „Umweltverträgliche Anwendungen der Nano- Wirkungsgrad und Langzeitstabilität erhöht wer- technologie“ (UMWELTnanoTECH) – arbeiten den. Von besonderem Interesse ist dabei die um- Hochschulen und Forschungsinstitute bayernweit weltverträgliche Verarbeitung aus nicht-chlorier- an Projekten zum verantwortungsbewussten Ein- ten Lösungsmitteln. Blick ins Innere einer organischen Solarzelle Exzitone haben eine äußerst kurze Lebensdauer. Deshalb wäre es vorteilhaft, wenn sie bis zur D-A- Im Gegensatz zu anorganischen Halbleitern wer- Grenzfläche einen möglichst kurzen Weg zurückle- den in organischen Halbleitermaterialien unter gen müssen. Der Weg ist umso kürzer, je dünner die Beleuchtung keine freien Ladungsträger erzeugt, Absorptionsschicht der Solarzelle ist. Doch damit die sondern Elektronen-Loch-Paare. Ein solches Paar Solarzelle viel Lichtenergie absorbieren kann, muss die besteht aus einem Elektron, das sich aufgrund Absorptionsschicht umgekehrt möglichst dick sein. der Absorption von Energie in einem angeregten Um dieses Dilemma zu lösen, wurden neuartige Solar- Zustand befindet, und einer Elektronenfehlstelle zellen entwickelt, die auf der Nanostrukturierung der (Loch). Die Elektronen-Loch-Paare – sie werden in D-A-Absorptionsschicht beruhen: die Multischicht- der Forschung als Exzitonen bezeichnet – müssen solarzelle und die Polymerblendsolarzelle: Letzere er- getrennt und ihre Bestandteile zu den Elektroden hält man durch die Mischung des Donormaterials (D) der Solarzellen abtransportiert werden. Nur dann und des Akzeptormaterials (A). Um die Polymerblend- können organische Solarzellen effizient arbeiten. solarzelle optimal weiterzuentwickeln, müssen stabile Nanostrukturen – wie z.B. in einem D-A-Blockcopoly- Damit die Exzitonen getrennt werden, müssen sie mer (Abb. 4) – vertikal ausgerichtet werden. innerhalb der Solarzelle auf eine Grenzfläche tref- fen, die aus zwei Materialkomponenten besteht: Alle diese Solarzellentypen können im großflächigen einem elektronenreichen Donormaterial (D) und Abb 4: Verschiedene Architekturen der Format mittels „Roll to Roll“-Druckverfahren herge- einem elektronenarmen Akzeptormaterial (A). In photoaktiven Schicht dienen der Erzeugung stellt werden. Die Arbeitsgruppe „Angewandte Funk- von D-A-Grenzflächen für die Ladungstrennung. der Regel wird ein langkettiges Halbleiterpolymer tionspolymere“ an der Universität Bayreuth widmet als Donor und ein Fulleren-Derivat als Akzeptor ver- sich unterschiedlichen Aspekten dieser zukunftswei- wendet. Aber das Fulleren-Derivat kann auch beliebig mit anorganischen senden Technologie. Dabei werden neue Materialien synthetisiert, völlig Halbleitermaterialien ersetzt werden; in diesem Fall spricht man von einer neue Konzepte zu Donor-Akzeptor-Solarzellen entwickelt und die Nano- Hybridsolarzelle. strukturbildung und -stabilisierung in diesen Systemen erforscht. 16 Ausgabe 2 . 2014
Forschung & Technik I Abb. 5: Schematischer Aufbau einer Hybrid-Perowskitsolarzelle (links) und Querschnitt einer solchen Solarzelle in einer rasterelektronenmikroskopischen Aufnahme (rechts). SolTech – Ein Highlight aus diesem Keylab ist die rasante ein Verbund bayerischer Universitäten Entwicklung von hocheffizienten Hybrid-Perows- kitsolarzellen. In der Regel besteht eine Perowskit- Im Projekt „Solar Technologies go Hybrid“ (Sol- Solarzelle aus einem bleihaltigen anorganischen Tech), das 2012 an den Start ging, kooperieren fünf Halbleitersalz (Perowskit: CH3NH3PbI3) und ei- bayerische Universitäten: die Universität Bayreuth, nem organischen Lochleiter (Spiro-OMeTAD) die FAU Erlangen-Nürnberg, die LMU München, im Schichtaufbau (Abb. 4). Auf diesem Gebiet die TU München und die Universität Würzburg. Ge- wurden in den letzten zwei Jahren bedeutsame meinsam und interdisziplinär wollen sie die Grund- Fortschritte bezüglich der Effizienz erzielt. Der lagenforschung auf dem Gebiet der Umwandlung Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mukundan Thelak- von Solaranergie in elektrischen Strom oder in kat gelang es im Jahr 2014, einen Wirkungsgrad transportable und lagerbare Brennstoffe vorantrei- von rund 15 Prozent zu erreichen. Ein wichtiges ben. Mit diesem Ziel haben sich die Projektpartner Ziel der Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet ist in fünf „Key Labs“ organisiert, die auf die Expertise es zudem, das toxische Element Blei durch nicht- der einzelnen Universitäten spezialisiert sind: toxische Substanzen zu ersetzen und die Lebens- dauer der neuen Hybrid-Perowskitsolarzellen zu Bayreuth: Makromolekulare Materialien erhöhen. Anknüpfend an die vielversprechenden Erlangen: Kohlenstoffreiche Hybride Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet, startete LMU München: Anorganische und hybride 2014 ein vom Bundesministerium für Bildung und Nanosysteme Forschung (BMBF) gefördertes Forschungsprojekt, TU München: Hybridsysteme mit Nanomate- das sich mit technologierelevanten Fragen in rialien Bezug auf Hybrid-Perowskitsolarzellen befassen Würzburg: Supramolekulare Materialien für wird. Eine Forschungsgruppe an der Universität Photovoltaik und Photokatalyse Bayreuth 3 ist in dieses – vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg koordi- Die Forschung des am Bayreuther Institut für Ma- nierte – Vorhaben eingebunden. kromolekülforschung (BIMF) angesiedelten Key Labs „Makromolekulare Materialien“ umfasst: Weitere Projekte 1) das Design und die Synthese von Funktions- materialien/Polymeren Zusätzlich zu den genannten Solarzell-Forschungs- 2) grundlegende physikalische Untersuchungen vorhaben arbeiten mehrere Arbeitsgruppen aus Linktipps zur Photophysik sowie zum Energie- und La- der Chemie und der Physik an der Universität dungstransport Bayreuth in grundlagenorientierten Verbundpro- • www.largecells.eu 3) die theoretische Behandlung dieser Prozesse jekten. So ist das Graduiertenkolleg 1640 „Pho- • www.soltech-go-hybrid.de in Modellen und realen Systemen tophysik synthetischer und biologischer multi- 4) die Herstellung von Bauelementen und deren chromophorer Systeme“ auf die Photophysik von Charakterisierung Ladungstransfer und -transport in unterschiedli- chen Materialien spezialisiert. Die plasmonische 1 Die Leitung liegt bei Prof. Dr. Mukundan Thelakkat. Am Bayreuther Keylab sind sechs Arbeitsgruppen Lichteinkopplung in Hybridsolarzellen ist wie- 2 Diese Arbeitsgruppen werden geleitet von Prof. Dr. der Universität Bayreuth beteiligt.2 Zusätzlich wur- derum eine wichtige Frage des DFG-Sonderfor- Anna Köhler, Prof. Dr. Jürgen Köhler, Prof. Dr. Stefan de hier eine Juniorprofessur (Prof. Dr. Sven Hütt- schungsbereichs 840 „Von partikulären Nanosys- Kümmel, Prof. Dr. Hans-Werner Schmidt, Prof. Dr. temen zur Mesotechnologie“ auf dem Gebiet der Peter Strohriegl und Prof. Dr. Mukundan Thelakkat. ner) im Rahmen des Verbundprojekts SolTech neu 3 Auch dieses Projekt wird von Prof. Dr. Mukundan eingerichtet. Solarenergieforschung. Thelakkat geleitet. Ausgabe 2 . 2014 17
Forschung & Technik I Stefan Peiffer Fracking – vorwärts mit Mut zum Risiko ? Eine Abwägung aus umwelt- wissenschaftlicher Sicht Fracking im Kern County in Kalifornien: Mit einer Tiefpumpe wird das Erdöl, wenn der natürliche Lagerstättendruck nicht ausreicht, zutage gefördert (Foto: Christopher Halloran / Shutterstock.com).
„F das notorische Beschwichtigen seitens interessierter racking“, ein Begriff mit hohem emotiona- Kreise auf den Plan, wonach die Einwände schon len Inhalt, vergleichbar mit Hochspannungs- bekannt und das Fracking mittlerweile eine bereits Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) oder Atomkraft, eingespielte Technik sei, die sich aus Sicht des Um- der in der Bevölkerung in höchstem Maße Unruhe weltschutzes gut beherrschen lasse. erzeugt. Im Raum Bayreuth hat dieses Schlagwort noch dazu eine regionale Komponente, seit eine Doch auch wenn tatsächliche oder potenzielle öko- britische Firma beim Bayerischen Wirtschaftsmi- logische Folgen im einzelnen hochumstritten sind, „Fracking beinhaltet nisterium den Antrag gestellt hat, den Untergrund gibt es jedoch keinen Zweifel: Fracking beinhaltet der nördlichen Oberpfalz im Hinblick auf die Ge- eine Vielzahl von Umweltrisiken, die Experten aus eine Vielzahl von winnung von Öl und Gas zu erkunden. Da eine den USA in einem hervorragenden Überblicksauf- Umweltrisiken.“ herkömmliche Förderung im Raum Weiden nicht satz 2 ausführlich zusammengefasst haben. Daher möglich ist, liegt der Schluss nahe, dass es sich soll es im folgenden darum gehen, das Fracking um eine Exploration in Bezug auf eine sogenann- aus der Sicht eines „Umweltnaturwissenschaftlers te unkonventionelle Nutzung von Schiefergas und mit hydrologischer Brille“ kritisch zu erörtern. Erdöl handelt. Diese Nutzung wird in der Regel durch ein hydraulisches Aufbrechen des gas- und ölführenden Gesteins ermöglicht – also durch das Einpressen von Chemikalien hydraulic fracturing oder kurz fracking. in tiefe Gesteinsschichten Bei der sogenannten unkonventionellen Gas- und Eine boomende Technologie Ölförderung durch Fracking werden spezielle Flüs- mit ökologischen Risiken sigkeiten (Fracfluide) entlang von zementierten Bohrlöchern in die Lagerstätten gepumpt. Sie ent- Über den technischen Ablauf des Frackings kann halten Stützmittel und/oder chemische Zusätze, man sich mittlerweile im Internet einen vorzügli- die benötigt werden, um den Untergrund „auf- chen Überblick verschaffen.1 Die Technologie wird zubrechen“ und die entstandenen Risse zu stabi- seit Ende der 1940er Jahre, auch in Deutschland, lisieren.3 Aus dem aufgebrochenen Gestein kann in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt: darin eingepresstes Gas entweichen und gefördert werden. Die Lagerstätten befinden sich in Europa bei der Erschließung tiefer Grundwasserleiter bzw. in Deutschland in einer Tiefe zwischen 3.000 für die Wassergewinnung und 4.000 Metern. In den USA hingegen liegen bei der Verbesserung des Wärmetransports sie sehr viel näher an der Oberfläche und daher bei der tiefen Geothermie in unmittelbarer Nähe von Grundwasserleitern, die vor allem bei der Erdöl- und Erdgasförderung in einer Tiefe zwischen 500 und 600 Metern ver- laufen und für die Trinkwassernutzung bedeutsam Autor Und dennoch scheiden sich die Geister, wenn es sind. Nach Beenden des Fracking-Vorgangs fließt um dieses Thema geht. Warum ist das so? das unter Druck stehende Öl-Wasser-Gas-Gemisch als sogenannter „Flowback“ wieder zurück. Die öffentliche Diskussion hat zunächst einmal mit dem Boom zu tun, den die Fracking-Technik in den letzten Jahren insbesondere in den USA, aber auch Undichte Bohrlöcher in anderen Ländern ausgelöst hat. Dieser Boom hat die USA nach 40 Jahren wieder zum Ölexporteur 3.000 bis 4.000 Meter tief unter dem Erdboden: gemacht und lässt die Energiepreise in den USA Eine solche Entfernung klingt beruhigend, und in deutlich sinken. Naturgemäß entsteht daraus ein der Tat scheint es unwahrscheinlich, dass Verun- großes Interesse, diese Technik auch in Deutschland reinigungen in dieser Tiefe (häufig handelt es sich zur Anwendung zu bringen. Denn es sind auch hier um salziges tiefes Grundwasser) eine nennenswerte Lagerstätten von Erdöl und Schiefergas vorhan- Rolle spielen. Doch die Musik spielt natürlich in Prof. Dr. Stefan Peiffer ist den, die mit der Fracking-Technologie ausgebeutet den kilometerlangen Bohrlöchern und Transport- Inhaber des Lehrstuhls für werden könnten. Der katastrophale Umgang mit wegen, die von der Erdoberfläche nach unten und Hydrologie und Geschäftsführender dieser Technik in den USA, was Umweltschäden wieder zurück nach oben führen. Welche Umwelt- Direktor des Bayreuther Zentrums für Ökologie und Umweltforschung betrifft, lässt jedoch die Bevölkerung entsprechend risiken bestehen hier? Infolge von Fracking wurden (BayCEER) an der Universität Bayreuth. argwöhnisch darauf blicken. Dies wiederum ruft in einigen Fällen Verunreinigungen des Trinkwas- Ausgabe 2 . 2014 19
Forschung & Technik I Abb. 1: Fracking in der Bakken Formation sers mit Kohlenwasserstoffen beobachtet. Diese in North Dakota/USA (Foto: Joshua Doubek, CC-BY-SA-3.0). Kontaminationen sind offenbar meist auf undichte Bohrlöcher zurückzuführen. Eine kürzlich erschiene- ne Studie in den USA vermutet, dass in der Regel nicht das Aufsprengen des Gesteins in der Tiefe für Verschmutzungen des Grund- und Trinkwassers verantwortlich sei, die in der Tat in Zusammenhang mit Fracking aufgetreten sind. Vielmehr seien die Kontaminationen durch Undichtigkeiten entlang von Bohrlöchern 4,5 entstanden, die durch Grund- wasserschichten hindurchstoßen, die für die Trink- wassergewinnung genutzt werden. Von daher liegt die Argumentation nahe, dass Umweltrisiken eine Frage der Technik und minimierbar seien, wenn man nur einen entsprechenden Ausbaustandard verwendet. Doch es gibt auch weitere Bedenken. von 120 Litern in Deutschland entspricht diese „Wollen wir ein (noch) unbekanntes Restrisiko tragen, um Wassermenge in etwa dem täglichen Wasserver- eine Technologie zu fördern, die fossile Rohstoffe produ- brauch der Stadt Bayreuth. Die Bereitstellung einer derart hohen Wassermenge hat nicht unerhebliche ziert, bei deren Verbrennung Treibhausgase entstehen?“ Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Dies ist insbesondere in trockenen Gebieten des mittleren Westens der USA ein Problem, kann aber auch in Hoher Wasserverbrauch, trockenen Gebieten Deutschlands Konsequenzen starke Verunreinigungen haben. In den USA wird das Wasser häufig in Tank- wagen angeliefert, mit entsprechenden Risiken Insgesamt werden pro Fracking-Vorgang rund von Unfällen und Ölverschmutzungen in Böden 10.000 m3 Wasser verbraucht. Bei einem durch- und Oberflächengewässern. schnittlichen Wasserverbrauch pro Kopf und Tag Die verschiedenen Chemikalien (u. a. Biozide, Ten- side, Gele und Säuren), die in den für das Fracking verwendeten Flüssigkeiten enthalten sind, haben darin einen Gesamtanteil von 0,5 bis 2 Volumen- prozent. Es fallen daher als Flowback erhebliche Wassermengen an (4.000 bis 5.000 m3 pro Boh- rung), die verunreinigt sind. Zu dieser Verschmut- zung tragen auch Inhaltsstoffe des tiefen Grund- wassers bei, wie etwa Salz, aber auch Erdöl und Kohlenwasserstoffe. Bevor das Wasser entweder endgültig entsorgt oder für den Frackingprozess wiederverwendet wird, muss es behandelt und aufbereitet werden. In den USA lagert man das kontaminierte Wasser in großen Becken, was je- doch in Deutschland rechtlich nicht möglich ist. Insgesamt handelt es sich bei einer Fracking-Boh- rung um einen mittelgroßen Industriekomplex, der im Hinblick auf Technik und Verkehr von einer leistungsstarken Infrastruktur abhängt. Diese wie- Abb. 2: Prinzip der derum zieht das Risiko einer Kontamination von Erdgasgewinnung durch Fracking (Grafik: Böden und Oberflächenwasser sowie einen nicht Bilderzwerg / fotolia.com). unerheblichen Landverbrauch nach sich. 20 Ausgabe 2 . 2014
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