ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika

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ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
10. Jahrgang   . Ausgabe 2 . November 2014

FORSCHUNG & TECHNIK

Stromnetze in Zeiten
der Energiewende
                    Seiten 30-33

RECHT & WIRTSCHAFT

Markt
oder Staat?
                    Seiten 38-41

KULTUR & REGIONEN                                                      Thema

Energietechnologien und                                       ENERGIE
Energiewandel in Afrika
                    Seiten 46-49
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Grusswort

                           Liebe Leserinnen und Leser,

                                  I  ch freue mich, Sie zu einer neuen Ausgabe un-
                                     seres Universitätsmagazins SPEKTRUM begrü-
                                  ßen zu dürfen, das sich diesmal ganz dem Thema
                                                                                         Besonders stolz ist die Universität Bayreuth jedoch
                                                                                         darauf, dass das für die Zukunft so wichtige The-
                                                                                         mengebiet „Energie“ nicht – wie vielleicht andern-
                                  „Energie“ widmet.                                      orts – nur aus natur- und ingenieurwissenschaftli-
                                                                                         cher Sicht betrachtet wird. Vielmehr sind rechts-,
                                  An der Universität Bayreuth ist die Forschung auf      wirtschafts- und kulturwissenschaftliche Forschungs-
                                  diesem Gebiet unter anderem im aufstrebenden           fragen in die Beschäftigung mit diesem Zukunfts-
                                  Profilfeld „Energieforschung und Energietechnolo-      thema eingebettet. Deswegen entstammen die
                                  gie“ verankert. Unsere Profilfelder sind strategisch   Beiträge in dieser SPEKTRUM-Ausgabe nicht nur
                                  ausgewählte fächerübergreifende Schwerpunkte,          den Bereichen Forschung und Technik, sondern be-
                                  die neben unseren hervorragend ausgewiesenen           leuchten das Thema auch aus der Perspektive der
                                  Fachdisziplinen ausschlaggebend für den ausge-         Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und gehen
                                  zeichneten Ruf unserer Universität in Forschung        auf kulturelle und regionale Aspekte ein.
      Prof. Dr. Stefan Leible,    und Lehre sind. Aufgeteilt in die bereits etablier-
      Präsident der Universität   ten Advanced Fields und die jüngeren Emerging          Die Vielzahl der an unserer Universität bearbei-
Bayreuth.
                                  Fields bündeln wir dort unsere interdisziplinären      teten Projekte zum Thema „Energie“, von der in-
                                  Kompetenzen und erzeugen Synergien.                    ternationalen Ebene bis zur Regionalforschung,
                                                                                         ist wirklich eindrucksvoll. Davon können Sie sich
                                                                                         beim Lesen des vorliegenden SPEKTRUM-Hefts
                                                                                         selbst überzeugen – dabei stellen die abgedruck-
                                                                                         ten Beiträge nur eine Auswahl dar.

                                                                                         Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und
                                                                                         viele neue Erkenntnisse!

                                                                                         Ihr

                                                                                                                     Prof. Dr. Stefan Leible
                                                                                                         Präsident der Universität Bayreuth

2                                                                                                                           Ausgabe 2   .   2014
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Editorial

K      ein Tag vergeht, ohne dass in der Zeitung,
        im Fernsehen und in anderen Medien über
das Thema „Energie“ berichtet und diskutiert wird.
                                                         im Angebot von Wind- und Sonnenenergie zum
                                                         Beispiel durch Speicher und Lastmanagement aus-
                                                         zugleichen. Bis heute unterschätzt wird auch die
Meist sind damit Ärger und Sorgen verbunden:             gesellschaftspolitische Bedeutung der Energiewen-
persönlich, wenn Strom, Gas, Öl und Kraftstoffe          de: Wie weit will und kann man Großkraftwerke
teurer werden; auf kommunaler und regionaler             durch eine dezentrale Struktur, Energiekonzerne
Ebene, etwa wenn man fürchtet, dass Windkraftan-         durch kommunale, oft genossenschaftliche Initia-
lagen oder Stromtrassen die Landschaft nachteilig        tiven ersetzen?
verändern; national, wenn man sich um eine siche-
re und preislich akzeptable Energieversorgung des        Bereits diese Beispiele zeigen, dass Energiefragen
Industriestandorts Deutschland sorgt; nicht zuletzt      nicht nur wichtig, sondern auch kompliziert, viel-
aber auch global, wenn man an begrenzte fossile          fältig und interdisziplinär sind. – Wer wäre also
Ressourcen und drohende Klimaveränderungen               besser geeignet als unsere Universität Bayreuth
bei einem zugleich weltweit anzustrebenden men-          mit ihrem Profilfeld „Energieforschung und Ener-                        Prof. Dr.-Ing. Dieter
schengerechten Grundwohlstand denkt.                     gietechnologie“, durch Forschung, Entwicklung                           Brüggemann leitet den
                                                                                                                          Lehrstuhl für Technische Thermo-
                                                         und Lehre zur Lösung zumindest einiger der He-                   dynamik und Transportprozesse
Der in Deutschland geprägte, inzwischen internati-       rausforderungen beizutragen?                                     (LTTT) und ist Direktor des Zent-
onal bekannte Begriff der „Energiewende“ fordert                                                                          rums für Energietechnik (ZET) an
                                                                                                                          der Universität Bayreuth.
nicht nur eine vollständige Abkehr von der Kern-         Dass die ausgewählten Beiträge in diesem Heft Sie
energie, sondern auch eine schrittweise Senkung          informieren und anregen, wünscht
des Verbrauchs fossiler Energieträger. Dies alles
soll durch erneuerbare Energien und eine effizien-       Ihr
tere Nutzung gelingen. Zunächst weniger bedacht
hatte man die damit verbundene Notwendigkeit,
die sehr großen naturbedingten Schwankungen

                                                                           Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann
                                                                                      Sprecher des Profilfelds
                                                                 „Energieforschung und Energietechnologie“

                                                                                           Impressum
  Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth

  Auflage:                               Redaktionsleitung:
  3.000 Stück                            Christian Wißler (V.i.S.d.P.)

                                         Druck:
  Herausgeber:
                                         bonitasprint gmbh, Würzburg
  Universität Bayreuth
  Stabsabteilung PMK – Presse,           Satz und Layout:
  Marketing und Kommunikation            GAUBE media agentur, Bayreuth
  95440 Bayreuth                         Telefon (09 21) 5 07 14 41                     Christian Wißler M.A.,
  Telefon (09 21) 55 - 53 56 / - 53 24   spektrum@gaube-media.de                        Fachwirt Public Relations
                                                                                  (BAW), Stabsabteilung PMK der
  Telefax (09 21) 55 - 53 25             Bildquellen-Kennzeichnung:               Universität Bayreuth, Wissen-
                                                                                                                           Fotos Titelseite, Editorialseiten:
  pressestelle@uni-bayreuth.de           sst: www.shutterstock.com                schaftskommunikation.
                                                                                                                           sst. Inhaltsverzeichnis: u.a. Chris-
                                                                                                                    topher Halloran / Shutterstock.com
  Alle Beiträge sind bei Quellenangaben und Belegexemplaren frei zur Veröffentlichung.                              und fineart-collection / fotolia.com.

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                              3
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Thema

    ENERGIE

    2          Grußwort
               Prof. Dr. Stefan Leible
               Präsident der Universität Bayreuth

    3	Editorial
       Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann                         Forschung & Technik I
       Sprecher des Profilfelds „Energie-
       forschung und Energietechnologie“                        10       Die Natur als Vorbild:
                                                                         Licht sammeln und verwerten
    3          Impressum
                                                                         Grundlagenforschung für neue
    4          Inhaltsverzeichnis                                        Wege der Energieerzeugung

                                                                                                           26   Kontrollierte Kernfusion
                                                                                                                Eine vielversprechende
                                                                                                                Energiequelle und ein spannendes
                                                                                                                Forschungsgebiet

                                                                                                      14   30   Stromnetze in Zeiten
        Mit hocheffizienten, auf Folien gedruckten Photovoltaikzellen hat die Solarenergie Zukunft.             der Energiewende
                                                                                                                Neue Herausforderungen
                                                                                                                bei der Energieübertragung

    Energie global
                                                                14       Organische Solarzellen und             über große Entfernungen
                                                                         Hybridsolarzellen
                                                                         Polymerforschung für die
    6           Energieversorgung                                        Umwandlung von Solarenergie       Recht & Wirtschaft
                im 21. Jahrhundert
                                                                18       Fracking – vorwärts
               Technische, soziale und
                                                                         mit Mut zum Risiko?               34   Wettbewerb im Energiesektor
               ökonomische Aspekte
                                                                         Eine Abwägung aus umwelt-              durch Regulierung der
                                                                         wissenschaftlicher Sicht               Energienetze
                                                                                                                Europäische Erfolgsgeschichte
                                                                22       Flüssige Kraftstoffe aus CO2
                                                                                                                und bleibende Herausforderung
                                                                         und regenerativem Strom
                                                                         Ein zukunftsweisender
                                                     18                  Forschungsansatz zur Sicherung
                                                                                                           38   Markt oder Staat ?
                                                                                                                Die Energiebranche zwischen
        Fracking: eine verantwortbare Technologie?
                                                                         der Energieversorgung                  Wettbewerb und Regulierung

4                                                                                                                                 Ausgabe 2   .   2014
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                                     58
                                                                                            Mit dem „Energiespiel Bayern“ können sich auch
                                                                                            Schülerinnen und Schüler mit Fragen der Energie-
                                                                                            versorgung vertraut machen.

                                                                                            Forschung & Technik II
                                            54     Erneuerbare Energien
                                                   im ländlichen Raum                       62     Das Zentrum für
                                                   Potenziale für die regionale                    Energietechnik (ZET)
                                                   Wertschöpfung                                   Von der Grundlagenforschung bis
                                                                                                   zu neuen Produkten und Verfahren

                                                                                            66     Neue Wege der dezentralen
                                                                                                   Stromerzeugung
                                                                                                   Von der Geothermie zur
                                                                                                   industriellen Abwärme

                                                                                            70     Energiegewinnung aus Biogas
                                                                                                   Ein Beitrag zur Energiewende

                                                                                            74     Energieeffiziente Fabriken

Ethik
                                                                                                   „Green Factory Bayreuth“ –
                                                                                                   ein Beispiel für die Kooperation
                                                                                                   von Forschung und Wirtschaft
42      Gerechtigkeit in der
                                                                                            78     Neue Werkstoffe steigern
       Energieversorgung
                                                                                                   die Energieeffizienz
       Eine ethische Herausforderung
                                                                                                   Innovative Entwicklungen
                                                                                                   aus der Materialwissenschaft

                                                                                            86     TechnologieAllianzOberfranken
Kultur & Regionen                                                                                  (TAO)
                                                                                     70            Forschungskooperationen
46     Energietechnologien und              Wohin entwickelt sich die Biogas-Technologie?          in den Schwerpunktfeldern
       Energiewandel in Afrika              Von Anlagen wird künftig ein hohes Maß an              Energie und Mobilität
                                            Flexibilität gefordert.
       Kulturelle und anthropologische
       Aspekte von Innovationen

48     Elektrifizierung des Sudans          Schule
       Ein umstrittenes
       Mega-Energieprojekt
                                            58     Erneuerbare Energien
50     Bioenergie-Potenziale                       im Schulunterricht
       in Ostafrika                                Moderne Unterrichtskonzepte                                                      78
       Entwicklungsgeographische Perspek-           zu Müllverbrennungsenergie              Polymerschaum aus Pflanzen – ein vielversprechen-
                                                                                            des Material auch für die Einsparung von Energie.
       tiven künftiger Energieversorgung            und Erneuerbaren Energien

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                            5
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Energie global

     Dieter Brüggemann
     Andreas Jess

    Energieversorgung im 21. Jahrhundert
    Technische, soziale und ökonomische Aspekte

                                                          Der rasant steigende Energiebedarf in den Mega-
                                                          städten zählt zu den weltweiten Herausforderungen
                                                  im 21. Jahrhundert (Foto: Naufal MQ / Shutterstock.com).

6
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Der Energieverbrauch                                          Industriestaaten (OECD) 42 Prozent, obwohl der                                                 Autoren
im weltweiten Vergleich                                       Anteil an der Weltbevölkerung nur 18 Prozent aus-

P
                                                              macht. Entsprechend umgekehrt ist die Situation in
        rimärenergie (PE) ist die Energie, die ur-            Asien, Lateinamerika und besonders in Afrika. Die
        sprünglich als Brennstoff (Kohle, Erdöl, Erd-         Zahlen des jährlichen Pro-Kopf-Energieverbrauchs
gas, Biomasse) oder als Wasserkraft, Kernenergie,             einiger Länder unterstreichen dieses Ungleich-
Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht. Sie               gewicht: In den USA liegt dieser bei 7,1 toe, in
wird durch Umwandlungsprozesse, die mit Verlus-               Deutschland bei 3,7 toe, wohingegen er in China
ten behaftet sind, in Sekundärenergieträger wie               und Brasilien (noch) bei 1,8 bzw. 1,4 toe, in Indien
Strom oder in Kraftstoffe wie Benzin und Dieselöl             und Äthiopien bei nur 0,6 bzw. 0,4 toe liegt.
umgewandelt. Durch eine wiederum mit Verlusten
verbundene Übertragung zum Verbraucher wird
sie schließlich zur nutzbaren Endenergie.                     Energie und Wohlstand:
                                                              Wieviel steht jedem Menschen zu?
                                                                                                                                              Prof. Dr.-Ing. Dieter Brügge-
Abbildung 1 zeigt die Anteile einzelner Primärener-                                                                                           mann leitet den Lehrstuhl
gieträger am deutschen sowie am weltweiten Pri-               Wie hoch ist der Energieverbrauch, den jeder                             für Technische Thermodynamik und
                                                                                                                                       Transportprozesse (LTTT) und ist Di-
märenergieverbrauch. Es wird deutlich, dass bereits           Mensch für einen ausreichenden Wohlstand benö-
                                                                                                                                       rektor des Zentrums für Energietech-
heute schon regenerative Energien in Deutschland              tigt? Um diese Frage zu beantworten, ist der Human                       nik (ZET) an der Universität Bayreuth.
(mit einem Anteil von 16 Prozent) eine im weltwei-            Development Index (HDI) der Vereinten Nationen
ten Vergleich (mit durchschnittlich etwa 8 Prozent)           hilfreich. Es handelt sich dabei um einen Wohlstands-
deutlich größere Rolle spielen. Allerdings sind fos-          indikator, der mit jeweils gleicher Gewichtung das
sile Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) derzeit             Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftkorrigiert), die me-
immer noch die dominierenden PE-Träger (D: 76                 dizinische Versorgung (Lebenserwartung) und den
Prozent, Welt: 81 Prozent). Der Rest wird durch               Bildungsgrad eines Landes berücksichtigt. Bei Ent-
Kernenergie und vor allem in Entwicklungsländern              wicklungsländern ist der HDI kleiner als 0,5; bei
noch durch die sogenannte traditionelle Biomasse              Schwellenländern liegt er zwischen 0,5 und 0,8;
gedeckt, die zumeist mit der Abholzung bestehen-              bei Industrieländern ist der HDI größer als 0,8.
der Wälder verbunden ist und daher nicht als rege-
nerativ und klimaneutral betrachtet werden kann.              In Ländern, die einen HDI-Wert größer als 0,8 er-
                                                              reicht haben, liegt der jährliche PE-Verbrauch bei
Um den Energieverbrauch eines Landes oder einer               mindestens etwa 2 toe pro Kopf (siehe Abb. 2). Ein
Region zu charakterisieren und Energieträger ver-             höherer Verbrauch führt allerdings nicht zu einer                              Prof. Dr.-Ing. Andreas Jess ist
gleichen zu können, werden häufig Rohöläquiva-                merklichen Steigung des HDI, also des Wohlstands                               Inhaber des Lehrstuhls für
                                                                                                                                       Chemische Verfahrenstechnik an der
lente verwendet. 1 Tonne Erdöl (1 toe) entspricht             und Wohlergehens. Dies ist ein deutlicher Hinweis                        Universität Bayreuth.
einer Energie von 42 Mio. kJ (Kilojoule) oder 42 GJ           darauf, dass hier eine Grenze erreicht wird, von der
(Gigajoule). Der derzeitige deutsche PE-Verbrauch             an eine weitere Steigerung des Energieverbrauchs
beträgt 310 Mio. toe pro Jahr; weltweit sind es               nicht zu rechtfertigen ist. Regionen und Länder,
13 Mrd. toe.                                                  die einen Wert von 2 toe deutlich überschreiten
                                                              – wie etwa Nordamerika, Australien, Japan und
Der Primärenergieverbrauch ist regional sehr un-              Europa, darunter auch Deutschland – sollten sich
gleich verteilt (Tabelle 1): So beträgt der Anteil            daher in der Pflicht sehen, Maßnahmen für eine
am globalen Energieverbrauch der wohlhabenden                 noch effizientere Energienutzung zu ergreifen.

                                                                                                                                     Abb. 1: Anteile einzelner Energieträger
                                                                                                                                     am Primärenergieverbrauch (PEV) in
                                                                                           4,2 %
                                                                                                    trad. Biomasse
                                                                                                                              Deutschland und weltweit 2013. Bei der hier
                       Kernenergie (7,6 %)
                                                                                                         (6,7 %)              verwendeten Substitutionsmethode wird
           Erdgas                            Wasser (1,7 %)
                                                                                                                              angenommen, dass der Strom aus den Ener-
                                                                             22,2 %
           20,6 %)                                                                                                            gieträgern, denen kein Heizwert beigemessen
                                                                                                                              werden kann (Kernkraft, Wasserkraft, Wind und
  Kohle                  regenerativ
                                             Biomasse (8,5 %)                                                        6,3 %    Photovoltaik) die entsprechende Stromer-
  23,9 %                   16,3 %                                   27,8 %
                                                                                            8,5 %                             zeugung in konventionellen Kraftwerken mit
                                                                                                                              einem Wirkungsgrad von rund 40 Prozent
                                             Wind (3,9 %)
            Erdöl                                                                 30,6 %
                                                                                                                     1,1 %    substituiert, d.h. 1 kWh Strom = 2,5 kWh PE.
            31,6 %                           Solar (2,2 %)                                                           0,9 %    Berechnungen (A. Jess) auf der Basis der Anga-
                                                                                                                      0,2 %   ben von BP (Statistical Review of World Energy)
                                                                                                                              und der International Energy Agency (IEA).

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                                       7
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Energie Global

                                           Anteil an der                  Anteil am globalen
                 Region
                                        Weltbevölkerung                 Primärenergieverbrauch

        OECD                               18%                   42%                                       (1,9 toe) verbraucht. Falls die Weltbevölkerung, wie
                                                                                                           prognostiziert, also bis zum Jahr 2050 auf 9 Mrd.
        ehemalige UDSSR &                                                                          56%
                                             5%        26%       9%                                        Menschen ansteigt, ist davon auszugehen, dass der
        nicht-OECD-Europa                                                       4 toe pro Kopf und Jahr
                                                                                                           globale Energieverbrauch von derzeit 13 Mrd. auf
        Mittlerer Osten                      3%                   5%                                       mindestens 17 Mrd. toe pro Jahr ansteigt.
        Asien                              52%                   34%
                                                                                                   44%
        Lateinamerika                        7%            74%    5%
                                                                               1,1 toe pro Kopf und Jahr   Grenzen des Verbrauchs fossiler
        Afrika                              15%                   5%                                       Energieträger: Reserven und Ressourcen
                                                                                                 100%
        Welt                              100%        100%       100%                                      Reserven eines Energieträgers sind die derzeit ge-
                                                                              1,9 toe pro Kopf und Jahr
                                                                                                           sicherten und wirtschaftlich abbaubaren Vorräte;
                                                                                                           Ressourcen sind die zusätzlich nachgewiesenen und
                                                                                                           vermuteten Vorräte. Abbildung 3 zeigt die entspre-
                                                                                                           chenden Werte für die fossilen Rohstoffe Erdöl,
                                                                                                           Erdgas und Kohle in Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff
                                                                                                           (C). Berücksichtigt man die derzeitigen jährlichen
                                                                                                           Verbrauchszahlen (3,4 Gt Kohlenstoff in Form von
                                                                                                           Erdöl, 2 Gt als Erdgas und 4 Gt als Kohle) ergeben
                                                                                                           sich auf der Basis der Reserven sogenannte statische
                                                                                                           Reichweiten von 53 Jahren für Erdöl, 59 Jahren für
                                                                                                           Erdgas und 140 Jahren für Kohle. Legt man die
                                                                                                           Ressourcen zugrunde, kommt man auf deutlich hö-
                                                                                                           here Werte von 170 Jahren für Erdöl, 1.000 Jahren
                                                                                                           für Erdgas und 3.000 Jahren für Kohle. Die letztge-
                                                                                                           nannten Werte sind sicherlich viel zu optimistisch,
                                                                                                           da man nur einen geringen Anteil der Ressourcen
                                                                                                           wirtschaftlich und technisch nutzen können wird.
                                                                                                           Aber die häufig zu lesende baldige Verknappung
                                                                                                           der fossilen Energieträger ist unbegründet.

    ↑ Wohlergehen: Human Development Index (2012)                                                          Es gibt aber mindestens zwei andere gute Gründe,
    → jährlicher Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch in ausgewählten Ländern in toe (2010/11)                  die für eine deutlich verminderten Verbrauch fos-
                                                                                                           siler Energien sprechen:
      Tabelle 1: Regionale Verteilung des glo-     Eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs in
      balen Primärenergieverbrauchs (2011).        den Industrieländern ist auch deshalb angezeigt,           	Die Reserven von Erdöl und Erdgas konzen-
Daten: International Energy Agency (IEA), Key
World Energy Statistics 2013.                      weil zu erwarten ist, dass der Wohlstand in einigen          trieren sich auf wenige Regionen (vor allem
                                                   Entwicklungs- und Schwellenländern – zum Bei-                Mittlerer Osten, Russland), die aus europäi-
      Abb. 2: Wohlergehen im Verhältnis zum        spiel in China, Indien oder Brasilien – in den kom-          scher Sicht politisch problematisch sind oder
      jährlichen Pro-Kopf-Primärenergiever-
                                                   menden Jahrzehnten steigen wird. Abbildung 2                 werden können.
brauch. Um den Maximalwert 1 zu erreichen,
wäre eine Lebenserwartung von 84 Jahren,           zeigt zwei bemerkenswerte Ausnahmen vom (ge-               	Vermutlich weitaus bedeutsamer sind die von
eine durchschnittliche Bildungs-/Schulbe-          strichelt angedeuteten) Trend: Sowohl Russland               der Mehrzahl der Klimaexperten prognostizier-
suchsdauer von 13 Jahren und ein jährliches
                                                   (und auch andere Länder der ehemaligen UdSSR)                ten Folgen eines gleichbleibend hohen Anteils
Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen von
87.000 Dollar erforderlich; alle drei Faktoren     als auch Südafrika haben einen im Vergleich zum              fossiler Energieträger am globalen PE-Ver-
werden gleich gewichtet. HDI-Daten aus: Uni-       Wohlergehen (HDI < 0,8) besonders hohen jähr-                brauch: Die in Form von Kohlendioxid gebun-
ted Nations Development Programme (UNDP),
                                                   lichen Pro-Kopf-Energieverbrauch von rund 3 bzw.             dene Masse an Kohlenstoff in der Erdatmo-
Human Development Report 2013.
                                                   5 toe, also eine geringe Energieeffizienz.                   sphäre liegt derzeit bei 850 Gt (Abb. 3). Ohne
                                                                                                                eine drastische Senkung dieses fossilen Anteils
                                                   Ungeachtet einer gewissen Streubreite lässt sich aus         wird diese im Jahr 2050 bei über 1.000 Gt lie-
                                                   Abbildung 2 eines klar entnehmen: Es scheint ein             gen. Die Folge wäre – so die Prognosen des
                                                   Verbrauch von ungefähr 2 toe/Jahr für einen ausrei-          International Panel of Climate Change (IPCC)
                                                   chenden Lebensstandard erforderlich zu sein. Inter-          – eine Erhöhung der globalen Mitteltempe-
                                                   essanterweise entspricht dieser Wert ungefähr dem            ratur um 2°C gegenüber dem Beginn der in-
                                                   Wert, den im weltweiten Durchschnitt jeder Mensch            dustriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Um

8                                                                                                                                             Ausgabe 2   .   2014
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Energie Global

     die Klimaerwärmung zumindest langfristig zu            Reserven (gesicherte,               Ressourcen (zusätzlich                             Abb. 3: Reserven und
                                                            derzeit wirtschaftlich              nachgewiesene und                                  Ressourcen fossiler
     begrenzen, wird daher eine möglichst weitge-
                                                            abbaubare Vorräte) in Gt C          vermutete Vorräte) in Gt C                  Energieträger. Eigene
     hende Umstellung von fossilen hin zu alterna-                                                                                          Berechnungen (A. Jess) auf
     tiven Energieträgern angestrebt.                                                                                                       der Basis der Angaben von
                                                                                                                                            Schaub, G., Turek, T.: Energy
                                                                                                                                            flows, material cycles and
                                                                                                                                            global development. Sprin-
Energiepolitische Entscheidungen                                                                                                            ger, Heidelberg, 2011, und
                                                                                                                                            von anderen Quellen.
im internationalen Vergleich

Die meisten Staaten stimmen den genannten
Zielen zwar grundsätzlich zu, unternehmen aber
sehr unterschiedliche Anstrengungen, um diese
zu erreichen. Dies sollte nicht überraschen, denn
bereits die Ausgangslage, also der bisherige An-
teil der erneuerbaren im Vergleich zu fossilen und
nuklearen Energien ist sehr unterschiedlich. Dies
hängt zum Teil mit natürlichen Gegebenheiten
                                                                                                                                                   Abb. 4: Zeitliche
(z.B. Wasserkraft) zusammen und ist zum Teil auf                                                                                                   Entwicklung der
die unterschiedliche gesellschaftliche Akzeptanz                                                                                            Anteile fossiler, nuklearer
energiepolitischer Entscheidungen (z.B. Kernener-                                                                                           und regenerativer Energien
                                                                                                                                            am Primärenergieverbrauch
gie) zurückzuführen.                                                                                                                        ausgewählter Staaten von
                                                                                                                                            1965 bis heute (Kreis) in
Solche Unterschiede werden in Abbildung 4 sicht-                                                                                            5-Jahresschritten (Punkte).
                                                                                                                                            Die Eckpunkte im Dreiecks-
bar, in der die Wege ausgewählter Staaten im Ener-                                                                                          diagramm stehen jeweils
giemix dargestellt sind. So erkennt man, dass die                                                                                           für 100 Prozent fossile,
deutsche „Energiewende“ tatsächlich zu einer drasti-                                                                                        nukleare und regenerative
                                                                                                                                            Energien. Für Deutschland
schen Änderung geführt hat und nach Beschlusslage                                                                                           ist zudem ein Trendszenario
weiter führen wird (gestrichelter Verlauf), während                                                                                         bis 2050 dargestellt. Daten:
z.B. die USA sich deutlich weniger verändert haben.                                                                                         BP 2014; Prognos/EWI/GWS
                                                                                                                                            2014; Umrechnung gemäß
                                                                                                                                            Substitutionsmethode (vgl.
                                                                                                                                            dazu Abb. 1).
Werden wir energieeffizienter?

Ein Schlüssel zur weiteren positiven Entwicklung der
Energiesituation liegt zweifellos in der Erhöhung der
Energieeffizienz in allen Bereichen. Tabelle 2 zeigt
sehr deutlich, dass wir im Wesentlichen durch tech-
nische Entwicklungen bereits erhebliche Fortschritte
erzielt haben. Es ist noch unklar, ob auch in privaten     Kann man ein Fazit ziehen?
Haushalten und im straßengebundenen Individual-                                                                              Stromerzeugung
                                                                                                                                                               – 10,7%
verkehr Änderungen des Nutzerverhaltens eine grö-          Die Energieversorgung bei weltweit wachsendem                     (kWh Strom)
ßere Rolle spielen werden.                                 Bedarf ist eine wichtige Frage und wird dies auch                 Stromverbrauch
                                                           noch lange Zeit bleiben. Sie ist nicht allein tech-                                                – 10,9%
                                                                                                                             (E Bruttoinlandsprodukt)
Häufig allerdings werden Effizienzsteigerungen,            nisch zu lösen, sondern erfordert die Einbeziehung
                                                           vieler weiterer Aspekte. Diese sind unter Anderem                 Industrie
die durch technischen Fortschritt erreicht wurden,                                                                                                            – 19,3%
                                                                                                                             (E Bruttoproduktionswert)
überdeckt; und zwar dadurch, dass zugleich höhere          wirtschaftlicher Natur (Energie muss bezahlbar sein),
Anforderungen an die Leistung gestellt werden. Ein         politisch bedingt (z.B. Abhängigkeiten von anderen                Gewerbe, Handel und
Beispiel hierfür bietet der Pkw: Der Antrieb unserer       Staaten), aber auch ethisch motiviert (z.B. wachsen-              Dienstleistungen                 – 33,3%
Autos ist heute sehr viel effizienter als vor drei, vier   der Energiebedarf für einen globalen Wohlstand).                  (E Bruttowertschöpfung)
oder fünf Jahrzehnten. Allerdings ist das heutige                                                                            Private Haushalte
Durchschnittsfahrzeug auch deutlich leistungsstär-                                                                                                            – 24,0%
                                                                                                                             (m2 Wohnfläche)
ker, schwerer und mit zahlreichen Komponenten für                    Tabelle 2: Der Energieverbrauch in Relation zu den
                                                                     in Klammern angegebenen Bezugsgrößen ist in             Verkehr
Sicherheit und Komfort ausgestattet, was die mögli-                                                                                                           – 32,0%
                                                               Deutschland zwischen 1990 und 2012 deutlich gesunken          (Tonnen- und Personen-km)
che Kraftstoffeinsparung kompensiert.                          (Daten: BMWi 2014).

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                                    9
ENERGIE Stromnetze in Zeiten der Energiewende Markt oder Staat? Energietechnologien und Energiewandel in Afrika
Forschung & Technik I
                           Jürgen Köhler

                        Die Natur
                        als Vorbild:
                        Licht sammeln
                        und verwerten

                        Grundlagenforschung
                        für neue Wege der
                        Energieerzeugung

                              Wie lässt sich die Energie des Sonnenlichts möglichst
                              effizient in elektrische oder chemische Energie
                        umwandeln und verwerten? Pflanzen und Bakterien liefern
                        dafür wertvolle Anhaltspunkte (sst).
D
                                                       synthese sehr erfolgreich vor. Pflanzen, Algen und                                        Autor
        ie Energiemenge, die während einer Stun-       einige Bakteriengruppen sind in der Lage, Sonnen-
        de von der Sonne auf die Erde einstrahlt,      strahlung unter den unterschiedlichsten Lebensbe-
entspricht in etwa der Energiemenge, die von der       dingungen einzufangen und umzusetzen.
gesamten Menschheit im Verlauf eines Jahres ver-
braucht wird. Wenn man sich dies vor Augen führt,      Wenn ein Molekül eines für Solarzellen geeigneten
dann wundert es nicht, dass beim Umbau der             organischen Materials ein Lichtteilchen (Photon)
Energiewirtschaft Solarzellen eine wichtige Rolle      absorbiert, übernimmt es die Energie des Photons.
spielen. Jedoch sind die heute üblichen Photovol-      Dadurch gerät es in einen angeregten Zustand.
taikanlagen, die aus hochreinen Halbleitermateria-     Leider findet ein solcher Absorptionsvorgang un-
lien bestehen, sehr rohstoff- und energieintensiv in   ter normaler Sonneneinstrahlung nur ca. 1-mal
der Herstellung. Daher sind sie gerade für Entwick-    pro Sekunde pro Molekül statt – viel zu selten, um
lungsländer, in denen oft sehr viel Sonnenlicht zur    eine effiziente Energieversorgung zu gewährleis-
Verfügung stehen würde, unerschwinglich.               ten. Die Zahl der Photonen, die von der Sonne zur
                                                       Erde gelangen, ist zwar unvorstellbar groß, doch                      Prof. Dr. Jürgen Köhler ist
                                                       sind die Moleküle auch unvorstellbar klein, so dass                   Inhaber des Lehrstuhls für
                                                                                                                       Experimentalphysik IV und Sprecher
                                                       sich beide Effekte kompensieren.
                                                                                                                       des Graduiertenkollegs 1640 „Photo-
                                                                                                                       physik synthetischer und biologi-
            „Können wir                                                                                                scher multichromophorer Systeme“
                                                                                                                       an der Universität Bayreuth.
                                                       „Lichternte“ in der Natur
        von der Natur lernen,
          Energie aus Licht                            Bei der Photosynthese hat die Natur dieses Prob-
                                                       lem gelöst, indem sie Light Harvesting (Lichternte)
           zu gewinnen?“                               betreibt und das Licht in speziellen Strukturen sam-
                                                       melt. Eine Schlüsselfunktion haben dabei Proteine,            Abb. 1 und 2: Gleichartige Probleme,
                                                                                                                      gleichartige Lösungen. Links: Para-
                                                       die als „Licht-Antennen“ fungieren; sie werden da-     bolspiegel (Antenne) zur Sammlung von
Große Hoffnungen setzt man deshalb auf Solarzel-       her auch als Antennenproteine bezeichnet. Jedes        Sonnenstrahlung für die Erwärmung von
len der nächsten Generation, die aus organischen       dieser Proteine enthält eine Vielzahl von Farbstoff-   Wasser. Rechts: Mutmaßliche Anordnung
                                                                                                              von Pigment-Protein-Komplexen (Antennen-
Materialien aufgebaut sind. Dass organische Mate-      molekülen (Pigmenten). Die Farbstoffmoleküle           proteinen) in der Membran von photosyn-
rie zu diesem Zweck durchaus geeignet ist, macht       nehmen Lichtenergie auf und übertragen diese mit       thetischen Bakterien. Die grün markierten
uns die Natur seit Jahrmilliarden mit der Photo-       extrem hoher Geschwindigkeit auf benachbarte           Strukturen enthalten zahlreiche Pigmente,
                                                                                                              die die Funktion haben, Licht zu absorbieren.
                                                                                                              Die aufgenommene Energie wird in die Mitte
                                                                                                              zur rot markierten Struktur geleitet, wo eine
                                                                                                              Ladungstrennung ausgelöst wird.

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                      11
Forschung & Technik I

                                                                                                         Farbstoffmoleküle: zunächst auf Moleküle inner-
                                                                                                         halb desselben Antennenproteins, dann auf Mole-
        Grundlagenforschung für Solarzellen der Zukunft:                                                 küle in einem angrenzenden Antennenprotein. So
                                                                                                         durchläuft die absorbierte Lichtenergie eine Kette
        ein DFG-gefördertes Graduiertenkolleg                                                            mehrerer Antennenproteine, bis sie schließlich in
                                                                                                         einem Reaktionszentrum ankommt. Hier werden
                                                                                                         die Prozesse der Photosynthese in Gang gesetzt,
                                                                                                         die aus der Lichtenergie chemische Energie erzeu-
                                                                                                         gen.

                                                                                                         Mit dieser Arbeitsteilung zwischen den „Licht-
                                                                                                         Antennen“ und einem Reaktionszentrum gelingt
                                                                                                         es Pflanzen und einigen Bakterienarten, die Ener-
                                                                                                         gie des Sonnenlichts, dem sie in der Natur aus-
                                                                                                         gesetzt sind, in chemische Energie zu verwandeln.
                                                                                                         Gegenstand aktueller Forschung ist die Frage, ob
                                                                                                         die Prozesse der Sammlung und Verwertung von
                                                                                                         Licht, wie sie in Pflanzen und Bakterien ablaufen,
                                                                                                         als Blaupause für neue Formen der Energiegewin-
                                                                                                         nung dienen können.
        In einer gemeinsamen Initiative, dem Graduiertenkolleg 1640, arbeiten seit Oktober 2010 zahl-
        reiche Bayreuther Forschungsgruppen aus der Bioinformatik, der Chemie und der Physik zum
                                                                                                         Experimentell kann man solche Vorgänge mit den
        Thema „Photophysik synthetischer und biologischer multichromophorer Systeme“. Als Chro-
                                                                                                         verschiedensten Methoden der Laserspektrosko-
        mophore bezeichnet man Moleküle, die in Wechselwirkung mit Licht treten können – also ge-
                                                                                                         pie untersuchen. Dazu muss man wissen, dass die
        nau solche Moleküle, wie sie für die Entwicklung von Solarzellen der nächsten Generation rele-
                                                                                                         oben beschriebenen Energie- und Ladungstrans-
        vant sind. Der Weg hin zur Entwicklung von Solarmodulen aus organischen Materialien ist noch
                                                                                                         ferprozesse auf einer ultraschnellen Zeitskala von
        sehr weit. Es bedarf der interdisziplinären Grundlagenforschung, wie sie in Bayreuth betrieben
                                                                                                         einigen Pikosekunden ablaufen. Daher kommen
        wird, um das komplexe Zusammenspiel der zugrunde liegenden Prozesse zu entschlüsseln.
                                                                                                         hier spezielle Laser zum Einsatz, die ultrakurze Im-
                                                                                                         pulse aussenden können. Eine Pikosekunde ist eine
        Diese Initiative wurde bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 3,1 Mio.
                                                                                                         Billionstel Sekunde (10-12 s). In dieser Zeit legt ein
        Euro gefördert. Eingebettet in die hervorragende Forschungsinfrastruktur an der Universität
                                                                                                         Lichtstrahl eine Strecke von nur 0,3 mm zurück.
        Bayreuth, bietet sie derzeit 25 jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein interdis-
                                                                                                         Zum Vergleich: Vom Mond bis zur Erde benötigt
        ziplinäres Ausbildungsprogramm und vermittelt Schlüsselqualifikationen jenseits des natur-
                                                                                                         ein Lichtstrahl nur unwesentlich länger als eine Se-
        wissenschaftlichen Fachwissens. Bislang sind rund 70 Publikationen in renommierten, interna-
                                                                                                         kunde.
        tional begutachteten Fachzeitschriften daraus hervorgegangen.

        •   www.multichromophores.uni-bayreuth.de

            Abb. 3: Laserspektroskopie in einem
            Physiklabor der Universität Bayreuth.

   12                                                                                                                                        Ausgabe 2   .   2014
Forschung & Technik I

Interdisziplinäre Zusammenarbeit
in der Forschung zur Solarenergie
                                                             Neue Einsichten in den Energietransport
An der Universität Bayreuth werden aber nicht nur
biologische Systeme untersucht, um aus pflanzli-             Dr. Richard Hildner, der heute an der Universität Bayreuth forscht,
chen Lichtsammelprozessen neue Erkenntnisse für              hat während seiner Zeit als Postdoktorand am Institute for Photo-
den Bau organischer Solarzellen abzuleiten. Es               nic Sciences (ICFO) in Casteldefels (Spanien) überraschende Ent-
werden ebenso auch Lichtsammelprozesse in che-               deckungen gemacht:
misch synthetisierten Systemen erforscht und da-
raufhin getestet, ob man aus ihnen einfache und               	Wenn Lichtenergie ihren Weg durch die Antennenmoleküle bis
zugleich kostengünstige Solarzellen bauen kann.                 zum Reaktionszentrum nimmt, arbeiten die Farbstoffmolekü-
Dabei kann es sehr aufwändig sein, Moleküle mit                 le in einem gleichmäßigen Takt: ein Phänomen, das die Physik
den geforderten Eigenschaften im Labor herzustel-               als quantenmechanisch kohärenten Transport bezeichnet. Auf                      Dr. Richard Hildner ist
len und anschließend zu erproben. Eine alternative              diese Weise kann sich die Energie wie eine Welle ungehindert                    für seine herausra-
                                                                durch ein Antennenprotein bewegen.                                       genden Forschungsarbeiten
Vorgehensweise besteht darin, gewisse Eigenschaf-                                                                                        mit dem Wissenschaftspreis
ten von Molekülgruppen theoretisch – sozusagen                	Die Lichtenergie durchläuft keineswegs immer die gleichen                2014 des Universitätsver-
am Reißbrett – zu untersuchen und dann gezielt                  Ketten von Farbstoffmolekülen auf ihrem Weg durch die An-                eins Bayreuth ausgezeich-
                                                                tennenproteine. Die Transportwege ändern sich ständig.                   net worden. 2013 erhielt
Voraussagen über deren Eignung zu treffen.                                                                                               er den Sturge Prize, eine
                                                                                                                                         bedeutende Auszeichnung
Daher berühren sich Forschungsarbeiten zum Light             Variabilität der Transportwege und Kohärenz – diese Kombination             für den wissenschaftlichen
                                                             ist für den Energietransport in Pflanzen und Bakterien charakte-            Nachwuchs auf dem Gebiet
Harvesting, das in Pflanzen und Bakterien abläuft,                                                                                       der Physik.
mit neuen Projekten in der Polymerwissenschaft,              ristisch.
die auf die Konzeption hocheffizienter Solarzel-
len abzielen.1 Insgesamt sind an der Universität             Wie sich bei diesen Forschungsarbeiten herausstellte, erfüllt
Bayreuth verschiedene Arbeitsgruppen aus der                 diese Kombination einen biologischen Zweck: Die Energie findet
Physik und der Chemie mit Lichtsammelprozessen               immer den jeweils günstigsten Pfad durch ein Antennenprotein.
befasst. Einige sind dabei eher in der Grundlagen-           Dies trägt wesentlich dazu bei, dass der Transport der Lichtenergie
forschung angesiedelt, andere interessieren sich             auch dann effizient verläuft, wenn sich bestimmte Voraussetzun-
stärker für konkrete technische Anwendungen. Das             gen ändern – sei es, dass die Temperatur schwankt; sei es, dass sich
gemeinsame Ziel ist es, möglichst genau zu verste-           die innere Struktur der Antennenproteine ändert.
hen, welche Vorgänge in Lichtsammelstrukturen
ablaufen und wie diese von den Eigenschaften der
                                                                                                                       1	Im folgenden Beitrag von Prof. Dr. Mukundan
verwendeten Moleküle abhängen.
                                                                                                                            Thelakkat werden einige dieser Forschungsar-
                                                                                                                            beiten an der Universität Bayreuth vorgestellt.

  Internationale Konferenzreihe: „Lichternte“ auf Kloster Banz
  Forschung auf dem Gebiet des Light Harvesting lebt von der
  Zusammenarbeit von Fachleuten aus unterschiedlichen Diszi-
  plinen, insbesondere der Biologie, Chemie und Physik, und vom
  wechselseitigen Austausch neuer Forschungsideen und -kon-
  zepte. Zu diesem Zweck veranstalten Wissenschaftlerinnen und
  Wissenschaftler, die an der Universität Bayreuth zu Fragen der
  Energiegewinnung aus Licht arbeiten, regelmäßig eine internati-
  onale Konferenz. Sie findet seit 2007 im Zweijahresrhythmus un-
  ter dem Leitthema „Light-Harvesting Processes (LHP)“ auf Kloster
  Banz statt. Mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissen-
  schaftler aus allen Kontinenten nehmen jedesmal daran teil.

  •   Termin für das nächste Treffen: 8. bis 12. März 2015
                                                                                                                          Kloster Banz bei Bad Staffelstein.
  •   Weitere Informationen: www.lhp-bayreuth.de                                                                          Foto: Simon Koopmann, CC-BY-SA-2.0-DE

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                                    13
Forschung & Technik I

      Mukundan Thelakkat

     Organische Solarzellen
     und Hybridsolarzellen
     Polymerforschung für die Umwandlung von Solarenergie

                                                            Organische Photovoltaikzellen auf bedruck-
                                                            ten Folien werden im Rahmen des europäi-
                                                      schen Projekts LARGECELLS im Freien getestet.

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W
                                                                                                                        Abb. 1: Auch im indischen Bangalore
                                                                                                                        wurden Module gedruckter organischer
            enn es um die effiziente und kosten-
                                                                                                                 Photovoltaikzellen getestet. Hier: Aufbau
            günstige Erzeugung von Solarstrom                                                                    eines Experiments.
geht, gibt es heute vielversprechende Alternativen
zu klassischen Siliziumzellen: Organische Solarzellen
aus Kunststoff und Hybridsolarzellen, die im groß-
flächigen Format mit so genannten „Roll to Roll“-
Druckverfahren (R2R) hergestellt werden können.
Unter Hybridsolarzellen versteht man die Verwen-
dung einer Kombination von anorganischen und
organischen Halbleitermaterialien. An diesen zu-
kunftsweisenden Technologien war und ist die Uni-
versität Bayreuth mit mehreren Projekten beteiligt.
                                                                                                                                                   Autor
LARGECELLS –
ein europäisch-indisches Projekt

Organische Photovoltaikzellen (OPV), die aus
Kunststoff bestehen, eignen sich ideal für die An-
wendung auf Textilien oder im Bauwesen, da sie
sehr leicht, flexibel und großflächig einsetzbar
sind. Damit diese OPV-Zellen wettbewerbsfähiger
werden, müssen sie eine noch höhere Energieef-            innovative Ideen, tragfähige neue Konzepte und
fizienz und Lebensdauer aufweisen. Zudem ist es           Forschungskooperationen, die von Synergie-Effek-
erforderlich, dass großflächige Module mittels op-        ten erheblich profitierten.
timierter „Roll to Roll“-Druckverfahren hergestellt
werden, um die Produktionskosten zu senken.               Um die Energieeffizienz der OPV-Zellen zu erhöhen,                     Prof. Dr. Mukundan Thelakkat
                                                          haben die an LARGECELLS beteiligten Wissenschaft-                      leitet die Arbeitsgruppe „An-
Diesen Herausforderungen stellt sich das Projekt          lerinnen und Wissenschaftler neue, für Solarzellen              gewandte Funktionspolymere“ am
                                                                                                                          Lehrstuhl Makromolekulare Chemie I
LARGECELLS, das im September 2010 an den Start            besonders geeignete polymere Funktionsmateriali-                (Leitung: Prof. Dr. Hans-Werner
ging. Im Rahmen des 7. Forschungsrahmenpro-               en hergestellt. Vor allem durch die Synthese licht-             Schmidt).
gramms der Europäischen Union wurde das ge-               absorbierender Donormaterialien ist es gelungen,
meinsame Projekt mit Indien über vier Jahre mit           eine höhere Effizienz in der Energieumwandlung zu
1,64 Mio. Euro gefördert. An dem von Prof. Dr.            erreichen. Der Wirkungsgrad der Solarzellen, d.h.
Mukundan Thelakkat geleiteten Konsortium der              das in Prozent dargestellte Verhältnis von erzeugter
EU waren zusammen mit der Universität Bayreuth            elektrischer Energie zur einfallenden Lichtenergie,
auch die TU Eindhoven (Niederlande), Dänemarks            konnte so bedeutend gesteigert werden.
Technische Universität (DTU) und die Ben-Gurion
Universität (Israel) beteiligt. Das indische Konsor-      Insbesondere wurde im Rahmen von LARGECELLS                  Abb. 2: Mit organischen
tium hingegen wurde separat vom Department                                                                             Photovoltaikzellen
                                                          ein Polymer auf der Basis eines Diketopyrrolopyr-
                                                                                                                 bedruckte Folie.
of Science and Technology – einer Abteilung im            rols entwickelt. Es handelt sich hierbei um den
indischen Wissenschaftsministerium – gefördert.           Farbstoff, dem Ferraris ihre rote Farbe verdanken.
Insgesamt nahmen fünf hochkarätige wissenschaft-          Im Labor konnte damit ein Wirkungsgrad von 7,4
liche Institutionen aus Indien teil, die bei der Erfor-   Prozent erzielt werden. Durch die Realisierung von
schung neuer Materialien für Solarzellen und bei          übergeordneten Solarzellen, die zwei oder mehr
deren Erprobung im Freien sehr eng mit ihren EU-          Solarzellen aus verschiedenen Materialien enthal-
Partnern kooperierten. Darüber hinaus entwickelte         ten, ließ sich der Wirkungsgrad auf 8,9 Prozent
sich ein lebhafter Austausch sowohl von Wissen-           (bei Tandem-Zellen) bzw. auf 9,6 Prozent (bei
schaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch auf          Triple-Zellen) steigern. Außerdem erreichte das
der Ebene der Studierenden. Einige Studierende            Projekt einen Wirkungsgrad von rund 4 Prozent
aus Indien bzw. der EU haben Forschungsaufent-            bei R2R-gedruckten großflächigen flexiblen Solar-
halte von bis zu drei Monaten an den jeweiligen           zellen, die ohne das relativ teure Indiumzinnoxid
Partnerinstitutionen absolviert. So entstanden            (indium tin oxide, ITO) auskommen.

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Forschung & Technik I

                                                  Die Steigerung der Energieeffizienz war aber nur        satz der Nanotechnologie. Gemeinsam wollen sie
                                                  ein Aspekt von LARGECELLS. Die Forschungsarbei-         umweltschonende Anwendungen entwickeln, und
                                                  ten zielten zugleich darauf ab, die Lebensdauer der     zwar in den drei Schwerpunkten „Organische Pho-
                                                  Solarmodule zu erhöhen. Um die Langzeitstabili-         tovoltaik“, „Energiespeicher“ und „Thermoelektrizi-
                                                  tät der neuen OPV-Zellen zu testen, wurden diese        tät“. Im Rahmen dieses Projektverbunds, den der
                                                  Module verschiedenen Testszenarien unterzogen           Freistaat Bayern mit knapp drei Millionen Euro
                                                  – nicht nur im Labor, sondern auch im Freien, wo        finanziert, starteten zehn Einzelprojekte im Jahr
                                                  zu Testzwecken eine künstliche beschleunigte Alte-      2013.
                                                  rung der OPV-Zellen herbeigeführt wurde. Insge-
                                                  samt wurden die neuen OPV-Solarmodule 9.000             Eines dieser Projekte ist an der Universität Bay-
                                                  Stunden lang in Outdoor-Anlagen getestet. Die Er-       reuth angesiedelt.1 Es zielt darauf ab, die Ver-
                                                  gebnisse dieser Tests werden die weitere Entwick-       träglichkeit von Komponenten für die organische
                                                  lung optimierter Trägermaterialien unterstützen.        Photovoltaik zu verbessern. Es befasst sich insbe-
                                                                                                          sondere mit leicht verfügbaren und unbedenkli-
                                                                                                          chen Stoffen, die es ermöglichen, auf den großflä-
                                                  UMWELTnanoTECH –                                        chigen Einsatz ressourcen- und energieintensiver
                                                  ein Bayerischer Projektverbund                          Materialien zu verzichten. Zu diesem Zweck sollen
          Abb. 3: Chemische Synthese und Reini-                                                           Nanostrukturen in organischen Solarzellen und
          gung von Materialien in einem Labor     Unter dem Dach des Bayerischen Projektverbunds          Hybridsolarzellen kontrolliert und damit deren
    der Universität Bayreuth.
                                                  „Umweltverträgliche Anwendungen der Nano-               Wirkungsgrad und Langzeitstabilität erhöht wer-
                                                  technologie“ (UMWELTnanoTECH) – arbeiten                den. Von besonderem Interesse ist dabei die um-
                                                  Hochschulen und Forschungsinstitute bayernweit          weltverträgliche Verarbeitung aus nicht-chlorier-
                                                  an Projekten zum verantwortungsbewussten Ein-           ten Lösungsmitteln.

    Blick ins Innere einer organischen Solarzelle                                                       Exzitone haben eine äußerst kurze Lebensdauer.
                                                                                                        Deshalb wäre es vorteilhaft, wenn sie bis zur D-A-
    Im Gegensatz zu anorganischen Halbleitern wer-                                                      Grenzfläche einen möglichst kurzen Weg zurückle-
    den in organischen Halbleitermaterialien unter                                                      gen müssen. Der Weg ist umso kürzer, je dünner die
    Beleuchtung keine freien Ladungsträger erzeugt,                                                     Absorptionsschicht der Solarzelle ist. Doch damit die
    sondern Elektronen-Loch-Paare. Ein solches Paar                                                     Solarzelle viel Lichtenergie absorbieren kann, muss die
    besteht aus einem Elektron, das sich aufgrund                                                       Absorptionsschicht umgekehrt möglichst dick sein.
    der Absorption von Energie in einem angeregten                                                      Um dieses Dilemma zu lösen, wurden neuartige Solar-
    Zustand befindet, und einer Elektronenfehlstelle                                                    zellen entwickelt, die auf der Nanostrukturierung der
    (Loch). Die Elektronen-Loch-Paare – sie werden in                                                   D-A-Absorptionsschicht beruhen: die Multischicht-
    der Forschung als Exzitonen bezeichnet – müssen                                                     solarzelle und die Polymerblendsolarzelle: Letzere er-
    getrennt und ihre Bestandteile zu den Elektroden                                                    hält man durch die Mischung des Donormaterials (D)
    der Solarzellen abtransportiert werden. Nur dann                                                    und des Akzeptormaterials (A). Um die Polymerblend-
    können organische Solarzellen effizient arbeiten.                                                   solarzelle optimal weiterzuentwickeln, müssen stabile
                                                                                                        Nanostrukturen – wie z.B. in einem D-A-Blockcopoly-
    Damit die Exzitonen getrennt werden, müssen sie                                                     mer (Abb. 4) – vertikal ausgerichtet werden.
    innerhalb der Solarzelle auf eine Grenzfläche tref-
    fen, die aus zwei Materialkomponenten besteht:                                                         Alle diese Solarzellentypen können im großflächigen
    einem elektronenreichen Donormaterial (D) und                Abb 4: Verschiedene Architekturen der     Format mittels „Roll to Roll“-Druckverfahren herge-
    einem elektronenarmen Akzeptormaterial (A). In               photoaktiven Schicht dienen der Erzeugung stellt werden. Die Arbeitsgruppe „Angewandte Funk-
                                                          von D-A-Grenzflächen für die Ladungstrennung.
    der Regel wird ein langkettiges Halbleiterpolymer                                                      tionspolymere“ an der Universität Bayreuth widmet
    als Donor und ein Fulleren-Derivat als Akzeptor ver-                                                   sich unterschiedlichen Aspekten dieser zukunftswei-
    wendet. Aber das Fulleren-Derivat kann auch beliebig mit anorganischen            senden Technologie. Dabei werden neue Materialien synthetisiert, völlig
    Halbleitermaterialien ersetzt werden; in diesem Fall spricht man von einer        neue Konzepte zu Donor-Akzeptor-Solarzellen entwickelt und die Nano-
    Hybridsolarzelle.                                                                 strukturbildung und -stabilisierung in diesen Systemen erforscht.

   16                                                                                                                                          Ausgabe 2   .   2014
Forschung & Technik I

                                                                                                                      Abb. 5: Schematischer Aufbau einer
                                                                                                                      Hybrid-Perowskitsolarzelle (links) und
                                                                                                               Querschnitt einer solchen Solarzelle in einer
                                                                                                               rasterelektronenmikroskopischen Aufnahme
                                                                                                               (rechts).

SolTech –                                               Ein Highlight aus diesem Keylab ist die rasante
ein Verbund bayerischer Universitäten                   Entwicklung von hocheffizienten Hybrid-Perows-
                                                        kitsolarzellen. In der Regel besteht eine Perowskit-
Im Projekt „Solar Technologies go Hybrid“ (Sol-         Solarzelle aus einem bleihaltigen anorganischen
Tech), das 2012 an den Start ging, kooperieren fünf     Halbleitersalz (Perowskit: CH3NH3PbI3) und ei-
bayerische Universitäten: die Universität Bayreuth,     nem organischen Lochleiter (Spiro-OMeTAD)
die FAU Erlangen-Nürnberg, die LMU München,             im Schichtaufbau (Abb. 4). Auf diesem Gebiet
die TU München und die Universität Würzburg. Ge-        wurden in den letzten zwei Jahren bedeutsame
meinsam und interdisziplinär wollen sie die Grund-      Fortschritte bezüglich der Effizienz erzielt. Der
lagenforschung auf dem Gebiet der Umwandlung            Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mukundan Thelak-
von Solaranergie in elektrischen Strom oder in          kat gelang es im Jahr 2014, einen Wirkungsgrad
transportable und lagerbare Brennstoffe vorantrei-      von rund 15 Prozent zu erreichen. Ein wichtiges
ben. Mit diesem Ziel haben sich die Projektpartner      Ziel der Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet ist
in fünf „Key Labs“ organisiert, die auf die Expertise   es zudem, das toxische Element Blei durch nicht-
der einzelnen Universitäten spezialisiert sind:         toxische Substanzen zu ersetzen und die Lebens-
                                                        dauer der neuen Hybrid-Perowskitsolarzellen zu
   	Bayreuth: Makromolekulare Materialien              erhöhen. Anknüpfend an die vielversprechenden
   	Erlangen: Kohlenstoffreiche Hybride                Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet, startete
   	LMU München: Anorganische und hybride              2014 ein vom Bundesministerium für Bildung und
     Nanosysteme                                        Forschung (BMBF) gefördertes Forschungsprojekt,
   	TU München: Hybridsysteme mit Nanomate-            das sich mit technologierelevanten Fragen in
     rialien                                            Bezug auf Hybrid-Perowskitsolarzellen befassen
   	Würzburg: Supramolekulare Materialien für          wird. Eine Forschungsgruppe an der Universität
     Photovoltaik und Photokatalyse                     Bayreuth 3 ist in dieses – vom Fraunhofer-Institut
                                                        für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg koordi-
Die Forschung des am Bayreuther Institut für Ma-        nierte – Vorhaben eingebunden.
kromolekülforschung (BIMF) angesiedelten Key
Labs „Makromolekulare Materialien“ umfasst:
                                                        Weitere Projekte
 1)	das Design und die Synthese von Funktions-
     materialien/Polymeren                              Zusätzlich zu den genannten Solarzell-Forschungs-
 2)	grundlegende physikalische Untersuchungen          vorhaben arbeiten mehrere Arbeitsgruppen aus
                                                                                                                                                    Linktipps
     zur Photophysik sowie zum Energie- und La-         der Chemie und der Physik an der Universität
     dungstransport                                     Bayreuth in grundlagenorientierten Verbundpro-          •      www.largecells.eu
 3)	die theoretische Behandlung dieser Prozesse        jekten. So ist das Graduiertenkolleg 1640 „Pho-         •      www.soltech-go-hybrid.de
     in Modellen und realen Systemen                    tophysik synthetischer und biologischer multi-
 4)	die Herstellung von Bauelementen und deren         chromophorer Systeme“ auf die Photophysik von
     Charakterisierung                                  Ladungstransfer und -transport in unterschiedli-
                                                        chen Materialien spezialisiert. Die plasmonische
                                                                                                               1	Die Leitung liegt bei Prof. Dr. Mukundan Thelakkat.
Am Bayreuther Keylab sind sechs Arbeitsgruppen          Lichteinkopplung in Hybridsolarzellen ist wie-
                                                                                                               2	Diese Arbeitsgruppen werden geleitet von Prof. Dr.
der Universität Bayreuth beteiligt.2 Zusätzlich wur-    derum eine wichtige Frage des DFG-Sonderfor-              Anna Köhler, Prof. Dr. Jürgen Köhler, Prof. Dr. Stefan
de hier eine Juniorprofessur (Prof. Dr. Sven Hütt-      schungsbereichs 840 „Von partikulären Nanosys-            Kümmel, Prof. Dr. Hans-Werner Schmidt, Prof. Dr.
                                                        temen zur Mesotechnologie“ auf dem Gebiet der             Peter Strohriegl und Prof. Dr. Mukundan Thelakkat.
ner) im Rahmen des Verbundprojekts SolTech neu
                                                                                                               3	Auch dieses Projekt wird von Prof. Dr. Mukundan
eingerichtet.                                           Solarenergieforschung.                                    Thelakkat geleitet.

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                                                  17
Forschung & Technik I
                           Stefan Peiffer

                        Fracking –
                        vorwärts
                        mit Mut
                        zum Risiko ?

                        Eine Abwägung aus umwelt-
                        wissenschaftlicher Sicht

                               Fracking im Kern County in Kalifornien: Mit einer
                               Tiefpumpe wird das Erdöl, wenn der natürliche
                        Lagerstättendruck nicht ausreicht, zutage gefördert
                        (Foto: Christopher Halloran / Shutterstock.com).
„F
                                                      das notorische Beschwichtigen seitens interessierter
       racking“, ein Begriff mit hohem emotiona-      Kreise auf den Plan, wonach die Einwände schon
       len Inhalt, vergleichbar mit Hochspannungs-    bekannt und das Fracking mittlerweile eine bereits
Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) oder Atomkraft,         eingespielte Technik sei, die sich aus Sicht des Um-
der in der Bevölkerung in höchstem Maße Unruhe        weltschutzes gut beherrschen lasse.
erzeugt. Im Raum Bayreuth hat dieses Schlagwort
noch dazu eine regionale Komponente, seit eine        Doch auch wenn tatsächliche oder potenzielle öko-
britische Firma beim Bayerischen Wirtschaftsmi-       logische Folgen im einzelnen hochumstritten sind,      „Fracking beinhaltet
nisterium den Antrag gestellt hat, den Untergrund     gibt es jedoch keinen Zweifel: Fracking beinhaltet
der nördlichen Oberpfalz im Hinblick auf die Ge-      eine Vielzahl von Umweltrisiken, die Experten aus
                                                                                                                 eine Vielzahl von
winnung von Öl und Gas zu erkunden. Da eine           den USA in einem hervorragenden Überblicksauf-              Umweltrisiken.“
herkömmliche Förderung im Raum Weiden nicht           satz 2 ausführlich zusammengefasst haben. Daher
möglich ist, liegt der Schluss nahe, dass es sich     soll es im folgenden darum gehen, das Fracking
um eine Exploration in Bezug auf eine sogenann-       aus der Sicht eines „Umweltnaturwissenschaftlers
te unkonventionelle Nutzung von Schiefergas und       mit hydrologischer Brille“ kritisch zu erörtern.
Erdöl handelt. Diese Nutzung wird in der Regel
durch ein hydraulisches Aufbrechen des gas- und
ölführenden Gesteins ermöglicht – also durch das      Einpressen von Chemikalien
hydraulic fracturing oder kurz fracking.              in tiefe Gesteinsschichten

                                                      Bei der sogenannten unkonventionellen Gas- und
Eine boomende Technologie                             Ölförderung durch Fracking werden spezielle Flüs-
mit ökologischen Risiken                              sigkeiten (Fracfluide) entlang von zementierten
                                                      Bohrlöchern in die Lagerstätten gepumpt. Sie ent-
Über den technischen Ablauf des Frackings kann        halten Stützmittel und/oder chemische Zusätze,
man sich mittlerweile im Internet einen vorzügli-     die benötigt werden, um den Untergrund „auf-
chen Überblick verschaffen.1 Die Technologie wird     zubrechen“ und die entstandenen Risse zu stabi-
seit Ende der 1940er Jahre, auch in Deutschland,      lisieren.3 Aus dem aufgebrochenen Gestein kann
in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt:       darin eingepresstes Gas entweichen und gefördert
                                                      werden. Die Lagerstätten befinden sich in Europa
   	bei der Erschließung tiefer Grundwasserleiter    bzw. in Deutschland in einer Tiefe zwischen 3.000
     für die Wassergewinnung                          und 4.000 Metern. In den USA hingegen liegen
   	bei der Verbesserung des Wärmetransports         sie sehr viel näher an der Oberfläche und daher
     bei der tiefen Geothermie                        in unmittelbarer Nähe von Grundwasserleitern, die
     vor allem bei der Erdöl- und Erdgasförderung     in einer Tiefe zwischen 500 und 600 Metern ver-
                                                      laufen und für die Trinkwassernutzung bedeutsam
                                                                                                                                        Autor
Und dennoch scheiden sich die Geister, wenn es        sind. Nach Beenden des Fracking-Vorgangs fließt
um dieses Thema geht. Warum ist das so?               das unter Druck stehende Öl-Wasser-Gas-Gemisch
                                                      als sogenannter „Flowback“ wieder zurück.
Die öffentliche Diskussion hat zunächst einmal mit
dem Boom zu tun, den die Fracking-Technik in den
letzten Jahren insbesondere in den USA, aber auch     Undichte Bohrlöcher
in anderen Ländern ausgelöst hat. Dieser Boom hat
die USA nach 40 Jahren wieder zum Ölexporteur         3.000 bis 4.000 Meter tief unter dem Erdboden:
gemacht und lässt die Energiepreise in den USA        Eine solche Entfernung klingt beruhigend, und in
deutlich sinken. Naturgemäß entsteht daraus ein       der Tat scheint es unwahrscheinlich, dass Verun-
großes Interesse, diese Technik auch in Deutschland   reinigungen in dieser Tiefe (häufig handelt es sich
zur Anwendung zu bringen. Denn es sind auch hier      um salziges tiefes Grundwasser) eine nennenswerte
Lagerstätten von Erdöl und Schiefergas vorhan-        Rolle spielen. Doch die Musik spielt natürlich in
                                                                                                                   Prof. Dr. Stefan Peiffer ist
den, die mit der Fracking-Technologie ausgebeutet     den kilometerlangen Bohrlöchern und Transport-
                                                                                                                   Inhaber des Lehrstuhls für
werden könnten. Der katastrophale Umgang mit          wegen, die von der Erdoberfläche nach unten und        Hydrologie und Geschäftsführender
dieser Technik in den USA, was Umweltschäden          wieder zurück nach oben führen. Welche Umwelt-         Direktor des Bayreuther Zentrums
                                                                                                             für Ökologie und Umweltforschung
betrifft, lässt jedoch die Bevölkerung entsprechend   risiken bestehen hier? Infolge von Fracking wurden
                                                                                                             (BayCEER) an der Universität Bayreuth.
argwöhnisch darauf blicken. Dies wiederum ruft        in einigen Fällen Verunreinigungen des Trinkwas-

Ausgabe 2   .   2014                                                                                                                            19
Forschung & Technik I

         Abb. 1: Fracking in der Bakken Formation   sers mit Kohlenwasserstoffen beobachtet. Diese
         in North Dakota/USA (Foto: Joshua
    Doubek, CC-BY-SA-3.0).
                                                    Kontaminationen sind offenbar meist auf undichte
                                                    Bohrlöcher zurückzuführen. Eine kürzlich erschiene-
                                                    ne Studie in den USA vermutet, dass in der Regel
                                                    nicht das Aufsprengen des Gesteins in der Tiefe für
                                                    Verschmutzungen des Grund- und Trinkwassers
                                                    verantwortlich sei, die in der Tat in Zusammenhang
                                                    mit Fracking aufgetreten sind. Vielmehr seien die
                                                    Kontaminationen durch Undichtigkeiten entlang
                                                    von Bohrlöchern 4,5 entstanden, die durch Grund-
                                                    wasserschichten hindurchstoßen, die für die Trink-
                                                    wassergewinnung genutzt werden. Von daher liegt
                                                    die Argumentation nahe, dass Umweltrisiken eine
                                                    Frage der Technik und minimierbar seien, wenn
                                                    man nur einen entsprechenden Ausbaustandard
                                                    verwendet. Doch es gibt auch weitere Bedenken.

                                                                                                          von 120 Litern in Deutschland entspricht diese
     „Wollen wir ein (noch) unbekanntes Restrisiko tragen, um                                             Wassermenge in etwa dem täglichen Wasserver-
      eine Technologie zu fördern, die fossile Rohstoffe produ-                                           brauch der Stadt Bayreuth. Die Bereitstellung einer
                                                                                                          derart hohen Wassermenge hat nicht unerhebliche
       ziert, bei deren Verbrennung Treibhausgase entstehen?“                                             Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Dies ist
                                                                                                          insbesondere in trockenen Gebieten des mittleren
                                                                                                          Westens der USA ein Problem, kann aber auch in
                                                    Hoher Wasserverbrauch,                                trockenen Gebieten Deutschlands Konsequenzen
                                                    starke Verunreinigungen                               haben. In den USA wird das Wasser häufig in Tank-
                                                                                                          wagen angeliefert, mit entsprechenden Risiken
                                                    Insgesamt werden pro Fracking-Vorgang rund            von Unfällen und Ölverschmutzungen in Böden
                                                    10.000 m3 Wasser verbraucht. Bei einem durch-         und Oberflächengewässern.
                                                    schnittlichen Wasserverbrauch pro Kopf und Tag
                                                                                                          Die verschiedenen Chemikalien (u. a. Biozide, Ten-
                                                                                                          side, Gele und Säuren), die in den für das Fracking
                                                                                                          verwendeten Flüssigkeiten enthalten sind, haben
                                                                                                          darin einen Gesamtanteil von 0,5 bis 2 Volumen-
                                                                                                          prozent. Es fallen daher als Flowback erhebliche
                                                                                                          Wassermengen an (4.000 bis 5.000 m3 pro Boh-
                                                                                                          rung), die verunreinigt sind. Zu dieser Verschmut-
                                                                                                          zung tragen auch Inhaltsstoffe des tiefen Grund-
                                                                                                          wassers bei, wie etwa Salz, aber auch Erdöl und
                                                                                                          Kohlenwasserstoffe. Bevor das Wasser entweder
                                                                                                          endgültig entsorgt oder für den Frackingprozess
                                                                                                          wiederverwendet wird, muss es behandelt und
                                                                                                          aufbereitet werden. In den USA lagert man das
                                                                                                          kontaminierte Wasser in großen Becken, was je-
                                                                                                          doch in Deutschland rechtlich nicht möglich ist.

                                                                                                          Insgesamt handelt es sich bei einer Fracking-Boh-
                                                                                                          rung um einen mittelgroßen Industriekomplex,
                                                                                                          der im Hinblick auf Technik und Verkehr von einer
                                                                                                          leistungsstarken Infrastruktur abhängt. Diese wie-
           Abb. 2: Prinzip der
                                                                                                          derum zieht das Risiko einer Kontamination von
           Erdgasgewinnung
    durch Fracking (Grafik:                                                                               Böden und Oberflächenwasser sowie einen nicht
    Bilderzwerg / fotolia.com).                                                                           unerheblichen Landverbrauch nach sich.

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