POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung

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POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE
STUDIEN 476
Orientierung durch Information und Dialog

                                 68. Jahrgang | November-Dezember 2017 | ISSN 0032-3462

/// IM FOKUS

DEMOKRATIE ERFORDERT
POLITISCHE BILDUNG
Mit Beiträgen von
Heinrich Oberreuter | Klaus Schroeder

/// HANNS W. MAULL Politische-Studien-Zeitgespräch: Wie steht es um die Internationale Ordnung?
/// ECKHARD JESSE AfD und Die Linke – wieviel Populismus steckt in ihnen?
/// SIEGFRIED BALLEIS Kommunale Wege deutscher Entwicklungspolitik

                                                                                  www.hss.de
POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
„           Es braucht eine CHRISTLICH-SOZIALE
                                   Digitalstrategie!
                                                                                       EDITORIAL

                        DIE DIGITALE REVOLUTION –
                        GESTALTUNGSANSPRUCH
                        STATT AKTIONISMUS!
„Konservativ heißt nicht, nach hinten blicken, konservativ heißt, an der Spitze des
Fortschritts marschieren“ (Franz Josef Strauß). Schwerer tun sich andere vermeint-
lich Konservative damals wie heute mit der „disruptiven Modernisierung“: Kaiser
Wilhelm II. dachte, dem Pferd gehöre damals wie heute die Zukunft der Mobilität.
US-Präsident Donald J. Trump hadert mit der digitalen Revolution: „Das hört sich
böse an. Digital. Was soll das sein? Das ist sehr kompliziert, dafür muss man Albert
Einstein sein […] digital ist schlecht.“
    Beide fühlen sich überfahren von der Modernisierung, beiden geht es um die
Bewahrung von Bewährtem. Beide fokussieren Gefahren, ohne die Ambivalenz der
Entwicklung zu berücksichtigen, und scheitern damit an einer Zukunftsvision, wo
der erlebte Wandel proaktiv gelenkt, zukunftsweisend kanalisiert und verantwor-
tungsvoll reglementiert werden kann.
    Wie die französische und industrielle vor ihr, erschüttert die digitale Revolution
ethische Konstanten, bestehende Gesellschaftsstrukturen und die wirtschaftliche
Basis in den Grundfesten – kurz: Sie revolutioniert heute erneut das Verhältnis des
Menschen zu seiner Wirklichkeit. Der Mensch wird durch Big Data immer durch-
sichtiger, die Technologie indes undurchschaubarer. Blockchain, künstliche Intelli-
genz, Internet der Dinge – das wird unsere allernächste Zukunft maßgeblich bestim-
men, ohne dass alle politischen Bestimmer genau wissen, was das überhaupt ist.
    Beruhigend wie notwendig ist, dass die Koalitionsverhandlungen die Digitalisie-
rung aktuell als Konsensthema für sich gefunden haben. Eine nachhaltige Gestal-
tung des digitalen Wandels kann sich jedoch weder mit effektheischender Etikettie-
rung mit „DIGITAL“ oder „4.0“ begnügen, noch auf die Gründung innovativer
Hubs beschränken. Noch lässt sich diese Gesellschafts-, Arbeits-, Wirtschafts-,
nicht zuletzt Bildungsrevolution auf Breitbandausbau reduzieren.
    Konservative dürfen eine menschendienliche Gestaltung der digitalen Revoluti-
on nicht anderen überlassen. Es braucht eine christlich-soziale Digitalstrategie!

         Maximilian Th. L. Rückert
         ist Referent für Digitalisierung, Politik und Medien der Akademie für
         Politik und Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stiftung, München.
                                                                476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   3
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                                             INHALT
                                     09
                                          IM FOKUS                                  POLITISCHE-STUDIEN-                         REZENSIONSESSAY
                                                                                               ZEITGESPRÄCH
                                          06	
                                             DEMOKRATIE ERFORDERT                                                               74		 ZWISCHEN RUSSLAND-
                                             POLITISCHE BILDUNG                     34		WIE STEHT ES UM DIE                          VERSTEHERN UND RUSSLAND-
                                             Historisches Wissen in Zeiten               INTERNATIONALE ORDNUNG?                      KRITIKERN
                                             des Wandels                                Nur Unordnung oder schon in Auflösung        Deutsch-russische Beziehungen
                                             PAULA BODENSTEINER                         HANNS W. MAULL                               MANFRED GROSS

                                          09	
                                             DEMOKRATIE UND DIKTATUR
                                             Was wissen deutsche Schüler darüber?   ANALYSEN                                    AKTUELLES BUCH
                                             KLAUS SCHROEDER
                                                                                    41 	AFD UND DIE LINKE – WIEVIEL            82		 SALAFISMUS UND CO …

20                                        20 O
                                              DER: WAS IM WANDEL BESTEHEN
                                             UND VOR DEM VERGESSEN BEWAHRT
                                                                                         POPULISMUS STECKT IN IHNEN?
                                                                                        Nach der Bundestagswahl 2017
                                                                                                                                     Radikaler Islam
                                                                                                                                     SUSANNE SCHRÖTER
                                             WERDEN MUSS                                ECKHARD JESSE
                                             Wer ist das Volk?
                                             HEINRICH OBERREUTER                    52 	KOMMUNALE WEGE DEUTSCHER               RUBRIKEN
                                                                                         ENTWICKLUNGSPOLITIK
                                                                                        Fluchtursachen bekämpfen und mehr       03   EDITORIAL
                                                                                        nachhaltige Entwicklung                 85   REZENSIONEN
                                                                                        SIEGFRIED BALLEIS                       90   JAHRESÜBERSICHT
                                                                                                                                94   ANKÜNDIGUNGEN
                                                                                    62 	DIE KATAR-KRISE UND IHRE               98   IMPRESSUM
                                                                                         FOLGEN
                                                                                        Der Golfregion droht Instabilität
                                                                                        MARTIN PABST

                                     34
4   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                            476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   5
POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

/// Historisches Wissen in Zeiten des Wandels

                                                                                                                                                                                                             Quelle: ..... Schwarwel - Picture Alliance
DEMOKRATIE ERFORDERT
POLITISCHE BILDUNG
PAULA BODENSTEINER /// Historische Kenntnisse sind unentbehrlich, um politische
Entscheidungen richtig einzuschätzen, diverse Staatsformen in ihren Auswirkungen
auf den Bürger und die wirtschaftliche Entwicklung zu beurteilen sowie Verführungs-
künste von Populisten zu entlarven. Studien offenbaren hier aber immer wieder
eklatante Lücken bei Schülern. Die Unkenntnis, was z. B. eine demokratische von
einer diktatorischen Staatsform unterscheidet, ist leider keine Ausnahme. Umso
verwunderlicher, da es in Deutschland sowohl durch die Schulpflicht als auch durch
sonstige vielfältige Angebote Mittel und Wege gibt, „Jedermann“ mit politischer
Bildung zu erreichen.
                                                                                                Die Parole „Wir sind das Volk“ für beliebige Protestbewegungen in Anspruch zu nehmen, spiegelt
                                                                                                nicht die Vielfalt an unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Haltungen wider, die ein
         Für die Hanns-Seidel-Stiftung als Politi-                                              pluralistisch demokratisches System ausmachen.
         sche Stiftung zählt historisch-politische
         Bildung in allen Facetten zur Kernaufga-      GESCHICHTE als Unterrichtsfach ist
         be. Dies war auch der Grund dafür, dass       für die staatsbürgerliche Bildung
         sie sich gemeinsam mit dem Deutschen          essenziell.                              tion von Menschen aus anderen Kultur-               Konzepte, wie die demokratisch-frei-
         Lehrerverband (DL), der Arbeitsge-                                                     kreisen.                                            heitliche Grundordnung angesichts von
         meinschaft bayerischer Lehrerverbände                                                      Gerade vor dem Hintergrund auf-                 politischen und religiösen Extremismen
         (ABL) und mit Unterstützung des Bun-                                                   kommender populistischer Tendenzen                  am besten an heutige und zukünftige
         des Freiheit der Wissenschaft der Veran-                                               muss ein breites Wissen über die Grund-             Schülergenerationen vermittelt werden
         staltung „Historische Bildung – in Zei-                                                lagen des politischen Systems in                    kann zu richten.
         ten des Wandels“ widmete.                       Das Fach „Geschichte“ ist für die      Deutschland gefördert werden. Auch                      Im Rahmen der Veranstaltung „His-
             Zumal es für den ehemaligen Präsi-      kulturelle als auch für die individu­  -   das Wissen über andere Religionen und               torische Bildung – in Zeiten des Wan-
         denten des deutschen Lehrerverbands,        elle Identitätsstiftung unerlässlich. Es   Kulturen ist für alle gesellschaftlichen            dels“ beleuchteten die Experten in ihren
         Josef Kraus, stets ein Anliegen war, auf    schafft die Fähigkeit, wichtige histori-   Gruppen von großer Bedeutung. Um die                Vorträgen unterschiedlichste Aspekte
         den um sich greifenden „historischen        sche Entwicklungen im Kontext ande-        Vermittlung des politisch-historischen              dieser Thematik. Eine Auswahl davon
         Analphabetismus“ hinzuweisen. Er            rer Fächer einzuordnen und ist damit       Wissens zu fördern, sollte auch in der              ist nachfolgend abgedruckt.
         setzte sich nachhaltig dafür ein, Ge-       ein unverzichtbares Element der staats-    Lehrerbildung größerer Wert auf Zeitge-                 Der Politikwissenschaftler Klaus
         schichte als Unterrichtsfach keinesfalls    bürgerlichen Bildung und zugleich not-     schichte gelegt werden. Gleichzeitig ist            Schroeder hat in den vergangenen Jah-
         zu vernachlässigen.                         wendige Voraussetzung für die Integra-     die Aufmerksamkeit auch auf Ideen und               ren in einer repräsentativen Befragung
6   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                          476/2017 // POLITISCHE STUDIEN      7
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IM FOKUS

         unter anderem den Kenntnisstand von         wesen verdiene allerdings auch Respekt
         Schülern in Zeitgeschichte untersucht.      und dürfe weder von der eigenen Bevöl-
         In seinem Beitrag stellt er seine For-      kerung noch von „Dazukommenden“
         schungen vor und weist insbesondere         desintegriert werden. Durch Integration
         darauf hin, dass gute Kenntnisse in der     werde sich die Bevölkerung verändern,
         zeitgeschichtlichen Materie direkt in Be-   aber das sei ein natürlicher Prozess, der
         ziehung zu der Fähigkeit zur Einschät-      schon immer stattgefunden habe.
         zung und Beurteilung der politischen            Die Beiträge der Experten zeigen die
         Systeme im Deutschland des 20. Jahr-        Vielschichtigkeit der Thematik und ver-
         hunderts stehen. Ohne ausreichendes         deutlichen zudem, wie wichtig die Ver-
         Wissen gibt es danach auch keine Kom-       mittlung einer zeitgeschichtlichen Ori-
         petenz, um ein demokratisches von ei-       entierung ist, um künftige gesellschaft-
         nem repressiven System unterscheiden        liche Entwicklungen verantwortungs-
         zu können. Zudem verdeutlicht der Au-       voll mitgestalten zu können und um
         tor die Notwendigkeit, demokratisches       unsere freiheitliche Demokratie zu er-
         Geschichtsbewusstsein bei jungen Men-       halten. ///
         schen zu wecken. Er nimmt dabei die
         Politik, die Bildungsinstitutionen und
         die Medien in die Pflicht.
              „Wer ist das Volk?“, fragt hingegen
         Heinrich Oberreuter. Die Parole „Wir
         sind das Volk“ für beliebige Protestbe-
         wegungen in Anspruch zu nehmen, sei
         unangemessen, denn in einem pluralis-
         tischen demokratischen System existie-
         re eine Vielfalt an unterschiedlichen po-      /// P
                                                             AULA BODENSTEINER
         litischen und gesellschaftlichen Haltun-       ist Referentin für Bildung, Hochschulen
         gen. Der Autor weist darauf hin, dass          und Kultur, Akademie für Politik und
         sich Demokratie und Liberalismus da-           Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stiftung.
         durch auszeichnen, dass Oppositions-           München.
         freiheit bestehe und auch die Freiheit,
         seine Meinung nicht nur zu denken,
         sondern auch auszusprechen. Jeder
         habe Anrecht auf Respekt. Das Gemein-

      Laut Schroeder muss bei den
      jungen Leuten das demokratische
      GESCHICHTSBEWUSSTSEIN geweckt
      werden.

8   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017
POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
/// Was wissen deutsche Schüler darüber?

DEMOKRATIE UND DIKTATUR
KLAUS SCHROEDER /// Anknüpfend an eine Befragung von Schülern zu ihren
Kenntnissen und Urteilen über die DDR, die große mediale Wellen schlug,1 führten
Wissenschaftler des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin
von 2010 bis 2012 Befragungen von über 7.000 Schülern in Baden-Württemberg,
Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu ihren Kenntnissen
und Urteilen zum Nationalsozialismus, zur DDR und zur Bundesrepublik vor und nach
der Wiedervereinigung durch.2 Die Ergebnisse bestätigten die Resultate der ersten
Studie und ergaben zudem, dass vielen Schülern die Trennlinien zwischen Demo-
kratie und Diktatur nicht geläufig sind.3

    Zeithistorische Kenntnisse und         Kenntnisse verfügt, kann die vier Syste-
    Urteile von Schülern                   me nicht angemessen einordnen und
Ein direkter Zusammenhang von              unterscheiden. Dieser Zusammenhang
Kenntnisgrad und Urteilen zeigt sich       wird statistisch eindrucksvoll bestätigt
durchgängig für alle Fragen zu den vier    durch die Ergebnisse der Regressions-
Systemen sowie zu deren Gleichwertig-      analyse. (Schaubild 1, S. 11) Erst se-
keit. Je höher das systemspezifische       kundär, nach den Kenntnissen, wirken
Wissen ausfällt, desto häufiger werden     die besuchte Schulart, das Geschlecht
Nationalsozialismus (NS) und DDR als
Diktaturen und die Bundesrepublik vor
und nach der Wiedervereinigung (WV)
als Demokratien eingestuft. Wer dage-
gen wenig weiß, kommt öfter zu ande-         Die Studie bestätigt den direkten
ren Systembewertungen und setzt alle         ZUSAMMENHANG von historischem
vier Systeme auf die gleiche Stufe. Wer      Wissen und Systembewertung.
nicht weiß, was eine Demokratie aus-
zeichnet oder eine Diktatur charakteri-
siert und über nur wenige historische
                                                              476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   9
POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
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Quelle: Agentur Voller Ernst - Picture Alliance

                                                                                                                                                            Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtli-
                                                            Diktatur oder Demokratie? Viele Schüler können erschreckenderweise die BRD der Nachkriegszeit   che Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 417.
                                                            nicht richtig zuordnen.

                                                            oder die Herkunft der Eltern auf die Ur-         45 % richtiger Antworten ebenfalls un-
                                                            teile der Schüler.                               terdurchschnittlich. Dieses Muster fin-
                                                                                                             det sich quer durch alle Schularten und
                                                                Kenntnisstand zu den einzelnen               Bundesländer (Schaubild 2).
                                                                Systemen                                         Neben der Aufschlüsselung nach
                                                            Der Kenntnisstand zu den einzelnen Sys-          Schulart und Wohnort wurde, erstmalig
                                                            temen differiert deutlich. Am meisten            in einer repräsentativen empirischen
                                                            wissen die Schüler über den Nationalso-          Untersuchung zu zeitgeschichtlichen
                                                            zialismus, am wenigsten über das wie-            Kenntnissen und Urteilen, auch die
                                                            dervereinigte Deutschland. Die Kennt-            Herkunft der Eltern in die Analyse mit
                                                            nisse über die (alte) Bundesrepu­blik und        einbezogen. Dabei stellt sich heraus,
                                                            die DDR sind im Vergleich zu denen               dass Jugendliche mit in der Bundesrepu-
                                                            über den Nationalsozialismus ebenfalls           blik geborenen Eltern mehr wissen als
                                                            auffällig geringer. Unerwartet schwach           ihre Altersgenossen mit in der DDR ge-
                                                            fallen sie über das wiedervereinigte             borenen Eltern. Besonders gering sind
                                                            Deutschland aus. Nur gut ein Drittel der         die Kenntnisstände bei Schülern mit
                                                            Wissensfragen können die Jugendlichen            DDR-Eltern, die im Westen zur Schule
                                                            richtig beantworten (Nationalsozialis-           gehen, während umgekehrt Schüler mit
                                                            mus: knapp 61 % richtige Antworten).             bundesrepublikanischen Eltern, die in          Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtli-
                                                            Das Wissen über die DDR ist mit knapp            den neuen Ländern zur Schule gehen,            che Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 319.

                                                  10   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                                                             476/2017 // POLITISCHE STUDIEN       11
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          mit Abstand an der Spitze der kenntnis-                                                  antworten können sollten. Keinen Zwei-      nisse für die Bundesrepublik vor und
          reichen Schüler stehen. Den geringsten                                                   fel kann es jedoch an der Notwendigkeit     nach der Wiedervereinigung: Nur gut
          Kenntnisstand haben sogenannte Mi­            Immigrations- und Binnenwan-               politisch-historischer Kenntnisse geben,    die Hälfte beziehungsweise lediglich
          grantenkinder, d. h. Jugendliche mit min-     derungseffekte VERSCHLECHTERN den          denn erst das Wissen um grundlegende        drei Viertel der befragten Schüler ant-
          destens einem ausländischen Elternteil.       Kenntnisstand.                             Fakten ermöglicht ein fundiertes Urteil.    worten, die alte bzw. die neue Bundesre-
              Das vergleichsweise schlechte Ab-                                                    Ohne ein Mindestmaß an Wissen blei-         publik sei durch demokratische Wahlen
          schneiden der westdeutschen Schul­                                                       ben Einschätzungen Vorurteile oder Be-      legitimiert (Schaubild 3).
          standorte resultiert insbesondere aus                                                    kenntnisformeln. Insofern besteht ein           Weitaus extremer fallen die Ergeb-
          den schlechten Ergebnissen der Migran-                                                   enger Zusammenhang zwischen dem             nisse der Fragen nach einem allgemei-
          tenkinder, die im Westen einen großen                                                    Kenntnisgrad und der Angemessenheit         nen Demokratie- bzw. Diktaturcharak-
          Teil der Schüler stellen, und den aus den   chen mit Schülern nach der quantitati-       der Urteile auf Basis der Werte der frei-   ter der vier Systeme aus. Keinen Zweifel
          neuen Ländern zugezogenen Schülern.         ven Befragung stellte sich heraus, dass      heitlich-demokratischen        Grundord-    am Diktaturcharakter des Nationalsozi-
          Werden Binnenwanderungs- und Immi-          die gewalttätige Dimension der 68er-         nung.                                       alismus hat lediglich gut jeder zweite
          grationseffekte außen vor gelassen, lie-    Studentenbewegung und der Linksterro-            Knapp jeder vierte Befragte hält den    Schüler, bezogen auf die DDR sogar nur
          gen Schüler aus Bayern bei den Kennt-       rismus überwiegend kein Thema im             Nationalsozialismus für durch demokra-      gut jeder dritte. Die anderen Jugendli-
          nisständen knapp vor Schülern aus Thü-      Schulunterricht sind. Die 68er werden        tische Wahlen legitimiert und etwa jeder    chen – knapp die Hälfte beim NS und
          ringen. Der durchschnittliche Anteil        von vielen Lehrern zumeist als Wegbe-        dritte attestiert der DDR eine demokrati-   knapp zwei Drittel bei der DDR – sind
          richtiger Antworten erhöht sich ohne die    reiter der „wirklichen Demokratie“ in        sche Legitimation. Dabei geht knapp je-     sich unsicher, wie sie diese beiden Syste-
          Immigrations- und Binnenwanderungs-         der Bundesrepublik charakterisiert.          der dritte Schüler mit DDR-Eltern, aber     me einordnen sollen, oder bewerten sie
          effekte in Bayern von 51,4 % auf 59,9 %         Die Frage nach dem Volksaufstand in      nur knapp jeder vierte mit BRD-Eltern       ausdrücklich nicht als Diktaturen. Die
          und in Nordrhein-Westfalen und Baden-       der DDR am 17. Juni 1953 beantwortet         davon aus, dass es im SED-Staat demo-       (alte) Bundesrepublik hält nur gut die
          Württemberg um 4 bis 5 Prozentpunkte.       nur gut jeder dritte Befragte richtig. Die   kratische Wahlen gab (Mi­grantenkinder:     Hälfte für eine Demokratie und selbst
          In Sachsen-Anhalt und Thüringen dage-       Mehrzahl der Schüler identifiziert mit       gut 40 %). Noch auffälliger, um nicht zu    das wiedervereinigte Deutschland wird
          gen ändert sich die Quote richtiger Ant-    diesem Datum entweder die internatio-        sagen, erschreckender, sind die Ergeb-      lediglich von gut 60 % ausdrücklich als
          worten nur unwesentlich.                    nale Anerkennung der DDR als Staat, ei-
              Die Wissensfragen haben einen un-       nen deutsch-sowjetischen Vertragsab-
          terschiedlichen Schwierigkeitsgrad. So      schluss oder eine Währungsreform in der
          wurde zum Beispiel bezogen auf den          DDR. Wer die Verantwortung für die so-

                                                                                                                                                                                           Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling,
                                                                                                                                                                                           Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von
          Nationalsozialismus gefragt, was un-        zialistische Diktatur trug, weiß nur eine
          mittelbar nach der Machtübernahme           Minderheit der befragten Schüler. Inso-
          der Nationalsozialisten abgeschafft         fern verwundert es nicht, dass jeder Fünf-
          wurde. Von den vier Antwortmöglich-         te die SED für einen Zusammenschluss
          keiten (Grundrechte, Reichsmark,            von KPD und NSDAP hält, und eine rela-
          Wehrpflicht und Reisefreiheit) entschei-    tive Mehrheit der Hauptschüler glaubt,
          den sich knapp 46 % der befragten           diese Partei sei aus SPD und NSDAP ge-
          Schüler für die richtige Antwort.           bildet worden. Viele Gymnasiasten dage-

                                                                                                                                                                                           Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 369.
              Bezogen auf die alte Bundesrepublik     gen verschmelzen SPD und PDS zur SED.
          fragten wir u. a. nach dem Begriff „Deut-       Knapp jeder fünfte Schüler weiß,
          scher Herbst“. Die Antwort, nämlich das     wodurch die rot-grüne Bundesregierung
          Vorgehen des Staates gegen den Links-       das deutsche Sozialsystem reformierte –
          terrorismus in der Bundesrepublik Ende      die Agenda 2010. Eine relative Mehrheit
          der 1970er-Jahre, kennt nur gut jeder       nennt als Reformprojekt den Solidari-
          Zehnte; für knapp jeden Zweiten steht       tätszuschlag.
          der Begriff für die letzten Wochen vor          Man mag sich streiten, welche Fra-
          dem Fall der Berliner Mauer. In Gesprä-     gen Jugendliche unbedingt richtig be-
12   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                476/2017 // POLITISCHE STUDIEN                                                                                13
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                                                    Eine nennenswerte Minderheit hält alle                                                                                        negatives Bild des Nationalsozialismus.         Die (alte) Bundesrepublik erzielt bei
                                                    vier Systeme gleichermaßen nicht für                                                                                          Überraschenderweise beurteilen Mi­          der Systembewertung ein überraschend
       Viele Jugendliche haben aufgrund             Rechtsstaaten, sieht eine gleiche Ge-                                                                                         grantenkinder, insbesondere die mit         schlechtes Ergebnis: Nur gut jeder dritte
       mangelnden Wissens Probleme, die             währleistung individueller Menschen-                                                                                          türkischen oder kurdischen Eltern, den      Befragte sieht sie durchgängig positiv.
       Trennlinien zwischen Demokratie              rechte und eine gleiche individuelle                                                                                          Nationalsozialismus deutlich besser als     Fast die Hälfte der Jugendlichen hat ein
       und Diktatur zu erkennen.                    Selbstbestimmung.5 (Schaubild 4)                                                                                              ihre Altersgenossen (knapp 13 % bzw.        neutrales Bild von dem zwischen 1949
                                                                                                                                                                                  knapp 16 % positive Urteile). Jugendli-     und 1990 existierenden Teilstaat. Ein
                                                        Bewertung der Ergebnisse                                                                                                  che mit Eltern aus dem Nahen Osten          negatives Bild von der Bundesrepublik
                                                    Die Systembewertungen der Schüler                                                                                             votieren sogar mit knapp 18 % positiv       vor der Wiedervereinigung haben gut
                                                    sind aber insgesamt und vergleichend                                                                                          über den Nationalsozialismus.               15 %. Kinder mit BRD-Eltern sehen die-
                                                    betrachtet zumindest für eine Mehrheit                                                                                             Ein durchgängig positives Urteil       ses System deutlich positiver als die mit
          Demokratie eingestuft.4                   eindeutig: Nationalsozialismus und                                                                                            über die DDR gibt gut jeder zehnte          DDR-Eltern. Einige Schüler kannten es
              Die Ergebnisse der Fragen, auf wel-   DDR schneiden deutlich negativer als                                                                                          Schüler ab und mehr als jeder vierte Ju-    überhaupt nicht, sondern glaubten, das
          chen Feldern die Systeme als gleichwer-   die Bundesrepublik vor und nach der                                                                                           gendliche sieht die sozialistische Dikta-   wiedervereinigte Deutschland sei direkt
          tig einzuschätzen sind, bestätigen die    Wiedervereinigung ab. Allerdings gibt                                                                                         tur neutral; knapp 63 % haben ein nega-     auf den Nationalsozialismus und die
          Annahme einer unzureichenden Fähig-       es starke Minderheiten unter den befrag-                                                                                      tives DDR-Bild. Allerdings macht sich       DDR gefolgt.
          keit zur Differenzierung zwischen De-     ten Jugendlichen, die, wenn nicht durch-                                                                                      hier der Einfluss von in der DDR gebore-        Das wiedervereinigte Deutschland
          mokratie und Diktatur bei überraschend    gängig gute, so doch einige gute Seiten                                                                                       nen Eltern stark bemerkbar. Von ihren       schneidet im Vergleich der Systembe-
          vielen Schülern. Knapp 40 % der Jugend-   an den beiden Diktaturen entdecken.                                                                                           Kindern beurteilen nur gut 50 % die         wertungen erwartungsgemäß eindeutig
          lichen (Migrationskinder: knapp 50 %)         Ein durchgängig positives Bild vom                                                                                        DDR negativ, etwa 35 % fällen ein neu­      am besten ab. Knapp zwei Drittel der
          können nicht durchgängig zwischen den     Nationalsozialismus hat knapp jeder                                                                                           trales und knapp 13 % ein positives Ur-     befragten Jugendlichen haben ein posi-
          charakteristischen Merkmalen und Di-      zehnte befragte Schüler und ein neutra-                                                                                       teil (Schüler mit BRD-Eltern: knapp 74 %    tives und nur sehr wenige ein durchgän-
          mensionen von demokratischen und          les Bild dieser Diktatur weist etwa jeder                                                                                     negativ, gut 21 % neutral und knapp 6 %     gig negatives Bild von dem Land, in dem
          diktatorischen Systemen differenzieren.   vierte auf. Etwa zwei Drittel haben ein                                                                                       positiv) (Schaubild 5).                     sie leben. Eine breite Mehrheit betrach-

                                                                                            Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling,

                                                                                                                                                                                                                                                                              Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling,
                                                                                            Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von

                                                                                                                                                                                                                                                                              Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von
                                                                                                                                                                                                                                                                              Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 354.
                                                                                            Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 372

14   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                                                                                              476/2017 // POLITISCHE STUDIEN                                        15
POLITISCHE STUDIEN 476 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

                                                       befragten Migrantenkinder. Sie wissen                                                                                           zwischen den Vorstellungen und Urtei-        eine Diktatur hält. Den Nationalsozia-
                                                       im Durchschnitt besonders wenig,                                                                                                len im Hinblick auf die beiden Bundes-       lismus klassifiziert knapp jeder vierte
       3. Reich und DDR schneiden NEGATIVER            dementsprechend können sie histori-                                                                                             republiken vor und nach der Wiederver-       Schüler nicht als Diktatur und ebenfalls
       als die Bundesrepublik vor und nach             sche Sachverhalte noch schlechter ein-                                                                                          einigung deutliche Differenzen. Demzu-       jeder vierte hält das wiedervereinigte
       der Wiedervereinigung ab.                       schätzen als ihre Mitschüler. Zusam-                                                                                            folge gibt es unter den Jugendlichen kein    Deutschland nicht für eine Demokratie.
                                                       menfassend bewerten sie den National-                                                                                           verbreitetes Bewusstsein für die große           Stärker noch als die vergleichsweise
                                                       sozialismus (gut 40 % positiv oder neu-                                                                                         politisch-institutionelle Kontinuität bei-   hohe Zustimmung für eine demokrati-
                                                       tral) und die DDR (46,5 % positiv oder                                                                                          der Systeme. Für Jugendliche handelt es      sche Legitimation der nationalsozialisti-
                                                       neutral) positiver als der Durchschnitt                                                                                         sich bei der Bundesrepublik vor und          schen und der sozialistischen Diktatur
                                                       und die (alte) Bundesrepublik und das                                                                                           nach der Wiedervereinigung offensicht-       überrascht der geringe Anteil der befrag-
          tet zweifelsohne das wiedervereinigte        wiedervereinigte Deutschland dagegen                                                                                            lich um zwei verschiedene (Lebens-)          ten Jugendlichen, die die alte Bundesre-
          Deutschland als „ihr“ Land. Allerdings       deutlich negativer als die anderen Schü-                                                                                        Welten. Die Unterschiede, die sie etwa       publik für durch demokratische Wahlen
          fällt das positive Urteil bei Schülern mit   ler. Migrantenkinder votieren selbstver-                                                                                        hinsichtlich der demokratischen Legiti-      legitimiert halten. Wenn Schüler zu die-
          BRD-Eltern deutlich höher aus als bei        ständlich ebenso wie einheimische                                                                                               mation von Regierungen oder der Ge-          sem Urteil gelangen, stellt sich die Frage,
          denen mit DDR-Eltern oder bei Migran-        nicht geschlossen, sondern geben ein                                                                                            währleistung von Meinungsfreiheit            was eigentlich im Geschichts- und /
          tenkindern (knapp 72 %; gut 57 %;            mitunter stark differenziertes Urteil ab.                                                                                       empfinden, lassen sich in der Realität       oder Sozialkundeunterricht vermittelt
          knapp 60 %); von nicht einmal der Hälf-      So lehnen z. B. nur gut 40 % der Kinder                                                                                         nicht wiederfinden. Insgesamt entsteht       wird (Schaubild 7, S. 18).
          te der Jugendlichen mit DDR-Eltern, die      türkischer oder kurdischer Eltern eine                                                                                          der Eindruck, dass die befragten Schü-
          im Westen zur Schule gehen, erhält das       Gleichwertigkeit der Systeme ab, aber                                                                                           ler in den vier Systemen nicht zwei De-          Fazit
          wiedervereinigte Deutschland eine posi-      fast 63 % der Jugendlichen mit Eltern                                                                                           mokratien und zwei Diktaturen erken-         Zeitgeschichtliche Urteile der Schüler
          tive Bewertung (Schaubild 6).                aus Mittel- und Osteuropa.                                                                                                      nen, sondern ein gutes und drei mehr         resultieren nicht nur aus dem Schulun-
              Der Zusammenhang von Kenntnis-                Die Systembewertungen der Jugend-                                                                                          oder weniger schlechte Systeme.              terricht, sondern sind in etwa gleichem
          sen und Urteilen zeigt sich auch bei den     lichen zeigen insbesondere zwei überra-                                                                                             Der zweite Befund bezieht sich auf       Maße Ausdruck privater, zumeist fami-
          Systemeinschätzungen der knapp 1.500         schende Ergebnisse: Erstens bestehen                                                                                            die Bewertungen des geteilten Deutsch-       liärer Gespräche über Zeitgeschichte.
                                                                                                                                                                                       lands. Die Differenz zwischen der DDR        Eltern und Großeltern erzählen über
                                                                                                                                                                                       und der alten Bundesrepublik fällt über-     das „gelebte Leben“ und beeinflussen
                                                                                                                                                                                       raschend gering aus. Die Gegensätzlich-      mehr oder weniger bewusst junge Men-
                                                                                                                                                                                       keit der beiden deutschen Teilstaaten        schen in ihrem Urteil. Bereits Friedrich
                                                                                               Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling,
                                                                                               Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von
                                                                                                                                                                                       auf nahezu allen politischen, wirtschaft-    Nietzsche erkannte jedoch, dass Men-
                                                                                                                                                                                       lichen und sozialen Feldern ist vielen       schen dazu neigen, vornehmlich das Po-
                                                                                                                                                                                       Schülern nicht geläufig. So überrascht       sitive der Vergangenheit zu erinnern
                                                                                                                                                                                       auch nicht, dass knapp jeder zweite die      und das Negative zu verdrängen: „Das
                                                                                               Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 331, 344, 354 und 365.

                                                                                                                                                                                       Bundesrepublik vor der Wiedervereini-        habe ich getan, sagt mein Gedächtnis.
                                                                                                                                                                                       gung nicht für eine Demokratie und           Das kann ich nicht getan haben, sagt
                                                                                                                                                                                       knapp jeder dritte die DDR nicht für         mein Stolz und bleibt unerbittlich. End-
                                                                                                                                                                                                                                    lich – gibt das Gedächtnis nach.“6 Inso-
                                                                                                                                                                                                                                    fern ist die Weichzeichnung diktatori-
                                                                                                                                                                                                                                    scher Verhältnisse eher die Regel als
                                                                                                                                                                                                                                    die Ausnahme.7 Wenn Jugendliche über
                                                                                                                                                                                     Das wiedervereinigte Deutschland               kein oder wenig eigenes historisches
                                                                                                                                                                                     schneidet im Vergleich der System-             Wissen verfügen, wirken die Gespräche
                                                                                                                                                                                     bewertungen AM BESTEN ab.                      in besonders prägender Weise. Bezogen
                                                                                                                                                                                                                                    auf die DDR wird ihre diktatorische Di-
                                                                                                                                                                                                                                    mension ausgeblendet und die soziale
                                                                                                                                                                                                                                    Alltäglichkeit in den Vordergrund ge-
16   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                                                                                                     476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   17
IM FOKUS

                                                                                                                                                        hen oder die „richtige Gesinnung“ zu        ner zivilen Gesellschaft, auf die wir zu
                                                                                                                                                        vermitteln.8                                Recht stolz sein können. ///
                                                                                                                                                            Demokratisches         Geschichtsbe-
                                                                                                                                                        wusstsein insbesondere bei jungen
                                                                                                                                                        Menschen zu wecken und auszubilden,
                                                                                                                                                        ist Aufgabe von Politik, Bildungsinstitu-
                                                                                                                                                        tionen und Medien. Kenntnisse und
                                                                                                                                                        Wissen um zeithistorische Zusammen-
                                                                                                                                                        hänge sind hierfür eine unbedingte Vor-
                                                                                                                                                        aussetzung, die zu vermitteln nicht nur
                                                                                                                                                        dem Schulunterricht, sondern auch der
                                                                                                                                                        Gedenkkultur obliegen. Hier spielen              /// P
                                                                                                                                                                                                              ROF. DR. KLAUS SCHROEDER
                                                                                                                                                        Narrative – mündlich und / oder schrift-         ist Leiter des Forschungsverbundes SED-
                                                                                                                                                        lich als Familienerzählung und durch             Staat der FU Berlin sowie der Arbeits-
                                                                                                                                                        Zeitzeugen – eine wichtige Rolle. Sie            stelle Politik und Technik des Otto-Suhr-
                                                                                                                                                        vermitteln und interpretieren die Erin-          Institutes.
                                                                                                                                                        nerung an die Vergangenheit und geben
                                                                                                                                                        auf lebendige Weise insbesondere jun-
                                                                                                                                                        gen Menschen Auskunft über die kol-         Anmerkungen
                                                                                                                                                                                                     1 Vgl. Deutz-Schroeder, Monika / Schroeder, Klaus:
                                                                                                                                                        lektiv geteilten Werte, Normen und Vor-         Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild
                                                                                                                                                        stellungen einer bestimmten Epoche.             von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, München /
          Quelle: Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika /Quasten, Rita /Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche                                                    Stamsried 2008.
          Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Frankfurt / Main 2012, S. 370.                                                                           Eine Gesellschaft sollte sich nicht      2 Vgl. Schroeder, Klaus / Deutz-Schroeder, Monika / Quas-

                                                                                                                                                        nur an negativen Erinnerungen9 abar-           ten, Rita / Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Dik-
                                                                                                                                                                                                       taturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von
          rückt. Dies bleibt nicht ohne Folgen für                              der Gesamtgesellschaft sein. Es bildet                                  beiten, sondern auch positive kollektive       Jugendlichen, Frankfurt/Main u. a. 2012.
                                                                                                                                                                                                     3 Ursprünglich sollte die Befragung in allen Bundes-
          das historische und aktuelle Selbstver-                               die Grundlage von Werten, Interessen,                                   Vergangenheitsbezüge schaffen. An de-           ländern erfolgen. Leider lehnten die meisten Län-
          ständnis einer Gesellschaft.                                          Erwartungen und Handlungen. Somit                                       nen mangelt es weiterhin im vereinten           der eine Teilnahme ab. Offenbar befürchteten sie,
              Um dem durch Nichtwissen gepräg-                                  ermöglicht Geschichtsbewusstsein die                                    Deutschland. „Befreiung“ bzw. „Frei-            mit ernüchternden Ergebnissen, mangelndem
                                                                                                                                                                                                        zeitgeschichtlichen Wissen und schrägen Urteilen
          ten Urteilen entgegenzuwirken, bedarf                                 Interpretation der Vergangenheit und                                    heit“ könnte ein derartiger positiver Be-       konfrontiert zu werden.
                                                                                                                                                                                                     4 S chroeder / Deutz-Schroeder / Quasten / Schulze
          es in der Gesellschaft eines Bewusstseins                             bietet gleichzeitig Gegenwarts- und Zu-                                 zugspunkt sein. Die unterschiedliche            Heuling: Später Sieg der Diktaturen?, S. 368 ff.
          für (gemeinsame) Vergangenheiten – ne-                                kunftsorientierung.                                                     Befreiung von zwei Diktaturen und die        5 Ebd., S. 371 ff.
                                                                                                                                                                                                     6 Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse
          gative, aber auch positive –, die Orientie-                               Aus der Geschichte lässt sich lernen,                               dadurch gewonnene Freiheit – im Wes-            IV, München 1978, S. 86.
          rung für Gegenwart und Zukunft geben                                  allerdings nicht ohne grundlegende                                      ten nach der Gründung der Bundesre-          7 Vgl. auch Mitscherlich, Margarete: Erinnern, Ver-

          können. Ein derartiges Geschichtsbe-                                  Kenntnisse über sie. Historische Kennt-                                 publik, im Osten nach der Wiederverei-          gessen und Verdrängen, in: Die Radikalität des
                                                                                                                                                                                                        Alters, Frankfurt 2010, S.62 f.
          wusstsein muss Teil des gegenwärtigen                                 nisse sind unverzichtbar und wesentlich                                 nigung – schufen die Voraussetzungen         8 Zum Bildungswert der Historie vgl. auch Kraus,
          Selbstverständnisses des Einzelnen und                                für die historische Urteilsbildung. Ohne                                für die Entstehung und Entwicklung ei-          Josef: Der historische Analphabetismus greift um
                                                                                                                                                                                                        sich, in: FAZ, 21.6.2012.
                                                                                sie sind Bewertungen des historischen                                                                                9 S elbstverständlich ist es weiterhin notwendig, die

                                                                                Geschehens lediglich Vorurteile, Kli-                                                                                   Einzigartigkeit des Zivilisationsbruchs durch die
                                                                                                                                                                                                        Nationalsozialisten und die Menschenrechtsver-
                                                                                schees, Bekenntnis- oder Gesinnungs-                                                                                    letzungen der DDR zu erinnern. Die beiden Dikta-
                                                                                formeln oder öffnen Legenden Tür und                                                                                    turen sollten zudem nicht gleichgesetzt werden.
                                                                                                                                                                                                        Der gewaltige Unterschied zwischen den Verbre-
      Die zeitgeschichtlichen Urteile der                                       Tor. Erst die Vermittlung von grundle-                                 Es BRAUCHT mehr und besseres                     chen des NS- und des SED-Staates darf nicht aus
      Schüler sind geprägt von außerschu-                                       genden historischen Kenntnissen und                                    historisches Wissen sowie                        dem Blick geraten: Die DDR hat weder Millionen
                                                                                                                                                                                                        Menschen nahezu fabrikmäßig umgebracht noch
      lisch SCHÖNGEFÄRBTEN Erzählungen.                                         der Werte eines freiheitlich-demokrati-                                Geschichtsbewusstsein.                           entfesselte sie einen Weltkrieg. Die rechtstotalitä-
                                                                                schen Gemeinwesens konstituiert ein                                                                                     re Diktatur war zudem „hausgemacht“, die links-
                                                                                                                                                                                                        totalitäre fremdbeherrscht. Weder dürfen die nati-
                                                                                Geschichtsbewusstsein, das mehr ver-                                                                                    onalsozialistischen Verbrechen relativiert noch
                                                                                mag, als nur Fakten aneinander zu rei-                                                                                  das Unrecht im SED-Staat banalisiert werden.

18   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                                                                             476/2017 // POLITISCHE STUDIEN     19
IM FOKUS

/// Wer ist das Volk?

ODER: WAS IM WANDEL BESTEHEN

                                                                                                                                                                                                                    Quelle: mauritius images / imageBROKER / Jochen Tack
UND VOR DEM VERGESSEN BEWAHRT
WERDEN MUSS
HEINRICH OBERREUTER /// Wenn die Herrschaft im Staat wie ehedem in der DDR
ihre ohnehin schüttere Legitimität verspielt hat, ist die Parole „Wir sind das Volk“
nachvollziehbar, selbst wenn sie seinerzeit nicht von jedermann geteilt wurde. Diese
Parole aber für eine beliebige Protestdemonstration in Anspruch zu nehmen, ist                       Protest, Opposition, Ausdruck der Meinungsvielfalt … aber nicht Volkes Stimme!
anmaßend. Warum? Weil die Legitimität dieser Demokratie außer Zweifel steht, weil
ihre Normen selbst das Recht auf Kritik und Protest einräumen, und weil Gegensätze
in Richtungs- wie Detailentscheidungen längst keine Situation begründen, in der                      wegs nur die regierende Mehrheit. Dem                  Wir bewegen uns im Kernbereich
– im Kern revolutionär – „das“ Volk gegen „die“ Macht aufsteht.                                      gehen in der Gesellschaft die Freiheit            der Demokratie, besser, des demokrati-
                                                                                                     der Gedanken und die Freiheit, sie aus-           schen Verfassungsstaats. Denn worauf
                                                                                                     zusprechen, voraus, also auch das                 beruht das ihn tragende Prinzip der legi-
                                                                                                     Recht, Unsinn zu reden und zu denken,             timen Vielfalt? Es beruht auf der in
              „Das“ Volk? Volk heißt Pluralität                                                      und zu wählen.                                    Menschenwürde und Menschrechten
          Wir haben es in jüngster Zeit mit einer                                                        Es mag befremdlich klingen, ist aber          gründenden Freiheit des Individuums.
          Bewegung zu tun, deren Sympathisan-            Volk heißt PLURALITÄT.                      doch banal: Der Grundrechtschutz un-              Daraus folgt alles andere – liberale, offe-
          ten sich im Wesentlichen gesellschafts-                                                    tersagt dem Staat, Qualitäten von Mei-            ne Gesellschaft, Staatsordnung und po-
          politisch herausgefordert oder unbehag-                                                    nungen zu bewerten, er gewährleistet              litische Willensbildung. Pluralismus ist
          lich fühlen, die aber weder „die“ Politik,                                                 vielmehr ihre öffentliche Äußerung. Der           also alles andere als wertrelativistisch.
          noch gar „das“ Volk repräsentieren. Für                                                    bewertende, streitige Diskurs kommt                    Wenn aber über die Identität der
          „das“ Volk kann solch eine Bewegung                                                        aber sehr wohl der Gesellschaft zu. Rede          Deutschen – wieso eigentlich nicht? –
          schon deswegen nicht stehen, weil sie        sein. Real existiert es nur in seiner Viel-   und Gegenrede haben uns letztlich auch            diskutiert werden soll, dann gehören
          selbst in sich höchst heterogen ist. Da-     falt, solange man ihm nicht ideologische      aktuell das vielfältig differenzierte Volk
          mit ist sie freilich wie das Volk.           Einheitlichkeit aufzwingt. In seiner          vor Augen geführt. Wenn die Meinungs-
              Denn die Frage „Wer ist das Volk?“       Vielfalt wird es auch politisch repräsen-     freiheit für die freiheitliche Demokratie
          lässt sich nur mit Blick auf dessen Plura-   tiert. Dafür steht etwa, vom Bundesver-       „schlechthin konstituierend“ ist, ist die
          lität beantworten. Exakt aus dieser Plu-     fassungsgericht so definiert, zentral die     Erwartung durchaus verständlich, diese               Vielfalt ist NICHT wertrelativistisch.
          ralität erwächst wiederum die Kritik an      Oppositionsfreiheit, weil selbstver-          Freiheit möge informiert und rational
          solchen Bewegungen wie PEGIDA. Das           ständlich auch Opposition dem Volk            ausgeübt werden. Gleichwohl ist diese
          Volk mag eine staatsrechtliche Größe         gleichberechtigt Ausdruck gibt, keines-       Erwartung oft genug eitel.
20   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                           476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   21
IM FOKUS

          nicht nur Geschichte, Kultur und Spra-       nen, ist ebenso wenig neu. Gerade die                                                                Abbildung 1: Vertrauen der Bürger in die politischen Parteien
          che dazu. Zu dieser Identität gehört         Demokratie beruht auf aktueller Legiti-
          auch jener schmale Grundkonsens über         mitätsgewinnung durch Kommunikati-
          Menschwürde und Freiheit, ohne den es        on. Wie soll auch ohne sie Vertrauen
          keine Vielfalt gäbe. Wir sehen, dass ein     gewonnen werden?
          Teil unserer Gesellschaft, herausgefor-
          dert durch andere Kulturen, sich vor-
          nehmlich in dem findet, was er nicht
          will und nicht sein möchte. Zu wissen,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Quelle: European Commission
          was man nicht will, führt aber keines-         KOMMUNIKATION ermöglicht
          wegs zu einem positiven Konsens und            Integration und Selbstentfaltung.
          sei er noch so schmal. Wer Identität, wer
          Patriotismus verteidigt, muss stets die
          Menschwürde mitdenken. Solange er
          das tut, kann er kaum ein Extremist
          sein. Tut er es nicht, verlässt er den Bo-
          den unseres Verfassungsverständnisses.            Dessen Verfall erleben wir seit etwa
          Zugespitzt könnte man sagen: Er bür-         zwei Jahrzehnten in allen liberalen De-
          gert sich aus. Und: Wer zu uns kommt,        mokratien, nicht zuletzt in Europa mit
          hat Anspruch auf humanen Respekt.            rechter und linker Populismusresonanz
              Aber umgekehrt hat dieses Gemein-        in den Parteiensystemen, übrigens in                                                                 Abbildung 2: Mitgliederentwicklung CDU und SPD seit 1990
          wesen auch einen Anspruch auf Respek-        weit größerem Umfang als in Deutsch-
          tierung seiner eigenen wertgebundenen,       land in Frankreich, Österreich, Belgien,                                                                                                                                                                                           Diagramm1tel	
  
                                                                                                                                     1200	
  
          säkularen Freiheitsordnung. Deren De-        Niederlande, Dänemark, England, Itali-
          montage, die Demontage von Pluralität,       en, Spanien, Griechenland usw. Zynis-
                                                                                                                                                                                                                                                                               1.022	
  
          ist niemandem erlaubt, weder zugewan-        mus und Verachtung gegenüber der poli-                                                                                                                                                                               991	
   997	
   987	
  
                                                                                                                                     1000	
  
          derten, noch einheimischen Extremis-         tischen Elite „within the beltway“, die                                                                                                                                                                    954	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    926	
          913	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     943	
  

          ten. Aber ich kann auch nicht erkennen,      also innerhalb des Washingtoner Auto-                                                          875	
                                                                                                                                                                                                    886	
  
                                                                                                                                                        847	
                                                                                                 847	
  
          dass die Anregung zur Integration in         bahnrings agiert, sind z. B. gerade auch                                                                                                                                                         820	
                                                                                                            818	
  
                                                                                                                                                                                                                                                      779	
                                                                                                                        776	
  
          diese Freiheitsordnung eine Zumutung         in den USA seit langem tief verwurzelt –                                       800	
  
                                                                                                                                                               736	
                                                                        733	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  790	
                                      755	
  
                                                                                                                                                                                                                                  710	
                                                                                                                                                                718	
  
          wäre, solange Pluralismus selbst nicht       nicht erst seit Trump. Auch in Großbri-                                                    701	
  
                                                                                                                                                                      685	
                                                 678	
                                                                                                                     751	
  

                                                                                                   Mitglieder	
  in	
  Tausend	
  
                                                                                                                                                                        650	
                                                                                                                                       719	
   730	
   714	
                                                                        651	
  
          als Zumutung empfunden wird – wie            tannien gibt es Vertrauensbrüche zwi-                                                                                      607	
       612	
  
                                                                                                                                                                                                            634	
         647	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                675	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                          693	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              677	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        714	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              685	
                                                 606	
  
                                                                                                                                                                                            589	
                                                                                                                                               633	
                 658	
  
          von Fundamentalisten jeglicher Cou-          schen „London“ und dem Land,                                                   600	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                      652	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   632	
   638	
                              561	
                                                                              SPD	
  

                                                                                                                                                                                                                                                                               590	
                                                                                                                   604	
                            521	
                                                                    CDU	
  
          leur. Das heißt, auch Integrierte werden     und entsprechende Vertrauenseinbrüche                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     587	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           572	
                  502	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            477	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                            531	
                                                                                                                                                    537	
                            460	
  
          zum Volk gehören. Und „das“ Volk wird        kennen wir hierzulande ebenso. Grund-                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   521	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         490	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         442	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   433	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   467	
   444	
  
          sich um Nuancen verändern – wie je.          legende Veränderungen der Politik, ihre                                        400	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                    457	
  
                                                                                                                                                                                                                                                                  423	
                                                                                                                                                                                                      432	
  
                                                       zunehmende Komplexität (Internationa-                                                                360	
                                                                                             356	
  
              Kommunikation stiftet Legitimität        lisierung, Globalisierung, Euro- und Fi-                                                                                             245	
  
                                                                                                                                                                                                         254	
  
                                                                                                                                                                                                                                                        329	
  
                                                                                                                                                                                                                                                      304	
  
                                                                                                                                                                                                                                   288	
   286	
  
          Es ist eine alles andere als neue Erkennt-   nanzkrise, Systemumbrüche) und damit                                           200	
                                                                 244	
      248	
  
                                                                                                                                                                                               220	
  
          nis, dass Kommunikation der Kitt ist,        verbundene Erklärungs- und Verständ-                                                                                 210	
  

          der ein zuträgliches Maß gesellschaftli-     nisschwierigkeiten sind dafür verant-
          cher Integration bewirkt, der im Grunde      wortlich, Kommunikationsdefizite also.                                             0	
  
          auch eine Selbstentfaltung des Individu-          Antibewegungen und Antiparteien                                                       1946	
  1948	
  1950	
   1952	
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   1956	
  1958	
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   1984	
   1986	
  1988	
  1990	
   1992	
   1994	
   1996	
  1998	
  2000	
   2002	
   2004	
   2006	
  2008	
  2010	
   2012	
   2014	
   2016	
  

          ums ermöglicht. Dass Kommunikati-            zogen daraus Nutzen. Hierzulande herr-                                                               Quelle: Eigene Darstellung, Daten: Niedermayer, Oskar: Parteimitglieder in Deutschland: Version 2017. Arbeitshefte aus dem Otto-
          onsdefizite Politikkrisen bewirken kön-      schen schon seit einer ganzen Weile An-                                                              Stammer-Zentrum, Nr. 27.

22   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                476/2017 // POLITISCHE STUDIEN                                                                    23
IM FOKUS

          tistimmungen. Was in jüngster Zeit aus-                                                                                                           Abbildung 4: Fähigkeiten der Abgeordneten
          gebrochen ist, ist keineswegs neu. Neu
          ist aber die Artikulations- und Organi-          Die Bürger bringen ihren
          sationsbereitschaft. Das kritische Bild          zunehmenden VERTRAUENSVERLUST
          von den Eliten „within the beltway“ lie-         in die Politik und die Parteien
          fert uns einen Erklärungsansatz wie              zum Ausdruck.
          gleichermaßen das Bild von der Bonner
          Käseglocke oder der Berliner Glaskup-
          pel, welche den Politik- und Medienbe-
          trieb überwölben. Es ist der Unterschied
          zwischen den „Ins“ und „Outs“, zwi-
          schen „Oben“ und „Unten“, zwischen                 Als sich die Mitgliederzahlen von
          elitär abgehobenem Establishment und          CDU und SPD im Absturz schnitten,
          „einfachen“, in ihren Interessen sich ver-    ließ sich die Vorsitzende der CDU zu der
          nachlässigt fühlenden Bürgern. Es ist         erstaunlich analysearmen Bemerkung
          wie im Westen nach 1968, aber ohne die        hinreißen, ihre Partei sei jetzt auf Augen-
          damalige Ideologie, eine Systemkritik,        höhe mit der SPD angekommen. Umge-
          die das politische Personal, Institutio-      kehrt: Als in der alten, kleineren BRD
          nen und auch die traditionellen Medien        die Parteien mehr als 2 Millionen Mit-
          einschließt. Sie alle verdienen nach die-     glieder hatten und über 90 % der Wahl-
          ser Sicht kein Vertrauen. (Abb. 1, S. 23)     berechtigten sich an Wahlen beteiligten,
              Den politischen Parteien wird es seit     war in der Politikwissenschaft die These
          jeher entzogen, in jüngster Zeit aber be-     von der Legitimationskrise en vogue.                              Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen in Deutschland bis 2017
                                                                                                                                                            Quelle: Thomas Petersen: Die Sehnsucht nach politischer Orientierung, in: FAZ v. 23.5.2012.
          sonders heftig, sowohl allgemein als               Auch das politische Führungspersonal                         Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen in Deutschland von 1949 bis
          auch speziell, wie sich im Absturz der        steht in keinem gutem Ruf, weder bezüg-                           2017
          Mitgliederzahlen der Volksparteien seit       lich seiner Gemeinwohlfähigkeit noch sei-                                                           Abbildung 5: Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen seit 1949
          1990 zeigt (ohne dass die kleineren den       ner (intellektuellen, kommunikativen, po-
          Trend umkehren). (Abb. 2, S. 23)              litischen) Fähigkeiten. (Abb. 3 u. 4, S. 25)                                                        95
                                                                                                                                                                                                             91,1   90,7
                                                                                                                                                                                                                              88,6   89,1
                                                                                                                                                            90                  87,8   87,7
                                                                                                                                                                                              86,8    86,7
                         Abbildung 3: Abgeordnete als Interessenvertreter der Wähler                                                                                     86
                                                                                                                                                                                                                                            84,3
                                                                                                                                                            85
                                                                                                                                                                                                                                                                  82,2

                                                                                                                                                                 78,5                                                                                       79           79,1
                                                                                                                                                            80                                                                                       77,8                       77,7

                                                                                                                               Wahlbeteiligung in Prozent
                                                                                                                                                                                                                                                                                                     76,2

                                                                                                                                                            75
                                                                                                                                                                                                                                                                                              71,5
                                                                                                                                                                                                                                                                                       70,8

                                                                                                                                                            70

                                                                                                                                                            65
                                                                                       Quelle: FAZ v. 18.05.2016, S. 8.

                                                                                                                                                            60

                                                                                                                                                            55

                                                                                                                                                            50
                                                                                                                                                                  '49    '53    '57     '61    '65    '69     '72    '76      '80    '83     '87     '90*   '94   '98    '02    '05    '09    '13    '17
                                                                                                                                                                                                                           Jahre von 1949 bis 2017

                                                                                                                                                            Quelle: Statista, Der Bundeswahlleiter/ Statistisches Bundesamt

24   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017
                                                                                                                          Hinweis: Deutschland
                                                                                                                                                                                                                                                                  476/2017 // POLITISCHE STUDIEN            25
                                                                                                                          Weitere Angaben zu dieser Statistik, sowie Erläuterungen zu Fußnoten, sind auf Seite 8 zu finden.

                                                                                                                          Quelle: Bundeswahlleiter ID 2274
IM FOKUS

          Abbildung 6:                                                                                 Abbildung 7: Ergebnisse der Landtagswahlen 2016 in Baden-Württemberg,
          Zeichnen die                                                                                 Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt
          Medien ein
          zutreffendes Bild
          der Flüchtlinge?

          Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 11049

              Die Daten signalisieren eine System-             Bekanntlich hat die AfD bei den
                                                                                                       Quelle: Der Landeswahlleiter Baden-Württemberg
          distanz, die sich auch in der rapide ge-         Nichtwählern besonders mobilisiert
          sunkenen Wahlbeteiligung nieder-                 und eine erhebliche Anzahl an die Ur-
          schlägt. Deren Anstieg unter skeptischer         nen zurückgeholt. Dies ist an sich er-
          Distanz im Bund 2013 (0,7 %) und 2017            freulich, aber nicht als Resonanz auf die
          (4,7 %) dürfte auch auf die Kandidatur           von ihr vertretenen Inhalte. Gleichwohl
          der AfD zurückzuführen sein, die die,            hat sie vielen Bürgern das Gefühl ver-
                                                                                                       Abbildung 8: Wahlergebnis der Landtagswahl Baden-Württemberg 2016
          in Wahlabstinenz Abgeglittenen wieder            mittelt, mit ihren Positionen wieder ge-
                                                                                                       umgerechnet auf Wahlberechtigte
          mobilisierte. (Abb. 5, S. 25)                    hört zu werden.1 Und dennoch ist die
              Nach verbreiteter Ansicht sprach die         (äußerst heterogene) Gruppierung der
          AfD vernachlässigte Themen an und                Nichtwähler in allen drei Ländern im
          überbrückte dadurch Kommunikations-              Vergleich zu den politischen Parteien

                                                                                                                                                                                                       Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
          defizite. Letztere führten auch zu einem         umgerechnet auf die Wahlberechtigten
          Vertrauensentzug gegenüber den Medi-
          en. (Abb. 6)
              Offensichtlich befindet sich die Legi-
          timität stiftende Kommunikation in der
          Krise. Ihre Promotoren in Politik und              Die AFD hat sowohl Nicht- als auch
          Medien haben Schwierigkeiten, viele                Wechselwähler mobilisiert.
          Teile des Volkes überzeugend zu errei-
          chen. Dies zeigen mit dem Aufstieg der
          AfD, der vielleicht trotz der absoluten
          Höhe in den neuen Bundesländern in
          den eigentlich stabilisierten „alten“ Bun-
          desländern doch überraschend er-                 die jeweils größte geblieben, bei der
          scheint, die drei Landtagswahlen im              Bundestagswahl 2017 ist sie gleichstark
          März 2016, erst recht die Bundestags-            wie die stärkste Partei. (Abb. 8, S. 27,
          wahl 2017. (Abb. 7, S. 27)                       Abb. 9 und 10, S. 28)
26   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                                  476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   27
IM FOKUS

          Abbildung 9: Wahlergebnis der Landtagswahl Rheinland-Pfalz 2016
          umgerechnet auf Wahlberechtigte                                       Große Vorsicht ist angebracht mit Ex-               Die Daten zeigen, Unzufriedenheit
                                                                            tremismus- und Nazismusvorwürfen. Sie               und Vertrauenseinbrüche verteilen sich
                                                                            werden von denen erhoben, deren Kom-                im Parteiensystem durchaus mit Schwer-
                                                                            munikations- und Gestaltungsversäum-                punkten, aber keineswegs nur auf der
                                                                            nisse Segmente unserer Gesellschaft in              konservativen oder „rechten“ Seite.
                                                                            den hier belegten Skeptizismus getrieben                Typisch für die Bewusstseinslage des
                                                                            haben, eine Art Selbstverteidigung durch            kritischen Potenzials ist die Auskunft
                                                                            Diffamierung also, welche die Gefahr in             zahlreicher AfD-Wähler, u. U. eine
                                                                            sich birgt, erst recht Distanz der Skepti-          Wahl der CSU in Erwägung gezogen zu
                                                                            ker zu den Etablierten zu provozieren.              haben, hätte diese nur in ihrem Land
                                                                            Denn die AfD hat ja nicht nur von frühe-            kandidiert. Dass dieser Wert in Rhein-
                                                                            ren Nichtwählern profitiert, sondern von            land-Pfalz am höchsten ist, spricht Bän-
                                                                            CDU, SPD, Grünen, Linken und dem                    de über die dortige Kommunikations-
                                                                            Rest, wenn auch in unterschiedlichem                und Wahlkampfführung der CDU und
                                                                            Ausmaß. Greifen wir hierzu Baden-                   deren bundespolitische Implikationen.
                                                                            Württemberg heraus, nicht weil es be-               (Abb. 12, S. 30)
                                                                            sondere Akzente setzte, sondern weil es                 Ignorieren und Dämonisierung sei-
                                                                            von den drei Ländern am meisten mit                 tens der klassischen Parteien haben die-
                                                                            Bürgerlichkeit und Wohlstand gesegnet               se Wählerpotenziale nicht einge-
          Quelle: Infratest dimap                                           ist und deswegen weniger „verführbar“               schränkt. Ganz im Gegenteil haben sie
                                                                            erschien. (Abb. 11)                                 deren Einschätzung, nicht ernst- und

          Abbildung 10: Wahlergebnis der Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2016
          umgerechnet auf Wahlberechtigte                                   Abbildung 11: Wählerwanderung von und zu der AfD bei der Landtagswahl in
                                                                            Baden-Württemberg am 13. März 2016

          Quelle: Infratest dimap                                           Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

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IM FOKUS

          Abbildung 12: AfD-Wähler: “Es wäre gut, wenn man die CSU auch hier wählen könnte.”      man muss keineswegs alles verstehen
          (Zustimmung in %)                                                                       wollen“, aber im gleichen Atemzug dem
                                                                                                  Vorsitzenden der SPD die zuhörende,          Es braucht kommunikative Demo-
                                                                                                  unscheinbare Präsenz bei einer Dresd-        kratie, die fortwährende DISKURSIVE
                                                                                                  ner Debatte der Landeszentrale für poli-     Überzeugungsarbeit leistet.
                                                                                                  tische Bildung zu PEGIDA verübelt.3
                                                                                                  Als ob es nicht auch ein Signal sein
                                                                                                  könnte zuzuhören, wo der Vorwurf er-
                                                                                                  hoben wird, die Politik höre nicht mehr
                                                                                                  zu, ein Signal, das durchaus zur Diffe-
                                                                                                  renzierung zwischen der „widerwärti-       ausmacht, nämlich, über die kommuni-
                                                                                                  gen Minderheit“ von „Nazis, Hooli-         kative Demokratie hinaus, eine wertge-
                                                                                                  gans, Fremdenfeinden und ähnlichem         bundene politische Ordnung, die aus
                                                                                                  völkischen Volk“4 und den Enttäusch-       der Würde des Menschen und der dar-
                                                                                                  ten und Entfremdeten beigetragen ha-       aus folgenden individuellen Entfal-
                                                                                                  ben könnte.                                tungsfreiheit samt aller Chancen und
                                                                                                      Nach den Untersuchungen der            Risiken, die diese Freiheit birgt, erfolgt.
                                                                                                  Dresdner Kollegen 5 grenzen diese sich     Das ist die Maxime für alle politische
                                                                                                  ohnehin von Rechtsextremen und Hoo-        Ordnung und für alle, die sich am poli-
                                                                                                  ligans ab. Allerdings genau diesen eine    tischen Leben dieses Landes beteiligen
          Quelle: Infratest dimap                                                                 Kulisse für dramatische kommunikative      wollen. Zu verstehen und zu bewahren
                                                                                                  Resonanz gegeben zu haben, ist ande-       ist die „säkulare Freiheitsordnung“6 von
                                                                                                  rerseits zu Recht zu kritisieren. Denn     weltanschaulicher Neutralität (aber
                                                                                                  blinde oder auch opportunistische Mit-     nicht Wertneutralität!). Im Gegensatz
          wahrgenommen zu werden, nur bestä-           sche Theologe und Bürgerrechtler Fried-    läuferei bei Radikalen überbrückt Grä-     zu weltanschaulichen Zwängen eröffnet
          tigt. Bevor er auf die Straße drängte,       rich Schorlemmer. Aber gehören diese       ben nicht, und es entwertet in der öf-     sie die Chance zur Pluralität. Deswegen
          hatte sich der Furor gegen etablierte Po-    „Idioten“ nicht auch zum Volk? Und         fentlichen Resonanz die eigene Position.   z. B. die Trennung von Religion und Po-
          litik und Medien „längst online“ formu-      sind sie nicht grundsätzlich einen Argu-   Die Radikalen demaskieren, die Besorg-     litik bzw. Staat. Was in Klöstern und
          liert, simplifizierend, diffamierend, aber   mentationsversuch wert? Verfassungs-       ten und Enttäuschten informieren – das     Moscheen geglaubt wird, besitzt keinen
          Sorgen und Ängste von Bürgern aufgrei-       rechtlich jedenfalls ist effektive Aus-    ist die Aufgabe politischer Führung an-    öffentlichen Herrschaftsanspruch. Die-
          fend, welche „die“ Politik ignorierte, die   grenzung nur ein Mittel gegen explizite    gesichts derartiger Bewegungen. Vor        ser schmale, eine individuelle und öf-
          sich gelegentlich auch als alternativlos     Verfassungsfeinde und es liegt in den      Jahrzehnten habe ich den Begriff „kom-     fentliche Entfaltungsfreiheit des Indivi-
          und erklärungsschwach darstellte.2           Händen der Justiz. Im Alltag sollte man    munikative Demokratie“ geprägt. Sie        duums gewährleistende Basiskonsens
               Das alles rechtfertigt nicht dumpfe     zumindest abwägen, ob Ausgrenzung          verlangt diskursive Überzeugungsar-        definiert allein das Maß allgemeiner
          Fremdenfeindlichkeit und Islamopho-          von Mitbürgern im Namen der Toleranz       beit, fortwährend, nicht nur jetzt ange-   Verbindlichkeit in einem offenen, demo-
          bie. Es scheint aber doch nach Kommu-        und des Respekts vor Andersdenkenden       sichts besonderer (vermeidbarer?) Her-     kratischen Rechtsstaat. Öffentliche
          nikation zu verlangen, denn man kann         prinzipiell ein logisches Instrument ist   ausforderungen und auf allen Themen-       Wirksamkeit, politische Repräsentati-
          in einer zivilisierten Gesellschaft derlei   und ob sie nicht Gräben zusätzlich ver-    feldern, nicht nur bei Zuwanderung und     on, verlangen seine Beachtung.
          Primitivitäten nicht unbearbeitet lassen     tieft.                                     Integration.                                    Normative Orientierungen können
          oder übergehen. Angela Merkel hat z. B.          Ist das bloßstellende Argument                                                    sich immer nur auf einen relativ schma-
          jüngst gesagt, wir wüssten zu wenig          nicht angemessener? Anscheinend                Zur Irreversibilität der säkularen     len Grundkonsens richten. In der Tat
          über den Islam – ein Appell an Nachar-       meint das z. B. auch der Chefredakteur         Freiheitsordnung                       verläuft die zentrale Scheidelinie zwi-
          beit und besser informierten Diskurs.        der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister      Das Fazit von all dem ist, dass wir im     schen Pluralismus und Antipluralismus,
          Nur zu! „Man muss nicht mit jedem Idi-       der schreibt, man müsse „mit ihnen de-     Gespräch halten müssen, was uns histo-     wobei Pluralität nicht wertneutral, son-
          oten reden“ sagt dagegen der evangeli-       battieren, man muss mit ihnen streiten,    risch und nach leidvollen Erfahrungen      dern das wohl wichtigste Strukturprin-
30   POLITISCHE STUDIEN // 476/2017                                                                                                                              476/2017 // POLITISCHE STUDIEN   31
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