AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Schwarz und Deutsch - BPB

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AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Schwarz und Deutsch - BPB
72. Jahrgang, 12/2022, 21. März 2022

    AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
 Schwarz und Deutsch
            Robbie Aitken                Joshua Kwesi Aikins · Teresa Bremberger ·
      BLACK GERMANY.                     Daniel Gyamerah · Muna AnNisa Aikins
   ZUR ENTSTEHUNG EINER                          AFROZENSUS.
  SCHWARZEN COMMUNITY                     INTERSEKTIONALE ANALYSEN
      IN DEUTSCHLAND                         ZU ANTI-SCHWARZEM
                                          RASSISMUS IN DEUTSCHLAND
              Julia Roos
        DIE „FARBIGEN                             Mahret Ifeoma Kupka
     BESATZUNGSKINDER“                         SCHWARZE KÖRPER
     DER ZWEI WELTKRIEGE                    IN WEI ẞ EN KUNSTRÄUMEN

 Patrice G. Poutrus · Katharina Warda                Ijoma Mangold
   OSTDEUTSCHE OF COLOR.                          DIE RENAISSANCE
   SCHWARZE GESCHICHTE(N)                          DER HAUTFARBE.
  DER DDR UND ERFAHRUNGEN                           EIN GESPRÄCH
 NACH DER DEUTSCHEN EINHEIT

                      ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE
                           FÜR POLITISCHE BILDUNG
                  Beilage zur Wochenzeitung
Schwarz und Deutsch
                                APuZ 12/2022
ROBBIE AITKEN                                      JOSHUA KWESI AIKINS · TERESA BREMBERGER ·
BLACK GERMANY. ZUR ENTSTEHUNG EINER                DANIEL GYAMERAH · MUNA ANNISA AIKINS
SCHWARZEN COMMUNITY IN DEUTSCHLAND                 AFROZENSUS. INTERSEKTIONALE ANALYSEN
Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutsch-         ZU ANTI-SCHWARZEM RASSISMUS IN
sprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter     DEUTSCHLAND
zurückverfolgen. Spätestens mit dem Kaiserreich    Der Afrozensus, die erste umfassende Studie zu
wurde die Schwarze Community größer und            Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen
sichtbarer. Warum ist Deutschlands Schwarze        Lebensrealitäten in Deutschland, zeichnet
Vergangenheit dennoch so unbekannt?                Muster des Anti-Schwarzen Rassismus nach und
Seite 04–10                                        zeigt, wie diese in verschiedenen Lebensberei-
                                                   chen zusammenwirken.
                                                   Seite 26–34
JULIA ROOS
DIE „FARBIGEN BESATZUNGSKINDER“
DER ZWEI WELTKRIEGE                                MAHRET IFEOMA KUPKA
Die Nachkommen alliierter Soldaten of Color        SCHWARZE KÖRPER IN WEI ẞ EN
mit weißen deutschen Frauen standen seit der       KUNSTRÄUMEN
Zwischenkriegszeit im Fokus rassistischer          Schwarze deutsche Künstlerinnen und Künstler
Propagandakampagnen. Deren Auswirkungen            organisieren sich seit Jahrzehnten. Heute stellen
spürten Schwarze Deutsche auch in der frühen       sie vermehrt die Produktions- und Ausschluss-
Bundesrepublik.                                    mechanismen des Kulturbetriebs infrage. Indes
Seite 11–18                                        verändern sich Institutionen wie Buchmessen,
                                                   Theater und Museen nur langsam.
                                                   Seite 35–41
PATRICE G. POUTRUS · KATHARINA WARDA
OSTDEUTSCHE OF COLOR. SCHWARZE
GESCHICHTE(N) UND ERFAHRUNGEN NACH                 IJOMA MANGOLD
DER DEUTSCHEN EINHEIT                              DIE RENAISSANCE DER HAUTFARBE.
Tausende Schwarze Menschen kamen zum               EIN GESPRÄCH
Studieren, Arbeiten oder als Asylsuchende in die   Ijoma Mangold ist Autor, Literaturkritiker und
DDR. In ihrem Alltag erlebten sie oftmals eine     kulturpolitischer Korrespondent der Wochen-
Diskrepanz zwischen antirassistischer Symbol-      zeitung „Die Zeit“. Im Interview spricht er über
politik und realer Diskriminierung, bis hin zu     seine Kindheit in Heidelberg, über Identität und
Gewalttaten, die auch die 1990er Jahre prägten.    Zugehörigkeit sowie über heutige antirassistische
Seite 19–25                                        Diskurse.
                                                   Seite 42–46
EDITORIAL
Heute leben rund eine Million Schwarze, afrikanische und afrodiasporische
Menschen in Deutschland, ihre Familien teils seit mehreren Generationen.
Dennoch werden viele auch heute noch regelmäßig mit Fragen nach ihrer
„eigentlichen“ Herkunft konfrontiert. Schwarz und Deutsch zu sein ist auch
2022 keine Selbstverständlichkeit. Die Zuschreibung von Fremdheit weist histo-
rische Kontinuitäten auf. An den Höfen der deutschen Feudalaristokratie in der
Frühen Neuzeit galten Schwarze Bedienstete als exotische Statussymbole. Im
Kaiserreich kamen vermehrt Menschen aus den Kolonien, und erste Schwarze
Communities wurden in deutschen Städten sichtbar. Doch wiederholte rassisti-
sche Propagandakampagnen, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, gipfelten
schließlich in der Vertreibung, Zwangssterilisierung und Ermordung Schwarzer
Menschen im Nationalsozialismus.
   Die Erinnerung an die Existenz einer Schwarzen deutschen Community
verblasste bald nach 1945. In der Phase der Zweistaatlichkeit erlebten Schwarze
Deutsche – etwa die Kinder von Besatzungssoldaten in der Bundesrepublik oder
Schwarze Vertragsarbeiter und Studierende in der DDR – wieder Ausgrenzung
und rassistische Übergriffe. In den 1980er Jahren wurden afrodeutsche Stim-
men lauter, und Selbstorganisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in
Deutschland (ISD) wurden gegründet. Dennoch blieb Deutschlands Schwarze
Vergangenheit weitgehend unbekannt und eine Auseinandersetzung mit Anti-
Schwarzem Rassismus lange aus.
   In den vergangenen Jahren ist – auch durch die transnationale Bewegung
Black Lives Matter – etwas aufgebrochen: Die Aufarbeitung deutscher Kolonial-
verbrechen wird mittlerweile vehement gefordert, ebenso die Beschäftigung mit
den Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland. Gleichzeitig stößt
der Kampf um Sichtbarkeit an diskursive Grenzen. Der Grat zwischen einem
verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit und Respekt füreinander
auf der einen Seite und einer dogmatischen Aufladung identitätspolitischer
Debatten auf der anderen ist schmal.

                                                     Julia Günther

                                                                             03
APuZ 12/2022

                             BLACK GERMANY
 Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland
                                          Robbie Aitken

Geschätzt leben heute über eine Million Men-         lonie sizilianischer Muslime im süditalienischen
schen afrikanischer Herkunft in Deutschland.         Lucera umfasste, die sich dort im Exil befanden.
Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutsch-           Am Hof Friedrichs II. hatten Schwarze militäri-
sprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter       sche Positionen inne, waren Unterhaltungskünst-
zurückverfolgen. Seit geraumer Zeit dokumen-         ler und Bedienstete. Zu ihnen gehörte Johannes
tieren Aktivistinnen und Aktivisten sowie Wis-       Morus, der zum persönlichen Kammerdiener des
senschaftlerinnen und Wissenschaftler die aktive     Kaisers aufstieg und auch in Lucera diente.03 Der
Rolle, die Schwarze Menschen in der deutschen        Kenntnisstand über ihr Leben und ihre Erfahrun-
Geschichte über Jahrhunderte gespielt haben,         gen ist jedoch nach wie vor gering.
und die Geschichte des europäischen Rassismus,           Während der Frühen Neuzeit traten afrika-
der ihr Leben prägte.01 Dennoch werden die Bei-      nische Pagen und Bedienstete an den Höfen der
träge Schwarzer Menschen zur deutschen Ge-           deutschen Feudalaristokratie und in den Haus-
sellschaft in den Geschichtsbüchern häufig aus-      halten der aufstrebenden bürgerlichen Handels-
geklammert oder totgeschwiegen, und so bleiben       familien zunehmend als exotische Statussymbole
viele Lücken in den vorhandenen historischen         in Erscheinung, ähnlich wie anderswo in Euro-
Aufzeichnungen. Dieser Beitrag bietet eine Ein-      pa.04 An größeren Fürstenhöfen durchliefen jun-
führung in die Geschichte(n) Schwarzer Men-          ge afrikanische Männer eine musikalische Ausbil-
schen in Deutschland. Ausgehend vom mittelal-        dung. Einige dienten als Musiker im Militär, eine
terlichen Europa wenden wir uns zunächst dem         Tradition, die bis ins 20. Jahrhundert fortgeführt
17. Jahrhundert zu, als die Zahl der Menschen        wurde. Die meisten von ihnen waren ursprüng-
afrikanischer Herkunft im deutschsprachigen          lich als Sklaven gekauft worden, und es war nicht
Raum langsam zunahm. Der Schwerpunkt der             unüblich, dass Schwarze Jugendliche unter den
Darstellung liegt dann auf der Entwicklung einer     Mitgliedern der europäischen Königshäuser als
beständigen Schwarzen Community in der Zeit          Geschenke ausgetauscht wurden. Trotz der stark
von 1884 bis 1945.                                   hierarchischen Ordnung des Lebens am Hof gab
                                                     es Möglichkeiten der Integration und des sozialen
     VOM MITTELALTERLICHEN EUROPA                    Aufstiegs. Im 18. Jahrhundert wurden Afrikaner
        BIS ZUR FRÜHEN NEUZEIT                       auch an die Höfe deutscher Fürsten gebracht, um
                                                     dort einen Beruf zu erlernen oder im Geiste der
Es gibt Belege dafür, dass sich bereits im Mit-      Aufklärung eine Ausbildung zu erhalten. Seit die-
telalter Menschen afrikanischer Herkunft im          ser Zeit ist auch belegt, dass Schwarze Menschen
deutschsprachigen Europa aufhielten. Insbeson-       in deutschen Städten etwa als Hafenarbeiter, fah-
dere während der Herrschaft des Stauferkönigs        rende Künstler oder Prostituierte arbeiteten.
Friedrichs II. als Kaiser des Heiligen Römischen         Zu den wenigen Personen dieser Zeit, deren
Reiches (1220–1250) waren zahlreiche Schwarze        Lebensläufe relativ gut dokumentiert sind, ge-
Männer und Frauen an seinem kosmopolitischen         hören der ghanaische Philosoph Anton Wilhelm
Hof tätig.02 Sie wurden als Sklaven gekauft oder     Amo (ca. 1703–1759), der den Herzögen von
im Rahmen diplomatischer Beziehungen von             Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt worden
muslimischen Würdenträgern geschenkt. Ande-          war und später an den Universitäten Halle und
re waren Untertanen des römisch-deutschen Rei-       Jena lehrte, der gut vernetzte Wiener Höfling
ches, das sich über weite Teile Mitteleuropas und    und Freimaurer Angelo Soliman (Mmadi Maki,
des heutigen Italiens erstreckte und auch eine Ko-   ca. 1721–1796) und die Ostafrikanerin Machbu-

04
Schwarz und Deutsch APuZ

ba (ca. 1825–1840), die als Jugendliche von Her-                   Deutsch-Ostafrika, das Teile der heutigen Staaten
mann von Pückler-Muskau als Sklavin gekauft                        Tansania, Burundi, Ruanda und kurzzeitig San-
und nach Europa gebracht wurde. Sie starb 1840                     sibar umfasste, sowie in geringerem Umfang aus
in Muskau,1234 Sachsen.05 Doch erst im letzten Vier-               dem damaligen Deutsch-Südwestafrika auf dem
tel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Män-                   Gebiet des heutigen Namibia.
ner und Frauen afrikanischer Herkunft, die sich                        Vor 1914 waren die Lebenswirklichkeiten
in Deutschland aufhielten, deutlich an – der Be-                   Schwarzer Menschen in Deutschland alles ande-
ginn einer kontinuierlichen Präsenz Schwarzer                      re als einheitlich, doch lassen sich durchaus eini-
Menschen in Deutschland.                                           ge allgemeine Aussagen treffen.06 Erstens waren
                                                                   Schwarze überall im deutschen Kaiserreich zu fin-
           WACHSENDE SICHTBARKEIT                                  den, in Ortschaften und Dörfern genauso wie in
               IM KAISERREICH                                      größeren Städten. Dies lag zum Teil daran, dass
                                                                   diejenigen, die direkt am Kolonialprojekt betei-
Die Entwicklung einer dauerhaften – zwar klei-                     ligt waren, in der Regel auch diejenigen waren,
nen, aber sichtbaren – Schwarzen Community                         die Afrikaner nach Europa brachten – Missio-
in Deutschland war eine unvorhergesehene Fol-                      nare, Beamte, Militärs, Geschäftsleute und Zoo-
ge des europäischen Imperialismus und der frü-                     Unternehmer. Diese lebten über das ganze Land
hen Globalisierung. Diese Prozesse schufen Wege                    verstreut. Zweitens handelte es sich in jener Zeit
und Transportverbindungen, die es Schwarzen                        bei der Gruppe Schwarzer Menschen in Deutsch-
Männern und Frauen aus unterschiedlichen Ge-                       land um eine junge, männlich dominierte Bevöl-
genden erst ermöglichten, nach Europa und nach                     kerung – nur sehr wenige Schwarze Frauen waren
Deutschland zu gelangen. Zwischen 1884, den                        zu dieser Zeit in Deutschland. Dies ist auf die ge-
Anfängen des deutschen Kolonialreichs in Afri-                     schlechtsspezifische Struktur vieler afrikanischer
ka, und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs                         Bevölkerungsgruppen zurückzuführen, die an
1914 hielten sich mehrere tausend Menschen af-                     dieser Migration beteiligt waren, und hängt auch
rikanischer Herkunft aus fast allen Regionen Af-                   mit den Routen zusammen, über die die Menschen
rikas sowie aus der Karibik, Südamerika und den                    nach Europa kamen.07 Drittens handelte es sich bei
Vereinigten Staaten in Deutschland auf. Insbe-                     der überwiegenden Mehrheit der Ankommenden
sondere die regelmäßigen und direkten Schiffs-                     um Durchreisende, eine Bevölkerung in ständiger
verbindungen zu den neuen deutschen Kolonien                       Bewegung: Nur eine Minderheit betrachtete ihren
erleichterten die Zuwanderung, vor allem aus Ka-                   Aufenthalt nicht als vorübergehend, und nur sehr
merun, aber auch aus Togo und dem damaligen                        wenige blieben über einen längeren Zeitraum.
                                                                       Schwarze Menschen kamen auf den unter-
                                                                   schiedlichsten Wegen und aus den unterschied-
01 Zu den wichtigsten Werken gehören: Katharina Oguntoye,
Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrika-
                                                                   lichsten Gründen ins Kaiserreich. Einige waren
nern in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997; Paulette       von Zwang geprägt, andere ließen Handlungs-
Reed-Anderson, Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren. Die        spielraum und beruhten auf einer bewussten
Anfänge der afrikanischen Diaspora in Berlin, Berlin 1995; Peter   Entscheidung für die Reise. Zahlreiche Men-
Martin, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Geschichte
                                                                   schen, darunter auch viele Frauen und Kinder,
und Bewußtsein der Deutschen, Hamburg 2001.
02 Vgl. Paul H. D. Kaplan, Black Africans in Hohenstaufen
                                                                   wurden von Unternehmern als „Exponate“ für
Iconography, in: Gesta 26/1987, S. 29–36; Rashid-S. Pegah,         Menschen-Zoos nach Europa geholt, in denen
Real and Imagined Africans in Baroque Court Divertissements,       sie zur Unterhaltung des weißen Publikums ihre
in: Mischa Honeck/Martin Klimke/Anne Kuhlmann-Smirnov              vermeintliche „Eingeborenenkultur“ vorführen
(Hrsg.), Germany and the Black Diaspora: Points of Contact,
                                                                   sollten. Solche Spektakel waren oft ein großes
1250–1914, New York 2013, S. 74–91.
03 Vgl. Jeff Bowersox, Johannes dictus Morus (d. 1254),
                                                                   Geschäft, organisiert von Impresarios wie dem
www.blackcentraleurope.com/sources/​1000-​1500/johannes-​
dictus-​m orus-​d -​1254/.
04 Vgl. Anne Kuhlmann-Smirnov, Schwarze Europäer im Alten          06 Vgl. Robbie Aitken, A Transient Presence: Black Visitors and
Reich: Handel, Migration, Hof, Göttingen 2013.                     Sojourners in Imperial Germany, 1884–1914, in: Immigrants and
05 Vgl. Stephen Menn/Justin Smith (Hrsg.), Anton Wilhelm           Minorities 34/2016, S. 233–253.
Amo’s Philosophical Dissertations on Mind and Body, New York       07 Dieses Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen galt
2020; Philipp Blom/Wolfgang Kos (Hrsg.), Angelo Soliman – Ein      nicht im Fall der afroamerikanischen Künstlerinnen und Künstler,
Afrikaner in Wien, Wien 2011.                                      die nach Deutschland kamen.

                                                                                                                                05
APuZ 12/2022

Hamburger Zoodirektor und Völkerschauaus-                               Die deutschen Kolonialbehörden in Berlin
richter Carl Hagenbeck. Auch der deutsche Staat                     und Afrika unterstützten zunächst die temporäre
förderte beispielsweise die Berliner Kolonialaus-                   Einwanderung, insbesondere aus den Kolonien,
stellung von 1896, zu deren Anlass rund hundert                     solange dies als vorteilhaft für die Ziele des deut-
Menschen aus den Kolonien in die Hauptstadt                         schen Imperialismus angesehen wurde. Eine dau-
gebracht wurden, um die Öffentlichkeit für die                      erhafte Ansiedlung von Afrikanern war jedoch
deutschen Übersee-Ambitionen zu begeistern.08                       zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, und bereits in
Noch einmal so viele junge afrikanische Männer                      den 1890er Jahren wurden Migrationsbeschrän-
trafen als Diener und Begleiter deutscher Kolo-                     kungen eingeführt, um die Zuwanderung aus den
nialfunktionäre, Missionare und Händler ein, die                    Kolonien zu kontrollieren und zu begrenzen. Die
auf Heimaturlaub waren. Darüber hinaus wurden                       Begründung war, dass junge Afrikaner durch den
Dutzende afrikanische Männer angestellt, um am                      Kontakt mit der europäischen Gesellschaft mo-
Hamburger Kolonialinstitut oder am Berliner                         ralisch korrumpiert würden und sich nach ihrer
Seminar für Orientalische Sprachen zukünftige                       Rückkehr nach Afrika nicht wieder in die strenge
deutsche Kolonisten in afrikanischen Sprachen                       Rassenhierarchie des kolonialen Umfelds einglie-
und Sitten zu unterrichten.09                                       dern wollten.11
     Eine weitere treibende Kraft hinter den Mi­                        Der Erfolg dieser wie auch späterer Beschrän-
gra­tions­bewegungen aus den Kolonien waren Tei-                    kungen ist fraglich. Afrikaner aus den deutschen
le der kolonisierten afrikanischen Gesellschaften                   Kolonien erreichten Deutschland noch bis zum
selbst. Mitglieder der wohlhabenden kameruni-                       Ausbruch des Ersten Weltkriegs in größerer Zahl.
schen und togolesischen Küstenelite etwa hatten                     Die überwiegende Mehrheit von ihnen kehrte vor
die finanziellen Mittel (oder aber Sponsoren), um                   Beginn der Kampfhandlungen nach Hause zu-
ihre Kinder, fast ausschließlich ihre Söhne, nach                   rück. Nichtsdestotrotz ließen sich einige Schwar-
Deutschland zu schicken, damit sie dort ausgebil-                   ze entweder aus freien Stücken oder aus der Not
det wurden oder eine Lehre absolvierten. Familien                   heraus längerfristig in Deutschland nieder, und
wie die Bells und Akwas in Douala in Kamerun                        so bildeten sich bereits vor 1914 in Städten wie
oder die Garbers und Lawsons in Aného in Togo                       Berlin, Hamburg und Hannover kleine Schwarze
erkannten in der Bildung einen Weg, über den sie                    Communities.
Prestige und politischen Einfluss gewinnen konn-
ten. Katholische und protestantische Missionsge-                                   WEIMARER REPUBLIK
sellschaften mit Sitz in den deutschen Kolonien
waren ebenfalls daran beteiligt, junge Afrikaner in                 Der Krieg und der anschließende Versailler Ver-
Deutschland für den künftigen religiösen Dienst                     trag stellten eine Wende für die Schwarze Bevöl-
auszubilden. Darüber hinaus traf in den deut-                       kerung in Deutschland dar.12 Die hohe Mobilität
schen Häfen, vor allem in Hamburg, eine Vielzahl                    der Vorkriegszeit kam zum Erliegen und hinter-
Schwarzer Männer ein, die für die zunehmend in-                     ließ nach 1918 eine viel kleinere, stabile und sess-
ternational ausgerichtete deutsche Handelsflotte                    hafte Diaspora. Für die Dauer des Krieges saßen
arbeiteten. Und bereits vor 1914 traten Schwar-                     Schwarze Menschen, die sich eigentlich nur tem-
ze Künstlerinnen und Künstler, vor allem aus den                    porär in Deutschland aufgehalten hatten, im Land
Vereinigten Staaten, in deutschen Städten auf.10                    fest. Mehrere Männer aus den Kolonien kämpf-
                                                                    ten für die deutsche Armee in Europa und wur-
08 Vgl. Andrew Zimmerman, Anthropology and Antihumanism             den für ihre Verdienste im Krieg ausgezeichnet.
in Imperial Germany, Chicago 2001, S. 24–37.                        Andere arbeiteten in Munitionsfabriken. Schwar-
09 Vgl. Aitken (Anm. 6), S. 240–243. Siehe auch Holger Stoe-
                                                                    ze mit britischem oder französischem Pass wur-
cker, Afrikawissenschaft in Berlin von 1919 bis 1945. Zur Ge-
schichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes,
                                                                    den zum Teil als Kriegsgefangene inhaftiert.
Stuttgart 2008; Marianne Bechhaus-Gerst, Kiswahili sprechende
Afrikaner in Deutschland vor 1914, in: Afrikanistische Arbeitspa-   11 Vgl. Robbie Aitken/Eve Rosenhaft, Black Germany: The
piere 55/1998, S. 155–172.                                          Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884–1960,
10 Vgl. Jeff Bowersox, Seeing Black: Foote’s Afro-American          Cambridge 2013, S. 37–43, S. 60–62.
Company and the Performance of Racial Uplift in Imperial Ger-       12 Während der Weimarer Zeit kamen etwa 600 bis 800
many in 1891, in: German History 38/2020, S. 387–413; Kira          Kinder aus gemischten Beziehungen zwischen deutschen Frauen
Thurman, Singing Like Germans: Black Musicians in the Land of       und den französischen Kolonialtruppen der Rheinlandbesetzung
Bach, Beethoven, and Brahms, Ithaca 2021.                           zur Welt. Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft.

06
Schwarz und Deutsch APuZ

    Mit Ausnahme von Deutsch-Ostafrika, wo                           tige Ziel blieb jedoch, die Rückkehr der Männer
die Kämpfe bis Ende 1918 andauerten, war das                         nach Afrika sicherzustellen.
Deutsche Reich in Afrika bis 1916 praktisch zu-                          Trotz dieser beträchtlichen Hindernisse
sammengebrochen. Im Rahmen des Friedensab-                           konnten die Männer aus den ehemaligen Ko-
kommens wurde Deutschland seiner Kolonien                            lonien und anderen Regionen Afrikas, zusam-
enteignet, was der kontinuierlichen Einwande-                        men mit afroamerikanischen Männern aus den
rung aus den Kolonialgebieten und überhaupt                          USA und der Karibik, in der Zwischenkriegs-
der Immigration aus Afrika ein Ende setzte. Die                      zeit zunehmend Wurzeln in Deutschland schla-
deutschen Kolonien wurden unter zumeist fran-                        gen. Es wurden Ehen geschlossen und Famili-
zösische und britische Mandate gestellt. Dies be-                    en gegründet, obwohl die deutschen Behörden
deutete auch, dass die mutmaßlich mehreren hun-                      mitunter aktiv versuchten, gemischte Paare zu
dert Männer aus diesen Gebieten, die sich noch                       trennen. Angesichts des Ungleichgewichts zwi-
im Nachkriegsdeutschland befanden und den                            schen den Geschlechtern unter den Schwarzen
Großteil der Schwarzen Bevölkerung ausmach-                          Einwohnern bedeutete Heirat meist, eine wei-
ten, nun rechtlich den Mandatsmächten unter-                         ße Partnerin zu finden, und bis 1933 wurden
standen. Für ihre Rückkehr nach Afrika benö-                         mehrere Dutzend gemischte Ehen geschlos-
tigten sie also eine Erlaubnis der französischen                     sen.16 Aus diesen und nichtehelichen Bezie-
oder der britischen Behörden. Beide Staaten zö-                      hungen entwickelte sich eine neue Generation
gerten jedoch, diese Verantwortung wahrzu-                           Schwarzer Deutscher. Diese afrodeutschen Fa-
nehmen, und lehnten routinemäßig Anträge auf                         milien waren Teil des größeren Wandels hin zu
Rückkehr in die Heimat ab, sodass diese Männer                       einer stabilen, dauerhaft ansässigen Schwarzen
in Deutschland strandeten und sich dort notge-                       Community in der Zwischenkriegszeit. Doch
drungen ­niederließen.13                                             nach den Bestimmungen des deutschen Staats-
    Ihr rechtlicher Status war komplex: Vor dem                      angehörigkeitsrechts erbten sowohl die Ehe-
Krieg waren sie nie deutsche Staatsbürger gewe-                      frauen als auch die Kinder der Männer aus den
sen, sondern eher Untertanen mit begrenzten und                      ehemaligen Kolonien deren faktische Staaten­
unklaren Rechten. Nach dem Krieg wären sie am                        losigkeit.17
ehesten als staatenlos zu bezeichnen.14 Denjeni-                         Die meisten Schwarzen Einwohnerinnen
gen, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantrag-                   und Einwohner zogen in die expandierenden,
ten, wurde fast ausnahmslos die Einbürgerung                         kosmopolitischen Metropolen Berlin und Ham-
verweigert. In der Folge war es für sie alles andere                 burg, wo sie sowohl untereinander als auch
als einfach, sich ein Leben in Deutschland aufzu-                    für Außenstehende an Sichtbarkeit gewannen.
bauen. Die deutschen Behörden zeigten sich we-                       Schon in der Vorkriegszeit, aber zunehmend in
nig begeistert, sich dieser Männer anzunehmen,                       der Weimarer Republik, hatten gemeinsame In-
und die Linie der Politik ihnen gegenüber war bis                    teressen, die geteilten Erfahrungen von Rassis-
etwa 1939 von der Hoffnung geprägt, die verlo-                       mus und Kolonialismus und die Schwierigkeiten
renen Kolonien zurückzugewinnen. Ihre Anwe-                          des wirtschaftlichen und sozialen Überlebens in
senheit wurde geduldet, um negative Schlagzeilen                     Deutschland für Bindungen zwischen Schwar-
in der internationalen Presse zu vermeiden. Dazu                     zen mit teils sehr unterschiedlichen Hintergrün-
gehörte auch eine begrenzte finanzielle Unter-                       den gesorgt. Indem sie miteinander in Kontakt
stützung für arbeitslose Afrikaner.15 Das langfris-                  traten und informelle und formelle Netzwerke
                                                                     auf lokaler und nationaler Ebene aufbauten, ent-
                                                                     stand erstmals eine organisierte Gemeinschaft
13 Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 2.
                                                                     Schwarzer Menschen in Deutschland. Die Sied-
14 Zwischen 1884 und 1945 erhielten lediglich drei Familien
die deutsche Staatsbürgerschaft. Vgl. Laura Frey/Robbie Aitken,
                                                                     lungsmuster in Berlin und Hamburg sind ein
„Appartenances coloniales“. Les répercussions du traité de           Beleg für diese sich entwickelnde Community.
Versailles sur le statut juridique des Allemands noirs et de leurs   Typischerweise konzentrierten sich die Schwar-
familles entre les deux guerres, in: Revue d’Allemagne et des        zen Bewohnerinnen und Bewohner auf eini-
pays de langue allemande 2/2020, S. 365–380.
                                                                     ge wenige Gebiete, lebten und arbeiteten in un-
15 Vgl. Heiko Möhle, Betreuung, Erfassung, Kontrolle – Die
Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde, in: Joachim
Zeller/Ulrich van der Heyden (Hrsg.), Kolonialmetropole Berlin,      16 Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 3.
Berlin 2002, S. 243–251.                                             17 Vgl. ebd., S. 94–102.

                                                                                                                             07
APuZ 12/2022

Schauspielerinnen und Schauspieler bei Dreharbeiten zum Spielfilm „Einbrecher“ von Hanns Schwarz in
den Ufa-Ateliers Neubabelsberg, Potsdam, im Jahr 1930.
Quelle: Sammlung des Autors

mittelbarer Nähe zueinander und teilten sich         Schwarze Darsteller dauerhaften Erfolg.18 Doch
manchmal Unterkünfte. Ein deutliches Zeichen         in einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft auf
für die Bildung einer Community war überdies         eine Krise zusteuerte, bot die Arbeit als Schau-
die Entstehung sozialer Räume, die explizit von      spieler einen beträchtlichen finanziellen Zuver-
Schwarzen Menschen frequentiert wurden, wie          dienst. Film, Theater und Zirkus wurden zu Or-
die von dem Inder Hardas Singh betriebene „In-       ten, an denen Schwarze Menschen miteinander
dian Bar“ in Hamburg oder das Café Central in        in Kontakt kamen, was das Gemeinschaftsgefühl
Berlin.                                              unter ihnen stärkte. Feste Strukturen ergaben sich
    Das Café Central war nicht nur ein Treffpunkt    für sie schließlich durch die sozialen und politi-
für Schwarze, sondern diente auch als Rekrutie-      schen Organisationen, die Schwarze Menschen in
rungsstätte für Film-, Theater- und Zirkusdirek-     Deutschland selbst gründeten.
toren, die nach Schwarzen Darstellerinnen und
Darstellern suchten. In den späten 1920er Jah-                   SCHWARZER AKTIVISMUS
ren waren die meisten Schwarzen fast vollständig
von anderen Beschäftigungsmöglichkeiten aus-         1921 schrieb Louis Brody einen offenen Brief
geschlossen und versuchten, ihren Lebensunter-       an die Berliner Zeitung „B. Z. am Mittag“, in
halt stattdessen durch Film- und Bühnenauftrit-      dem er gegen die rassistischen Beschimpfun-
te zu bestreiten. Die Rollen, die ihnen angeboten    gen protestierte, denen die Schwarze Bevölke-
wurden, entsprachen in der Regel dem Stereotyp       rung Deutschlands aufgrund der „Schwarzen
„des Schwarzen“ als primitiv oder exotisch. Ab-
gesehen von dem Kameruner Bebe Mpessa, bes-          18 Vgl. Tobias Nagl, Die unheimliche Maschine. Rasse und
ser bekannt als Louis Brody, hatten nur wenige       Repräsentation im Weimarer Kino, München 2009, S. 557–590.

08
Schwarz und Deutsch APuZ

Schmach“ ausgesetzt war.19 Dabei handelte es                     Juni 1918 übergaben Dibobe und seine 17 Mit-
sich um eine zutiefst rassistische Propaganda-                   streiter dem Reichskolonialamt eine 32 Punkte
kampagne gegen den Einsatz französischer Ko-                     umfassende Petition. Die an die Weimarer Na-
lonialtruppen während der alliierten Besetzung                   tionalversammlung gerichtete Eingabe sah eine
des Rheinlandes.20 Brodys Intervention steht in                  radikale Neuverhandlung der Beziehungen zwi-
einer längeren Tradition von Schwarzem Akti-                     schen Kamerun und Deutschland vor. Die bei-
vismus in Deutschland, der schon in den frühe-                   den Länder sollten zwar weiterhin eng mitei-
ren antikolonialen Aktivitäten der Kameruner                     nander verbunden sein, Kamerun sollte jedoch
Alfred Bell und Mpundu Akwa sowie in ei-                         aus dem Griff des Kolonialismus befreit und Ka-
nem Zeitungsartikel des Togolesen Kuaku Karl                     meruner und Deutsche sowohl in Deutschland
Atiogbe aus dem Jahr 1908 seinen Ausdruck                        als auch in Afrika politisch und sozial gleich-
fand. In besagtem Zeitungsartikel stellte Atiog-                 gestellt werden. Angesichts des antikolonialen
be die vorurteilsbehafteten Annahmen der Deut-                   Charakters der Petition überrascht es nicht, dass
schen über Schwarze Menschen ganz grundsätz-                     die Forderungen der Männer ignoriert wurden.
lich in Frage.21                                                 Der AH, der 1920 43 Mitglieder zählte, vertrat
    Brodys Brief von 1921 wurde im Namen des                     die Interessen der Schwarzen Gemeinschaft in
Afrikanischen Hilfsvereins (AH) veröffentlicht.                  Deutschland bis zu seiner Auflösung Mitte der
Der 1918 in Hamburg gegründete Verein war ein                    1920er Jahre.24
Sprachrohr der sich entwickelnden Schwarzen                          1929 gründeten einige Unterzeichner der Pe-
Gemeinschaft in Deutschland. Er wurde als zen-                   tition sowie ehemalige AH-Mitglieder eine deut-
traler Organisationspunkt für alle Menschen af-                  lich politischere, kommunistisch finanzierte, an-
rikanischer Herkunft in Deutschland gegründet,                   tikoloniale Nachfolgeorganisation in Berlin.25
um Fürsorge und Rechtsberatung zu bieten und                     Auch sie wurde von Kamerunern dominiert
als Ersatz für die „Stammesgemeinschaft und Fa-                  und versuchte, die Interessen der Schwarzen in
milie der Heimat“ zu dienen.22 Von den 32 Grün-                  Deutschland zu vertreten und gleichzeitig gegen
dungsmitgliedern waren die meisten Kameruner,                    die weltweite Ausbeutung von Menschen afri-
aber die Mitgliedschaft stand jedem in Deutsch-                  kanischer Herkunft zu protestieren. Ihre Netz-
land lebenden Schwarzen offen. Auch Männer                       werke reichten über Deutschland hinaus zu einer
aus Togo, Ost- und Westafrika und der Karibik                    Schwesterngruppe in Paris, zu afrikanischen an-
engagierten sich im Verein. Obwohl viele Mitglie-                tikolonialer Aktivisten in anderen europäischen
der in Hamburg und Berlin ansässig waren, betä-                  Ländern und zu kommunistischen Aktivisten in
tigte sich die Gruppe landesweit und hatte auch                  Moskau. Ihre zentrale Figur war der kameruni-
in Ostpreußen, Bayern, Westfalen und Mecklen-                    sche Kommunist Joseph Ekwe Bilé, der als Red-
burg Unterstützer.                                               ner bei antiimperialistischen Demonstrationen
    Obwohl der Verein sich selbst als unpoli-                    der Kommunistischen Internationale auftrat. Mit
tisch bezeichnete, meldete er sich zu Themen zu                  der Machtübernahme durch die Nationalsozialis-
Wort, die für die Mitglieder von großem sozi-                    ten im Januar 1933 fand der öffentliche Schwarze
alen und politischen Interesse waren. Ein Kreis                  politische Aktivismus in Deutschland jedoch ein
um den Kameruner Martin Dibobe versuchte,                        jähes Ende.
sich in die Nachkriegsdebatten über das Schick-
sal der deutschen Kolonien einzuschalten.23 Im                   Reed-Anderson, Hearing Colonial Voices: Martin Dibobe and
                                                                 the 1919 Cameroonian Petition, in: Mont Cameroun 2/2005,
                                                                 S. 49–64.
19 Vgl. Louis Brody, Die deutschen Neger und die „schwarze       24 Zur Geschichte des Afrikanischen Hilfsvereins vgl. Peter
Schmach“, in: B. Z. am Mittag, 24. 5. 1921.                      Martin, Anfänge politischer Selbstorganisation der deutschen
20 Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft.              Schwarzen bis 1933, in: Marianne Bechhaus-Gerst/Reinhardt
21 Zu Bell siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), S. 24–28; Karl      Klein-Arendt (Hrsg.), Die (koloniale) Begegnung. AfrikanerInnen
Atiogbe, Ein Wort für meine schwarzen Brüder, in: Berliner       in Deutschland 1880–1945, Deutsche in Afrika 1880–1918,
Tageblatt, 2. Beiblatt, 15. 3. 1908.                             Frank­furt/M. 2003, S. 200–201.
22 Statut des Afrikanischen Hilfsvereins, Staatsarchiv Hamburg   25 Zur „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ (LzVN) vgl.
331–333, SA 2819.                                                Robbie Aitken, From Cameroon to Germany and Back via
23 Vgl. Stefan Gerbing, Afrodeutscher Aktivismus. Interven-      Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–
tionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung       1959), Performer, „Negerarbeiter“ and Comintern Activist, in:
Deutschlands 1919, Frank­furt/M. 2010, S. 47–55; Paulette        Journal of Contemporary History 43/2008, S. 597–616.

                                                                                                                              09
APuZ 12/2022

                 VERFOLGUNG                                         Bis zum Sommer 1940 wurde die antischwar-
             IN NAZI-DEUTSCHLAND                                ze Politik bis zu einem gewissen Grad durch die
                                                                Hoffnung auf die Rückgewinnung der Kolonien
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten                     abgefedert. Der koloniale Revisionismus eröff-
hatte große Auswirkungen auf das Leben al-                      nete vorübergehend sichere Räume für Einzel-
ler Schwarzen in Deutschland. Mitglieder der                    personen und Familien. Mit dem Ausbruch des
Schwarzen Community erinnerten diesen Mo-                       Zweiten Weltkriegs sahen sich Schwarze und ihre
ment als einen Wendepunkt in ihrer persönlichen                 weißen Partner und Partnerinnen jedoch einem
Geschichte.26 Als nicht ins Rassekonzept der Na-                erhöhten Maß an Gewalt ausgesetzt, da der Ko-
zis passende Außenseiter sollten sie von der Zu-                lonialrevisionismus und die Sorge um das inter-
gehörigkeit zum neuen Deutschland systematisch                  nationale Ansehen Deutschlands keine Priorität
ausgeschlossen werden. Auf lokaler Ebene wur-                   mehr hatten.27 Immer mehr Menschen wurden
den Einzelpersonen von fanatisierten Parteigän-                 in Konzentrationslagern, Zwangsarbeitslagern
gern schikaniert. Wenige Monate nach der Macht-                 und Sanatorien inhaftiert, sterilisiert und/oder
ergreifung im Jahr 1933 wurde der Künstler und                  ­ermordet.
Aktivist Hilarius Gilges in Düsseldorf von ei-
nem Mob lokaler NS-Funktionäre und -Anhän-                                       NACHWEHEN
ger ermordet. Einige Familien wurden aus ihren
Häusern vertrieben, andere verloren ihre Exis-                  Die Schwarze Bevölkerung, die die NS-Zeit über-
tenz. Die Viktimisierung erstreckte sich auch auf               lebte, zählte nun deutlich weniger Menschen, und
in Deutschland geborene Schwarze Kinder, die                    die Community, die sich seit dem späten 19. Jahr-
in der Schule rassistischen Beleidigungen ausge-                hundert entwickelt hatte, war verstreut und trau-
setzt waren, und fast ausnahmslos wurde ihrem                   matisiert. Mit der Zeit wurden Freundschaften
Bildungsweg mit der Nazifizierung des Schul-                    und Netzwerke wiederhergestellt. Ihre Erfah-
systems vorzeitig ein Ende gesetzt. Es überrascht               rungen und Leiden bleiben jedoch in der öffent-
nicht, dass sich viele zur Flucht aus Deutschland               lichen und historischen Erinnerung an das Dritte
entschieden.                                                    Reich fast gänzlich unerwähnt, was die Unsicht-
    Die Ausgrenzung wurde noch beschleunigt,                    barkeit dieser Schwarzen Gemeinschaft sowie
als Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1935 die                  der Schwarzen deutschen Vergangenheit in der
Nürnberger Gesetze, die Eheschließungen zwi-                    allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung wi-
schen sogenannten Ariern und Juden untersag-                    derspiegelt. Diese Unsichtbarkeit ist das Ergeb-
ten, in Teilen ausdrücklich auf Schwarze ausdehn-               nis mehrerer komplexer Ursachen: dem schieren
te. Nun waren Ehen zwischen zeugungsfähigen                     Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten,
Menschen afrikanischer Herkunft und weißen                      der zahlenmäßig geringen Größe der Schwar-
Europäern und Europäerinnen verboten. Die                       zen Bevölkerung in Deutschland vor 1945, dem
Anträge auf Erlaubnis zur Eheschließung wurden                  Mangel an Archiv-Dokumentation und der an-
ausnahmslos abgelehnt, und die Nazis versuchten                 haltenden Unfähigkeit, sich konstruktiv mit der
aktiv, bestehende Partnerschaften durch die An-                 kolonialen Vergangenheit Deutschlands aus-
drohung von Sterilisation und Inhaftierung auf-                 einanderzusetzen. Die Folge ist, dass es kaum
zulösen. Dies verdeutlicht die völkermörderische                eine Erinnerung daran gibt, dass es in Deutsch-
Absicht der antischwarzen Politik und Praxis der                land einmal eine Schwarze Bevölkerung gegeben
Nazis. Das Ziel des Regimes bestand letztlich da-               hat, die größtenteils aus den deutschen Kolonien
rin, das Heranwachsen künftiger Generationen                    stammte.
von Schwarzen Deutschen zu verhindern.27
                                                                Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken
26 Siehe zum Beispiel Doris Reiprich/Erika Ngambi Ul Kuo,
Unser Vater war Kameruner, unsere Mutter Ostpreußin, wir
sind Mulattinnen, in: Katharina Oguntoye/May Opitz/Dagmar
Schultz (Hrsg.), Farbe bekennen, Frankfurt/M. 2006, S. 73–92;
                                                                ROBBIE AITKEN
Gert Schramm, Wer hat Angst vorm schwarzen Mann, Berlin
2011; Theodor Wonja Michael, Deutsch sein und schwarz dazu,
                                                                ist Professor für Geschichte an der Sheffield Hallam
München 2013.                                                   University, Vereinigtes Königreich.
27 Siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 7.                 r.aitken@shu.ac.uk

10
Schwarz und Deutsch APuZ

     DIE „FARBIGEN BESATZUNGSKINDER“
            DER ZWEI WELTKRIEGE
                                            Julia Roos

Nach beiden Weltkriegen waren im besetzten          Geschichte beider Generationen von Besatzungs-
Rheinland neben weißen alliierten Truppen auch      kindern vergleichend betrachten, werden wich-
Soldaten of Color stationiert. In der Weimarer      tige Defizite der öffentlichen Erinnerung in den
Republik handelte es sich überwiegend um fran-      Fünfzigerjahren sichtbar, die eine konsequen-
zösische Kolonialtruppen aus Nordafrika, Mada-      te Bekämpfung rassistischer Denk- und Hand-
gaskar, dem Senegal und Vietnam. In der frühen      lungsweisen wesentlich erschwerten.
Bundesrepublik waren schwarze Besatzungssol-
daten mehrheitlich afroamerikanische GIs. Die                PROPAGANDAKAMPAGNE
außerehelichen Kinder alliierter Soldaten of Co-         „SCHWARZE SCHMACH AM RHEIN“
lor mit deutschen Frauen sind für die Geschichte
politischer Konflikte darüber, ob es möglich ist,   Am 20. Mai 1920 verabschiedete die Deutsche
zugleich schwarz und deutsch zu sein, von zen-      Nationalversammlung eine förmliche Anfrage
traler Bedeutung.01 Dies gilt zum einen in quan-    an die Reichsregierung „betreffend Verwendung
titativer Hinsicht: Im 20. Jahrhundert bildeten     farbiger Truppen in den besetzten Gebieten der
die Söhne und Töchter schwarzer Besatzungssol-      Rheinlande,“ die von allen Abgeordneten mit
daten lange die größte Gruppe schwarzer Deut-       Ausnahme der Unabhängigen Sozialdemokra-
scher. Von den (relativ wenigen) Menschen, die      ten (USPD) unterstützt wurde. Die Verfasser be-
vor 1919 aus den ehemaligen Kolonien einge-         zeichneten es als „eine Schmach“, dass Soldaten
wandert waren, hatte nur eine kleine Minderheit     of Color „in deutschen Kulturländern Hoheits-
die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Im Ge-    rechte ausüben“, für deutsche Frauen und Kinder
gensatz dazu waren die sogenannten Besatzungs-      seien „diese Wilden eine schauerliche Gefahr“,
kinder in der Regel gebürtige Deutsche. Da sie      und die Zustände seien „schandbar, erniedrigend,
von Soldaten abstammten, die für viele Deut-        unerträglich!“ In der ganzen Welt erhöben sich
sche nicht nur die als demütigend empfundene        „immer mehr entrüstete Stimmen, die diese un-
Kriegsniederlage, sondern auch eine vermeintli-     auslöschliche Schmach verurteilen“.03
che „rassische Bedrohung“ verkörperten, waren           Die Anfrage verdeutlicht wesentliche Aspek-
sie bevorzugte Zielscheibe nationalistischer Res-   te der rassistischen Propagandakampagne gegen
sentiments. Im Dritten Reich wurden Hunderte        die „schwarze Schmach am Rhein“, deren Ent-
von ihnen zur „Reinhaltung der Rasse“ zwangs-       stehung eng mit den innen- und außenpolitischen
sterilisiert.                                       Krisen des Frühjahrs 1920 verknüpft war.04 Im
    Die Kulturtheoretikerin Michelle Wright hat     Verlauf des blutigen Ruhrkampfs, den der rechts-
darauf hingewiesen, dass die Besonderheiten der     extreme Kapp-Putsch vom 13. März ausgelöst
Entstehungsgeschichte der schwarzen Diaspora        hatte, drangen Reichswehreinheiten illegal in die
in Deutschland wesentlich zur Formierung eines      entmilitarisierte Zone ein. Daraufhin besetzten
rassistischen Diskurses beitrugen, der schwar-      belgische und französische Truppen kurzfristig
ze Deutsche als „Afri­ka­ner*­innen“ beziehungs-    Frankfurt am Main. Dort kam es am 7. April zu
weise als „von außen kommende Fremde“ (Oth-         Zusammenstößen zwischen marokkanischen Sol-
ers-from-without) konstituierte.02 Im Folgenden     daten und deutschen Zivilisten, bei denen mehrere
sollen daher Debatten über „farbige Besatzungs-     Deutsche getötet wurden. Bereits einen Tag spä-
kinder“ zwischen 1920 und 1960 mit einem Fo-        ter begann das Auswärtige Amt mit den Vorbe-
kus auf ihre Ursprünge, Kontinuitäten und Ver-      reitungen für eine Auslandspropaganda zum The-
schiebungen untersucht werden. Indem wir die        ma „Ausschreitungen farbiger Truppen“.05 Der

                                                                                                     11
APuZ 12/2022

ausschließliche Blick auf Soldaten of Color führte                  gung“ Deutschlands durch „afrikanische Wilde“
zu groben Verzerrungen. Zeitgenössische Statisti-                   sollte international gegen den Versailler Vertrag
ken zeigten, dass nur ein sehr geringer Prozent-                    Stimmung gemacht werden. Dieses Kalkül schien
satz kolonialer Truppen an gewaltsamen Über-                        zunächst aufzugehen. In den frühen Zwanziger-
griffen gegen deutsche Zivilisten beteiligt war. Ein                jahren unterstützten zahlreiche ausländische Per-
Beispiel verdeutlicht dies: Ein Bericht des Reichs-                 sönlichkeiten und Vereine die Kampagne gegen
kommissars für die besetzten rheinischen Ge-                        Frankreichs Kolonialtruppen.09 Aus deutscher
biete vom Januar 1922 beschuldigte französische                     Sicht besonders ergiebig war die Kollaboration mit
Kolonialsoldaten, zwischen September 1920 und                       dem englischen Journalisten und Labour-Politi-
Juni 192112345 siebenundzwanzig Straftaten begangen                 ker E. D. Morel.10 In seiner auflagenstarken Schrift
zu haben.06 Im gleichen Zeitraum belief sich die                    „The Horror on the Rhine“ warnte Morel vor dem
durchschnittliche Stärke der im Rheinland stati-                    Sexualtrieb der „primitiven Rassen“, der sehr viel
onierten Kolonialtruppen auf 25 000.07 Hinter ge-                   „aggressiver“ und „ungehemmter“ sei als der eu-
schlossenen Türen gaben Regierungsbeamte zu,                        ropäischer Männer. Der „französische Militaris-
dass weiße alliierte Truppen eine ernstere Bedro-                   mus“ habe die afrikanischen Soldaten gewaltsam
hung für die öffentliche Sicherheit darstellten als                 von ihrem „eigenen Weibervolk“ getrennt und auf
Kolonialsoldaten.08                                                 das Rheinland „losgelassen“. Zwangsläufige Folge
    Im Zentrum der stark pornografisch anmuten-                     sei, dass „die sexuellen Bedürfnisse der nord- und
den Bildsprache der „schwarzen Schmach“ standen                     westafrikanischen Truppen an den Körpern weißer
Sexualverbrechen, die französische Kolonialsolda-                   Frauen befriedigt werden müssen“.11
ten angeblich an rheinischen Frauen und Mädchen                          Rassistische Diskurse über die „Black Peril“
verübt hatten. Mithilfe der reißerischen Metapher                   (angebliche Vergewaltigungen weißer Frauen durch
der Rheinlandbesetzung als brutale „Vergewalti-                     schwarze Männer) waren ein globales Phänomen
                                                                    der Zwanzigerjahre.12 Im deutschen Kolonialreich
01 Vgl. Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche, Der Diskurs um
                                                                    waren zwischen 1906 und 1912 „Mischehen“ zwi-
„Rasse“ und nationale Identität 1890–1933, Frankfurt/M. 2001.       schen deutschen Siedlern und indigenen Frauen auf
02 Vgl. Michelle Wright, Becoming Black. Creating Identity in       dem Verordnungsweg verboten worden.13 Obwohl
the African Diaspora, Durham 2004, S. 190.                          Deutschland 1919 seine Kolonien offiziell verlor,
03 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Natio-
                                                                    trug die Bewegung gegen die „schwarze Schmach“
nalversammlung, Bd. 343, Berlin 1920, S. 3407.
04 Vgl. Christian Koller, „Von Wilden aller Rassen niedergemet-
                                                                    wesentlich dazu bei, dass zentrale Elemente kolo-
zelt“. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in      nialer Debatten über die „biologischen Gefahren“
Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–      der „Rassenkreuzung“ weiterlebten, indem sie auf
1930), Stuttgart 2001; Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze           die deutsche Gesellschaft übertragen wurden.14
Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland
                                                                    Für Besatzungskinder of Color war dies eine fata-
1918–1964, Köln 2006; Iris Wigger, Die „schwarze Schmach am
Rhein“. Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse,
Nation und Rasse, Münster 2007; Julia Roos, Nationalism, Ra-        09 Vgl. Wigger (Anm. 4), S. 34–66; Koller (Anm. 4), S. 284–311.
cism and Propaganda in Early Weimar Germany. Contradictions         10 Robert Reinders, Racialism on the Left. E. D. Morel and the
in the Campaign against the „Black Horror on the Rhine“, in:        „Black Horror on the Rhine,“ in: International Review of Social
German History 1/2012, S. 45–74.                                    History 13/1968, S. 1–28.
05 Vgl. das Schreiben Carl-Ludwig Diego von Bergens, des            11 E. D. Morel, The Horror on the Rhine, London 1921, S. 10.
Botschafters des Deutschen Reichs beim Heiligen Stuhl, an Unter-    Aus dem Englischen übersetzt durch die Autorin.
staatssekretär Edgar Haniel von Haimhausen vom 8. 4. 1920, so-      12 Vgl. Ann Laura Stoler, Carnal Knowledge and Imperial Pow-
wie Haniels internes Memorandum vom gleichen Tag, in: Politisches   er. Race and the Intimate in Colonial Rule, Berkeley 2010, S. 58.
Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA) R. 74.427, ohne Paginierung.     13 Vgl. Birthe Kundrus, Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich
06 Bericht des Reichskommissars für die besetzten rheinischen       im Spiegel seiner Kolonien, Köln 2003, S. 219–279; Krista Mol-
Gebiete vom 28. 1. 1922, in: Landesarchiv Nordrhein Westfalen,      ly O’Donnell, The First Besatzungskinder. Afro-German Children,
Regierung Düsseldorf Nr. 15148, S. 90–110.                          Colonial Childrearing Practices, and Racial Policy in German
07 Vgl. Maß (Anm. 4), S. 79.                                        Southwest Africa, 1890–1914, in: Patricia Mazon/Reinhild Stein-
08 Margarete Gärtner, die Vorsitzende der halbamtlichen             gröver (Hrsg.), Not So Plain as Black and White. Afro-German
Rheinischen Frauenliga (RFL) im Reichsinnenministerium, be-         Culture and History, 1890–2000, Rochester 2005, S. 61–81.
merkte, dass die „sittlichen Zustände“ im amerikanisch besetzten    14 Vgl. Alexandra Przyrembel, „Rassenschande“. Reinheits-
Gebiet, in dem nahezu ausschließlich weiße Truppen stationiert      mythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus,
waren, „am schlimmsten“ seien. Protokoll einer Sitzung der RFL      Göttingen 2003, S. 43; Tina Campt, Other Germans. Black
vom 9. 4. 1921, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHS-       Germans and the Politics of Race, Gender and Memory in the
tA) Haupthilfsstelle Pfalz (HHStPf) Nr. 35, ohne Paginierung.       Third Reich, Ann Arbor 2004, S. 28.

12
Schwarz und Deutsch APuZ

le Entwicklung. Fortan verbanden sich in der sym-             Foto zeigte die Amerikanerin mit einem schwar-
bolischen Figur des schwarzen Besatzungskinds                 zen Jungen und einem weißen Mädchen, das sich
die rassistischen Stereotype des die deutsche Nati-           hilfesuchend an Beveridge klammert. Angeblich
on von außen bedrohenden schwarzen „Fremden“                  handelte es sich bei den Kindern um „ein Bastard-
mit der Furcht vor „innerer Verseuchung“.                     Kind, 9 Monate alt, das Kind einer deutschen wei-
    Im April 1922 erschien in der Tageszeitung                ßen Mutter und eines farbigen Franzosen“ und
„Münchner Neueste Nachrichten“ ein Beitrag des                um ein „deutsche[s] unterernährte[s] Kind, 6 Jahre
Arztes Franz Rosenberger. Rosenberger war Vor-                alt, ein Opfer der unmenschlichen Hungerblocka-
standsmitglied des Vereins „Deutscher Notbund                 de“.18 Die Nachricht war eindeutig: Besatzungs-
gegen die schwarze Schmach“, der enge Kontak-                 kinder of Color waren keine Deutschen, son-
te zur antisemitischen völkischen Bewegung un-                dern gewaltsam in die Bevölkerung eingeschleuste
terhielt. Vom besetzten Rheinland ausgehend, so               „Fremdkörper“, die den „echten“ deutschen Kin-
Rosenberger, „droht dem deutschen Volke eine au-              dern lebenswichtige Ressourcen entzogen.
ßerordentliche Gefahr durch gewaltsame Vermi-                      Eine Anfrage des Reichsfrauenausschusses der
schung mit Farbigen, durch Verseuchung mit Ge-                Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an den
schlechtskrankheiten (…).“ Das wahre Ausmaß                   Reichsminister für die besetzten rheinischen Ge-
der „rassischen Verunreinigung“ sei schwer zu er-             biete vom Februar 1927 verdeutlicht, welch tiefe
messen, denn die Träger „artfremden Bluts“ seien              Wurzeln die rassistische Hysterie über die angebli-
oft nicht als solche erkennbar. „Ganze Generatio-             chen Gefahren der „Mischlingskinder“ geschlagen
nen können scheinbar rein kaukasisch sein, ein jun-           hatte. Der Ausschuss bat „um gefällige Mitteilung,
ges Paar aus solchen ‚seit Menschengedenken‘ rein             ob irgend welche Einrichtungen bestehen, um Kin-
weißen Familien heiratet, freut sich auf den Spröß-           der, die von farbigen Truppen im besetzten Gebiet
ling, und es kommt ein erbärmlicher Mischling.“               stammen, zu versorgen und zu verhindern, dass
Die Kränklichkeit der „Mischlinge“ rühre daher,               solche Mischlinge im deutschen Volke aufgehen“.19
dass die Kinder weder den klimatischen Bedingun-              Der Reichsminister äußerte sich pessimistisch: Da
gen noch den sozialen Anforderungen des „ver-                 die meisten der Kinder unehelich geboren waren,
wickelten Ablauf[s] europäischen Geschehens“                  hatten sie die Staatsbürgerschaft ihrer Mutter ge-
gewachsen seien. Rosenberger prophezeite eine                 erbt und waren somit Reichsangehörige. „Hieraus
düstere Zukunft: „Wehe der weißen Rasse, wenn                 ergibt sich, dass ihrer Abkunft wegen irgendwelche
das dichtbevölkerte Rheinland der Mulattisierung              Sondermaßnahmen gegen sie nicht werden ergrif-
im Herzen des rein weißen Europas verfällt!“15                fen werden können.“ Die Anfrage motivierte den
    Auch staatliche Stellen trugen zu einem öffent-           Minister, eine neuerliche Zählung der „farbigen Be-
lichen Diskurs bei, der Besatzungskinder of Color             satzungskinder“ in Auftrag zu geben. Das Ergebnis
als bedrohliche „Keimträger“ brandmarkte. Die                 war bescheiden: 1927 befanden sich im Rheinland
Haupthilfsstelle Pfalz, eine Einrichtung der bayeri-          nur einige Hundert Kinder, die bekanntermaßen
schen Regierung, arbeitete eng mit der amerikani-             von französischen Kolonialsoldaten abstammten.20
schen Journalistin Ray Beveridge zusammen, die in                  Bezeichnenderweise hatte die geringe Zahl
ihren Reden unter anderem zu Lynchjustiz gegen                von schwarzen rheinischen Kindern keinerlei mil-
Kolonialsoldaten aufrief.16 1922 veröffentlichte              dernden Einfluss auf Ängste vor „rassischer Ver-
Beveridge ihren Vortrag „Die schwarze Schmach –               seuchung“. In der bayerischen Pfalz waren 715
Die weiße Schande“, in dem sie behauptete, dass               außereheliche Kinder gezählt worden, deren Vä-
„60 Prozent der Kinder, die durch die französische            ter Besatzungssoldaten waren; nur neun Prozent
Besatzung das Licht der Welt erblicken, schon mit             (68) stammten von Kolonialsoldaten ab.21 Den-
Syphilis zur Welt kommen“, und dass „Mischlings-
kinder meistens die schlechten Eigenschaften und              18 Ebd., Titelblatt.
Laster beider Eltern in sich tragen“.17 Ein gestelltes        19 Dr. von Dryander an den Reichsminister für die besetzten
                                                              Gebiete, 12. 2. 1927, in: Bundesarchiv Berlin (BAB), Reichsministe-
                                                              rium für die besetzten Gebiete, R1601/2234, ohne Paginierung.
15 Franz Rosenberger, Gefahr der Mulattisierung, in: Münch-   20 Reichsminister für die besetzten Gebiete an Dr. von Dryan-
ner Neueste Nachrichten, 18. 4. 1922.                         der, 23. 2. 1927, in: BAB R1601/2234.
16 Vgl. Wigger (Anm. 4), S. 56–61.                            21 Vgl. Oberlandesgericht Zweibrücken, „Übersicht über die
17 Ray Beveridge, Die schwarze Schmach. Die weiße Schande,    Zahl der unehelichen Kinder in der Pfalz, die von Besatzungsan-
Hamburg 1922, S. 22.                                          gehörigen stammen“, in: BAB R 1601/2234.

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APuZ 12/2022

noch machten bayerische Beamte im Sommer                           se Neuerung zugutekommen. So erklärte sich der
1927 einen radikalen Vorstoß. Im Juli bat Pfalz-                   marokkanische Soldat Messaoud ben Y. im No-
kommissar Heinrich Jolas den bayerischen Ver-                      vember 1929 damit einverstanden, zum Unterhalt
treter beim Reichsrat, Ministerialrat Franz Sperr,                 seiner in Frankfurt am Main lebenden vierjährigen
beim Reichsgesundheitsamt Erkundigungen ein-                       Tochter I. K. beizutragen.25 Deutsche Frauen und
zuziehen, „ob sich zur Reinhaltung der Rasse im                    Kolonialsoldaten, die heiraten wollten, begegne-
besetzten Gebiet von farbigem Blut nichts machen                   ten allerdings weiterhin erheblichen Widerständen
lässt“. Wie Diskussionen im bayerischen Innen-                     vonseiten deutscher Behörden.
ministerium ergeben hätten, sei „die Unfrucht-
barmachung von Mischlingen durch einen gänz-                                  NATIONALSOZIALISMUS:
lich schmerzlosen Eingriff zu erzielen“. Jolas war                          KONSTRUKTION VON „RASSE“
sich „darüber klar, daß solcher Eingriff nach der
gegenwärtigen Rechtslage unzulässig ist“.22                        Die Machtübernahme der Nationalsozialisten lös-
    In den darauffolgenden Monaten eruierte der                    te einen Radikalisierungsschub in Diskursen über
Reichsminister für die besetzten Gebiete zwei alter-               schwarze Besatzungskinder aus. Als im Frühling
native „Lösungen“ des behaupteten Problems der                     1933 über das Gesetz zur Verhütung erbkranken
„Mischlingskinder“: Zwangssterilisation oder Exi-                  Nachwuchses (GVeN) beraten wurde, mehrten
lierung. Da Deutschland jedoch zu diesem Zeit-                     sich die Forderungen nach einer Ausweitung des
punkt noch kein Sterilisationsgesetz besaß, waren                  Sterilisationsgesetzes auf schwarze Besatzungskin-
Zwangssterilisationen letztlich zu riskant. Zur Er-                der. In seiner Schrift „Rasseprobleme im Dritten
forschung der bestehenden Möglichkeiten, die Kin-                  Reich“ rief Hans Macco dazu auf, die „Überbleib-
der nach Übersee abzuschieben, wandte sich das                     sel der schwarzen Schmach am Rhein auszumer-
Ministerium an Johannes Witte von der Ostasien-                    zen“. Die „Mulattenkinder“ seien „entweder durch
mission des Allgemeinen Evangelisch-Protestanti-                   Gewalt entstanden, oder aber die weiße Mutter
schen Missionsvereins. Anfang Januar 1928 berich-                  war eine Dirne. In beiden Fällen besteht nicht die
tete Witte, dass man die Idee, die Kinder in deutsche              geringste moralische Verpflichtung gegenüber die-
Missionen im Ausland zu verbringen, wohl aufge-                    ser fremdrassischen Nachkommenschaft“.26 Das
geben müsse. „Meine Erkundigungen über die Fra-                    GVeN vom 14. Juli 1933 bot jedoch keine Hand-
ge der dunkelfarbigen Mischlingskinder im be-                      habe, Menschen allein aufgrund ihrer „Rassezuge-
setzten Gebiet haben ergeben, dass die sämtlichen                  hörigkeit“ zwangsweise zu sterilisieren.27
Pfarrer, in deren Gebiet sich solche Kinder finden,                    Im April 1933 ordnete der preußische Innen-
die Meinung vertreten, daß es in den allermeisten                  minister Hermann Göring an, alle „Mischlin-
Fällen unmöglich sein wird, die Angehörigen zu be-                 ge“ erneut zu zählen. Zeitgleich wurde das Ber-
wegen, einem Abtransport des Kindes nach Afrika                    liner Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie,
oder in andere Länder zuzustimmen.“23                              menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) mit
    Infolgedessen konzentrierten sich staatliche                   einer Lokalstudie rheinischer „Mischlingskinder“
Stellen verstärkt darauf, von alliierten Regierungen               beauftragt.28 Die Studie sollte dazu dienen, „ein
und Soldaten Unterhaltszahlungen für deutsche                      einwandfreies Urteil über den körperlichen und
Besatzungskinder einzufordern. Nur Frankreich                      geistigen Zustand der Bastardkinder und über die
war jedoch bereit, in bestimmten Fällen Alimen-                    rassische Bedeutung dieser Beimischung fremden
tenklagen unverheirateter deutscher Mütter gegen                   Blutes in unseren westlichen Grenzgebieten zu
Soldaten der französischen Armee zuzulassen.24                     gewinnen“.29 Dazu untersuchte der Anthropolo-
Auch Besatzungskindern of Color konnte die-                        ge Wolfgang Abel, ein Assistent des KWI-A Di-

22 Heinrich Jolas an Ministerialrat Sperr, 21. 7. 1927, abge-      25 Vgl. ebd., S. 176.
druckt in: Reiner Pommerin, „Sterilisierung der Rheinlandbas-      26 Hans Macco, Rasseprobleme im Dritten Reich, Berlin 1934,
tarde“: Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit          S. 13.
1918–1937, Düsseldorf 1979, S. 92–93.                              27 Vgl. Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialis-
23 Dr. J. Witte an den Reichsminister für die besetzten Gebiete,   mus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986.
11. 1. 1928, in: BAB R 1601/2234.                                  28 Vgl. Pommerin (Anm. 22), S. 45–48.
24 Vgl. Julia Roos, Racist Hysteria to Pragmatic Rapprochement?    29 Ludwig Grauert, Bericht an den Herrn Ministerpräsidenten,
The German Debate over Rhenish „Occupation Children“ 1920–         28. 2. 1934, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHS-
1930, in: Contemporary European History 2/2013, S. 155–180.        tAW), Regierungspräsident Wiesbaden Abt. 405/3158, S. 447.

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