AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Schwarz und Deutsch - BPB
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72. Jahrgang, 12/2022, 21. März 2022 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Schwarz und Deutsch Robbie Aitken Joshua Kwesi Aikins · Teresa Bremberger · BLACK GERMANY. Daniel Gyamerah · Muna AnNisa Aikins ZUR ENTSTEHUNG EINER AFROZENSUS. SCHWARZEN COMMUNITY INTERSEKTIONALE ANALYSEN IN DEUTSCHLAND ZU ANTI-SCHWARZEM RASSISMUS IN DEUTSCHLAND Julia Roos DIE „FARBIGEN Mahret Ifeoma Kupka BESATZUNGSKINDER“ SCHWARZE KÖRPER DER ZWEI WELTKRIEGE IN WEI ẞ EN KUNSTRÄUMEN Patrice G. Poutrus · Katharina Warda Ijoma Mangold OSTDEUTSCHE OF COLOR. DIE RENAISSANCE SCHWARZE GESCHICHTE(N) DER HAUTFARBE. DER DDR UND ERFAHRUNGEN EIN GESPRÄCH NACH DER DEUTSCHEN EINHEIT ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung
Schwarz und Deutsch APuZ 12/2022 ROBBIE AITKEN JOSHUA KWESI AIKINS · TERESA BREMBERGER · BLACK GERMANY. ZUR ENTSTEHUNG EINER DANIEL GYAMERAH · MUNA ANNISA AIKINS SCHWARZEN COMMUNITY IN DEUTSCHLAND AFROZENSUS. INTERSEKTIONALE ANALYSEN Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutsch- ZU ANTI-SCHWARZEM RASSISMUS IN sprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter DEUTSCHLAND zurückverfolgen. Spätestens mit dem Kaiserreich Der Afrozensus, die erste umfassende Studie zu wurde die Schwarze Community größer und Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen sichtbarer. Warum ist Deutschlands Schwarze Lebensrealitäten in Deutschland, zeichnet Vergangenheit dennoch so unbekannt? Muster des Anti-Schwarzen Rassismus nach und Seite 04–10 zeigt, wie diese in verschiedenen Lebensberei- chen zusammenwirken. Seite 26–34 JULIA ROOS DIE „FARBIGEN BESATZUNGSKINDER“ DER ZWEI WELTKRIEGE MAHRET IFEOMA KUPKA Die Nachkommen alliierter Soldaten of Color SCHWARZE KÖRPER IN WEI ẞ EN mit weißen deutschen Frauen standen seit der KUNSTRÄUMEN Zwischenkriegszeit im Fokus rassistischer Schwarze deutsche Künstlerinnen und Künstler Propagandakampagnen. Deren Auswirkungen organisieren sich seit Jahrzehnten. Heute stellen spürten Schwarze Deutsche auch in der frühen sie vermehrt die Produktions- und Ausschluss- Bundesrepublik. mechanismen des Kulturbetriebs infrage. Indes Seite 11–18 verändern sich Institutionen wie Buchmessen, Theater und Museen nur langsam. Seite 35–41 PATRICE G. POUTRUS · KATHARINA WARDA OSTDEUTSCHE OF COLOR. SCHWARZE GESCHICHTE(N) UND ERFAHRUNGEN NACH IJOMA MANGOLD DER DEUTSCHEN EINHEIT DIE RENAISSANCE DER HAUTFARBE. Tausende Schwarze Menschen kamen zum EIN GESPRÄCH Studieren, Arbeiten oder als Asylsuchende in die Ijoma Mangold ist Autor, Literaturkritiker und DDR. In ihrem Alltag erlebten sie oftmals eine kulturpolitischer Korrespondent der Wochen- Diskrepanz zwischen antirassistischer Symbol- zeitung „Die Zeit“. Im Interview spricht er über politik und realer Diskriminierung, bis hin zu seine Kindheit in Heidelberg, über Identität und Gewalttaten, die auch die 1990er Jahre prägten. Zugehörigkeit sowie über heutige antirassistische Seite 19–25 Diskurse. Seite 42–46
EDITORIAL Heute leben rund eine Million Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in Deutschland, ihre Familien teils seit mehreren Generationen. Dennoch werden viele auch heute noch regelmäßig mit Fragen nach ihrer „eigentlichen“ Herkunft konfrontiert. Schwarz und Deutsch zu sein ist auch 2022 keine Selbstverständlichkeit. Die Zuschreibung von Fremdheit weist histo- rische Kontinuitäten auf. An den Höfen der deutschen Feudalaristokratie in der Frühen Neuzeit galten Schwarze Bedienstete als exotische Statussymbole. Im Kaiserreich kamen vermehrt Menschen aus den Kolonien, und erste Schwarze Communities wurden in deutschen Städten sichtbar. Doch wiederholte rassisti- sche Propagandakampagnen, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, gipfelten schließlich in der Vertreibung, Zwangssterilisierung und Ermordung Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus. Die Erinnerung an die Existenz einer Schwarzen deutschen Community verblasste bald nach 1945. In der Phase der Zweistaatlichkeit erlebten Schwarze Deutsche – etwa die Kinder von Besatzungssoldaten in der Bundesrepublik oder Schwarze Vertragsarbeiter und Studierende in der DDR – wieder Ausgrenzung und rassistische Übergriffe. In den 1980er Jahren wurden afrodeutsche Stim- men lauter, und Selbstorganisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) wurden gegründet. Dennoch blieb Deutschlands Schwarze Vergangenheit weitgehend unbekannt und eine Auseinandersetzung mit Anti- Schwarzem Rassismus lange aus. In den vergangenen Jahren ist – auch durch die transnationale Bewegung Black Lives Matter – etwas aufgebrochen: Die Aufarbeitung deutscher Kolonial- verbrechen wird mittlerweile vehement gefordert, ebenso die Beschäftigung mit den Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland. Gleichzeitig stößt der Kampf um Sichtbarkeit an diskursive Grenzen. Der Grat zwischen einem verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit und Respekt füreinander auf der einen Seite und einer dogmatischen Aufladung identitätspolitischer Debatten auf der anderen ist schmal. Julia Günther 03
APuZ 12/2022 BLACK GERMANY Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland Robbie Aitken Geschätzt leben heute über eine Million Men- lonie sizilianischer Muslime im süditalienischen schen afrikanischer Herkunft in Deutschland. Lucera umfasste, die sich dort im Exil befanden. Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutsch- Am Hof Friedrichs II. hatten Schwarze militäri- sprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter sche Positionen inne, waren Unterhaltungskünst- zurückverfolgen. Seit geraumer Zeit dokumen- ler und Bedienstete. Zu ihnen gehörte Johannes tieren Aktivistinnen und Aktivisten sowie Wis- Morus, der zum persönlichen Kammerdiener des senschaftlerinnen und Wissenschaftler die aktive Kaisers aufstieg und auch in Lucera diente.03 Der Rolle, die Schwarze Menschen in der deutschen Kenntnisstand über ihr Leben und ihre Erfahrun- Geschichte über Jahrhunderte gespielt haben, gen ist jedoch nach wie vor gering. und die Geschichte des europäischen Rassismus, Während der Frühen Neuzeit traten afrika- der ihr Leben prägte.01 Dennoch werden die Bei- nische Pagen und Bedienstete an den Höfen der träge Schwarzer Menschen zur deutschen Ge- deutschen Feudalaristokratie und in den Haus- sellschaft in den Geschichtsbüchern häufig aus- halten der aufstrebenden bürgerlichen Handels- geklammert oder totgeschwiegen, und so bleiben familien zunehmend als exotische Statussymbole viele Lücken in den vorhandenen historischen in Erscheinung, ähnlich wie anderswo in Euro- Aufzeichnungen. Dieser Beitrag bietet eine Ein- pa.04 An größeren Fürstenhöfen durchliefen jun- führung in die Geschichte(n) Schwarzer Men- ge afrikanische Männer eine musikalische Ausbil- schen in Deutschland. Ausgehend vom mittelal- dung. Einige dienten als Musiker im Militär, eine terlichen Europa wenden wir uns zunächst dem Tradition, die bis ins 20. Jahrhundert fortgeführt 17. Jahrhundert zu, als die Zahl der Menschen wurde. Die meisten von ihnen waren ursprüng- afrikanischer Herkunft im deutschsprachigen lich als Sklaven gekauft worden, und es war nicht Raum langsam zunahm. Der Schwerpunkt der unüblich, dass Schwarze Jugendliche unter den Darstellung liegt dann auf der Entwicklung einer Mitgliedern der europäischen Königshäuser als beständigen Schwarzen Community in der Zeit Geschenke ausgetauscht wurden. Trotz der stark von 1884 bis 1945. hierarchischen Ordnung des Lebens am Hof gab es Möglichkeiten der Integration und des sozialen VOM MITTELALTERLICHEN EUROPA Aufstiegs. Im 18. Jahrhundert wurden Afrikaner BIS ZUR FRÜHEN NEUZEIT auch an die Höfe deutscher Fürsten gebracht, um dort einen Beruf zu erlernen oder im Geiste der Es gibt Belege dafür, dass sich bereits im Mit- Aufklärung eine Ausbildung zu erhalten. Seit die- telalter Menschen afrikanischer Herkunft im ser Zeit ist auch belegt, dass Schwarze Menschen deutschsprachigen Europa aufhielten. Insbeson- in deutschen Städten etwa als Hafenarbeiter, fah- dere während der Herrschaft des Stauferkönigs rende Künstler oder Prostituierte arbeiteten. Friedrichs II. als Kaiser des Heiligen Römischen Zu den wenigen Personen dieser Zeit, deren Reiches (1220–1250) waren zahlreiche Schwarze Lebensläufe relativ gut dokumentiert sind, ge- Männer und Frauen an seinem kosmopolitischen hören der ghanaische Philosoph Anton Wilhelm Hof tätig.02 Sie wurden als Sklaven gekauft oder Amo (ca. 1703–1759), der den Herzögen von im Rahmen diplomatischer Beziehungen von Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt worden muslimischen Würdenträgern geschenkt. Ande- war und später an den Universitäten Halle und re waren Untertanen des römisch-deutschen Rei- Jena lehrte, der gut vernetzte Wiener Höfling ches, das sich über weite Teile Mitteleuropas und und Freimaurer Angelo Soliman (Mmadi Maki, des heutigen Italiens erstreckte und auch eine Ko- ca. 1721–1796) und die Ostafrikanerin Machbu- 04
Schwarz und Deutsch APuZ ba (ca. 1825–1840), die als Jugendliche von Her- Deutsch-Ostafrika, das Teile der heutigen Staaten mann von Pückler-Muskau als Sklavin gekauft Tansania, Burundi, Ruanda und kurzzeitig San- und nach Europa gebracht wurde. Sie starb 1840 sibar umfasste, sowie in geringerem Umfang aus in Muskau,1234 Sachsen.05 Doch erst im letzten Vier- dem damaligen Deutsch-Südwestafrika auf dem tel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Män- Gebiet des heutigen Namibia. ner und Frauen afrikanischer Herkunft, die sich Vor 1914 waren die Lebenswirklichkeiten in Deutschland aufhielten, deutlich an – der Be- Schwarzer Menschen in Deutschland alles ande- ginn einer kontinuierlichen Präsenz Schwarzer re als einheitlich, doch lassen sich durchaus eini- Menschen in Deutschland. ge allgemeine Aussagen treffen.06 Erstens waren Schwarze überall im deutschen Kaiserreich zu fin- WACHSENDE SICHTBARKEIT den, in Ortschaften und Dörfern genauso wie in IM KAISERREICH größeren Städten. Dies lag zum Teil daran, dass diejenigen, die direkt am Kolonialprojekt betei- Die Entwicklung einer dauerhaften – zwar klei- ligt waren, in der Regel auch diejenigen waren, nen, aber sichtbaren – Schwarzen Community die Afrikaner nach Europa brachten – Missio- in Deutschland war eine unvorhergesehene Fol- nare, Beamte, Militärs, Geschäftsleute und Zoo- ge des europäischen Imperialismus und der frü- Unternehmer. Diese lebten über das ganze Land hen Globalisierung. Diese Prozesse schufen Wege verstreut. Zweitens handelte es sich in jener Zeit und Transportverbindungen, die es Schwarzen bei der Gruppe Schwarzer Menschen in Deutsch- Männern und Frauen aus unterschiedlichen Ge- land um eine junge, männlich dominierte Bevöl- genden erst ermöglichten, nach Europa und nach kerung – nur sehr wenige Schwarze Frauen waren Deutschland zu gelangen. Zwischen 1884, den zu dieser Zeit in Deutschland. Dies ist auf die ge- Anfängen des deutschen Kolonialreichs in Afri- schlechtsspezifische Struktur vieler afrikanischer ka, und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Bevölkerungsgruppen zurückzuführen, die an 1914 hielten sich mehrere tausend Menschen af- dieser Migration beteiligt waren, und hängt auch rikanischer Herkunft aus fast allen Regionen Af- mit den Routen zusammen, über die die Menschen rikas sowie aus der Karibik, Südamerika und den nach Europa kamen.07 Drittens handelte es sich bei Vereinigten Staaten in Deutschland auf. Insbe- der überwiegenden Mehrheit der Ankommenden sondere die regelmäßigen und direkten Schiffs- um Durchreisende, eine Bevölkerung in ständiger verbindungen zu den neuen deutschen Kolonien Bewegung: Nur eine Minderheit betrachtete ihren erleichterten die Zuwanderung, vor allem aus Ka- Aufenthalt nicht als vorübergehend, und nur sehr merun, aber auch aus Togo und dem damaligen wenige blieben über einen längeren Zeitraum. Schwarze Menschen kamen auf den unter- schiedlichsten Wegen und aus den unterschied- 01 Zu den wichtigsten Werken gehören: Katharina Oguntoye, Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrika- lichsten Gründen ins Kaiserreich. Einige waren nern in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997; Paulette von Zwang geprägt, andere ließen Handlungs- Reed-Anderson, Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren. Die spielraum und beruhten auf einer bewussten Anfänge der afrikanischen Diaspora in Berlin, Berlin 1995; Peter Entscheidung für die Reise. Zahlreiche Men- Martin, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Geschichte schen, darunter auch viele Frauen und Kinder, und Bewußtsein der Deutschen, Hamburg 2001. 02 Vgl. Paul H. D. Kaplan, Black Africans in Hohenstaufen wurden von Unternehmern als „Exponate“ für Iconography, in: Gesta 26/1987, S. 29–36; Rashid-S. Pegah, Menschen-Zoos nach Europa geholt, in denen Real and Imagined Africans in Baroque Court Divertissements, sie zur Unterhaltung des weißen Publikums ihre in: Mischa Honeck/Martin Klimke/Anne Kuhlmann-Smirnov vermeintliche „Eingeborenenkultur“ vorführen (Hrsg.), Germany and the Black Diaspora: Points of Contact, sollten. Solche Spektakel waren oft ein großes 1250–1914, New York 2013, S. 74–91. 03 Vgl. Jeff Bowersox, Johannes dictus Morus (d. 1254), Geschäft, organisiert von Impresarios wie dem www.blackcentraleurope.com/sources/1000-1500/johannes- dictus-m orus-d -1254/. 04 Vgl. Anne Kuhlmann-Smirnov, Schwarze Europäer im Alten 06 Vgl. Robbie Aitken, A Transient Presence: Black Visitors and Reich: Handel, Migration, Hof, Göttingen 2013. Sojourners in Imperial Germany, 1884–1914, in: Immigrants and 05 Vgl. Stephen Menn/Justin Smith (Hrsg.), Anton Wilhelm Minorities 34/2016, S. 233–253. Amo’s Philosophical Dissertations on Mind and Body, New York 07 Dieses Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen galt 2020; Philipp Blom/Wolfgang Kos (Hrsg.), Angelo Soliman – Ein nicht im Fall der afroamerikanischen Künstlerinnen und Künstler, Afrikaner in Wien, Wien 2011. die nach Deutschland kamen. 05
APuZ 12/2022 Hamburger Zoodirektor und Völkerschauaus- Die deutschen Kolonialbehörden in Berlin richter Carl Hagenbeck. Auch der deutsche Staat und Afrika unterstützten zunächst die temporäre förderte beispielsweise die Berliner Kolonialaus- Einwanderung, insbesondere aus den Kolonien, stellung von 1896, zu deren Anlass rund hundert solange dies als vorteilhaft für die Ziele des deut- Menschen aus den Kolonien in die Hauptstadt schen Imperialismus angesehen wurde. Eine dau- gebracht wurden, um die Öffentlichkeit für die erhafte Ansiedlung von Afrikanern war jedoch deutschen Übersee-Ambitionen zu begeistern.08 zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, und bereits in Noch einmal so viele junge afrikanische Männer den 1890er Jahren wurden Migrationsbeschrän- trafen als Diener und Begleiter deutscher Kolo- kungen eingeführt, um die Zuwanderung aus den nialfunktionäre, Missionare und Händler ein, die Kolonien zu kontrollieren und zu begrenzen. Die auf Heimaturlaub waren. Darüber hinaus wurden Begründung war, dass junge Afrikaner durch den Dutzende afrikanische Männer angestellt, um am Kontakt mit der europäischen Gesellschaft mo- Hamburger Kolonialinstitut oder am Berliner ralisch korrumpiert würden und sich nach ihrer Seminar für Orientalische Sprachen zukünftige Rückkehr nach Afrika nicht wieder in die strenge deutsche Kolonisten in afrikanischen Sprachen Rassenhierarchie des kolonialen Umfelds einglie- und Sitten zu unterrichten.09 dern wollten.11 Eine weitere treibende Kraft hinter den Mi Der Erfolg dieser wie auch späterer Beschrän- grationsbewegungen aus den Kolonien waren Tei- kungen ist fraglich. Afrikaner aus den deutschen le der kolonisierten afrikanischen Gesellschaften Kolonien erreichten Deutschland noch bis zum selbst. Mitglieder der wohlhabenden kameruni- Ausbruch des Ersten Weltkriegs in größerer Zahl. schen und togolesischen Küstenelite etwa hatten Die überwiegende Mehrheit von ihnen kehrte vor die finanziellen Mittel (oder aber Sponsoren), um Beginn der Kampfhandlungen nach Hause zu- ihre Kinder, fast ausschließlich ihre Söhne, nach rück. Nichtsdestotrotz ließen sich einige Schwar- Deutschland zu schicken, damit sie dort ausgebil- ze entweder aus freien Stücken oder aus der Not det wurden oder eine Lehre absolvierten. Familien heraus längerfristig in Deutschland nieder, und wie die Bells und Akwas in Douala in Kamerun so bildeten sich bereits vor 1914 in Städten wie oder die Garbers und Lawsons in Aného in Togo Berlin, Hamburg und Hannover kleine Schwarze erkannten in der Bildung einen Weg, über den sie Communities. Prestige und politischen Einfluss gewinnen konn- ten. Katholische und protestantische Missionsge- WEIMARER REPUBLIK sellschaften mit Sitz in den deutschen Kolonien waren ebenfalls daran beteiligt, junge Afrikaner in Der Krieg und der anschließende Versailler Ver- Deutschland für den künftigen religiösen Dienst trag stellten eine Wende für die Schwarze Bevöl- auszubilden. Darüber hinaus traf in den deut- kerung in Deutschland dar.12 Die hohe Mobilität schen Häfen, vor allem in Hamburg, eine Vielzahl der Vorkriegszeit kam zum Erliegen und hinter- Schwarzer Männer ein, die für die zunehmend in- ließ nach 1918 eine viel kleinere, stabile und sess- ternational ausgerichtete deutsche Handelsflotte hafte Diaspora. Für die Dauer des Krieges saßen arbeiteten. Und bereits vor 1914 traten Schwar- Schwarze Menschen, die sich eigentlich nur tem- ze Künstlerinnen und Künstler, vor allem aus den porär in Deutschland aufgehalten hatten, im Land Vereinigten Staaten, in deutschen Städten auf.10 fest. Mehrere Männer aus den Kolonien kämpf- ten für die deutsche Armee in Europa und wur- 08 Vgl. Andrew Zimmerman, Anthropology and Antihumanism den für ihre Verdienste im Krieg ausgezeichnet. in Imperial Germany, Chicago 2001, S. 24–37. Andere arbeiteten in Munitionsfabriken. Schwar- 09 Vgl. Aitken (Anm. 6), S. 240–243. Siehe auch Holger Stoe- ze mit britischem oder französischem Pass wur- cker, Afrikawissenschaft in Berlin von 1919 bis 1945. Zur Ge- schichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes, den zum Teil als Kriegsgefangene inhaftiert. Stuttgart 2008; Marianne Bechhaus-Gerst, Kiswahili sprechende Afrikaner in Deutschland vor 1914, in: Afrikanistische Arbeitspa- 11 Vgl. Robbie Aitken/Eve Rosenhaft, Black Germany: The piere 55/1998, S. 155–172. Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884–1960, 10 Vgl. Jeff Bowersox, Seeing Black: Foote’s Afro-American Cambridge 2013, S. 37–43, S. 60–62. Company and the Performance of Racial Uplift in Imperial Ger- 12 Während der Weimarer Zeit kamen etwa 600 bis 800 many in 1891, in: German History 38/2020, S. 387–413; Kira Kinder aus gemischten Beziehungen zwischen deutschen Frauen Thurman, Singing Like Germans: Black Musicians in the Land of und den französischen Kolonialtruppen der Rheinlandbesetzung Bach, Beethoven, and Brahms, Ithaca 2021. zur Welt. Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft. 06
Schwarz und Deutsch APuZ Mit Ausnahme von Deutsch-Ostafrika, wo tige Ziel blieb jedoch, die Rückkehr der Männer die Kämpfe bis Ende 1918 andauerten, war das nach Afrika sicherzustellen. Deutsche Reich in Afrika bis 1916 praktisch zu- Trotz dieser beträchtlichen Hindernisse sammengebrochen. Im Rahmen des Friedensab- konnten die Männer aus den ehemaligen Ko- kommens wurde Deutschland seiner Kolonien lonien und anderen Regionen Afrikas, zusam- enteignet, was der kontinuierlichen Einwande- men mit afroamerikanischen Männern aus den rung aus den Kolonialgebieten und überhaupt USA und der Karibik, in der Zwischenkriegs- der Immigration aus Afrika ein Ende setzte. Die zeit zunehmend Wurzeln in Deutschland schla- deutschen Kolonien wurden unter zumeist fran- gen. Es wurden Ehen geschlossen und Famili- zösische und britische Mandate gestellt. Dies be- en gegründet, obwohl die deutschen Behörden deutete auch, dass die mutmaßlich mehreren hun- mitunter aktiv versuchten, gemischte Paare zu dert Männer aus diesen Gebieten, die sich noch trennen. Angesichts des Ungleichgewichts zwi- im Nachkriegsdeutschland befanden und den schen den Geschlechtern unter den Schwarzen Großteil der Schwarzen Bevölkerung ausmach- Einwohnern bedeutete Heirat meist, eine wei- ten, nun rechtlich den Mandatsmächten unter- ße Partnerin zu finden, und bis 1933 wurden standen. Für ihre Rückkehr nach Afrika benö- mehrere Dutzend gemischte Ehen geschlos- tigten sie also eine Erlaubnis der französischen sen.16 Aus diesen und nichtehelichen Bezie- oder der britischen Behörden. Beide Staaten zö- hungen entwickelte sich eine neue Generation gerten jedoch, diese Verantwortung wahrzu- Schwarzer Deutscher. Diese afrodeutschen Fa- nehmen, und lehnten routinemäßig Anträge auf milien waren Teil des größeren Wandels hin zu Rückkehr in die Heimat ab, sodass diese Männer einer stabilen, dauerhaft ansässigen Schwarzen in Deutschland strandeten und sich dort notge- Community in der Zwischenkriegszeit. Doch drungen niederließen.13 nach den Bestimmungen des deutschen Staats- Ihr rechtlicher Status war komplex: Vor dem angehörigkeitsrechts erbten sowohl die Ehe- Krieg waren sie nie deutsche Staatsbürger gewe- frauen als auch die Kinder der Männer aus den sen, sondern eher Untertanen mit begrenzten und ehemaligen Kolonien deren faktische Staaten unklaren Rechten. Nach dem Krieg wären sie am losigkeit.17 ehesten als staatenlos zu bezeichnen.14 Denjeni- Die meisten Schwarzen Einwohnerinnen gen, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantrag- und Einwohner zogen in die expandierenden, ten, wurde fast ausnahmslos die Einbürgerung kosmopolitischen Metropolen Berlin und Ham- verweigert. In der Folge war es für sie alles andere burg, wo sie sowohl untereinander als auch als einfach, sich ein Leben in Deutschland aufzu- für Außenstehende an Sichtbarkeit gewannen. bauen. Die deutschen Behörden zeigten sich we- Schon in der Vorkriegszeit, aber zunehmend in nig begeistert, sich dieser Männer anzunehmen, der Weimarer Republik, hatten gemeinsame In- und die Linie der Politik ihnen gegenüber war bis teressen, die geteilten Erfahrungen von Rassis- etwa 1939 von der Hoffnung geprägt, die verlo- mus und Kolonialismus und die Schwierigkeiten renen Kolonien zurückzugewinnen. Ihre Anwe- des wirtschaftlichen und sozialen Überlebens in senheit wurde geduldet, um negative Schlagzeilen Deutschland für Bindungen zwischen Schwar- in der internationalen Presse zu vermeiden. Dazu zen mit teils sehr unterschiedlichen Hintergrün- gehörte auch eine begrenzte finanzielle Unter- den gesorgt. Indem sie miteinander in Kontakt stützung für arbeitslose Afrikaner.15 Das langfris- traten und informelle und formelle Netzwerke auf lokaler und nationaler Ebene aufbauten, ent- stand erstmals eine organisierte Gemeinschaft 13 Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 2. Schwarzer Menschen in Deutschland. Die Sied- 14 Zwischen 1884 und 1945 erhielten lediglich drei Familien die deutsche Staatsbürgerschaft. Vgl. Laura Frey/Robbie Aitken, lungsmuster in Berlin und Hamburg sind ein „Appartenances coloniales“. Les répercussions du traité de Beleg für diese sich entwickelnde Community. Versailles sur le statut juridique des Allemands noirs et de leurs Typischerweise konzentrierten sich die Schwar- familles entre les deux guerres, in: Revue d’Allemagne et des zen Bewohnerinnen und Bewohner auf eini- pays de langue allemande 2/2020, S. 365–380. ge wenige Gebiete, lebten und arbeiteten in un- 15 Vgl. Heiko Möhle, Betreuung, Erfassung, Kontrolle – Die Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde, in: Joachim Zeller/Ulrich van der Heyden (Hrsg.), Kolonialmetropole Berlin, 16 Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 3. Berlin 2002, S. 243–251. 17 Vgl. ebd., S. 94–102. 07
APuZ 12/2022 Schauspielerinnen und Schauspieler bei Dreharbeiten zum Spielfilm „Einbrecher“ von Hanns Schwarz in den Ufa-Ateliers Neubabelsberg, Potsdam, im Jahr 1930. Quelle: Sammlung des Autors mittelbarer Nähe zueinander und teilten sich Schwarze Darsteller dauerhaften Erfolg.18 Doch manchmal Unterkünfte. Ein deutliches Zeichen in einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft auf für die Bildung einer Community war überdies eine Krise zusteuerte, bot die Arbeit als Schau- die Entstehung sozialer Räume, die explizit von spieler einen beträchtlichen finanziellen Zuver- Schwarzen Menschen frequentiert wurden, wie dienst. Film, Theater und Zirkus wurden zu Or- die von dem Inder Hardas Singh betriebene „In- ten, an denen Schwarze Menschen miteinander dian Bar“ in Hamburg oder das Café Central in in Kontakt kamen, was das Gemeinschaftsgefühl Berlin. unter ihnen stärkte. Feste Strukturen ergaben sich Das Café Central war nicht nur ein Treffpunkt für sie schließlich durch die sozialen und politi- für Schwarze, sondern diente auch als Rekrutie- schen Organisationen, die Schwarze Menschen in rungsstätte für Film-, Theater- und Zirkusdirek- Deutschland selbst gründeten. toren, die nach Schwarzen Darstellerinnen und Darstellern suchten. In den späten 1920er Jah- SCHWARZER AKTIVISMUS ren waren die meisten Schwarzen fast vollständig von anderen Beschäftigungsmöglichkeiten aus- 1921 schrieb Louis Brody einen offenen Brief geschlossen und versuchten, ihren Lebensunter- an die Berliner Zeitung „B. Z. am Mittag“, in halt stattdessen durch Film- und Bühnenauftrit- dem er gegen die rassistischen Beschimpfun- te zu bestreiten. Die Rollen, die ihnen angeboten gen protestierte, denen die Schwarze Bevölke- wurden, entsprachen in der Regel dem Stereotyp rung Deutschlands aufgrund der „Schwarzen „des Schwarzen“ als primitiv oder exotisch. Ab- gesehen von dem Kameruner Bebe Mpessa, bes- 18 Vgl. Tobias Nagl, Die unheimliche Maschine. Rasse und ser bekannt als Louis Brody, hatten nur wenige Repräsentation im Weimarer Kino, München 2009, S. 557–590. 08
Schwarz und Deutsch APuZ Schmach“ ausgesetzt war.19 Dabei handelte es Juni 1918 übergaben Dibobe und seine 17 Mit- sich um eine zutiefst rassistische Propaganda- streiter dem Reichskolonialamt eine 32 Punkte kampagne gegen den Einsatz französischer Ko- umfassende Petition. Die an die Weimarer Na- lonialtruppen während der alliierten Besetzung tionalversammlung gerichtete Eingabe sah eine des Rheinlandes.20 Brodys Intervention steht in radikale Neuverhandlung der Beziehungen zwi- einer längeren Tradition von Schwarzem Akti- schen Kamerun und Deutschland vor. Die bei- vismus in Deutschland, der schon in den frühe- den Länder sollten zwar weiterhin eng mitei- ren antikolonialen Aktivitäten der Kameruner nander verbunden sein, Kamerun sollte jedoch Alfred Bell und Mpundu Akwa sowie in ei- aus dem Griff des Kolonialismus befreit und Ka- nem Zeitungsartikel des Togolesen Kuaku Karl meruner und Deutsche sowohl in Deutschland Atiogbe aus dem Jahr 1908 seinen Ausdruck als auch in Afrika politisch und sozial gleich- fand. In besagtem Zeitungsartikel stellte Atiog- gestellt werden. Angesichts des antikolonialen be die vorurteilsbehafteten Annahmen der Deut- Charakters der Petition überrascht es nicht, dass schen über Schwarze Menschen ganz grundsätz- die Forderungen der Männer ignoriert wurden. lich in Frage.21 Der AH, der 1920 43 Mitglieder zählte, vertrat Brodys Brief von 1921 wurde im Namen des die Interessen der Schwarzen Gemeinschaft in Afrikanischen Hilfsvereins (AH) veröffentlicht. Deutschland bis zu seiner Auflösung Mitte der Der 1918 in Hamburg gegründete Verein war ein 1920er Jahre.24 Sprachrohr der sich entwickelnden Schwarzen 1929 gründeten einige Unterzeichner der Pe- Gemeinschaft in Deutschland. Er wurde als zen- tition sowie ehemalige AH-Mitglieder eine deut- traler Organisationspunkt für alle Menschen af- lich politischere, kommunistisch finanzierte, an- rikanischer Herkunft in Deutschland gegründet, tikoloniale Nachfolgeorganisation in Berlin.25 um Fürsorge und Rechtsberatung zu bieten und Auch sie wurde von Kamerunern dominiert als Ersatz für die „Stammesgemeinschaft und Fa- und versuchte, die Interessen der Schwarzen in milie der Heimat“ zu dienen.22 Von den 32 Grün- Deutschland zu vertreten und gleichzeitig gegen dungsmitgliedern waren die meisten Kameruner, die weltweite Ausbeutung von Menschen afri- aber die Mitgliedschaft stand jedem in Deutsch- kanischer Herkunft zu protestieren. Ihre Netz- land lebenden Schwarzen offen. Auch Männer werke reichten über Deutschland hinaus zu einer aus Togo, Ost- und Westafrika und der Karibik Schwesterngruppe in Paris, zu afrikanischen an- engagierten sich im Verein. Obwohl viele Mitglie- tikolonialer Aktivisten in anderen europäischen der in Hamburg und Berlin ansässig waren, betä- Ländern und zu kommunistischen Aktivisten in tigte sich die Gruppe landesweit und hatte auch Moskau. Ihre zentrale Figur war der kameruni- in Ostpreußen, Bayern, Westfalen und Mecklen- sche Kommunist Joseph Ekwe Bilé, der als Red- burg Unterstützer. ner bei antiimperialistischen Demonstrationen Obwohl der Verein sich selbst als unpoli- der Kommunistischen Internationale auftrat. Mit tisch bezeichnete, meldete er sich zu Themen zu der Machtübernahme durch die Nationalsozialis- Wort, die für die Mitglieder von großem sozi- ten im Januar 1933 fand der öffentliche Schwarze alen und politischen Interesse waren. Ein Kreis politische Aktivismus in Deutschland jedoch ein um den Kameruner Martin Dibobe versuchte, jähes Ende. sich in die Nachkriegsdebatten über das Schick- sal der deutschen Kolonien einzuschalten.23 Im Reed-Anderson, Hearing Colonial Voices: Martin Dibobe and the 1919 Cameroonian Petition, in: Mont Cameroun 2/2005, S. 49–64. 19 Vgl. Louis Brody, Die deutschen Neger und die „schwarze 24 Zur Geschichte des Afrikanischen Hilfsvereins vgl. Peter Schmach“, in: B. Z. am Mittag, 24. 5. 1921. Martin, Anfänge politischer Selbstorganisation der deutschen 20 Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft. Schwarzen bis 1933, in: Marianne Bechhaus-Gerst/Reinhardt 21 Zu Bell siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), S. 24–28; Karl Klein-Arendt (Hrsg.), Die (koloniale) Begegnung. AfrikanerInnen Atiogbe, Ein Wort für meine schwarzen Brüder, in: Berliner in Deutschland 1880–1945, Deutsche in Afrika 1880–1918, Tageblatt, 2. Beiblatt, 15. 3. 1908. Frankfurt/M. 2003, S. 200–201. 22 Statut des Afrikanischen Hilfsvereins, Staatsarchiv Hamburg 25 Zur „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ (LzVN) vgl. 331–333, SA 2819. Robbie Aitken, From Cameroon to Germany and Back via 23 Vgl. Stefan Gerbing, Afrodeutscher Aktivismus. Interven- Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892– tionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung 1959), Performer, „Negerarbeiter“ and Comintern Activist, in: Deutschlands 1919, Frankfurt/M. 2010, S. 47–55; Paulette Journal of Contemporary History 43/2008, S. 597–616. 09
APuZ 12/2022 VERFOLGUNG Bis zum Sommer 1940 wurde die antischwar- IN NAZI-DEUTSCHLAND ze Politik bis zu einem gewissen Grad durch die Hoffnung auf die Rückgewinnung der Kolonien Die Machtergreifung der Nationalsozialisten abgefedert. Der koloniale Revisionismus eröff- hatte große Auswirkungen auf das Leben al- nete vorübergehend sichere Räume für Einzel- ler Schwarzen in Deutschland. Mitglieder der personen und Familien. Mit dem Ausbruch des Schwarzen Community erinnerten diesen Mo- Zweiten Weltkriegs sahen sich Schwarze und ihre ment als einen Wendepunkt in ihrer persönlichen weißen Partner und Partnerinnen jedoch einem Geschichte.26 Als nicht ins Rassekonzept der Na- erhöhten Maß an Gewalt ausgesetzt, da der Ko- zis passende Außenseiter sollten sie von der Zu- lonialrevisionismus und die Sorge um das inter- gehörigkeit zum neuen Deutschland systematisch nationale Ansehen Deutschlands keine Priorität ausgeschlossen werden. Auf lokaler Ebene wur- mehr hatten.27 Immer mehr Menschen wurden den Einzelpersonen von fanatisierten Parteigän- in Konzentrationslagern, Zwangsarbeitslagern gern schikaniert. Wenige Monate nach der Macht- und Sanatorien inhaftiert, sterilisiert und/oder ergreifung im Jahr 1933 wurde der Künstler und ermordet. Aktivist Hilarius Gilges in Düsseldorf von ei- nem Mob lokaler NS-Funktionäre und -Anhän- NACHWEHEN ger ermordet. Einige Familien wurden aus ihren Häusern vertrieben, andere verloren ihre Exis- Die Schwarze Bevölkerung, die die NS-Zeit über- tenz. Die Viktimisierung erstreckte sich auch auf lebte, zählte nun deutlich weniger Menschen, und in Deutschland geborene Schwarze Kinder, die die Community, die sich seit dem späten 19. Jahr- in der Schule rassistischen Beleidigungen ausge- hundert entwickelt hatte, war verstreut und trau- setzt waren, und fast ausnahmslos wurde ihrem matisiert. Mit der Zeit wurden Freundschaften Bildungsweg mit der Nazifizierung des Schul- und Netzwerke wiederhergestellt. Ihre Erfah- systems vorzeitig ein Ende gesetzt. Es überrascht rungen und Leiden bleiben jedoch in der öffent- nicht, dass sich viele zur Flucht aus Deutschland lichen und historischen Erinnerung an das Dritte entschieden. Reich fast gänzlich unerwähnt, was die Unsicht- Die Ausgrenzung wurde noch beschleunigt, barkeit dieser Schwarzen Gemeinschaft sowie als Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1935 die der Schwarzen deutschen Vergangenheit in der Nürnberger Gesetze, die Eheschließungen zwi- allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung wi- schen sogenannten Ariern und Juden untersag- derspiegelt. Diese Unsichtbarkeit ist das Ergeb- ten, in Teilen ausdrücklich auf Schwarze ausdehn- nis mehrerer komplexer Ursachen: dem schieren te. Nun waren Ehen zwischen zeugungsfähigen Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten, Menschen afrikanischer Herkunft und weißen der zahlenmäßig geringen Größe der Schwar- Europäern und Europäerinnen verboten. Die zen Bevölkerung in Deutschland vor 1945, dem Anträge auf Erlaubnis zur Eheschließung wurden Mangel an Archiv-Dokumentation und der an- ausnahmslos abgelehnt, und die Nazis versuchten haltenden Unfähigkeit, sich konstruktiv mit der aktiv, bestehende Partnerschaften durch die An- kolonialen Vergangenheit Deutschlands aus- drohung von Sterilisation und Inhaftierung auf- einanderzusetzen. Die Folge ist, dass es kaum zulösen. Dies verdeutlicht die völkermörderische eine Erinnerung daran gibt, dass es in Deutsch- Absicht der antischwarzen Politik und Praxis der land einmal eine Schwarze Bevölkerung gegeben Nazis. Das Ziel des Regimes bestand letztlich da- hat, die größtenteils aus den deutschen Kolonien rin, das Heranwachsen künftiger Generationen stammte. von Schwarzen Deutschen zu verhindern.27 Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken 26 Siehe zum Beispiel Doris Reiprich/Erika Ngambi Ul Kuo, Unser Vater war Kameruner, unsere Mutter Ostpreußin, wir sind Mulattinnen, in: Katharina Oguntoye/May Opitz/Dagmar Schultz (Hrsg.), Farbe bekennen, Frankfurt/M. 2006, S. 73–92; ROBBIE AITKEN Gert Schramm, Wer hat Angst vorm schwarzen Mann, Berlin 2011; Theodor Wonja Michael, Deutsch sein und schwarz dazu, ist Professor für Geschichte an der Sheffield Hallam München 2013. University, Vereinigtes Königreich. 27 Siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 7. r.aitken@shu.ac.uk 10
Schwarz und Deutsch APuZ DIE „FARBIGEN BESATZUNGSKINDER“ DER ZWEI WELTKRIEGE Julia Roos Nach beiden Weltkriegen waren im besetzten Geschichte beider Generationen von Besatzungs- Rheinland neben weißen alliierten Truppen auch kindern vergleichend betrachten, werden wich- Soldaten of Color stationiert. In der Weimarer tige Defizite der öffentlichen Erinnerung in den Republik handelte es sich überwiegend um fran- Fünfzigerjahren sichtbar, die eine konsequen- zösische Kolonialtruppen aus Nordafrika, Mada- te Bekämpfung rassistischer Denk- und Hand- gaskar, dem Senegal und Vietnam. In der frühen lungsweisen wesentlich erschwerten. Bundesrepublik waren schwarze Besatzungssol- daten mehrheitlich afroamerikanische GIs. Die PROPAGANDAKAMPAGNE außerehelichen Kinder alliierter Soldaten of Co- „SCHWARZE SCHMACH AM RHEIN“ lor mit deutschen Frauen sind für die Geschichte politischer Konflikte darüber, ob es möglich ist, Am 20. Mai 1920 verabschiedete die Deutsche zugleich schwarz und deutsch zu sein, von zen- Nationalversammlung eine förmliche Anfrage traler Bedeutung.01 Dies gilt zum einen in quan- an die Reichsregierung „betreffend Verwendung titativer Hinsicht: Im 20. Jahrhundert bildeten farbiger Truppen in den besetzten Gebieten der die Söhne und Töchter schwarzer Besatzungssol- Rheinlande,“ die von allen Abgeordneten mit daten lange die größte Gruppe schwarzer Deut- Ausnahme der Unabhängigen Sozialdemokra- scher. Von den (relativ wenigen) Menschen, die ten (USPD) unterstützt wurde. Die Verfasser be- vor 1919 aus den ehemaligen Kolonien einge- zeichneten es als „eine Schmach“, dass Soldaten wandert waren, hatte nur eine kleine Minderheit of Color „in deutschen Kulturländern Hoheits- die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Im Ge- rechte ausüben“, für deutsche Frauen und Kinder gensatz dazu waren die sogenannten Besatzungs- seien „diese Wilden eine schauerliche Gefahr“, kinder in der Regel gebürtige Deutsche. Da sie und die Zustände seien „schandbar, erniedrigend, von Soldaten abstammten, die für viele Deut- unerträglich!“ In der ganzen Welt erhöben sich sche nicht nur die als demütigend empfundene „immer mehr entrüstete Stimmen, die diese un- Kriegsniederlage, sondern auch eine vermeintli- auslöschliche Schmach verurteilen“.03 che „rassische Bedrohung“ verkörperten, waren Die Anfrage verdeutlicht wesentliche Aspek- sie bevorzugte Zielscheibe nationalistischer Res- te der rassistischen Propagandakampagne gegen sentiments. Im Dritten Reich wurden Hunderte die „schwarze Schmach am Rhein“, deren Ent- von ihnen zur „Reinhaltung der Rasse“ zwangs- stehung eng mit den innen- und außenpolitischen sterilisiert. Krisen des Frühjahrs 1920 verknüpft war.04 Im Die Kulturtheoretikerin Michelle Wright hat Verlauf des blutigen Ruhrkampfs, den der rechts- darauf hingewiesen, dass die Besonderheiten der extreme Kapp-Putsch vom 13. März ausgelöst Entstehungsgeschichte der schwarzen Diaspora hatte, drangen Reichswehreinheiten illegal in die in Deutschland wesentlich zur Formierung eines entmilitarisierte Zone ein. Daraufhin besetzten rassistischen Diskurses beitrugen, der schwar- belgische und französische Truppen kurzfristig ze Deutsche als „Afrikaner*innen“ beziehungs- Frankfurt am Main. Dort kam es am 7. April zu weise als „von außen kommende Fremde“ (Oth- Zusammenstößen zwischen marokkanischen Sol- ers-from-without) konstituierte.02 Im Folgenden daten und deutschen Zivilisten, bei denen mehrere sollen daher Debatten über „farbige Besatzungs- Deutsche getötet wurden. Bereits einen Tag spä- kinder“ zwischen 1920 und 1960 mit einem Fo- ter begann das Auswärtige Amt mit den Vorbe- kus auf ihre Ursprünge, Kontinuitäten und Ver- reitungen für eine Auslandspropaganda zum The- schiebungen untersucht werden. Indem wir die ma „Ausschreitungen farbiger Truppen“.05 Der 11
APuZ 12/2022 ausschließliche Blick auf Soldaten of Color führte gung“ Deutschlands durch „afrikanische Wilde“ zu groben Verzerrungen. Zeitgenössische Statisti- sollte international gegen den Versailler Vertrag ken zeigten, dass nur ein sehr geringer Prozent- Stimmung gemacht werden. Dieses Kalkül schien satz kolonialer Truppen an gewaltsamen Über- zunächst aufzugehen. In den frühen Zwanziger- griffen gegen deutsche Zivilisten beteiligt war. Ein jahren unterstützten zahlreiche ausländische Per- Beispiel verdeutlicht dies: Ein Bericht des Reichs- sönlichkeiten und Vereine die Kampagne gegen kommissars für die besetzten rheinischen Ge- Frankreichs Kolonialtruppen.09 Aus deutscher biete vom Januar 1922 beschuldigte französische Sicht besonders ergiebig war die Kollaboration mit Kolonialsoldaten, zwischen September 1920 und dem englischen Journalisten und Labour-Politi- Juni 192112345 siebenundzwanzig Straftaten begangen ker E. D. Morel.10 In seiner auflagenstarken Schrift zu haben.06 Im gleichen Zeitraum belief sich die „The Horror on the Rhine“ warnte Morel vor dem durchschnittliche Stärke der im Rheinland stati- Sexualtrieb der „primitiven Rassen“, der sehr viel onierten Kolonialtruppen auf 25 000.07 Hinter ge- „aggressiver“ und „ungehemmter“ sei als der eu- schlossenen Türen gaben Regierungsbeamte zu, ropäischer Männer. Der „französische Militaris- dass weiße alliierte Truppen eine ernstere Bedro- mus“ habe die afrikanischen Soldaten gewaltsam hung für die öffentliche Sicherheit darstellten als von ihrem „eigenen Weibervolk“ getrennt und auf Kolonialsoldaten.08 das Rheinland „losgelassen“. Zwangsläufige Folge Im Zentrum der stark pornografisch anmuten- sei, dass „die sexuellen Bedürfnisse der nord- und den Bildsprache der „schwarzen Schmach“ standen westafrikanischen Truppen an den Körpern weißer Sexualverbrechen, die französische Kolonialsolda- Frauen befriedigt werden müssen“.11 ten angeblich an rheinischen Frauen und Mädchen Rassistische Diskurse über die „Black Peril“ verübt hatten. Mithilfe der reißerischen Metapher (angebliche Vergewaltigungen weißer Frauen durch der Rheinlandbesetzung als brutale „Vergewalti- schwarze Männer) waren ein globales Phänomen der Zwanzigerjahre.12 Im deutschen Kolonialreich 01 Vgl. Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche, Der Diskurs um waren zwischen 1906 und 1912 „Mischehen“ zwi- „Rasse“ und nationale Identität 1890–1933, Frankfurt/M. 2001. schen deutschen Siedlern und indigenen Frauen auf 02 Vgl. Michelle Wright, Becoming Black. Creating Identity in dem Verordnungsweg verboten worden.13 Obwohl the African Diaspora, Durham 2004, S. 190. Deutschland 1919 seine Kolonien offiziell verlor, 03 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Natio- trug die Bewegung gegen die „schwarze Schmach“ nalversammlung, Bd. 343, Berlin 1920, S. 3407. 04 Vgl. Christian Koller, „Von Wilden aller Rassen niedergemet- wesentlich dazu bei, dass zentrale Elemente kolo- zelt“. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in nialer Debatten über die „biologischen Gefahren“ Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914– der „Rassenkreuzung“ weiterlebten, indem sie auf 1930), Stuttgart 2001; Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze die deutsche Gesellschaft übertragen wurden.14 Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland Für Besatzungskinder of Color war dies eine fata- 1918–1964, Köln 2006; Iris Wigger, Die „schwarze Schmach am Rhein“. Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster 2007; Julia Roos, Nationalism, Ra- 09 Vgl. Wigger (Anm. 4), S. 34–66; Koller (Anm. 4), S. 284–311. cism and Propaganda in Early Weimar Germany. Contradictions 10 Robert Reinders, Racialism on the Left. E. D. Morel and the in the Campaign against the „Black Horror on the Rhine“, in: „Black Horror on the Rhine,“ in: International Review of Social German History 1/2012, S. 45–74. History 13/1968, S. 1–28. 05 Vgl. das Schreiben Carl-Ludwig Diego von Bergens, des 11 E. D. Morel, The Horror on the Rhine, London 1921, S. 10. Botschafters des Deutschen Reichs beim Heiligen Stuhl, an Unter- Aus dem Englischen übersetzt durch die Autorin. staatssekretär Edgar Haniel von Haimhausen vom 8. 4. 1920, so- 12 Vgl. Ann Laura Stoler, Carnal Knowledge and Imperial Pow- wie Haniels internes Memorandum vom gleichen Tag, in: Politisches er. Race and the Intimate in Colonial Rule, Berkeley 2010, S. 58. Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA) R. 74.427, ohne Paginierung. 13 Vgl. Birthe Kundrus, Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich 06 Bericht des Reichskommissars für die besetzten rheinischen im Spiegel seiner Kolonien, Köln 2003, S. 219–279; Krista Mol- Gebiete vom 28. 1. 1922, in: Landesarchiv Nordrhein Westfalen, ly O’Donnell, The First Besatzungskinder. Afro-German Children, Regierung Düsseldorf Nr. 15148, S. 90–110. Colonial Childrearing Practices, and Racial Policy in German 07 Vgl. Maß (Anm. 4), S. 79. Southwest Africa, 1890–1914, in: Patricia Mazon/Reinhild Stein- 08 Margarete Gärtner, die Vorsitzende der halbamtlichen gröver (Hrsg.), Not So Plain as Black and White. Afro-German Rheinischen Frauenliga (RFL) im Reichsinnenministerium, be- Culture and History, 1890–2000, Rochester 2005, S. 61–81. merkte, dass die „sittlichen Zustände“ im amerikanisch besetzten 14 Vgl. Alexandra Przyrembel, „Rassenschande“. Reinheits- Gebiet, in dem nahezu ausschließlich weiße Truppen stationiert mythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, waren, „am schlimmsten“ seien. Protokoll einer Sitzung der RFL Göttingen 2003, S. 43; Tina Campt, Other Germans. Black vom 9. 4. 1921, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHS- Germans and the Politics of Race, Gender and Memory in the tA) Haupthilfsstelle Pfalz (HHStPf) Nr. 35, ohne Paginierung. Third Reich, Ann Arbor 2004, S. 28. 12
Schwarz und Deutsch APuZ le Entwicklung. Fortan verbanden sich in der sym- Foto zeigte die Amerikanerin mit einem schwar- bolischen Figur des schwarzen Besatzungskinds zen Jungen und einem weißen Mädchen, das sich die rassistischen Stereotype des die deutsche Nati- hilfesuchend an Beveridge klammert. Angeblich on von außen bedrohenden schwarzen „Fremden“ handelte es sich bei den Kindern um „ein Bastard- mit der Furcht vor „innerer Verseuchung“. Kind, 9 Monate alt, das Kind einer deutschen wei- Im April 1922 erschien in der Tageszeitung ßen Mutter und eines farbigen Franzosen“ und „Münchner Neueste Nachrichten“ ein Beitrag des um ein „deutsche[s] unterernährte[s] Kind, 6 Jahre Arztes Franz Rosenberger. Rosenberger war Vor- alt, ein Opfer der unmenschlichen Hungerblocka- standsmitglied des Vereins „Deutscher Notbund de“.18 Die Nachricht war eindeutig: Besatzungs- gegen die schwarze Schmach“, der enge Kontak- kinder of Color waren keine Deutschen, son- te zur antisemitischen völkischen Bewegung un- dern gewaltsam in die Bevölkerung eingeschleuste terhielt. Vom besetzten Rheinland ausgehend, so „Fremdkörper“, die den „echten“ deutschen Kin- Rosenberger, „droht dem deutschen Volke eine au- dern lebenswichtige Ressourcen entzogen. ßerordentliche Gefahr durch gewaltsame Vermi- Eine Anfrage des Reichsfrauenausschusses der schung mit Farbigen, durch Verseuchung mit Ge- Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an den schlechtskrankheiten (…).“ Das wahre Ausmaß Reichsminister für die besetzten rheinischen Ge- der „rassischen Verunreinigung“ sei schwer zu er- biete vom Februar 1927 verdeutlicht, welch tiefe messen, denn die Träger „artfremden Bluts“ seien Wurzeln die rassistische Hysterie über die angebli- oft nicht als solche erkennbar. „Ganze Generatio- chen Gefahren der „Mischlingskinder“ geschlagen nen können scheinbar rein kaukasisch sein, ein jun- hatte. Der Ausschuss bat „um gefällige Mitteilung, ges Paar aus solchen ‚seit Menschengedenken‘ rein ob irgend welche Einrichtungen bestehen, um Kin- weißen Familien heiratet, freut sich auf den Spröß- der, die von farbigen Truppen im besetzten Gebiet ling, und es kommt ein erbärmlicher Mischling.“ stammen, zu versorgen und zu verhindern, dass Die Kränklichkeit der „Mischlinge“ rühre daher, solche Mischlinge im deutschen Volke aufgehen“.19 dass die Kinder weder den klimatischen Bedingun- Der Reichsminister äußerte sich pessimistisch: Da gen noch den sozialen Anforderungen des „ver- die meisten der Kinder unehelich geboren waren, wickelten Ablauf[s] europäischen Geschehens“ hatten sie die Staatsbürgerschaft ihrer Mutter ge- gewachsen seien. Rosenberger prophezeite eine erbt und waren somit Reichsangehörige. „Hieraus düstere Zukunft: „Wehe der weißen Rasse, wenn ergibt sich, dass ihrer Abkunft wegen irgendwelche das dichtbevölkerte Rheinland der Mulattisierung Sondermaßnahmen gegen sie nicht werden ergrif- im Herzen des rein weißen Europas verfällt!“15 fen werden können.“ Die Anfrage motivierte den Auch staatliche Stellen trugen zu einem öffent- Minister, eine neuerliche Zählung der „farbigen Be- lichen Diskurs bei, der Besatzungskinder of Color satzungskinder“ in Auftrag zu geben. Das Ergebnis als bedrohliche „Keimträger“ brandmarkte. Die war bescheiden: 1927 befanden sich im Rheinland Haupthilfsstelle Pfalz, eine Einrichtung der bayeri- nur einige Hundert Kinder, die bekanntermaßen schen Regierung, arbeitete eng mit der amerikani- von französischen Kolonialsoldaten abstammten.20 schen Journalistin Ray Beveridge zusammen, die in Bezeichnenderweise hatte die geringe Zahl ihren Reden unter anderem zu Lynchjustiz gegen von schwarzen rheinischen Kindern keinerlei mil- Kolonialsoldaten aufrief.16 1922 veröffentlichte dernden Einfluss auf Ängste vor „rassischer Ver- Beveridge ihren Vortrag „Die schwarze Schmach – seuchung“. In der bayerischen Pfalz waren 715 Die weiße Schande“, in dem sie behauptete, dass außereheliche Kinder gezählt worden, deren Vä- „60 Prozent der Kinder, die durch die französische ter Besatzungssoldaten waren; nur neun Prozent Besatzung das Licht der Welt erblicken, schon mit (68) stammten von Kolonialsoldaten ab.21 Den- Syphilis zur Welt kommen“, und dass „Mischlings- kinder meistens die schlechten Eigenschaften und 18 Ebd., Titelblatt. Laster beider Eltern in sich tragen“.17 Ein gestelltes 19 Dr. von Dryander an den Reichsminister für die besetzten Gebiete, 12. 2. 1927, in: Bundesarchiv Berlin (BAB), Reichsministe- rium für die besetzten Gebiete, R1601/2234, ohne Paginierung. 15 Franz Rosenberger, Gefahr der Mulattisierung, in: Münch- 20 Reichsminister für die besetzten Gebiete an Dr. von Dryan- ner Neueste Nachrichten, 18. 4. 1922. der, 23. 2. 1927, in: BAB R1601/2234. 16 Vgl. Wigger (Anm. 4), S. 56–61. 21 Vgl. Oberlandesgericht Zweibrücken, „Übersicht über die 17 Ray Beveridge, Die schwarze Schmach. Die weiße Schande, Zahl der unehelichen Kinder in der Pfalz, die von Besatzungsan- Hamburg 1922, S. 22. gehörigen stammen“, in: BAB R 1601/2234. 13
APuZ 12/2022 noch machten bayerische Beamte im Sommer se Neuerung zugutekommen. So erklärte sich der 1927 einen radikalen Vorstoß. Im Juli bat Pfalz- marokkanische Soldat Messaoud ben Y. im No- kommissar Heinrich Jolas den bayerischen Ver- vember 1929 damit einverstanden, zum Unterhalt treter beim Reichsrat, Ministerialrat Franz Sperr, seiner in Frankfurt am Main lebenden vierjährigen beim Reichsgesundheitsamt Erkundigungen ein- Tochter I. K. beizutragen.25 Deutsche Frauen und zuziehen, „ob sich zur Reinhaltung der Rasse im Kolonialsoldaten, die heiraten wollten, begegne- besetzten Gebiet von farbigem Blut nichts machen ten allerdings weiterhin erheblichen Widerständen lässt“. Wie Diskussionen im bayerischen Innen- vonseiten deutscher Behörden. ministerium ergeben hätten, sei „die Unfrucht- barmachung von Mischlingen durch einen gänz- NATIONALSOZIALISMUS: lich schmerzlosen Eingriff zu erzielen“. Jolas war KONSTRUKTION VON „RASSE“ sich „darüber klar, daß solcher Eingriff nach der gegenwärtigen Rechtslage unzulässig ist“.22 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten lös- In den darauffolgenden Monaten eruierte der te einen Radikalisierungsschub in Diskursen über Reichsminister für die besetzten Gebiete zwei alter- schwarze Besatzungskinder aus. Als im Frühling native „Lösungen“ des behaupteten Problems der 1933 über das Gesetz zur Verhütung erbkranken „Mischlingskinder“: Zwangssterilisation oder Exi- Nachwuchses (GVeN) beraten wurde, mehrten lierung. Da Deutschland jedoch zu diesem Zeit- sich die Forderungen nach einer Ausweitung des punkt noch kein Sterilisationsgesetz besaß, waren Sterilisationsgesetzes auf schwarze Besatzungskin- Zwangssterilisationen letztlich zu riskant. Zur Er- der. In seiner Schrift „Rasseprobleme im Dritten forschung der bestehenden Möglichkeiten, die Kin- Reich“ rief Hans Macco dazu auf, die „Überbleib- der nach Übersee abzuschieben, wandte sich das sel der schwarzen Schmach am Rhein auszumer- Ministerium an Johannes Witte von der Ostasien- zen“. Die „Mulattenkinder“ seien „entweder durch mission des Allgemeinen Evangelisch-Protestanti- Gewalt entstanden, oder aber die weiße Mutter schen Missionsvereins. Anfang Januar 1928 berich- war eine Dirne. In beiden Fällen besteht nicht die tete Witte, dass man die Idee, die Kinder in deutsche geringste moralische Verpflichtung gegenüber die- Missionen im Ausland zu verbringen, wohl aufge- ser fremdrassischen Nachkommenschaft“.26 Das geben müsse. „Meine Erkundigungen über die Fra- GVeN vom 14. Juli 1933 bot jedoch keine Hand- ge der dunkelfarbigen Mischlingskinder im be- habe, Menschen allein aufgrund ihrer „Rassezuge- setzten Gebiet haben ergeben, dass die sämtlichen hörigkeit“ zwangsweise zu sterilisieren.27 Pfarrer, in deren Gebiet sich solche Kinder finden, Im April 1933 ordnete der preußische Innen- die Meinung vertreten, daß es in den allermeisten minister Hermann Göring an, alle „Mischlin- Fällen unmöglich sein wird, die Angehörigen zu be- ge“ erneut zu zählen. Zeitgleich wurde das Ber- wegen, einem Abtransport des Kindes nach Afrika liner Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, oder in andere Länder zuzustimmen.“23 menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) mit Infolgedessen konzentrierten sich staatliche einer Lokalstudie rheinischer „Mischlingskinder“ Stellen verstärkt darauf, von alliierten Regierungen beauftragt.28 Die Studie sollte dazu dienen, „ein und Soldaten Unterhaltszahlungen für deutsche einwandfreies Urteil über den körperlichen und Besatzungskinder einzufordern. Nur Frankreich geistigen Zustand der Bastardkinder und über die war jedoch bereit, in bestimmten Fällen Alimen- rassische Bedeutung dieser Beimischung fremden tenklagen unverheirateter deutscher Mütter gegen Blutes in unseren westlichen Grenzgebieten zu Soldaten der französischen Armee zuzulassen.24 gewinnen“.29 Dazu untersuchte der Anthropolo- Auch Besatzungskindern of Color konnte die- ge Wolfgang Abel, ein Assistent des KWI-A Di- 22 Heinrich Jolas an Ministerialrat Sperr, 21. 7. 1927, abge- 25 Vgl. ebd., S. 176. druckt in: Reiner Pommerin, „Sterilisierung der Rheinlandbas- 26 Hans Macco, Rasseprobleme im Dritten Reich, Berlin 1934, tarde“: Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit S. 13. 1918–1937, Düsseldorf 1979, S. 92–93. 27 Vgl. Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialis- 23 Dr. J. Witte an den Reichsminister für die besetzten Gebiete, mus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986. 11. 1. 1928, in: BAB R 1601/2234. 28 Vgl. Pommerin (Anm. 22), S. 45–48. 24 Vgl. Julia Roos, Racist Hysteria to Pragmatic Rapprochement? 29 Ludwig Grauert, Bericht an den Herrn Ministerpräsidenten, The German Debate over Rhenish „Occupation Children“ 1920– 28. 2. 1934, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHS- 1930, in: Contemporary European History 2/2013, S. 155–180. tAW), Regierungspräsident Wiesbaden Abt. 405/3158, S. 447. 14
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