Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
Zeitschrift der           Hessen
  für Erziehung, Bildung, Forschung

64. Jahr   Heft 1/2       Jan./Febr. 2011

                      TITELTHEMA
                         Hochschule
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
TERMINE                                                                                                                               HLZ 1–2/2011               2

                                                                                                                   Zeitschrift der GEW Hessen
     Personengruppe Frauen der GEW Hessen                                                                          für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                   ISSN 0935-0489
     Frauen – Schule – Gesellschaft: Frauenbild im Wandel                                        I     M       P      R       E      S      S      U      M
     Fachtagung für Lehrerinnen in Fulda am 8. Februar
                                                                                                 Herausgeber:
     Die Fachtagung der Personengruppe Frauen der GEW Hessen findet am 8. 2. 2011                Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
     im Parkhotel Kolpinghaus in Fulda statt. Im Rahmen dieser Fachtagung werden                 Landesverband Hessen
     verschiedene Aspekte des beruflichen und gesellschaftlichen Alltags von Lehre-              Zimmerweg 12
                                                                                                 60325 Frankfurt/Main
     rinnen in allen Schulformen beleuchtet. Die Fachtagung beginnt mit zwei                     Telefon (0 69) 9 71 29 30
     Einstiegsreferaten der stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Karola Stötzel              Fax (0 69) 97 12 93 93
     (Kindheit im Wandel) und der Leiterin des Arbeitsbereichs Frauenpolitik beim                E-Mail: info@gew-hessen.de
                                                                                                 Homepage: www.gew-hessen.de
     GEW-Hauptvorstand Anne Jenter (Vereinbarkeit von außerberuflichem Leben
     und Erwerbsarbeit in unterschiedlichen Lebensphasen). Nach der Mittagspause                 Verantwortlicher Redakteur:
                                                                                                 Harald Freiling
     stehen vier Workshops zur Wahl:                                                             Klingenberger Str. 13
     1. Führen und Leiten: Ist das was für mich?                                                 60599 Frankfurt am Main
                                                                                                 Telefon (0 69) 63 62 69
        Verona Eisenbraun, Gleichstellungsbeauftragte des Amts für Lehrerbildung                 Fax (0 69) 6 31 37 75
        (AfL) in Frankfurt am Main                                                               E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
     2. Neue Lebensmodelle                                                                       Mitarbeit:
                                                                                                 Christoph Baumann (Bildung), Joachim Euler (Aus- und
         Frauke Gützkow, Abteilung Frauenpolitik beim GEW-Hauptvorstand                          Fortbildung), Ulla Hess (Mitbestimmung), Michael Köditz
     3. Was Frauen in Teilzeitbeschäftigung unbedingt wissen sollten                             (Sozialpädagogik), Annette Loycke (Recht), Carmen Lud-
         Dr. Hartwig Schröder, Rechtsstelle der GEW Hessen                                       wig (Hochschule), Karin Schüßler (Bildung), Andreas
                                                                                                 Staets (Hochschule), Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd
     4. Sind Ganztagsschulen die Lösung für die gesellschaftlichen Probleme?                     Turk (Tarifpolitik und Gewerkschaften)
         Ganztagsschulverband (angefragt)                                                        Gestaltung:
     Die Fachtagung endet bei einer Tasse Kaffee mit einem Informationsaustausch aus             Michael Heckert, Harald Knöfel
     den Workshops. Lioba Boll, Hanne Hirn und Barbara Ludwig von der Personen-                  Titelthema: Oliver Brüchert und Alexander Wagner,
     gruppe Frauen der GEW Hessen freuen sich auf zahlreiche interessierte Teilneh-              Landesfachgruppe Hochschule und Forschung
     merinnen. Der Teilnahmebeitrag von 20 Euro (inklusive Mittagessen) bezie-                   Illustrationen:
                                                                                                 Axel Träger (Titel), Thomas Plaßmann (S. 19), Dirk Tonn
     hungsweise 12 Euro für GEW-Mitglieder ist bei der Fachtagung zu entrichten.                 (S. 23), Andreas Träger (S. 9, 11, 13), Ruth Ullenboom (S. 4)
     • Anmeldung unter Angabe des Workshops: GEW Hessen, Zimmerweg 12,                           Fotos:
     60325 Frankfurt am Main, Tel. 069-97129327, Fax: 069-97129397, E-Mail:                      digitalstock (S. 27), Harald Freiling (S. 16, 31), Peter List
     info@gew-hessen.de                                                                          (S. 29), Sammlung Prinzhorn (S. 34), Heinrich Schuld
                                                                                                 (S. 21)
                                                                                                 Verlag:
                                                                                                 Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
     GEW-Beitragsquittung für 2010                                                               Niederstedter Weg 5
     Wie in den vergangenen Jahren erhal-           achtung. Außerdem bittet die GEW             61348 Bad Homburg
     ten alle GEW-Mitglieder mit der Febru-         Hessen von Nachfragen in der Landes-         Anzeigenverwaltung:
                                                                                                 Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
     ar-Ausgabe der Bundeszeitung E&W               geschäftsstelle abzusehen.                   Edith Hestert
     eine persönliche Beitragsquittung für             Im Februar 2011 erscheint turnus-         Postfach 19 44
     das Jahr 2010. Sie ist zusammen mit dem        gemäß keine HLZ. Der E&W ist statt-          61289 Bad Homburg
                                                                                                 Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
     neuen Mitgliedsausweis Teil des karto-         dessen das Jahresprogramm von lea,           E-Mail: mlverlag@wsth.de
     nierten Umschlags der E&W. Die HLZ-            dem Bildungswerk der GEW Hessen,
                                                                                                 Erfüllungsort und Gerichtsstand:
     Redaktion bittet um entsprechende Be-          beigelegt.                                   Bad Homburg
                                                                                                 Bezugspreis:
                                                                                                 Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließ-
                                                                                                 lich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die
      Aus dem Inhalt                                                                             Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten.
                                                     S. 16 Gehaltsabsenkung für Professuren      Zuschriften:
      Rubriken                                       S. 17 Tarifrunde 2011 an Hochschulen        Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird
      S. 4 Spot(t)light                              S. 18 Buchbesprechung                       keine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentli-
                                                                                                 chung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Nament-
      S. 5 Briefe                                                                                lich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Mei-
                                                     Einzelbeiträge
      S. 6 Meldungen                                                                             nung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen.
      S. 30 Recht: Pension mit 67                    S.    7   Tarif- und Besoldungsrunde 2011
      S. 35 Magazin                                  S.   19   GEW zum Schulgesetz               Redaktionsschluss:
                                                     S.   20   Inklusion und Konfusion           Jeweils am 5. des Vormonats
      Titelthema:                                    S.   22   Nein zu dieser Schuldenbremse
      Unternehmerische Hochschule                    S.   24   (Kein) Bund der Steuerzahler      Nachdruck:
                                                                                                 Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
      S.    8   Zur Sache                            S.   26   Bildung und Ökonomie              gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigen-
      S.   10   Hochschulfinanzierung                S.   28   Integration und Sprache           teils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge-
                                                     S.   32   „Ich liebe Pausenaufsichten“      nehmigung der Redaktion und des Verlages.
      S.   12   Prekäre Hochschule
      S.   14   Wissenschaftlicher Mittelbau         S.   33   Mit lea nach Namibia              Druck:
                                                     S.   34   Kunst und Psychiatrie             Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH
      S.   15   Militärforschung und Zivilklausel                                                Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
3     HLZ 1–2/2011                                                                                          KOMMENTAR

    Unternehmen Hochschule? No, we can’t!
    In Essen und Gütersloh wurden die Blaupausen               mens macht. Die durch Steuergeschenke für die Reichen
    entwickelt, in Hannover, Stuttgart, Wiesbaden und          oder die Schuldenbremse politisch erzeugte Armut der
    vielen anderen Landeshauptstädten arbeitet man mit         öffentlichen Haushalte begünstigt diese Entwicklung
    Hochdruck an der Umsetzung: Hochschulen werden             zusätzlich.
    nach dem Vorbild gewerblicher Unternehmen und                 Folge dieses Paradigmenwechsels ist die Prekarisie-
    betriebswirtschaftlicher Steuerungsmodelle umgebaut.       rung wissenschaftlicher Arbeit. Auch wenn kein Gerin-
    Mit schwer wiegenden Folgen. Die Kompetenzen der           gerer als der Präsident der Deutschen Forschungsge-
    gewählten Kollegialorgane werden auf bloße Beratungs-      meinschaft die Universitäten aufgefordert hat, mit
    funktionen reduziert, die Mitbestimmungsrechte der         Drittmitteln auch unbefristete Beschäftigungsverhält-
    Beschäftigten und Studierenden abgebaut. Auch die          nisse zu schaffen, bringen nur wenige diesen Mut auf.
    Selbstverwaltungsrechte der Professorinnen und Pro-        Unter den wissenschaftlichen Angestellten kommen
    fessoren werden grundsätzlich in Frage gestellt, wenn      heute auf einen unbefristet Beschäftigten 6,7 befristet
    autokratische Hochschulleitungen, Dekanate und mit         Beschäftigte. Zusätzlich verlagern die Hochschulen
    externen Wirtschaftsvertretern besetzte Hochschulräte      einen immer größeren Anteil ihrer Lehraufgaben auf
    das Sagen haben. Konsequenterweise hat man im              eine akademische Reservearmee scheinselbstständiger
    baden-württembergischen Hochschulgesetz bereits die        Lehrbeauftragter.
    Hochschulräte in Aufsichtsräte und die Rektorate in           Der erfolgreiche Widerstand gegen Studiengebühren
    Vorstände umbenannt.                                       nicht nur in Hessen, sondern auch im Saarland und in
        Dass die Umwandlung der Hochschulen in Unterneh-       Nordrhein-Westfalen belegt indes, dass die Entwick-
    men sogar die Grenzen des verfassungsrechtlich Zuläs-      lung hin zur unternehmerischen Hochschule nicht
    sigen überschreitet, hat das Bundesverfassungsgericht in   unumkehrbar ist. Und die breite Unterstützung des von
    seiner jüngsten Entscheidung zum Hamburgischen Hoch-       der GEW initiierten Templiner Manifests für die Reform
    schulgesetz deutlich gemacht (HLZ S. 14). Hatte das        von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule
    Gericht 1973 der Demokratisierung der Hochschulen          und Forschung zeigt, dass sich nicht nur Studierende,
    noch enge Grenzen gesetzt, verlangt es vom Gesetzgeber     sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
    jetzt, „ein hinreichendes Niveau der Partizipation der     ler wehren können.
    Grundrechtsträger“ sicherzustellen. Hatte der Marburger       Mit ihrem vom Gewerkschaftstag beschlossenen
    Politikwissenschaftler und Staatsrechtler Wolfgang         wissenschaftspolitischen Programm hat die GEW
    Abendroth 1973 noch die Länderparlamente und Regie-        deutlich gemacht: Wir können auch anders. Es gibt
    rungen aufgefordert, gegen das Karlsruher Hoch-            Alternativen zur unternehmerischen Hochschule, wir
    schulurteil „Alarm zu schlagen“, schlägt heute Karlsruhe   wollen Wissenschaft demokratisieren, Hochschule öff-
    Alarm gegen den Bruch der Länder mit der jahrhunder-       nen und Arbeits- und Studienbedingungen verbessern.
    tealten Tradition der akademischen Selbstverwaltung.       Wir wollen eine demokratische und soziale Hochschule.
        Nach dem Leitbild der unternehmerischen Hoch-
    schule müsse sich Hochschulen wie Wirtschaftsunter-
    nehmen auf einem Markt behaupten. Als Waren und
    Dienstleistungen müssen sie verwertbare Forschungs-
    ergebnisse, Lehre und Studium feilbieten – und zwar an
    kaufkräftige Nachfrager. Der Paradigmenwechsel in
    der Forschungsfinanzierung weg von der institutionel-
    len Förderung der Hochschulen hin zur Projekt-
    förderung hat hierin seine Wurzel, ebenso wie die                                          Dr. Andreas Keller
                                                                                               Leiter des Vorstandsbe-
    Einführung von Studiengebühren, die aus studenti-                                          reichs Hochschule und
    schen Mitgliedern einer Selbstverwaltungskörperschaft                                      Forschung beim GEW-
    Kundinnen und Kunden eines Dienstleistungsunterneh-                                        Hauptvorstand.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
SPOT(T)LIGHT                                                                                                              HLZ 1–2/2011         4

     Berufskrankheiten
                                                                                              sanftere Spielart des Brechers ist der
                                                                                              Zwischenredner, der zu jedem Thema
                                                                                              etwas zu sagen hat und erst dann zufrie-
                                                                                              den ist, wenn er ein Gespräch an sich
                                                                                              gerissen hat und ungestört monologi-
      Trotz aller Whiteboards, Lernspiralen      Worten mindestens noch dreimal dar-          sieren kann.
      und Lernpyramiden spielen Stimme und       gelegt, wie man zum Beispiel ökolo-
      Sprache des Lehrers immer noch eine        gisch einwandfreie Gartenteiche an-          Die Stimmfühler
      zentrale Rolle. Leider sind sie nach       legt. Falls derart erkrankte Kollegen        In kaum einer Schule finden sich Ar-
      Dauergebrauch von Degenerationser-         Fragen gestellt und eindeutige Antwor-       beitsmöglichkeiten für Lehrkräfte, wo
      scheinungen betroffen. In einer umfas-     ten erhalten haben, problematisieren         sie in Ruhe eine Power-Point-Präsenta-
      senden Langzeitstudie hat die Autorin      sie ihre Frage noch mehrfach: „Steht die     tion erarbeiten könnten. Und selbst
      Störungen im Gesprächsverhalten von        Fallschirm-Arbeitsgemeinschaft eigent-       wenn es so etwas gibt – die nächste
      Lehrern untersucht. Unterschiede zwi-      lich allen Schülern offen?“ „Ja.“ „Es        Kollegin, die hereinkommt, schafft es
      schen den Geschlechtern hat sie trotz      könnte ja sein, dass nur die Oberstufe       nicht, einfach still Platz zu nehmen und
      aller gängigen Klischees nicht feststel-   hindarf.“ „Nein, nein, die AG ist für alle   sich ihrem Tun zu widmen. Die Situa-
      len können. Allenfalls beim sozialen       Schüler gedacht.“ „Na ja, manchmal           tion muss durch zwei, drei Stimm-
      Stimmfühlungslaut überwiegt der An-        gibt es doch Altersbeschränkungen,           fühlungslaute „entschärft“ werden. Der
      teil der Frauen. Einige gängige Störun-    deshalb frage ich.“ So ein Gespräch          Inhalt spielt dabei keine wesentliche
      gen werden hier kurz beschrieben. Eine     kann sich eine Viertelstunde lang hin-       Rolle: „Na, auch eine Springstunde zu
      ausführliche und systematische Darstel-    ziehen. Manche dieser Lehrer hören           füllen?“ oder „Hast du mit deiner Klasse
      lung anhand von Gesprächsprotokollen       sich einfach gern reden.                     schon den Kompetenztest geschrieben?“
      findet sich in der Habilitationsschrift                                                 Ein kurzer Satzwechsel, und man könn-
      der Autorin: „Deskription degenerati-      Die Zwischenredner und Brecher               te in Ruhe weiterarbeiten. Leider ist das
      ven Sprachverhaltens in der Pädagogik      Lehrer sind ständig auf dem Sprung,          nur selten der Fall. Aus drei Sätzen
      unter linguistischen und tiefenpsycho-     vom Unterricht zur Vertretung, zur           werden viele, und die Klausuren blei-
      logischen Aspekten“ (Metzelthin April      Aufsicht, zur Toilette, zu spontan auf-      ben unkorrigiert. In der zweiten Spring-
      2009, 79,80 Euro).                         tauchenden Eltern. Deshalb können            stunde kommt die nächste Kollegin her-
                                                 manche nicht abwarten, dass unwichti-        ein: „Ach, hast du jetzt auch frei?“
      Die Wiederholer                            ges Pausengeschwätz über Integration         Raffinierte Kolleginnen und Kollegen
      Lehrerinnen und Lehrer scheinen häu-       und Altersteilzeit ein Ende findet. Der      korrigieren ihren Kram deshalb in leer-
      fig mit begrenzter menschlicher Auf-       Brecher platzt einfach in jedes Ge-          stehenden Dunkel- oder Kellerräumen.
      nahmekapazität zu tun zu haben. Damit      spräch rein. Leider hat brachiale Sprach-
      sind keinesfalls nur Schülerinnen und      gewalt eine einschüchternde Wirkung.         Die Schauspieler
      Schüler gemeint! Über viele Berufsjah-     Meist stellen die anderen sofort ihr         Es gibt in kaum einer Schule Rückzugs-
      re hinweg haben manche Kollegen die        Gespräch ein, wenden sich dem Brecher        möglichkeiten für vertrauliche Gesprä-
      Zwangsstörung entwickelt, ein und den-     zu und verstärken somit ungewollt sei-       che. Jeder mündliche Kontakt mit El-
      selben Sachverhalt mehrfach in immer       ne Gesprächsstörung. Auf dem Höhe-           tern, Großeltern und Familienhelfern
      anderen Worten zu erklären. Nicht nur      punkt seiner Erkrankung verlässt der         findet in aller Öffentlichkeit statt. Nach
      im Unterricht, sondern auch im Privat-     Brecher nicht einmal mehr seinen             langer Berufspraxis können manche
      leben. Selbst wenn der Gesprächspart-      Schreibtisch, sondern brüllt durchs gan-     Kollegen gar nicht mehr ohne Publi-
      ner bereits deutlich Verständnis signa-    ze Lehrerzimmer, besonders gern, wenn        kum arbeiten. Sie laufen erst zu großer
      lisiert hat, wird ihm in kindgerechten     jemand wichtige Telefonate führt. Eine       Form auf, wenn unbeteiligte Zuhörer
                                                                                              anwesend sind. Wie ordentliche Schau-
                                                                                              spieler achten sie dann auf überdeutli-
                                                                                              che Artikulation und ausgewählte Lexik
                                                                                              und bauen kleine Witze und Bonmots
                                                                                              ein, die nur die Zuhörer verstehen. Sie
                                                                                              führen quasi ein Gespräch auf zwei
                                                                                              Ebenen. Das klingt wie eine besondere
                                                                                              Fähigkeit, in Wirklichkeit handelt es
                                                                                              sich um eine ernsthafte Affektstörung,
                                                                                              die nur schwer zu heilen ist. Genauso
                                                                                              wie die analoge Erkrankung des notori-
                                                                                              schen Zuhörers, der stets und ganz
                                                                                              unauffällig die Nähe zu spannenden
                                                                                              Gesprächen sucht.
                                                                                                                     Gabriele Frydrych

                                                                                              Für interessierte Kollegen bietet die Autorin
                                                                                              ab Januar 2011 folgende Selbsthilfegruppen
                                                                                              an: „Paralleles Sprechen“ und „Wie täusche ich
                                                                                              aktives Zuhören vor?“
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
5      HLZ 1–2/2011                                                                                                                          BRIEFE

    Betr.: HLZ 10-11 und 12/2010                       Aber das kennen wir ja schon: Die        den Schülerinnen und Schüler in allen
    Selbstständiges Lernen                         Bildungsstandards sind ja auch nur eine      Bundesländern schon vom ersten
                                                   List der Wirtschaft, die Schulen ihren       Schuljahr an unter die ständigen freud-
    Zum Verzweifeln                                Interessen zu unterwerfen. Hoffen wir        losen Dauerevaluationen gestellt, mit
    Es ist wirklich zum Verzweifeln, wie           auf Besserung und eine weniger vor-          Tests, Proben und Standardarbeiten.
    schnell und gedankenlos in nicht weni-         urteilsbelastete Diskussion!                 Damit sollen aus Mäßig-, Mittel- und
    gen Artikeln der HLZ fast jeder Ansatz                                                      Hochbegabten die „Besten“ ausgelesen
                                                   Dieter van Holst, Frankfurt am Main
    einer Revision tradierter Unterrichts-                                                      und frühzeitig richtig und endgültig
    und Schulorganisationsformen mit dem                                                        sortiert werden. Kinder aller Altersstu-
    Fallbeil einer angeblichen Ökonomi-                                                         fen werden durch solchen Dauerstress
    sierung der Schulen denunziert wird                                                         häufig körperlich und seelisch krank.
    (...), etwa mit dem Vorwurf, durch die                                                      Sie müssen dann in Sonderschulen für
    Vermittlung von Schlüsselkompetenzen                                                        Verhaltensgestörte oder „medizinisch“
    mache man sich zum Handlanger der                                                           gesund gemacht werden. Viele bleiben
                                                   Betr.: HLZ 10-11 und 12/2010                 lebenslang „Verlierer“! Andere, deren
    Wirtschaft.                                    Selbstständiges Lernen
          Bei meinen langjährigen Versuchen,                                                    Eltern genügend Geld haben, besuchen
    selbstgesteuertes und eigenverantwort-         Offener Unterricht                           private Nachhilfekurse, die vielerorts
    liches Lernen wenigstens ansatzweise           Es ist sehr schade, dass man in dem          bereits zur neuen Regelschule gewor-
    im Unterricht zu verankern, bin ich            Beitrag von Franziska Conrad über            den sind.
    immer wieder mit „Argumenten“ kon-             „Wege zur Selbstbestimmung“ (HLZ 10-             Durch die UN-Behindertenrechts-
    frontiert worden, (...) die darauf hinaus-     11/2010) so wenig über die Hintergrün-       konvention steht eine „neue Schulre-
    laufen, dass eben besser alles beim alten      de erfährt. „Offener Unterricht“, wenn       form“ an. Schüler der verschiedenen
    bleiben möge. Das „fragend entwickeln-         man ihn ernsthaft beim Wort nimmt,           Förderschulen werden in naher Zukunft
    de Unterrichtsgespräch“, ein Ideal, das        dürfte an staatlichen Schulen so gut wie     in die jetzigen „historischen“ deutschen
    die Lehrerausbildung über zahllose Ge-         nicht vorkommen, da hier fast alle           Schularten integriert werden. Man
    nerationen geprägt hat, ist nicht so           strukturellen Voraussetzungen dafür          nennt dieses Vorhaben „Inklusion“. (...)
    schnell totzukriegen; es wird gelegent-        fehlen.                                      Über diese neue Schulreform wurde
    lich immer noch als „Kunst der Ge-                 Wenn man aber die Vergleiche dort        sogar in der Haushaltsdebatte des kon-
    sprächsführung“ idealisiert – sichert es       ansetzt, wo offener Unterricht bei Kom-      servativen Hochtaunus-Kreistages hef-
    dem vermeintlich guten Lehrer doch             petenzorientierung und Inklusion tag-        tig debattiert mit der Folge, die alte
    weiterhin die Rolle des Steuermanns im         täglich stattfindet, nämlich in den freien   Sonderschule in Wehrheim nicht zu
    Unterrichtsgeschehen, auch wenn dafür          Privatschulen, kommt man wohl recht          bauen. Die Inklusion wird alle Schul-
    in Hessens immer größer gewordenen             schnell zu ernüchternden Ergebnissen         formen betreffen, auch die Gymnasien!
    Schulklassen eher Dompteurfähigkeiten          im Hinblick auf die „Wissensaneig-               Ob die UN-Konvention wirklich in
    erforderlich sind.                             nung“: Schüler von Privatschulen ha-         der Schulpraxis durchführbar ist? Bis-
          Dass Schülerinnen und Schüler we-        ben gegenüber Schülern von staatli-          her kann niemand eine Antwort geben,
    nigstens nicht nur lernen müssen, der          chen Schulen in der Regel fachliche          die Kultusminister suchen nach Lösun-
    Gesprächsführung der Lehrperson zu             Defizite von ein bis zwei Schuljahren        gen! Ähnlich wie letzthin in Hamburg
    folgen, sondern auch, ihren Lernprozess        und müssen regelmäßig ein Schuljahr          wollen die Eltern mehrheitlich keine
    eigenverantwortlich zu steuern, sollte         wiederholen, wenn sie an staatliche          Veränderungen. Sie wollen Ruhe und
    sich inzwischen auch bei älteren Seme-         Schulen wechseln wollen.                     vor allem den Erhalt aller Gymnasien.
    stern herumgesprochen haben. Das                   Was hat man denn da eigentlich           In Berlin und anderen „soziologischen
    überholte Konzept des „fragend entwi-          miteinander verglichen? Wie sind die         und sozialen Brennpunkten“ möchte
    ckelnden Unterrichtsgesprächs“ steht           „Ergebnisse“ vor diesem Hintergrund          unsere deutsche Bürgerschaft mehrheit-
    dem im Wege, auch weil es die „Herden-         einzuordnen?                                 lich ihre Kinder vor dem gemeinsamen
    haltung“ von Schülern in Form des                                                           Lernen mit den vielen Migranten-Nach-
                                                   Stefan Padrok, Büdingen                      kommen und Sprösslingen der Unter-
    „Klassenunterrichts“ als nicht hinter-
    fragbaren Standard definiert.                                                               schichten bewahren! Wie werden unse-
          Dass es auch anders geht, kann man                                                    re Politiker mit den Ergebnissen solcher
    beispielsweise in dem Buch „Lernen über                                                     Volksentscheide umgehen?
    Grenzen“, herausgegeben von Höhmann,                                                            Alle Politiker sind aufgefordert, bald
    Kopp, Schäfers und Demmer (Opladen &                                                        eine wirkliche zukunftsorientierte Re-
                                                   HLZ 12/2010
    Farmington Hills 2009) nachlesen. Bis                                                       form unseres Bildungs- und Schulwe-
                                                   Inklusive Schulen                            sens auf den Weg zu bringen, die inter-
    die „normale“ Schule in Deutschland in
    der Lage ist, eine „individualisierte Lern-    Als alter Schulmeister                       national auch von der UNO akzeptiert
    kultur“ im Schulalltag zu verwirklichen,       Als alter Schulmeister mache ich mir so      wird. Erfolge und Gerechtigkeit für alle
    wird noch einige Zeit vergehen. Voraus-        meine Gedanken zu einer neuen Schul-         Kinder und deren Eltern müssen garan-
    setzung dafür ist u. a., dass die antiquier-   reform. Das früher mit progressiven          tiert sein.
    ten deutschen Lehrplankonzepte, insbe-         Inhalten und Erwartungen verbundene              Gemeinsames Lernen und Bildung
    sondere soweit sie als „Curricula“ für alle    Wort „Schulreform“ hat in der heutigen       müssen den Unterricht wieder zu einer
    Schülerinnen und Schüler ein gleichar-         politischen Wirklichkeit einen eher          erfreulichen und beliebten Veranstal-
    tiges und gleichschrittiges Lernen vor-        bedrohlichen Klang für Eltern, Kinder        tung machen!
    schreiben, abgeschafft werden.                 und Lehrer bekommen. (...) Weiter wer-       Heinrich Nitschke, Usingen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
MELDUNGEN                                                                                                              HLZ 1–2/2011       6

           GGG-Gesamtschultag                           Grundrecht auf Ausbildung                    Referendare vor der Tür?

     Der Gesamtschultag der Gemeinnützi-          Die unter anderem von der Landes-            Das Vorhaben von CDU und FDP, den
     gen Gesellschaft Gesamtschule (GGG)          schülervertretung und der GEW Hessen         Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (LiV)
     findet am 5. März 2011 ab 9.30 Uhr an        initiierte Petition für ein Grundrecht auf   das passive Wahlrecht und damit eine
     der Helene-Lange-Schule in Wiesba-           Ausbildung war mit 72.554 Unterschrif-       originäre Vertretung in den Personalrä-
     den statt. Professor Matthias von            ten eine der größten Petitionen der ver-     ten der hessischen Studienseminare zu
     Saldern von der Uni Lüneburg referiert       gangenen Jahre, zum Thema Bildung            entziehen, stößt auf breiten Widerstand.
     über das Thema „Leistung feststellen im      und Ausbildung sogar die größte Petiti-      Die Betroffenen und ihre Interessenver-
     individuellen Lernen“. Das individuelle      on in der Geschichte der Bundesrepu-         tretungen laufen Sturm gegen die Ände-
     Lernen ist auch Gegenstand der Work-         blik. Ende September hat der zuständige      rung des Hessischen Personalvertre-
     shops am Nachmittag. Der Tagungs-            Petitionsausschuss des Bundestags diese      tungsgesetzes (HPVG). Der Personalrä-
     beitrag beträgt 25 Euro, für GGG-Mit-        Petition in den Papierkorb befördert. Das    teausschuss der hessischen GEW ist
     glieder 15 Euro.                             Petitionsverfahren zog sich über zwei-       empört, „weil durch diese Änderung ein
     • Anmeldungen bis zum 15. Februar 2011       einhalb Jahre hin. Eine öffentliche Anhö-    weiteres Stück Demokratieabbau betrie-
     an die GGG-Geschäftsstelle, Langen-          rung, wie bei Petitionen dieser Größen-      ben werden soll“. Die Arbeit in den
     beckstraße 6-18, 65189 Wiesbaden, Tel.       ordung üblich und möglich, wurde nicht       Seminarpersonalräten laufe seit Jahren
     0611-408096-80, Fax: -79, E-Mail: ge-        durchgeführt. Das Aktionsbündnis „Aus-       problemlos, „auch wenn durch die stär-
     schaeftsstelle@ggg-hessen.de                 bildung für alle“ weist darauf hin, dass     kere Fluktuation größere organisatori-
                                                  Missstände in der Berufsausbildung in        sche Probleme bewältigt werden müssen
                                                  der „Empfehlung“ des Ausschusses schön-      als in anderen Personalräten“. Durch die
           Kerncurricula zurückziehen!            geredet oder verschwiegen wurden. Dem        Verdrängung der LiV aus den Studien-
                                                  Petitionsausschuss vorgelegte Studien,       seminarpersonalräten würde zudem
     Das Kollegium der Alexander-von Hum-         Expertisen, Gutachten und Urteile wur-       „eine wichtige Säule der Nachwuchsför-
     boldt-Schule Viernheim forderte das          den ignoriert und den Jugendlichen „ein      derung für Schulpersonalräte entfallen“.
     Institut für Qualitätsentwicklung auf, die   öffentliches Forum für ihr berechtigtes
     vorgelegten Bildungsstandards und            Anliegen verwehrt.“ Die Ablehnung der
     Kerncurricula zurückzuziehen und un-         Petition bestärke „den bestehenden Zwei-
     ter Beteiligung von Schulpraktikern zu       fel an den Mitwirkungsmöglichkeiten in             Schulsozialarbeit verweigert
     überarbeiten. Für die meisten Fächer         der parlamentarischen Demokratie, der
     gebe es keine ausreichende „inhaltliche      zurzeit auch beim Projekt Stuttgart 21       In einem Offenen Brief protestiert der
     Bestimmung der Kerncurricula“. Die Vor-      eine wichtige Rolle spielt.“                 Schulelternbeirat der IGS Kastellstraße
     stellung, dass die konkreten fachbezoge-                                                  beim Oberbürgermeister der Stadt Wies-
     nen Inhalte für die Kerncurricula von                                                     baden, dass ein Beschluss der Stadtver-
     den Fachkonferenzen definiert werden               Arbeits- und                           ordnetenversammlung von 2006 zur
     sollten, sei eine „Zumutung“. Einen „un-           Gesundheitsschutz                      Einführung von Schulsozialarbeit an
     verzichtbaren Kern von Inhalten exem-                                                     zwölf namentlich aufgeführten Schulen
     plarisch mit Kompetenzen zu verbin-          Die GEW-Broschüre „Arbeits- und Ge-          an der IGS Kastellstraße noch immer
     den“ und diesen „sinnvoll, wissenschaft-     sundheitsschutz“ mit vielen praktischen      nicht umgesetzt wird. Die Schülerinnen
     lich haltbar und gleichzeitig praxisnah“     Hinweisen und allen Rechtsgrundlagen         und Schüler der Schule würden so „ge-
     auszugestalten, erfordere einen „erheb-      kann als pdf-Datei von der Homepage der      genüber den Schülerinnen und Schü-
     lichen zusätzlichen Arbeitszeitaufwand,      GEW Hessen www.gew-hessen.de im Mit-         lern anderer Schulen deutlich benach-
     der an den Schulen nicht zu leisten ist“.    gliederbereich heruntergeladen werden.       teiligt“.

     Streiks bei der
     Lehrerkooperative
     Anfang Dezember setzten Lehrkräfte
     und sozialpädagogische Fachkräfte in
     den Einrichtungen der Frankfurter Leh-
     rerkooperative ihre Warnstreiks fort
     (Foto: Kita Hohe Straße, Bergen-Enk-
     heim). Sie protestierten gegen die Ver-
     schleppung der Tarifverhandlungen
     durch die Geschäftsleitung und gegen
     die erneute Einbehaltung eines Teils
     ihres Weihnachtsgeldes. Am 10. Dezem-
     ber waren alle Beschäftigten zum eintä-
     gigen Streik und zu einer Kundgebung
     vor dem Stadtschulamt aufgerufen.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
7     HLZ 1–2/2011                                                                                        TARIF UND BESOLDUNG

                                                    50 Euro plus drei Prozent!
     Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zur Tarif- und Besoldungsrunde 20011
    Mitte Dezember haben die Gewerk-           dem Willen der Gewerkschaften unter-         bereinigt zwischen 1998 und 2008 so-
    schaften des öffentlichen Dienstes (öD)    bleiben.                                     gar leicht. Lässt man die Versorgungs-
    bundesweit den Meinungsbildungspro-            Hessen gehört zwar seit 2004 nicht       ausgaben, die aufgrund von demogra-
    zess zu den Forderungen in der Tarif-      mehr zur TdL, aber um eine Einheitlich-      fischen Entwicklungen besonders stark
    und Besoldungsrunde 2011 abgeschlos-       keit der Tariftabellen zu wahren, gehen      ansteigen, außen vor, dann ergibt sich
    sen. Ergebnis: GEW, ver.di und die         die hessischen Gewerkschaften grund-         im selben Zeitraum inflationsbereinigt
    anderen öD-Gewerkschaften verlangen        sätzlich mit denselben Forderungen in        sogar ein Minus von 5,2 %!
    von den Bundesländern eine Anhe-           die Auseinandersetzungen wie die Ge-             Darüber hinaus zog die Konjunktur
    bung der Einkommen um 50 Euro plus         werkschaften im Bereich der TdL.             2010 spürbar an. Das Wachstum des
    3 % für die Tarifbeschäftigten und für         Für die hessischen Beamtinnen und        Bruttoinlandsproduktes betrug bundes-
    die Beamtinnen und Beamten. Im             Beamten geht es bei der Tarif- und           weit inflationsbereinigt 3,5 %; für 2011
    Durchschnitt bedeutet das eine Erhö-       Besoldungsrunde 2011 nicht nur darum,        liegen die Prognosen bei 2,0 %. Das
    hung der Tabellenwerte um 5,0 %. Für       dass die Einkommensverbesserungen            beschert auch Hessen nach der Presse-
    die Entgeltgruppe (EG) 13 ergibt sich      zeit- und wirkungsgleich übertragen          mitteilung des Finanzministeriums vom
    eine Forderungshöhe von 4,4 %, für die     werden, sondern auch darum, die bisher       10. 11. 2010 deutliche Steuermehrein-
    EG 11, in der sich die Grundschul-         verweigerte Übertragung der seit An-         nahmen von 600 Millionen Euro 2010
    lehrkräfte befinden, von 4,6 %, für die    fang 2010 tarifvertraglich vereinbarten      beziehungsweise 650 Millionen Euro
    EG 9 mit den sozialpädagogischen           Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche         im Jahr 2011.
    Fachkräften von 4,9 % und in der EG 2      auf die Beamtinnen und Beamten des               Trotzdem ist natürlich nicht mit ei-
    von knapp 5,8 %. Der einheitliche So-      Landes und auf die Pflichtstundenzahl der    ner „leichten“ Tarifauseinandersetzung
    ckel von 50 Euro entspricht dem            Lehrkräfte durchzusetzen.                    zu rechnen. Das Ansinnen der Gewerk-
    Wunsch vieler Beschäftigter im öffent-         Mit der Bedeutung der Tarifrunde         schaften stieß bereits kurz nach der
    lichen Dienst der Länder nach einer        2011 für die Universitäten in Frankfurt      Veröffentlichung Mitte Dezember auf
    sozialen Komponente.                       und Darmstadt, die nicht mehr zum            massive Ablehnung bei den Arbeit-
        Die Laufzeit der abzuschließenden      Geltungsbereich des TV-H gehören,            gebern. Es ist daher gut möglich, dass es
    Einkommensregelung soll 14 Monate          befasst sich ein eigener Artikel in dieser   zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen
    betragen. Sollten die Gewerkschaften       HLZ (S. 17).                                 wird. Mit der TdL findet die letzte und
    diese Terminierung durchsetzen, könn-                                                   wahrscheinlich abschließende Verhand-
    ten die Beschäftigten von Bund, Kom-                                                    lungsrunde am 9. März 2011 statt. In
                                               Berechtigte Forderungen
    munen und Ländern die nächste Tarif-                                                    den Tagen davor ist in anderen Bundes-
    runde 2012 wieder einmal synchron          Ist eine Einkommenserhöhung von durch-       ländern, aber auch in Hessen mit Ar-
    bestreiten. Lehrkräfte, Erzieherinnen      schnittlich 5 % gerechtfertigt? In Hin-      beitskampfmaßnahmen zu rechnen.
    und Erzieher würden dann wieder ein-       blick auf die Kassenlage der Beschäftig-         Die Solidarität der Beamtinnen und
    mal gemeinsam auf der Straße für bes-      ten allemal. Denn die hatten im Zusam-       Beamten ist unabdingbar – zur Stär-
    sere Arbeitsbedingungen kämpfen.           menhang mit der „Operation düstere           kung der gemeinsamen Kampfkraft und
        Außerdem wollen die Gewerkschaf-       Zukunft“ 2004 erhebliche Kürzungen           auch im ureigenen Interesse. Ange-
    ten mit der Tarifgemeinschaft deutscher    und danach Nullrunden bei den Einkom-        sichts laufender Verfahren wegen der
    Länder (TdL) über eine Entgeltordnung      men hinnehmen müssen. Insgesamt er-          Arbeitsniederlegung am 17. 11. 2009
    verhandeln, um endlich tarifvertrag-       gaben sich dadurch für das vergangene        wird die GEW Beamtinnen und Beamte
    lich zu regeln, bei welcher Ausbildung,    Jahrzehnt Realeinkommensverluste: Die        eher zu Aktionen unterhalb der Ebene
    Qualifikation oder Tätigkeit man in eine   Inflationsrate war etwas höher als das       eines Streiks aufrufen. Die hessische
    bestimmte Entgeltgruppe eingruppiert       durchschnittliche Wachstum der Nomi-         Tarif- und Besoldungsrunde 2011 endet
    wird. Diese Verhandlungen sollen auch      naleinkommen im hessischen Landes-           frühestens am 5. April 2011, wenn die
    Lehrkräfte einbeziehen, deren Eingrup-     dienst (HLZ 10-11/2010, S. 18).              Verhandlungs- und Tarifkommissionen
    pierung derzeit durch einen einseitigen        Auch vor dem Hintergrund der hes-        der Gewerkschaften und die Vertrete-
    Erlass des jeweiligen Arbeitgebers ge-     sischen Finanzpolitik muss von einer         rinnen und Vertreter des Landes in
    regelt ist. Die Vereinbarung einer Ent-    angemessenen Forderung gesprochen            Wiesbaden zusammenkommen.
    geltordnung ist daher für die GEW von      werden: In den vergangenen Jahren                Alle aktuellen Informationen zur
    besonderer Bedeutung – und ein posi-       trug das aktive Personal des Landes in       Tarif- und Besoldungsrunde in Hessen
    tives Ergebnis wird nicht ohne Streiks     erheblichem Maße zur Konsolidierung          findet man auf der Internetseite
    der angestellten Lehrkräfte zu errei-      des Haushaltes bei. Die „bereinigten“        www.gew-hessen.de.
    chen sein. Eine materielle Verrechnung     Personalkosten, bei denen Verzerrun-
    der Einkommenszuwächse durch eine          gen durch die Ausgliederung einzelner
    neue Entgeltordnung mit den geforder-      Bereiche wie der Hochschulen heraus-         Rüdiger Bröhling
    ten Einkommenserhöhungen soll nach         gerechnet wurden, sanken inflations-         Tarifsekretär der GEW Hessen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
TITELTHEMA: HOCHSCHULE                                                                                                  HLZ 1–2/2011      8

                                                      Schöne neue Hochschulwelt
                      Die „unternehmerische Hochschule“ ist kein Phantom
     In der hochschul- und wissenschaftspolitischen Debatte lässt          halte und Erfolgsbudgets sind Ausdruck eines Denkens, mit
     sich seit längerem schon ein Trend erkennen, den Unter-               dem sich der Staat bis an die Grenze des Möglichen
     nehmensbegriff auf die Hochschulen zu übertragen. Unter-              schrittweise aus der Erfüllung des finanziellen Bedarfs der
     schiedliche hochschulpolitische Entscheidungen der letzten            Hochschulen zurückzieht (HLZ S. 10). Die Hochschulen
     Jahre spiegeln den Versuch dieser Übertragung unternehme-             müssen mit den ihnen zugewiesenen Mitteln auskommen
     rischer Logik auf die Hochschulen wider. Dabei dient das Bild         und werden angehalten, durch Drittmitteleinwerbung
     der unternehmerischen Hochschule dazu, bestimmte hoch-                Finanzierungslücken zu schließen. Zudem wurde es staatli-
     schulpolitische Reformideen und Reformen populär zu ma-               chen Hochschulen ermöglicht, sich selbst an Ausgründun-
     chen. Dem Bild der verkrusteten, ineffizienten staatlichen            gen zu beteiligen und damit im eigentlichen Wortsinne
     Hochschule wird das Bild der effizienten, im internationalen          unternehmerisch tätig zu werden – ein Umstand, der sicher-
     Wettbewerb erfolgreichen, unternehmerisch handelnden                  lich noch an Bedeutung gewinnen wird. In dem Maße, in
     Hochschule entgegengesetzt, die den eigenen „Wisssen-                 dem die Drittmittelakquise zu einem zentralen Kriterium
     schaftsstandort“ voranbringt.                                         auch staatlicher Mittelzuweisungen wird, werden Hoch-
          Wenn von der unternehmerischen Hochschule die Rede               schulen auch zueinander in Wettbewerb gesetzt. Sehr pla-
     ist, ist nicht gemeint, dass mir nichts dir nichts alle staatlichen   stisch, wenn auch aus einer anderen Perspektive, kommt das
     hessischen Hochschulen privatisiert würden. Unternehmeri-             Wettbewerbsverhältnis zwischen den Hochschulen auch in
     sche Hochschule bezeichnet ein Konzept, nach dem es                   den zahlreichen Hochschulrankings zum Ausdruck, deren
     politisch geboten sei, auch staatliche Hochschulen stärker an         strategische Relevanz für die Hochschulleitungen stetig
     Prinzipien unternehmerischen Handelns auszurichten. Zum               zunimmt.
     einen beinhaltet das die Vorstellung, Hochschulen stärker
     ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen zu unterwerfen, zum
                                                                           Partizipatives Management statt Selbstverwaltung
     anderen dazu, einen Markt zu behaupten, über den nicht nur
     Forschungs- und Lehrangebote mit ihren jeweiligen Nach-               Auch im Innenverhältnis der Hochschulen schlägt sich das
     fragern vermittelt werden könnten, sondern auch Verwal-               Konzept der unternehmerischen Hochschule nieder. In der
     tungsangelegenheiten und andere Dienstleistungen, die in              Studiengebührendebatte forcierten die Befürworterinnen und
     den Hochschulen angesiedelt sind. Dadurch verändert sich              Befürworter die Vorstellung, Studierende seien ja eigentlich
     einerseits das Außenverhältnis der Hochschulen gegenüber              Kunden. Die Kundeneigenschaft würde nach erfolgreicher
     dem Staat, anderen Hochschulen und der Gesellschaft und               Einführung der Studiengebühren dazu führen, dass Studie-
     andererseits das Innenverhältnis in Bezug auf die Selbst-             rende auf einmal mehr Einfluss in der Hochschule hätten. Das
     verwaltungsstrukturen, aber auch auf das Selbstverständnis            ist zum einen blanker Unsinn und zum anderen auch gar nicht
     der Lehrenden und Lernenden.                                          die Intention der politischen Akteure, wie die Novellierung
                                                                           des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) belegt: Die akade-
                                                                           mische Selbstverwaltung wurde zugunsten der Dekanate,
        Staatliche Unterfinanzierung und Wettbewerb
                                                                           Präsidien und Hochschulräte demontiert, und begründet
     Die hessischen Hochschulen sind lange schon chronisch                 wurde dies mit unternehmerischem Vokabular: Die Heraus-
     unterfinanziert. In Ermangelung des politischen Willens der           forderungen des internationalen Wettbewerbs auf dem
     Regierenden, die nötigen Investitionen in Forschung und               Bildungsmarkt erforderten die Einführung effizienterer Ent-
     Lehre zu tätigen, muss ein anderer Umgang mit diesem                  scheidungsstrukturen in den Hochschulen.
     Problem her, und das nötige ideologische Rüstzeug liefert                 Wer Hochschulen als Unternehmen denkt, will sich offen-
     die Idee der unternehmerischen Hochschule. Globalhaus-                bar demokratischere Entscheidungsstrukturen nicht mehr
                                                                           leisten. Beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) heißt
                                                                           das dann nicht mehr Selbstverwaltung, sondern „Partizipati-
  ZUM WEITERLESEN                                                          ves Management“.
                                                                               Von der Entmachtung der Kollegialorgane sind neben den
      • Gute Lehre und Forschung sowie gute Arbeitsbedingungen             Studierenden auch die anderen Statusgruppen betroffen.
      und berufliche Perspektiven sind zwei Seiten einer Medaille. Das     Doch sie verlieren in der unternehmerischen Hochschule
      Templiner Manifest der GEW kann man im Internet nachlesen            nicht nur Mitbestimmungsrechte, sondern ihnen wird eben-
      und unterschreiben: www.gew.de/Templiner_Manifest.html               falls ein neues Rollenverständnis zugemutet, das in der Idee
      • Als Alternative zur „unternehmerischen Hochschule“ hat             kulminiert, Hochschullehrer müssten sich als „Wissenschafts-
      der Gewerkschaftstag der GEW 2009 ein umfangreiches wis-             manager“ verstehen.
      senschaftspolitisches Programm beschlossen: www.gew.de >                 Auch in der neuen W-Besoldung für Professorinnen und
      Suche: „Alternatives Leitbild“                                       Professoren kommt unternehmerisches Denken zum Aus-
      • Der DGB und die Hans Böckler Stiftung haben ein Leitbild           druck (HLZ S. 16). Der akademische Mittelbau bezahlt in
      „Demokratische und soziale Hochschule“ entwickelt:                   dieser schönen neuen Hochschulwelt die Zeche und zwar
      www.boeckler.de > Suche „Leitbild Hochschule“                        mit einer immensen Zunahme an Lehr- und Arbeitsbelas-
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
9     HLZ 1–2/2011

    tungen ohne langfristige Perspektive (HLZ S.11). Wer aus
    dieser Situation heraus aber an der Hochschule bleiben
    möchte, dem bleibt die Hoffnung, sich gegen andere im
    Wettbewerb um eine der wenigen Professuren durchzuset-
    zen. Mit dem Templiner Manifest ist es der GEW gelungen,
    diese Missstände in die öffentliche Diskussion zu bringen
    (s. Kasten).

                  Wer hat, dem wird gegeben
    In dem Maße, in dem Hochschulen gezwungen sind, ihre
    Unterfinanzierung selbst zu schultern, wird die ökonomische
    Verwertbarkeit von Wissen ein wichtiges Kriterium für die
    Frage, welche Fächer gefördert werden und welche nicht. So
    wird von einigen Autoren in der Hochschulforschung be-
    klagt, dass gerade die Grundlagenforschung unter einer
    stärker wettbewerbsförmigen Forschungsfinanzierung lei-
    det.
        Aber auch Geisteswissenschaften sehen sich gegenüber
    Natur- und Lebenswissenschaften im Nachteil. Die Naturwis-
    senschaften haben es prinzipiell leichter, Drittmittel gerade
    aus der Wirtschaft zu akquirieren, denn das von ihnen
    produzierte Wissen ist tendenziell wesentlich besser ökono-
    misch verwertbar. Gleichzeitig haben die Geisteswissen-
    schaften auch bei der staatlichen Forschungsförderung das
    Nachsehen: So ist beispielsweise die Zahl der geisteswissen-
    schaftlichen Exzellenzcluster und Sonderforschungsberei-
    che deutlich geringer als die natur- und lebenswissen-          GEW-Fachtagung „Traumjob Wissenschaft?“
    schaftlicher. Die Logik, der diese Forschungsförderung im
    Rahmen der Exzellenzinitiative folgt, ist: Wer hat, dem wird    Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
    gegeben. Dies hat auch für die gesamte deutsche Hochschul-      diskutieren über ihre Arbeitsbedingungen
    landschaft Folgen.                                              Die Studierendenzahlen in Deutschland steigen. Die Zahl der
        Sogenannte exzellente Hochschulen werden auf Dauer          Professuren stagniert. Die auch im Zuge der Bologna-Reform
    besser gestellt, während andere auf Dauer leer ausgehen.        wachsenden Aufgaben der Hochschulen werden weitgehend
    Langfristig führt das zu einem Zwei-Klassen-System im           vom wissenschaftlichen Mittelbau geschultert und das zu-
    Hochschulwesen.                                                 nehmend unter prekären Beschäftigungsbedingungen. So ist
                                                                    besonders die Zahl der „nebenberuflich“ arbeitenden, von
                                                                    tariflichem Schutz ausgeschlossenen Hilfskräfte und Lehrbe-
      Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung                auftragten gestiegen, ebenso der Anteil der befristet Beschäf-
    In den aktuellen hochschulpolitischen Diskussionen erfährt      tigten im wissenschaftlichen Personal. Auf einen unbefriste-
    das Unternehmen als organisatorisches Leitbild für die          ten Wissenschaftler kamen im Jahre 2008 fast sieben Kolle-
    Gestaltung des Innen- und Außenverhältnisses der Hoch-          ginnen und Kollegen mit einem befristeten Vertrag, erläuterte
    schulen einen immensen Bedeutungszuwachs. Selbst wenn           Dr. Carsten Würmann vom Institut für Hochschulforschung
    Hochschulen nicht privatisiert und damit auch de facto zu       Wittenberg auf der Fachtagung „Traumjob Wissenschaft“, die
    Unternehmen werden, halten unternehmerische Prinzipien          die GEW Hessen gemeinsam mit dem Mittelbauvernetzungs-
    Einzug in die Organisation von Forschung und Lehre.             treffen Hessen veranstaltete. Dort diskutierten am 19. Novem-
    Insbesondere in Bezug auf die Finanzierung von Forschung        ber auf dem IG-Farben-Campus in Frankfurt etwa 50 junge
    und Lehre, die Lehr- und Lernbedingungen sowie die              Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen hessi-
    akademische Selbstverwaltung hat diese Entwicklung nega-        schen Universitäten und einigen Fachhochschulen über ihre
    tive Folgen.                                                    Arbeitsbedingungen. Die Promovierenden Barbara Dick-
        DGB und GEW setzen dieser Entwicklung das Bild einer        haus und Holger Schoneville aus Kassel und Roman George
    sozialen und demokratischen Hochschule in gesellschaftli-       aus Marburg stellten ihre Studie über Arbeitsbedingungen
    cher Verantwortung entgegen (s. Kasten): Forscherinnen          von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor (HLZ
    und Forscher brauchen eine die Bedürfnisse deckende             S. 12f.). Sie zeigt, dass die Belastungen je nach Art, Umfang
    öffentliche Finanzierung, die gerade auch die Produktion        und Befristung des Beschäftigungsverhältnisses und des Um-
    nicht ökonomisch verwertbaren Wissens ermöglicht. In der        fangs der übertragenen Aufgaben sehr unterschiedlich sind.
    Hochschule Arbeitende benötigen abgesicherte Arbeitsver-        Marc Kaulisch vom Institut für Forschungsinformation und
    hältnisse als unverzichtbare Grundlage für gute Lehre und       Qualitätssicherung (IFQ) in Bonn zeigte, dass die Arbeitsbe-
    Forschung. Im gesellschaftlichen Interesse liegt eine stärke-   dingungen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
    re Demokratisierung der akademischen Selbstverwaltung           in den Niederlanden und Großbritannien wesentlich besser
    und nicht eine als Effizienzsteigerung daherkommende            sind als hierzulande. Die Ergebnisse der Tagung sollen im
    Entdemokratisierung.                                            Mittelbau-Vernetzungstreffen weiter diskutiert werden und
                                            Alexander Wagner        auch als Tarifforderungen in die Arbeit der GEW einfließen.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
TITELTHEMA                                                                                                                       HLZ 1–2/2011         10

                                      Hochschulfinanzierung in Hessen
                      Verschärfte Konkurrenz durch leistungsorientierte Zuweisung
     Spätestens mit der Amtsübernahme der Regierung Koch                   stärker auf eine ökonomische Verwertung ausrichten müssen,
     übernahm der Neoliberalismus 1999 eine dominante Positi-              wenn sie Drittmittel als „zusätzliche Finanzierungsquellen“
     on auch in der hochschulpolitischen Debatte in Hessen. Die            nutzen wollen, da sie nur so den Bedürfnissen von privaten
     andauernde Dominanz der neoliberalen Ideologie, trotz Fi-             Drittmittelgebern entsprechen können. Dieser Druck wird
     nanz- und Weltwirtschaftskrise, erklärt sich aus dem Interesse        durch den Wettbewerb um die öffentlichen Mittel verstärkt,
     der Kapitaleigner am breiten Angebot an öffentlichen Leis-            die in großem Maße vom Drittmittelvolumen abhängen (4).
     tungen des fordistischen Wohlfahrtsstaats. Diese bieten neue              Derzeit sind die öffentlichen Haushalte mit einem Anteil
     Investitionsmöglichkeiten mit konstanten beziehungsweise              von fast 70 % der größte Drittmittelgeber für die deutschen
     überdurchschnittlichen Kapitalrenditen, die insbesondere              Hochschulen. Ökonomische Zielsetzungen sind auch hier
     aufgrund der zunehmend kapitalintensiveren Produktion                 dominant. So hat das LOEWE-Programm (5), das zur Zeit
     und der dadurch sinkenden Kapitalrenditen (1) interessanter           größte hessische Programm zur Forschungsförderung, die
     werden. Aus diesem Grund existiert ein hoher Druck von                Zielsetzung der Lissabon-Strategie, die Stärkung der Wett-
     Unternehmen wie der Bertelsmann AG, von Unternehmerver-               bewerbsfähigkeit sowie die Steigerung der Innovations-
     bänden und Lobbyvertretungen zur weiteren Privatisierung              fähigkeit der Wirtschaft, übernommen. Diesem Programm
     und Deregulierung öffentlicher Leistungen.                            stehen in den kommenden vier Jahren mehr als 90 Millio-
         Die unternehmerische Hochschule, die auf wettbewerbli-            nen Euro pro Jahr zur Verfügung, während die hessischen
     chen Steuerungsmechanismen basiert, ist nach Ball und                 Hochschulen im selben Zeitraum 34 Millionen pro Jahr
     Youdell (2) Ausdruck dieser Entwicklung. Sie bezeichnen               einsparen müssen.
     dieses Steuerungsmodell für Hochschulen daher als „endoge-                Ein weiterer Hinweis auf die Ökonomisierung der Hoch-
     ne Privatisierung“. Ziel ist es, die Hochschule und die in ihr        schulen ist die Förderung von Privathochschulen. Insbeson-
     ablaufenden Prozesse dem Interesse der Kapitaleigner nach             dere die Summe von 30 Millionen Euro, die das HMWK und
     höheren Renditen unterzuordnen.                                       die Stadt Wiesbaden in den kommenden Jahren für den Bau
         Eine Ausdrucksform dieser endogenen Privatisierung                der juristischen Fakultät der privaten European Business
     sind der Hochschulpakt und die mit ihm verbundenen                    School (EBS) bereitstellen, belegt, dass es ein starkes Interesse
     Zielvereinbarungen, die das hessische Ministerium für Wis-            an deren Etablierung gibt. Öffentliche Zuschüsse an private
     senschaft und Kunst (HMWK) alle fünf Jahre mit den Hoch-              Hochschulen werden vor allem deshalb gewährt, weil ein
     schulen abschließt. Quantitative Indikatoren wie die ein-             kostendeckender Betrieb solcher Einrichtungen bisher kaum
     geworbenen Drittmittel oder die Anzahl der Studierenden in            möglich war. Aufgrund des vorhandenen öffentlichen Angebots
     einem Fach in der Regelstudienzeit werden als Kriterien für           an Hochschulbildung ist die Nachfrage nach entsprechend teuren
     die Leistung einer Hochschule festgelegt und in Punkten               privaten Hochschulen sehr gering (6).
     gewichtet. So gibt es beispielsweise für 1.000 Euro Drittmittel           Fazit: Die Hochschulfinanzierung in Hessen stärkt das
     600 Punkte. Die Indikatoren verteilen sich auf das Grund-,            Modell der unternehmerischen Hochschule. Durch den Ab-
     Innovations- und Erfolgsbudget, für die das HMWK in seinem            bau des Grundbudgets zugunsten der leistungsorientierten
     Haushalt feste Budgets eingeplant hat.                                Mittelzuweisungen wird der Wettbewerb zwischen den Hoch-
         Nach Abschluss eines Jahres ergibt sich aus der Gesamt-           schulen verstärkt. Gleichzeitig scheint aber auch der Wider-
     zahl der Punkte aller Hochschulen für jede der drei Budget-           stand gegen diesen Umbau des Hochschulsystems zu wach-
     arten eine feste Summe Geld für jeden Punkt, der den                  sen. Die Abschaffung der Studienbeiträge in Hessen zeigt,
     Hochschulen in der darauf folgenden Periode als Global-               dass solche Entwicklungen nicht unumkehrbar sind.
     budget zur Verfügung gestellt wird. Auf diese Weise versucht                                                              Henrik Piltz
     das HMWK unter den Hochschulen einen Wettbewerb um die
                                                                           (1) Schmalwasser, O. und Schidlowski, M.: Kapitalstockrechnung in
     Finanzmittel des Landes zu etablieren. Zudem können so                Deutschland; in: Wirtschaft und Statistik 11/2006, Statistisches Bundes-
     Marktpreise für die jeweiligen Leistungen der Hochschulen,            amt, Wiesbaden.
     z.B. für einen Studienplatz in einem bestimmten Fach, ermittelt       (2) Ball, S. und Youdell, D.: Hidden Privatisation in Public Education,
     werden. Drittmittel werden dabei als einer der wichtigsten            Brüssel 2007
     Indikatoren des Erfolgsbudgets besonders stark gewichtet:             (3) Jaeger, M. und in der Smitten, S.: Evaluation der leistungsbezoge-
     „Die erfolgreiche Antragsstellung für Drittmittel und die Annahme     nen Mittelvergabe an die Berliner Hochschulen, HIS: Forum Hochschu-
     von drittmittelfinanzierten Forschungsaufträgen können so inter-      le 1/2009
     pretiert werden, dass die Hochschulen auf eine Nachfrage der          (4) Schui, H.: Neoliberalismus und Bildung, Wie die Wettbewerbs-Ideo-
     Wissenschaft, Wirtschaft oder Gesellschaft reagieren. Mit dem         logie die Hochschulen neu ausrichtet; in: Gützkow, F. und Quaißer, G.:
     Indikator wird dementsprechend ein Anreiz gesetzt, sich einer         Jahrbuch Hochschule Gestalten 2007/2008, Bielefeld.
                                                                           (5) Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer
     solchen Nachfrage noch deutlicher zu öffnen, (...) den Forschungs-
                                                                           Exzellenz
     standort zu stärken und so auch zusätzliche Finanzierungsquellen zu
                                                                           (6) Kaphegyi, T. und Quaißer, G.: Privatisierung von Bildung, in:
     erschließen.“ (3)                                                     Eicker-Wolf, K. und Thöne, U.: An den Grundpfeilern unserer Zukunft
     Aufgrund der leeren öffentlichen Kassen und der Schulden-             sägen. Bildungsausgaben, öffentliche Haushalte und Schuldenbremse,
     bremse bedeutet dies, dass die Hochschulen ihre Forschung             Marburg 2010
11      HLZ 1–2/2011                                                                                                                 TITELTHEMA

                                                                Pekäre Hochschule
     Miese Arbeitsbedingungen an Hochschulen
     Entgegen aller bildungspolitischen Programmatik werden              Prüfungen und die Abschlussarbeit können nicht verlässlich
     Bildung und Wissenschaft nicht mit jenen Mitteln ausgestattet,      begleitet und betreut werden, weil die Dozentinnen und
     die sie für ihre gesellschaftliche Funktion eigentlich benötigen.   Dozenten schon wieder weg sind, wenn der nächste Schritt im
     Diese Aussage ist heute so wahr, wie sie es vor zehn, zwanzig       Studium ansteht. Mit ihnen verschwinden auch spezifische
     oder vierzig Jahren war. Was politisch Anfang der 1980er            Inhalte, Arbeitsweisen, Seminarkulturen und Methoden.
     Jahre mit den Plänen zur Privatisierung der Staatsbetriebe Post     Schließlich erbringt der so genannte Mittelbau von Hilfskräf-
     und Bahn begann, ist heute voll im Bildungsbereich angekom-         ten bis zu habilitierten Privatdozentinnen und -dozenten den
     men. Von vorschulischer über schulische und berufliche              größten Anteil der Lehre an deutschen Hochschulen.
     Bildung bis hin zu Studium und Weiterbildung ist Bildung als            Die „unternehmerische Hochschule“ ist schon jetzt bis in
     „lebenslanges Lernen“ ein lukrativer Bildungsmarkt gewor-           feinste Gliederungen des Arbeitsalltages von Wissenschaftle-
     den, und die unternehmerische Hochschule wird gegen alle            rinnen und Wissenschaftlern von Konkurrenz und Prekarität
     Widerstände eingeführt. Doch Bildung ist per definitionem           geprägt. Prekarität als „Entzug von Perspektiven, Lebens-
     kein Produkt, sondern kann nur durch gravierende Verengung          entwurfsmöglichkeiten und Hoffnungen“ ist eine „neue Herr-
     und Verkürzung dazu gemacht werden.                                 schaftsform“ (4), die das unternehmerische Risiko auf Arbeit-
         Die Hochschulen bieten jungen Wissenschaftlerinnen und          nehmerinnen und Arbeitnehmer überträgt, ohne sie gleich-
     Wissenschaftlern heute keine verlässliche berufliche Per-           zeitig mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten und
     spektive, sondern „Ausbildungs“-Zeiten von zehn bis 20              sie so zu Unternehmern ihrer selbst macht.
     Jahren, zahlreiche befristete Teilzeitbeschäftigungen, die              Prekarität ist eines der wichtigsten und nachhaltigsten
     teilweise nur monatsweise verlängert werden, Phasen unbe-           Instrumente zur Steigerung von Konkurrenz, sozialer Selek-
     zahlter Lehraufträge und Arbeitslosigkeit und nur für zehn          tion und der Ökonomisierung von Bildung. Dabei hat sich
     Prozent der Interessierten eine Chance auf einen dauerhaften        bereits jetzt erwiesen, dass sich damit ein für Bildung und
     Verbleib im Beruf. In vielen Disziplinen sind „Drittel- und         Wissenschaft ruinöser Wettbewerb etabliert hat. Forschungs-
     Viertelstellen keine Ausnahme mehr und Verträge werden auf          und Lehrprojekte, die nicht zu Ende geführt werden können,
     Monatsbasis verlängert“ (1).                                        der ständige Aufbau neuer Strukturen (Netzwerke, Arbeits-
         21.000 Professuren stehen 123.000 hauptamtliche und             gruppen, Ausschüsse) mit wechselnder Besetzung und der
     43.000 nebenamtliche wissenschaftliche und künstlerische            brain-drain in Nachbarländer sind nur einige Beispiele für
     Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber (2), die zu 75%          die hohen Verluste, die mit der Prekarität einhergehen.
     befristet beschäftigt sind. An amerikanischen Universitäten             Im harten Kampf um die Ressourcen wird es auch schwer
     haben dagegen „77 Prozent des wissenschaftlichen Personals          sein, die ohnehin wenig reputierlichen Lehramtsstudiengän-
     eine Professorenstelle“ (3). Für die allermeisten wissenschaft-     ge weiterzuentwickeln. Insbesondere die Fachdidaktiken als
     lichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter          wichtiges Bindeglied zwischen theoretisch-fachwissenschaft-
     an deutschen Hochschulen sieht es ganz anders aus:                  licher Ausbildung und der Reflexion schulischer Praxis
     • Sie haben kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse, oft nur        leiden unter Nachwuchsmangel. Angesichts gewichtiger poli-
     über wenige Semester.                                               tischer und gesellschaftlicher Prozesse – von der Finanzkrise
     • Es gilt eine Gesamtbefristung von zwölf Jahren mit                über wachsende soziale Ungleichheit und ökologische Pro-
     anschließendem Beschäftigungsverbot, wenn die Qualifikati-          bleme bis zum Umbau des Bildungssystems – brauchen
     on (Promotion oder Habilitation) noch nicht vorliegt.               gerade Schulen eine bessere und keine kurzfristigere und
     • Für alle Statusgruppen gibt es viel zu wenige Stellen.            prekäre Lehramtsbildung. Und die Hochschulen brauchen
                                                                         mehr unbefristete Stellen und demokratische, statt unterneh-
     Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen
                                                                         merische Strukturen.
     sich permanent als wissenschaftliche Ich-AG vermarkten –
                                                                                                                      Christoph Bauer
     mit negativen Folgen für die eigene Bildung (For-
     schung) und die der Studierenden (Lehre). Die
                                                                                           Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fach-
     Auswirkungen befristeter Beschäftigung sind                                          bereich Gesellschaftswissenschaften der Universität
     an den Hochschulen spürbar:                                                     Frankfurt. Ausführlicher zur Thematik: „Prekäre Arbeitsbe-
     • Die wenigsten können sich auf ein zweijäh-                                 dingungen in Lehre und Forschung“, in: Hochschule im Neo-
     riges Mandat im Fachbereichsrat oder im                                      liberalismus. Kritik der Lehre und des Studiums aus Sicht
     Senat einlassen, wenn zwischenzeitlich ihr                                   Frankfurter Studierender und Lehrender, als PDF verfügbar
     Vertrag nicht verlängert wird.                                               unter http://bildungsstreik-ffm.de/cms/?page_id=939
     • Verlässliche Arbeitszusammenhänge sind
                                                                                  (1) Matthias Neis und Jürgen Rubelt: Wissenschaftliches
     auch in der Forschung nur möglich, wenn diese                                Prekariat an Hochschulen. ver.di, Berlin 2010, S.10
     auch unabhängig vom Beschäftigungsverhält-                                   (2) Statistisches Bundesamt: Hochschulstandort Deutschland
     nis, also auch während einer Arbeitslosigkeit,                               2009. Wiesbaden 2009
     fortgesetzt werden können. Forschung wird sonst                               (3) Richard Münch: Schafft den Mittelbau ab!, http://
     der Privatsphäre zugeteilt und ent-öffentlicht.                               www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=1271
     • Die Orientierung im Grundstudium, die Spezia-                               (4) Pierre Bourdieu: Prekarität ist überall, in: ders. (Hg.):
     lisierung im Hauptstudium, die abschließenden                                 Gegenfeuer. UVK, Konstanz 1998, S. 96–105
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