Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 64. Jahr Heft 1/2 Jan./Febr. 2011 TITELTHEMA Hochschule
TERMINE HLZ 1–2/2011 2 Zeitschrift der GEW Hessen Personengruppe Frauen der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 Frauen – Schule – Gesellschaft: Frauenbild im Wandel I M P R E S S U M Fachtagung für Lehrerinnen in Fulda am 8. Februar Herausgeber: Die Fachtagung der Personengruppe Frauen der GEW Hessen findet am 8. 2. 2011 Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Parkhotel Kolpinghaus in Fulda statt. Im Rahmen dieser Fachtagung werden Landesverband Hessen verschiedene Aspekte des beruflichen und gesellschaftlichen Alltags von Lehre- Zimmerweg 12 60325 Frankfurt/Main rinnen in allen Schulformen beleuchtet. Die Fachtagung beginnt mit zwei Telefon (0 69) 9 71 29 30 Einstiegsreferaten der stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Karola Stötzel Fax (0 69) 97 12 93 93 (Kindheit im Wandel) und der Leiterin des Arbeitsbereichs Frauenpolitik beim E-Mail: info@gew-hessen.de Homepage: www.gew-hessen.de GEW-Hauptvorstand Anne Jenter (Vereinbarkeit von außerberuflichem Leben und Erwerbsarbeit in unterschiedlichen Lebensphasen). Nach der Mittagspause Verantwortlicher Redakteur: Harald Freiling stehen vier Workshops zur Wahl: Klingenberger Str. 13 1. Führen und Leiten: Ist das was für mich? 60599 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 63 62 69 Verona Eisenbraun, Gleichstellungsbeauftragte des Amts für Lehrerbildung Fax (0 69) 6 31 37 75 (AfL) in Frankfurt am Main E-Mail: freiling.hlz@t-online.de 2. Neue Lebensmodelle Mitarbeit: Christoph Baumann (Bildung), Joachim Euler (Aus- und Frauke Gützkow, Abteilung Frauenpolitik beim GEW-Hauptvorstand Fortbildung), Ulla Hess (Mitbestimmung), Michael Köditz 3. Was Frauen in Teilzeitbeschäftigung unbedingt wissen sollten (Sozialpädagogik), Annette Loycke (Recht), Carmen Lud- Dr. Hartwig Schröder, Rechtsstelle der GEW Hessen wig (Hochschule), Karin Schüßler (Bildung), Andreas Staets (Hochschule), Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd 4. Sind Ganztagsschulen die Lösung für die gesellschaftlichen Probleme? Turk (Tarifpolitik und Gewerkschaften) Ganztagsschulverband (angefragt) Gestaltung: Die Fachtagung endet bei einer Tasse Kaffee mit einem Informationsaustausch aus Michael Heckert, Harald Knöfel den Workshops. Lioba Boll, Hanne Hirn und Barbara Ludwig von der Personen- Titelthema: Oliver Brüchert und Alexander Wagner, gruppe Frauen der GEW Hessen freuen sich auf zahlreiche interessierte Teilneh- Landesfachgruppe Hochschule und Forschung merinnen. Der Teilnahmebeitrag von 20 Euro (inklusive Mittagessen) bezie- Illustrationen: Axel Träger (Titel), Thomas Plaßmann (S. 19), Dirk Tonn hungsweise 12 Euro für GEW-Mitglieder ist bei der Fachtagung zu entrichten. (S. 23), Andreas Träger (S. 9, 11, 13), Ruth Ullenboom (S. 4) • Anmeldung unter Angabe des Workshops: GEW Hessen, Zimmerweg 12, Fotos: 60325 Frankfurt am Main, Tel. 069-97129327, Fax: 069-97129397, E-Mail: digitalstock (S. 27), Harald Freiling (S. 16, 31), Peter List info@gew-hessen.de (S. 29), Sammlung Prinzhorn (S. 34), Heinrich Schuld (S. 21) Verlag: Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH GEW-Beitragsquittung für 2010 Niederstedter Weg 5 Wie in den vergangenen Jahren erhal- achtung. Außerdem bittet die GEW 61348 Bad Homburg ten alle GEW-Mitglieder mit der Febru- Hessen von Nachfragen in der Landes- Anzeigenverwaltung: Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH ar-Ausgabe der Bundeszeitung E&W geschäftsstelle abzusehen. Edith Hestert eine persönliche Beitragsquittung für Im Februar 2011 erscheint turnus- Postfach 19 44 das Jahr 2010. Sie ist zusammen mit dem gemäß keine HLZ. Der E&W ist statt- 61289 Bad Homburg Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 neuen Mitgliedsausweis Teil des karto- dessen das Jahresprogramm von lea, E-Mail: mlverlag@wsth.de nierten Umschlags der E&W. Die HLZ- dem Bildungswerk der GEW Hessen, Erfüllungsort und Gerichtsstand: Redaktion bittet um entsprechende Be- beigelegt. Bad Homburg Bezugspreis: Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließ- lich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Aus dem Inhalt Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. S. 16 Gehaltsabsenkung für Professuren Zuschriften: Rubriken S. 17 Tarifrunde 2011 an Hochschulen Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird S. 4 Spot(t)light S. 18 Buchbesprechung keine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentli- chung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Nament- S. 5 Briefe lich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Mei- Einzelbeiträge S. 6 Meldungen nung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen. S. 30 Recht: Pension mit 67 S. 7 Tarif- und Besoldungsrunde 2011 S. 35 Magazin S. 19 GEW zum Schulgesetz Redaktionsschluss: S. 20 Inklusion und Konfusion Jeweils am 5. des Vormonats Titelthema: S. 22 Nein zu dieser Schuldenbremse Unternehmerische Hochschule S. 24 (Kein) Bund der Steuerzahler Nachdruck: Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- S. 8 Zur Sache S. 26 Bildung und Ökonomie gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigen- S. 10 Hochschulfinanzierung S. 28 Integration und Sprache teils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge- S. 32 „Ich liebe Pausenaufsichten“ nehmigung der Redaktion und des Verlages. S. 12 Prekäre Hochschule S. 14 Wissenschaftlicher Mittelbau S. 33 Mit lea nach Namibia Druck: S. 34 Kunst und Psychiatrie Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH S. 15 Militärforschung und Zivilklausel Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 1–2/2011 KOMMENTAR Unternehmen Hochschule? No, we can’t! In Essen und Gütersloh wurden die Blaupausen mens macht. Die durch Steuergeschenke für die Reichen entwickelt, in Hannover, Stuttgart, Wiesbaden und oder die Schuldenbremse politisch erzeugte Armut der vielen anderen Landeshauptstädten arbeitet man mit öffentlichen Haushalte begünstigt diese Entwicklung Hochdruck an der Umsetzung: Hochschulen werden zusätzlich. nach dem Vorbild gewerblicher Unternehmen und Folge dieses Paradigmenwechsels ist die Prekarisie- betriebswirtschaftlicher Steuerungsmodelle umgebaut. rung wissenschaftlicher Arbeit. Auch wenn kein Gerin- Mit schwer wiegenden Folgen. Die Kompetenzen der gerer als der Präsident der Deutschen Forschungsge- gewählten Kollegialorgane werden auf bloße Beratungs- meinschaft die Universitäten aufgefordert hat, mit funktionen reduziert, die Mitbestimmungsrechte der Drittmitteln auch unbefristete Beschäftigungsverhält- Beschäftigten und Studierenden abgebaut. Auch die nisse zu schaffen, bringen nur wenige diesen Mut auf. Selbstverwaltungsrechte der Professorinnen und Pro- Unter den wissenschaftlichen Angestellten kommen fessoren werden grundsätzlich in Frage gestellt, wenn heute auf einen unbefristet Beschäftigten 6,7 befristet autokratische Hochschulleitungen, Dekanate und mit Beschäftigte. Zusätzlich verlagern die Hochschulen externen Wirtschaftsvertretern besetzte Hochschulräte einen immer größeren Anteil ihrer Lehraufgaben auf das Sagen haben. Konsequenterweise hat man im eine akademische Reservearmee scheinselbstständiger baden-württembergischen Hochschulgesetz bereits die Lehrbeauftragter. Hochschulräte in Aufsichtsräte und die Rektorate in Der erfolgreiche Widerstand gegen Studiengebühren Vorstände umbenannt. nicht nur in Hessen, sondern auch im Saarland und in Dass die Umwandlung der Hochschulen in Unterneh- Nordrhein-Westfalen belegt indes, dass die Entwick- men sogar die Grenzen des verfassungsrechtlich Zuläs- lung hin zur unternehmerischen Hochschule nicht sigen überschreitet, hat das Bundesverfassungsgericht in unumkehrbar ist. Und die breite Unterstützung des von seiner jüngsten Entscheidung zum Hamburgischen Hoch- der GEW initiierten Templiner Manifests für die Reform schulgesetz deutlich gemacht (HLZ S. 14). Hatte das von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule Gericht 1973 der Demokratisierung der Hochschulen und Forschung zeigt, dass sich nicht nur Studierende, noch enge Grenzen gesetzt, verlangt es vom Gesetzgeber sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- jetzt, „ein hinreichendes Niveau der Partizipation der ler wehren können. Grundrechtsträger“ sicherzustellen. Hatte der Marburger Mit ihrem vom Gewerkschaftstag beschlossenen Politikwissenschaftler und Staatsrechtler Wolfgang wissenschaftspolitischen Programm hat die GEW Abendroth 1973 noch die Länderparlamente und Regie- deutlich gemacht: Wir können auch anders. Es gibt rungen aufgefordert, gegen das Karlsruher Hoch- Alternativen zur unternehmerischen Hochschule, wir schulurteil „Alarm zu schlagen“, schlägt heute Karlsruhe wollen Wissenschaft demokratisieren, Hochschule öff- Alarm gegen den Bruch der Länder mit der jahrhunder- nen und Arbeits- und Studienbedingungen verbessern. tealten Tradition der akademischen Selbstverwaltung. Wir wollen eine demokratische und soziale Hochschule. Nach dem Leitbild der unternehmerischen Hoch- schule müsse sich Hochschulen wie Wirtschaftsunter- nehmen auf einem Markt behaupten. Als Waren und Dienstleistungen müssen sie verwertbare Forschungs- ergebnisse, Lehre und Studium feilbieten – und zwar an kaufkräftige Nachfrager. Der Paradigmenwechsel in der Forschungsfinanzierung weg von der institutionel- len Förderung der Hochschulen hin zur Projekt- förderung hat hierin seine Wurzel, ebenso wie die Dr. Andreas Keller Leiter des Vorstandsbe- Einführung von Studiengebühren, die aus studenti- reichs Hochschule und schen Mitgliedern einer Selbstverwaltungskörperschaft Forschung beim GEW- Kundinnen und Kunden eines Dienstleistungsunterneh- Hauptvorstand.
SPOT(T)LIGHT HLZ 1–2/2011 4 Berufskrankheiten sanftere Spielart des Brechers ist der Zwischenredner, der zu jedem Thema etwas zu sagen hat und erst dann zufrie- den ist, wenn er ein Gespräch an sich gerissen hat und ungestört monologi- Trotz aller Whiteboards, Lernspiralen Worten mindestens noch dreimal dar- sieren kann. und Lernpyramiden spielen Stimme und gelegt, wie man zum Beispiel ökolo- Sprache des Lehrers immer noch eine gisch einwandfreie Gartenteiche an- Die Stimmfühler zentrale Rolle. Leider sind sie nach legt. Falls derart erkrankte Kollegen In kaum einer Schule finden sich Ar- Dauergebrauch von Degenerationser- Fragen gestellt und eindeutige Antwor- beitsmöglichkeiten für Lehrkräfte, wo scheinungen betroffen. In einer umfas- ten erhalten haben, problematisieren sie in Ruhe eine Power-Point-Präsenta- senden Langzeitstudie hat die Autorin sie ihre Frage noch mehrfach: „Steht die tion erarbeiten könnten. Und selbst Störungen im Gesprächsverhalten von Fallschirm-Arbeitsgemeinschaft eigent- wenn es so etwas gibt – die nächste Lehrern untersucht. Unterschiede zwi- lich allen Schülern offen?“ „Ja.“ „Es Kollegin, die hereinkommt, schafft es schen den Geschlechtern hat sie trotz könnte ja sein, dass nur die Oberstufe nicht, einfach still Platz zu nehmen und aller gängigen Klischees nicht feststel- hindarf.“ „Nein, nein, die AG ist für alle sich ihrem Tun zu widmen. Die Situa- len können. Allenfalls beim sozialen Schüler gedacht.“ „Na ja, manchmal tion muss durch zwei, drei Stimm- Stimmfühlungslaut überwiegt der An- gibt es doch Altersbeschränkungen, fühlungslaute „entschärft“ werden. Der teil der Frauen. Einige gängige Störun- deshalb frage ich.“ So ein Gespräch Inhalt spielt dabei keine wesentliche gen werden hier kurz beschrieben. Eine kann sich eine Viertelstunde lang hin- Rolle: „Na, auch eine Springstunde zu ausführliche und systematische Darstel- ziehen. Manche dieser Lehrer hören füllen?“ oder „Hast du mit deiner Klasse lung anhand von Gesprächsprotokollen sich einfach gern reden. schon den Kompetenztest geschrieben?“ findet sich in der Habilitationsschrift Ein kurzer Satzwechsel, und man könn- der Autorin: „Deskription degenerati- Die Zwischenredner und Brecher te in Ruhe weiterarbeiten. Leider ist das ven Sprachverhaltens in der Pädagogik Lehrer sind ständig auf dem Sprung, nur selten der Fall. Aus drei Sätzen unter linguistischen und tiefenpsycho- vom Unterricht zur Vertretung, zur werden viele, und die Klausuren blei- logischen Aspekten“ (Metzelthin April Aufsicht, zur Toilette, zu spontan auf- ben unkorrigiert. In der zweiten Spring- 2009, 79,80 Euro). tauchenden Eltern. Deshalb können stunde kommt die nächste Kollegin her- manche nicht abwarten, dass unwichti- ein: „Ach, hast du jetzt auch frei?“ Die Wiederholer ges Pausengeschwätz über Integration Raffinierte Kolleginnen und Kollegen Lehrerinnen und Lehrer scheinen häu- und Altersteilzeit ein Ende findet. Der korrigieren ihren Kram deshalb in leer- fig mit begrenzter menschlicher Auf- Brecher platzt einfach in jedes Ge- stehenden Dunkel- oder Kellerräumen. nahmekapazität zu tun zu haben. Damit spräch rein. Leider hat brachiale Sprach- sind keinesfalls nur Schülerinnen und gewalt eine einschüchternde Wirkung. Die Schauspieler Schüler gemeint! Über viele Berufsjah- Meist stellen die anderen sofort ihr Es gibt in kaum einer Schule Rückzugs- re hinweg haben manche Kollegen die Gespräch ein, wenden sich dem Brecher möglichkeiten für vertrauliche Gesprä- Zwangsstörung entwickelt, ein und den- zu und verstärken somit ungewollt sei- che. Jeder mündliche Kontakt mit El- selben Sachverhalt mehrfach in immer ne Gesprächsstörung. Auf dem Höhe- tern, Großeltern und Familienhelfern anderen Worten zu erklären. Nicht nur punkt seiner Erkrankung verlässt der findet in aller Öffentlichkeit statt. Nach im Unterricht, sondern auch im Privat- Brecher nicht einmal mehr seinen langer Berufspraxis können manche leben. Selbst wenn der Gesprächspart- Schreibtisch, sondern brüllt durchs gan- Kollegen gar nicht mehr ohne Publi- ner bereits deutlich Verständnis signa- ze Lehrerzimmer, besonders gern, wenn kum arbeiten. Sie laufen erst zu großer lisiert hat, wird ihm in kindgerechten jemand wichtige Telefonate führt. Eine Form auf, wenn unbeteiligte Zuhörer anwesend sind. Wie ordentliche Schau- spieler achten sie dann auf überdeutli- che Artikulation und ausgewählte Lexik und bauen kleine Witze und Bonmots ein, die nur die Zuhörer verstehen. Sie führen quasi ein Gespräch auf zwei Ebenen. Das klingt wie eine besondere Fähigkeit, in Wirklichkeit handelt es sich um eine ernsthafte Affektstörung, die nur schwer zu heilen ist. Genauso wie die analoge Erkrankung des notori- schen Zuhörers, der stets und ganz unauffällig die Nähe zu spannenden Gesprächen sucht. Gabriele Frydrych Für interessierte Kollegen bietet die Autorin ab Januar 2011 folgende Selbsthilfegruppen an: „Paralleles Sprechen“ und „Wie täusche ich aktives Zuhören vor?“
5 HLZ 1–2/2011 BRIEFE Betr.: HLZ 10-11 und 12/2010 Aber das kennen wir ja schon: Die den Schülerinnen und Schüler in allen Selbstständiges Lernen Bildungsstandards sind ja auch nur eine Bundesländern schon vom ersten List der Wirtschaft, die Schulen ihren Schuljahr an unter die ständigen freud- Zum Verzweifeln Interessen zu unterwerfen. Hoffen wir losen Dauerevaluationen gestellt, mit Es ist wirklich zum Verzweifeln, wie auf Besserung und eine weniger vor- Tests, Proben und Standardarbeiten. schnell und gedankenlos in nicht weni- urteilsbelastete Diskussion! Damit sollen aus Mäßig-, Mittel- und gen Artikeln der HLZ fast jeder Ansatz Hochbegabten die „Besten“ ausgelesen Dieter van Holst, Frankfurt am Main einer Revision tradierter Unterrichts- und frühzeitig richtig und endgültig und Schulorganisationsformen mit dem sortiert werden. Kinder aller Altersstu- Fallbeil einer angeblichen Ökonomi- fen werden durch solchen Dauerstress sierung der Schulen denunziert wird häufig körperlich und seelisch krank. (...), etwa mit dem Vorwurf, durch die Sie müssen dann in Sonderschulen für Vermittlung von Schlüsselkompetenzen Verhaltensgestörte oder „medizinisch“ mache man sich zum Handlanger der gesund gemacht werden. Viele bleiben Betr.: HLZ 10-11 und 12/2010 lebenslang „Verlierer“! Andere, deren Wirtschaft. Selbstständiges Lernen Bei meinen langjährigen Versuchen, Eltern genügend Geld haben, besuchen selbstgesteuertes und eigenverantwort- Offener Unterricht private Nachhilfekurse, die vielerorts liches Lernen wenigstens ansatzweise Es ist sehr schade, dass man in dem bereits zur neuen Regelschule gewor- im Unterricht zu verankern, bin ich Beitrag von Franziska Conrad über den sind. immer wieder mit „Argumenten“ kon- „Wege zur Selbstbestimmung“ (HLZ 10- Durch die UN-Behindertenrechts- frontiert worden, (...) die darauf hinaus- 11/2010) so wenig über die Hintergrün- konvention steht eine „neue Schulre- laufen, dass eben besser alles beim alten de erfährt. „Offener Unterricht“, wenn form“ an. Schüler der verschiedenen bleiben möge. Das „fragend entwickeln- man ihn ernsthaft beim Wort nimmt, Förderschulen werden in naher Zukunft de Unterrichtsgespräch“, ein Ideal, das dürfte an staatlichen Schulen so gut wie in die jetzigen „historischen“ deutschen die Lehrerausbildung über zahllose Ge- nicht vorkommen, da hier fast alle Schularten integriert werden. Man nerationen geprägt hat, ist nicht so strukturellen Voraussetzungen dafür nennt dieses Vorhaben „Inklusion“. (...) schnell totzukriegen; es wird gelegent- fehlen. Über diese neue Schulreform wurde lich immer noch als „Kunst der Ge- Wenn man aber die Vergleiche dort sogar in der Haushaltsdebatte des kon- sprächsführung“ idealisiert – sichert es ansetzt, wo offener Unterricht bei Kom- servativen Hochtaunus-Kreistages hef- dem vermeintlich guten Lehrer doch petenzorientierung und Inklusion tag- tig debattiert mit der Folge, die alte weiterhin die Rolle des Steuermanns im täglich stattfindet, nämlich in den freien Sonderschule in Wehrheim nicht zu Unterrichtsgeschehen, auch wenn dafür Privatschulen, kommt man wohl recht bauen. Die Inklusion wird alle Schul- in Hessens immer größer gewordenen schnell zu ernüchternden Ergebnissen formen betreffen, auch die Gymnasien! Schulklassen eher Dompteurfähigkeiten im Hinblick auf die „Wissensaneig- Ob die UN-Konvention wirklich in erforderlich sind. nung“: Schüler von Privatschulen ha- der Schulpraxis durchführbar ist? Bis- Dass Schülerinnen und Schüler we- ben gegenüber Schülern von staatli- her kann niemand eine Antwort geben, nigstens nicht nur lernen müssen, der chen Schulen in der Regel fachliche die Kultusminister suchen nach Lösun- Gesprächsführung der Lehrperson zu Defizite von ein bis zwei Schuljahren gen! Ähnlich wie letzthin in Hamburg folgen, sondern auch, ihren Lernprozess und müssen regelmäßig ein Schuljahr wollen die Eltern mehrheitlich keine eigenverantwortlich zu steuern, sollte wiederholen, wenn sie an staatliche Veränderungen. Sie wollen Ruhe und sich inzwischen auch bei älteren Seme- Schulen wechseln wollen. vor allem den Erhalt aller Gymnasien. stern herumgesprochen haben. Das Was hat man denn da eigentlich In Berlin und anderen „soziologischen überholte Konzept des „fragend entwi- miteinander verglichen? Wie sind die und sozialen Brennpunkten“ möchte ckelnden Unterrichtsgesprächs“ steht „Ergebnisse“ vor diesem Hintergrund unsere deutsche Bürgerschaft mehrheit- dem im Wege, auch weil es die „Herden- einzuordnen? lich ihre Kinder vor dem gemeinsamen haltung“ von Schülern in Form des Lernen mit den vielen Migranten-Nach- Stefan Padrok, Büdingen kommen und Sprösslingen der Unter- „Klassenunterrichts“ als nicht hinter- fragbaren Standard definiert. schichten bewahren! Wie werden unse- Dass es auch anders geht, kann man re Politiker mit den Ergebnissen solcher beispielsweise in dem Buch „Lernen über Volksentscheide umgehen? Grenzen“, herausgegeben von Höhmann, Alle Politiker sind aufgefordert, bald Kopp, Schäfers und Demmer (Opladen & eine wirkliche zukunftsorientierte Re- HLZ 12/2010 Farmington Hills 2009) nachlesen. Bis form unseres Bildungs- und Schulwe- Inklusive Schulen sens auf den Weg zu bringen, die inter- die „normale“ Schule in Deutschland in der Lage ist, eine „individualisierte Lern- Als alter Schulmeister national auch von der UNO akzeptiert kultur“ im Schulalltag zu verwirklichen, Als alter Schulmeister mache ich mir so wird. Erfolge und Gerechtigkeit für alle wird noch einige Zeit vergehen. Voraus- meine Gedanken zu einer neuen Schul- Kinder und deren Eltern müssen garan- setzung dafür ist u. a., dass die antiquier- reform. Das früher mit progressiven tiert sein. ten deutschen Lehrplankonzepte, insbe- Inhalten und Erwartungen verbundene Gemeinsames Lernen und Bildung sondere soweit sie als „Curricula“ für alle Wort „Schulreform“ hat in der heutigen müssen den Unterricht wieder zu einer Schülerinnen und Schüler ein gleichar- politischen Wirklichkeit einen eher erfreulichen und beliebten Veranstal- tiges und gleichschrittiges Lernen vor- bedrohlichen Klang für Eltern, Kinder tung machen! schreiben, abgeschafft werden. und Lehrer bekommen. (...) Weiter wer- Heinrich Nitschke, Usingen
MELDUNGEN HLZ 1–2/2011 6 GGG-Gesamtschultag Grundrecht auf Ausbildung Referendare vor der Tür? Der Gesamtschultag der Gemeinnützi- Die unter anderem von der Landes- Das Vorhaben von CDU und FDP, den gen Gesellschaft Gesamtschule (GGG) schülervertretung und der GEW Hessen Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (LiV) findet am 5. März 2011 ab 9.30 Uhr an initiierte Petition für ein Grundrecht auf das passive Wahlrecht und damit eine der Helene-Lange-Schule in Wiesba- Ausbildung war mit 72.554 Unterschrif- originäre Vertretung in den Personalrä- den statt. Professor Matthias von ten eine der größten Petitionen der ver- ten der hessischen Studienseminare zu Saldern von der Uni Lüneburg referiert gangenen Jahre, zum Thema Bildung entziehen, stößt auf breiten Widerstand. über das Thema „Leistung feststellen im und Ausbildung sogar die größte Petiti- Die Betroffenen und ihre Interessenver- individuellen Lernen“. Das individuelle on in der Geschichte der Bundesrepu- tretungen laufen Sturm gegen die Ände- Lernen ist auch Gegenstand der Work- blik. Ende September hat der zuständige rung des Hessischen Personalvertre- shops am Nachmittag. Der Tagungs- Petitionsausschuss des Bundestags diese tungsgesetzes (HPVG). Der Personalrä- beitrag beträgt 25 Euro, für GGG-Mit- Petition in den Papierkorb befördert. Das teausschuss der hessischen GEW ist glieder 15 Euro. Petitionsverfahren zog sich über zwei- empört, „weil durch diese Änderung ein • Anmeldungen bis zum 15. Februar 2011 einhalb Jahre hin. Eine öffentliche Anhö- weiteres Stück Demokratieabbau betrie- an die GGG-Geschäftsstelle, Langen- rung, wie bei Petitionen dieser Größen- ben werden soll“. Die Arbeit in den beckstraße 6-18, 65189 Wiesbaden, Tel. ordung üblich und möglich, wurde nicht Seminarpersonalräten laufe seit Jahren 0611-408096-80, Fax: -79, E-Mail: ge- durchgeführt. Das Aktionsbündnis „Aus- problemlos, „auch wenn durch die stär- schaeftsstelle@ggg-hessen.de bildung für alle“ weist darauf hin, dass kere Fluktuation größere organisatori- Missstände in der Berufsausbildung in sche Probleme bewältigt werden müssen der „Empfehlung“ des Ausschusses schön- als in anderen Personalräten“. Durch die Kerncurricula zurückziehen! geredet oder verschwiegen wurden. Dem Verdrängung der LiV aus den Studien- Petitionsausschuss vorgelegte Studien, seminarpersonalräten würde zudem Das Kollegium der Alexander-von Hum- Expertisen, Gutachten und Urteile wur- „eine wichtige Säule der Nachwuchsför- boldt-Schule Viernheim forderte das den ignoriert und den Jugendlichen „ein derung für Schulpersonalräte entfallen“. Institut für Qualitätsentwicklung auf, die öffentliches Forum für ihr berechtigtes vorgelegten Bildungsstandards und Anliegen verwehrt.“ Die Ablehnung der Kerncurricula zurückzuziehen und un- Petition bestärke „den bestehenden Zwei- ter Beteiligung von Schulpraktikern zu fel an den Mitwirkungsmöglichkeiten in Schulsozialarbeit verweigert überarbeiten. Für die meisten Fächer der parlamentarischen Demokratie, der gebe es keine ausreichende „inhaltliche zurzeit auch beim Projekt Stuttgart 21 In einem Offenen Brief protestiert der Bestimmung der Kerncurricula“. Die Vor- eine wichtige Rolle spielt.“ Schulelternbeirat der IGS Kastellstraße stellung, dass die konkreten fachbezoge- beim Oberbürgermeister der Stadt Wies- nen Inhalte für die Kerncurricula von baden, dass ein Beschluss der Stadtver- den Fachkonferenzen definiert werden Arbeits- und ordnetenversammlung von 2006 zur sollten, sei eine „Zumutung“. Einen „un- Gesundheitsschutz Einführung von Schulsozialarbeit an verzichtbaren Kern von Inhalten exem- zwölf namentlich aufgeführten Schulen plarisch mit Kompetenzen zu verbin- Die GEW-Broschüre „Arbeits- und Ge- an der IGS Kastellstraße noch immer den“ und diesen „sinnvoll, wissenschaft- sundheitsschutz“ mit vielen praktischen nicht umgesetzt wird. Die Schülerinnen lich haltbar und gleichzeitig praxisnah“ Hinweisen und allen Rechtsgrundlagen und Schüler der Schule würden so „ge- auszugestalten, erfordere einen „erheb- kann als pdf-Datei von der Homepage der genüber den Schülerinnen und Schü- lichen zusätzlichen Arbeitszeitaufwand, GEW Hessen www.gew-hessen.de im Mit- lern anderer Schulen deutlich benach- der an den Schulen nicht zu leisten ist“. gliederbereich heruntergeladen werden. teiligt“. Streiks bei der Lehrerkooperative Anfang Dezember setzten Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte in den Einrichtungen der Frankfurter Leh- rerkooperative ihre Warnstreiks fort (Foto: Kita Hohe Straße, Bergen-Enk- heim). Sie protestierten gegen die Ver- schleppung der Tarifverhandlungen durch die Geschäftsleitung und gegen die erneute Einbehaltung eines Teils ihres Weihnachtsgeldes. Am 10. Dezem- ber waren alle Beschäftigten zum eintä- gigen Streik und zu einer Kundgebung vor dem Stadtschulamt aufgerufen.
7 HLZ 1–2/2011 TARIF UND BESOLDUNG 50 Euro plus drei Prozent! Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zur Tarif- und Besoldungsrunde 20011 Mitte Dezember haben die Gewerk- dem Willen der Gewerkschaften unter- bereinigt zwischen 1998 und 2008 so- schaften des öffentlichen Dienstes (öD) bleiben. gar leicht. Lässt man die Versorgungs- bundesweit den Meinungsbildungspro- Hessen gehört zwar seit 2004 nicht ausgaben, die aufgrund von demogra- zess zu den Forderungen in der Tarif- mehr zur TdL, aber um eine Einheitlich- fischen Entwicklungen besonders stark und Besoldungsrunde 2011 abgeschlos- keit der Tariftabellen zu wahren, gehen ansteigen, außen vor, dann ergibt sich sen. Ergebnis: GEW, ver.di und die die hessischen Gewerkschaften grund- im selben Zeitraum inflationsbereinigt anderen öD-Gewerkschaften verlangen sätzlich mit denselben Forderungen in sogar ein Minus von 5,2 %! von den Bundesländern eine Anhe- die Auseinandersetzungen wie die Ge- Darüber hinaus zog die Konjunktur bung der Einkommen um 50 Euro plus werkschaften im Bereich der TdL. 2010 spürbar an. Das Wachstum des 3 % für die Tarifbeschäftigten und für Für die hessischen Beamtinnen und Bruttoinlandsproduktes betrug bundes- die Beamtinnen und Beamten. Im Beamten geht es bei der Tarif- und weit inflationsbereinigt 3,5 %; für 2011 Durchschnitt bedeutet das eine Erhö- Besoldungsrunde 2011 nicht nur darum, liegen die Prognosen bei 2,0 %. Das hung der Tabellenwerte um 5,0 %. Für dass die Einkommensverbesserungen beschert auch Hessen nach der Presse- die Entgeltgruppe (EG) 13 ergibt sich zeit- und wirkungsgleich übertragen mitteilung des Finanzministeriums vom eine Forderungshöhe von 4,4 %, für die werden, sondern auch darum, die bisher 10. 11. 2010 deutliche Steuermehrein- EG 11, in der sich die Grundschul- verweigerte Übertragung der seit An- nahmen von 600 Millionen Euro 2010 lehrkräfte befinden, von 4,6 %, für die fang 2010 tarifvertraglich vereinbarten beziehungsweise 650 Millionen Euro EG 9 mit den sozialpädagogischen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche im Jahr 2011. Fachkräften von 4,9 % und in der EG 2 auf die Beamtinnen und Beamten des Trotzdem ist natürlich nicht mit ei- von knapp 5,8 %. Der einheitliche So- Landes und auf die Pflichtstundenzahl der ner „leichten“ Tarifauseinandersetzung ckel von 50 Euro entspricht dem Lehrkräfte durchzusetzen. zu rechnen. Das Ansinnen der Gewerk- Wunsch vieler Beschäftigter im öffent- Mit der Bedeutung der Tarifrunde schaften stieß bereits kurz nach der lichen Dienst der Länder nach einer 2011 für die Universitäten in Frankfurt Veröffentlichung Mitte Dezember auf sozialen Komponente. und Darmstadt, die nicht mehr zum massive Ablehnung bei den Arbeit- Die Laufzeit der abzuschließenden Geltungsbereich des TV-H gehören, gebern. Es ist daher gut möglich, dass es Einkommensregelung soll 14 Monate befasst sich ein eigener Artikel in dieser zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen betragen. Sollten die Gewerkschaften HLZ (S. 17). wird. Mit der TdL findet die letzte und diese Terminierung durchsetzen, könn- wahrscheinlich abschließende Verhand- ten die Beschäftigten von Bund, Kom- lungsrunde am 9. März 2011 statt. In Berechtigte Forderungen munen und Ländern die nächste Tarif- den Tagen davor ist in anderen Bundes- runde 2012 wieder einmal synchron Ist eine Einkommenserhöhung von durch- ländern, aber auch in Hessen mit Ar- bestreiten. Lehrkräfte, Erzieherinnen schnittlich 5 % gerechtfertigt? In Hin- beitskampfmaßnahmen zu rechnen. und Erzieher würden dann wieder ein- blick auf die Kassenlage der Beschäftig- Die Solidarität der Beamtinnen und mal gemeinsam auf der Straße für bes- ten allemal. Denn die hatten im Zusam- Beamten ist unabdingbar – zur Stär- sere Arbeitsbedingungen kämpfen. menhang mit der „Operation düstere kung der gemeinsamen Kampfkraft und Außerdem wollen die Gewerkschaf- Zukunft“ 2004 erhebliche Kürzungen auch im ureigenen Interesse. Ange- ten mit der Tarifgemeinschaft deutscher und danach Nullrunden bei den Einkom- sichts laufender Verfahren wegen der Länder (TdL) über eine Entgeltordnung men hinnehmen müssen. Insgesamt er- Arbeitsniederlegung am 17. 11. 2009 verhandeln, um endlich tarifvertrag- gaben sich dadurch für das vergangene wird die GEW Beamtinnen und Beamte lich zu regeln, bei welcher Ausbildung, Jahrzehnt Realeinkommensverluste: Die eher zu Aktionen unterhalb der Ebene Qualifikation oder Tätigkeit man in eine Inflationsrate war etwas höher als das eines Streiks aufrufen. Die hessische bestimmte Entgeltgruppe eingruppiert durchschnittliche Wachstum der Nomi- Tarif- und Besoldungsrunde 2011 endet wird. Diese Verhandlungen sollen auch naleinkommen im hessischen Landes- frühestens am 5. April 2011, wenn die Lehrkräfte einbeziehen, deren Eingrup- dienst (HLZ 10-11/2010, S. 18). Verhandlungs- und Tarifkommissionen pierung derzeit durch einen einseitigen Auch vor dem Hintergrund der hes- der Gewerkschaften und die Vertrete- Erlass des jeweiligen Arbeitgebers ge- sischen Finanzpolitik muss von einer rinnen und Vertreter des Landes in regelt ist. Die Vereinbarung einer Ent- angemessenen Forderung gesprochen Wiesbaden zusammenkommen. geltordnung ist daher für die GEW von werden: In den vergangenen Jahren Alle aktuellen Informationen zur besonderer Bedeutung – und ein posi- trug das aktive Personal des Landes in Tarif- und Besoldungsrunde in Hessen tives Ergebnis wird nicht ohne Streiks erheblichem Maße zur Konsolidierung findet man auf der Internetseite der angestellten Lehrkräfte zu errei- des Haushaltes bei. Die „bereinigten“ www.gew-hessen.de. chen sein. Eine materielle Verrechnung Personalkosten, bei denen Verzerrun- der Einkommenszuwächse durch eine gen durch die Ausgliederung einzelner neue Entgeltordnung mit den geforder- Bereiche wie der Hochschulen heraus- Rüdiger Bröhling ten Einkommenserhöhungen soll nach gerechnet wurden, sanken inflations- Tarifsekretär der GEW Hessen
TITELTHEMA: HOCHSCHULE HLZ 1–2/2011 8 Schöne neue Hochschulwelt Die „unternehmerische Hochschule“ ist kein Phantom In der hochschul- und wissenschaftspolitischen Debatte lässt halte und Erfolgsbudgets sind Ausdruck eines Denkens, mit sich seit längerem schon ein Trend erkennen, den Unter- dem sich der Staat bis an die Grenze des Möglichen nehmensbegriff auf die Hochschulen zu übertragen. Unter- schrittweise aus der Erfüllung des finanziellen Bedarfs der schiedliche hochschulpolitische Entscheidungen der letzten Hochschulen zurückzieht (HLZ S. 10). Die Hochschulen Jahre spiegeln den Versuch dieser Übertragung unternehme- müssen mit den ihnen zugewiesenen Mitteln auskommen rischer Logik auf die Hochschulen wider. Dabei dient das Bild und werden angehalten, durch Drittmitteleinwerbung der unternehmerischen Hochschule dazu, bestimmte hoch- Finanzierungslücken zu schließen. Zudem wurde es staatli- schulpolitische Reformideen und Reformen populär zu ma- chen Hochschulen ermöglicht, sich selbst an Ausgründun- chen. Dem Bild der verkrusteten, ineffizienten staatlichen gen zu beteiligen und damit im eigentlichen Wortsinne Hochschule wird das Bild der effizienten, im internationalen unternehmerisch tätig zu werden – ein Umstand, der sicher- Wettbewerb erfolgreichen, unternehmerisch handelnden lich noch an Bedeutung gewinnen wird. In dem Maße, in Hochschule entgegengesetzt, die den eigenen „Wisssen- dem die Drittmittelakquise zu einem zentralen Kriterium schaftsstandort“ voranbringt. auch staatlicher Mittelzuweisungen wird, werden Hoch- Wenn von der unternehmerischen Hochschule die Rede schulen auch zueinander in Wettbewerb gesetzt. Sehr pla- ist, ist nicht gemeint, dass mir nichts dir nichts alle staatlichen stisch, wenn auch aus einer anderen Perspektive, kommt das hessischen Hochschulen privatisiert würden. Unternehmeri- Wettbewerbsverhältnis zwischen den Hochschulen auch in sche Hochschule bezeichnet ein Konzept, nach dem es den zahlreichen Hochschulrankings zum Ausdruck, deren politisch geboten sei, auch staatliche Hochschulen stärker an strategische Relevanz für die Hochschulleitungen stetig Prinzipien unternehmerischen Handelns auszurichten. Zum zunimmt. einen beinhaltet das die Vorstellung, Hochschulen stärker ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen zu unterwerfen, zum Partizipatives Management statt Selbstverwaltung anderen dazu, einen Markt zu behaupten, über den nicht nur Forschungs- und Lehrangebote mit ihren jeweiligen Nach- Auch im Innenverhältnis der Hochschulen schlägt sich das fragern vermittelt werden könnten, sondern auch Verwal- Konzept der unternehmerischen Hochschule nieder. In der tungsangelegenheiten und andere Dienstleistungen, die in Studiengebührendebatte forcierten die Befürworterinnen und den Hochschulen angesiedelt sind. Dadurch verändert sich Befürworter die Vorstellung, Studierende seien ja eigentlich einerseits das Außenverhältnis der Hochschulen gegenüber Kunden. Die Kundeneigenschaft würde nach erfolgreicher dem Staat, anderen Hochschulen und der Gesellschaft und Einführung der Studiengebühren dazu führen, dass Studie- andererseits das Innenverhältnis in Bezug auf die Selbst- rende auf einmal mehr Einfluss in der Hochschule hätten. Das verwaltungsstrukturen, aber auch auf das Selbstverständnis ist zum einen blanker Unsinn und zum anderen auch gar nicht der Lehrenden und Lernenden. die Intention der politischen Akteure, wie die Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) belegt: Die akade- mische Selbstverwaltung wurde zugunsten der Dekanate, Staatliche Unterfinanzierung und Wettbewerb Präsidien und Hochschulräte demontiert, und begründet Die hessischen Hochschulen sind lange schon chronisch wurde dies mit unternehmerischem Vokabular: Die Heraus- unterfinanziert. In Ermangelung des politischen Willens der forderungen des internationalen Wettbewerbs auf dem Regierenden, die nötigen Investitionen in Forschung und Bildungsmarkt erforderten die Einführung effizienterer Ent- Lehre zu tätigen, muss ein anderer Umgang mit diesem scheidungsstrukturen in den Hochschulen. Problem her, und das nötige ideologische Rüstzeug liefert Wer Hochschulen als Unternehmen denkt, will sich offen- die Idee der unternehmerischen Hochschule. Globalhaus- bar demokratischere Entscheidungsstrukturen nicht mehr leisten. Beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) heißt das dann nicht mehr Selbstverwaltung, sondern „Partizipati- ZUM WEITERLESEN ves Management“. Von der Entmachtung der Kollegialorgane sind neben den • Gute Lehre und Forschung sowie gute Arbeitsbedingungen Studierenden auch die anderen Statusgruppen betroffen. und berufliche Perspektiven sind zwei Seiten einer Medaille. Das Doch sie verlieren in der unternehmerischen Hochschule Templiner Manifest der GEW kann man im Internet nachlesen nicht nur Mitbestimmungsrechte, sondern ihnen wird eben- und unterschreiben: www.gew.de/Templiner_Manifest.html falls ein neues Rollenverständnis zugemutet, das in der Idee • Als Alternative zur „unternehmerischen Hochschule“ hat kulminiert, Hochschullehrer müssten sich als „Wissenschafts- der Gewerkschaftstag der GEW 2009 ein umfangreiches wis- manager“ verstehen. senschaftspolitisches Programm beschlossen: www.gew.de > Auch in der neuen W-Besoldung für Professorinnen und Suche: „Alternatives Leitbild“ Professoren kommt unternehmerisches Denken zum Aus- • Der DGB und die Hans Böckler Stiftung haben ein Leitbild druck (HLZ S. 16). Der akademische Mittelbau bezahlt in „Demokratische und soziale Hochschule“ entwickelt: dieser schönen neuen Hochschulwelt die Zeche und zwar www.boeckler.de > Suche „Leitbild Hochschule“ mit einer immensen Zunahme an Lehr- und Arbeitsbelas-
9 HLZ 1–2/2011 tungen ohne langfristige Perspektive (HLZ S.11). Wer aus dieser Situation heraus aber an der Hochschule bleiben möchte, dem bleibt die Hoffnung, sich gegen andere im Wettbewerb um eine der wenigen Professuren durchzuset- zen. Mit dem Templiner Manifest ist es der GEW gelungen, diese Missstände in die öffentliche Diskussion zu bringen (s. Kasten). Wer hat, dem wird gegeben In dem Maße, in dem Hochschulen gezwungen sind, ihre Unterfinanzierung selbst zu schultern, wird die ökonomische Verwertbarkeit von Wissen ein wichtiges Kriterium für die Frage, welche Fächer gefördert werden und welche nicht. So wird von einigen Autoren in der Hochschulforschung be- klagt, dass gerade die Grundlagenforschung unter einer stärker wettbewerbsförmigen Forschungsfinanzierung lei- det. Aber auch Geisteswissenschaften sehen sich gegenüber Natur- und Lebenswissenschaften im Nachteil. Die Naturwis- senschaften haben es prinzipiell leichter, Drittmittel gerade aus der Wirtschaft zu akquirieren, denn das von ihnen produzierte Wissen ist tendenziell wesentlich besser ökono- misch verwertbar. Gleichzeitig haben die Geisteswissen- schaften auch bei der staatlichen Forschungsförderung das Nachsehen: So ist beispielsweise die Zahl der geisteswissen- schaftlichen Exzellenzcluster und Sonderforschungsberei- che deutlich geringer als die natur- und lebenswissen- GEW-Fachtagung „Traumjob Wissenschaft?“ schaftlicher. Die Logik, der diese Forschungsförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative folgt, ist: Wer hat, dem wird Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegeben. Dies hat auch für die gesamte deutsche Hochschul- diskutieren über ihre Arbeitsbedingungen landschaft Folgen. Die Studierendenzahlen in Deutschland steigen. Die Zahl der Sogenannte exzellente Hochschulen werden auf Dauer Professuren stagniert. Die auch im Zuge der Bologna-Reform besser gestellt, während andere auf Dauer leer ausgehen. wachsenden Aufgaben der Hochschulen werden weitgehend Langfristig führt das zu einem Zwei-Klassen-System im vom wissenschaftlichen Mittelbau geschultert und das zu- Hochschulwesen. nehmend unter prekären Beschäftigungsbedingungen. So ist besonders die Zahl der „nebenberuflich“ arbeitenden, von tariflichem Schutz ausgeschlossenen Hilfskräfte und Lehrbe- Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung auftragten gestiegen, ebenso der Anteil der befristet Beschäf- In den aktuellen hochschulpolitischen Diskussionen erfährt tigten im wissenschaftlichen Personal. Auf einen unbefriste- das Unternehmen als organisatorisches Leitbild für die ten Wissenschaftler kamen im Jahre 2008 fast sieben Kolle- Gestaltung des Innen- und Außenverhältnisses der Hoch- ginnen und Kollegen mit einem befristeten Vertrag, erläuterte schulen einen immensen Bedeutungszuwachs. Selbst wenn Dr. Carsten Würmann vom Institut für Hochschulforschung Hochschulen nicht privatisiert und damit auch de facto zu Wittenberg auf der Fachtagung „Traumjob Wissenschaft“, die Unternehmen werden, halten unternehmerische Prinzipien die GEW Hessen gemeinsam mit dem Mittelbauvernetzungs- Einzug in die Organisation von Forschung und Lehre. treffen Hessen veranstaltete. Dort diskutierten am 19. Novem- Insbesondere in Bezug auf die Finanzierung von Forschung ber auf dem IG-Farben-Campus in Frankfurt etwa 50 junge und Lehre, die Lehr- und Lernbedingungen sowie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen hessi- akademische Selbstverwaltung hat diese Entwicklung nega- schen Universitäten und einigen Fachhochschulen über ihre tive Folgen. Arbeitsbedingungen. Die Promovierenden Barbara Dick- DGB und GEW setzen dieser Entwicklung das Bild einer haus und Holger Schoneville aus Kassel und Roman George sozialen und demokratischen Hochschule in gesellschaftli- aus Marburg stellten ihre Studie über Arbeitsbedingungen cher Verantwortung entgegen (s. Kasten): Forscherinnen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor (HLZ und Forscher brauchen eine die Bedürfnisse deckende S. 12f.). Sie zeigt, dass die Belastungen je nach Art, Umfang öffentliche Finanzierung, die gerade auch die Produktion und Befristung des Beschäftigungsverhältnisses und des Um- nicht ökonomisch verwertbaren Wissens ermöglicht. In der fangs der übertragenen Aufgaben sehr unterschiedlich sind. Hochschule Arbeitende benötigen abgesicherte Arbeitsver- Marc Kaulisch vom Institut für Forschungsinformation und hältnisse als unverzichtbare Grundlage für gute Lehre und Qualitätssicherung (IFQ) in Bonn zeigte, dass die Arbeitsbe- Forschung. Im gesellschaftlichen Interesse liegt eine stärke- dingungen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler re Demokratisierung der akademischen Selbstverwaltung in den Niederlanden und Großbritannien wesentlich besser und nicht eine als Effizienzsteigerung daherkommende sind als hierzulande. Die Ergebnisse der Tagung sollen im Entdemokratisierung. Mittelbau-Vernetzungstreffen weiter diskutiert werden und Alexander Wagner auch als Tarifforderungen in die Arbeit der GEW einfließen.
TITELTHEMA HLZ 1–2/2011 10 Hochschulfinanzierung in Hessen Verschärfte Konkurrenz durch leistungsorientierte Zuweisung Spätestens mit der Amtsübernahme der Regierung Koch stärker auf eine ökonomische Verwertung ausrichten müssen, übernahm der Neoliberalismus 1999 eine dominante Positi- wenn sie Drittmittel als „zusätzliche Finanzierungsquellen“ on auch in der hochschulpolitischen Debatte in Hessen. Die nutzen wollen, da sie nur so den Bedürfnissen von privaten andauernde Dominanz der neoliberalen Ideologie, trotz Fi- Drittmittelgebern entsprechen können. Dieser Druck wird nanz- und Weltwirtschaftskrise, erklärt sich aus dem Interesse durch den Wettbewerb um die öffentlichen Mittel verstärkt, der Kapitaleigner am breiten Angebot an öffentlichen Leis- die in großem Maße vom Drittmittelvolumen abhängen (4). tungen des fordistischen Wohlfahrtsstaats. Diese bieten neue Derzeit sind die öffentlichen Haushalte mit einem Anteil Investitionsmöglichkeiten mit konstanten beziehungsweise von fast 70 % der größte Drittmittelgeber für die deutschen überdurchschnittlichen Kapitalrenditen, die insbesondere Hochschulen. Ökonomische Zielsetzungen sind auch hier aufgrund der zunehmend kapitalintensiveren Produktion dominant. So hat das LOEWE-Programm (5), das zur Zeit und der dadurch sinkenden Kapitalrenditen (1) interessanter größte hessische Programm zur Forschungsförderung, die werden. Aus diesem Grund existiert ein hoher Druck von Zielsetzung der Lissabon-Strategie, die Stärkung der Wett- Unternehmen wie der Bertelsmann AG, von Unternehmerver- bewerbsfähigkeit sowie die Steigerung der Innovations- bänden und Lobbyvertretungen zur weiteren Privatisierung fähigkeit der Wirtschaft, übernommen. Diesem Programm und Deregulierung öffentlicher Leistungen. stehen in den kommenden vier Jahren mehr als 90 Millio- Die unternehmerische Hochschule, die auf wettbewerbli- nen Euro pro Jahr zur Verfügung, während die hessischen chen Steuerungsmechanismen basiert, ist nach Ball und Hochschulen im selben Zeitraum 34 Millionen pro Jahr Youdell (2) Ausdruck dieser Entwicklung. Sie bezeichnen einsparen müssen. dieses Steuerungsmodell für Hochschulen daher als „endoge- Ein weiterer Hinweis auf die Ökonomisierung der Hoch- ne Privatisierung“. Ziel ist es, die Hochschule und die in ihr schulen ist die Förderung von Privathochschulen. Insbeson- ablaufenden Prozesse dem Interesse der Kapitaleigner nach dere die Summe von 30 Millionen Euro, die das HMWK und höheren Renditen unterzuordnen. die Stadt Wiesbaden in den kommenden Jahren für den Bau Eine Ausdrucksform dieser endogenen Privatisierung der juristischen Fakultät der privaten European Business sind der Hochschulpakt und die mit ihm verbundenen School (EBS) bereitstellen, belegt, dass es ein starkes Interesse Zielvereinbarungen, die das hessische Ministerium für Wis- an deren Etablierung gibt. Öffentliche Zuschüsse an private senschaft und Kunst (HMWK) alle fünf Jahre mit den Hoch- Hochschulen werden vor allem deshalb gewährt, weil ein schulen abschließt. Quantitative Indikatoren wie die ein- kostendeckender Betrieb solcher Einrichtungen bisher kaum geworbenen Drittmittel oder die Anzahl der Studierenden in möglich war. Aufgrund des vorhandenen öffentlichen Angebots einem Fach in der Regelstudienzeit werden als Kriterien für an Hochschulbildung ist die Nachfrage nach entsprechend teuren die Leistung einer Hochschule festgelegt und in Punkten privaten Hochschulen sehr gering (6). gewichtet. So gibt es beispielsweise für 1.000 Euro Drittmittel Fazit: Die Hochschulfinanzierung in Hessen stärkt das 600 Punkte. Die Indikatoren verteilen sich auf das Grund-, Modell der unternehmerischen Hochschule. Durch den Ab- Innovations- und Erfolgsbudget, für die das HMWK in seinem bau des Grundbudgets zugunsten der leistungsorientierten Haushalt feste Budgets eingeplant hat. Mittelzuweisungen wird der Wettbewerb zwischen den Hoch- Nach Abschluss eines Jahres ergibt sich aus der Gesamt- schulen verstärkt. Gleichzeitig scheint aber auch der Wider- zahl der Punkte aller Hochschulen für jede der drei Budget- stand gegen diesen Umbau des Hochschulsystems zu wach- arten eine feste Summe Geld für jeden Punkt, der den sen. Die Abschaffung der Studienbeiträge in Hessen zeigt, Hochschulen in der darauf folgenden Periode als Global- dass solche Entwicklungen nicht unumkehrbar sind. budget zur Verfügung gestellt wird. Auf diese Weise versucht Henrik Piltz das HMWK unter den Hochschulen einen Wettbewerb um die (1) Schmalwasser, O. und Schidlowski, M.: Kapitalstockrechnung in Finanzmittel des Landes zu etablieren. Zudem können so Deutschland; in: Wirtschaft und Statistik 11/2006, Statistisches Bundes- Marktpreise für die jeweiligen Leistungen der Hochschulen, amt, Wiesbaden. z.B. für einen Studienplatz in einem bestimmten Fach, ermittelt (2) Ball, S. und Youdell, D.: Hidden Privatisation in Public Education, werden. Drittmittel werden dabei als einer der wichtigsten Brüssel 2007 Indikatoren des Erfolgsbudgets besonders stark gewichtet: (3) Jaeger, M. und in der Smitten, S.: Evaluation der leistungsbezoge- „Die erfolgreiche Antragsstellung für Drittmittel und die Annahme nen Mittelvergabe an die Berliner Hochschulen, HIS: Forum Hochschu- von drittmittelfinanzierten Forschungsaufträgen können so inter- le 1/2009 pretiert werden, dass die Hochschulen auf eine Nachfrage der (4) Schui, H.: Neoliberalismus und Bildung, Wie die Wettbewerbs-Ideo- Wissenschaft, Wirtschaft oder Gesellschaft reagieren. Mit dem logie die Hochschulen neu ausrichtet; in: Gützkow, F. und Quaißer, G.: Indikator wird dementsprechend ein Anreiz gesetzt, sich einer Jahrbuch Hochschule Gestalten 2007/2008, Bielefeld. (5) Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer solchen Nachfrage noch deutlicher zu öffnen, (...) den Forschungs- Exzellenz standort zu stärken und so auch zusätzliche Finanzierungsquellen zu (6) Kaphegyi, T. und Quaißer, G.: Privatisierung von Bildung, in: erschließen.“ (3) Eicker-Wolf, K. und Thöne, U.: An den Grundpfeilern unserer Zukunft Aufgrund der leeren öffentlichen Kassen und der Schulden- sägen. Bildungsausgaben, öffentliche Haushalte und Schuldenbremse, bremse bedeutet dies, dass die Hochschulen ihre Forschung Marburg 2010
11 HLZ 1–2/2011 TITELTHEMA Pekäre Hochschule Miese Arbeitsbedingungen an Hochschulen Entgegen aller bildungspolitischen Programmatik werden Prüfungen und die Abschlussarbeit können nicht verlässlich Bildung und Wissenschaft nicht mit jenen Mitteln ausgestattet, begleitet und betreut werden, weil die Dozentinnen und die sie für ihre gesellschaftliche Funktion eigentlich benötigen. Dozenten schon wieder weg sind, wenn der nächste Schritt im Diese Aussage ist heute so wahr, wie sie es vor zehn, zwanzig Studium ansteht. Mit ihnen verschwinden auch spezifische oder vierzig Jahren war. Was politisch Anfang der 1980er Inhalte, Arbeitsweisen, Seminarkulturen und Methoden. Jahre mit den Plänen zur Privatisierung der Staatsbetriebe Post Schließlich erbringt der so genannte Mittelbau von Hilfskräf- und Bahn begann, ist heute voll im Bildungsbereich angekom- ten bis zu habilitierten Privatdozentinnen und -dozenten den men. Von vorschulischer über schulische und berufliche größten Anteil der Lehre an deutschen Hochschulen. Bildung bis hin zu Studium und Weiterbildung ist Bildung als Die „unternehmerische Hochschule“ ist schon jetzt bis in „lebenslanges Lernen“ ein lukrativer Bildungsmarkt gewor- feinste Gliederungen des Arbeitsalltages von Wissenschaftle- den, und die unternehmerische Hochschule wird gegen alle rinnen und Wissenschaftlern von Konkurrenz und Prekarität Widerstände eingeführt. Doch Bildung ist per definitionem geprägt. Prekarität als „Entzug von Perspektiven, Lebens- kein Produkt, sondern kann nur durch gravierende Verengung entwurfsmöglichkeiten und Hoffnungen“ ist eine „neue Herr- und Verkürzung dazu gemacht werden. schaftsform“ (4), die das unternehmerische Risiko auf Arbeit- Die Hochschulen bieten jungen Wissenschaftlerinnen und nehmerinnen und Arbeitnehmer überträgt, ohne sie gleich- Wissenschaftlern heute keine verlässliche berufliche Per- zeitig mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten und spektive, sondern „Ausbildungs“-Zeiten von zehn bis 20 sie so zu Unternehmern ihrer selbst macht. Jahren, zahlreiche befristete Teilzeitbeschäftigungen, die Prekarität ist eines der wichtigsten und nachhaltigsten teilweise nur monatsweise verlängert werden, Phasen unbe- Instrumente zur Steigerung von Konkurrenz, sozialer Selek- zahlter Lehraufträge und Arbeitslosigkeit und nur für zehn tion und der Ökonomisierung von Bildung. Dabei hat sich Prozent der Interessierten eine Chance auf einen dauerhaften bereits jetzt erwiesen, dass sich damit ein für Bildung und Verbleib im Beruf. In vielen Disziplinen sind „Drittel- und Wissenschaft ruinöser Wettbewerb etabliert hat. Forschungs- Viertelstellen keine Ausnahme mehr und Verträge werden auf und Lehrprojekte, die nicht zu Ende geführt werden können, Monatsbasis verlängert“ (1). der ständige Aufbau neuer Strukturen (Netzwerke, Arbeits- 21.000 Professuren stehen 123.000 hauptamtliche und gruppen, Ausschüsse) mit wechselnder Besetzung und der 43.000 nebenamtliche wissenschaftliche und künstlerische brain-drain in Nachbarländer sind nur einige Beispiele für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber (2), die zu 75% die hohen Verluste, die mit der Prekarität einhergehen. befristet beschäftigt sind. An amerikanischen Universitäten Im harten Kampf um die Ressourcen wird es auch schwer haben dagegen „77 Prozent des wissenschaftlichen Personals sein, die ohnehin wenig reputierlichen Lehramtsstudiengän- eine Professorenstelle“ (3). Für die allermeisten wissenschaft- ge weiterzuentwickeln. Insbesondere die Fachdidaktiken als lichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtiges Bindeglied zwischen theoretisch-fachwissenschaft- an deutschen Hochschulen sieht es ganz anders aus: licher Ausbildung und der Reflexion schulischer Praxis • Sie haben kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse, oft nur leiden unter Nachwuchsmangel. Angesichts gewichtiger poli- über wenige Semester. tischer und gesellschaftlicher Prozesse – von der Finanzkrise • Es gilt eine Gesamtbefristung von zwölf Jahren mit über wachsende soziale Ungleichheit und ökologische Pro- anschließendem Beschäftigungsverbot, wenn die Qualifikati- bleme bis zum Umbau des Bildungssystems – brauchen on (Promotion oder Habilitation) noch nicht vorliegt. gerade Schulen eine bessere und keine kurzfristigere und • Für alle Statusgruppen gibt es viel zu wenige Stellen. prekäre Lehramtsbildung. Und die Hochschulen brauchen mehr unbefristete Stellen und demokratische, statt unterneh- Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen merische Strukturen. sich permanent als wissenschaftliche Ich-AG vermarkten – Christoph Bauer mit negativen Folgen für die eigene Bildung (For- schung) und die der Studierenden (Lehre). Die Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fach- Auswirkungen befristeter Beschäftigung sind bereich Gesellschaftswissenschaften der Universität an den Hochschulen spürbar: Frankfurt. Ausführlicher zur Thematik: „Prekäre Arbeitsbe- • Die wenigsten können sich auf ein zweijäh- dingungen in Lehre und Forschung“, in: Hochschule im Neo- riges Mandat im Fachbereichsrat oder im liberalismus. Kritik der Lehre und des Studiums aus Sicht Senat einlassen, wenn zwischenzeitlich ihr Frankfurter Studierender und Lehrender, als PDF verfügbar Vertrag nicht verlängert wird. unter http://bildungsstreik-ffm.de/cms/?page_id=939 • Verlässliche Arbeitszusammenhänge sind (1) Matthias Neis und Jürgen Rubelt: Wissenschaftliches auch in der Forschung nur möglich, wenn diese Prekariat an Hochschulen. ver.di, Berlin 2010, S.10 auch unabhängig vom Beschäftigungsverhält- (2) Statistisches Bundesamt: Hochschulstandort Deutschland nis, also auch während einer Arbeitslosigkeit, 2009. Wiesbaden 2009 fortgesetzt werden können. Forschung wird sonst (3) Richard Münch: Schafft den Mittelbau ab!, http:// der Privatsphäre zugeteilt und ent-öffentlicht. www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=1271 • Die Orientierung im Grundstudium, die Spezia- (4) Pierre Bourdieu: Prekarität ist überall, in: ders. (Hg.): lisierung im Hauptstudium, die abschließenden Gegenfeuer. UVK, Konstanz 1998, S. 96–105
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