Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft

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Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
3. Quartal 2019; ISSN 1435-4098; Einzelpreis: € 5,–

aktuell                                                3|2019
                                                        Ausgabe 122

Im Wald wächst Vielfalt

Das Magazin der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
im Zentrum Wald-Forst-Holz Weihenstephan
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Inhalt

             		Biodiversität                                                           		 Wald & Mehr
                6 Wälder und ihre Biodiversität                                        45 Biomasse aus dem Wald:
              		 Alois Zollner, Stefan Müller-Kroehling und Thomas Kudernatsch
                                                                                       		 Mit dem »Energie-Atlas Bayern«
                                                                                       		 Florian Renner, Jutta Gerlach und Herbert Borchert
               13 Sonderstandorte – Schatztruhen der Biodiversität
              		 Stefan Müller-Kroehling
                                                                                       47 Lagegenaue Erfassung von Bäumen
              17 Farbenprächtiger Unterwasserdrache                                    		 aus dem Flugzeug
                                                                                       		 Christoph Straub und Rudolf Seitz
             		 wird Lurch des Jahres
              		 Patrick Bilan
                                                                                       50 Sanierung beschädigter Rückegassen
                                                                                       		 Siegfried Waas
              20 Spechte – Schirmarten im Waldnaturschutz
              		 Martin Lauterbach und Simon Schwaiger
                                                                                        53 Landwirtschaftliche Nutzgebäude aus Holz
                                                                                       		 Yuan Jiang, Philipp Dietsch und Stefan Winter
             24 13 Jahre Fledermausmonitoring
             		 im Hienheimer Forst                                                    56 Neue Wanzenart entdeckt Deutschland
              		 Hans-Jürgen Hirschfelder                                              		 Olaf Schmidt

              28 Walddynamik in der »Echinger Lohe«                                     57 Waldschutzsituation in Bayern 2018
             		 Thomas Kudernatsch, Markus Blaschke und Markus                         		 Cornelia Triebenbacher, Ludwig Straßer, Hannes Lemme,
             		Bernhardt-Römermann                                                     		 Gabriela Lobinger, Karin Bork, Nicole Burgdorf und Ralf Petercord

              33 Vielfältige Pionierbaumarten
              		 Olaf Schmidt

6                                                                                  13
Wälder und ihre Biodiversität: Die Mischung machts, aber nicht nur was die Baum­   Sonderstandorte – Schatztruhen der Biodiversität: Wenn es irgendwo
arten betrifft. Vielfalt ist auch ganz groß geschrieben bei Waldstrukturen und     im Wald in Sachen Artenvielfalt abgeht, dann nicht gerade auf Null­
Mikrohabitaten. Ihre Förderung und ihr Schutz sind für die Artenvielfalt von       achtfünfzehn-Standorten. Meist sind es Standorte mit mehr oder
entscheidender Bedeutung – auf ganzer Fläche. Foto: J. Böhm                        weniger ausgeprägten extremen Bedingungen. Sie sind die Brut­
                                                                                   stätten von Spezialisten, Hotspots der Biodiversität. Foto: S. Müller-
                                                                                   Kroehling, LWF

             Titelseite: Der Wald kann viel – viel mehr als nur
             Holz. Er ist Lebensraum für eine Vielzahl von Pflan­
             zen, Tieren und Pilzen. Er ist Bayerns größte Heim­
             statt der Biodiversität. Illustration: C. Hopf, LWF

2    LWF aktuell 3 |2019
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Editorial

		Rubriken
                                         Kalender Seite 39
 4 Meldungen                            Forstliche Veranstaltungen
                                         auf einen Blick
37 Zentrum Wald-Forst-Holz

41 Amt für Waldgenetik

62 Holzwerkstatt

64		 Waldklimastationen

67 Medien

68		 Impressum
                                                                      Liebe Leserinnen und Leser,

                                                                      die Begriffe »Insektensterben«, »Artenvielfalt« und »Biodiver-
                                                                      sität« sind seit Monaten täglich in allen Medien zu lesen und
                                                                      zu hören. Einen Anstoß zu dieser öffentlichen Diskussion gab
                                                                      sicherlich die »Krefeld-Studie«. Fast 30 Jahre lang haben eh-
                                                                      renamtlichen Forscher des Entomologischen Vereins Krefeld die
                                                                      Insektenfauna in Naturschutzgebieten bei Krefeld untersucht.
                                                                      Ihre Forschungsergebnisse dokumentieren einen dramatischen
                                                                      Rückgang zahlreicher Insektenarten während dieser Zeitspanne.
                                                                      Das »Insektensterben« ist seither in aller Munde. Im Februar 2019
                                                                      haben über 1,7 Millionen Stimmberechtigte in Bayern das Volks-
                                                                      begehren »Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern – Rettet
                                                                      die Bienen!« unterstützt. Der Begriff »Biodiversität« ist für den
                                                                      größten Teil unserer Gesellschaft seither kein Fremdwort mehr.
                                                                      Und Biodiversität ist weltweit, aber auch bei uns ein außerordent-
                                                                      lich wichtiges Thema.

                                                                      Aber Bayerns Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer und auch die
                                                                      Bayerische Forstverwaltung brauchen sich keineswegs verstecken.
                                                                      Seit Jahrhunderten werden unsere Wälder genutzt und sind den-
                                                                      noch wertvoller Lebensraum und natürlicher Rückzugsort für viele
                                                                      Tiere und Pflanzen geblieben. Forstwirtschaft und Artenschutz
                                                                      sind kein Gegensatz. Aber man kann durchaus noch das eine oder
                                                                      andere verbessern. Wir müssen auf wissenschaftlich fundierter
                                                                      Basis integrative Konzepte entwickeln und umsetzen, die Natur-
                                                                      schutz und forstliche Nutzung gleichermaßen berücksichtigen.

45                                                                    In den Jahren 2019 und 2020 wollen wir uns im Ressort des Minis-
                                                                      teriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten besonders der
                                                                      Biodiversität widmen und uns gezielt dafür einsetzen, Vielfalt in
                                                                      unseren Wäldern zu erhalten und zu fördern.

Biomasse aus dem Wald: Mit dem »Energie-Atlas Bayern«:                Ihr
Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Energiewende zeigt der
Energie-Atlas, wo es energetisch-regenerativ zukünftig lang
gehen könnte. Der Energie-Atlas ist ein wichtiges Planungs­
werkzeug vor allem für Kommunen, Waldbesitzer und Energie­
berater. Foto: F. Stahl, LWF

                                                                      Olaf Schmidt

                                                                                                                3 |2019 LWF aktuell    3
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Meldungen

Rostrote Mauerbiene Insekt des Jahres 2019
                                                                           land. Sie alle spielen eine
                                                                           wichtige Rolle im Natur-
                                                                           haushalt.
                                                                           Aufgrund ihres Nistverhal-
                                                                           tens ist die Rostrote Mauer-
                                                                           biene häufig in der Nähe
                                                                           menschlicher Behausungen
                                                                           zu finden. Die bis zu 14 mm
                                                                           großen Insekten nutzen
                                                                           Hohlräume in Trockenmau-
                                                                           ern, Löß- und Lehmwänden,
                                                                           aber auch in Totholz, locke-
                                                                           rem Gestein und anderen                 Feldhasen können die Hasenpest (Tu-
                                                                                                                   larämie) auf den Menschen übertragen.
                                                                           Strukturen, um darin ihre               Tularämie ist eine hochinfektiöse, für
                                                                           einzelnen gemörtelten Brut-             Nagetiere häufig tödlich verlaufende
Ein Weibchen der Rostroten Mauerbiene mörtelt ihre Nisthöhle zu.
                                                                           nester anzulegen. Die Weib-             bakterielle Erkrankung. Sie gehört zu
Foto: Paul Westrich, www.wildbienen.info                                   chen legen im Frühjahr die              den meldepflichtigen Tierkrankheiten.
                                                                                                                   Foto: R. Vornehm
                                                                           mit Pollen gefüllten Nist-
Die Rostrote Mauerbiene                    machen die Verantwortlichen     höhlen an, in denen sich die
(Osmia bicornis) ist ein ech-              nicht nur auf das Artenster-    Larven bis August zu er-                Wildtierseuchen
ter Frühlingsbote – sobald                 ben der Wildbienen auf-         wachsenen Bienen entwi-
die auffallend pelzig behaar-              merksam, sie wollen auch        ckeln. In diesem Zustand                hal­ten Mediziner
te Wildbiene auftritt, ist die             auf die hohe Bedeutung der      verharren sie bis zum nächs-            auf Trab
Zeit der andauernden Fröste                Bestäubung als Ökosystem-       ten Frühjahr, um sich dann
vorüber.                                   dienstleistung    hinweisen,    mit ihren kräftigen Kiefern
Mit der Rostroten Mauerbie-                die für unsere Nahrungsmit-     aus dem verschlossenen                  Wenn sich Wildtiere und Men-
ne wurde eine zweite Bie-                  telproduktion äußerst wich-     Nest zu nagen.                          schen begegnen, endet ein solcher
nenart als »Insekt des Jah-                tig ist. Rund 585 Wildbie-                Quelle: www.senckenberg.de   Kontakt i.d.R. für Wildtiere nicht
res« gekürt. Mit dieser Wahl               nenarten leben in Deutsch-      www.wildbienen.info                     besonders erfreulich. Aber es kön-
                                                                                                                   nen derartig unangenehme Be-
                                                                                                                   gegnungen durchaus auch einmal
                                                                                                                   in die andere Richtung führen. Die
                                                                                                                   meisten Krankheiten werden von
        Fledermaushaus Hohenburg wird UN-Dekadenprojekt                                                            Mensch zu Mensch oder von
                                                                                                                   Mensch zu Haustier übertragen.
        »Insekten schützen – gemeinsam für die                                                                     Zum       Beispiel:     Tuberkulose,
        Vielfalt der Natur«: So lautet das deutsche                                                                Schweinegrippe und Toxoplasmo-
        Schwerpunktthema der UN-Dekade »Bio-                                                                       se. Aber auch Wildtiere halten eine
        logische Vielfalt« für die Jahre 2019 und                                                                  ganze Armada gefährlicher Mikro-
        2020. Die Vereinten Nationen haben die                                                                     ben für uns bereit. Der Wissen-
        Jahre 2011 bis 2020 zur UN-Dekade für bio-                                                                 schaftsjournalist Lars Fischer be-
        logische Vielfalt erklärt. Die UN ruft damit                                                               richtet, warum man im Urlaub
        die Weltöffentlichkeit auf, sich für die bio-                                                              besser keine streunenden Tiere
        logische Vielfalt einzusetzen.                                                                             streicheln sollte und welche häss-
        Unter zahlreichen naturschutzfachlichen                                                                    liche Überraschung Kaninchen für
        Projekten hat eine Fachjury auch die baye-                                                                 Jäger in petto haben. In Spektrum.de
        rischen Projekte »Fledermaushaus Hohen-                                                                    stellt er fünf Wildtierseuchen vor,
        burg« und das Life+-Projekt »Große Huf-                                                                    die Mediziner und Laboratorien in
        eisennase in der Oberpfalz« gemeinsam als                                                                  aller Welt auf Trab halten: Ebola –
        offizielles Projekt der UN-Dekade »Biolo-                                                                  die Seuche von Krieg und Armut,
        gische Vielfalt« ausgezeichnet. Die Schutz-                                                                SARS – Warnschuss aus China,
        bemühungen um die seltenste Fleder-                                                                        Tollwut – die gruselige Todesart,
        mausart Deutschlands zählen damit zu ei-                                                                   Milzbrand – die perfekte Biowaffe
        nem der vorbildlichen Projekte, die sich in                                                                und Tularämie – kehrt sie zurück?
        besonderer Weise für den Erhalt der biolo-                                                                                           Michael Mößnang
        gischen Vielfalt einsetzen.     Michael Mößnang
                                                                                                                   www.spektrum.de/wissen/
                                                              Das »Fledermaushaus« in Hohenburg, ausge-
        www.undekade-biologischevielfalt.de                                                                        fuenf-zoonosen-aus-der-wildnis-die-
                                                              baut zu einem Informationszentrum, beherbergt
        www.fledermaushaus-hohenburg.de                                                                            mediziner-auf-trab-halten/1646794
                                                              zugleich Deutschlands letzte Wochenstube der
                                                              Großen Hufeisennase. Fotos: R. Leitl

4      LWF aktuell 3 |2019
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Meldungen

                                                                    Foto: IPBES

                                                                                  Milliarden Bäume für den Sahel

  Wächter der Biodiversität
  2012 wurde er gegründet. Der Sitz des Sekretariats be-
  findet sich in Bonn. Aktuell besteht er aus 132 Mit-                            Diskutierten mit dem Publikum (v.l.n.r.): Prof. Reinhard Mosandl, Dr. Ingo
                                                                                  Friedrich, Anouschka Horn (Moderation), Dr. Manfred Gößl und Eduard Kastner.
  gliedsstaaten. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (In-                             Foto: Kastner AG
  tergovernmental Science-Policy Platform on Biodiver-
  sity and Ecosystem Services) ist ein zwischenstaatliches                        … und bis zu zwei Billionen Bäume für die Wüsten der Welt. »CCP«
  Gremium mit der Aufgabe der wissenschaftlichen Poli-                            soll es möglich machen. CCP steht für »Climate Correction Pro-
  tikberatung zum Thema biologische Vielfalt und Öko-                             ject«. Die Ziele: Meerwasserspiegel senken | Meerwasser entsalzen
  systemleistungen.                                                               und auf Trockengebiete verteilen | Neues Grün für Welternährung |
  Das Gremium sammelt weltweit wissenschaftliche Da-                              Milliarden von Bäumen pflanzen | Klimawandel stoppen. Mit dabei:
  ten, analysiert diese und zeigt politische Handlungs-                           TU München, RWTH Aachen, Alfred-Wegener-Institut u.v.a. So
  optionen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf.                              geht´s: Für diese gewaltige Aufgabe bedarf es neuer, wesentlich
  IPBES selbst führt keine eigenen Forschungsarbeiten                             preiswerterer Wege der Meerwasserentsalzung, die aber mittler-
  durch. Kernaufgabe von IPBES ist es, Politik und Öf-                            weile die Praxisreife und die notwendige Wirtschaftlichkeit er-
  fentlichkeit über den aktuellen Zustand und Wissens-                            reicht haben. Auf der Welt-Wasser-Konferenz in München disku-
  stand zu Biodiversität und Ökosystemleistungen zu in-                           tierten Expertinnen und Experten unterschiedlichster Wissen-
  formieren. Dafür nominiert der IPBES Expertinnen und                            schaftsbereiche mit Politikern und Wirtschaftsfachleuten, wie mit
  Experten zur Erstellung der IPBES-Berichte.                                     einem einfachen, von Sonne und Wind betriebenen Verfahren gro-
                                                 Michael Mößnang                 ße Schritte im Kampf gegen den Klimawandel gemacht werden
  www.ipbes.net                                                                   können.                                              Michael Mößnang

  www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/                             http://climate-correction-project.com
                                                                                  http://welt-wasser-konferenz.de

CO2-Tresor und Hotspot der Artenvielfalt
Das Dattenhauser Ried im Landkreis Dil-
lingen ist ein Leuchtturmprojekt für den
bayerischen Moorschutz. Der Schutz in-
takter und wiedervernässter Moore ist
ein wichtiger Beitrag für den Klima-
schutz. Moore sind bedeutende CO2-
Speicher, aber auch wertvolle Gebiete
für die Artenvielfalt. Mit dem »Master-
plan Moore« will Bayern diese kostbaren
Lebensräume noch besser schützen. Im
Zentrum des Masterplans Moore stehen
nachhaltige Maßnahmen, die Eigentü-
mer und Nutzer von Moorflächen auf
freiwilliger Basis umsetzen. So stellt der
Freistaat Bayern in den nächsten fünf
Jahren rund zwei Millionen Euro für Re-       Das Dattenhauser Ried im Trockensommer 2018             Foto: W. Beissmann, NABU

naturierungsmaßnahmen im Datten-              Seit 2008 wurden in Bayern insgesamt                        den moorreichsten Ländern Deutsch-
hauser Ried zur Verfügung. Kofinanziert       etwa 1.500 Hektar Moorfläche renatu-                        lands. Die Moore Bayerns nehmen zu-
wird das Projekt mit Mitteln aus dem Eu-      riert. Moore entziehen der Atmosphäre                       sammengefasst rund 220.000 Hektar
ropäischen Fonds für regionale Entwick-       weltweit jedes Jahr 150 bis 250 Millionen                   ein.                     Michael Mößnang
lung (EFRE).                                  Tonnen Kohlendioxid. Bayern zählt zu

                                                                                                                                   3 |2019 LWF aktuell           5
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Biodiversität

         Wälder und ihre Biodiversität
         Wie die Vielfalt unserer Wälder lang­fristig erhalten werden kann

         Alois Zollner, Stefan Müller-Kroehling und Thomas Kudernatsch                                 Waldland Mitteleuropa und seine
         Biodiversität ist eines der großen Megathemen in der gegenwärtigen ge­                        Biodiversität
         sellschafts- und umweltpolitischen Diskussion. Der Begriff ist zwar schon                     Mitteleuropa wäre von Natur aus ein
         lange bekannt, hat aber aufgrund aktueller Erkenntnisse und Entwick­                          Waldland, unterbrochen lediglich von
         lungen insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem                               offenen Bereichen der wilden Fluß- und
         Rückgang der Biomasse bei vielen Insektenarten wieder an öffentlicher                         Bachauen, der Sumpf- und Moorland-
         Aufmerksamkeit gewonnen. Denn der Verlust an Artenvielfalt und Verän­                         schaften und von standörtlichen Extrem­
         derungen in der Artenzusammensetzung können unsere Ökosysteme or­                             bereichen, die keinen geschlossenen
         dentlich ins Wanken bringen. Der Schutz der Biodiversität hat daher hohe                      Baumbewuchs tragen. Solche natürli-
         Priorität. Das gilt auch und vor allem im Wald: Denn im Waldland Bayern                       cherweise offenen Bereiche nahmen in
         spielt das »Grüne Drittel« eine bedeutende Rolle für die Artenvielfalt.                       der Summe vermutlich nur wenige Pro-
                                                                                                       zent der Landschaft ein, je nach Natur-
                                                                                                       raum. Auch durch Stürme und andere
                                                                                                       Ereignisse geschaffene Lichtungen wer-
                                                                                                       den eine Rolle für die Frage »Wald oder
                                                                                                       Offenland« gespielt haben, ebenso wie
                                                                                                       der Einfluss großer Pflanzenfresser. Zwar
                                                                                                       ist sehr umstritten, ob diese im Sinne ei-
                                                                                                       ner »Megaherbivoren-Theorie« die Land-
                                                                                                       schaft zu einer halboffenen Parkland-
                                                                                                       schaft umgestaltet haben, denn hierfür
                                                                                                       gibt es keine Belege aus der Pollenanaly-
                                                                                                       se, doch spricht auch nichts dagegen, dass
                                                                                                       Arten wie Wisent, Auerochse oder Elch
                                                                                                       Lichtungen länger offen gehalten haben
                                                                                                       mögen, und auch Bäume durch Fraß und
                                                                                                       Schälen zum Absterben bringen konnten.
                                                                                                       Welche Rolle spielt aber nun der Wald für
                                                                                                       unsere Biodiversität? Vereinfacht gespro-
                                                                                                       chen kann man die heimische Landfauna
                                                                                                       und -flora in drei Gruppen einteilen:
                                                                                                       ƒƒArten, die streng an Wälder gebunden
                                                                                                         sind,
                                                                                                       ƒƒArten, die in verschiedenen Lebens-
                                                                                                         räumen des Waldes und des Offenlan-
                                                                                                         des gleichermaßen leben können, und
 1 Ohne Einwirken des Menschen wäre Mitteleuropa ein »Buchenland«. Dennoch gibt es nur wenige Arten,
                                                                                                         schließlich
die tatsächlich auf Buchenwälder spezialisiert sind. Foto: J. Böhm
                                                                                                       ƒƒArten der offenen Landschaft.
Unsere natürlichen Lebensgrundlagen                 gen kommt es also ganz besonders auf die           Manche dieser Arten hatten ursprünglich
verändern sich gegenwärtig spürbar und              Erhaltung der Biodiversität an. Dies gilt          Lebensräume in den natürlichen Lich-
offensichtlich mit hoher Geschwindig-               insbesondere auch für die Bewirtschaf-             tungen und auf Sonderstandorten, ande-
keit. Die Stabilität und Funktionstüch-             tung unserer Wälder, stellen diese doch            re sind aber erst aus den Steppen des Os-
tigkeit unserer Ökosysteme, ganz gleich,            die flächenmäßig bedeutsamsten natur-              tens nach Mitteleuropa eingewandert, als
ob es sich dabei um Flüsse, Seen, Äcker,            nahen Elemente unserer Kulturland-                 der Mensch anfing, Ackerbau und Vieh-
Wiesen, Wälder oder Moore handelt,                  schaft dar. Waldbewirtschafter, Förster,           zucht zu betreiben.
hängt ganz eng mit deren biologischer               Naturschützer und Waldbesucher tragen              Im Vergleich mit anderen Regionen Euro-
Vielfalt zusammen. Gehen bestimmte                  daher besondere Verantwortung für den              pas können unsere Wälder auf eine nur
Teile eines ökologischen Systems verlo-             Erhalt bzw. für die Wiederherstellung              relativ kurze Vegetationsgeschichte zu-
ren, gerät dessen ausgeklügeltes Gleich-            der biologischen Vielfalt. Nur miteinan-           rückblicken, die erst vor ungefähr 10.000
gewicht durcheinander und wird anfällig             der können wir langfristig unsere natürli-         Jahren nach der letzten Eiszeit begann.
gegenüber Störungen wie Wetterextre-                chen Lebensgrundlagen am besten erhal-             Speziell Buchenwälder gibt es erst seit
men oder Schadinsekten. Bei der Nut-                ten und für unsere nachfolgenden Gene-             wenigen tausend Jahren wieder in Mittel-
zung unserer natürlichen Lebensgrundla-             rationen sichern.                                  europa, und entsprechend arm sind diese

6    LWF aktuell 3 |2019
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Biodiversität

Wälder bei uns an Endemiten und Spe-           Die Rolle der Buche                                  für ausbreitungsschwache Arten sein.
zialisten, die ausschließlich diesen Wald-     Buchenwälder haben in den letzten 20                 Mit ihrem dauerhaft kühl-schattigen Be-
typ benötigen. In anderen Teilen Euro-         Jahren einen völligen Wechsel in der                 standsklima und einem lange Jahre eher
pas, in denen Buchenwälder die Eiszeiten       Wahrnehmung erfahren. Galten sie lange               wenig begehrten Holz können hier gera-
überdauern konnten, sieht dies ganz an-        Jahre im Naturschutz als sehr artenarm               de in von Nadelbäumen geprägten Regio-
ders aus, und so leben dort oft auch ende-     und wegen ihrer weiten Verbreitung we-               nen die Vorkommen seltener gewordener
mische Buchenwaldspezialisten.                 nig relevant für Naturschutzbemühun-                 Laubwaldbewohner zu finden sein.
                                               gen, hat sich zunehmend eine Sichtweise
Land der Wälder und Sümpfe                     etabliert, wonach Buchenwälder arten-                Die Mischung machts!
Ohne Einwirken des Menschen wäre Mit-          reich sind und eine hohe Schutzwürdig-               Durch seine forstliche Tätigkeit hat der
teleuropa nicht nur ein Waldland, son-         keit in Mitteleuropa haben.                          Mensch in den Wäldern die Vielfalt nicht
dern auf erheblichen Flächen ein Land          Buchenwälder sind bei vielen Artengrup-              nur verringert, sondern in vielen Fällen
der Buche. Buchenwälder galten lange           pen zwar nicht artenarm, aber arm an                 auch erhöht. Zwar gibt es auf großen Flä-
als artenarm, doch weiß man heute, dass        Arten, die auf Buchenwälder als Wald-                chen Nadelbaum-geprägte Forstbestände,
sehr viele Arten zumindest »auch« in Bu-       typ spezialisiert sind. Anders gesagt: Alle          in denen viele unserer »Laubwaldarten«
chenwäldern leben können, selbst wenn          Arten, die hierzulande in Buchenwäldern              keine günstigen Lebensbedingungen vor-
darunter aus den genannten Gründen in          leben, können auch mindestens einen                  finden, sondern andere heimische Arten
den hiesigen Breiten kaum Buchenwald-          anderen Laubwaldtyp nutzen. Andern-                  den Ton angeben. Dass die forstlichen
Spezialisten sind. Für sehr viele Arten        falls hätten sie erst in den letzten zwei            Tätigkeiten auf nennenswerten Flächen
sind Buchenwälder aber andererseits            oder dreitausend Jahren zu uns einwan-               aber auch jene Laubbäume begünstigt
nicht eben der Vorzugslebensraum. Denn         dern müssen. In diesem Zeitraum hatte                haben, die auf »Normalstandorten« der
Buchenwälder weisen einen besonders            aber bereits der Mensch in erheblichem               Buche unterlegen wären, hat durchaus
ausgeprägten Bestandsschatten und so-          Umfang angefangen, die ursprünglichen                in erheblichem Umfang zur Steigerung
mit ein kühl-schattiges Innenklima auf,        Wälder zu roden und zu verändern. Für                der Biodiversität beigetragen. Jede dieser
ihre Laubstreu zersetzt sich schlecht          ausbreitungsschwache Buchenwaldspezi-                Baum­arten hat eine große Zahl von Ar-
und das an den Buchenstämmen ablau-            alisten, wie es sie in jenen Teilen Europas          ten im Gepäck, die nur auf dieser Baum­
fende Wasser hat einen niedrigen, sau-         gibt, wo Buchenwälder die Eiszeiten über-            art oder ihrer Gattung vorkommen, oder
ren pH-Wert: für viele lichtliebende und       dauert haben, bestand gar keine Möglich-             aber den speziell von ihr geprägten Wald-
basenliebende Arten eher ungünstige            keit, nach Mitteleuropa zu kommen.                   typ präferieren, wie z. B. lichte Wälder
bis ungeeignete Bedingungen. Auch ha-          Buchen sind zwar von ihrer Holzbeschaf-              oder Wälder mit einer günstig ausgepräg-
ben Mischbaum­arten neben der Buche            fenheit her nicht besonders prädestiniert            ten, milden Laubstreu. Beides – lichte
wenig Platz, denn mit ihren zweilagigen        für das Entstehen von Urwaldstruktu-                 Wälder und günstige Waldhumusformen
Schattenblättern, die ihr ein Wachstum         ren, denn ihr totes Holz zersetzt sich viel          – hat die Buche insbesondere auf boden-
im Halbschatten ermöglichen, und ihrer         rascher als das von Eichen und sie ster-             sauren Standorten nicht im Repertoire.
sehr plastischen Krone, die jede Kronen-       ben meist nach dem Eindringen holz-                  In gemischten Beständen können daher
lücke rasch wieder schließt, kann in den       zersetzender Pilze relativ rasch ab oder             mehr Arten eine Lebensgrundlage finden
hiesigen Breiten auf mittleren Standor-        brechen in einigen Metern Höhe durch                 als in reinen Buchenwäldern.
ten keine andere Baum­art mithalten, von       Weißfäule ab. Eichen mit ihrer sehr viel             Eine Wirtschaftsform, die speziell Eichen
Tanne und Eibe einmal abgesehen.               höheren Lebensdauer und ihrem viel                   und konkurrenzschwache Baum­        arten
Indes war dies auf den extremeren Stand-       langlebigeren Holz bilden daher in weit              gegenüber der Buche stark begünstigte
orten eine völlig andere Situation, und        größerem Umfang dauerhafte und sich                  und früher sehr weit verbreitet war, ist
diese Standorte gab es in der ursprüngli-      langsam entwickelnde Strukturelemente                die Mittelwaldwirtschaft. Dieser »inten-
chen Landschaft in viel größerem Maße,         aus. Aber dennoch können in vielen Re-               siven« Wirtschaftsform mit ihren etwa
als wir uns das heute auch nur vorstellen      gionen Buchenwälder wichtige Refugien                alle 20 Jahren wiederkehrenden Eingrif-
können (s. Beitrag Müller-Kroehling, S.        Artengruppe             Artenzahl       Beziehung    fen in das Unterholz verdanken wir zum
13 in diesem Heft). Man muss sich die                                  BRD     BY
                                                                                       zu Totholz   größten Teil die heute existierenden etwa
Urlandschaft als von Auen- und Sümp-                                                                100.000 Hektar Eichen-Hainbuchen-
                                               Pilze                   5000            2500
fen durchzogene Landschaft vorstellen,                                                              wald in Bayern. Da aber nur noch etwa
                                               Flechten                448             148
in denen viele tausend Jahre Wälder aus                                                             4.000 Hektar Wald heute in dieser »his-
Edellaubbäumen wie Eschen, Ulmen,              Moose                   500             110          torischen«, sehr arbeitsintensiven Art
Linden und Eichen überdauerten. Erst           Mollusken               170             130          und Weise bewirtschaftet werden, stellt
die Trockenlegung der Feuchtgebiete, die       Schwebfliegen           380             77           sich die Frage, ob auf dem Rest der Flä-
Regulierung der Fluss- und Bachauen            Käfer                   4620            1377         che wirklich ein »möglichst naturnaher«,
und die Entsteinung felsiger Landschaf-        Wanzen                  340             ca. 20       kleinflächiger Waldbau oder gar eine Ein-
ten haben vielfach zu den Waldstandor-                                                              stellung der Bewirtschaftung der richtige
                                               Vögel                           133     44
ten geführt, die wir heute kennen, und                                                              Weg ist? Diese Frage muss klar mit einem
                                               Säuger                  60              28
die weniger nass oder felsig sind als sie es                                                        »Nein« beantwortet werden, wenn man
sonst oft waren.                               Nachtschmetterlinge             1945    139          die Eichen und die damit assoziierten Ar-
                                               2   Übersicht zur Artenvielfalt in Buchenwäldern     ten nicht verlieren will.

                                                                                                                      3 |2019 LWF aktuell   7
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Biodiversität

 3 Durch eine ge­
                                                                                                     Bereiche zu verlagern, die das von ihnen
zielte Förderung von
Mischbaum­arten kann                                                                                 benötigte Waldklima aufweisen.
die Biodivesität unserer                                                                             Während häufige und ausbreitungsstarke
Wälder begünstigt
                                                                                                     Arten hierzu »spielend« in der Lage sind,
werden. Foto: P. Dimke, LWF
                                                                                                     etwa weil sie gut fliegen können und in-
                                                                                                     dividuenreich auftreten, sieht die Situa-
                                                                                                     tion für nicht-mobile Arten deutlich un-
                                                                                                     günstiger aus. Es wird daher zwar wohl
                                                                                                     im Klimawandel nicht unbedingt zu ei-
                                                                                                     nem Artenverlust kommen müssen, da
                                                                                                     die wegfallenden Arten zumindest durch
                                                                                                     ausbreitungsstarke, wärmeliebendere er-
                                                                                                     setzt werden. Für die Biodiversität ins-
                                                                                                     gesamt ist dies jedoch keineswegs ein
                                                                                                     »Nullsummenspiel«, sondern bedeutet ei-
                                                                                                     nen zunehmenden regionalen Rückgang
                                                                                                     und ultimativ auch Verlust der an eher
                                                                                                     gemäßigt-kühle Bedingungen gebunde-
Mischung und Vielfalt sind aber vor al-       Das Klima ändert sich!                                 nen, ausbreitungsschwachen Arten. Als
lem auch wichtig auf Landschaftsebene.        Wälder unterlagen in Mitteleuropa schon                besonders gefährdet gegenüber den Fol-
In einer reinen Laubwald-Landschaft           immer einem Wandel! Auch einen Klima-                  gen des Klimawandels gelten Wald-Öko-
kann tatsächlich ein hagerer Nadelforst       wandel hat es immer gegeben, mit Warm-                 systeme, die gegenüber Hitzeperioden
aus Kiefern sehr selten und insofern          und Kaltzeiten, und durchaus recht stark               und Wassermangel besonders empfind-
die Heimat spezialisierter Arten aus der      von den heutigen Bedingungen abwei-                    lich sind, wie beispielsweise Moorwäl-
Gruppe der säureliebenden Arten und           chenden Verhältnissen. Und dennoch ist                 der, Bruch- und Sumpfwälder, montane
Nährstoffflüchter sein, die sonst in die-     der jetzige, durch Treibhausgas-Emissio-               bis subalpine Nadelwälder oder Teile der
ser Region fehlen oder eben aussterben        nen vom Menschen verursachte Klima-                    Schlucht- und Blockwälder.
würden. Und umgekehrt kann der letzte         wandel für die Artenvielfalt aus verschie-             Ein weiterer Faktor, der den Wäldern
Buchenwald-Rest in einer Nadelforst-ge-       denen Gründen deutlich schwerwiegen-                   und ihrer Biodiversität zusetzt, sind die
prägten Region die unersetzbar wertvol-       der. Denn er trifft auf eine Landschaft, in            mit dem Klimawandel einhergehenden
le Heimat ausbreitungsschwacher Laub-         der natürliche und naturnahe Lebensräu-                zunehmenden Extremereignisse. Je nach-
wald-Arten darstellen.                        me aufgrund der intensiven Landnutzung                 dem, um welchen Waldlebensraum es
                                              vielfach nur noch auf kleinen Restflächen              sich handelt, können diese Ereignisse
Aktuelle Herausforderungen für die            vorhanden sind, die durch Randeffekte                  unterschiedliche Auswirkungen haben.
Biodiversität                                 gestört und stark verinselt sind. Die noch             Dürre und Wassermangel können Quel-
Wie eingangs schon erwähnt, befinden          vorhandenen, spezialisierten Arten kön-                len zum Versiegen bringen, Starkregen­
wir uns, was unser Klima betrifft, in ei-     nen hier vielfach nicht auf Dauer überle-              ereignisse spülen Bachschluchten aus
nem nicht mehr umkehrbaren Prozess.           ben, sofern sie nicht die Möglichkeit ha-              und Baum­arten geraten zunehmend un-
Wir, der Wald und die darin lebenden          ben, im Klimawandel auch ihre Areale in                ter Stress.
Arten müssen mit einer nicht zu unter-
                                               4 Blick auf einen der seltenen Mittelwälder: Durch regelmäßige Auflichtungen konnten sich
schätzenden anthropogen bedingten             in den Mittelwäldern zahlreiche licht- und wärmeliebende oder an Eiche gebundene Arten
Klima­erwärmung zurechtkommen, und            etablieren, die in einem dauerhaft geschlossenen Wald nicht vorkommen. Foto: A. Stöger, LWF
die bereits jetzt feststellbaren Auswirkun-
gen lassen keinen Zweifel daran, dass der
Klimawandel die Artenzusammensetzun-
gen verändert (Fischer et al. 2014; Müller-
Kroehling & Jantsch 2015).
Eine weitere Herausforderung stellen die
veränderten und gestiegenen Nährstoff-
und Schadstoffeinträge aus Landwirt-
schaft, Industrie, Verkehr und privaten
Haushalten dar. Und drittens birgt die
zunehmende Globalisierung von Handel
und Verkehr mit der Einführung fremder,
häufig auch problematischer Arten Risi-
ken, die bislang kaum abzuschätzen sind.

8     LWF aktuell 3 |2019
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Biodiversität

                                                                                                                                                                        6 Die N-Einträge in

                                                                                                     Stickstoffeinträge                                                Bayerns Wälder liegen
                                                                                                                                                                       seit Jahrzehnten mit
                                                                                                50
                                                                                                                                                                       durchschnittlich 21 kg/

                                                              Stickstoffeintrag [kg/(ha * a)]
                                                                                                45                                                                     ha und Jahr auf einem
                                                                                                40
                                                                                                                                                                       zu hohen Niveau

                                                                                                35

                                                                                                30

                                                                                                25
5   Der Zweifleckige Zipfelkäfer (Malachius bi-
                                                                                                20
pustulatus) (li.) ist ein Beispiel dafür, dass für vie­
le Totholzbewohner der Landschafts-Kontext viel                                                 15
wichtiger ist als bloße Menge und Dimensionen des                                               10
Totholzes. Die Larven leben in totem Holz, das am
Boden liegt, während die Käfer sich auf Wiesen von                                               5
Pollen ernähren. Ohne diesen Zweiklang kann die                                                 0
Art nicht existieren. Arten wie diese erklären auch,                                             1991      1995        1999       2003     2007      2011   2015
warum gewisse Effekte des Insektensterbens auch
im Wald feststellbar sind, denn nicht wenige Arten
haben auch einen Bezug zum umgebenden Offen­                                                            Wertebereich          Mittel aller WKS-Stationen
land. Foto: S. Müller-Kroehling, LWF
                                                          aber auch für die zunehmende Zahl einge-                                                liche Einrichtungen bearbeiten. Die Er-
Nicht alles Gute kommt von oben                           schleppter, nichtheimischer Schädlinge.                                                 kenntnisse daraus gilt es schließlich an
Eine weitere anthropogene Bedrohung                       Mittlerweile sind fast alle der heimischen                                              die richtigen »Schalthebel« wie Forstleu-
für die Artenvielfalt sind Nährstoff- und                 Baum­arten von mindestens einer solchen                                                 te, Waldbesitzer oder Politiker weiterzu-
Schadstoffeinträge, wobei die zunehmen-                   eingeschleppten Krankheit bzw. Art be-                                                  leiten und in der Öffentlichkeit bekannt
de Überdüngung unserer Wälder mit                         troffen, wie zum Beispiel der Schwarz­                                                  zu machen, um das Bewusstsein für
Stickstoff die größte Rolle spielt. Nach-                 erlen-Phytophthora, dem Ulmen­sterben,                                                  Wald, Forstwirtschaft und Biodiversität
weislich hat sich in den Wäldern Mittel-                  dem Eichen-Mehltau, dem Eschentrieb-                                                    zu schärfen und zu erhalten.
europas in den letzten Jahrzehnten die                    ­sterben oder der Ahorn-Rußrindenkrank-
Bedeutung des Stickstoffs als Nährele-                     heit.                                                                                  Der »Bayerische Weg« setzt vor allem
ment stark geändert. Während bis vor we-                   Diese sich zum Teil invasiv ausbreiten-                                                auf integrative Waldbewirtschaftung
nigen Jahrzehnten Stickstoff noch Man-                     den Arten schränken die Handlungsop-                                                   Zwei grundsätzliche Ansätze zum Schutz
gelfaktor für das Wachstum von Bäumen                      tionen des Waldbesitzers ganz erheblich                                                der heimischen Waldartenvielfalt stehen
oder der Waldbodenvegetation war, ist er                   ein. Sowohl ökonomisch als auch ökolo-                                                 sich gegenüber: integrativer und segre-
heute in den allermeisten Fällen im Über-                  gisch sind die betroffenen Wälder und                                                  gativer Waldnaturschutz. Ersterer ver-
schuss vorhanden. Gründe für das stei-                     Waldbesitzer die Leidtragenden dieser                                                  sucht, Naturschutzziele auf der Gesamt-
gende Stickstoff-Angebot sind einerseits                   Entwicklung.                                                                           fläche beziehungsweise einem möglichst
hohe Einträge aus Landwirtschaft, Indus-                   Klimawandel, Nährstoffungleichgewich-                                                  großen Teil davon umzusetzen, während
trie und Verkehr, andererseits auch geän-                  te und Schädlinge hängen zusammen,                                                     letzterer den Schutz von Waldflächen vor
derte Bewirtschaftungsformen, wie zum                      und sie alle »nagen« sowohl an den Wirt-                                               jeglichen Eingriffen in den Mittelpunkt
Beispiel die Aufgabe von Streunutzung                      schaftswäldern als auch an den Natur-                                                  stellt. Bayern verfolgt bei der Waldbe-
oder Waldweide. Selbst die jahrhunderte­                   wäldern bzw. den natürlichen Waldge-                                                   wirtschaftung klar den Grundsatz: »In-
lang durch intensive Nutzungen eher                        sellschaften.                                                                          tegration statt Segregation« oder anders
ausgehagerten Waldstandorte sind heute                                                                                                            ausgedrückt »Schützen und Nutzen« auf
zunehmend an der Grenze ihrer Aufnah-                     Handlungsfelder zum Erhalt                                                              gleicher Fläche. Zu den wesentlichen
mefähigkeit. Diese Sättigung der Öko-                     der Lebensvielfalt                                                                      Merkmalen eines integrativen Waldna-
systeme mit Stickstoff wirkt sich bereits                 Angesichts dieser Herausforderungen                                                     turschutzes gehören neben der Begrün-
massiv auf die Artenzusammensetzung                       zeichnen sich einige bedeutende Hand-                                                   dung und Pflege naturnaher und stabiler
unserer Wälder aus und wird als der mit                   lungsfelder ab, denen sich die Forstver-                                                Mischwälder zum Beispiel durch flächen-
Abstand wichtigste Biodiversitäts-beein-                  waltung bereits angenommen hat und die                                                  haft praktizierten Waldumbau vor allem
flussende Faktor in den Wäldern der ge-                   es weiterhin zu bearbeiten und zu verste-                                               auch die Erhaltung wichtiger Struktur-
mäßigten Breiten angesehen (Bernhardt-                    tigen gilt. Das ist zum einen das Leitbild                                              elemente wie zum Beispiel ausreichend
Römermann et al. 2017; Sala et al. 2000).                 der »Integrativen Waldbewirtschaftung«                                                  Totholz und Biotopbäume im Wirt-
Artenverluste und Homogenisierungsef-                     mit seinem klaren Bekenntnis »Schützen                                                  schaftswald, insbesondere auch beim ak-
fekte sind bereits vielfach zu beobachten.                und nutzen«. Ein Schutzkonzept, das ge-                                                 tiven Umbau der Wälder. Seit Totholz und
                                                          nau diesen integrativen Ansatz aufgreift                                                Altbäume als ein entscheidender (Man-
Invasive Arten, die großen kleinen                        und seit nunmehr 20 Jahren engagiert                                                    gel-)Faktor für den ökologischen Wert
Unbekannten                                               umgesetzt wird, ist das EU-weite Natura                                                 von Wäldern identifiziert wurden (Alb-
Zunehmende Witterungsextreme und                          2000-Schutzgebietsnetz. Beide Ansätze                                                   recht 1991; Ammer 1991; Geiser 1994),
Stickstoffeinträge machen unsere Wälder                   sind eng verknüpft mit intensiven For-                                                  hat eine beachtliche Zunahme dieser
anfälliger für alle möglichen heimischen                  schungs- und Monitoringaufgaben, die                                                    Strukturelemente in unseren Wäldern
Schadinsekten und Schadpilze, vor allem                   zahlreiche staatliche und wissenschaft-                                                 stattgefunden. Auch dass die Vielfalt an

                                                                                                                                                                    3 |2019 LWF aktuell          9
Aktuell Im Wald wächst Vielfalt - 3|2019 - Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Biodiversität

Totholzformen und -arten gemeinsam mit               Bei der Umsetzung der integrativen Wald-     stark profitieren. Vor allem durch Nut-
den Faktoren Habitat­tradition und Licht             bewirtschaftung verfolgt Bayern einen        zung und Pflege kommt Licht in den
und Wärme (Geiser 1994) die entschei-                kooperativen Weg auf freiwilliger Basis.     Wald und Konkurrenz- und Mischungs-
denden Schlüsselfaktoren sind, wurde be-             Dabei sollen die Waldbesitzer vor allem      verhältnisse können gezielt gesteuert
reits früh erkannt. Aktuell fokussiert sich          durch Information und Überzeugung            werden. Die große Zahl lichtliebender
die im öffentlichen Raum hierzu geführ-              (siehe auch unten), aber auch durch Be-      xylobionter Arten kann gezielt gefördert,
te Diskussion vielfach an unrealistisch              reitstellung staatlicher Fördermittel für    »Methusalem«-Bäume von Lichtbaum­
hohen, aus reifen Urwaldbeständen ent-               den Waldnaturschutz motiviert und ge-        arten und solche mit extrem seltenen
lehnten Totholzvorräten (Kroiher & Oeh-              wonnen werden.                               und langsam sich entwickelnden Struk-
michen 2010). Dabei wird zu wenig zwi-                                                            turen wie Mulmhöhlen können vor dem
schen Totholz und Biotopbäumen (die bei              Naturelemente integrativ                     Absterben und dadurch vor dem Totalver-
den Totholzinventuren als noch lebende               berücksichtigen                              lust bewahrt werden.
Bäume gar nicht erfasst werden, obwohl               Der integrative Naturschutz bedient sich     Unstrittig ist, dass sich ein Prozessschutz-
sie besonders wertvolle Altwaldstruktu-              im Prinzip der genau gleichen Struktur­      orientierter Ansatz eigentlich nur für
ren tragen können) differenziert. In Be-             elemente wie der segregative und ver-        Wälder eignet, die der natürlichen Vege-
zug auf die verwendeten Schwellenwerte               sucht, jene Strukturen zu vermehren und      tation weitestgehend entsprechen und
vergleicht man häufig »Äpfel mit Birnen«             zu erhalten, die in Wirtschaftswäldern       sich in einem Zustand befinden, der nicht
(Müller-Kroehling 2009) und überbetont               nicht von Haus aus vorkommen oder ent-       anthropogen stark verändert ist. Ist dies
den Starkholzaspekt, obwohl es praktisch             stehen, wie etwa Uraltbäume, Biotopbäu-      nicht der Fall und liegt zum Beispiel ein
keine Arten gibt, die ausschließlich daran           me oder bestimmte Qualitäten von Tot-        reiner Nadelforst oder Nadelbaum-domi-
gebunden sind (Schulze et al. 2018).                 holz. Und zwar erfolgt dies hier durch Be-   nierter Mischwald vor, oder handelt es
                                                     lassen entsprechender Einzelbäume oder       sich um einen anderen labilen Zustand
                                                     von Gruppen derselben.                       wie einen durch anthropogene Einflüs-
                                                     Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die-   se geschwächten Wald, so wird das Ein-
                                                     se Gruppen sehr gezielt ausgewählt wer-      stellen menschlicher Pflegeeingriffe in al-
                                                     den können, und dass sie bei konsequen-      ler Regel rasch zu massiven Schäden und
                                                     ter Anwendung auf der gesamten Fläche        Absterbeerscheinungen bis hin zum Zu-
                                                     eine viel flächenhaftere Wirkung entfal-     sammenbruch führen (Müller-Kroehling
                                                     ten können als einzelne, relativ isolierte   et al. 2009). Das gleiche gilt, wenn na-
                                                     »Totalreservate«. Da dieses Konzept aber     turnahe Kulturwaldformen wie Eichen-
                                                     auch genutzt werden kann, um die etwas       Hainbuchenwälder, die auf den aller-
                                                     größeren Elemente, wie die Naturwald­        meisten Standorten Ersatzgesellschaften
                                                     reservate, oder die wenigen größeren, wie    von Buchenwäldern und trockengelegten
                                                     die Nationalparke, miteinander zu ver-       Feuchtwäldern darstellen, aus der Nut-
                                                     netzen, kann das Ganze als »Trittstein-      zung genommen werden. Hier kommt es
                                                     konzept« bezeichnet werden (vgl. Merg-       meist nicht zum Zusammenbruch, aber
                                                     ner 2018).                                   zu einer schleichenden Veränderung des
                                                     Speziell der Erhalt von Wäldern aus lang-    ursprünglichen Waldcharakters hin zu
                                                     lebigen Lichtbaum­  arten ist eine Stärke    schattigeren Waldtypen mit am Ende
                                                     des integrativen Naturschutzes, denn         völligem oder weitgehendem Verlust der
                                                     bei »Prozessschutz«-Regime gehen die-        Eichen (vgl. hierzu auch Artikel über
                                                     se Arten meist mehr oder weniger rasch       die Walddynamik im Naturwaldreservat
                                                     zurück, während Schattbaum­arten sehr        Echinger Lohe, Kudernatsch et al., S. 28
                                                                                                  in diesem Heft). Das kann nicht nur für
                                                                                                  die Artenvielfalt schmerzlich sein, son-
                                                                                                  dern auch für ganz spezielle Waldnatur-
 7 Naturwaldreservate stellen wichtige Trittsteine
                                                                                                  schutzziele wie den Erhalt der ausbrei-
im Waldnaturschutz dar. Foto: C. Schwab
                                                                                                  tungsschwachen Arten sehr alter Wälder,
Der Verzicht auf die Nutzung in Form                                                              der so genannten »Urwaldreliktarten«.
kleinflächiger Strukturen wie Altholz­                                                            So sind beispielsweise im Spessart zahl-
inseln oder Naturwaldreservate ist eben-                                                          reiche dieser Arten an Eichen gebun-
falls fes­
         ter Bestandteil einer integrati-                                                         den, die aber von Natur aus nur in sehr
ven Wald­be­wirt­schaftung (Ammer &                                                               geringen Anteilen vorkommen würden,
Utschick 1994). Dabei hat sich ein abge-                                                          während in den natürlicherweise domi-
stuftes und zeitlich gestrecktes Vorgehen
bewährt. Ein so verstandener und geleb-                                                            8 Zu den wesentlichen Merkmalen
ter Waldnaturschutz ist Garant für eine                                                           eines integrativen Waldnaturschut­
                                                                                                  zes gehört die Förderung wertvoller
hohe Arten- und Lebensraumvielfalt im                                                             Strukturelemente wie Totholz oder
Wald.                                                                                             Biotopbäume. Foto: M. Blaschke, LWF

10    LWF aktuell 3 |2019
Biodiversität

nierenden Buchen nur wenige der Arten                                                                schaftung abgeleitet bzw. bislang prakti-
dieser Gruppe ebenfalls vorkommen kön-                                                               zierte Maßnahmen/Konzepte auf ihre
nen (Bußler & Walentowski 2010). Ver-                                                                Wirksamkeit (bzw. Wirkungen) über-
schwinden langfristig die Eichen durch                                                               prüft werden. Die hohe aktuelle Bedeu-
Konkurrenzunterlegenheit, verschwin-                                                                 tung der Thematik spiegelt sich auch in
den also auch diese an sie gebundenen,                                                               dem Beschluss des Bayerischen Landtags
spezialisierten Arten.                                                                               vom 25.04.2017 »Waldforschung zum
Dort, wo die Voraussetzungen stimmen,                                                                ›Bayerischen Weg‹ intensivieren« wider.
nämlich in Wäldern, in denen die Aus-                                                                Darin wird die Staatsregierung aufgefor-
gangsbestockung vom Typus her der er-                                                                dert, die Forschung über die vielfältigen
wünschten zukünftigen entspricht, kann                                                               Leistungen der integrativen Waldbewirt-
und sollte der Mensch aber auch mal                                                                  schaftung, insbesondere die Naturschutz-
»die Finger aus dem Spiel lassen«. Beson-                                                            leistungen, in verschiedenen Naturräu-
ders wertvoll sind solche Entscheidungen                                                             men (…) weiterzuentwickeln und zu
immer dann, wenn dies in Wäldern ge-                                                                 intensivieren, wobei neben den ökologi-
schieht, die über eine entsprechend lan-                                                             schen auch ökonomische und soziale As-
ge Habitattradition verfügen, mit zahlrei-                                                           pekte zu analysieren sind.
chen Altwaldspezialisten und Arten, die                                                              Während der letzten Jahre wurden be-
an Urwaldstrukturen gebunden sind (Ur-                                                               reits zahlreiche Forschungsprojekte zu
waldstrukturzeiger, oft etwas irreführend     9 Die Forschung in Natruwaldreservaten liefert
                                                                                                     den Einflüssen der integrativen Wald­
                                             wertvolle Erkenntnisse zur Entwicklung der Bio­
beziehungsweise zu pauschal als Urwald-      diversität in unseren Wäldern. Foto: M. Blaschke, LWF   bewirtschaftung auf die Biodiversität
reliktarten bezeichnet). Auch integrativer                                                           durchgeführt. Wertvolle Erkenntnisse zu
Waldnaturschutz kann und sollte somit                                                                einem »Trittsteinkonzept« von Naturwald­-
flächenhaftere segregative Elemente ent-     verboten, die zu einer Verschlechterung                 elementen in Wirtschaftswäldern liefer-
halten, wie zum Beispiel die Naturwald-      der Erhaltungszustände führen. Die Si-                  ten beispielsweise Forschungsarbeiten in-
reservate oder weitere Flächen ohne jed-     cherung eines günstigen Erhaltungszu-                   nerhalb von Buchenwäldern der Region
wede Eingriffe.                              standes steht dabei nicht im Widerspruch                Steigerwald oder die bayerische Natur-
                                             zu einer regulären Waldbewirtschaftung,                 waldreservatsforschung.
Vernetzung sichert die Vielfalt –            da der günstige Erhaltungszustand in der                Viele waldökologische Erkenntnisse
Natura 2000                                  Regel durch die konkrete Nutzung wäh-                   stammen aus unbewirtschafteten Wäl-
Ein Schutzkonzept, das einen integrati-      rend der letzten Jahrzehnte entstanden                  dern. Weitere Forschungsarbeiten vor al-
ven Ansatz verfolgt, ist seit 2004 in Um-    ist.                                                    lem in Wirtschaftswäldern sind notwen-
setzung. Es handelt sich dabei um Natura     Um die Entwicklung des günstigen Er-                    dig, um den Bayerischen Weg »Schützen
2000, ein weltweit einzigartiges Biodiver-   haltungszustandes beurteilen zu können,                 und Nutzen« wissenschaftlich zu beglei-
sitätsprojekt, das aufgrund der global be-   wurde ein bundesweit einheitliches, fort-               ten. So sollte die Biodiversitätsforschung
obachteten Arten- und Lebensraumver-         laufendes Monitoring-Programm einge-                    künftig in verstärktem Umfang Aussa-
luste bereits 1992 zur Sicherung der Bio-    richtet. Im Turnus von sechs Jahren wird                gen und Handlungsempfehlungen zur
diversität beschlossen wurde. Bei Natura     EU-weit im sogenannten FFH-Bericht zur                  Biodiversität für die gesamte Waldflä-
2000 geht es ganz konkret darum, ein eu-     Lage der Natur berichtet. Natura 2000                   che, insbesondere auch zu bisher wenig
ropäisches Biotop-Verbund-Netzwerk zu        gibt somit regelmäßig Auskunft über                     erforschten Waldlebensräumen, liefern.
schaffen, das einen Austausch der biologi-   Veränderungen bei den einzelnen Erhal-                  An der Bayerischen Landesanstalt für
scher Vielfalt über die einzelnen Gebiete    tungszuständen und ermöglicht es, auf                   Wald und Forstwirtschaft wird derzeit
und Mitgliedsstaaten hinaus ermöglicht,      negative Entwicklungen rechtzeitig mit                  unter anderem ein Forschungsvorhaben
um so einer Isolierung von Teilpopulati-     Erhaltungsmaßnahmen zu reagieren.                       durchgeführt, das die Auswirkungen von
onen und damit Biodiversitätsverlusten                                                               Waldumbaumaßnahmen in Fichtenrein-
vorzubeugen.                                 Forschung und Monitoring                                beständen auf die Biodiversität näher
In Bayern sind gut elf Prozent der Lan-      Um die Wirkungen und die Leistungen                     »unter die Lupe nimmt«.
desfläche als Natura 2000-Gebiete aus-       einer integrativen Waldbewirtschaftung                  Angesichts des rasanten Wandels unserer
gewiesen. Dabei nehmen Waldflächen           – insbesondere auch im Hinblick auf den                 Umwelt und des dadurch drohenden Ver-
einen sehr hohen Anteil ein. Das unter-      Erhalt der Biodiversität – umfassend be-                lusts ökosystemarer Leistungen sind aus-
streicht auch die Bedeutung der Wälder       urteilen zu können, ist eine praxisnahe                 sagekräftige Daten zum Zustand und zur
beim Erhalt der Biodiversität. In diesen     und interdisziplinäre Forschung unab-                   Entwicklung der Biodiversität im Wald
Schutzgebieten werden Lebensraumty-          dingbar. Nur durch die Bereitstellung                   von großer Bedeutung (Biodiversitäts-
pen und Arten erhalten und gezielt geför-    wissenschaftlicher Kenntnisse und Fak-                  monitoring). Nur so kann den wachsen-
dert. Dabei geht es um den sogenannten       ten können die zum Teil emotional ge-                   den Anforderungen und dem Informati-
»günstigen Erhaltungszustand« für das        führten Diskussionen um den Schutz der                  onsbedürfnis von Politik und Öffentlich-
jeweilige Schutzgut. Dieser ist entweder     Artenvielfalt im Wald versachlicht und                  keit Rechnung getragen und negativen
zu erhalten oder gegebenenfalls wieder-      evidenzbasierte Empfehlungen und Maß-                   Entwicklungen rechtzeitig vorgebeugt
herzustellen. Ebenso sind Handlungen         nahmen für eine integrative Waldbewirt-                 werden. Darüber hinaus formuliert eine

                                                                                                                       3 |2019 LWF aktuell   11
Biodiversität

10 Wissenstransfer ist                                                                            Literatur
Grundlage für einen                                                                               Albrecht, L. (1991): Die Bedeutung des toten Holzes im Wald.
                                                                                                  Forstwiss. Centralbl. 110: S. 106–113
engagierten Wald­                                                                                 Ammer, U.; Utschick, H. (2004): Folgerungen aus waldökologi-
naturschutz.                                                                                      schen Untersuchungen auf hochproduktiven, nadelholzreichen
Foto: M. Mößnang, LWF                                                                             Standorten für eine an Naturschutzzielen orientierte Waldwirt-
                                                                                                  schaft. Forst und Holz 59(3): S. 119–128
                                                                                                  Ammer, U. (1991): Konsequenzen aus den Ergebnissen der Tot-
                                                                                                  holzforschung für die forstliche Praxis. Forstwiss. Centralbl. 110:
                                                                                                  S. 149–157
                                                                                                  Ammer, U. (1998): Historische Entwicklung des Naturschutzes in
                                                                                                  Deutschland und sein Bezug zum Wald und zum Forstwesen. Ber.
                                                                                                  ANL 22: S. 59–64
                                                                                                  Ammer, U. (2001): Vergleichende waldökologische Untersuchun-
                                                                                                  gen in Naturwaldreservaten und Wirtschaftswäldern unterschied-
                                                                                                  licher Naturnähe in Mittelschwaben. Schlußfolgerungen für die
                                                                                                  forstliche Praxis. LWF-Bericht 33: S. 50–58
                                                                                                  Ammer, C. & Schall, P. & Gossner, M. & Heinrichs, S. & Boch, S. &
                                                                                                  Prati, D. & Jung, K. & Baumgartner, V. & Blaser, S. & Böhm, S. &
                                                                                                  Buscot, F. & Daniel, R. & Goldmann, K. & Kaiser, K. & Kahl, T. &
                                                                                                  Lange, M. & Müller, J. & Overmann, J. & Renner, S. & Fischer, M.
                                                                                                  (2017): Waldbewirtschaftung und Biodiversität: Vielfalt ist gefragt.
                                                                                                  AFZ-DerWald 17, S. 20–25
                                                                                                  Ammer, U.; Schubert, H. (1999): Arten-, Prozeß- und Ressourcen-
ganze Reihe rechtlicher Quellen (bei-       und vor allem Laubbäumen entwickelt                   schutz vor dem Hintergrund faunistischer Untersuchungen im Kro-
                                                                                                  nenraum des Waldes. Forstwiss. Centralbl. 118: S. 70–87
spielsweise Artikel 7 der Biodiversitäts-   hat, nicht auf seinen Lorbeeren auszuru-              Bernhardt-Römermann, M.; Kudernatsch, T.; Pfadenhauer, J.;
konvention, Artikel 11 und 17 der FFH-      hen. Er sollte aber auch nicht allen popu-            Kirchner, M.; Jakobi, G.; Fischer, A. (2007): Long‐term effects of
                                                                                                  nitrogen deposition on vegetation in a deciduous forest near Mu-
Richtlinie, §38 Absatz 3 des Bundesna-      lären Forderungen nachgeben, wenn sie                 nich, Germany. Applied Vegetation Science 10(3): S. 399–406
turschutzgesetzes) den klaren Auftrag,      waldökologisch nicht gut begründet sind.              Bußler, H.; Walentowski, H. (2010): Sind Urwaldreliktarten in bay-
                                                                                                  erischen Reservaten an naturnahe Wälder gebunden? Forstarchiv
die Biodiversität in Bezug auf ihre Ent-    Hier hilft nur ein offener Diskurs auf der            81 (2): S. 82
                                                                                                  Detsch, R. (1999): Der Beitrag von Wirtschaftswäldern zur Struk-
wicklung zu beobachten und die Zusam-       Basis von Fakten und verlässlicher Infor-             tur- und Artenvielfalt. Ein Vergleich ausgewählter waldökologi-
menhänge zu erforschen.                     mation.                                               scher Parameter aus Naturwaldreservaten und Wirtschaftswäldern
                                                                                                  des Hienheimer Forstes. Diss. LMU München, 208 S.
                                                                                                  Fischer, A.; Jantsch, M.C.; Müller-Kroehling, S. (2014): Buchen-
Gemeinsam den richtigen Weg finden          Zusammenfassung und Ausblick                          wald-Lebensgemeinschaften im Klimawandel. Allg. Forst- u. Jagd-
                                                                                                  Zeitung 185 (3/4): S. 71–81
Aktuell wird Waldnaturschutz oft mit        Die Waldlandschaften Bayerns sind durch eine gro-     Geiser, R. (1994): Artenschutz für holzbewohnende Käfer (Coleop-
Totalreservaten in Verbindung gebracht.     ße standörtliche und nutzungsgeschichtliche Viel-     tera xylobionta). Ber. ANL 18: S. 89–114
                                                                                                  Heinrichs, S.; Schmidt, W. (2013): Windwurf und Eisbruch im Bu-
                                            falt geprägt. Aufgrund dieser Gegebenheit weisen
Viele unserer Erkenntnisse zum Wald-                                                              chenwald: eine Chance für Eiche und andere Baum­arten? Ergebnis-
                                            die Wälder auch eine entsprechend hohe Diversi-       se aus vier Naturwaldreservaten. Forstarchiv 84(6): S. 181–197
naturschutz stammen aus solchen Flä-        tät an Lebensräumen, Strukturen und Arten auf.        Heinrichs, S.; Dölle, M.; Balcar, P.; Schmidt, W. (2018): NWR Adels-
chen wie den Naturwaldreservaten und                                                              berg-Lutzelhardt: Keine Chance für die Eiche. AFZ-DerWald 9: S.
                                            Um diese natürliche bzw. kulturhistorische Vielfalt   29–32
Nationalparken, und das ist auch gut so,    zu erhalten, verfolgt Bayern seit Jahrzehnten den     Kroiher, F.; Oehmichen, K. (2010): Das Potenzial der Totholzak-
denn wir wollen ja von der Natur lernen,    Weg einer integrativen und naturnahen Waldbe-         kumulation im deutschen Wald. Schweiz. Z. Forstwes. 161 (5): S.
                                                                                                  171–180
                                            wirtschaftung auf ganzer Fläche. Einen beson-
und der Erhalt der natürlichen Vielfalt                                                           Mergner, U. (2018): Das Trittsteinkonzept: Naturschutz-integrative
                                            deren Schwerpunkt insbesondere in Zeiten sich         Waldbewirtschaftung schützt die Vielfalt der Waldarten. Fabrik-
ist auch der Maßstab, an dem wir unse-      dramatisch ändernder Umweltbedingungen stellt         schleichach, 136 S.
re Bemühungen ausrichten, aber auch                                                               Müller-Kroehling, S. (2009): Bewertung von FFH-Lebensraumty-
                                            dabei der Umbau nicht standortgemäßer Nadel-          pen. LWF aktuell 69: S. 12–14
messen lassen müssen. Es ist wichtig,       baumbestände in klimatolerante und naturnähere        Müller-Kroehling, S. (2013): Eichenwald-Lebensraumtypen der
dass Waldbesitzer und Praktiker (Forst/     Mischbestände dar. Neben der Einbringung von          FFH-Richtlinie in Deutschland – drängende Fragen und mögliche
                                                                                                  Ansätze für ein Konzept zur Erhalt und Sicherung eines günstigen
                                            Mischbaum­arten trägt auch die Anreicherung von
Naturschutz), Wissenschaftler, politische                                                         Erhaltungszustandes. Naturschutz und Biologische Vielfalt 131, S.
                                            Strukturelementen wie z. B. Biotopbäume und           199–207
Entscheidungsträger, aber auch die brei-    Totholz oder das Älterwerden der Wälder ganz          Müller-Kroehling, S. (2016): Welche Lebensräume müssen wir vor-
te Öffentlichkeit ausgewogene Informati-                                                          rangig und verstärkt schützen, und wie? Jahresber. Bayer. Forst-
                                            entscheidend zur Erhaltung und Förderung der          verein 2015: S. 32–54
onen über aktuelle Forschungsergebnisse     Biodiversität bei.                                    Müller-Kroehling, S.; Jantsch, M. (2015): Auswirkungen des Klima-
erhalten. Dies beinhaltet neutrale, nicht   Um künftig die Vernetzung der verschiedenen Le-       wandels auf die Wald-Laufkäferfauna des Bayerischen Waldes. Der
                                                                                                  Bayerische Wald 28 (1+2) NF: S. 10–21
                                            bensräume und Populationen sicherzustellen, wer-
»zweckorientierte« Information über den                                                           Müller-Kroehling, S.; Walentowski, H.; Bußler, H.; Kölling, C.
                                            den Biotopverbundsysteme wie Natura 2000 oder         (2009): Natürliche Fichtenwälder im Klimawandel – hochgradig
Wert einzelner Waldtypen und einen          Trittsteinkonzepte auf nationaler und internatio-     gefährdete Ökosysteme. LWF Wissen 63: S. 70–85
wissenschaftlich fundierten Vergleich                                                             Rohner, B.; Bugmann, H.; Brang, P.; Wunder, J.; Bigler, C. (2013):
                                            naler Ebene immer mehr an Bedeutung gewinnen.         Eichenrückgang in Schweizer Naturwaldreservaten. Schweiz. Z.
ungenutzter und genutzter Wälder (z. B.     Bayern ist hier auf einem guten Weg, aber noch        Forstwes. 164 (11): S. 328–336
                                            lange nicht am Ziel angekommen. Angesichts des        Sala, O.E.; Chapin, F.S.; Armesto, J.J.; Berlow, E.; Bloomfield, J.;
Detsch 1999; Ammer et al. 2017). Belege                                                           Dirzo, R.; Huber-Sanwald, E.; Huenneke, L.F.; Jackson, R.B.; Kin­
                                            rasanten Wandels unserer Umwelt und des da-
für die ökologischen Vorteile integrati-                                                          zig, A.; Leemans, R.; Lodge, D.M.; Mooney, H.A.; Oesterheld, M.;
                                            durch drohenden Verlusts ökosystemarer Leistun-       Poff, N.L.; Sykes, M.T.; Walker, B.H.; Walker, M.; Wall, D.H. (2000):
ver Waldbewirtschaftung müssen besser       gen sind angewandte Forschungsprojekte und ein        Global Biodiversity Scenarios for the Year 2100. Science 287: S.
zugänglich gemacht werden, sowohl für                                                             1770–1774
                                            Monitoring zum Zustand und zur Entwicklung der        Schulze, E.-D.; Müller-Kroehling, S.; Görner, M.; Walentowski,
Waldbesitzer als auch für die »NGOs«.       Biodiversität im Wald von großer Bedeutung.           H. (2018): Integrativer Naturschutz aus Sicht der Geobotanik und
Auch ihre Umsetzung bedarf noch weite-      Nur wenn eine Vielzahl integrativer Maßnahmen,        Ökologie. AFZ-DerWald 3: S. 30–33
                                            eine praxisnahe und interdisziplinäre Forschung
rer Anstrengungen.
                                            sowie eine zielgerichtete Wissensvermittlung
Waldnaturschutz braucht sich trotz der      Hand in Hand gehen, kann der Erhalt der biologi-
                                                                                                                    Autoren
                                                                                                                    Alois Zollner leitet die Abteilung »Biodiversität,
erzielten und belegbaren Erfolge in Be-     schen Vielfalt in unseren Wäldern langfristig si-                       Naturschutz, Jagd« der Bayerischen Landes-
zug auf die Vermehrung der Schlüsselele-    chergestellt werden.                                                    anstalt für Wald und Forstwirtschaft. Dr. Stefan
                                                                                                                    Müller-Kroehling und Dr. Thomas Kudernatsch
mente Totholz und Biotopbäume und auf                                                                               sind wissenschaftliche Mitarbeiter in dieser Ab-
die Naturnähe der Baumartenzusammen-                                                                                teilung.
                                                                                                                    Kontakt: Alois.Zollner@lwf.bayern.de
setzung, die sich hin zu mehr Naturnähe

12     LWF aktuell 3 |2019
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